Friedrich

11
„1763-2013. 250 Jahre russlanddeutscher Geschichte“ 31. Bundestreffen der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland am 29. Juni 2013 in Augsburg Festrede der Feierstunde: Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des Innern Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, lieber Herr Gribl, sehr geehrter Herr Eisenbraun, sehr geehrte Frau Staatsministerin, liebe Beate Merk, sehr geehrter Herr Fetsch, sehr geehrter Herr Heiser, sehr geehrter Herr Dr. Seiters, sehr geehrte Damen und Herren, für die Einladung zum 31. Bundestreffen danke ich herzlich. Ich folge gern der guten Tradition, als Bundesinnenminister Gast Ihrer Veranstaltungen zu sein. Zunächst auch von Seiten der Bundesregierung herzlichen Glückwunsch an den DRK-Suchdienst zur Auszeichnung mit dem „Katharinen-Preis“. Nach den Statuten wird der Preis an diejenigen verliehen, die sich „besondere Verdienste um die Russlanddeutschen in der Sowjetunion, ihren Nachfolgestaaten und in Deutschland erworben haben.“ Der DRK-Suchdienst steht seit Jahrzehnten für Hoffnung und vorbildhaftes Engagement für die Menschen. Seinem Motto „Aus Liebe zum Menschen“ wird er wie wenige andere Institutionen unseres Landes gerecht, indem er Menschen, die durch unterschiedlichste Schicksale getrennt wurden, über alle Grenzen hinweg wieder zusammenführt. Ich wünsche dem Suchdienst des DRK für die Zukunft alles Gute und weiterhin viel Erfolg bei dieser Aufgabe. Herzlichen Glückwunsch auch dem neuen Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft, Herrn Eisenbraun, zu seiner Wahl. Ich wünsche Ihnen, Herr Eisenbraun, und dem ganzen Bundesvorstand ein erfolgreiches Wirken zum Wohle der Deutschen aus Russland. 1

description

 

Transcript of Friedrich

Page 1: Friedrich

„1763-2013. 250 Jahre russlanddeutscher Geschichte“31. Bundestreffen der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland

am 29. Juni 2013 in AugsburgFestrede der Feierstunde:

Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des Innern

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, lieber Herr Gribl,sehr geehrter Herr Eisenbraun,sehr geehrte Frau Staatsministerin, liebe Beate Merk,sehr geehrter Herr Fetsch,sehr geehrter Herr Heiser,sehr geehrter Herr Dr. Seiters,sehr geehrte Damen und Herren,

für die Einladung zum 31. Bundestreffen danke ich herzlich. Ich folge gern der guten Tradition, als Bundesinnenminister Gast Ihrer Veranstaltungen zu sein.

Zunächst auch von Seiten der Bundesregierung herzlichen Glückwunsch an den DRK-Suchdienst zur Auszeichnung mit dem „Katharinen-Preis“. Nach den Statuten wird der Preis an diejenigen verliehen, die sich „besondere Verdienste um die Russlanddeutschen in der Sowjetunion, ihren Nachfolgestaaten und in Deutschland erworben haben.“

Der DRK-Suchdienst steht seit Jahrzehnten für Hoffnung und vorbildhaftes Engagement für die Menschen. Seinem Motto „Aus Liebe zum Menschen“ wird er wie wenige andere Institutionen unseres Landes gerecht, indem er Menschen, die durch unterschiedlichste Schicksale getrennt wurden, über alle Grenzen hinweg wieder zusammenführt.

Ich wünsche dem Suchdienst des DRK für die Zukunft alles Gute und weiterhin viel Erfolg bei dieser Aufgabe.

Herzlichen Glückwunsch auch dem neuen Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft, Herrn Eisenbraun, zu seiner Wahl. Ich wünsche Ihnen, Herr Eisenbraun, und dem ganzen Bundesvorstand ein erfolgreiches Wirken zum Wohle der Deutschen aus Russland.

Herrn Fetsch, dem Ehrenvorsitzenden, gilt mein herzlicher Dank für lange Jahre vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium des Innern. Ich beziehe in den Dank ausdrücklich die bisherige Geschäftsstelle des Verbandes ein, die für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein immer verlässlicher Partner war. Ich bin zuversichtlich, dass wir diese auch mit dem neuen Vorstand erfolgreich weiterführen werden.

Wir begehen in diesem Jahr für die Deutschen aus Russland ein bedeutendes Jubiläum: Vor 250 Jahren, am 22. Juli 1763, veröffentlichte die deutschstämmige Zarin Katharina II. den sog. „Katharinenerlass“. Darin wurde deutschen Neusiedlern eine Reihe von Privilegien in Aussicht gestellt: Freie Religionsausübung, volle Freiheit auf schulischem Gebiet, günstige Kredite in der Anfangsphase, je nach Ansiedlungsort Steuerfreiheit für 5 bis 30 Jahre, Befreiung vom Militärdienst „auf ewige Zeiten“, Selbstverwaltung auf lokaler Ebene mit Deutsch als Sprache.

Der Katharinenerlass schien vielen Deutschen eine Art Verfassung, der die Stellung der neuen Siedler in der neuen Heimat festlegte und für die Zukunft auch garantierte.

1

Page 2: Friedrich

Sie verglichen diese verheißungsvolle Perspektive mit der realen Situation in der Heimat: großes Leid, verwüstete Landstriche, Armut und Hunger durch den Siebenjährigen Krieg (1756-1763), an dem alle damaligen europäischen Großmächte teilnahmen. Kämpfe und Schlachten in ganz Deutschland.

In Russland versprachen sie sich ein besseres Leben als in der unter dem Krieg und den Kriegsfolgen leidenden Heimat. Die Auswanderer aus dem Rheinland, aus Nordbaden, aus fränkischen und hessischen Gebieten sowie der Pfalz waren unter den Bedingungen des Katharinenerlasses bereit zum Aufbruch in eine Ihnen unbekannte Welt, in eine „Neue Welt“.

Mit Mut und Zuversicht, aber sicher auch mit Bangen vor dem unbekannten, fremden Land brachen Sie dann mit viel Hoffnung auf nach Russland.

Diese Siedler stehen für ein neues Kapitel deutsch-russischer Geschichte. Mit dem ihnen eigenen Pioniergeist kultivierten sie die zugewiesenen Siedlungsgebiete im Wolgagebiet und am Schwarzen Meer.

Aber: Viele Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Enttäuschung und manchmal auch Entsetzen über die tatsächlichen Bedingungen vor Ort waren nicht selten. Entsprechend den Interessen des Zarenreiches waren diese Gebiete wenig erschlossen, kaum oder sogar völlig unbewohnt. Es waren unwegsame Wildnis und öde Steppengebiete. Die Deutschen sollten diese Regionen landwirtschaftlich kultivieren und zum Teil auch gegen kriegerische Übergriffe von Reiternomaden aus der Steppe sichern.

Und wie bei allen Pionieren galt auch für die Neuankömmlinge aus Deutschland: Nicht alle Siedler und ihre Familien haben die schwere Anfangszeit überlebt.

Ein Volksspruch lautet: „Der 1. Generation den Tod, der 2. Generation die Not, der 3. Generation das Brot.“ Aber: Trotz vieler Rückschläge und Entbehrungen hatten die Siedler durch ihre harte Arbeit bereits ein halbes Jahrhundert später einen sehr bescheidenen Wohlstand geschaffen.

Bis 1850 wuchs die Bevölkerung auf rd. 165.000. Es entstand eine großartige eigenständige deutschsprachige Kolonistenkultur im russischen Vielvölkerstaat und leistete einen wichtigen Beitrag zur Modernisierung dieses Landes.

Trotzdem: Die Situation der Deutschen in der neuen Heimat war zu keinem Zeitpunkt leicht! Die Deutschen in Russland waren den Wechseln der russischen Innenpolitik sowie den Irrungen und Wirrungen des 19. und 20. Jahrhundert mehr und stärker ausgesetzt als andere Bevölkerungsgruppen im Zarenreich und haben unter ihrem Deutschtum, ihrem Festhalten an Sprache und Kultur schwer zu tragen gehabt.

Im Rahmen der Russifizierungsgesetze der Zaren wurden ab 1871 die „auf ewig“ zugestandenen Privilegien des „Katharinenerlasses“ aufgehoben. Die Deutschen blieben dennoch ihrer neuen Heimat treu.

1897, bei der 1. russischen Volkszählung, lebten rd. 1,8 Mio. Deutsche in Russland. Dann kam gleich die nächste schmerzhafte Zäsur für die Russlanddeutschen: der 1. Weltkrieg. Den Deutschen wurde grundlos Illoyalität unterstellt. Der Gebrauch der deutschen Sprache in der

2

Page 3: Friedrich

Öffentlichkeit wurde verboten. Gleiches galt für deutschsprachige Zeitungen und Bücher. Es kam zu Repressionsmaßnahmen sowie Deportationen aus den westlichen Siedlungsgebieten.

Erst nach dem Sturz des Zaren und dem Ende des russischen Bürgerkrieges beruhigte sich die Situation wieder. Die Sowjetregierung begann, Gebieten mit einer großen ethnischen Minderheit zumindest nominell die Autonomie zuzusprechen.

1924 wurde die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen (ASSRdWD) gebildet. Deutsch wurde neben Russisch und Ukrainisch gleichberechtigte Amts- und Unterrichtssprache. Während dieser Zeit der Selbstverwaltung erwarben sich die Deutschen in Russland Respekt als Leistungsträger der Gesellschaft. Sie bekamen mehr und mehr gesellschaftliche Anerkennung als nationale Minderheit.

Mit der Machtergreifung Adolf Hitlers in Deutschland 1933 wurden die Deutschen in Russland ohne eigenes Verschulden erneut zum „inneren Feind“. 1938 wurde Deutsch als Unterrichtssprache außerhalb der Autonomen Republik der Wolgadeutschen verboten.

Im europäischen Teil Russlands lebten Anfang der 30er Jahre rund 1,4 Mio. Deutsche. Der Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 markierte dann allerdings den Beginn einer jahrzehntelangen Leidenszeit der Deutschen in Russland.

Eine Leidenszeit für Menschen, die seit 180 Jahren immer loyal zur gewählten neuen Heimat gestanden hatten. Menschen, die mit ihren Anstrengungen, ihren technischen, kulturellen und sozialen Leistungen, ihrer Kreativität und Innovationskraft ihren Teil zum Fortschritt und Entwicklung dieser neuen Heimat geleistet haben. All diese Verdienste waren auf einen Schlag nichts mehr wert. Der mühsam erworbene Respekt schlug endgültig in Hass und Misstrauen um. Verleumdungen und Unterstellungen, „Verräter“ zu sein, waren an der Tagesordnung.

Am 28. August 1941, nur zwei Monate nach dem Einmarsch der Deutschen in Russland, erging durch das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR der Erlass „Über die Umsiedlung der Deutschen aus den Wolga-Gebieten“. Die gesamte deutsche Bevölkerung an der Wolga sollte umgesiedelt werden.

Das Staatliche Verteidigungskomitee wurde angewiesen, die Umsiedlung nach Sibirien, Kasachstan und an den Ural „unverzüglich in Angriff zu nehmen“. Diese Deportationen liefen unter unvorstellbaren menschenverachtenden Bedingungen ab.

Rund 1,2 Mio. Deutschen haben damals alles verloren, die vertraute Heimat, alles Hab und Gut, die Zusammenhörigkeit der Familien, das Leben von Angehörigen und Verwandten, von Freunden und Bekannten – und viele verloren das Leben.

2011 wurde dieses Deportationserlasses zum 70. Mal gedacht. Das Bundesministerium des Innern veranstaltete zusammen mit der Konrad-Adenauer-Stiftung eine Gedenkkonferenz in Berlin. Zusammen mit der russischen Regierung wurde eine große Konferenz in Saratow an der Wolga durchgeführt, deren Höhepunkt die Einweihung eines Mahnmals in Engels, der ehemaligen Hauptstadt der Wolga-Republik, war.

Ich finde, dass diese Tragödie in der bundesweiten Öffentlichkeit eine größere Anteilnahme verdient hat.

3

Page 4: Friedrich

Russlanddeutsche galten nach dem Krieg als Kriegsverbrecher ohne Rechte. Aber die Russlanddeutschen hielten fest an ihrer Kultur, Sprache, Herkommen. Sie bewahrten sich ihre Identität, ihre deutschen Wurzeln.

Wie konnten sie das überleben? Die Antwort gab z.B. der russische Literaturnobelpreisträger und selbst Überlebender des Stalin-Terrors, Alexander Solschenizyn, in seinem Werk „Archipel Gulag“ (1973): Er schreibt dort, die Deutschen seien in Russland ausnehmend tüchtig und arbeitsam, umsichtig und unermüdlich, ordentlich und vernünftig und ließen den Mut nicht sinken.

Meine Damen und Herren,

gegenseitige Hilfe, Vertrauen in die eigene Kraft und die Kraft des christlichen Glaubens haben Ihnen geholfen. Ihren beeindruckenden Gemeinsinn und starken Zusammenhalt in der Familie, im Freundeskreis und in der Nachbarschaft haben Sie sich bis in die heutige Zeit erhalten.

Es sind gerade diese Charakterzüge, die die Auswanderung nach Russland überhaupt erst ermöglicht haben. Und sie haben dafür gesorgt, dass Sie als Volksgruppe – in guten, aber mehr noch in schlimmen und schlimmsten Zeiten – überleben konnten.

Erst 1964, zwei Jahrzehnte nach dem Krieg, wurden die pauschalen Beschuldigungen des Deportationserlasses aufgehoben und erst 1972 die letzten Beschränkungen bei der Wahl des Wohnsitzes beseitigt. Die Rückkehr in die Siedlungsgebiete von 1941 war dennoch oftmals nicht möglich.

Bei all diesen Schwierigkeiten nach 1945 öffnete sich für die Deutschen aus Russland dennoch unerwartet eine ganz neue Perspektive – aus einer vielleicht auch eher unerwarteten Richtung.

Die junge, 1949 gegründete demokratische Bundesrepublik Deutschland reichte allen Deutschen in Russland ganz selbstverständlich die Hand – ihnen genauso wie allen Deutschen, die nach 1945 ihre Heimat verloren.

Wie viele Deutsche aus Gebieten der damaligen Tschechoslowakei und des heutigen Polens wurden Russlanddeutsche Opfer der Vertreibung, mit dem Unterschied, dass ihre Vertreibung nicht in den Westen Europas stattfand, sondern in den Osten – nach Sibirien und Zentralasien.

Meine Damen und Herren,

die Einbeziehung der russlanddeutschen Geschichte in die für 2016 geplante Eröffnung der Dauerausstellung einschließlich des Dokumentationszentrums der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ ist die richtige Konsequenz, und ich begrüße sie nachdrücklich.

Vor 60 Jahren hat der Deutsche Bundestag das Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge, das sog. Bundesvertriebenengesetz, beschlossen. Das Gesetz baut auf dem geistigen Fundament und einem Menschenbild, das der damalige Bundeskanzler Adenauer zum Ausdruck brachte, als er sagte: „Im Mittelpunkt allen Strebens und Handelns bleibt der Mensch und seine Freiheit.“

4

Page 5: Friedrich

Das Bundesvertriebenengesetz symbolisiert wie kein anderes Gesetz die nationale Solidarität Deutschlands. Darin heißt es: Vertriebene, Aussiedler und Spätaussiedler sind voll gleichberechtigte Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland.

Von 1950 bis 1988 kamen rd. 1,5 Mio. Aussiedler mit ihren Angehörigen zu uns. Weitere rd. 3 Mio. siedelten seit 1988 in die Bundesrepublik aus. Von diesen rd. 4,5 Mio. Menschen waren rd. 2,4 Mio. Aus- bzw. Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion bzw. ihren Nachfolgestaaten

Die Aufnahme und die erfolgreiche Integration der deutschen Aussiedler und Spätaussiedler aus der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten wurden möglich, weil die junge Bundesrepublik Deutschland bei ihrer Gründung 1949 sich bewusst war: Eine Nation ist eine Solidargemeinschaft, eine Schicksalsgemeinschaft, eine Familie – in guten wie in schlechten Zeiten. Und die Russlanddeutschen sind ein Teil dieser Solidargemeinschaft.

Und ich kann Ihnen versichern, dass das auch heute, 2013, genauso Gültigkeit hat wie 1953. Nationale Solidarität mit Ihnen ist für uns kein leeres Wort – damals nicht und heute auch nicht.

Heute, 250 Jahre nach dem Katharinenerlass, 60 Jahre nach Verabschiedung des Bundesvertriebenengesetzes können wir feststellen: Das Festhalten der Bundesrepublik Deutschland am nationalen Solidaritätsgedanken war 1953 richtig und ist auch heute, 2013, unverändert richtig.

Ihnen, den Deutschen aus Russland, konnte so eine neue Heimat gegeben werden. Zugleich wurde und wird anerkannt, dass Ihre alte Heimat ein untrennbarer Teil deutscher Geschichte und Kultur ist. Auch Ihre Kultur und Ihre Traditionen sind Teil unseres deutschen Selbstverständnisses.

Die Regierungsparteien haben dies 2009 in ihrem Koalitionsvertrag bekräftigt:„Wir bekennen uns zur besonderen Verantwortung für die Deutschen … aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die als Aussiedler zu uns gekommen sind oder als deutsche Minderheiten in diesen Ländern leben.“

Und im Regierungsprogramm von CDU und CSU 2013 – 2017 ist das Bekenntnis zur Geschichte aller Deutschen, auch zur Solidarität mit den Deutschen, die wegen ihrer Volkszugehörigkeit ein besonders schweres Kriegsfolgenschicksal zu erleiden hatten, erneut bekräftigt.

Dass wir diese Verantwortung sehr ernst nehmen, drückt sich sicherlich auch in dem 1988 eingerichteten Amt eines Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten aus.

Mit der Verleihung der goldenen Ehrennadel Ihrer Landsmannschaft an den Parlamentarischen Staatsekretär beim Bundesminister des Innern, Christoph Bergner, haben Sie dessen Engagement für die Deutschen in Russland gewürdigt.

An Arbeit mangelt es der Bundesregierung und dem Aussiedlerbeauftragten nicht. So gehört zur Würdigung ihrer Leistungen auch, nachzudenken, ob die Förderung der Pflege des

5

Page 6: Friedrich

Kulturgutes der Minderheiten im Osten – ähnlich der Regelung im § 96 des Bundesvertriebenengesetzes – auf eine eigene gesetzliche Grundlage gestellt werden sollte. Eine derartige Regelung würde manches vereinfachen.

Unabhängig von diesen Überlegungen für die Zukunft ist und bleibt uns die Förderung der in Russland und in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion lebenden Deutschen ein Anliegen.

Nach dem inoffiziellen Ergebnis der Zählung 2010 haben noch ca. 400.000 Menschen bei der freiwilligen Abfrage nach der Nationalität ihre mit „deutsch“ angegeben. Dazu kommen ca. 180.000 in Kasachstan und mehrere Zehntausende in den restlichen Republiken der ehemaligen Sowjetunion.

Die Förderung von Maßnahmen wie Sprachkurse, Investitionen in die Fortbildung von Führungskräften, in die Jugendarbeit und die Unterstützung für die besonders Bedürftigen aus der älteren Generation sind für uns eine Selbstverständlichkeit.

Für diese Maßnahmen hat die Bundesregierung in diesem Jahr insgesamt rd. 13,5 Mio. € zur Verfügung gestellt. Ich kann Ihnen versichern, dass wir diese Hilfe zur Selbsthilfe auf diesem Niveau fortsetzen möchten.

Zur aktuellen Entwicklung in Russland kann ich ebenfalls Erfreuliches mitteilen: Auf der letzten Sitzung der Deutsch-Russischen Regierungskommission Anfang Mai ist klargestellt worden, dass die auf ethnokulturellem Gebiet arbeitenden Organisationen der Deutschen aus Russland nicht als ausländische Agenten gesehen werden. Wir hoffen, dass sie damit ihre wichtigen Aufgaben auch künftig ohne Einschränkungen wahrnehmen können.

Aber auch hier in Deutschland haben wir für die Deutschen aus Russland umfassende Hilfen zur Selbsthilfe, um ihnen ein selbstbestimmtes Leben mit allen Chancen auf materiellen Erfolg zu ermöglichen.

Erfolgreiche und bewährte Instrumente sind hier seit Jahren die Integrationskurse und der speziell für Spätaussiedler eingerichtete Kurs „Identität und Integration PLUS“, an dem seit 2009 auch weitere Familienangehörige teilnehmen können, die gemeinsam mit dem Spätaussiedler eingereist sind.

Ein Erfolg ist das seit letztem Jahr geltende Gesetz zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse (Anerkennungsgesetz), das die Möglichkeiten zur Anerkennung von Berufsabschlüssen verbessert. Die Bundesländer müssen das jetzt zügig umsetzen.

Mit der Änderung des Bundesvertriebenengesetzes 2011 konnten wir Ihrem Anliegen nach einer Härtefallregelung zur Überwindung von Familientrennungen entsprechen. Allerdings zeigen die bisherigen Zahlen, dass diese Regelung nicht ausreicht.

Die Regierungsfraktionen haben deshalb wesentliche Änderungen zu diesem Thema in den vom Bundesrat vorgelegten Entwurf für eine weitere Änderung des Bundesvertriebenengesetzes eingearbeitet. Damit wollen wir u.a. dafür sorgen, dass in Zukunft getrennte Familien leichter wieder zusammengeführt werden können. Der Bundestag hat dem Entwurf vor gut zwei Wochen zugestimmt.

6

Page 7: Friedrich

Für die christlich-liberale Koalition ist die Wahrnehmung Ihrer Interessen weiterhin Teil unseres Selbstverständnisses und unserer nationalen Verantwortung.

Die Deutschen aus Russland leisten seit 250 Jahren Außerordentliches: der Aufbruch in eine „neue“ Heimat, das Bestehen dort und dann der Wiederaufbruch in die „alte“, zugleich aber auch gänzlich „neue“ Heimat.

Russland und die Nachfolgestaaten der UdSSR haben sich immer sehr schwer getan, die Leistungen der Russlanddeutschen zu würdigen. So war in der UdSSR 1963, zum 200. Jahrestag der Ansiedlung, kein Erinnern möglich. Erst mit der Perestroika hat 1988 (225. Jahrestag) und dieses Jahr der 250. Jahrestag mit Erinnerungen an dieses historisch bedeutsame Ereignis Beachtung gefunden.

In Deutschland gedenken wir seit 1982 am 28. August des Deportationsdekrets von Stalin vom 28. August 1941.

Bereits seit 1995 vermittelt die Wanderausstellung „Volk auf dem Weg. Geschichte und Gegenwart der Deutschen aus Russland“, die mit Förderung des Bundes seit 1995 durch das Land reist, höchst erfolgreich ein besseres Verständnis für die Deutschen aus Russland und ihre Geschichte.

Auf dem Kirchentag Anfang Mai in Hamburg hat auch mich die sicherlich außer-gewöhnliche Ausstellung des „Russlandsdeutschen Hauses“ fasziniert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

heute, 2013, stellt sich uns die Frage, ob Sie, die Deutschen aus Russland, nach dem Aufbruch in eine neue Heimat vor 250 Jahren, in Ihrer jetzt neuen Heimat, der Bundesrepublik Deutschland, angekommen sind.

Wir können diese Frage eindeutig und ehrlich mit einem „JA“ beantworten.

Ihr Selbstverständnis, Ihre Identität und Ihr Streben nach einem Leben in einer Gesellschaft, die Selbstverwirklichung im Privaten als auch im Beruflichen für Ihre Familien und deren Nachkommen ermöglicht, haben wesentlich zu dieser Erfolgsgeschichte beigetragen.

Die Charaktereigenschaften, die die Auswanderung von 1763 ermöglicht und erfolgreich gemacht haben, ermöglichen Ihnen auch jetzt wieder, „Fuß zu fassen“ in der neuen „alten“ Heimat.

Ihre Vertretung, die „Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e. V.“, war in den vergangenen 60 Jahren, ein ehrlicher, hartnäckig mahnender, aber immer auch fairer Partner und wird es auch in Zukunft bleiben.

Ihnen allen, alles Gute, weiterhin viel Erfolg und Gottes Segen.

7