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Das kann ja heiter werden. Verlagshäu- sern auf der ganzen Welt stünden harte Zeiten bevor, prophezeite Erik Bjerager, Präsident des „World Editors Forum“, bei der Tagung des Forums im Oktober in Wien. Der international größte Zei- tungskongress der Welt beschäftigte sich drei Tage lang mit der Rolle der Zeitungen in einer digitalisierten Welt, mit Phänomenen wie Google und mit der „Zeit nach WikiLeaks“. Der Präsident, im Hauptberuf Chef- redakteur der dänischen Tageszeitung „Kristeligt Dagblad“, zog dabei eine wesentliche Schlussfolgerung: „Medien müssen mehr Qualität bieten, sie müs- sen Storytelling über den Artikel hinaus bieten und besser werden im Erklären von Hintergründen.“ Und das ange- sichts der nächsten herandräuenden Wirtschaftskrise und der Gefahr, dass die Zeitungen ihre Ressourcen noch einmal „straffen“ müssten. Soll heißen: Die Arbeitsbedingungen werden wohl kaum besser werden, die Anforderungen an den Journalismus dagegen steigen und ändern sich immer schneller. JournalistInnen und VerlegerInnen werden Mut brauchen, um auch weiter- hin unabhängig agieren zu können – nicht umsonst haben die Österreichi- schen Medientage, die Ende September in der Wiener Stadthalle stattfanden, das Wort „Mut“ als Motto ihrer Veran- staltung gewählt. Die beiden Mega- Konferenzen innerhalb weniger Wochen zeigten: Es tut sich einiges in Sachen Medienstandort Wien – auch abseits vom Publizistik-Studium an der Uni Wien oder dem Journalismus-Lehrgang an der Fachhochschule des WIFI. Die Stadt Wien plant nichts weniger als den Aufbau eines Exzellenzfeldes Medien – und will damit Städten wie Hamburg, Berlin oder München medial durchaus die Stirn bieten. Dazu hat sich der Wiener Gemeinde- rat bekannt, dafür wird der ehemalige Schlachthof St. Marx im dritten Wiener Gemeindebezirk in das Medienkompe- tenzzentrum NeuMarx umgebaut, da- für bündelt die Wiener Finanzstadträtin und Vizebürgermeisterin Renate Brau- ner Förderungen aus dem Stadtbudget. Tägliches Programm von mehreren Stunden. Bis 2015 sollen auf 370.000 Quadratmetern 15.000 Arbeitsplätze mit den Schwerpunkten Medien, Krea- tivwirtschaft und Biotechnologie ent- stehen. 20 Medienunternehmen haben sich hier bereits angesiedelt, produzie- ren täglich Dutzende Stunden TV-, In- ternet- und Filmformate. Ein Beispiel: Die derzeit erfolgreichste Donnerstag- abend-Show des ORF, „Willkommen Österreich“ mit Dirk Stermann und Christoph Grissemann, sendet aus den Studios von NeuMarx. Ob der ORF auch in den dritten Bezirk umzieht, ist noch offen: „Wir würden uns sehr freuen, aber NeuMarx funktioniert als Im Schlachthof fürs Journalistenleben lernen Die Stadt Wien will in NeuMarx ihr Exzellenzfeld Medien aufbauen. Dabei sollen nicht nur Unternehmen auf dem ehemaligen Schlachthofgelände angesiedelt werden, es geht auch um mehr Qualität im Journalismus. Im Oktober starteten drei spannende Aus- und Weiterbildungsangebote für Medienschaffende. „Lernen Sie Geschichte, Herr Redak- teur“, forderte einst Altbundeskanzler Bruno Kreisky. In NeuMarx wird weit- aus mehr auf dem Lehrplan stehen. Forschen & Entdecken Medienstandort Wien 23

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Das kann ja heiter werden. Verlagshäu-sern auf der ganzen Welt stünden harte Zeiten bevor, prophezeite Erik Bjerager, Präsident des „World Editors Forum“, bei der Tagung des Forums im Oktober in Wien. Der international größte Zei-tungskongress der Welt beschäftigte sich drei Tage lang mit der Rolle der Zeitungen in einer digitalisierten Welt, mit Phänomenen wie Google und mit der „Zeit nach WikiLeaks“.

Der Präsident, im Hauptberuf Chef-redakteur der dänischen Tageszeitung „Kristeligt Dagblad“, zog dabei eine wesentliche Schlussfolgerung: „Medien müssen mehr Qualität bieten, sie müs-sen Storytelling über den Artikel hinaus bieten und besser werden im Erklären von Hintergründen.“ Und das ange-sichts der nächsten herandräuenden Wirtschaftskrise und der Gefahr, dass die Zeitungen ihre Ressourcen noch einmal „straffen“ müssten.

Soll heißen: Die Arbeitsbedingungen werden wohl kaum besser werden, die Anforderungen an den Journalismus dagegen steigen und ändern sich immer schneller.

JournalistInnen und VerlegerInnen werden Mut brauchen, um auch weiter-hin unabhängig agieren zu können – nicht umsonst haben die Österreichi-schen Medientage, die Ende September in der Wiener Stadthalle stattfanden, das Wort „Mut“ als Motto ihrer Veran-staltung gewählt. Die beiden Mega-

Konferenzen innerhalb weniger Wochen zeigten: Es tut sich einiges in Sachen Medienstandort Wien – auch abseits vom Publizistik-Studium an der Uni Wien oder dem Journalismus-Lehrgang an der Fachhochschule des WIFI. Die Stadt Wien plant nichts weniger als den Aufbau eines Exzellenzfeldes Medien – und will damit Städten wie Hamburg, Berlin oder München medial durchaus die Stirn bieten.

Dazu hat sich der Wiener Gemeinde-rat bekannt, dafür wird der ehemalige Schlachthof St. Marx im dritten Wiener Gemeindebezirk in das Medienkompe-tenzzentrum NeuMarx umgebaut, da-für bündelt die Wiener Finanzstadträtin und Vizebürgermeisterin Renate Brau-ner Förderungen aus dem Stadtbudget.

Tägliches Programm von mehreren Stunden. Bis 2015 sollen auf 370.000 Quadratmetern 15.000 Arbeitsplätze mit den Schwerpunkten Medien, Krea-tivwirtschaft und Biotechnologie ent-stehen. 20 Medienunternehmen haben sich hier bereits ange siedelt, produzie-ren täglich Dutzende Stunden TV-, In-ternet- und Filmformate. Ein Beispiel: Die derzeit erfolgreichste Donnerstag-abend-Show des ORF, „Willkommen Österreich“ mit Dirk Stermann und Christoph Grissemann, sendet aus den Studios von NeuMarx. Ob der ORF auch in den dritten Bezirk umzieht, ist noch offen: „Wir würden uns sehr freuen, aber NeuMarx funktioniert als

Im Schlachthof fürs Journalistenleben lernen Die Stadt Wien will in NeuMarx ihr Exzellenzfeld Medien aufbauen. Dabei sollen nicht nur Unter nehmen auf dem ehemaligen Schlachthofgelände angesiedelt werden, es geht auch um mehr Qualität im Journalismus. Im Oktober starteten drei spannende Aus- und Weiterbildungsangebote für Medienschaffende.

„Lernen Sie Geschichte, Herr Redak-teur“, forderte einst Altbundeskanzler Bruno Kreisky. In NeuMarx wird weit-aus mehr auf dem Lehrplan stehen.

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Medien standort auch ohne ORF“, sagt Rentate Brauner auf Anfragen von JournalistInnen.

ORF hin oder her: Zumindest eine Ausrede werden österreichische Verlags-chefInnen künftig nicht mehr haben, wenn sie erklären müssen, warum sie keine neuen, jungen JournalistInnen anstellen: dass diese für das tägliche Zeitungsgeschäft nicht gut genug aus-gebildet seien. Denn in NeuMarx setzt man künftig auch auf wissenschaftlich basierte Aus- und Weiterbildung der Medienschaffenden.

Deshalb starteten drei hochqualita-tive Bildungsangebote, die den Medien-nachwuchs noch !tter für die beru"iche Zukunft machen sollen. Das b! Wien eröffnete den FH-Bachelorstudiengang „Film-, TV- und Medienproduktion“. Es geht dabei um eine fundierte wirt-schaftliche Ausbildung für künftige Pro-duktions- und HerstellungsleiterInnen bei Filmproduktionen aller Art. Gelehrt wird Prozessmanagement, Betriebs-wirtschaft und Controlling „mit allen möglichen Schnittstellen zu Film- und Medienberufen“, sagt Studien gangsleiter Andreas Ruza, „wir haben versucht, die

Branchenbedürfnisse punktgenau zu treffen.“ Seit Jahren suche die Branche Leute, die verstehen, bei Film- und TV-Projekten sowohl auf die kreative als auch auf die Kostenseite zu achten, sagt Andreas Ruza. Vor allem im Inter-netbereich sieht die Branche riesige Wachstumsfelder.

Das „Forum Journalismus und Medien Wien“ unter der Leitung der Histori-kerin und Medienwissenschaftlerin Daniela Kraus nimmt sich wiederum der JournalistInnen an, die bereits mit-ten im Berufsleben stehen, und startete im Oktober gleich mit zwei Weiter-bildungsprogrammen.

Da sind einerseits „klassische“ Weiter bildungsangebote, die gemeinsam mit der Schweizer Journalistenschule, der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, der Akademie für Publizistik in Hamburg und der Universität Wien abgehalten werden. Das Programm reicht vom Datenseminar (Wie geht ein Medium mit einem Wust von Informationen, etwa „geleakten“ Datenbanken, um?) über Managementaufgaben (Wie gibt man Feedback? Wie redigiert man rich-tig?) bis hin zu Social-Media-Seminaren.

„Zunächst werden 20 verschiedene Seminare angeboten, aber das ist noch sehr ausbaufähig.“Daniela Kraus, Medienwissenschafterin

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Daniela Kraus setzt auf kreative Zugänge angesichts der Informations-lawine, die etwa WikiLeaks bietet – und erzählt vom britischen „Guardian“: Der stellte alle Daten und Schriftsätze über die Spendenaffäre im britischen Parlament online und ließ die User den Datenwust durchforsten und Tipps geben, wo die JournalistInnen weiter forschen sollten. Im ersten Jahr werden 20 verschiedene Seminare angeboten, „aber das ist noch sehr ausbaufähig“, lächelt Kraus.

Der zweite Fortbildungsschwerpunkt in NeuMarx ist schon einem exklusiveren Kreis von Medienschaffenden vorbehal-ten. Der Executive Masterstudiengang „International Media Innovation Ma-nagement“ (IMIM) ist AkademikerIn-nen vorbehalten – und da ausschließlich solchen, die bereits mindestens fünf Jahre Berufserfahrung haben.

Und er kostet 20.000 Euro pro Jahr – was wohl für die meisten Journalis-tInnen bedeutet, dass sie ihn nur dann besuchen können, wenn der Verlag mitzahlt. Oder wenn die Stadt Wien sie für stipendienwürdig hält. Was den Lehrgang etwas kostspieliger macht, ist seine internationale Vernetzung, die das Entwicklungsteam in Partnerschaft mit dem Poynter Institute in den USA, der Universidad Miguel Hernández in Spanien und der Katholischen Universi-tät Eichstätt-Ingolstadt erarbeitete. Der renommierte deutsche Journalismusfor-scher Klaus Meier, der mit dabei war, ist sicher, „dass es etwas Ähnliches wie das in Europa sonst nicht gibt“. Insofern

ziehe Wien zwar einerseits in Sachen Weiterbildung für JournalistInnen im Europa-Vergleich nach – doch „wie man sieht, kann man trotzdem noch wo die Vorreiterrolle übernehmen“, so Kraus. Die Fortbildung !ndet in sechs Wochen-Modulen statt, Studienaufent-halte in den USA, Spanien und Deutsch-land inklusive. Ausgebildet werden künftige Medien-ManagerInnen in der ganzen Welt.

Recherchieren, Themen aufgreifen und spannende Geschichten schreiben, die halten, was sie versprechen – das müssen JournalistInnen freilich nach wie vor selbst – und sie brauchen Vorge-setzte, die ihnen dabei den Rücken freihalten. Womit wieder der Mut ins Spiel kommt. Wie sagte die bekannte profil-Aufdeckungsjournalistin Ulla Schmid (Buwog-, Euro!ghter-, Hypo-Alpe-Adria- und sonstige Skandale), als ihr Anfang November im Wiener Rat-haus von Vizebürgermeisterin Renate Brauner der von ihr ins Leben gerufene erste „Wiener Journalistinnenpreis“ überreicht wurde? „Mut kann man nicht lernen, den hat man oder nicht.“ Das gilt freilich nicht nur für den Jour-nalismus.

Qualitätsschmieden

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Kontakt: www.fh-vie.ac.at

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Kontakt: www.imim-master.com

Kontakt: www.fjum-wien.at

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Petra Stuiber,Chronik- und Wien-Ressortleiterin der Tageszeitung Der Standard

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