Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der...

21
Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen

Transcript of Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der...

Page 1: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

Kurs: Galapagos

Edition Temmen

Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer

herausgegeben von

Matthias Stolt

mit 94 Abbildungen

Für Samuel

Page 2: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

Prolog ........................................................................................................... 6

Einladung auf die Galapagos-Inseln ............................................................... 8

Bei den Angermeyers im Stillen Ozean ......................................................... 12

»Wir Elbpiraten« ......................................................................................... 24

»Unser Schnellsegler ›Marie‹« ...................................................................... 31

Familienalltag auf den Galapagos-Inseln ...................................................... 35

»Abenteuerliche Reise mit vielen Hindernissen« ........................................... 43

Segeltörn mit der »Symbol« ........................................................................ 56

»Unsere neue Heimat auf Santa Cruz« ......................................................... 68

»Die Wildschweinjagd« ................................................................................ 78

»Der Hausbau« ........................................................................................... 80

»Unsere Farm« ............................................................................................ 89

»Die ›Mimi‹, unser erstes eigenes Schiff auf den Galapagos-Inseln« ............. 93

Expedition ins Hochland ............................................................................. 98

»Die angermeyersche Klippfisch-Produktion« ............................................ 102

»Familiengründung in Ecuador« ................................................................ 106

»Der Neuanfang an der Küste« ................................................................. 118

»Besuch in der Heimat« ............................................................................ 122

Inhalt

Page 3: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

Die ersten Touristen kommen ................................................................... 129

»Der Fortschritt zieht ein« ......................................................................... 133

Abschied von den Galapagos-Inseln .......................................................... 138

Wieder zurück in Hamburg ....................................................................... 140

Epilog ....................................................................................................... 146

Karte ........................................................................................................ 150

Dank ......................................................................................................... 152

Der Herausgeber ...................................................................................... 152

Bildnachweis ............................................................................................. 152

Page 4: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

6

Dies ist die Lebensgeschichte von Karl Anger-meyer und seinen Brüdern, die 1935 ihre Hei-mat verließen, um der Naziherrschaft zu ent-fliehen. Ihr Ziel waren die Galapagos-Inseln, die sie auf einer fast zweijährigen, abenteuer-lichen Reise auch erreichten. Möglich gemacht hatten das ihre Eltern, die ihr Haus verkauften, um ihren Söhnen den Kauf eines hochseetüch-tigen Schiffes zu ermöglichen. Die Nachfahren der Angermeyer-Brüder leben noch heute auf dem Archipel im Stillen Ozean und sind eine angesehene Familie, die sich in der Tourismus-branche einen Namen gemacht hat.

Als Karl, Gusch, Fritz und Hans Angermeyer 1937 auf der Insel Santa Cruz im Galapagos-Ar-chipel ankamen, lebten dort nur etwa zwei Dut-zend Menschen. Der Anfang war beschwerlich, es gab kein Trinkwasser, und die Lebensmittel-versorgung war sehr aufwendig. Ihr handwerk-liches Geschick kam ihnen beim Haus- und Schiffbau zugute. Die landwirtschaftlichen Kenntnisse mussten sie sich erst mühsam aneig-nen. Aber wie sagte Karl Angemeyer immer: »In der Not frisst der Teufel Fliegen.«

Mich hat diese Geschichte schon als Kind fasziniert. Die fünf »Frühaussteiger« sind Cousins meiner Mutter, also meine »Onkel 2. Grades«. Als 1961 in der »Bunten Illustrier-ten« die Reportage »Ich fand mein Glück als Robinson« als Fortsetzungsgeschichte er-schien, war ich sieben Jahre alt und von den Abenteuern meiner Verwandtschaft gefesselt. Zu der Zeit sah ich meinen Onkel Karl in Hamburg zum ersten Mal. Ich hing an seinen Lippen, als er von den »verwunschenen In-

seln«, wie die Galapagos-Inseln von den See-fahrern in Südamerika genannt wurden, er-zählte. Natürlich hatte ich die Geschichte von Robinson Crusoe verschlungen und war stolz darauf, so einen »Robinson« in der Familie zu haben.

Seitdem hat mich die Geschichte der Anger-meyers nicht mehr losgelassen. 1988 war ich zum ersten Mal zu Besuch auf den Galapagos-Inseln, aber erst jetzt habe ich mir endlich die Zeit genommen, um die Lebensgeschichte von Karl Angermeyer und seinen Brüdern als Buch herauszubringen, ehe sie in Vergessenheit gerät. Als Hauptquelle dienten mir meine Aufzeich-nungen, die 1988 an mehreren Abenden auf Santa Cruz entstanden, als Karl Angermeyer im kleinen Kreis seine Lebensgeschichte erzählte. Einiges konnte ich aus Informationen seiner Schwägerin Carmen und deren Tochter Anne-liese ergänzen. Als der Text für dies Buch ent-stand, waren allerdings Karl, Gusch und Fritz bereits verstorben und konnten somit nicht mehr befragt werden oder das Manuskript ge-genlesen. Deshalb kann ich für den Wahrheits-gehalt dieses Abenteuers nicht in allen Einzel-heiten garantieren, sehe aber auch keinen Grund, an Karls Erzählungen zu zweifeln.

Karl Angermeyer hat uns 1988 seine Lebens-geschichte überwiegend auf Plattdeutsch, ge-mischt mit einigen spanischen und englischen Vokabeln, erzählt. Zum besseren Verständnis habe ich, bis auf einige wenige Sätze, seine Er-zählung auf Hochdeutsch wiedergegeben.

Ich habe immer den Mut und die Entschlos-senheit dieser damals noch sehr jungen Män-

Prolog

Page 5: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

7

Prolog

ner mit großem Respekt und Anerkennung be-wundert. Aber auch die Toleranz und den Weit-blick ihrer Eltern finde ich einzigartig. Welche Eltern handeln so uneigennützig und geben für ihre Söhne ihr Zuhause auf. Davon können sich heutzutage viele Menschen, die keine Träume und Illusionen mehr haben und viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, eine große Scheibe abschneiden.

Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen dieser neuzeitlichen Robinsonade. Es würde mich freuen, wenn bei Ihnen der Wunsch ge-weckt wird, einmal die Galapagos-Inseln zu besu-

chen. Dann sollten Sie überlegen, eine Schiffs-tour bei Angermeyer Cruises zu buchen. Auf der Insel Santa Cruz gehen Sie in das Restaurant An-germeyer Point und genießen den einzigartigen Blick auf die Academy-Bay und können dann nachempfinden, wie sich Karl Angermeyer ge-fühlt hat, als er in dieser traumhaften Lage sein Haus baute. Ich verspreche Ihnen, dass dieser einzigartige Archipel mit seiner unberührten Na-tur Sie faszinieren wird. Es ist und fühlt sich auch so an wie eines der letzten Paradiese dieser Erde!

Matthias Stolt

Kinder und Enkel von Heinrich und Marie Angermeyer und von August und Margareta Sohnrey

Page 6: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

8

Die Galapagos-Inseln liegen etwa eintausend Ki-lometer vor der Westküste Südamerikas im Pazi-fischen Ozean. Sie liegen auf ungefähr neunzig Grad westlicher Länge direkt auf dem Äquator. Die Galapagos-Inseln sind ozeanische Inseln mit vulkanischem Ursprung. Noch heute sind einige Vulkane auf dem Archipel aktiv. Die In-seln liegen im Bereich dreier Erdplatten: der Pa-zifischen Platte, der Cocos- und der Nazca- Platte. Durch ihre Bewegungen wird die Insel-gruppe jedes Jahr rund fünf Zentimeter in süd-westlicher Richtung verschoben. Das Alter des Galapagos-Archipels wird auf 3,3 Millionen Jah-re geschätzt.

Die Inselgruppe besteht aus dreizehn gro-ßen und sechs kleineren Inseln sowie vierzig winzigen Eilanden. Die größte Insel ist Isabela mit einer Fläche von 4719 Quadratkilometern. Auf ihr befindet sich auch die höchste Erhe-bung des Archipels. Der Vulkan Wolf ist 1707 Meter hoch. Die Landfläche der Inselgruppe beträgt 7900 Quadratkilometer, das gesamte Seegebiet umfasst mehr als 45.000 Quadratki-lometer. Die Insel Santa Cruz, auf der die Fami-lie Angermeyer lebt, hat eine Größe von 986 Quadratkilometern.

Im sechzehnten Jahrhundert wurden die Galapagos-Inseln von Seefahrern entdeckt. Aufgrund fehlender Navigationshilfen war es schwierig, die Inseln im Pazifik wiederzufinden, und so entstand die Legende, die Inseln würden nur von Zeit zu Zeit im Meer auftauchen. Die spanischen Seefahrer jedenfalls gaben ihnen da-her den Namen »Las Islas Encantadas« – die ver-wunschenen Inseln. Erst etwas später wurden

die Inseln nach den dort lebenden Riesen-schildkröten benannt (span. galápago = Schild-kröte).

In späterer Zeit dienten die Inseln immer wie-der Piraten als Zufluchtsort. Viele Seefahrer steu-erten sie an, um die Riesenschildkröten, die mo-natelang ohne Wasser auskommen können, als Proviant an Bord zu nehmen.

Die Galapagos-Inseln weisen ein eigenes Klima auf, da sie im Einflussbereich mehrerer Meeresströmungen liegen. In der ersten Jahres-hälfte herrschen Temperaturen von durch-schnittlich 28 Grad Celsius. In dieser Zeit wird warmes Wasser durch den nordäquatorialen Pa-namastrom herangeführt. Dadurch erwärmt sich die Luft über dem Meer, die Feuchtigkeit kondensiert und regnet ab. In der zweiten Jah-reshälfte bringt der von der Antarktis kommen-de Humboldtstrom kälteres Wasser mit sich, und die etwas kühlere Trockenzeit beginnt. Durch den Zusammenstoß von kühlem Wasser und tropischer heißer Luft kommt es im Hoch-land zu Wolken- und Nebelbildung mit Niesel-regen. Im Allgemeinen herrscht aber auf den Galapagos-Inseln das ganze Jahr ein angenehmes Klima.

Karl Angermeyer in der NDR-Talkshow

Hamburg, Oktober 1985, mein Telefon klingel-te, und mein Onkel Kalli meldete sich: »Matthi-as, Karl Angermeyer von den Galapagos-Inseln ist bei uns zu Besuch, weil er morgen in der NDR-Talkshow auftritt. Hast du Lust, heute

Einladung auf die Galapagos-Inseln

Page 7: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

9

Einladung auf die Galapagos-Inseln

Abend zu uns zu kommen?« Natürlich hatte ich Lust und freute mich auf den Cousin mei-ner Mutter, der 1935 mit seinen Brüder auf die Galapagos-Inseln ausgewandert ist. Karl An-germeyer hatte ich ja schon als kleiner Junge kennengelernt, und er war der einzige der An-germeyer-Brüder, der ab und zu mal zu Besuch nach Deutschland kam. Seine beiden Brüder Fritz und Gusch haben seit ihrer Abreise 1935 Deutschland nie wieder gesehen.

Am frühen Abend fuhr ich zu meiner Tante und meinem Onkel über die Elbbrücken nach Harburg. Tante Gerda erwartete mich schon an der Haustür. Im Wohnzimmer begrüßte mich Karl Angermeyer ganz herzlich: »Hombre, Se-ñor, welcome on board! Wo has du diene Öl-lern loten!«

Ich erzählte ihm, dass meine Eltern im Ur-laub auf Sylt waren und ansonsten bestimmt gerne mitgekommen wären.

»Miene Cousine, what diene Mutter is, have ick jo schon bannig lang nich mehr sehn. So is dat, amigo, wenn man nich glick um die Eck wohnt.«

Karl und sein wilder Mix aus Platt- und Hochdeutsch, spanischen und englischen Vo-kabeln hörten sich für mich wirklich lustig an.

Er war braun gebrannt und hatte viele klei-ne Lachfalten um die Augen. Sein markanter Bart und die etwas längeren, welligen grauen Haare verliehen ihm einen verwegenen Ein-druck. Er sah aus wie eine Mischung aus Mus-ketier und Westernheld. Als wäre er aus einem Buch von Karl May oder Alexandre Dumas entsprungen. Er wäre die ideale Besetzung für eine Neuverfilmung des »Grafen von Monte Christo« in fortgeschrittenem Alter gewesen.

Es wurde ein richtig netter Abend. Karl war ein brillanter Unterhalter. Wir lauschten alle ge-spannt seinen Erzählungen. Er berichtete, dass er für die Darwin-Station als Kapitän gearbeitet und zahlreiche Forscher und Wissenschaftler

mit der »Beagle« durch das Inselreich geschip-pert hat. Thor Heyerdahl, Jacques Cousteau und Heinz Sielmann gehörten zu seinen promi-nentesten Gästen. Er berichtete, dass er gerade von Prinz Philip, der als Präsident des WWF (World-Wildlife-Fond) öfter die Galapagos-In-seln besuchte, auf der »Britania« zum Dinner eingeladen war.

Er erzählte von seinem Bruder Gusch, der allein in einer Höhle wohne und Gedichte ver-fasse, und von Fritz, seinem jüngsten Bruder, der ein großes Segelschiff ausschließlich aus Hartholz ohne jegliche Metallteile bauen wür-de. Der ganzen Familie ginge es gut. Nur seine Frau Marga, die mehr als zehn Jahre älter war als er, leide etwas an Altersschwäche und wäre deshalb auch nicht mit nach Hamburg gekom-men.

Karl erzählte uns noch viele lustige Anek-doten und Geschichten von den Galapagos-Inseln. Leider ging der Abend viel zu schnell zu Ende. Ich hätte Karl noch stundenlang zu-hören können. Er wollte aber vor Mitternacht ins Bett gehen, um am nächsten Abend für den Fernsehauftritt fit zu sein. Er war damals immerhin schon über siebzig Jahre, machte aber einen äußerst wachen und kerngesunden Eindruck. Ich wünschte mir, dass ich in sei-nem Alter noch annähernd so gut aussehen würde. Aber dazu fehlen mir als Großstadt-mensch und Schreibtischtäter wohl die viele Bewegung und die gute Luft ohne Industrie-abgase.

Bei der Verabschiedung fragte mich Karl an diesem Abend:

»Hombre, wann kümmst du uns denn mol besöken? Du kannst bi uns in den Hühnerstall wohnen. Den have ick utbaut, und nu is dor een Pension mit bed and breakfast.«

Er konnte sich vor Lachen überhaupt nicht mehr einkriegen. Seit Jahren hatte ich mir schon vorgenommen, meine Verwandtschaft

Page 8: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

10

Einladung auf die Galapagos-Inseln

auf den Galapagos-Inseln einmal zu besuchen. Aber irgendwie hatte ich es nie geschafft, mei-ne Pläne wirklich konkret werden zu lassen. Natürlich reizte es mich, meine Verwandt-schaft auf den Galapagos-Inseln einmal näher kennenzulernen. Außerdem bot das Inselreich für mich als Fotografen natürlich Motive in Hül-le und Fülle.

Ich versprach also Karl an diesem Abend, dass ich bald einmal zu Besuch kommen wür-de. Er drückte mich zum Abschied ganz herz-lich an seine Brust und schaute mich mit sei-nen listigen Augen an: »Adios, amigo, dann kümm bald mol vörbi, dann kannst du mol miene Babys füttern!«

Damit meinte er die zahlreichen Leguane, die auf seinem Dach lebten und von ihm mit Nudeln und Reis gefüttert wurden. Karl Anger-meyer hatte sich mit ihnen angefreundet. Sie lebten bereits an der Stelle, an der er sein Haus an der Küste baute, und er arrangierte sich mit ihnen: Karl und seine Frau Marga lebten drin-nen im Haus und die Leguane auf dem Dach. So konnten Mensch und Tier friedlich mitei-nander auskommen.

Am darauffolgenden Abend sah ich mir na-türlich die NDR-Talkshow im Fernsehen an.

Karl wurde von Alida Gundlach interviewt und erzählte in Kurzform die Lebensgeschich-te von sich und seinen Brüdern. Er berichtete vom Alltag auf den Galapagos-Inseln und wie schwer es anfänglich gewesen war, als es weder Handel noch Geschäfte gab und alles, was man brauchte und nicht mitgebracht hatte, selbst herstellen musste.

Karl Angermeyer malte vor laufender Ka-mera ein Ölbild, das eine Lagune mit Flamin-gos im Abendlicht zeigte. Weil ihm anfangs auf der Insel Santa Cruz keinerlei Malutensilien und damit auch keine Pinsel verfügbar waren, hatte er sich angewöhnt, die Bilder mit den Fin-gern zu malen. Inzwischen gab es zwar längst welche, aber er war seiner Technik »Fingerpain-ted by Karl Angermeyer« treu geblieben. Die Zuschauer im Studio und vor den Fernsehern konnten bewundern, wie in wenigen Minuten auf einer Leinwand ein eindrucksvolles Gemäl-de entstand.

In derselben NDR-Talkshow war auch der le-gendäre Auftritt von Klaus Kinski, der heutzu-tage oftmals wiederholt wird. Karl erzählte mir später, dass viele Fernsehzuschauer während der Sendung beim NDR anriefen und noch mehr über den »Robinson« erfahren wollten.

Page 9: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

11

Einladung auf die Galapagos-Inseln

Karl und seine »Babys«

Page 10: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

12

Bis ich dann meinen Besuch auf den Galapagos-Inseln in die Tat umsetzte, vergingen noch fast drei Jahre. Damals war ich Kundenberater bei Minolta, und als Angestellter war es nicht so ein-fach, durchgehend vier Wochen Urlaub zu be-kommen. Schon gar nicht in einer japanischen Firma. Aber ich hatte einen guten Draht zu meinem damaligen Chef, und der legte ein eben-so gutes Wort für mich bei der Firmenleitung ein. So wurde mein Urlaub genehmigt.

Im Februar 1988 war es dann endlich so weit. Mit zahlreichen Kameras, Objektiven und Diafilmen bewaffnet, starteten mein Freund Klaus Berger und ich unsere Reise auf die Gala-pagos-Inseln im Stillen Ozean. Zuerst flogen wir mit der Pan Am nach Frankfurt. Kaum wa-ren wir in Hamburg gestartet, kam eine nette Stewardess mit einem Tablett und zwei Fläsch-chen Champagner auf uns zu und fragte: »Herr Stolt und Herr Berger?« Als wir dies bejahten, klappte sie unsere Tischchen herunter, stellte zwei Gläser darauf und schenkte den Champa-gner ein. Unsere Reihennachbarn schauten uns etwas neidisch von der Seite an, und wir wuss-ten auch nicht so recht, was uns geschah. Es lag aber eine Karte dabei, und auf der stand:

Ich wünsche Euch von ganzem Herzen eine gute Reise und bitte kommt gesund wieder!Elke

Da hatte also meine damals relativ neue Freun-din Elke über die Pan Am diesen netten pri-ckelnden Gruß arrangiert. So fing unsere Reise gleich gut an.

Von Frankfurt ging es dann mit einem Zwi-schenstopp in Miami weiter zu der ecuadoria-nischen Hafenstadt Guayaquil. Dort kamen wir erst am späten Abend an. Da unser Flug am nächsten Tag erst weiterging, mussten wir uns zunächst um eine Übernachtungsmöglichkeit kümmern. Der Weg zum Taxi war wie ein Spieß-rutenlauf. Jeder wollte unsere Koffer tragen oder uns irgendetwas andrehen. Unzählige Hände zerrten an unseren Klamotten herum.

Wir waren froh, als wir unbeschadet den Ta-xistand erreicht hatten, und stiegen erleichtert in eines der wartenden Autos ein. Das Fahrzeug war alles andere als verkehrstauglich. Einen TÜV schien es in Ecuador nicht zu geben. Der Kofferraumdeckel war völlig verbogen und ließ sich nicht mehr schließen. Nachdem der Taxi-fahrer unser Gepäck im Kofferraum verstaut hatte, wurde der halb offene Deckel mit einem Band festgezurrt.

Die vorderen Wagentüren hatten keine Fens-ter und schlossen ebenfalls nicht mehr richtig. Der Motor schien immerhin in Ordnung zu sein, aber dafür röhrte es laut aus dem kaputten Auspuff. Wir erklärten dem Taxifahrer, dass wir für eine Nacht ein Hotel suchten. Mit einem grinsenden »Si, si, Señores« trat er das Gaspedal voll durch und raste mit uns zu einem ziemlich hässlichen Betonklotz etwas außerhalb der Stadt, der ein Vier-Sterne-Hotel darstellen sollte. Aber für die eine Nacht war uns das ziem-lich egal. Wir hatten auch keine Lust mehr, mit diesem klapprigen Auto durch die Stadt zu kur-ven. So bezogen wir unser etwas muffiges Ho-telzimmer.

Bei den Angermeyers im Stillen Ozean

Page 11: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

13

Bei den Angermeyers im Stillen Ozean

Am nächsten Morgen ging es dann mit der TAME (Transportes Aeros Militares del Ecua-dor) von der Westküste Südamerikas auf die etwa eintausend Kilometer entfernten Galapa-gos-Inseln. Die Insel Baltra, eine ehemalige US-Basis, dient bis heute als Flughafen. Von dort geht es per Fähre weiter zu den einzelnen In-seln.

Vor über zwanzig Jahren bestand der Flug-hafen lediglich aus einer asphaltierten Lande-bahn und einer etwas besseren Holzbaracke, die als Abfertigungshalle diente. Vor dieser stand Karl Angermeyer und erwartete uns. Ich hatte ihm geschrieben, an welchem Tag wir ankom-men würden, aber nicht erwartet, ihn bereits am Flughafen zu sehen. Er drückte uns kräftig die Hand und meinte: »Hola, ihr Gringos, will-kommen auf unseren Aschehaufen.« So nann-

ten die Angermeyers scherzhaft ihre Inseln, weil sie alle vulkanischen Ursprungs sind.

An einem Counter im Flughafengebäude musste jeder Besucher eine Nationalparkgebühr in US-Dollar entrichten. Als wir am Counter vorbeikamen, sagte Karl zu dem Ranger: »Fami-liares« und zeigte auf uns. Mit einer tiefen Ver-beugung und einem »Si Capitan« winkte er uns durch, und wir konnten frei passieren! Karl schien hier auf den Inseln also eine angesehene Persönlichkeit zu sein.

Mit einem alten Bus ging es zur Fährstati-on, an der wir das kleine Fährboot nach Santa Cruz bestiegen. Die Insel, auf der die Anger-meyers damals schon seit mehr als fünf Jahr-zehnten lebten, ist bis heute mit knapp 25.000 Bewohnern die bevölkerungsstärkste des ge-samten Archipels.

Karls Haus in Puerto Ayora im Jahr 1988

Page 12: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

14

Bei den Angermeyers im Stillen Ozean

Die Überfahrt dauerte nur wenige Minuten. Schwärme von Pelikanen und Fregattvögeln begleiteten uns. Im kristallklaren Wasser schwammen riesige Papageienfische, und wir kamen aus dem Staunen gar nicht heraus. Wir waren in einer völlig anderen Welt gelandet.

Mit dem Bus ging es dann quer über die Insel nach Puerto Ayora, dem Hauptort von Santa Cruz, in dem auch die Angermeyers le-ben. Die 90-minütige Fahrt durch das Hoch-land mit dem tropischen Regenwald ist etwas Unvergessliches. Karl zeigte uns die Riesen-schildkröten, die den Inseln ihren Namen ga-ben und die das Hochland in großer Anzahl bevölkern.

In Puerto Ayora angekommen, bestiegen wir im Hafen Karls Dingi. Mit knurrendem Au-ßenborder am Heck ging es dann über die Aca-demy-Bay, vorbei an zahlreichen Motorbooten und Segelyachten, an die Landspitze der Ha-feneinfahrt. Dort steht, direkt am Wasser, Karls Haus. Es ist wohl der schönste Platz auf der In-sel, denn wie heißt es so schön: Wer zuerst kommt, der mahlt zuerst. Von der Terrasse hat Karl den Überblick über die ganze Bucht.

Wir legten an, und über eine Steintreppe, auf der ein Seelöwe gerade sein Mittagsschläf-chen hielt, ging es direkt hinauf zum Haus. Der Seelöwe rührte sich überhaupt nicht vom Fleck, und wir mussten mit unserem Reisege-päck mühsam über ihn hinüberklettern. So et-was hatte keiner von uns beiden je erlebt. Klaus nahm die ganze Szenerie mit der Videokamera auf. Vom Hausdach herunter betrachteten uns neugierig einige der Leguane. Die meisten der mehr als hundert Meerechsen, die auf Karls Dach lebten, waren wohl zu der Zeit im Meer auf Futtersuche. Diese kleinen Dinosaurier ha-ben sich der Umgebung angepasst und ernäh-ren sich ausschließlich, weltweit einzigartig, von Meeresalgen. Dazu tauchen sie auf den Meeresgrund und halten sich beim Fressen mit

ihren scharfen Krallen am steinigen Boden fest.

Oben an der Treppe erwartete uns Karls ecuadorianische Haushälterin Maria. Die äl-tere Dame im weißen Kittel verneigte sich ehr-fürchtig vor uns und übergoss uns mit einem spanischen Redeschwall. Obwohl ich etwas Spanisch spreche, verstand ich kein einziges Wort. »Maria hat für euch ein Frühstück vorbe-reitet«, übersetzte Karl. Das hätte ich da nie-mals rausgehört. Wie kann jemand so viele Worte sprechen, nur um uns mitzuteilen, dass das Frühstück fertig ist?

Wenn Karl uns gesagt hätte, dass Maria uns soeben ihre ganze Lebensgeschichte erzählt hat, so hätte ich das genauso geglaubt.

So ist nun einmal die südamerikanische Mentalität. Es wird gern und viel geredet. Da-bei wird schnell aus einer Mücke ein Elefant und aus einem Kolibri ein Albatros.

Wir nahmen, nach unserer langen Reise, die Einladung natürlich gerne an. Es hatte sich bei uns bereits ein kräftiges Hungergefühl einge-stellt. Wir nahmen zum Frühstück im Esszim-mer Platz. Mein Vorschlag, auf der wunder-schönen Terrasse mit Meerblick zu frühstü-cken, wurde mit unverständlichen Blicken abgelehnt. Auch da scheinen wir uns in der Mentalität zu unterscheiden. Wir nutzen in (Nord-)Deutschland doch jeden kleinen Son-nenstrahl, um uns auf die Terrasse oder ins Straßencafé zu setzen, und wenn es mit Decke und Pullover ist. Doch in wärmeren Gefilden wird bevorzugt, die Mahlzeiten innerhalb der eigenen vier Wände einzunehmen. Vielleicht aus Angst, dass unter freiem Himmel die Butter schmilzt oder eine Fliege im Essen landet.

So frühstückten wir also erst mal mit Karl in aller Ruhe. Maria servierte uns selbst geba-ckenes Brot, Omelette, Aufschnitt und selbst gemachte Kakteenfruchtmarmelade. Karl isst eine Scheibe Brot mit Honig und mindestens

Page 13: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

15

Bei den Angermeyers im Stillen Ozean

fünfzig frisch geschälten Knoblauchzehen be-legt. »Dat müsst ihr auch ungedingt mal pro-bieren, is’ sehr gesund«, lautete sein Kommen-tar dazu.

Dass Knoblauch gesund ist, will ich gar nicht abstreiten und mag ja wohl wissenschaft-lich bewiesen sein. Aber nach dem Genuss von fünfzig Knoblauchzehen würde sich doch bei uns keiner mehr unter Menschen trauen, ge-schweige in geschlossenen Räumen. Ich muss dazu fairerweise sagen, dass sich der Knob-lauchgestank bei Karl wirklich in Grenzen hielt. Weil er täglich so eine Mammutportion

zu sich nahm, hatte sich sein Körper wahr-scheinlich daran gewöhnt.

Ich freute mich auf einen starken Kaffee und hätte ihn, kaum hatte ich den ersten Schluck genommen, beinahe wieder ausgespuckt. Er war so was von salzig und für meinen Geschmack vollkommen ungenießbar.

Karl lachte: »Ick mok den Kaffee mit Brack-water, dat Solt hett, dor möt ji een beten mehr Meelk und Zucker dranmoken.«

Der hatte gut reden – selbst mit Milch und vier bis sechs Löffeln Zucker schmeckte der Kaffee noch widerlich. Ich muss mich heute

Maria mit Huhn auf Karls Terrasse

Page 14: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

16

Bei den Angermeyers im Stillen Ozean

noch schütteln, wenn ich an Karls Meerwasser-kaffee denke.

Dazu muss man wissen, dass es auf Santa Cruz keine Süßwasserquellen gibt. Die Ein-wohner fangen daher das Regenwasser vom Hausdach auf und nutzen es als Trinkwasser. Da jedoch auf Karls Hausdach die zahlreichen Leguane lebten und das Dach beschmutzten, war das dort gesammelte Regenwasser nicht nutzbar. Daher nahm er für die Küche das sal-zige, sich zwischen den nahen Felsspalten aus Regen und Meerwasser sammelnde Brackwas-ser. Zum Kochen für Nudeln und Reis mag das ja noch nutzbar gewesen sein, aber für Kaffee war es bestimmt nicht brauchbar. Außer dass er furchtbar schmeckte, konnte ich mir auch nicht vorstellen, dass der salzige Meerwasser-kaffee auf die Dauer gesund war.

Nach dem Frühstück kamen Finken und an-dere kleine bunte Vögel ins Haus und pickten die Brotkrümel vom Tisch. Sie schienen jeden Tag zu kommen und waren vollkommen zu-traulich. Ein Tischstaubsauger war hier also überflüssig. Die anderen Essensreste kippte Karl direkt vor seiner Haustür ins Meer, und sofort erschienen zahlreiche große und kleine Fische, die sich darüber hermachten. Besser kann ja eine ökologische Müllentsorgung nicht funkti-onieren, oder?

Nach dem Frühstück zeigte uns Karl unser Zimmer. Es befand sich in einem kleinen An-bau, der einmal als Hühnerstall gedient hatte. Wir holten unser Gepäck und wollten erst mal die Taschen auspacken. Doch zunächst be-schäftigte uns ein Leguan, der es sich auf einem der Betten gemütlich gemacht hatte. Ich packte

Karl mit einem seiner Haustiere

Page 15: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

17

Bei den Angermeyers im Stillen Ozean

ihn am Schwanz und wollte ihn vor die Tür set-zen, da entwischte er mir jedoch und kletterte mit seinen spitzen Krallen an den Gardinen hoch. Diesmal packte ich fester zu und setzte die Echse vor die Tür. Klaus guckte mich so er-schrocken an, als hätte ich eine hochgiftige Klapperschlange mit bloßen Händen ergriffen.

Dabei sind die Meerechsen, wenn sie auch etwas Furcht einflößend aussehen, vollkommen harmlos. Sie haben lediglich ziemlich scharfe Krallen, mit denen sie einem auch ganz ohne feindliche Absichten Kratzer zufügen können.

Nachdem die Luft rein war, richteten wir uns in unserem »Hühnerstall« erst mal häuslich ein und verstauten unser Gepäck. Für Klaus gab es allerdings kaum etwas zu verstauen, da er nur noch Handgepäck hatte. Seine große Reiseta-sche war irgendwo zwischen Miami und den Galapagos-Inseln auf der Strecke geblieben.

Nachdem wir uns dann eingerichtet hatten, erkundeten wir erst mal die nähere Umgebung. Die Angermeyers wohnten auf einer kleinen Landzunge, die als Angermeyer-Point bekannt ist und von Puerto Ayora aus nur per Boot er-reicht werden kann. Dadurch lebten sie dort na-hezu ungestört.

Nach nur wenigen Gehminuten erreichten wir einen wunderschönen weißen Sandstrand mit kristallklarem Wasser, der auf beiden Seiten von Mangrovenwäldern gesäumt war. Oberhalb des Strandes wuchsen überall bunt blühende Blumen und prächtige Kakteen.

Das Klima auf den Galapagos-Inseln ist sehr angenehm. An der Küste sind das ganze Jahr über zwischen 24 und 29 Grad Celsius. Durch den kühlen Humboldtstrom wird es nie uner-träglich heiß. Die Wassertemperatur liegt zwi-schen 18 und 23 Grad. Nur in den Monaten Ja-nuar bis April kann sie bis auf 28 Grad ansteigen.

Da der Archipel auf dem Äquator liegt, ist es jeden Tag zwölf Stunden hell und zwölf Stun-den dunkel. Das ganze Jahr hindurch beginnt

der Tag mit Sonnenaufgang um sechs Uhr mor-gens, und um sechs Uhr abends versinkt die Sonne wieder – lange Sommernächte gibt es also nicht.

Es gibt aber auch kein nasskaltes Schmud-delwetter, bei dem es den ganzen Tag nicht rich-tig hell wird. Das Klima ist so, dass man das ganze Jahr im T-Shirt und in Shorts herumlau-fen kann. Davon können wir Nordeuropäer doch nur träumen. Die Angermeyers haben sich hier wirklich ein schönes Fleckchen Erde ausgesucht.

Als wir von unserer Entdeckungstour zurück waren, kam Karls Bruder Fritz mit seiner Frau Carmen zu Besuch, um uns zu begrüßen. Ich kannte die beiden bislang nur von Fotos und freute mich darauf, sie endlich kennenzulernen. Von meiner Mutter wusste ich, dass Fritz nie viel geredet hat und schon zu Kinderzeiten »der Schweiger« genannt worden war. Nach einer herzlichen Begrüßung guckte mich Fritz lange erstaunt an und meinte dann: »Du siehst aus wie Onkel August.«

Da lag er nicht ganz falsch, ich habe ziem-lich viel Ähnlichkeit mit meinem Opa. Fritz hatte meinen Großvater zum letzten Mal gese-hen, als er ungefähr in dem Alter war, in dem ich damals war. Durch die Ähnlichkeit mit sei-nem Onkel, den er wohl in sehr guter Erinne-rung hatte, war das Eis gebrochen und von An-fang an eine große Sympathie zwischen uns vor-handen.

Karls Frau Marga war zehn Jahre älter als er und die Mutter von Carmen. Als die vier Anger-meyer-Brüder auf Santa Cruz ankamen, war die Auswahl an heiratsfähigen Frauen nicht gerade groß. So hatte der ältere Bruder die Mutter ge-heiratet und der jüngere die Tochter.

Nachdem Karl seine Liebe für Marga ent-deckt hatte, ergab es sich, dass auch Fritz und Carmen ein Paar wurden. So wurde Karl prak-tisch auch noch der Schwiegervater von Fritz.

Page 16: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

18

Bei den Angermeyers im Stillen Ozean

Marga war zur Zeit unseres Besuchs schon fast neunzig Jahre alt und litt an Demenz und Al-terschwäche. Sie war bettlägerig und wurde von Karl und Carmen liebevoll gepflegt.

Mit Carmen und Fritz wurde es ein richtig netter Nachmittag. Carmen interessierte sich sehr für Deutschland und wollte sehr viel wis-sen über das Schulsystem, die medizinische Ver-sorgung und die allgemeine politische Lage. Fritz ist mehr an technischen Dingen interes-siert. Er möchte etwas über Energieerzeugung, Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau erfahren. Klaus ist da der ideale Gesprächspartner. Er ist Techniker bei EADS und ist mit diesen Themen bestens vertraut. Fritz hatte auch gleich Vor-schläge für eine alternative Energiegewinnung mithilfe von Ebbe und Flut parat.

Nach unserer anregenden Unterhaltung, verabschiedeten sich Carmen und Fritz von uns und luden uns für einen der nächsten Tage zum Abendessen bei sich zu Hause ein.

Zum Abendessen hatte Karl eine Art Pizza gemacht. Dazu hatte sich Eric, der Enkel von Fritz und Carmen, selbst eingeladen. Er ist dreizehn Jahre alt und liebt diese Spezialität Karls. Außerdem wollte er unbedingt den Be-such aus Deutschland mal etwas näher unter die Lupe nehmen. Eric spricht erstaunlicher-weise sogar etwas Plattdeutsch, obwohl er noch nie in Deutschland war. Er hat das von seinem Opa und seinen Großonkeln gelernt, die sich untereinander nur auf Plattdeutsch unterhielten. Selbst Carmen, die noch nie in Deutschland gelebt hat, spricht dadurch Platt-deutsch.

Als die Angermeyer-Brüder 1935 Deutsch-land verließen, war es in der damals noch nicht zu Hamburg gehörenden Industriestadt Har-burg-Wilhelmsburg üblich, Plattdeutsch zu spre-chen. Das haben die Angermeyers auf den Gala-pagos-Inseln beibehalten. Sie sprechen aber auch alle Hochdeutsch und Englisch. Selbstverständ-

lich sprechen alle Angermeyers auch Spanisch, Ecuadors Landessprache.

So viele Sprachen so perfekt zu beherrschen, fand ich wirklich bewundernswert. Je nachdem wer gerade zu Gast war, wurde die Sprache dem Besuch angepasst. Manchmal fanden die Ge-spräche gleichzeitig in drei Sprachen statt.

Zur Pizza servierte Karl uns ein undefinier-bares süßes Getränk mit einem leicht che-mischen Beigeschmack. Als er mitbekam, dass wir das knallrote Getränk etwas skeptisch be-trachteten, erklärte er uns: »Hombre Gringos, dat is de Pudding, den ji ut Hamborg mitbröcht hefft. De is een beten dünn worden, und nu künnt wie den supen.«

Ich hatte bei Carmen vor unserer Reise schriftlich angefragt, was ich denn aus Ham-burg mitbringen sollte und womit wir ihnen eine Freude machen könnten. Carmen teilte mir daraufhin mit, dass sie sich über Tütensup-pen, Fertiggerichte und Puddingpulver freuen würden. Wahrscheinlich waren diese Instant-produkte auf der Insel schlecht zu bekommen. Vielleicht sehnt sich der Mensch bei so vielen biologischen Nahrungsmitteln ja nach künst-lichen Farbstoffen und Geschmacksverstär-kern.

Immerhin war dieses Puddinggetränk, ent-gegen dem salzigen Kaffee, durchaus genießbar. Wahrscheinlich hatte Karl das Puddingpulver mit Mineralwasser und nicht mit Brackwasser angemischt.

Nachdem wir uns den Bauch mit Pizza und Puddingsaft vollgeschlagen hatten, gingen wir früh ins Bett. Die lange Reise und die Klimaum-stellung hatten uns geschafft, und Klaus und ich waren todmüde.

Am nächsten Tag holte uns Eric nach dem Frühstück ab, um uns etwas von der Insel zu zeigen. Mit Handtuch und Badehose bewaff-net, machten wir uns über die Lavafelsen auf den Weg über die Insel. Etwas abseits der Küste

Page 17: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

19

Bei den Angermeyers im Stillen Ozean

kamen wir zu riesigen Felsspalten, die mit Was-ser gefüllt sind. Diese sind wohl durch die Ver-schiebung der Erdplatten vor Tausenden von Jahren entstanden. Heutzutage dienen sie den Kindern und Jugendlichen als Badeanstalt. Eric zeigte uns eine Plattform auf einem Felsvor-sprung, von der wir ins Wasser springen sollten. Wir guckten ihn nur ungläubig an. Die Ab-sprungstelle befand sich mindestens zehn Me-ter über der Wasseroberfläche.

Wir zogen es vor, den Felsen mühsam hi-nunterzuklettern. Eric wartete auf dem Felsvor-sprung in schwindelnder Höhe, bis wir unten angekommen waren, und sprang dann von dem Felsen herunter. Er landete mit einem zielsi-cheren Fußsprung im Wasser. Als wir laut ap-plaudierten, kletterte er gleich noch einmal den Felsen, sogar noch etwas höher, hinauf und sprang erneut herunter. Er verstand überhaupt nicht, warum wir keinen Spaß daran hatten, uns von dort oben hinunterzustürzen.

Dass wir Großstädter, die höchstens mal in der Badeanstalt vom Dreimeterbrett gesprun-gen sind, wirklich Schiss hatten, die Felsen hi-nunterzuhüpfen, konnte er sich überhaupt nicht vorstellen. Da waren so Naturburschen wie er, die hier aufgewachsen sind, uns Groß-städtern eindeutig überlegen – und diesbezüg-lich auch zu beneiden.

Das Schwimmen und Tauchen in diesen mit Meerwasser gefüllten Felsspalten war wirklich ein eindrucksvolles Erlebnis. Die Felsspalten haben eine Verbindung zum Meer und sind mit kristallklarem Wasser gefüllt. Durch diese Ver-bindung leben hier zahlreiche Meeresfische. Sie kommen, wenn sie klein sind, durch die Felsöff-nungen und können irgendwann, wenn sie eine bestimmte Größe erreicht haben, nicht mehr heraus. Dadurch war es in diesen Felsspalten wie in einem natürlichen Meerwasseraquarium. Ein ideales Ressort zum Baden und Schnor-cheln.

Mittags erwartete uns Karl zum Essen. Ma-ria hatte Hähnchen mit Kochbananen im Back-ofen zubereitet. Es roch wirklich sehr lecker, und wir hatten einen Bärenhunger.

Karls kranke Frau Marga lag an diesem Tag nicht in ihrem Bett im Schlafzimmer, sondern auf der Couch im Wohnzimmer. Karl hatte sie, damit sie mal etwas Abwechslung hatte, auf das Sofa in unserer Nähe gelegt. Obwohl sie uns am Vortag schon gesehen hatte, fragte sie erneut, wer wir seien. Karl machte wie immer seine Scherze und teilte ihr mit: »Hombre, Se-ñora, das ist doch Matthias, der Sohn von Amanda, und Klaus, Klaus Störtebeker aus Hamburg.«

Sie lachte und schien sich über unsere Ge-genwart zu freuen. Am nächsten Tag hatte sie allerdings schon wieder vergessen, wer wir wa-ren, und so stellte uns Karl geduldig jeden Tag wieder aufs Neue vor.

Nach dem Mittag zeigte uns Karl sein großes Album. Die ganze Lebensgeschichte der Angermeyers war darin mit vielen alten Schwarz-Weiß-Fotos dokumentiert. Von der Kindheit in Hamburg über die abenteuerliche Reise nach Südamerika bis hin zum Alltagsle-ben auf Santa Cruz. Viele Fotos zeigten die gan-ze Familie bei fröhlichen Festen mit Hausmusik und Tanz. Unter anderem waren zahlreiche pro-minente Gäste zu sehen, zum Beispiel Jacques Cousteau, Heinz Sielmann, Thor Heyerdahl und Hans Hass. Viele Fotos zeigten Karl Anger-meyer zusammen mit Franz Burda. Durch die Veröffentlichungen in dessen »Bunte Illustrier-te« und die anschließende Vortragsreise in Deutschland waren die beiden Freunde gewor-den und hatten sich oft getroffen.

Karl zeigte mir voller Stolz einige Famili-enfotos aus Hamburg, auf denen ich ja auch zu sehen war. Sie waren 1961 bei einem Be-such von Marga und Karl in Hamburg ent-standen.

Page 18: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

20

Bei den Angermeyers im Stillen Ozean

Auch Briefe von Thor Heyerdahl und Jac-ques Cousteau sowie Weihnachtsgrüße von der englischen Königsfamilie sind in dem Fotoal-bum verewigt. Wer bekam schon eine Weih-nachtskarte von Königin Elisabeth und Prinz Philip? Darauf konnte sich Karl wirklich etwas einbilden.

Das Fotoalbum von Karl Angermeyer war jedenfalls wirklich beeindruckend, und ich

fragte ihn, ob ich einige Fotos daraus abfotogra-fieren könnte. Er hatte natürlich nichts dage-gen. Daraufhin nahm ich das Album mit nach draußen auf die Terrasse und reproduzierte bei Tageslicht, mit meiner Spiegelreflexkamera und einem Makro-Objektiv, zahlreiche Fotos und Postkarten. Die meisten Fotos in diesem Buch stammen aus diesem Fotoalbum.

Nachdem Karl seine tägliche Siesta gemacht hatte, saßen wir gemütlich in seinem Wohnzim-mer zusammen. Und dann bat ich ihn darum, uns seine Lebensgeschichte in allen Einzel-heiten zu erzählen. Da Karl im Allgemeinen sehr gern erzählte, dauerte es nicht lange, bis er sagte:

»Na good, amigos, we drink noch een Dok-tor, und dann vertell ick ji mol de Story«, sagte er schließlich.

Mit Doktor meinte er den ecuadorianischen Rum, den er immer im Hause hatte und von dem er sich mehrmals am Tag einen genehmigte. Er trank ihn entweder pur oder im Kaffee. Er be-hauptete, dass der Meerwasserkaffee zusammen mit dem Rum dann überhaupt nicht mehr salzig schmeckte. Aber auch das war eine glatte Lüge. Selbst mit Rum und Zucker war der Kaffee wei-terhin ungenießbar.

Nachdem Karl seinen Rum ausgetrunken hatte, zündete er sich genüsslich eine Pfeife an und lehnte sich auf dem großen Sessel neben der antiken Standuhr zurück.

Wir blickten ihn erwartungsvoll an. Nach ei-ner Art Schweigeminute, die wohl die Spannung steigern sollte, fing er endlich an zu erzählen:

»Hombre, wir Jungens hatten schon immer Fernweh. Der Hafen und die Elbe waren unser Spielplatz. Sehnsuchtsvoll schauten wir den großen Schiffen hinterher, die den Hamburger Hafen verließen, um Waren oder Passagiere zu fernen Kontinenten zu bringen. Wie gern wären wir manches Mal mitgefahren, um fremde Län-der zu entdecken. Wir lasen Robinson Crusoe,

Karls Porträt auf dem Titel der »Bunten« Nr. 39, 23. September 1961

Page 19: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

21

Bei den Angermeyers im Stillen Ozean

Grüße von Dr. Franz Burda

Karl mit seinem Freund Dr. Franz Burda

Page 20: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

22

Bei den Angermeyers im Stillen Ozean

die Schatzinsel und Moby Dick sowie eine Menge anderer Bücher, die von Seefahrern, Pi-raten und Entdeckern handelten. Viele Bände bekamen wir von unserem Onkel August ge-schenkt, wenn er sie ausgelesen hatte.

Unser Vater war Maschinenschlosser. Nach der Schule waren wir oft in seiner Werkstatt. Dort, zwischen Amboss und Schraubstock, lernten wir mit Werkzeugen umzugehen. Wenn wir nicht in der Werkstatt zu finden waren, stro-

merten wir am Hafen und am Elbufer herum. Den Elbstrand suchten wir nach Strandgut ab. Die Abwrackwerften waren unser zweites Zuhau-se. Eines Tages entdeckten wir bei Ritschers Werft im Harburger Hafen ein sechs Meter langes Rettungsboot, das Leck geschlagen war. Da wir auf der Werft bekannt waren, konnten wir das Schiff preisgünstig erwerben. Unsere Mutter streckte uns dafür das Taschengeld vor. Auf der Ritschers Werft hatten wir auch die Möglichkeit,

Weihnachtsgrüße von der britischen Königsfamilie an Karl Angermeyer

Page 21: Für Samuel Kurs: Galapagos · Kurs: Galapagos Edition Temmen Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer herausgegeben von Matthias Stolt mit 94 Abbildungen Für Samuel

23

Bei den Angermeyers im Stillen Ozean

den Kahn aufzubocken. Wir schleppten unser Werkzeug auf das Werftgelände.

Die nächsten Monate waren wir damit be-schäftigt, den alten Kahn wieder flottzuma-chen. Außer meinen Brüdern Fritz, Gusch, Hans und Hein, halfen uns unsere Cousins Kal-li und Augi. Auf den Abwrackplätzen an der 2. Hafenstraße suchten wir uns Schekel, Tampen

und Ruder zusammen. Für ein paar Mark konn-ten wir auch einen ausrangierten Anker und ei-nen alten Messingkompass erwerben. So war unsere Schiffsausstattung bald komplett. Den leckgeschlagenen Schiffsrumpf flickten wir mit einigen neuen Planken wieder zusammen, die wir in Vaters Werkstatt passgenau angefertigt hatten.«

Marie Angermeyer und ihre sieben Kin-der