Freiheit durch Sozialismus 2/2011

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Freiheit durch SozialiSmuS Zeitung zur Programmdebatte in der Linken - 2/2011 Ein Programm für die Mehrheit! Leiharbeit ist moderne Sklavenarbeit. DIE LINKE fordert deshalb ein klares Verbot. S. 3 Die von Rosa Luxemburg formulierte Alternative „Sozialismus oder Barbarei“ ist nach wie vor aktuell. Es gibt keinen Anlass, den Kapitalismus schön zu reden. S. 5 DIE LINKE muss eine Antikriegspartei bleiben. Der Kampf gegen Kriegstreiberei und Militarisierung gehört in ihr Programm. S. 6 Von Sevim Dagdelen D IE LINKE gibt sich ein Programm. In turbulen- ten Zeiten. Der Kapitalismus hat die Welt in die schwerste Finanz- und Wirtschaſtskrise getrieben. Banken und Konzernen wird mit milliar- denschweren Rettungspaketen geholfen. Armut, Nied- riglohnsektor und prekäre Beschäſtigung wachsen, auch in Deutschland. Staaten geben durch das Finanz- diktat von IWF und EU ihre Souveränität auf. Die vom Kapitalismus verschärſte ökologische Krise ist schuld an Millionen Hungertoten in Afrika. Kriege zur Durch- setzung von wirtschaſtlichen Interessen sind an der Tagesordnung. Die Demokratie wird zerstört. Immer mehr Menschen zweifeln an dem Kapita- lismus. So erklärten laut EMNID im August 2010 88 Prozent aller befragten Bundesbürger, dass das derzei- tige Wirtschaſtssystem nicht ausreichend den Schutz der Umwelt, den sorgsamen Umgang mit den Ressour- cen und den sozialen Ausgleich in der Gesellschaſt be- rücksichtigt. Einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiſtung zufolge erklärten 59 Prozent, dass in der Bundesrepu- blik noch die alten Gegensätze zwischen der besitzen- den und arbeitenden Klasse bestehen. Für 46 Prozent ist der Sozialismus im Grunde eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde. Und für 31 Prozent wäre wirkliche Demokratie erst möglich, wenn es keinen Kapitalismus mehr gibt. Statt die Verteilungsfrage zu thematisieren, wer- den vermeintliche Konfliktlinien aufgebaut, um die Solidarität zu schwächen: Norden gegen den globalen Süden, Ost- gegen Westdeutschland, Junge gegen Alte, vor allem aber Deutsche gegen MigrantInnen. Rassis- tische Ressentiments und Vorurteile werden von den Herrschenden geschürt und genutzt, um von den zen- tralen gesellschaſtlichen Problemen wie der wachsen- den Armut Vieler bei steigendem Reichtum Weniger abzulenken. Vor diesem Hintergrund beginnt, sobald das neue Programm vom 21. bis 23. Oktober 2011 auf dem Par- teitag in Erfurt verabschiedet und die Mitglieder es im Anschluss per Entscheid angenommen haben, die ei- gentliche Herausforderung: die Umsetzung des Pro- gramms! "Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme", sagte schon Karl Marx. DIE LINKE muss die Menschen nicht nur von ihrem Programm überzeugen, sondern vor allem daran arbeiten, dass es mit Leben gefüllt wird. Denn viele Menschen haben Angst im Kapitalismus: um ihren Arbeitsplatz, ihre Lebensperspektive im Fall von Krankheit oder Arbeitslosigkeit, sie fürchten um ihre Ersparnisse und sorgen sich um ihre und die Zukunſt ihrer Kinder. Viele fühlen sich ohnmächtig und lassen sich entmutigen. DIE LINKE sollte ihrer Wut und ihrem Protest eine Stimme geben. DIE LINKE darf nicht auf Kungelei mit den Mächtigen, sondern muss auf Druck und Gegen- wehr der Menschen setzen. DIE LINKE muss sich ganz konkret für eine Gesellschaſt einsetzen, in der nicht länger die Profite weniger, sondern die Bedürfnisse der Mehrheit im Mittelpunkt stehen. Aus genau diesen Gründen braucht es ein Programm der Partei DIE LINKE für die Mehrheit! Und eine Politik für die Mehrheit! Sevim Dagdelen ist Sprecherin für Migrations- und Integrationspolitik sowie für Internationale Beziehungen der Bundestagsfraktion DIE LINKE.

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Zeitung zur Programmdbebatte in der LINKEN Ausgabe 2/2011

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Freiheit durch SozialiSmuS

Zeitung zur Programmdebatte in der Linken - 2/2011

Ein Programm für die Mehrheit!

Leiharbeit istmoderneSklavenarbeit. DIE LINKE

fordert deshalb

ein klares

Verbot. S. 3

Die von Rosa Luxemburg

formulierte Alternative

„Sozialismus oderBarbarei“ ist nach wie

vor aktuell. Es gibt keinen

Anlass, den Kapitalismus

schön zu reden. S. 5

DIE LINKE muss eineAntikriegsparteibleiben. Der Kampf

gegen Kriegstreiberei

und Militarisierung

gehört in ihr

Programm. S. 6

Von Sevim Dagdelen

DIE LINKE gibt sich ein Programm. In turbulen-

ten Zeiten. Der Kapitalismus hat die Welt in

die schwerste Finanz- und Wirtschastskrise

getrieben. Banken und Konzernen wird mit milliar-

denschweren Rettungspaketen geholfen. Armut, Nied-

riglohnsektor und prekäre Beschästigung wachsen,

auch in Deutschland. Staaten geben durch das Finanz-

diktat von IWF und EU ihre Souveränität auf. Die vom

Kapitalismus verschärste ökologische Krise ist schuld

an Millionen Hungertoten in Afrika. Kriege zur Durch-

setzung von wirtschastlichen Interessen sind an der

Tagesordnung. Die Demokratie wird zerstört.

Immer mehr Menschen zweifeln an dem Kapita-

lismus. So erklärten laut EMNID im August 2010 88

Prozent aller befragten Bundesbürger, dass das derzei-

tige Wirtschastssystem nicht ausreichend den Schutz

der Umwelt, den sorgsamen Umgang mit den Ressour-

cen und den sozialen Ausgleich in der Gesellschast be-

rücksichtigt. Einer Studie der Friedrich-Ebert-Stistung

zufolge erklärten 59 Prozent, dass in der Bundesrepu-

blik noch die alten Gegensätze zwischen der besitzen-

den und arbeitenden Klasse bestehen. Für 46 Prozent

ist der Sozialismus im Grunde eine gute Idee, die nur

schlecht ausgeführt wurde. Und für 31 Prozent wäre

wirkliche Demokratie erst möglich, wenn es keinen

Kapitalismus mehr gibt.

Statt die Verteilungsfrage zu thematisieren, wer-

den vermeintliche Konfliktlinien aufgebaut, um die

Solidarität zu schwächen: Norden gegen den globalen

Süden, Ost- gegen Westdeutschland, Junge gegen Alte,

vor allem aber Deutsche gegen MigrantInnen. Rassis-

tische Ressentiments und Vorurteile werden von den

Herrschenden geschürt und genutzt, um von den zen-

tralen gesellschastlichen Problemen wie der wachsen-

den Armut Vieler bei steigendem Reichtum Weniger

abzulenken.

Vor diesem Hintergrund beginnt, sobald das neue

Programm vom 21. bis 23. Oktober 2011 auf dem Par-

teitag in Erfurt verabschiedet und die Mitglieder es im

Anschluss per Entscheid angenommen haben, die ei-

gentliche Herausforderung: die Umsetzung des Pro-

gramms! "Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist

wichtiger als ein Dutzend Programme", sagte schon

Karl Marx. DIE LINKE muss die Menschen nicht nur

von ihrem Programm überzeugen, sondern vor allem

daran arbeiten, dass es mit Leben gefüllt wird. Denn

viele Menschen haben Angst im Kapitalismus: um

ihren Arbeitsplatz, ihre Lebensperspektive im Fall von

Krankheit oder Arbeitslosigkeit, sie fürchten um ihre

Ersparnisse und sorgen sich um ihre und die Zukunst

ihrer Kinder. Viele fühlen sich ohnmächtig und lassen

sich entmutigen.

DIE LINKE sollte ihrer Wut und ihrem Protest eine

Stimme geben. DIE LINKE darf nicht auf Kungelei mit

den Mächtigen, sondern muss auf Druck und Gegen-

wehr der Menschen setzen. DIE LINKE muss sich ganz

konkret für eine Gesellschast einsetzen, in der nicht

länger die Profite weniger, sondern die Bedürfnisse der

Mehrheit im Mittelpunkt stehen. Aus genau diesen

Gründen braucht es ein Programm der Partei DIE

LINKE für die Mehrheit! Und eine Politik für

die Mehrheit!

Sevim Dagdelen ist Sprecherin für Migrations-und Integrationspolitik sowie für InternationaleBeziehungen der Bundestagsfraktion DIE LINKE.

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2 | ARBEIT Freiheit durch SozialiSmuS - zeitung zur Programmdebatte - 2/2011

Die Linke muss für den Ausbaudes Öffentlichen Dienstes kämp-fen statt einen dritten Sektor zuetablieren.

von Sabine Zimmerman und Özlem Alev Demirel

Der öffentlich geförderte Beschästigungssek-

tor ist ein Streitpunkt der derzeitigen Pro-

grammdebatte. Was ist damit gemeint? Es

geht darum, Gelder der Arbeitsmarktpolitik zu nut-

zen, um Arbeitsplätze zu bezuschussen für Men-

schen, die nach Ansicht der Behörden auf absehbare

Zeit keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt

haben. Erwerbs-

lose in struktur-

s c h w a c h e n

Regionen, ältere

Erwerbslose oder

auch Menschen, die gekennzeichnet sind von den

Folgen langer Arbeitslosigkeit haben angesichts der

Massenarbeitslosigkeit und der immer stärkeren Se-

lektionsmechanismen auf dem Arbeitsmarkt immer

weniger Chancen einen Job zu bekommen: Die Idee

ist es, diesen Menschen statt Hartz IV sinnvolle, frei-

willige Beschästigungsangebote zu unterbreiten.

Der derzeitige Programmentwurf spricht von

einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, die sich vor allem

„für all diejenigen Menschen engagiert, die schlechte

Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. […] Öffentlich

geförderte Beschästigung muss sinnvolle und tarif-

lich bezahlte Arbeitsplätze anbieten. Diese sollten

besonders dort geschaffen werden, wo der Markt Be-

dürfnisse im sozialen, kulturellen und ökologischen

Bereich nicht abdeckt. Die Annahme dieser Arbeits-

plätze ist freiwillig.“

Einige in der Partei kritisieren, das sei nicht weit-

reichend genug. Öffentlich geförderte Beschästigung

dürfe sich nicht darin erschöpfen, Langzeitarbeits-

losigkeit zu bekämpfen, sie müsse vielmehr helfen,

einen „Dritten Sektor“ jenseits von Staat und Markt

auszubauen. Als Kompromiss im Programmentwurf

aufgenommen wurde deshalb zusätzlich die Aus-

sage, dass in der Partei darüber diskutiert wird, „in-

wieweit mit einem öffentlich geförderten

Beschästigungssektor über die Arbeitsmarktpolitik

hinaus die Beschästigung im Non-Profit-Bereich

dauerhast fortentwickelt und gestärkt werden kann.“

Der Dritte Sektor soll ein Raum für Selbstbestim-

mung und Kreativität sein und von zivilgesellschast-

Streitpunkt ÖBS: Was steckt hinter der Idee des Dritten Sektors?

Ausbau des Öffentlichen Dienstesals Alternative

57 Prozent der neuen Jobs im Jahr 2010 waren Leiharbeitsstellen. Bild: Dieter Schütz/pixelio.de

Schlechte Arbeitboomtvon Jutta Krellmann

Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes

belegen, dass der so genannte Aufschwung am

Arbeitsmarkt vor allem auf einem Boom schlech-

ter Arbeit beruht. Immer mehr Menschen sind

von Armut bedroht, obwohl sie Arbeit haben –

und die Bundesregierung forciert diese Entwick-

lung sogar noch.

Schwarz-Gelb macht bei der Förderung aty-

pischer Beschästigung da weiter, wo Rot-Grün

aufgehört hat. Unsichere Beschästigung und

niedrige Entlohnung gehen dabei Hand in Hand.

Im vergangenen Jahr waren 57 Prozent der

neuen Jobs Leiharbeitsstellen. Insgesamt mach-

ten die verschiedenen Formen atypischer Be-

schästigung – Leiharbeit, Teilzeitjobs und

befristete Stellen – drei Viertel des Beschästi-

gungszuwachses aus. Eine aktuelle Studie des

DIW zeigt zudem, dass die realen Nettolöhne von

Geringverdienern in den letzten zehn Jahren um

bis zu 22 Prozent gesunken sind.

Der Boom schlechter Arbeit muss endlich ge-

stoppt werden. DIE LINKE fordert ein Ende der

Lohndumping-Leiharbeit, der grundlosen Befris-

tung von Arbeitsverhältnissen und anderer For-

men prekärer Beschästigung. Daher brauchen

wir endlich einen flächendeckenden gesetzlichen

Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde.

Jutta Krellmann ist Sprecherin fürArbeits- und Mitbestimmungspolitik derBundestagsfraktion DIE LINKE.

Page 3: Freiheit durch Sozialismus 2/2011

3Freiheit durch SozialiSmuS - zeitung zur Programmdebatte - 2/2011 ARBEIT |

von Ali Al Dailami und Christian Leye

Wir begrüßen es, dass der Programment-

wurf zum Thema Leiharbeit klar Stellung

bezieht und deren Verbot fordert.

Denn Leiharbeit bedeutet für die über 750.000 Be-

troffenen Unsicherheit, Niedriglöhne und eine Un-

gleichbehandlung am Arbeitsplatz. Leiharbeit spaltet

die Belegschasten und stellt ein strategisches Hinder-

nis für Arbeitskämpfe dar. Aus einer linken Perspek-

tive kann es nur eine Antwort darauf geben:

Leiharbeit ist moderne

Sklavenarbeit und muss

verboten werden! Den-

noch fordern einige in der

Partei eine bloße Regulierung der Leiharbeit, um unter

anderem auf die Bedürfnisse der Unternehmen Rück-

sicht zu nehmen, Produktionsspitzen durch Leiharbeit

ausgleichen zu können. Dem ist zu entgegnen, dass

Leiharbeit nicht dem Auffangen von Produktionsspit-

zen dient, sondern ein Instrument des Kapitals dar-

stellt, um eine drastische Form der Überausbeutung

möglich zu machen. So legt schon die Grundstruktur

des kapitalistischen Ausbeutungssystems, nämlich die

Aneignung von Mehrwert durch den Einkauf von Ar-

beitskrast zu möglichst niedrigen Löhnen, genau diese

Form der Verwendung der Leiharbeit als Instrument

der Überausbeutung nahe. Aber auch die aktuellen

Entwicklungen im Kapitalismus laufen auf diese Ver-

wendung hinaus. Mit der tendenziell zunehmenden

Ausrichtung der Unternehmen auf eine just-in-time-

Produktion ging das Bedürfnis des Kapitals nach fle-

xibel einsetzbaren Arbeitskrästen einher, derer man

sich auch schnell wieder entledigen können wollte.

Angeblich um die strukturelle Massenarbeitslosigkeit

zu bekämpfen, reagierten die politischen Interessen-

vertreter des Kapitals in der rot-grünen Bundesregie-

rung unter Schröder mit der Einführung der

Hartz-Gesetze: Die Betroffenen sollen durch niedrige

Regelsätze und Repressionen in den Niedriglohnsektor

und in prekäre Arbeitsverhältnisse gezwungen wer-

den. Dies gilt gerade auch für den Leiharbeitssektor,

der im Zuge der Agenda 2010 von jeglicher Regulie-

rung befreit wurde: So waren im Jahr 2010 insgesamt

32 Prozent der bei der Arbeitsagentur ausgeschriebe-

nen Stellen Leiharbeitsstellen. Vor dem Hintergrund

des strukturellen Bedürfnisses des Kapitals nach güns-

tigen und flexibel einsetzbaren Arbeitskrästen ist die

Verwendung von Leiharbeit als Instrument der Über-

ausbeutung also keineswegs zufällig, sondern die lo-

gische Konsequenz aus den ökonomischen und

politischen Entwicklungen der vergangenen Jahr-

zehnte. Somit ist die politische Forderung nach einem

Verbot der Leiharbeit aus einer linken Perspektive der

einzig sinnvolle Ansatz: Denn warum sollte sich eine

linke, klassenbewusste Partei angesichts dieses dra-

matischen Ausbeutungsverhältnisses um die Bedürf-

nisse des Kapitals kümmern statt auf der Seite der ca.

eine Million Leihar-

beiter und derer die

dazu gezwungen

werden? Offensicht-

lich kümmern sich die Unternehmen und ihre politi-

schen Vertreter auch herzlich wenig um die

Bedürfnisse der Leiharbeiter, von ihrer Arbeit ihre

Miete zahlen und in Sicherheit leben zu können. Die

Interessenvertreter des Kapitals sind an dieser Stelle

wesentlich konsequenter und klassenbewusster als

die Teile unserer Partei, die hier einer Art gesamtge-

sellschastlicher Vernunst genügen möchten, die es so

offensichtlich gar nicht gibt. ●

Ali Al Dailami ist Mitglied im ParteivorstandDIE LINKE und hat selbst als Leiharbeitergearbeitet

Christian Leye ist Sprecher des KreisverbandsDIE LINKE.Bochum.

Leiharbeit ist moderneSklavenarbeit

lichen Initiativen bis zu den Wohlfahrtsverbänden

reichen. Diese Idee hat unter Teilen der Linken eine

lange Tradition. Aber was sich auf den ersten Blick

vielleicht gut anhört, hat mehrere Fußangeln.

Erstens werden die Zustände und Verhältnisse

des „Dritten Sektors“ idealisiert. In der Realität ist

die Freiheit der Arbeit von vielen Trägern und Wohl-

fahrtsverbänden doch arg begrenzt, um gar nicht

erst von den Rechten der Beschästigten dort zu

sprechen. Und von einer Freiwilligkeit kann unter

den Bedingungen der Hartz-Gesetze keinesfalls aus-

gegangen werden.

Zweitens bleibt die Frage unbeantwortet:

Warum sollen sinnvolle gesellschastliche Aufgaben

nicht Teil des öffentlichen Dienstes sein? Es heißt,

der Dritte Sektors sei nötig, weil der öffentliche

Dienst hierarchisch ist, von der Bevölkerung als ne-

gativ empfunden wird. Aber das überzeugt nicht.

Von der Kinderbetreuung angefangen über Bürger-

ämter bis zu den örtlichen Stadtwerken leistet der

öffentliche Dienst wichtige Aufgaben der öffentli-

chen Daseinversorgung. Wir streiten dafür, den Öf-

fentlichen Sektor im Interesse der Bürger und

Beschästigten auszubauen und zu demokratisieren.

Hier ist auch Raum für selbstverwaltete Projekte,

die wichtige Aufgaben übernehmen und die öffent-

lich finanziert werden. Ein Beispiel sind die Frauen-

häuser, deren Arbeit durch die Kürzung der

öffentlichen Mittel immer mehr in Bedrängnis

gerät.

Drittens sollte uns die praktische Erfahrung zu

denken geben. In Berlin hat DIE LINKE es zwar ge-

schafft, für Langzeiterwerbslose bis zu 7.000 Stellen

in einem öffentlichen Beschästigungssektor einzu-

richten. Im gleichen Zeitraum wurden aber deutlich

mehr Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut. Das

ist keine Entwicklung, die wir uns wünschen!

Fazit: Erwerbslosigkeit ist nicht das Ergebnis

schlechter Voraussetzungen Einzelner, sondern

einer Wirtschastsordnung, die Kosten der Allge-

meinheit aufzwingt und Gewinne in den Händen ei-

niger weniger belässt. Deshalb muss die

Bekämpfung der Erwerbslosigkeit durch Arbeits-

zeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalaus-

gleich erfolgen, die eine gerechte Verteilung der

Arbeit ermöglicht. Öffentlich geförderte Beschästi-

gung ist daher allenfalls ein Ansatz, um Betroffenen

eine Alternative zu Hartz IV oder Ein-Euro-Jobs zu

bieten. Dort, wo soziale Projekte auf dauerhasten

Bedarf stoßen, sind sie regulär aus staatlichen Mit-

teln zu finanzieren, also in reguläre Stellen umzu-

wandeln. Unsere Energie gilt daher dem Ausbau des

öffentlichen Sektors als Träger der Daseinsvorsorge

und demokratisch organisiert. ●

Sabine Zimmermann ist Sprecherin fürArbeitsmarktpolitik der BundestagsfraktionDIE LINKE

Özlem Alev Demirel ist ParlamentarischeGeschästsführerin der Landtagsfraktion

DIE LINKE NRW.

Auch vor dem Hintergrund der Umsetzung

der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Mai

2011 kämpste DIE LINKE für die

Einführung eines gesetzlichen

Mindestlohns in Höhe von 10 Euro.

Bild: Die Linke

Leiharbeit verbieten!Die Linke gehört konsequent auf die Seite der Beschästigten.

Page 4: Freiheit durch Sozialismus 2/2011

4 | ARBEIT Freiheit durch SozialiSmuS - zeitung zur Programmdebatte - 2/2011

Von Ralf Krämer

DIE LINKE ist eine Partei mit einem breiten po-

litischen Spektrum. Es ist richtig, dass dies im

Programm Ausdruck findet. Aber es muss

auch klar sein, was die zentralen Anliegen der Gesamt-

partei sind und was nicht. Beim Streit um den angeb-

lichen „Arbeitsbegriff“ im Programmentwurf und die

Forderung nach einem bedingungslosen Grundein-

kommen als vermeintliche Alternative der Existenzsi-

cherung anstatt Erwerbsarbeit geht es letztlich um

unterschiedliche Auffassungen zum Charakter der Par-

tei, geht es um ihr Profil und Prioritäten.

Einerseits ein Profil als sozialistische Partei, in der

Tradition der Arbeiterbewegung und mit einer Vorstel-

lung von Sozialismus, bei der die demokratische ge-

sellschastliche Organisation von Arbeit und Wirtschast

zentral ist. Andererseits eine Tendenz, die primär bür-

gerrechtlich orientiert ist und teilweise eine große Dis-

tanz zu Arbeiterbewegung und Gewerkschasten zeigt.

Im Programmentwurf war von vornherein klar,

dass Arbeit weit über Erwerbsarbeit hinaus reicht und

es darum geht, alle Arbeiten gerecht zu verteilen, ins-

besondere zwischen den Geschlechtern. In der Über-

arbeitung des Entwurfs wurde dies noch etwas aus-

führlicher dargestellt. Dennoch hat die Erwerbsarbeit,

also Lohnarbeit und selbstständige Arbeit, eine beson-

dere Bedeutung für Wirtschast, Gesellschast und Poli-

tik und für die Einzelnen. Auch dies wurde präzisiert.

Nur in ihr werden die Güter und Dienstleistungen pro-

duziert, die gekaust werden können, und damit die

ökonomischen Werte und Einkommen erwirtschastet.

Es ist unumgänglich für eine linke und sozialisti-

sche Partei, die die sozialen Interessen der Mehrheit

der Bevölkerung vertreten muss, den Kampf für „gute

Arbeit“ und gegen Massenerwerbslosigkeit, soweit das

im Kapitalismus möglich ist, ins Zentrum ihrer Politik

zu stellen. Aber auch der demokratische Sozialismus,

wie er im Programmentwurf beschrieben ist, wird

noch auf Warenproduktion und Geldwirtschast und

damit auf Erwerbsarbeit beruhen. Noch deutlicher

könnte gemacht werden, dass insbesondere auch die

Finanzierung aller öffentlichen und sozialen Ausgaben

auf der Umverteilung von Einkommen beruht, die in

Erwerbsarbeit produziert werden.

Gleichzeitig ist klar, dass wir Zwang zur Arbeit ab-

lehnen. Die Gesellschast muss dafür sorgen, dass auch

all diejenigen in Würde leben und an der Gesellschast

teilhaben können, die nicht über hinreichende eigene

Einkommen, Sozialversicherungs- oder Unterhaltsan-

sprüche verfügen. Dazu fordert DIE LINKE eine be-

darfsdeckende und sanktionsfreie Mindestsicherung,

die Armut verhindert und die Bürgerrechte der Betrof-

fenen achtet. Das von Teilen der Linken darüber hi-

naus vertretene Konzept des bedingungslosen

Grundeinkommens wird in der Partei auch weiterhin

kontrovers diskutiert werden.

Mit der Feststellung dieses bestehenden Sachver-

halts ist auch zu diesem Thema eine Formulierung ge-

funden, mit der alle oder jedenfalls breite Mehrheiten

leben können. Insgesamt sind mit diesen Überarbei-

tungen des Programmentwurfs Kompromisse gefun-

den worden, die sowohl die politische und

programmatische Breite als auch das Profil der LIN-

KEN deutlich machen. ●

Ralf Krämer ist Mitglied derRedaktionskommission der LINKEN und einerder BundessprecherInnen der SozialistischenLinken (SL)

Zum Weiterlesen: http://www.sozialistische-linke.de/programm/319

Gute Arbeit statt Bedingungsloses Grundeinkommenins Zentrum der Politik der Linken gehört der kampf für gute Arbeitund gegen Massenarbeitslosigkeit. Die Forderung nach einem bedin-gungslosen Grundeinkommen weist in die falsche Richtung.

Von Katharina Dahme und Harald Koch

Während in der ersten Fassung des Pro-

grammentwurfs noch unmissverständlich

festgehalten war, dass sich DIE LINKE an

keiner Regierung beteiligt, die Privatisierungen vor-

nimmt, Sozial- oder Arbeitsplatzabbau betreibt, ru-

derte der Parteivorstand mit seinem Leitantrag für den

Bundesparteitag zurück: Anstelle eines Verbots von

Arbeitsplatzabbau ist hier nur noch vage formuliert,

dass die Aufgabenerfüllung des Öffentlichen Dienstes

nicht verschlechtert werden darf. Protagonisten aus

dem Forum demokratischer

Sozialismus freuen sich da-

rüber, da die neue Formulie-

rung leicht als

Freifahrtschein zur Reduzie-

rung der Zahl im Öffentli-

chen Dienst Beschästigter

ausgelegt werden könnte. Schon im Vorfeld der Ent-

scheidung im Parteivorstand war unter anderem von

Dietmar Bartsch zu lesen, dass LINKE, die in Kommu-

nen und Ländern regieren, um Personalabbau ohnehin

nicht herumkommen. Denn man wolle „keine Schlapp-

hüte“ finanzieren.

Aber die Forderung nach Abschaffung der Ge-

heimdienste einerseits und die nach einem Ausbau

des Öffentlichen Dienstes andererseits sind kein

Wider- spruch. Denn das Nein zu Arbeitsplatzabbau

betrifft nicht die einzelne Stelle, sondern das Ziel eines

positiven Saldos an Beschästigten. Angesichts der im

europäischen Vergleich unterdurchschnittlichen Be-

schästigtenquote im Öffentlichen Dienst in Deutsch-

land könnte der Stellenabbau bei Abschaffung der

Geheimdienste leicht und mit großem gesellschastli-

chen Gewinn - beispielsweise mit personellen Zu-

wächsen in der Bildung oder der Pflege - ausgeglichen

werden.

Zweitens steht das Argument der Demographie.

Doch gerade eine alternde Gesellschast, muss nicht

weniger, sondern mehr Aufgaben öffentlich erfüllen,

wenn sie eine humane Gesellschast sein will. Das zeigt

sich schon jetzt am eklatanten Notstand an Personal

in der Altenpflege, wo in absehbarer Zeit eine halbe

Million Fachkräste fehlen werden. Hinzu kommt, dass

Prognosen zur Demographie mit Vorsicht zu genießen

sind. Sie sind mehr ein willkommenes Legitimations-

instrument, um unsoziale Vorhaben als alternativlos

zu propagieren, weniger eine ernstzunehmende Pla-

nungsgrundlage für gestaltende Politik.

Was heißt das nun für das Grundsatzprogramm

der LINKEN? Wenn die Partei glaubwürdig sein will,

dann darf sie sich weder in Regierung noch in Opposi-

tion einer neoliberalen Sachzwangslogik beugen, son-

dern muss klar an der Seite derjenigen stehen, denen

die herrschende Politik ins Gesicht schlägt und die für

soziale und demokratische Alternativen kämpfen. Die

Forderung nach einem Ausbau des Öffentlichen Diens-

tes ist hierzu ein wichtiger Bestandteil. Da in der ak-

tuellen Situation der personellen Unterbesetzung und

der Einschränkung öffentlicher Daseinsvorsorge jeder

Arbeitsplatzabbau im Öffentlichen Dienst die Aufga-

benerfüllung desselben weiter verschlechtert, besagt

der neue Formulierungsvorschlag im Leitantrag im

Grunde nichts anderes als das frühere klare Nein. Weil

er aber dennoch offen für anderslautende Interpreta-

tionen ist, wäre der Parteitag im Interesse einer glaub-

würdigen Politik der LINKEN gut beraten, zur

ursprünglichen Fassung zurückzukehren. ●

Katharina Dahme ist Mitglied imBundessprecherInnenrat von Linksjugend[`solid] und im Landesvorstandder LINKEN in Brandenburg.

Harald Koch ist Mitglied imLandesvorstand der LINKEN in Sachsen-Anhaltund direkt gewählter Bundestagsabgeordneterfür DIE LINKE im Wahlkreis 75 (Mansfeld).

Kein Arbeitsplatzabbau im Öffentlichen Dienst!Zustimmung zum Arbeitsplatzabbau im Öffentlichen Dienst in Regie-rung oder Opposition untergräbt die Glaubwürdigkeit der Linken

Gerade in einer alternden Gesell-schast müssen mehr Aufgabenöffentlich erfüllt werden „

Page 5: Freiheit durch Sozialismus 2/2011

5

Von Sahra Wagenknecht

Dass die ungezügelte Marktwirtschast „aus sich

selbst heraus sozial" sei, wie 2008 Friedrich

Merz, seinerzeit „Finanzexperte“ der CDU, be-

hauptete, war schon damals der blanke Hohn. Mittler-

weile türmen sich die Vermögen der Reichsten dieser

Welt auf 42,7 Billionen Dollar – 2,7 Billionen mehr als

noch vor Beginn der großen Krise 2007. Im selben

Zeitraum schnellte die Zahl der weltweit Hungernden

um über 100 Millionen nach oben. Über eine Milliarde

Menschen leiden heute an chronischer

Unterernährung. Hungerkrisen, nicht zu-

letzt ausgelöst durch Spekulationen auf

Nahrungsmittel, bedrohen das Leben un-

zähliger Menschen. Profite durch Hunger

- eine mörderische Geschästsstrategie! Wer diese un-

erträglichen Zustände beschreibt und die dafür ver-

antwortlichen Kapitalmächtigen anklagt, der malt

weder irreale Horrorszenarien noch betreibt er reali-

tätsfremde Schwarz-Weiß-Malerei, sondern er ver-

sucht zu verhindern, dass das 21. Jahrhundert zum

globalen Hunger- und Armutsjahrhundert verkommt.

Jean Ziegler nennt den globalisierten Finanzkapi-

talismus eine „mörderische Gesellschast“. Nicht alle in

der LINKEN sehen das so. Manche meinen, der gegen-

wärtigen Wirtschastsordnung „zahlreiche fortschritt-

liche Elemente“ und „potentielle Friedensfähigkeit“

bescheinigen zu müssen. Jedoch haben nicht zuletzt

die Kriege des Westens sowie die erneut gestiegenen

weltweiten Rüstungsausgaben auf 1,6 Billionen Dollar

die kriegerische Tendenz offenbart, die dem Kapitalis-

mus innewohnt. Diesem Friedensfähigkeit zu unter-

stellen, hat sich als ebenso haltlos erwiesen wie der

Glaube, dass die Deregulierung der Märkte und die Pri-

vatisierung öffentlicher Güter für faire Arbeitsbedin-

gungen, armutsfeste Renten und sichere Sozial-

systeme sorge. Wie sehr der Kapitalismus sozial ver-

sagt, wird innerhalb Europas besonders am Fall Grie-

chenland deutlich. Dort werden im Zuge der

Finanzkrise Löhne, Renten und Sozialausgaben dras-

tisch gekürzt. In Irland, Portugal und Spanien sieht es

nicht besser aus. Der Chef der Euro-Gruppe, Jean-

Claude-Juncker, hat von Slowenien "sofortige und bru-

tale Maßnahmen" verlangt, weil zuvor die neoliberale

Rentenreform gescheitert war. Ein Kürzungspaket jagt

in Europa das nächste. Auch Deutschland bleibt nicht

vom Sozialkahlschlag verschont. Es gibt daher keinen

vernünstigen Grund, die heutige Wirtschastsordnung

schönzureden. Zu den unbedingt zu verteidigenden

Vorzügen des Programmvorschlags der LINKEN gehört

es daher, dass dieser den Kapitalismus nicht schönre-

det, sondern zu dessen Delegitimierung beiträgt.

Große transnationale Konzerne setzen heute mit

ihrer gewaltigen ökonomischen Macht Parlamente

und Behörden unter Druck, das von ihnen geforderte

renditefreundliche Umfeld zu besorgen. Allein im Lob-

bydschungel um Brüssel herum nehmen über 15.000

Konzern-Lobbyisten Einfluss auf die Entscheidungen

der EU-Institutionen. Abenteuerlich ist es daher zu

behaupten, nur durch ein paar Gesetze ließen sich bei-

spielsweise private Großbanken zu sozialen Wohltä-

tern umwandeln. Denn wie skrupellos die

Finanzriesen ihre Macht ausspielen, zeigt sehr aktuell

die Eurokrise. Dass diese immer weiter eskaliert, hat

ganz wesentlich mit der profitgetriebenen Geschästs-

praxis der Banken- und Versicherungskonzerne, Hed-

gefonds und Pensionsfonds zu tun, die die

Anleihezinsen krästig nach oben drücken und Grie-

chenland, Portugal und andere Euro-Staaten in

schwerste Bedrängnis bringen. Die Troika aus EU, EZB

und IWF hat unter dem massiven Druck der Finanz-

branche die griechische Volkswirtschast in den Ruin

getrieben. So ist in Griechenland die Arbeitslosenquote

von 11 auf über 16 Prozent nach oben geschnellt, die

Schuldenquote auf 150 Prozent der Wirtschastsleis-

tung explodiert und die Industrieproduktion seit

einem Jahr um 11 Prozent geschrumpst. Der Kapita-

lismus versagt nicht nur sozial, er zerstört auch die in-

dustrielle Produktion. Neue Kredite an den

griechischen Staat werden nun abermals an brutale

soziale Kürzungen und den Ausverkauf öffentlichen

Eigentums geknüpst. Und der einflussreiche Bundes-

verband deutscher Banken droht, dass die Kürzungs-

diktate gefälligst einzuhalten sind. Was mit

Griechenland heute geschieht, könnte bereits morgen

in jedem anderen europäischen Staat Wirklichkeit

werden.

Natürlich bleibt es richtig, sich für Regelwerke ein-

zusetzen, welche die entfesselten Finanzmärkte regu-

lieren helfen und soziale und ökologische Fortschritte

bringen. Die Erpressungsmacht der Wirtschastsgigan-

ten und insbesondere der Banken auf die Politik kann

aber letztlich nur durch eine Neuordnung der Eigen-

tumsverhältnisse überwunden werden. Vor allem im

Bereich der Daseinsvorsorge, in der Finanzbranche und

überall dort, wo Unternehmen so viel Macht ange-

häust haben, um damit jede

grundlegende Veränderung zu blo-

ckieren, die ihren Profitinteressen

widerspricht, ist öffentliches und

demokratisch kontrolliertes Ei-

gentum nötig. Der neue Programmvorschlag der LIN-

KEN geht in diese richtige Richtung, die gegen all jene

verteidigt werden muss, die trotz Finanzkrise, milliar-

denschweren Bankenrettungspaketen und von der Fi-

nanzlobby bis zur Wirkungslosigkeit weichgespülten

Regulierungen immer noch meinen, ein paar bessere

Regeln würden genügen, dem Kapitalismus eine kom-

plett andere Entwicklungsrichtung aufzunötigen. Die

Grundausrichtung des Programmvorschlags sollte

daher nicht verwässert werden. ●

Sahra Wagenknecht ist stellvertretendeParteivorsitzende und wirtschastspolitischeSprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE.

Der Kapitalismus versagtDer kapitalismus ist weder friedensfähig noch sozial. Der antikapitalistischeCharakter des Leitantrags darf nicht verwässert werden.

Für Alternativen zu einer „mörderischen Gesellschast“ „

DIE LINKE muss die Systemfrage stellen! Bild: www.linksfraktion.de

Freiheit durch SozialiSmuS - zeitung zur Programmdebatte - 2/2011 KApITAlIsmusKRITIK |

Page 6: Freiheit durch Sozialismus 2/2011

Von Martin Hantke und Alexander Neu

Unbestreitbar ist: Die NATO ist ein Kriegsfüh-

rungsbündnis. Ob in Afghanistan oder Libyen.

Täglich hat sie zivile Tote zu verantworten.

Sie steht für weltweite Kriege und imperiale Interes-

sensicherung mit militärischen Mitteln. Sie ist aber

auch Weltmeister bei den Rüstungsausgaben. NATO-

Staaten geben über 75% weltweit für Waffen und Rüs-

tung aus. Mit ihrer Erweiterungspolitik und der

geplanten Stationierung von Raketen und Raketenab-

wehrsystemen in Europa provoziert die NATO immer

wieder einen neuen kalten Krieg mit Russland. Kurz:

Wer weiterhin an der NATO festhält, akzeptiert Un-

frieden und Unsicherheit weltweit. Bis auf DIE LINKE

ist dies bei allen anderen im Bundestag vertretenen

Parteien der Fall. Im Leitantrag des Parteivorstandes

wird die Auflösung der NATO und ihre Ersetzung

durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Ein-

schluss Russlands gefordert, wie auch der Austritt aus

den militärischen Strukturen der NATO. Das ist frie-

denspolitisch richtig. Denn für den Erhalt der NATO

gibt es kein einziges friedenspolitisch überzeugendes

Argument. Auch Argumente gegen einen Austritt aus

den militärischen Strukturen überzeugen nicht. Zum

einen ist es falsch, nur auf den früheren französischen

Staatspräsidenten Charles De Gaulle zu verweisen, der

den Austritt Frankreichs aus der militärischen Forma-

tion der NATO in die Wege leitete. Nicht nur Frank-

reich verweigerte sich von 1966 bis 2009 der

militärischen Formation der NATO, sondern auch Grie-

chenland von 1974 bis 1981 und Spanien von 1982 bis

1999. Bei Griechenland war die große Ablehnung in

der Bevölkerung gegenüber einer NATO-Mitgliedschast

ausschlaggebend, da die NATO sowohl die Obristen-

diktatur wie auch den Putsch 1974 in Zypern unter-

stützt hatte. Im Fall

von Spanien trug man

der hohen Skepsis der

SpanierInnen gegen-

über einem NATO-

Beitritt Rechnung. In

allen drei Fällen bedeutete der Wiedereintritt in die

militärischen Strukturen der NATO einen Militarisie-

rungsschub. Den Wiedereintritt Frankreichs in die mi-

litärischen Strukturen begründete der

rechtskonservative Staatspräsident Sarkozy mit der

Chance, dass Frankreich über einen Wiedereintritt sei-

nen Einfluss auf die NATO stärken könne. Er behielt

Recht. Frankreich kann für den Libyenkrieg die NATO

ganz anders nutzen als zuvor. Die Geschichte zeigt: Die

Durchsetzung eines Austritts aus der militärischen

Struktur wäre ein friedenspolitischer Gewinn und

würde die Kriegsführungsfähigkeit Deutschlands ent-

scheidend schwächen.

Auch nach einem Austritt aus den militärischen

Strukturen einerseits und dem Verbleib in den politi-

schen, also den eigentlichen Entscheidungsstrukturen

andererseits hat ein NATO-Mitgliedsland die Möglich-

keit, die Beteiligung der NATO an Kriegen und gefähr-

lichen Erweiterungen wie im Fall Georgiens per Veto

zu verhindern: So nutzte Frankreich das Veto beim

Irak-Krieg 2003. DIE LINKE in Deutschland sollte sich

diese Möglichkeit nicht verbauen. Zu guter Letzt: Wer

es mit der Forderung nach der Auflösung der NATO

wirklich ernst meint, muss sich für den Austritt aus

den militärischen Strukturen einsetzen. Es ist frie-

denspolitisch konsequent, wenn DIE LINKE beides in

ihrem Programm verankert. ●

Martin Hantke ist Mitglied desSprecherInnenrats der

Landesarbeitsgemeinschast Frieden undInternationale Politik der LINKEN in NRW und

Mitglied im Beirat der InformationsstelleMilitarisierung

Alexander Neu ist Mitglied imSprecherInnenkreis derBundesarbeitsgemeinschast Frieden undInternationale Politik der LINKEN sowie

Mitglied der Redaktion Wissenschast & Frieden

6

Von Judith Benda und Nele Hirsch

Vor wenigen Wochen vermeldete

die Hauptstadtpresse stolz,

dass der neue Chef der

Polizeiausbildung der Euro-

päischen Polizeimission

EUPOL in Afghanistan

aus Berlin sei. Polizei-

direktor Gary Menzel

leitete bis zum ver-

gangenen Jahr die

Kreuzberger Polizei-

wache in der Friedrich-

straße. Seitdem ist er in

Kabul für den Aufbau der

afghanischen Polizei zustän-

dig. In Brandenburg dagegen

war die Rot-Dunkelrote Regierung

seit 2010 andere Wege gegangen. Am 4.

September vermeldete der Pressesprecher

des brandenburgischen Innenministeriums la-

pidar, der brandenburgische Innenminister

habe bereits im Februar entschieden, „keine weiteren

Polizeibeamten des Landes Brandenburg

mehr nach Afghanistan zu entsenden“.

Hintergrund dieser Entscheidung

sei die Erklärung des Bundesau-

ßenministers vom 9. Februar

2010, wonach die Deutschen

in Afghanistan an einem

"bewaffneten Konflikt im

Sinne des humanitären Völ-

kerrechts" teilnehmen.

Diese völkerrechtliche For-

mel bedeutet nach Auffas-

sung von Innenminister Speer

„faktisch dasselbe wie Krieg.“

Brandenburg hatte sich seit 2002

an Polizeiausbildungen in Afghanis-

tan mit insgesamt 15 PolizistInnen betei-

ligt. Für seine Entscheidung gegen die

Polizeientsendung wurde das Land Branden-

burg von der Bundesregierung und konservati-

ven Landesregierungen hestig kritisiert. Die

Bundestagsfraktion und Landtagsfraktionen der LIN-

KEN, wie in NRW, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Nieder-

sachsen, Hessen und Hamburg, forderten daraufhin

den Rückzug der Bundespolizei und ihrer Länderpoli-

zeien aus Afghanistan. Im Leitantrag für das Pro-

gramm wurde eine Absage an derartige Polizeieinsätze

aufgenommen. Es heißt: „Bei Regierungsbeteiligungen

auf Landesebene für die Beendigung von internatio-

nalen Polizeieinsätzen zur Unterstützung von Kriegen

und autoritären Regimen einsetzen.“ Wir sollten hier

den Brandenburger Weg auch im Programm stärken

und im Absatz zu den Kriterien für Regierungsbeteili-

gungen zusätzlich verankern, dass sich DIE LINKE in

Regierungen dafür einsetzt, dass keine Polizei zur Un-

terstützung von Kriegen entsandt wird. Damit würde

DIE LINKE auch landespolitisch an Friedensprofil ge-

winnen und die Glaubwürdigkeit unserer friedenspo-

litischen Positionen stärken. ●

Judith Benda ist Delegierte zum Kongress derEuropäischen Linkspartei und aktiv imStudierendenverband DIE LINKE.SDS

Nele Hirsch ist Mitglied imgeschästsführenden Parteivorstand DIE LINKE.

Brandenburger Weg stärken! Nein zur kriegsunterstützenden Polizeiausbildung!Beendigung von internationalen Polizeieinsätzen zur Unterstützung vonkriegen und autoritären Regimen bei Regierungsbeteiligungen auf Landesebene.

Der Austritt aus den militärischenNATO Strukturen wäre ein friedenspolitischer Gewinn„

Wer die Auflösung der nATO will, sollte den Austritt Deutschlands ausden militärischen Strukturen dieses kriegsführungsbündnisses fordern.

NATO auflösen!

| FRIEdEn Freiheit durch SozialiSmuS - zeitung zur Programmdebatte - 2/2011

Bild: Arno Bachert pixelio.de

Page 7: Freiheit durch Sozialismus 2/2011

Von Adrian Furtwängler und Christine Buchholz

„Die Bundeswehr muss aus allen Auslandseinsät-

zen zurückgeholt werden, ihr Einsatz im Inneren ist

strikt zu untersagen.“ heißt es im Leitantrag. So ist es

nur folgerichtig, dass sich DIE LINKE für die schritt-

weise Abrüstung der Bundeswehr einsetzt, dabei sol-

len die „kriegsführungfähigsten Teile“ als Erste

abgerüstet werden. Die Bundeswehrreform des ertapp-

ten Plagiators von und zu Guttenberg und seines

Nachfolgers gehen jedoch in eine ganz andere Rich-

tung. Die Aussetzung der Wehrpflicht und die Redu-

zierung der Bundeswehr dienen dazu, die frei

werdenden Ressourcen zu einer massiven Aufrüstung

zu nutzen. Der Anteil der interventionsfähigen Trup-

pen wird massiv aufgestockt und in Rüstungsbeschaf-

fungsprogramme fließt nun mehr Geld. Die Werbung

und Suche nach Freiwilligen wird intensiviert und

kostet die Steuerzahler 10 Million Euro jährlich. An

Schulen, Hochschulen und in den Arbeitsagenturen

hält die Bundeswehr Ausschau nach neuem Personal.

Gerade an Schulen hat das Militär einen regelrechten

Werbefeldzug entfesselt.

Auf diese Jagd nach neuen Rekruten hat der Pro-

grammentwurf bisher noch keine Antwort. DIE LINKE

muss sich aber dagegen positionieren - sowohl was die

Militarisierung des öffentlichen Raums durch Gelöb-

nisse und Zapfenstreiche der Bundeswehr als auch die

Intensivierung der Rüstungs- und Kriegsforschung an

den Hochschulen angeht. Wir brauchen im Programm

eine klare Absage an die Präsenz der Bundeswehr in

den Schulen und anderen Bildungseinrichtungen und

die Forderung nach einer Zivilklausel an Hochschulen.

Bundeswehr und Kriegsforschung haben an Schulen

und Hochschulen nichts verloren.

Die Austritte von Vertretern der Bundeswehr sind

auch dann nicht gerechtfertigt, wenn ihnen als Gegen-

part Diskutanten aus der Friedensbewegung zur Seite

gestellt werden. Die Erfahrung zeigt: Die gut geschul-

ten und mit Hochglanzbroschüren ausgestatteten Ju-

gendoffiziere sind strukturell immer im Vorteil.

DIE LINKE unterstützt die zahlreichen Schüler-,

Lehrer-, Eltern-, und Studierendeninitiativen, die

gegen den Werbefeldzug der Bundeswehr Widerstand

leisten. Den Versuch, die Gesellschast zu militarisieren,

muss eine LINKE zum Thema machen. Der Kampf

gegen Militarismus und Kriegstreiberei gehört deshalb

ins Programm. Insbesondere gilt es die Forderung

nach einem Nein zur Militärpropaganda an Schulen in

den Leitantrag aufzunehmen. ●

Adrian Furtwängler ist Mitglied imBundessprecherInnenrat von Linksjugend

[`solid].

Christine Buchholz ist Mitgliedim geschästsführenden Parteivorstand DIELINKE und Sprecherin für Friedenspolitik in der

Bundestagsfraktion DIE LINKE.

7

Bundeswehr abrüsten!Die Linke muss sich gegen die Militarisierung der Gesellschast stellen.Für ein klares nein zur Militärpropaganda an Schulen.

Von Heike Hänsel und Ruth Firmenich

Auf den Nachdenkseiten erschien eine Kritik am

Programmentwurf mit dem Tenor „zu wenig

Analyse, zu viel idealistische Setzungen“. Das

gilt leider auch für den Abschnitt zu den Vereinten Na-

tionen. So wird ein Idealbild der UN gezeichnet, das der

Wirklichkeit nicht standhält. Diese unrealistische Be-

schreibung hat auch Konsequenzen für den aus den

Analysen resultierenden Forderungsteil. Um nicht

falsch verstanden zu werden. Es ist gut, dass DIE

LINKE sich als Partei des Völkerrechts positioniert. Da-

rauf weist auch Gregor Gysi in seinem Sommerinter-

view mit der Fraktion hin – und macht dabei zugleich

deutlich, dass die Partei gerade deshalb auch bereit

sein muss, das Völkerrecht gegen völkerrechtswidrige

Entscheidungen des UN-Sicherheitsrats zu verteidigen.

DIE LINKE muss sich vergegenwärtigen, dass sich die

Vereinten Nationen in den letzten 20 Jahren funda-

mental verändert haben. Gerade die sozialen, wirt-

schastlichen und zivilen Strukturen wurden

zurückgedrängt. Entgegen des in der UN-Charta formu-

lierten hohen Ziels, die Menschheit „vor der Geißel des

Krieges zu bewahren“, hat die UN eine beispiellose Mi-

litarisierung erfahren. Fast 8 Mrd. Euro werden mitt-

lerweile Jahr für Jahr für mitunter – um es vorsichtig

auszudrücken - fragwürdige UN-mandatierte Militär-

einsätze ausgegeben. Im Bundestagswahlprogramm

2009 hatte sich DIE LINKE mit „eine weitere Militari-

sierung der UNO lehnen wir ab“ noch klarer dagegen

positioniert. Im Leitantrag ist davon leider keine Rede

mehr. Auch findet sich keine Kritik daran, dass sich

Groß- und Mittelmächte mittlerweile an UN-Militär-

einsätzen auf Grundlage von Kapitel VI der UN-Charta,

d.h. sogenannte friedenserhaltende UN-Missionen, be-

teiligen. Während dies sowie die Beteiligung von Nach-

barstaaten aus der Konfliktregion vor 1990 geradezu

ein Tabu war, wird dieses ungeschriebene Gesetz von

den Bundesregierungen seitdem systematisch unter-

laufen. DIE LINKE muss sich dafür einsetzen, dass die-

ser Grundsatz bei Kapitel VI-Einsätzen wieder gilt.

Auch bei Missionen wie in Zypern oder den Golanhö-

hen sollten die Truppen für die Kapitel VI-Einsätze

nicht von NATO-Mitgliedern gestellt werden, die ganz

eigene Interessen in der Region verfolgen. DIE LINKE

muss sich generell einer interessengeleiteten Manda-

tierungspraxis des UN-Sicherheitsrats für NATO-

Kriege, ob in Afghanistan oder Libyen, entgegenstellen.

Als Völkerrechtspartei muss DIE LINKE Völkerrechts-

brüche des UN-Sicherheitsrats klar benennen. Sie muss

sich für eine Entmilitarisierung und für eine umfas-

sende Stärkung und Demokratisierung der zivilen, so-

zialen und wirtschastlichen Strukturen der Vereinten

Nationen einsetzen. In diesem Zusammenhang ist der

Vorschlag einer zivilen Katastrophenhilfe Deutschlands

unter dem Dach der UN im Leitantrag ein zukunsts-

weisender friedenspolitischer Weg.

Ganz ins Gegenteil gehen die aktuellen programm-

atischen Aufweichungsversuche aus dem Forum de-

mokratischer Sozialismus. Einmal mehr wird dafür der

Begriff der „Einzelfallprüfung“ , wie schon auf dem

PDS-Parteitag von Münster im Jahr 2000 verwendet,

um DIE LINKE für Auslandseinsätze der Bundeswehr

zu begeistern. Der mit großer Mehrheit vom Parteivor-

stand beschlossene Konsens „Die Bundeswehr muss

aus allen Auslandseinsätzen zurückgeholt werden.“

wird mit Verweis auf den Grünhelm-Vorschlag von

Oskar Lafontaine attackiert, um die beabsichtige Öff-

nung des Programms für Kriegs – und Auslandsein-

sätze der Bundeswehr zu erreichen. Das ist besonders

deshalb absurd, weil Oskar Lafontaine sich schon

mehrfach gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr

stellte und sogar konstatierte: „Mit Auslandseinsätzen

holt Deutschland sich den Terror ins Land“. Zudem ist

die Bundeswehr keine internationale Helfertruppe, und

als solche nicht ausgebildet. Vorschläge, sie beispiels-

weise nach Fukushima zu entsenden, sind nicht nur

realitätsfern, sondern gehen völlig an der gesamten Ka-

tastrophenschutz-Problematik vorbei. DIE LINKE steht

für die Beendigung der zivil-militärischen Zusammen-

arbeit. Wir wollen einen rein zivilen Katastrophen-

schutz von Profis, die dafür ausgerüstet und vor allem

ausgebildet sind. Deshalb: Soldaten werden zum Töten

ausgebildet und nicht zum Schutz von Menschenleben

oder zur Hilfe bei Katastrophen. Dafür sind die huma-

nitären Organisationen und Katastrophenschutzorga-

nisationen da. Wir lehnen die Instrumentalisierung von

menschlichem Leid, um die Entsendung der Bundes-

wehr legitimieren zu können, ab. So bleibt DIE LINKE

Antikriegs- und Friedenspartei. ●

Heike Hänsel ist Vorsitzende desUnterausschusses „Vereinte Nationen,internationale Organisationen undGlobalisierung“ im Bundestag und

entwicklungspolitische Sprecherinder Linksfraktion.

Ruth Firmenich ist Mitglied im SprecherInnenratder Bundesarbeitsgemeinschast Frieden und

Internationale Politik der LINKEN.

Völkerrecht verteidigen!Die Linke muss für die Stärkung der zivilen Strukturen der Un eintreten.

Freiheit durch SozialiSmuS - zeitung zur Programmdebatte - 2/2011 FRIEdEn |

Bereits die PDS lehnte Blauhelmeinsätze der

Bundeswehr ab.

Page 8: Freiheit durch Sozialismus 2/2011

Von Wolfgang Gehrcke und Christiane Reymann

Vielen Linken ist sie vertraut, sie haben die In-

ternationale gesungen, gesummt, mit oder ohne

erhobene Faust, fühlend, dass Menschenrechte

nicht allein national, sondern im internationalen Ver-

bund erkämpst werden. Internationale in diesem Sinn

gab es einige. Manche existieren nicht mehr, so die

Kommunistische Internationale, untergegangen an

einem Mangel an Demokratie, strategischer Klarheit,

aufgelöst, als sie

Stalin nichts mehr

nützte. Andere gibt

es noch, darunter die

Sozialistische Inter-

nationale sozialde-

mokratischer Parteien, sie wirkt weltweit

konterrevolutionär. Es gibt gute Gründe, zu einer In-

terna- tionalen als Zusammenschluss von Parteien auf

Distanz zu gehen, und doch fehlt etwas.

Vor über 150 Jahren analysierten Marx und Engels

im Kommunistischen Manifest, dass das Kapital auf

seiner Jagd nach Profit um den Erdball rast, alle Konti-

nente unterwirst, aber zugleich seine Totengräber her-

vorbringt in Form der Arbeiterklasse. Doch bis heute

haben wir es nicht geschafft, dem räumlich und zeitlich

entgrenzten Kapitalismus eine politische Krast entge-

genzusetzen. Internationale Bewegungen konnten zwar

wichtige Erfolge erzielen etwa gegen die Apartheid in

Südafrika, den Vietnamkrieg, auch gegen Kinderarbeit

oder für Klimaschutz. Die Sozialforen – weltweit, kon-

tinental, in den Ländern – entwickeln eigene Formen

des globalen Widerstands im Austausch politischer und

sozialer Erfahrun-

gen. Sind das schon

die Totengräber?

Zu Marx‘ und

Engels‘ Zeiten ging

das Gespenst des

Kommunismus in Europa um, nicht weltweit, und die

Proletarier aller Länder, die sich vereinigen sollten,

waren eher männlich und hellhäutig. Im vergangenen

Jahrhundert stießen die unterdrückten Völker dazu.

Reicht es, die Subjekte fortdauernd zu erweitern etwa

um Frauen, Landbevölkerung, indigene Ethnien oder

müssen wir nicht zugleich den Blick schärfen für die

aktuellen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhält-

nisse? Dazu gehören das Patriarchat, die Selbstausbeu-

tung, die Enteignung und Privatisierung der Natur, der

Gene, des Wassers, kurz: alle Formen heutiger Produk-

tion von Mehrwert und seiner Verwandlung in Profit.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts muss das Pro-

gramm der LINKEN die globalen Verwertungsbedin-

gungen des Kapitals und die Gegenkräste erst noch

präzise erfassen und den Anspruch einlösen, welt- und

umweltverträglich zu produzieren, zu konsumieren, zu

verteilen und somit anders zu leben. Um ihrer selbst

willen muss die LINKE mit dem Eurozentrismus bre-

chen, jede eigene Forderung auf ihre globalen Wirkun-

gen überprüfen und auf dem ganzen Erdball die

vielfältigen Formen und Folgen von mehr Gemeineigen-

tum, mehr Geschlechterpolitik, Ökologie, Demokratie,

mehr Internationalismus erkunden. Dann kann sie bes-

ser weltweiten Widerstand und gemeinsames Nach-

denken über Strategie und Taktik befördern. Das wäre

antiimperialistische Politik heute, zu der wir nicht nur

„Die Internationale erkämpst das Menschenrecht“ sin-

gen, sondern sie erklären und einlösen. Mit der Forde-

rung nach der Gründung einer neuen Internationalen

in ihrem Grundsatzprogramm kann DIE LINKE ein

wichtiges Zeichen setzen, dass sie diesen Anspruch

ernst nimmt. ●

Wolfgang Gehrcke ist Mitglied imParteivorstand DIE LINKE und im

Fraktionsvorstand der Bundestagsfraktion.

Christiane Reymann ist aktiv in derfeministischen BundesarbeitsgemeinschastLISA der LINKEN und Delegierte zum

Kongress der Europäischen Linkspartei.

8

Für eine neueInternationale

Es rettet uns kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun.

Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!

Von Fabio de Masi und Sabine Lösing

Die LINKE ist eine demokratische Erneuerungs-

bewegung. Sie muss die Interessen der Bevöl-

kerungsmehrheit gegen die „Diktatur der

Finanzmärkte“ verteidigen. Das unterscheidet sie von

anderen Parteien.

DIE LINKE hat eine große Chance. Sie ist die einzige

Partei, die sich mitten in der schwersten Wirtschasts-

und Finanzkrise seit 80 Jahren ein Pro-

gramm gibt. DIE LINKE kann Köpfe und

Herzen gewinnen, während sich andere

Parteien der Realität verweigern. Der Pro-

grammentwurf der LINKEN bietet dafür

gute Voraussetzungen.

Wir erleben eine neue Epoche des Kapitalismus: Die

Bevölkerungsmehrheit wurde um Lohn und soziale Si-

cherheit gebracht. Wachsender Konsum wurde statt-

dessen durch eine Kreditblase finanziert. Die Blase ist

geplatzt, der „Klassenkampf von oben“ ist eröffnet.

Die Bevölkerungsmehrheit bezahlt nun die Krise.

Gerettet werden Banken, nicht Griechen, Iren oder Por-

tugiesen. Die Kürzungspakete in den Krisenstaaten

drücken die Wirtschast unter Wasser, während Finanz-

haie risikolos hohe Zinsen für Staatsschulden kassie-

ren.

Die zentrale Ursache der Schuldenkrise in Europa

– das deutsche Lohndumping – ist nicht behoben. Denn

verkaust ein Land wegen billiger Löhne dauerhast mehr

Waren und Dienstleistungen an das Ausland als es von

dort einkaust, müssen sich die Han-

delspartner verschulden.

In den nordeuropäischen Län-

dern erhalten Rechtspopulisten

Austrieb, während Souveränität

und Demokratie in den Krisenstaaten an die Finanz-

märkte und ihre Staatsanwälte des IWF, der EZB und

der EU verkaust werden.

Der europapolitische Abschnitt des Programment-

wurfs greist diese Entwicklung nunmehr auf. Er betont,

warum unser Nein zum Vertrag von Lissabon richtig

war und die Krise und die europäische Vertragsarchi-

tektur siamesische Zwillinge sind: Selbst linke Regie-

rungen müssen sich an die geltenden EU-Verträge hal-

ten. Der Kampf um andere Mehrheiten in Europa reicht

daher nicht: Die Forderung nach einer Neugründung

der EU ist unverzichtbar. Selbst der SPD-Vorsitzende

Sigmar Gabriel spricht nunmehr davon.

Die Forderungen der Linken sollten zudem um ein

wichtiges Instrument ergänzt werden: Banken leihen

sich billiges Geld bei der EZB und verleihen es zu Wu-

cherzinsen an Euro-Staaten. Das ist ein Schutzschirm

für Finanzhaie. DIE LINKE fordert, Staatskredite direkt

über eine öffentliche Bank zu niedrigen Zinsen auszu-

reichen – ohne Umweg über die privaten Geschästsban-

ken.

Viele Menschen wenden sich von Europa und den

etablierten Parteien ab. Sie wissen, dass gegen sie re-

giert wird. Sie spüren die Ohnmacht gegenüber Brüssel

genauso wie die Macht der anonymen Finanzmärkte.

Der Widerstand findet auf den öffentlichen Plätzen in

Athen, Madrid, Lissabon und Dublin statt. Das hat

nichts mit nationaler Romantik zu tun, sondern mit

Demokratie. Ohne linke Kritik der EU werden Wutbür-

ger uns nicht zuhören. Der Programmentwurf gibt lin-

ker Politik eine Stimme: in Berlin wie in Brüssel. ●

Fabio de Masi ist einer der BundesprecherInnender Sozialistischen Linken (SL).

Sabine Lösing ist für DIE LINKEAbgeordnete im Europäischen Parlament.

Nein zum Europa der Banken nur mit einer Revision der Verträge der europäischen Union wird dieUrsache für die euro-krise behoben.

Europa neugründen„

ein internationalistischer Anspruch ist für eine linke Partei unerlässlich.Die Forderung nach Gründung einer neuen internationalen wäre einwichtiges Zeichen, dass Die Linke diesen Anspruch ernst nimmt.

| InTERnATIonAlE Freiheit durch SozialiSmuS - zeitung zur Programmdebatte - 2/2011

Page 9: Freiheit durch Sozialismus 2/2011

Von Diether Dehm

Bei den Parlamentswahlen im April 2011 in

Finnland erhielt die rechtspopulistische Partei

"Wahre Finnen" 19 Prozent. Im Wahlkampf

hatte sie vor allem gegen das Bankenrettungspaket

der EU Stimmung gemacht. Finnland ist kein Einzel-

fall. Ähnliche Entwicklungen sind auch anderswo in

Europa zu beobachten. Bereits 2009 wurde in Norwe-

gen die dortige rechtspopulistische Fortschrittspartei

zur zweitstärksten Krast im Parlament. Rechtspopulis-

tische Parteien nehmen Unsicherheiten und Ängste in

der Bevölkerung auf und kanalisieren diese mit ihrer

programmatischen Klaviatur aus nationalistischen

und rassistischen Anklängen in gefährlicher Weise.

Bevor Anders Breivik zum Massenmörder wurde, war

er zunächst nicht in neonazisti-

schen Kreisen, sondern bei

Rechtspopulisten aktiv.

Rechtspopulisten verbinden

ihre rassistische Hetze mit Ab-

wehr einer europäischen Integration, wobei Postfa-

schist Fini für den Lissabon-Vertrag wirbt und Le Pen

dagegen. Besonders in Krisenzeiten sind sie damit

dort erfolgreich, wo ihnen die Kräste der Aufklärung

das durchgehen ließen und verschwiegen, dass diese

EU im rechtlichen Kern asozial, antikommunistisch, ja

auch antisozialdemokratisch ist. Durch Frontex usw.

ist die EU mit Neorassismus aufgefüttert und produ-

ziert Neorassismus zugleich, indem sie lohnabhängig

Beschästigte gegeneinander ausspielt. Dies findet sich

auch in Breiviks Manifest wieder. Diese aktuell so kon-

stituierte Festung aus Eliten, die EU heißt, ist Gist

gegen eine demokratische Integration Europas.

Überall haben die Rechten damit den Linken er-

hebliche Prozente weggehauen, wo Linke jegliche ra-

dikale EU-Kritik kampflos anderen überließen. Es hat

sich als selbstmörderisch erwiesen, wenn Linke mein-

ten, "sich schützend vor die EU stellen zu müssen oder

zu können" und ihre Kritik darum mäßigten. Gegen-

wärtig findet in der EU eine klassische Blitzableiter-

strategie der Rechten statt, mit der auf Dauer kein

Vakuum bleibt: Entweder die Linke wagt das müh-

same, aber populäre Benennen der Verursacher und

Profiteure, vor allem die Deutsche Bank - oder die

Rechte füllt "das Vakuum

rassistisch mit ihren Sün-

denböcken". Das ist der

Unterschied von populä-

rem zum demagogischen

Konstrukt des Populismus!

Breiviks antikommunistische und neorassistische

Gedankenwelt ist die von Broder, Rorty, Wilders und

Sarrazin in ihrem Hass auf Linke, Muslime, Palästi-

nenser und Andersdenkende. Es wäre naiv zu glauben,

dass sich eine Tat wie in Norwegen in Deutschland

nicht ereignen kann. Auch hier ist der Rechtspopulis-

mus - gesellschastlich weitgehend toleriert wenn nicht

sogar befördert - auf dem Vormarsch. Bis heute hat

etwa die SPD Sarrazin nicht aus der Partei ausge-

schlossen. Der Grund für seinen Erfolg liegt darin, dass

er an realen Problemen ansetzt, jedoch dann den Zorn

vom Konflikt zwischen oben und unten ab- und auf

Herkunst und Religion umlenkt. Die Empörung dazu

wird auch durch die Politik der EU verursacht. Ange-

sichts eines europaweiten Sozialabbaus, der insbeson-

dere durch den Lissabon-Vertrag und die als

Euro-Rettungspakete getarnte Bankenrettung forciert

wird, verarmt ein Großteil der Bevölkerung und wer-

den auch Mittelschichten in den Abstieg getrieben.

DIE LINKE steht hier vor einer großen Herausfor-

derung: In den letzten Jahren ist es ihr gelungen, ihre

Forderungen populär zu machen und zu verdeutli-

chen, dass die Ursache für die Probleme die herr-

schende Politik ist. Damit gilt DIE LINKE europaweit

als Erfolgsprojekt. Ihre linke Antwort auf die rechte

Gefahr muss weiterhin lauten: Konsequente Politik

für soziale Gerechtigkeit und Frieden! Wir müssen die

Wut und die Empörung grundgesetzförmig demokra-

tisieren, damit Solidarität statt Ausgrenzung möglich

wird. Zu Recht wird im Leitantrag der Neustart der

EU mit einer entschiedenen Veränderung des Primär-

rechts gefordert. Statt, wie in den EU-Verträgen, die

Kontrolle des Kapitalverkehrs zu verbieten, fordern

wir die öffentliche Kontrolle des gesamten Kredit-

und Ratingsektors, deren konsequenteste Form die

Vergesellschastung ist. ●

Diether Dehm ist Mitglied im Parteivorstandder LINKEN und europa- und

mittelstandspolitischer Sprecher derBundestagsfraktion.

Von Ellen Brombacher

„Unsere antifaschistische Praxis“, so der Pro-

grammentwurf, „ist dem Schwur von Buchenwald ver-

pflichtet: >>Die Vernichtung des Nazismus mit seinen

Wurzeln ist unsere Losung, der Aufbau einer neuen

Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel<<“.

Dieser Schwur blieb leider aktuell. Stimmt die Formu-

lierung im Programmentwurf, dass die Idee einer so-

zialen Marktwirtschast eine

Antwort auf den Schock von Krise,

Faschismus und Krieg war und

daher aus den Erfahrungen mit

einem entfesselten barbarischen

Kapitalismus resultierte, so gilt es,

über den Umkehrschluss gründlicher nachzudenken.

Der besagt, dass die Rückkehr zu einem offen asozialen

Kapitalismus - besonders seit Beginn der 90er Jahre

des 20. Jahrhunderts - aus dessen Entfesselung resul-

tiert und seine barbarischen Züge auch in den bürger-

lichen Demokratien wieder deutlicher in den

Vordergrund treten lässt. Es gibt, z.B. in Europa, durch-

aus Faschisierungstendenzen. Die antikapitalistische

Kritik im Programmentwurf könnte dahingehend prä-

zisiert werden, dass die aus Sozial- und Demokratie-

abbau resultierenden gesellschastlichen Gefahren

schärfer herausgearbeitet werden. Besonders wichtig

ist das Bekenntnis zum Kampf gegen jegliche Spielar-

ten des Rassismus.

Und noch etwas: Es ist sehr zu begrüßen, dass der

Parteivorstand entschieden hat, im Programment-

wurf nicht wie ursprünglich formuliert, den Begriff

des Nationalsozialismus zu verwenden. Denn

den von den deutschen Faschisten zur Selbst-

bezeichnung gewählten, gleichermaßen

demagogischen wie verlogenen Begriff dürfen wir

nicht übernehmen. Die deutschen Faschisten waren

weder national noch sozialistisch. Die Sozialisten

haben sie abgeschlachtet und die „eigene“ Nation in

Trümmer und Asche gelegt und mit unendlicher

Schande bedeckt. Den NS-Begriff mit der Begründung

bewahren zu wollen, er reflektiere die Einmaligkeit

deutscher Schuld an der Shoa, ist nicht überzeugend.

Es bedarf keines verkommenen Begriffs, um in Erin-

nerung zu halten, dass das unvorstellbarste Verbre-

chen des 20. Jahrhunderts in deutscher Verantwortung

geschah, untrennbar mit Deutschlands imperialisti-

schem Krieg verbunden. ●

Ellen Brombacher ist Mitglied imBundesprecherInnenrat der KommunistischenPlattform in der LINKEN.

9

Dem Schwur von Buchenwald verpflichtet Die Linke muss den kampf gegen jegliche Spielarten des Rassismusaufnehmen.

Der Aufbau einer neuenWelt des Friedens und derFreiheit ist unser Ziel „

Gegen rassistischeHetze „

Rechtspopulismus europaweit bekämpfen! Die unsoziale Politik der eU muss in den Fokus genommen werden. nur so lässt sich Rechtspopulismus wirksam entgegentreten.

Freiheit durch SozialiSmuS - zeitung zur Programmdebatte - 2/2011 AnTIFAschIsmus |

Hans Jürgen Steglich / pixelio.de

Page 10: Freiheit durch Sozialismus 2/2011

10

Von Sabine Wils

„Die Gesellschast braucht einen sozial-ökologi-

schen Umbau, um Mensch und Natur nicht weiter den

zerstörerischen Strukturen des Kapitalismus auszuset-

zen. Dieser kann keine Zukunst haben, da er, neben der

massiv praktizierten sozialen Ungerechtigkeit, die

Natur und ihre begrenzten Ressourcen zur Strecke

bringt.“ Mit solchen Aussagen im Leitantrag grenzt

sich DIE LINKE wohltuend von anderen Parteien ab,

die einen grünen Kapitalismus für möglich und erstre-

benswert halten. Dies gilt insbesondere für die Grünen,

die nicht müde werden, ihr Leitbild des „Green New

Deal“ zu propagieren. Zu Recht hat Oskar Lafontaine

dieses Leitbild auf dem Programmkonvent im vergan-

genen Jahr in Hannover als Mogelpackung charakte-

risiert. Denn wer - wie die Grünen - die

Eigentumsfrage nicht stellt, wird die ökologische Frage

nicht lösen können. Das Leitbild des „Green New Deal“

schließt weiteren Standortwettbewerb innerhalb der

EU und zwischen der EU und anderen globalen Wirt-

schastsregionen ein. Im ökologischen Umbau der Ge-

sellschast wird ein Faktor für den Sieg im globalen

Wirtschastskrieg gesehen. Es ist am Ende nur ein grün

angestrichener Kapitalismusentwurf. DIE LINKE ver-

bindet dagegen in ihrem Programmentwurf den so-

zial-ökologischen Umbau der Gesellschast mit der

Absage an die kapitalistische Wirtschastsordnung. Die-

ser Grundsatz muss im Forderungsteil des Programm-

entwurfes an einzelnen Stellen noch konkretisiert

werden. Ein Beispiel hierzu ist die Positionierung zu

CCS. Im Programmentwurf steht: „Technische Lösun-

gen wie die Kohlendioxidspeicherung haben unkalku-

lierbare Risiken und Nebenwirkungen und verzögern

nur den notwendigen Umbau.“ Das ist richtig. Kohle

ist keine Alternative, auch nicht mit CCS. Die hier eher

vage Formulierung muss konkreter werden. In das

Programm gehört ein klares Verbot von CCS. Das ist

wichtig, da die Kohlendioxidspeicherung tödliche Ri-

siken birgt, das Trinkwasser in der Region gefährdet

und nur der Profitsteigerung der großen Energiekon-

zerne dient. Wenn DIE LINKE an ökologischem Profil

gewinnen will, dann darf sie von solchen klaren Posi-

tionen auch in ihrer konkreten Politik nicht abwei-

chen.

Mit seinen umfassenden Darstellungen zur Zentra-

lität der ökologischen Frage widerspricht der Pro-

grammentwurf den Kritikern in der LINKEN, die ihrer

eigenen Partei immer wieder fehlende Kompetenz in

ökologischen Fragen unterstellen oder ihren Fokus auf

die soziale Frage als „Ein-Punkt-Partei“ diffamieren.

Denn es wird deutlich: Mit ihrer Forderung nach einer

anderen Eigentumsordnung und ihrem ausgearbeite-

ten Konzept für einen sozial-ökologischen Umbau der

Gesellschast hat DIE LINKE eine klare Antwort auf die

ökologische Frage. Die Herausforderung besteht darin,

dies auch nach außen zu vermitteln. Nach wie vor gel-

ten die Grünen bei weiten Teilen der Bevölkerung als

die einzige Partei mit klarem ökologischem Schwer-

punkt, was ihnen nach der Katastrophe in Fukushima

zu großen Wahlerfolgen verhalf. Um dieses Image an-

zugreifen, wäre eine Anbiederung der LINKEN an die

Grünen allerdings der grundfalsche Weg. Denn da-

durch droht eben das Alleinstellungsmerkmal der LIN-

KEN zu verwischen. Notwendig ist stattdessen eine

kritische Auseinandersetzung mit den Grünen, die Ka-

pitalismus und Krieg mit der Ökologie für vereinbar

halten.

Sabine Wils ist Mitglied im Parteivorstand derLINKEN und im BundessprecherInnrat der BAGBetrieb und Gewerkschast sowie Mitglied desEuropäischen Parlaments.

Die Zentralität der ökologischen Frage

Verbot von CCS insProgramm „

Um die ökologische Frage zu lösen, muss die eigentumsfrage gestellt werden.

Auszug aus der Rede von Oskar Lafontaine

beim Programmkonvent in Hannover am 7. No-

vember 2010:

„…Und selbstverständlich gönnen wir als faire

Sportsleute den Grünen jetzt die guten Umfrage-

ergebnisse. Aber das entbindet uns nicht von der

Verpflichtung, uns mit dieser Partei auseinander-

zusetzen und zu sagen: Krieg ist die schlimmste

Form der Umweltzerstörung. Eine Umweltpartei

kann nicht Kriege befürworten. Und wir müssen

der Partei der Grünen sagen, dieses Konzept der

Green Economy oder New Green Deal, oder was sie

alles erzählen – ist ja schon interessant, dass man

Anglizismen bemühen muss –, das ist ein Placebo,

das ist eine Mogelpackung. Wer die Eigentums-

frage nicht stellt, wird die ökologische Frage nicht

lösen können. Das ist unsere Sonderstellung hier

als Partei DIE LINKE. Und wir werden ja mittler-

weile, liebe Freundinnen und Freunde, aus der

Wissenschast unterstützt. Der Nobelpreis für Wirt-

schast 2009 – und ich empfehle allen, daran anzu-

knüpfen – ist an eine Wissenschastlerin verliehen

worden. Elinor Ostrom, die erforscht hat, dass Ge-

meinschastseigentum ökologischer verwaltet wird

als Privateigentum. Ja, selbst wenn das in der klas-

sischen Wissenschast erforscht wird, da sind wir,

DIE LINKE, doch gehalten, darauf hinzuweisen:

Gemeinschastseigentum ist viel, viel eher in der

Lage, zu umweltgerechtem Verhalten zu führen

als Privateigentum. Und wir schieben noch eine

Begründung nach: Nur mit Gemeinschastseigen-

tum lernt man verantwortungsvolles Handeln. Das

ist der entscheidende Punkt. Auch verantwor-

tungsvolles Handeln gegenüber der Natur. Und

noch etwas an die Adresse der Grünen. Wir können

nicht zulassen, dass die ökologische Frage von der

sozialen Frage abgekoppelt wird. Die Grünen sind

mittlerweile die Partei der Besserverdienenden.

Eine „Ökologiepolitik“, die dazu führt, dass nur die

Wohlhabenden sich Autos und Fernreisen leisten

können – eine solche Ökologiepolitik muss DIE

LINKE in Frage stellen!“

Nur Gemeinschastseigentumist ökologisch

Bild: www.linksfraktion.de

| ÖKoloGIE Freiheit durch SozialiSmuS - zeitung zur Programmdebatte - 2/2011

Page 11: Freiheit durch Sozialismus 2/2011

Von Ida Schillen

Es sollte die feministische Eröffnung des Grund-

satzprogramms werden. Doch das achtseitige

Papier mit dem Titel „Kämpfe um Zeit“ und mit

dem Inhalt der Vier-in-Einem-Perspektive wurde nicht

als Antrag in die Programmdebatte des Parteivor-

stands eingebracht, daher dort weder erörtert noch in

den Leitantrag aufgenommen. Möglicherweise wird

das Papier zum Programmparteitag im Herbst als An-

trag vorgelegt, so dass eine Kommentierung ange-

bracht ist. Hier und da wird darüber diskutiert, mit

unterschiedlichen Wertungen quer durch die Strö-

mungen.

Was ist eigentlich die Vier-in-Einem Perspektive?

So fragen Viele, denn der mathematisch-sperrige Be-

griff erschließt sich inhaltlich nicht aus dem Wort he-

raus. Die Verfasserinnen um Frigga Haug leiten den

Begriff aus der Kritik an der Arbeitsteilung her und

konstatieren, dass die „Verfügung über Zeit als Grund-

lage aller Herrschast“ anzusehen sei. Sie wollen das

Problem durch die Vierteilung der Zeit überwinden,

indem sie „ein Viertel Erwerbsarbeit, ein Viertel Repro-

duktionsarbeit, ein Viertel Muße, Kunst und Kultur

und um das Ganze komplett zu machen ein Viertel Po-

litik“ vorgeben. Unklar bleibt, ob es sich dabei um die

Zeiteinteilung eines Tages, einer Woche, eines Jahres

oder der gesamten Lebenszeit handelt. Der Text leitet

mit dem Credo ein: „Die Zeit soll denen gehören, die

sie leben“ . Das hört sich zunächst bestechend an. End-

lich Zeit für mich, endlich weniger arbeiten, endlich

weniger kochen, waschen,

putzen, endlich selbst über

„meine“ Zeit bestimmen. Es ist

interessant, über die Nutzung

der Zeit nachzudenken. Bei

näherem Hinsehen stellt sich

jedoch heraus, dass das sche-

matische starre Konzept der Vierteilung eine Bevor-

mundung darstellt. Was ist, wenn ich die

Reproduktionsarbeit, vor allem die lästige Hausarbeit,

auf ein Minimum reduzieren und daneben nur noch

Politik machen will? Oder wenn ich überhaupt keine

Politik machen will? Die Freiheit, über meine Zeit zu

bestimmen, wird durch das starre Schema wieder zu-

nichte gemacht. Unklar bleibt auch der kulturelle und

regionale Bezugsrahmen der Vier-in-Einem Perspek-

tive. Soll sie auch im internationalen Rahmen gelten -

für die Bäuerin in den Anden, den Hochseefischer und

die Politikerin in Berlin gleichermaßen?

Das Vier-in-Einem-Konzept wird als „Antwort auf

eine Jahrtausende währende Geschichte von Frauen-

unterdrückung“ gesehen. Klingt das nicht ziemlich an-

maßend? Die Geschichte der Feministinnen ist

begleitet von Kämpfen für Freiheit, Gleichheit und

Selbstbestimmung und Kämpfen gegen Männerge-

walt. Die Unterwerfung von Frauen unter männliche

und staatliche Herrschast wurde stets durch Gewalt

und materielle, rechtliche und kulturelle Diskriminie-

rung praktiziert und ist bis heute nicht überwunden.

Das Problem der fremdbestimmten und ungleichen

Verteilung der Zeit ist lediglich eine Folge davon und

nicht die Ursache. Eine Reduktion der feministischen

Kämpfe auf einen Kampf um die Zeit ist vereinfachend

und verharmlosend.

Von einer Perspektive, die sich als feministisch und

sozialistisch begreist, sollte erwartet werden, dass sie

die zentralen Forderungen der feministischen Bewe-

gung aufgreist und die aktuellen Verteilungsprobleme

löst. Auf ungleiche Löhne, un- und unterbezahlte Frau-

enarbeit und ungleiche Eigentumsverhältnisse zwi-

schen Frauen und Männern gibt Vier-in-Einem keine

Antwort. Kernforderungen der Feministinnen, das

Recht auf den eigenen Körper, der Kampf gegen den

§218 und sexuelle Misshandlungen, werden durch

Vier-in-Einem weder angesprochen noch gelöst. Die

vorgeschaltete historische Analyse erscheint wie der

Versuch, die Weltgeschichte an vier Fingern zu erklä-

ren. Es mag interessant sein, Zeitmodelle zu entwer-

fen. Als feministisches Konzept im linken

Grundsatzprogramm ist das Zeitmodell der Vier-in-

Einem-Perspektive nicht geeignet.

Ida Schillen ist Mitglied im Parteivorstand derLINKEN.

11

Feminismus für AlleDie Vier-in-einem-Perspektive gibt keine Antwort auf ungleiche Löhneund ungleiche eigentumsverhältnisse

Gemeinsam gegen Niedriglöhne! Für ein gutes Leben! Bild: Bildarchiv Yeni Hayat/Neues Leben

Freiheit durch SozialiSmuS - zeitung zur Programmdebatte - 2/2011 FEmInIsmus |

Kernforderungender Feministinnenaufgreifen „

ImpressumFreiheit durch Sozialismus - Zeitung zur Programmdebatte in der LINKEN, Ausgabe 2 (2011)

V.i.S.d.P: Sevim Dagdelen, MdB, Platz der Republik 1, 11011 Berlin;

Redaktion: Ruth Firmenich, Martin Hantke, Nele Hirsch, Alexander Neu, Ida Schillen

Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Für sie sind die jeweiligen AutorInnen verantwortlich.

Layout und Satz: Kurtulus Mermer Bilder: www.pixelio.de, Linksfraktion, DIE LINKE

Kontakt: [email protected] Web: www.freiheit-durch-sozialismus.de

Page 12: Freiheit durch Sozialismus 2/2011

Konferenz zur Programm- und Strategiedebatte in

der LINKEN am Samstag, den 8. Oktober 2011 in

Berlin

DIE LINKE gibt sich ein Programm - in turbulenten Zei-

ten. Europa ächzt unter Sozialabbau und Bankenrettung,

in Afghanistan und Libyen führt die NATO Krieg und der

Kapitalismus verschärst die ökologische Krise.

DIE LINKE ist eine demokratische Erneuerungsbewe-

gung. Wir brauchen daher ein Programm für die Mehr-

heit. Im doppelten Sinne: Wir müssen die Interessen der

Bevölkerungsmehrheit gegen die Diktatur der Finanz-

märkte vertreten. Und wir brauchen ein Programm, das

die breite Unterstützung der Partei hat.

Wir wollen den Kapitalismus überwinden und eine sozia-

listische Demokratie schaffen. Uns bewegt die Frage,

wie wir das gemeinsam erreichen können. Wir laden

daher zu einer Programmkonferenz ein: am Samstag,

den 8. Oktober 2011 ab 11.00 Uhr in Berlin.

Kurs halten - Ein Programm für die Mehrheit

11.00 Uhr: Begrüßung und Einstieg: Nele Hirsch und Fabio de Masi

11.30 Uhr: Sahra Wagenknecht: Alternativen zur herrschenden Politik und zum kapitalistischen System:

12.00 Uhr: Podium I „Für eine antikapitalistische LINKE!“» Martin Hantke: Enteignung stoppen:Gesellschastliches Eigentum undDemokratischer Sozialismus. » Ralf Krämer: Gute Arbeit, gutes Leben:Sozialstaat erneuern.» Ida Schillen: Frau und Herr: Feminismus alsHerrschastskritik. » Heinz Bierbaum: Empört Euch: Demokratiebraucht Bewegung. Moderation: Steffi Graf

Anschließend: Diskussion im Plenum

13.30 Uhr: Mittagspause

14.30 Uhr: Podium II „Konsequent gegen Militarisierung und Krieg! Für eine internationalistische LINKE!" » Erhard Crome: Kein Frieden mit dem Krieg,Europa neu gründen.» Sevim Dagdelen: Partei des Völkerrechts:UNO entmilitarisieren - NATO auflösen. » Ellen Brombacher: Haltelinien - Bundeswehrals strikte Verteidigungsarmee. » Wolfgang Gehrcke: Internationale Solidaritätheute. Moderation: Alexander Neu

Anschließend: Diskussion im Plenum

16:00 Uhr: Oskar Lafontaine: Strategische Herausforderungen der LINKEN

17.00 Uhr: Ende der Veranstaltung

Weitere Informationen: http://www.freiheit-durch-sozialismus.de

Vorgesehener Ablauf:

Jetzt unterschreiben:

www.linke-fairplay.de

4. September: AKL-Programm-konferenz in Berlin

8. September: Antragsschluss fürAnträge und Leitanträge zumBundesparteitag

22. September: freiwilliger An-tragsschluss für Änderungsan-träge zum Leitantrag (DerParteivorstand bittet darum, imInteresse einer guten Parteitags-vorbereitung, möglichst alle Än-derungsanträge bis zu diesemZeitpunkt einzureichen)

24./25. September: Frauenple-num des Bundesparteitages imRahmen der Bundesfrauenkon-ferenz in Magdeburg

6. Oktober: offizieller Antrags-schluss für Änderungsanträgezum Leitantrag

8. Oktober: Programmkonferenz„Kurs halten – ein Programm fürdie Mehrheit“ in Berlin

21.-23. Oktober: Bundespartei-tag in Erfurt mit Abstimmungüber den Leitantrag zum Pro-gramm, anschließend: Mitglie-derentscheid

18. Dezember: Verkündung desErgebnisses des Mitgliederent-scheids

Zur Behandlung im Plenumwerden auf dem Bundespartei-tag nur die Änderungsanträgevorgeschlagen, die eingereichtwerden von:

▶ Landes-, Kreis- und Ortsverbän-den oder

▶ bundesweiten Zusammen-schlüssen oder

▶ Jugend- oder vom Studierenden-verband oder

▶ Organen der Partei oder▶ Kommissionen des Parteitages

oder ▶ mindestens 25 Delegierten

(Diese Unterschristen müssenbis zum Antragsschluss, nichtbis zum Beginn des Parteitagesvorliegen.)

In die Programmdebatte einmi-schen:

▶ Erarbeitet Änderungsanträgeund stellt sie in Eurer BO, EuremKreis- bzw. Landesverband zurDiskussion und werbt um Un-terstützung dafür. Bei der Suchenach ReferentInnen für Pro-grammveranstaltungen sind wirEuch gerne behilflich.

(Kontakt: [email protected])

▶ Beteiligt Euch an den Pro-grammkonferenzen und mobili-siert dafür in Eurem Umfeld!

Stationen der Programmdebatte:

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Bestellungen an das Büro WolfgangGehrcke (E-Mail:[email protected] oderFax 030 227-76185) bzw. an den VerlagPapyRossa (E-Mail: [email protected] Fax 0221-444305)