FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 8. DEZEMBER … · So sah es aus, das Din-ner für die...

1
62 WISSENSCHAFT FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 8. DEZEMBER 2013, NR. 49 65 geprägte Speisen ebenfalls ent- sprechend hoch sein sollte. Fertig ist die Geschmacksexplosion. Oder zumindest fast. Es gibt noch einen dritten Fak- tor, der in Varshneys Software ei- ne Rolle spielt. Um seine Bedeu- tung weiß jeder, der schon einmal mit einem Schnupfen vor seinem Lieblingsgericht saß und nicht ein- mal Appetit verspürte, weil die Na- se nicht mitspielte. Ohne Duft ist eben auch das tollste Essen fad. Wie aber kann ein Computer oh- ne Nase riechen? Wieder löst der Rechner das Problem mit Chemie- kenntnissen: Die Software durch- forstet erneut alle beteiligten Ge- schmacksstoffe, dieses Mal aber auf der Suche nach bestimmten physi- kochemischen Eigenschaften wie die Zahl der Rotationsachsen im Molekül oder der möglichen Was- serstoffbrückenbindungen. Sie be- stimmen, wie die Aromen zu 70 etablierten Substanzen passen, die den Duft eines Essens ausmachen und als angenehm wahrgenommen werden. „Es ist wirklich überra- schend, dass wir aufgrund von Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den Molekülen auf den Genussfaktor eines Gerichts schließen können“, sagt Varshney. „Aber das ist es, was die Forschung in der Psychophysik uns zeigt.“ Es sind die echten Köche, die be- stätigen, dass diese Rechnung auf- gehen kann – nicht immer, aber er- staunlich oft. IBM arbeitet seit Jah- ren eng mit dem Institute of Culinary Education in Manhatten D ie Menschheit befasst sich gern mit ihrer Zukunft, doch oft vergisst sie dabei das Essen. Auch auf einer bekannten Reise zum Jupiter wird das deutlich: Da nehmen sich Frank Poole und David Bowman ihre Tabletts und ziehen Schalen mit Essen aus einer Apparatewand. Es gibt grünen Brei. Roten Brei. Gelben Brei. Weißen Brei. HAL 9000, der Bord- computer, hat auf ihrem Raumschiff zwar alles in seiner Hand – bis hin zum Leben der Besatzung. Nur kochen kann er nicht. Aber hätte er kochen können? 45 Jahre nach Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ er- scheint die Zukunft des Essens deutlich ansprechender: Da gibt es über Zimt geräucherten Lachs in Reispapier. Einen Bier-Butter- milch-Schaum mit Forellenwür- felchen. Das Risotto ist mit kan- diertem Ingwer und Martini zube- reitet. Als Dessert wird zur Crème Caramel aus Quark ein Kümmel- Eis serviert. So sah es aus, das Din- ner für die Teilnehmer der dies- jährigen Falling-Walls-Konferenz in Berlin, einem jährlichen Treffen von Visionären aus der Wissen- schaft. Ein passender Anlass. Denn ausgedacht hat sich die befremd- lichen Kombinationen kein Drei- Sterne-Koch sondern eine neue Software. Entwickelt wurde sie von IBM, und so fragt man sich, was der zweitgrößte Informationstechno- Wein Wein Wein Sherry Sherry Sherry Whiskey Whiskey Whiskey Frankfurter (Würstchen) Frankfurter (Würstchen) Frankfurter (Würstchen) Kalbfleisch Kalbfleisch Kalbfleisch Huhn Huhn Huhn gepökeltes Schwein gepökeltes Schwein gepökeltes Schwein Grüner Tee Grüner Tee Grüner Tee Grüne Paprika Grüne Paprika Grüne Paprika Kakao Kakao Kakao Bier Bier Bier Weisswein Weisswein Weisswein Rotwein Rotwein Rotwein Cabernet Sauvignon Cabernet Sauvignon Cabernet Sauvignon Jamaica-Rum Jamaica-Rum Jamaica-Rum Apfelwein (Cidre) Apfelwein (Cidre) Apfelwein (Cidre) Perlwein Perlwein Perlwein Cognac Cognac Cognac Rum Rum Rum gebratenes Schweinefleisch gebratenes Schweinefleisch gebratenes Schweinefleisch gebratenes Rindfleisch gebratenes Rindfleisch gebratenes Rindfleisch Kartoffel- chips Kartoffel- chips Kartoffel- chips Rindfleisch Rindfleisch Rindfleisch Schweineleber Schweineleber Schweineleber Kaffee Kaffee Kaffee Hühnerbrühe Hühnerbrühe Hühnerbrühe Rote Bohne Rote Bohne Rote Bohne Hering Hering Hering Makrele Makrele Makrele Wels Wels Wels Limabohne Limabohne Limabohne Schwarze Bohne Schwarze Bohne Schwarze Bohne rohes Rindfleisch rohes Rindfleisch rohes Rindfleisch Lammfleisch Lammfleisch Lammfleisch Rinderbrühe Rinderbrühe Rinderbrühe Jakobs- muschel Jakobs- muschel Jakobs- muschel Minze Minze Minze Kichererbse Kichererbse Kichererbse Wein Wein Sherry Sherry Whiskey Whiskey Frankfurter (Würstchen) Frankfurter (Würstchen) Kalbfleisch Kalbfleisch Huhn Huhn gepökeltes Schwein gepökeltes Schwein Grüner Tee Grüner Tee Grüne Paprika Grüne Paprika Kakao Kakao Bier Bier Weisswein Weisswein Rotwein Rotwein Cabernet Sauvignon Cabernet Sauvignon Jamaica-Rum Jamaica-Rum Apfelwein (Cidre) Apfelwein (Cidre) Perlwein Perlwein Cognac Cognac Rum Rum gebratenes Schweinefleisch gebratenes Schweinefleisch gebratenes Rindfleisch gebratenes Rindfleisch Kartoffel- chips Kartoffel- chips Rindfleisch Rindfleisch Schweineleber Schweineleber Kaffee Kaffee Hühnerbrühe Hühnerbrühe Rote Bohne Rote Bohne Hering Hering Makrele Makrele Wels Wels Limabohne Limabohne Schwarze Bohne Schwarze Bohne rohes Rindfleisch rohes Rindfleisch Lammfleisch Lammfleisch Rinderbrühe Rinderbrühe Jakobs- muschel Jakobs- muschel Minze Minze Kichererbse Kichererbse Schwarzer Pfeffer Alkoholische Getränke Nüsse und Samen Meeresfrüchte Fleisch Kräuter Pflanzliche Produkte Gemüse Blumen Tierische Produkte Pflanzen Getreide Gewürze Milchprodukte Früchte Limettensaft Nelke Lavendel Gardenia Orangenblüte Jasmin Blüte Sassafras Zitronensaft Salbei Ouzo Bergamotte Sternanis Zimt Anis Geranium Rose Basilikum Mandel Lachsrogen geröstete Mandel Zitronenschale Japanische Pflaume Pfefferminze Minzöl Tee Jasmintee Schwarzer Tee Okra Mate Paprika Erdbeer- marmelade Koriander Ahornsirup Gewürznelke Sake Sesamsamen geröstete Sesamsamen Fenchel Estragon Westindischer Lorbeer Piment Brombeerbrand Samen Schwarzer Sesam Raps-Samen Muskatnuss Ingwer Pfeffer Kümmel Dill Tabasco Thai-Pfeffer Limonenschalenöl Mandarinenschale Piment Oregano Sellerieöl Blatt Liebstöckel Grüne Minze Karotte Petersilie Kardamon Buchweizen Lakritz Tamarinde Tomatensaft Vollkornreis Eiernudel Mais- schrot Roggenmehl Gerste Auster Kürbis Rosine Garnele Bockshornklee Sesamöl Süßkartoffel Kohlrabi Erbse Cornflakes Preiselbeere Räucherwurst Schinken Truthahn Weizenbrot Rosenkohl Schalotte Lauch Chinakohl Kohl Wasabi Kohlrabi geröstete Pekannüsse Pekannüsse Haselnüsse Joghurt Kerbel Gemüse Mais Gurke Räucherfisch Schellfisch Linsen Hefe Erdnussbutter Erdnussöl Erdnuss geröstete Erdnuss Popcorn Makadamia-Nuss Sojasoße Galgant Malz Brunnenkresse Steck- rüben Hopfen Dattel Palme Kokosnussöl Kokosnuss Buttermilch Cheddar Schafskäse Roquefort Pecorino Frischkäse Käse Bourbon Whiskey Armagnac Grünkohl Rettich Sauerkraut Apfelkorn Birnenbrand Traubenbrand (Trester) Schweizer Käse Ziegenkäse Emmentaler Sahne geröstete Nüsse Nüsse Pistazien Chinakohl Sauermilch Kakao Garnele Cashew-Nüsse Provolone Munster Gruyèrekäse Parmesan Feta Gorgonzola Mozzarella Hüttenkäse Camembert Trüffel Rote Beete Walnuss Lachskaviar Stör-Kaviar Räucherlachs Aal Lachs Fisch Thunfisch Kabeljau geröstete Haselnüsse Sojaöl Brokkoli Hafer Sonnenblumenöl Spargel Blumenkohl Chicoree Bohne Schnitt- knoblauch Rote Kidneybohne Gartenbohne Kartoffel Ofen- kartoffel Sojabohne Mungobohne Pilze Matsutake-Pilze Enikidake-Pilze Shitake-Pilze Steinpilze Meerrettich Speiserübe Frühlingszwiebel Roggenbrot Weißbrot Brot Seealgen Knochenöl Yams Hühnerleber Rinderleber Schweineleber Rotalgen Muschel (clam) Buchecker Krabben Hummer Hammel Speck Zuckerrübe Milch- fett Bratwurst (Schwein) Koriander Tintenfisch Holz Pastinake Katsuobushi Kirschschnaps Champagner Schnaps (Branntwein) Schweine- fleisch Makkaroni Voll- korn Raucharomen Reis Senf Safran Thymian Haferschleim Endivie Tinten- fisch Sellerie Kreuzkümmel Majoran Muskatblüte Balsam Rosmarin Kumquat Kurkuma Zitronengras Grapefrucht Lorbeer Orangenschale Artischocke Avocado Frucht Bohnenkraut Orangensaft Johannisbeere Feige Stinkfrucht Litschi Anissamen Schweineschmalz Seetang Maniok Engelwurz Tulsi Muschel Rhabarber Gin Fliederöl Kürbis Erdbeersaft Papaya Olive Schwarzer-Senfsamen-Öl Zuckerrohrmelasse Traubensaft Zucchini Johannisbrot Chayote Getreide Schellfisch Veilchen Kamille Wassermelone Artemisia Pfirsich Sauerkirsche Mango Seegras Orange Tangerine Cranberry Muskat- traube Limone Zitrus Wacholder- beere Bitterorange Blaubeere Nektarine Quitte Banane Pflaume Aprikose Williams- birne Erdbeere Ananas Apfel Kaktusfeige Birne Kopfsalat Kirsche Honig Concord- traube Traube Melone Guave Passionsfrucht Kiwi Himbeere Vanille Brombeere Heidel- beere Zitrus- schale Schwarze Johannisbeere Beere Holunder Schwarze Himbeere Zitrone Mandarine Häufigkeit in tradierten Rezepten Lebensmittel- sorten Zahl gemeinsamer Geschmacksstoffe 150 50 10 50 Prozent 30 Prozent 10 Prozent 1 Prozent Weizen Cayenne- pfeffer Tomate Olivenöl Essig Zwiebel Knoblauch Pflanzen- öl Ei Butter Milch Künstliche Intelligenz Software kann heute alles Mögliche, was das Menschenhirn früher ganz allein machen musste. Da sollte sie ihm auch dabei helfen können, neue Speisen zu ersinnen. Jetzt kocht er auch noch, der Computer den Bogen dann raus – und gewann überlegen. Was aber hat derlei nun mit Ko- chen zu tun? Es ist, wenn man so will, eine Frage der Definition. In- telligenz wurde in der Welt der KI lange Zeit mit dem Lösen von Pro- blemen gleichgesetzt. „Watson denkt über die Welt nach, wie sie ist“, erklärt Lav Varshney vom IBM Watson Research Center in New York und Mitglied der Grup- pe, die das neue Kochprogramm erfunden hat. „Wir wollen unser System dazu bringen, über die Welt nachzudenken, wie sie sein könnte. Es geht ums Erfinden. Um Kreativität.“ Kochen, sagt Varsh- ney, sei so ein kreativer Prozess, und ein sehr menschlicher noch dazu. Also kam die KI an den Herd. Im Gegensatz zu Watson oder Deep Blue hat das Programm von Varshneys Team noch keinen offi- ziellen Namen. Trotzdem ist es na- türlich nicht das erste, das Rezepte produziert: Schon länger können Computer Zutaten zusammenwür- feln, die sich traditionell als zuein- ander passend erwiesen haben. Auf diese Weise lassen sich jedoch nur Varianten gewohnter Gerichte er- rechnen, keine innovativen Rezep- turen. Für „Gastronom“, wie der New Yorker die IBM-Software jüngst taufte, ist eine solche Um- sortiererei kein Thema. Das Pro- gramm will mehr. Es will gezielt und mit Verstand überraschen. Im Prinzip steht die digitale Kochkunst dabei auf einem ganz ähnlichen Fundament wie die kre- ative Arbeit analoger Küchenchefs: Zuallererst ist Erfahrung nötig. Computer haben hier den Vorteil, dass sie eine sehr große Zahl von Rezepturen binnen Sekunden- bruchteilen nicht nur lesen und be- halten, sondern auch auf Muster in der Zusammenstellung von Zuta- ten und in der Zubereitung hin analysieren können. Die bewährte Basis, etwa für einen Hahn in Wein, erschließt sich dem Rechner also deutlich schneller als jedem Küchengesellen. Und noch etwas Wichtiges er- kennt der Computer rascher als der Mensch: ob ein Rezept wirklich neu ist, sprich, ob zum Beispiel ein Coq au Vin schon einmal mit Ingwer und Bier zubereitet wurde. So lautet eine auf Bitte die- ser Zeitung von dem Programm erstellte Rezeptidee für „Hähn- chen, französisch, geschmort“. Das sind jene drei Parameter, die das System als Input benötigt und die dem menschlichen Koch auch durch einen Blick in den Kühlschrank und auf die Gästeliste vor- gegeben sein können. „Gastronom“ errechnet aufgrund seiner Kenntnisse dann neue Kom- positionen – wobei das Französi- sche an einer Ingwer-Bier-Mixtur den Liebhabern ursprüngli- cher Landesküche nicht un- mittelbar einleuchten wird, aber auch das lässt sich ja als Vorteil des Pro- gramms auslegen: Es hat keine Angst vor Brü- chen mit der Tradition, vielmehr verfolgt es solche Brüche regelrecht – mit Hilfe eines ma- thematischen Modells der „Bayesi- an Surprise“. Entwickelt wurde die Bayessche Überraschungstheorie von Neurowissenschaftlern aus dem Wahrscheinlichkeitstheorem des britischen Mathematikers und Geistlichen Thomas Bayes (1701 bis 1761), um die selektive Reaktion des Gehirns auf plötzliche Ereig- nisse oder Eindrücke vorherzusa- gen. Varshney und seine Kollegen haben das Prinzip in ihr System übernommen, um den Überra- schungseffekt eines Rezepts zu be- rechnen. Die programmierte Überraschung Aber weder der Neuigkeits- wert eines Rezepts an sich noch sein bloßer Überraschungsfaktor über- zeugen den Gaumen zwangsläufig. Am Ende kommt es doch immer darauf an, ob es schmeckt, und das, so scheint es, kann nur ein Koch beantworten, der seinen Löffel in die Soße tunkt und probiert. Denn das menschliche Schmecken ist eine komplexe Angelegenheit. Die bis zu 9000 Geschmacksknos- pen auf der Zunge können zwar nur fünf, vielleicht auch sechs Grund- richtungen unterscheiden – neben süß, salzig, sauer und bitter noch umami (herzhaft) und möglicher- weise fettig. Das Zusammenspiel dieser Rezeptoren ermöglicht trotz- dem eine speicheltreibende Vielfalt von Geschmackswahrnehmungen. Denn abgesehen davon, dass das Schmecken eng mit dem Riechen und der Konsistenz des Essens ver- bunden ist, ensteht der Gaumen- eindruck aus Mischung und relati- ver Stärke der Elementarge- schmacksreize von bitter bis umami. Durch die Substanzen, die an die Rezeptoren der Ge- schmacksknospen binden, wird die Intensität einer Geschmacksemp- findung bestimmt. Und es gibt vie- le solcher Substanzen: Mittlerwei- le füllt die Chemie der Aromastof- fe in der 6. Auflage von „Fenaroli’s Handbook of Flavor Ingredients“ (CRC Press, 2009) mehr als zwei- tausend Seiten. Jedes Nahrungs- mittel, jede Zutat enthält dabei ei- ne einzigartige Mischung von durchschnittlich einem Dutzend logie-Konzern in den Niederun- gen analoger Küchenrealität sucht, hatte die Firma doch auch den Supercomputer Deep Blue gebaut, der einst die Schachlegende Garri Kasparow matt setzte. Aber dem Unternehmen aus Westchester County, New York, geht es ganz allgemein um lernfähige Software, um sogenannte künstliche Intelli- genz, kurz KI. Der ein oder ande- ren Meilenstein auf diesem Weg scheint schon genommen: Watson zum Beispiel, ein erster, im weite- sten Sinne lernender Rechner, trat vor zwei Jahren in der amerikani- schen Fernseh-Gameshow „Jeo- pardy!“ gegen zwei menschliche Gegner an, die dort zuvor Rekord- summen gewonnen hatten. Es ist ein Quiz, das mehr als bloßes Wis- sen verlangt: Die Teilnehmer müs- sen aus Wortspielen und Um- schreibungen einer Sache, Person oder Begebenheit auf die jeweils richtige Antwort schließen – und diese dann auch noch als Frage for- mulieren. Zu Beginn lag Watson, der die Aufgaben wie die anderen Spieler nur hörte, noch gleichauf mit seinen Gegnern. Ab der zwei- ten Spielrunde hatte der Rechner Ein Mousakas kommt ohne Auberginen aus Die Fachwelt ist nicht unbedingt abgeneigt. Auch der Direktor der Catering-Abteilung von Sarah Wiener kann sich für den digitalen Chef begeistern. Literatur: Yong-Yeol Ahn, Sebastian Ahnert, James P. Bagrow und A.-L. Barabási, „Flavor Network and the Principles of Food Pairing“, in: Scienti- fic Reports 1, 196 (2011) zusammen, das die neuen Rezepte testet. Und auch Marek Erdmann, Kochdirektor in der Catering-Ab- teilung von Sarah Wiener, kann sich für den digitalen Chef begeistern. „Es ist klar, dass der Computer ei- nen echten Koch so nicht ersetzt“, sagt Erdmann, der die Software für das Dinner der diesjährigen Falling- Walls-Konferenz eingesetzt hat. Der Computer stellte die rechne- risch besten Zutatenkombinationen zur Verfügung. Zubereitungsart und Mengenverhältnisse wurden allerdings von Erdmanns Team be- stimmt und geprüft. „Aber es ist auf jeden Fall eine tolle Inspiration“, sagt Erdmann. „Ich könnte mir vor- stellen, wieder damit zu arbeiten.“ Die Gäste des Dinners im Berli- ner Kommunikationsmuseum hät- ten damit vermutlich ebenfalls kein Problem. Vor allem der über Zimt geräucherte Lachs weckt Begeiste- rung. Ebenso die Crème Caramel aus Quark, auf die auch Varshney besonders stolz ist. Er selbst hält sich für einen schlechten Koch und nutzt seine Erfindung gern auch privat. „Wenn ich zum Beispiel ein bestimmtes Gewürz nicht zu Hau- se habe“, erzählt er. Dann fragt er den Computer, der ihm eine Alter- native vorschlägt. „Ich habe damit schon tolle Ergebnisse erzielt.“ Gibt’s das bald als App? IBM hat anderes vor. Der Nutzen eines solchen Systems für den Hobbykoch lässt sich leider so noch nicht abschätzen, denn es gibt keine Anwendung für den häuslichen Gebrauch. Varshney er- scheint auch nicht sonderlich be- geistert von der Idee einer schnö- den App. Ja, das sei vielleicht mach- bar, wenn das Konzept sich an Entwickler veräußern ließe, die ei- ne App daraus bauen möchten – aber IBM entwickle Businesslösun- gen. Und der Konzern verfolgt nach eigenen Angaben auch ande- re, zum Teil ambitionierte Ziele: Im Kampf gegen dicke Kinder und mangelernährte Menschen in Al- tenheimen oder im subsaharischen Afrika etwa soll der Computer das Maximum aus minimalen Möglich- keiten herausholen. Cassava oder Maniok ist so eine Minimaloption. Die stärkereiche Knolle ist schwer zu verwerten und enthält im rohen Zustand Blausäure. Keine einfache Zutat also. „Unser System könnte den Menschen erlauben, aus den wenigen Mitteln, die ihnen zur Ver- fügung stehen, eine größere Vielfalt an schmackhaften und nahrhaften Gerichten zu kochen“, sagt Lav Varshney. Bevor die Software jedoch Ein- fluss auf globale Ernährungspro- bleme nehmen kann, wird sie wohl eher der westlichen Industrie zu Diensten sein: IBM verhandelt be- reits mit einigen Lebensmittelkon- zernen über die Software. Was immerhin die Perspektive eröffnet, dass demnächst Bewegung kommen könnte in die übliche Fertigfadheit aus Rohzucker-Süße und Glutamat- Umami. Oder, um es noch etwas weiter in die Zukunft zu denken: Was, wenn sich künftig einer etwas wünscht, das nach den Kriterien der Flavor Networks und Bayesschen Überraschungsalgorithmen nicht punkten kann? Man stelle sich ein- mal vor, wie ein Dave Bowman des Jahres 2101 seinen Küchencomputer um einen schnöden Hamburger bit- tet. Das Food Pairing umfasst nur wenige Stoffe. Der Surprise-Faktor ist gleich null. Und was antwortet die Software? „Es tut mir leid, Da- ve. Aber das kann ich nicht tun.“ Der Geschmack ist die Kunst, sich auf Kleinigkeiten zu verstehen: Bio- logisch gesehen, trifft das Wort des Dichters Jean-Jacques Rousseau auf jeden Fall zu, denn Moleküle bestim- men, was der Mensch beim Essen als Geschmack wahrnimmt. Jede Zutat besitzt dabei zwar ihre ganz eigene Mischung solcher Moleküle. Aber wenn sich Zutaten in einem Lebens- mittel treffen, kommt es auch auf das Zusammenspiel der Aromen an. In der westlichen Küche folgt die Harmonie der Geschmacksmoleküle oft dem Prinzip des Food Pairing. Sprich: Gleich und gleich gesellt sich gern. Wobei „gleich“ hier nichts mit Äußerlichkeiten zu tun hat: So hat Kaviar etwas mit weißer Schokolade gemein, nämlich die geschmacksak- tive Verbindung Trimethylamin. Obige Grafik zeigt das Resultat einer 2011 von einem amerikanisch-briti- schen Forscherteam veröffentlichten Netzwerkanalyse für 381 häufig ver- wendeten Zutaten sowie 1021 be- kannte Aromasubstanzen. Die Größe der Kreise zeigt, wie oft ein Lebens- mittel in den Rezepten dreier Online- Rezeptsammlungen auftaucht. Zwei Zutaten sind verbunden, wenn ihnen eine signifikante Zahl von Aroma- stoffen gemein ist. Dabei gibt die Di- cke der Striche zwischen zwei Zuta- ten die Stärke einer Paarung an, also die Größenordnung der Anzahl ge- meinsamer Geschmacksstoffe. Das innigste Paar besteht demnach aus gebratenem Rindfleisch und Bier. Verantwortlich dafür ist vor allem die Maillardreaktion: Eiweißmoleküle reagieren beim Braten von Fleisch wie auch beim Vermalzen von Gerste mit reduzierenden Zuckerverbindungen zu typischen Röstaromen. Das Food Pairing erklärt auch, warum Käse und Wein so gut zusammenpassen. Aber es gibt auch noch viel Überraschen- des zu entdecken – zum Beispiel, dass Erdbeeren und Muscheln eine heiße Affäre wären. zint Im Netzwerk der Aromen dieser und noch unentdeckter wei- terer Verbindungen. Jede Kombi- nation von Lebensmitteln in ei- nem Gericht vermengt diese gu- statorischen Fingerabdrücke zu neuen Geschmacksnoten. Und das hat Konsequenzen für die kreative Arbeit eines Kochs. Es war Heston Blumenthal, der sie Anfang der neunziger Jahre ent- deckte. Blumenthal, heute Chef des Drei-Sterne-Restaurants „The Fat Duck“ in Bray nahe London, experimentierte damals mit salzi- gen und süßen Zutaten und stieß dabei auf die mehr als ungewöhn- liche Kombination von weißer Schokolade und Kaviar. Neugierig auf einen möglichen chemischen Zusammenhang, ließ Blumenthal die Stoffe beider Lebensmittel ana- lysieren – mit dem überraschenden Ergebnis, dass die beiden Zutaten, obwohl völlig verschiedener Her- kunft, eine Reihe von Aromaver- bindungen gemeinsam haben. Das brachte Blumenthal auf einen Ge- danken: Was, wenn Zutaten genau dann gut zueinander passen, wenn sie die gleichen chemischen Ge- schmacksträger enthalten, also ei- ne chemische Paarung ergeben? Zahlreiche Tests an Forschungs- einrichtungen sind seither gefolgt, um Blumenthals Food-Pairing-Hy- pothese zu bestätigen, aber trotz vereinzelter Erfolge ließ sich lange Zeit nicht klären, ob es sich beim Food Pairing tatsächlich um ein fundamentales Prinzip des Ge- schmackserlebens handelt. Erst vor zwei Jahren schafften Forscher aus Boston und dem britischen Cam- bridge Klarheit: In einer umfang- reichen Netzwerkanalyse verknüpf- ten sie die weltweit am häufigsten verwendeten Zutaten mit allen che- mischen Verbindungen, die zum Geschmack dieser Lebensmittel nachweislich beitragen (siehe große Grafik oben). Das Ergebnis: Blu- menthal hatte recht. Und lag zu- gleich falsch. Für die westlichen Kulturkreise ließ sich ein Prinzip des Food Pairings tatsächlich klar belegen: Je mehr der einschlägigen Substanzen in zwei oder mehr Zu- taten übereinstimmen, desto gefäl- liger das Geschmackserlebnis der Kombination. Für die südamerika- nische Küche dagegen ist ein sol- ches chemisches Paarungsverhalten nur teilweise, für die asiatische so- gar überhaupt nicht nachweisbar. Für die kreative KI dagegen be- deutet dieses datenbasierte Food Pairing ein Durchbruch: Erstmals bietet es eine berechenbare quali- tative Grundlage für die ge- schmackliche Kompatibilität von Zutaten – die Basis einer digita- len Geschmacksknospe sozusagen. Varshneys Team hat das Konzept deshalb zu einer zentralen Säule seiner Entwicklungsarbeit ge- macht: Neben dem möglichst ho- hen Überraschungsfaktor bewertet das System von IBM für eine neue Kombination von Zutaten auch ei- nen Paarungswert, der für westlich Drei Parameter benötigt der Rech- ner, um ein völlig neues, leckeres Re- zept zu zaubern. Wer zum Beispiel griechisches Mousakas liebt, im Kühlschrank ein Stück Schweine- bauch findet und tschechische Gäste zum Essen erwartet, gibt diese drei Begriffe in die Suchmaske ein. Unzählige Kombinationen sind das, was der Computer als Erstes aus diesem Trio ermittelt. Wobei die gewünschte Landesküche (gelber Kreis) jeweils eine Auswahl an wei- teren Zutaten bestimmt. Nicht alle diese Zutaten (grüne Kreise) müs- sen aber neue und gute Partnerin- nen für den Schweinebauch (roter Kreis) sein. Die Abbildung unten zeigt mit verschieden dicken Linien, dass Kümmel (Caraway) und Peter- silienwurzel (Parsley Root) zwar gut zur Landesküche passen, dem Schwein aber eher fremd sind. Das einzig wahre Rezept erkennt auch der digitale Chef am Ende nicht. Er schlägt aber eine Auswahl der besten vor, in dem er Food Pai- ring, Überraschungsfaktor („Sur- prise“) und Genussmoment („Plea- santness“) zusammenführt. Im hier gezeigten Fall (hellblau markierte Zutatenliste) ist vor allem der Über- raschungeffekt groß. Bei Geschmack und Genuss dagegen wäre noch Luft nach oben. Weiterrechnen! zint Die Entwicklung neuer Rezepte gilt nicht als etwas, das man Maschinen überlassen möchte. Trotzdem versuchen sich nun auch Informatiker an kulinarischen Innovationen. Vor der Kreation kommt dabei die Analyse der aromatischen Verwandtschaft diverser Lebensmittel. Und dann wäre da noch die Frage, ob’s auch schmeckt. Von Kathrin Zinkant Grafik (Vorlage und Grafikdatei): Yong-Yeol Ahn et al., siehe Literaturangabe am Textende Überarbeitung: F.A.Z.-Grafik Heumann Quelle: IBM

Transcript of FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 8. DEZEMBER … · So sah es aus, das Din-ner für die...

Page 1: FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 8. DEZEMBER … · So sah es aus, das Din-ner für die Teilnehmer der dies-jährigen Falling-Walls-Konferenz in Berlin, einem jährlichen Treffen

6 2 W I S S E N S C H A F T F R A N K F U R T E R A L L G E M E I N E S O N N T A G S Z E I T U N G , 8 . D E Z E M B E R 2 0 1 3 , N R . 4 9 6 5

geprägte Speisen ebenfalls ent-sprechend hoch sein sollte. Fertigist die Geschmacksexplosion. Oderzumindest fast.

Es gibt noch einen dritten Fak-tor, der in Varshneys Software ei-ne Rolle spielt. Um seine Bedeu-tung weiß jeder, der schon einmalmit einem Schnupfen vor seinemLieblingsgericht saß und nicht ein-mal Appetit verspürte, weil die Na-se nicht mitspielte. Ohne Duft isteben auch das tollste Essen fad.Wie aber kann ein Computer oh-ne Nase riechen? Wieder löst derRechner das Problem mit Chemie-kenntnissen: Die Software durch-forstet erneut alle beteiligten Ge-schmacksstoffe, dieses Mal aber aufder Suche nach bestimmten physi-kochemischen Eigenschaften wiedie Zahl der Rotationsachsen imMolekül oder der möglichen Was-serstoffbrückenbindungen. Sie be-stimmen, wie die Aromen zu 70etablierten Substanzen passen, dieden Duft eines Essens ausmachenund als angenehm wahrgenommenwerden. „Es ist wirklich überra-schend, dass wir aufgrund vonWasserstoffbrückenbindungenzwischen den Molekülen auf denGenussfaktor eines Gerichtsschließen können“, sagt Varshney.„Aber das ist es, was die Forschungin der Psychophysik uns zeigt.“

Es sind die echten Köche, die be-stätigen, dass diese Rechnung auf-gehen kann – nicht immer, aber er-staunlich oft. IBM arbeitet seit Jah-ren eng mit dem Institute ofCulinary Education in Manhatten

Die Menschheit befasst sichgern mit ihrer Zukunft, dochoft vergisst sie dabei das Essen.

Auch auf einer bekannten Reise zumJupiter wird das deutlich: Da nehmensich Frank Poole und David Bowmanihre Tabletts und ziehen Schalen mitEssen aus einer Apparatewand. Es gibtgrünen Brei. Roten Brei. Gelben Brei.Weißen Brei. HAL 9000, der Bord-computer, hat auf ihrem Raumschiffzwar alles in seiner Hand – bis hin zumLeben der Besatzung. Nur kochenkann er nicht.

Aber hätte er kochen können?45 Jahre nach Stanley Kubricks„2001: Odyssee im Weltraum“ er-scheint die Zukunft des Essensdeutlich ansprechender: Da gibt esüber Zimt geräucherten Lachs inReispapier. Einen Bier-Butter-milch-Schaum mit Forellenwür-felchen. Das Risotto ist mit kan-diertem Ingwer und Martini zube-reitet. Als Dessert wird zur CrèmeCaramel aus Quark ein Kümmel-Eis serviert. So sah es aus, das Din-ner für die Teilnehmer der dies-jährigen Falling-Walls-Konferenzin Berlin, einem jährlichen Treffenvon Visionären aus der Wissen-schaft. Ein passender Anlass. Dennausgedacht hat sich die befremd-lichen Kombinationen kein Drei-Sterne-Koch sondern eine neueSoftware.

Entwickelt wurde sie von IBM,und so fragt man sich, was derzweitgrößte Informationstechno-

WeinWeinWein

SherrySherrySherry

WhiskeyWhiskeyWhiskey

Frankfurter(Würstchen)Frankfurter(Würstchen)Frankfurter(Würstchen)KalbfleischKalbfleischKalbfleisch

HuhnHuhnHuhn

gepökeltesSchwein

gepökeltesSchwein

gepökeltesSchwein

Grüner TeeGrüner TeeGrüner Tee

Grüne PaprikaGrüne PaprikaGrüne Paprika

KakaoKakaoKakao

BierBierBier

WeissweinWeissweinWeisswein

RotweinRotweinRotweinCabernet SauvignonCabernet SauvignonCabernet Sauvignon

Jamaica-RumJamaica-RumJamaica-Rum

Apfelwein(Cidre)

Apfelwein(Cidre)

Apfelwein(Cidre)

PerlweinPerlweinPerlweinCognacCognacCognac

RumRumRumgebratenes

Schweinefleischgebratenes

Schweinefleischgebratenes

Schweinefleisch

gebratenesRindfleischgebratenesRindfleischgebratenesRindfleisch

Kartoffel-chips

Kartoffel-chips

Kartoffel-chips

RindfleischRindfleischRindfleisch

SchweineleberSchweineleberSchweineleber

KaffeeKaffeeKaffee

HühnerbrüheHühnerbrüheHühnerbrühe

Rote BohneRote BohneRote Bohne

HeringHeringHering

MakreleMakreleMakrele

WelsWelsWels

LimabohneLimabohneLimabohne

Schwarze BohneSchwarze BohneSchwarze Bohne

rohes Rindfleischrohes Rindfleischrohes Rindfleisch

LammfleischLammfleischLammfleisch

RinderbrüheRinderbrüheRinderbrühe

Jakobs-muschelJakobs-muschelJakobs-muschel

MinzeMinzeMinze

KichererbseKichererbseKichererbse

WeinWein

SherrySherry

WhiskeyWhiskey

Frankfurter(Würstchen)Frankfurter(Würstchen)KalbfleischKalbfleisch

HuhnHuhn

gepökeltesSchwein

gepökeltesSchwein

Grüner TeeGrüner Tee

Grüne PaprikaGrüne Paprika

KakaoKakao

BierBier

WeissweinWeisswein

RotweinRotweinCabernet SauvignonCabernet Sauvignon

Jamaica-RumJamaica-Rum

Apfelwein(Cidre)

Apfelwein(Cidre)

PerlweinPerlweinCognacCognac

RumRumgebratenes

Schweinefleischgebratenes

Schweinefleisch

gebratenesRindfleischgebratenesRindfleisch

Kartoffel-chips

Kartoffel-chips

RindfleischRindfleisch

SchweineleberSchweineleber

KaffeeKaffee

HühnerbrüheHühnerbrühe

Rote BohneRote Bohne

HeringHering

MakreleMakrele

WelsWels

LimabohneLimabohne

Schwarze BohneSchwarze Bohne

rohes Rindfleischrohes Rindfleisch

LammfleischLammfleisch

RinderbrüheRinderbrühe

Jakobs-muschelJakobs-muschel

MinzeMinze

KichererbseKichererbse

SchwarzerPfeffer Alkoholische Getränke

Nüsse und Samen

Meeresfrüchte

Fleisch

Kräuter

Pflanzliche Produkte

Gemüse

Blumen

Tierische Produkte

Pflanzen

Getreide

Gewürze

Milchprodukte

Früchte

Limettensaft

Nelke

Lavendel

Gardenia

OrangenblüteJasmin

Blüte

Sassafras

Zitronensaft

Salbei

Ouzo

Bergamotte

Sternanis

Zimt

Anis

Geranium

RoseBasilikum

Mandel

Lachsrogen

gerösteteMandel

Zitronenschale

Japanische Pflaume

Pfefferminze

Minzöl Tee

Jasmintee

Schwarzer Tee

Okra Mate

Paprika

Erdbeer-marmelade

Koriander

AhornsirupGewürznelke

Sake

Sesamsamen

geröstete Sesamsamen

Fenchel

Estragon

WestindischerLorbeer

Piment

Brombeerbrand Samen

Schwarzer Sesam Raps-Samen

Muskatnuss

Ingwer

Pfeffer

Kümmel

Dill

Tabasco

Thai-Pfeffer

Limonenschalenöl

Mandarinenschale

Piment

Oregano

Sellerieöl

Blatt

LiebstöckelGrüne Minze

Karotte

Petersilie

Kardamon

Buchweizen

Lakritz

TamarindeTomatensaft

Vollkornreis

Eiernudel

Mais-schrot

RoggenmehlGerste

Auster Kürbis Rosine Garnele

Bockshornklee

Sesamöl

SüßkartoffelKohlrabi

Erbse

CornflakesPreiselbeere

Räucherwurst

Schinken

Truthahn

Weizenbrot

Rosenkohl

Schalotte

Lauch

ChinakohlKohl

Wasabi

Kohlrabi

geröstete Pekannüsse

Pekannüsse

Haselnüsse

Joghurt

Kerbel

Gemüse

Mais

Gurke

Räucherfisch

Schellfisch

Linsen

Hefe

Erdnussbutter

Erdnussöl

Erdnuss

gerösteteErdnuss Popcorn

Makadamia-Nuss

Sojasoße

Galgant

Malz

Brunnenkresse

Steck-rüben

Hopfen

Dattel

Palme

Kokosnussöl

Kokosnuss

Buttermilch

Cheddar

Schafskäse

Roquefort

Pecorino

Frischkäse

KäseBourbon Whiskey

ArmagnacGrünkohl

Rettich

Sauerkraut

Apfelkorn

Birnenbrand

Traubenbrand(Trester)

Schweizer KäseZiegenkäse

Emmentaler

Sahne

geröstete NüsseNüsse

Pistazien

Chinakohl

Sauermilch

KakaoGarnele

Cashew-Nüsse

Provolone

Munster

Gruyèrekäse

Parmesan

Feta

Gorgonzola

Mozzarella

Hüttenkäse

Camembert

Trüffel

Rote Beete

Walnuss

Lachskaviar

Stör-KaviarRäucherlachs

Aal

Lachs

Fisch

Thunfisch

Kabeljau

geröstete Haselnüsse

Sojaöl

BrokkoliHaferSonnenblumenöl

Spargel

Blumenkohl

Chicoree

Bohne

Schnitt-knoblauch

RoteKidneybohne

Gartenbohne

Kartoffel

Ofen-kartoffel

Sojabohne

Mungobohne

Pilze

Matsutake-Pilze

Enikidake-Pilze

Shitake-Pilze

Steinpilze

Meerrettich

SpeiserübeFrühlingszwiebel

Roggenbrot

Weißbrot

BrotSeealgen

Knochenöl

Yams

Hühnerleber

Rinderleber

Schweineleber

Rotalgen

Muschel (clam)

Buchecker

Krabben

Hummer

HammelSpeck

Zuckerrübe

Milch-fett

Bratwurst(Schwein)KorianderTintenfisch

Holz

Pastinake

Katsuobushi

KirschschnapsChampagner

Schnaps(Branntwein)

Schweine-fleisch

Makkaroni

Voll-korn

Raucharomen

Reis

Senf

SafranThymian

Haferschleim

Endivie Tinten-fisch

Sellerie

Kreuzkümmel

Majoran

MuskatblüteBalsam

Rosmarin

Kumquat

Kurkuma

Zitronengras

Grapefrucht

LorbeerOrangenschale

Artischocke

Avocado

Frucht

Bohnenkraut

Orangensaft

Johannisbeere

Feige

Stinkfrucht

Litschi

Anissamen

Schweineschmalz

Seetang

Maniok

Engelwurz

Tulsi

Muschel

Rhabarber Gin

Fliederöl

Kürbis

Erdbeersaft

Papaya

Olive

Schwarzer-Senfsamen-Öl

Zuckerrohrmelasse

Traubensaft

Zucchini

Johannisbrot

Chayote

Getreide

Schellfisch

Veilchen

Kamille

Wassermelone

Artemisia

PfirsichSauerkirsche

Mango

SeegrasOrange

Tangerine

Cranberry

Muskat-traube

Limone

ZitrusWacholder-

beereBitterorange

BlaubeereNektarine

Quitte

Banane

Pflaume

Aprikose

Williams-birne

Erdbeere

Ananas

Apfel

Kaktusfeige

Birne

Kopfsalat

Kirsche

Honig

Concord-traube

Traube

Melone Guave

Passionsfrucht

Kiwi

Himbeere

Vanille

Brombeere

Heidel-beereZitrus-

schale

Schwarze Johannisbeere

BeereHolunder

SchwarzeHimbeere

Zitrone

Mandarine

Häufigkeit intradierten Rezepten

Lebensmittel-sorten

Zahl gemeinsamerGeschmacksstoffe

150

50

10

50 Prozent

30 Prozent

10 Prozent

1 Prozent

Weizen

Cayenne-pfeffer

Tomate

Olivenöl

Essig

Zwiebel

Knoblauch

Pflanzen-öl

Ei

Butter

Milch

Künstliche Intelligenz Software kann heute alles Mögliche, was das Menschenhirn früher ganz allein machen musste. Da sollte sie ihm auch dabei helfen können, neue Speisen zu ersinnen.

Jetzt kocht er auch noch, der Computerden Bogen dann raus – und gewannüberlegen.

Was aber hat derlei nun mit Ko-chen zu tun? Es ist, wenn man sowill, eine Frage der Definition. In-telligenz wurde in der Welt der KIlange Zeit mit dem Lösen von Pro-blemen gleichgesetzt. „Watsondenkt über die Welt nach, wie sieist“, erklärt Lav Varshney vomIBM Watson Research Center inNew York und Mitglied der Grup-pe, die das neue Kochprogrammerfunden hat. „Wir wollen unserSystem dazu bringen, über dieWelt nachzudenken, wie sie seinkönnte. Es geht ums Erfinden. UmKreativität.“ Kochen, sagt Varsh-ney, sei so ein kreativer Prozess,und ein sehr menschlicher nochdazu. Also kam die KI an den Herd.

Im Gegensatz zu Watson oderDeep Blue hat das Programm vonVarshneys Team noch keinen offi-ziellen Namen. Trotzdem ist es na-türlich nicht das erste, das Rezepte

produziert: Schon länger könnenComputer Zutaten zusammenwür-feln, die sich traditionell als zuein-ander passend erwiesen haben. Aufdiese Weise lassen sich jedoch nurVarianten gewohnter Gerichte er-rechnen, keine innovativen Rezep-turen. Für „Gastronom“, wie derNew Yorker die IBM-Softwarejüngst taufte, ist eine solche Um-sortiererei kein Thema. Das Pro-gramm will mehr. Es will gezieltund mit Verstand überraschen.

Im Prinzip steht die digitaleKochkunst dabei auf einem ganzähnlichen Fundament wie die kre-ative Arbeit analoger Küchenchefs:Zuallererst ist Erfahrung nötig.Computer haben hier den Vorteil,

dass sie eine sehr große Zahl vonRezepturen binnen Sekunden-bruchteilen nicht nur lesen und be-halten, sondern auch auf Muster inder Zusammenstellung von Zuta-ten und in der Zubereitung hinanalysieren können. Die bewährteBasis, etwa für einen Hahn inWein, erschließt sich dem Rechneralso deutlich schneller als jedemKüchengesellen.

Und noch etwas Wichtiges er-kennt der Computer rascher als derMensch: ob ein Rezept wirklichneu ist, sprich, ob zum Beispiel einCoq au Vin schon einmal mitIngwer und Bier zubereitetwurde. So lautet eine auf Bitte die-ser Zeitung von dem Programmerstellte Rezeptidee für „Hähn-chen, französisch, geschmort“. Dassind jene drei Parameter, die dasSystem als Input benötigt und diedem menschlichen Koch auchdurch einen Blick inden Kühlschrank undauf die Gästeliste vor-gegeben sein können.„Gastronom“ errechnet aufgrundseiner Kenntnisse dann neue Kom-positionen – wobei das Französi-sche an einer Ingwer-Bier-Mixturden Liebhabern ursprüngli-cher Landesküche nicht un-mittelbar einleuchten wird,aber auch das lässt sichja als Vorteil des Pro-gramms auslegen: Eshat keine Angst vor Brü-chen mit der Tradition,vielmehr verfolgt es solche Brücheregelrecht – mit Hilfe eines ma-thematischen Modells der „Bayesi-an Surprise“. Entwickelt wurde dieBayessche Überraschungstheorievon Neurowissenschaftlern ausdem Wahrscheinlichkeitstheoremdes britischen Mathematikers undGeistlichen Thomas Bayes (1701bis 1761), um die selektive Reaktiondes Gehirns auf plötzliche Ereig-nisse oder Eindrücke vorherzusa-gen. Varshney und seine Kollegenhaben das Prinzip in ihr Systemübernommen, um den Überra-schungseffekt eines Rezepts zu be-rechnen.

Die programmierteÜberraschungAber weder der Neuigkeits-wert eines Rezepts an sich noch seinbloßer Überraschungsfaktor über-zeugen den Gaumen zwangsläufig.Am Ende kommt es doch immerdarauf an, ob es schmeckt, und das,so scheint es, kann nur ein Kochbeantworten, der seinen Löffelin die Soße tunkt und probiert.Denn das menschliche Schmeckenist eine komplexe Angelegenheit.Die bis zu 9000 Ge schmacks knos -pen auf der Zunge können zwar nurfünf, vielleicht auch sechs Grund-richtungen unterscheiden – nebensüß, salzig, sauer und bitter nochumami (herzhaft) und möglicher-weise fettig. Das Zusammenspieldieser Rezeptoren ermöglicht trotz-dem eine speicheltreibende Vielfaltvon Geschmackswahrnehmungen.

Denn abgesehen davon, dass dasSchmecken eng mit dem Riechenund der Konsistenz des Essens ver-bunden ist, ensteht der Gaumen-eindruck aus Mischung und relati-ver Stärke der Elementarge-schmacksreize von bitter bisumami. Durch die Substanzen, diean die Rezeptoren der Ge -schmacks knospen binden, wird dieIntensität einer Geschmacksemp-findung bestimmt. Und es gibt vie-le solcher Substanzen: Mittlerwei-le füllt die Chemie der Aromastof-fe in der 6. Auflage von „Fenaroli’sHandbook of Flavor Ingredients“(CRC Press, 2009) mehr als zwei-tausend Seiten. Jedes Nahrungs-mittel, jede Zutat enthält dabei ei-ne einzigartige Mischung vondurchschnittlich einem Dutzend

logie-Konzern in den Niederun-gen analoger Küchenrealität sucht,hatte die Firma doch auch denSupercomputer Deep Blue gebaut,der einst die Schachlegende GarriKasparow matt setzte. Aber demUnternehmen aus WestchesterCounty, New York, geht es ganzallgemein um lernfähige Software,um sogenannte künstliche Intelli-genz, kurz KI. Der ein oder ande-ren Meilenstein auf diesem Wegscheint schon genommen: Watson

zum Beispiel, ein erster, im weite-sten Sinne lernender Rechner, tratvor zwei Jahren in der amerikani-schen Fernseh-Gameshow „Jeo-pardy!“ gegen zwei mensch licheGegner an, die dort zuvor Rekord-summen gewonnen hatten. Es istein Quiz, das mehr als bloßes Wis-sen verlangt: Die Teilnehmer müs-sen aus Wortspielen und Um-schreibungen einer Sache, Personoder Begebenheit auf die jeweilsrichtige Antwort schließen – unddiese dann auch noch als Frage for-mulieren. Zu Beginn lag Watson,der die Aufgaben wie die anderenSpieler nur hörte, noch gleichaufmit seinen Gegnern. Ab der zwei-ten Spielrunde hatte der Rechner

Ein Mousakas kommt ohne Auberginen aus

Die Fachwelt ist nicht unbedingt abgeneigt. Auch der Direktor der Catering-Abteilung von Sarah Wiener

kann sich für den digitalen Chef begeistern.

Literatur: Yong-Yeol Ahn, SebastianAhnert, James P. Bagrow und A.-L. Barabási, „Flavor Network and the Principles of Food Pairing“, in: Scienti-fic Reports 1, 196 (2011)

zusammen, das die neuen Rezeptetestet. Und auch Marek Erdmann,Kochdirektor in der Catering-Ab-teilung von Sarah Wiener, kann sichfür den digitalen Chef begeistern.„Es ist klar, dass der Computer ei-nen echten Koch so nicht ersetzt“,sagt Erdmann, der die Software fürdas Dinner der diesjährigen Falling-Walls-Konferenz eingesetzt hat.Der Computer stellte die rechne-risch besten Zutatenkombinationenzur Verfügung. Zubereitungsartund Mengenverhältnisse wurdenallerdings von Erdmanns Team be-stimmt und geprüft. „Aber es ist aufjeden Fall eine tolle Inspiration“,sagt Erdmann. „Ich könnte mir vor-stellen, wieder damit zu arbeiten.“

Die Gäste des Dinners im Berli-ner Kommunikationsmuseum hät-ten damit vermutlich ebenfalls keinProblem. Vor allem der über Zimtgeräucherte Lachs weckt Begeiste-rung. Ebenso die Crème Caramelaus Quark, auf die auch Varshneybesonders stolz ist. Er selbst hältsich für einen schlechten Koch undnutzt seine Erfindung gern auchprivat. „Wenn ich zum Beispiel einbestimmtes Gewürz nicht zu Hau-se habe“, erzählt er. Dann fragt erden Computer, der ihm eine Alter-native vorschlägt. „Ich habe damitschon tolle Ergebnisse erzielt.“

Gibt’s das bald als App?IBM hat anderes vor.Der Nutzen eines solchen Systemsfür den Hobbykoch lässt sich leiderso noch nicht abschätzen, denn esgibt keine Anwendung für denhäuslichen Gebrauch. Varshney er-scheint auch nicht sonderlich be-geistert von der Idee einer schnö-den App. Ja, das sei vielleicht mach-bar, wenn das Konzept sich anEntwickler veräußern ließe, die ei-ne App daraus bauen möchten –aber IBM entwickle Businesslösun-gen. Und der Konzern verfolgtnach eigenen Angaben auch ande-re, zum Teil ambitionierte Ziele: ImKampf gegen dicke Kinder undmangelernährte Menschen in Al-tenheimen oder im subsaharischenAfrika etwa soll der Computer dasMaximum aus minimalen Möglich-keiten herausholen. Cassava oderManiok ist so eine Minimaloption.Die stärkereiche Knolle ist schwerzu verwerten und enthält im rohenZustand Blausäure. Keine einfacheZutat also. „Unser System könnteden Menschen erlauben, aus denwenigen Mitteln, die ihnen zur Ver-fügung stehen, eine größere Vielfaltan schmackhaften und nahrhaftenGerichten zu kochen“, sagt LavVarshney.

Bevor die Software jedoch Ein-fluss auf globale Ernährungspro-bleme nehmen kann, wird sie wohleher der westlichen Industrie zuDiensten sein: IBM verhandelt be-reits mit einigen Lebensmittelkon-zernen über die Software. Wasimmerhin die Perspektive eröffnet,dass demnächst Bewegung kommenkönnte in die übliche Fertigfadheitaus Rohzucker-Süße und Glutamat-Umami. Oder, um es noch etwasweiter in die Zukunft zu denken:Was, wenn sich künftig einer etwaswünscht, das nach den Kriterien derFlavor Networks und BayesschenÜberraschungsalgorithmen nichtpunkten kann? Man stelle sich ein-mal vor, wie ein Dave Bowman desJahres 2101 seinen Küchencomputerum einen schnöden Hamburger bit-tet. Das Food Pairing umfasst nurwenige Stoffe. Der Surprise-Faktorist gleich null. Und was antwortetdie Software? „Es tut mir leid, Da-ve. Aber das kann ich nicht tun.“

Der Geschmack ist die Kunst, sichauf Kleinigkeiten zu verstehen: Bio-logisch gesehen, trifft das Wort desDichters Jean-Jacques Rousseau aufjeden Fall zu, denn Moleküle bestim-men, was der Mensch beim Essen alsGeschmack wahrnimmt. Jede Zutatbesitzt dabei zwar ihre ganz eigeneMischung solcher Moleküle. Aberwenn sich Zutaten in einem Lebens-mittel treffen, kommt es auch auf dasZusammenspiel der Aromen an.

In der westlichen Küche folgt dieHarmonie der Geschmacksmoleküleoft dem Prinzip des Food Pairing.Sprich: Gleich und gleich gesellt sichgern. Wobei „gleich“ hier nichts mit

Äußerlichkeiten zu tun hat: So hatKaviar etwas mit weißer Schokoladegemein, nämlich die geschmacksak-tive Verbindung Trimethylamin.

Obige Grafik zeigt das Resultat einer2011 von einem amerikanisch-briti-schen Forscherteam veröffentlichtenNetz werk ana ly se für 381 häufig ver-wendeten Zutaten sowie 1021 be-kannte Aromasubstanzen. Die Größeder Kreise zeigt, wie oft ein Lebens-mittel in den Rezepten dreier Online-Rezeptsammlungen auftaucht. ZweiZutaten sind verbunden, wenn ihneneine signifikante Zahl von Aroma-stoffen gemein ist. Dabei gibt die Di -cke der Striche zwischen zwei Zuta-

ten die Stärke einer Paarung an, alsodie Größenordnung der Anzahl ge-meinsamer Geschmacksstoffe.

Das innigste Paar besteht demnachaus gebratenem Rindfleisch und Bier.Verantwortlich dafür ist vor allem dieMaillardreaktion: Eiweißmolekülereagieren beim Braten von Fleisch wieauch beim Vermalzen von Gerste mitreduzierenden Zuckerverbindungenzu typischen Röstaromen. Das FoodPairing erklärt auch, warum Käse undWein so gut zusammenpassen. Aberes gibt auch noch viel Überraschen-des zu entdecken – zum Beispiel, dassErdbeeren und Muscheln eine heißeAffäre wären. zint

Im Netzwerk der Aromen

dieser und noch unentdeckter wei-terer Verbindungen. Jede Kombi-nation von Lebensmitteln in ei-nem Gericht vermengt diese gu-statorischen Fingerabdrücke zuneuen Geschmacksnoten. Und dashat Konsequenzen für die kreativeArbeit eines Kochs.

Es war Heston Blumenthal, dersie Anfang der neunziger Jahre ent -deck te. Blumenthal, heute Chefdes Drei-Sterne-Restaurants „TheFat Duck“ in Bray nahe London,experimentierte damals mit salzi-gen und süßen Zutaten und stieß

dabei auf die mehr als ungewöhn-liche Kombination von weißerSchokolade und Kaviar. Neugierigauf einen möglichen chemischenZusammenhang, ließ Blumenthaldie Stoffe beider Lebensmittel ana-lysieren – mit dem überraschendenErgebnis, dass die beiden Zutaten,obwohl völlig verschiedener Her-kunft, eine Reihe von Aromaver-bindungen gemeinsam haben. Dasbrachte Blumenthal auf einen Ge-danken: Was, wenn Zutaten genaudann gut zueinander passen, wennsie die gleichen chemischen Ge-

schmacksträger enthalten, also ei-ne chemische Paarung ergeben?

Zahlreiche Tests an Forschungs-einrichtungen sind seither gefolgt,um Blumenthals Food-Pairing-Hy-pothese zu bestätigen, aber trotzvereinzelter Erfolge ließ sich langeZeit nicht klären, ob es sich beimFood Pairing tatsächlich um einfundamentales Prinzip des Ge-schmackserlebens handelt. Erst vorzwei Jahren schafften Forscher ausBoston und dem britischen Cam-bridge Klarheit: In einer umfang -reichen Netzwerkanalyse verknüpf-

ten sie die weltweit am häufigstenverwendeten Zutaten mit allen che-mischen Verbindungen, die zumGeschmack dieser Lebensmittelnachweislich beitragen (siehe großeGrafik oben). Das Ergebnis: Blu-menthal hatte recht. Und lag zu-gleich falsch. Für die westlichenKulturkreise ließ sich ein Prinzipdes Food Pairings tatsächlich klarbelegen: Je mehr der einschlägigenSubstanzen in zwei oder mehr Zu-taten übereinstimmen, desto gefäl-liger das Geschmackserlebnis derKombination. Für die südamerika-

nische Küche dagegen ist ein sol-ches chemisches Paarungsverhaltennur teilweise, für die asiatische so-gar überhaupt nicht nachweisbar.

Für die kreative KI dagegen be-deutet dieses datenbasierte FoodPairing ein Durchbruch: Erstmalsbietet es eine berechenbare quali-tative Grundlage für die ge-schmackliche Kompatibilität vonZutaten – die Basis einer digita-len Geschmacksknospe sozusagen.Varshneys Team hat das Konzeptdeshalb zu einer zentralen Säuleseiner Entwicklungsarbeit ge-macht: Neben dem möglichst ho-hen Überraschungsfaktor bewertetdas System von IBM für eine neueKombination von Zutaten auch ei-nen Paarungswert, der für westlich

Drei Parameter benötigt der Rech-ner, um ein völlig neues, leckeres Re-zept zu zaubern. Wer zum Beispielgriechisches Mousakas liebt, imKühlschrank ein Stück Schweine-bauch findet und tschechische Gästezum Essen erwartet, gibt diese dreiBegriffe in die Suchmaske ein.

Unzählige Kombinationen sinddas, was der Computer als Erstesaus diesem Trio ermittelt. Wobei die

gewünschte Landesküche (gelberKreis) jeweils eine Auswahl an wei-teren Zutaten bestimmt. Nicht allediese Zutaten (grüne Kreise) müs-sen aber neue und gute Partnerin-nen für den Schweinebauch (roterKreis) sein. Die Abbildung untenzeigt mit verschieden dicken Linien,dass Kümmel (Caraway) und Peter-silienwurzel (Parsley Root) zwar gutzur Landesküche passen, demSchwein aber eher fremd sind.

Das einzig wahre Rezept erkenntauch der digitale Chef am Endenicht. Er schlägt aber eine Auswahlder besten vor, in dem er Food Pai-ring, Überraschungsfaktor („Sur -prise“) und Genussmoment („Plea -s ant ness“) zusammenführt. Im hiergezeigten Fall (hellblau markierteZutatenliste) ist vor allem der Über-raschungeffekt groß. Bei Geschmackund Genuss dagegen wäre noch Luftnach oben. Weiterrechnen! zint

Die Entwicklung neuer Rezepte gilt nicht als etwas, das man Maschinen überlassen möchte.Trotzdem versuchen sich nun auch Informatikeran kulinarischen Innovationen. Vor der Kreationkommt dabei die Analyse der aromatischen Verwandtschaft diverser Lebensmittel. Und dannwäre da noch die Frage, ob’s auch schmeckt.

Von Kathrin Zinkant

Gra

fik (V

orla

ge u

nd G

rafik

date

i): Y

ong-

Yeol

Ahn

et a

l., s

iehe

Lite

ratu

rang

abe

am T

exte

nde

Übe

rarb

eitu

ng: F

.A.Z

.-G

rafik

Heu

man

n

Quelle: IBM