Frida und das Wolkenkuckucksheim

10
Papierfresserchens MTM-Verlag

description

Leseprobe. Frida ist wütend. Seitdem sie ein Schulkind ist, hat sie das Gefühl, dass die Erwachsenen um sie herum ziemlich merkwürdig geworden sind. „Hör auf zu träumen!“, hört Frida jetzt immer häufiger. Und wenn sie malt - schließlich möchte sie Malerin werden! - sind den Erwachsenen auf einmal ihre Wolken zu gelb, das Wasser zu pink, der Regenbogen zu schwarz, die Sonne zu grün oder die Blätter an den Bäumen zu blau. Nach einem heftigen Streit mit Mama beschließt Frida, all ihre Mal-Utensilien der großen Mülltonne im Hof zu überlassen und damit symbolisch ihren heimlichen Traum, Malerin zu werden, aufzugeben.Doch dann erinnert sie sich zum Glück an das Geheimnis, das Oma ihr verraten hat: „Unsere Leuchtturm-Scheune, Frida“, hat sie gesagt, „ist in Wahrheit ein Wolkenkuckucksheim. Das ist so etwas wie ein Hotel, ein Heim und ein Pfandhaus für Träume.“ Ein Ort, an dem nicht verwirklichte Träume von Menschen lebendig bleiben? Ja, den gibt es. Und Frida findet ihn …

Transcript of Frida und das Wolkenkuckucksheim

Page 1: Frida und das  Wolkenkuckucksheim

Papierfresserchens MTM-Verlag

Page 2: Frida und das  Wolkenkuckucksheim

Für meine JungsEmil & Cajus

Page 3: Frida und das  Wolkenkuckucksheim

Text und Illustrationen:

Papierfresserchens MTM-Verlag

Frida und das

Wolkenkuckucksheim

Kim Kirschey-Jacobs

Page 4: Frida und das  Wolkenkuckucksheim
Page 5: Frida und das  Wolkenkuckucksheim

Hallo! Ich bin die Frida! Wenn ich groß bin, möchte ich Malerin werden.

5

Page 6: Frida und das  Wolkenkuckucksheim

Vor vier Jahren sind Mama und Papa mit mir hier in das kleine Haus auf dem Land gezogen, weil in der Stadt kaum Platz zum Spielen und To-ben für Kinder war, hat Mama gesagt. Das Haus war früher mal ein Kuhstall.

Heute verraten nur noch die tiefen Decken und die Aufteilung der Räume, dass hier ursprünglich Kühe und nicht Menschen zu Hause waren.

Aber keine Angst, es riecht hier nicht nach Gülle und ich schlafe auch nicht im Stroh. Der Stall wurde natürlich sauber gemacht und renoviert.

Hinter dem Haus ist ein Garten, der direkt an ein Naturschutz-gebiet grenzt. Das ist toll, weil manchmal Tiere durch unseren Gar-ten flitzen, die man sonst kaum sieht. Ein Fischreiher schaut zum Beispiel manchmal vorbei. Eichhörnchen wagen sich im Herbst bis zur Terrassentür. Und irgendwo in den umliegenden Bäumen muss ein Specht wohnen. Im Frühling fließt sogar ein kleiner Bach direkt hinter unserem Gartenzaun entlang, der dann im Sommer leider wieder austrocknet.

Der Garten wäre ein Paradies für jeden Hund. Das sage ich Mama und Papa immer wieder, weil ich so gerne einen Hund hätte. Aber Papa sagt dann, dass der Hund nicht glücklich wäre bei uns, weil wir alle drei immer erst am Nachmittag aus der Schule und von der Arbeit nach Hause kommen. Er wäre also viel zu viel allein und das fände ich auch traurig.

Page 7: Frida und das  Wolkenkuckucksheim

Ja, ich bin bis nachmittags in der Schule, weil Mama und Papa arbeiten. Das ist okay, denn es ist immer jemand zum Spielen da. Montags bin ich in der Musik-Theater-Gruppe, donnerstags in der Sport-AG und beides macht mir riesigen Spaß. Nicht so gerne mag ich den Dienstag, denn da habe ich nach der Schule noch Klavier-unterricht. Und den mag ich gar nicht. Aber nicht weitersagen!

In der freien Zeit, die noch bleibt, bin ich viel draußen. Manch-mal radel ich dann mit dem Nachbarsmädchen Maja zum Spielplatz, am liebsten aber sammle ich hinter dem Haus im Naturschutzge-biet Blätter, Stöckchen und Steine, die ich dann abmale. Und das ist auch das, was ich am allerallerallerliebsten mache: malen.

X X

Page 8: Frida und das  Wolkenkuckucksheim

8

Mama und Papa haben mir einmal erzählt, dass ich male, seit-dem ich das erste Mal meinen Breilöffel halten durfte. Das muss so mit einem Jahr gewesen sein. So lange male ich schon und mei-ne Mama und mein Papa waren immer stolz auf mich und meine Kunstwerke.

Also, meistens jedenfalls. Einmal, als ich an der Küchenwand herausfand, wie viel Spaß Kringelzeichnen macht, waren sie nicht so stolz, glaube ich, denn da schimpften sie ganz schön mit mir. Und ein paar Tage später bemalten sie die Wand dann selbst. In dem-selben langweiligen Weiß wie vorher. Und das fand ich dann über-haupt nicht schön und stolz war ich schon gar nicht, also schimpfte ich dann auch mal!

Überall in meinem Zuhause hängten sie meine Bilder auf. An der Küchentür, auf der Pinnwand im Mamas Arbeitszimmer. Eines sogar in einem Rahmen an die Wand! Und wenn wir Besuch beka-men, bemerkten sie stolz: „Hat Frida gemalt!“

Aber dann wurde ich ein Vorschulkind und plötzlich war alles anders. Mama und Papa und auch die Erzieherinnen im Kindergar-ten wurden auf einmal ziemlich merkwürdig. Von heute auf mor-gen musste nun „richtig“ sein, was ich zu Papier brachte, und sie ließen kaum noch ein gutes Haar an meinen Bildern.

„In der Schule musst du richtig malen können, Frida! Da kannst du auch nicht mehr machen, was du willst“, begründeten sie ihr verändertes Verhalten. Und mit „richtig“ meinten sie ordentlich, bloß keine Linie übermalen und genau so, wie wir alle die Welt se-hen können. „Für Gekritzel ist das Papier zu schade, Frida! Gib dir mehr Mühe!“, sagten sie. Oder: „Die Blätter an einem Baum sind doch nicht blau, Frida!“

Eine ganze Weile brummelte ich dann einfach: „Pf, das weiß ich doch. Ich bin doch nicht doof!“ So leise natürlich, dass es niemand verstehen konnte, und malte weiterhin Blätter in den unterschied-

Page 9: Frida und das  Wolkenkuckucksheim

9

lichsten Farben an meine Bäume – so, wie ich sie eben schön fand. Irgendwann nervte mich das Gemeckere dann aber doch und ich beschloss, von nun an nur noch nackte Bäume zu malen. Blätterlos, wie im Winter.

Aber dann war ihnen plötzlich meine Wolke zu gelb, das Wasser zu pink, der Regenbogen zu schwarz oder die Sonne zu grün und ich verlor mehr und mehr die Lust, überhaupt noch irgendetwas zu malen. Im Kindergarten spielte ich schließlich lieber mit Lilly und Max Vater, Mutter, Kind oder langweilte mich. Zu Hause malte ich nur noch alleine für mich in meinem Zimmer, und wenn Mama oder Papa hereinkamen, schob ich das Papier schnell unter mein Bett.

Seit letztem Sommer bin ich ein Schulkind. Das ist eigentlich toll, hat aber den Haken, dass Mama und Papa seitdem noch merk-würdiger sind. Immer wenn ich mich in mein Zimmer zurückziehe, vergehen nur wenige Augenblicke, in denen ich kaum ein paar Stri-che aufs Papier bringen kann, bis einer von ihnen im Raum steht. Mit einem lauten Rumms fliegt dann die Tür auf und mit strengem Gesicht, verschränkten Armen und ernster Stimme beginnen sie die immer gleiche Leier:

„Frida, hör auf zu träumen!“ „Frida, mach endlich deine Hausaufgaben!“ „Räum dein Zimmer auf!“ „Üb Klavier!“ „Mach ein paar Kopfrechenaufgaben!“ „Hilf mir beim Abwasch!“ „Deck schon mal den Tisch!“ „Komm Essen!“ „Geh ins Bett, morgen ist Schule!“ Und immer so weiter, je nachdem, was sie grade mal wieder

wichtig finden. Manchmal bin ich deswegen ganz schön wütend auf Mama und

Papa, meistens aber eher traurig, weil sie einfach nicht verstehen wollen, was mir wichtig ist.

Page 10: Frida und das  Wolkenkuckucksheim

10

Nicht, dass ihr jetzt denkt, mir wäre alles außer Malen egal. Mei-ne Familie und ich, wir müssen zusammenhalten wie ein Team, das weiß ich. Und ähnlich wie beim Fußball läuft alles viel runder, wenn wir auch die doofen Dinge wie den Abwasch gemeinsam machen und uns gegenseitig helfen. Und für die Schule üben und Hausauf-gaben machen gehört auch zum Schulkind-Sein.

Aber Mama und Papa wollen nur noch, dass ich etwas Sinnvol-les in meiner freien Zeit mache. Dabei wünsche ich mir, sie würden verstehen, dass Malen sinnvoll ist und vor allem mir sehr wichtig.

Einmal, es war der Nachmittag vor meinem siebten Geburtstag, war ich nach einem heftigen Streit mit Mama so wütend, dass ich beschloss, niemalsnienichtmehr zu malen.

Mama war mal wieder in mein Zimmer gestürmt und hatte mich aufgefordert, Klavier zu üben. „In fünf Minuten, Mama, bitte!“, bat ich sie.

„Sofort!“, beharrte Mama und fragte nicht einmal, warum ich die fünf Minuten noch brauchte.

„Aber da draußen im Garten auf der Bank! Da sitzt eine Krähe, die ich gerade male! Und sie ist sicher gleich nicht mehr da, wenn ich jetzt Klavier üben gehe. Ich bin fast fertig! Fünf Min...“

„SOFORT!“, unterbrach mich Mama nun noch lauter: „Und wenn du jetzt weiter diskutierst, Fräulein, wandern deine Malsachen bis zu den Sommerferien auf den Dachboden! Für dein Rumgekrakel ist Zeit, wenn du deine Pflichten erledigt hast!“

„Also NIE!“, schrie ich Mama hinterher, die sich umgedreht und mein Zimmer verlassen hatte. Und dann fing ich an zu weinen.

Wütend, wie ich war, lief ich in die Küche, stibitzte mir aus dem Schrank unter der Spüle eine große Mülltüte, raffte zurück in mei-nem Zimmer all meine Malsachen zusammen, stopfte sie in die blaue Tüte und zog sie dann zu den schwarzen Müllcontainern im Hof.