Friedrich ist da! von Anna-Beata Mirsching

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Eine moderne Märchenkomödie

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Eine moderne Märchenkomödie von Anna-Beata Mirsching

ist da!

LaudatioVerlagISBN 978-3-941275-65-2

www.laudatio-verlag.de

Die Lyrikerin Elli leidet seit einiger Zeit an einer Schreibblockade. Da scheint ihr die Einladung ihrer Cousine, sie im oberhessischen Ober-

welchenbach zu besuchen, gerade recht zu kommen. Doch als Elli den idyl-lischen Garten und das Zwei-Zimmer-Häuschen verlassen vorfindet, ahnt sie

noch nichts davon, wie grundlegend diese Reise ihr Leben verändern wird. So macht sie die unfreiwillige Bekanntschaft eines herrenlosen Hundes und verliebt sich in den Fotografen Tom, der sie mit einer kleinen Gruppe seltsamer Künstler bekannt macht. Darunter ist auch eine ältere Dame, die behauptet, Friedrich, ein

lebendes Astwesen, sehen zu können, welches den Menschen angeblich die Kunst und die Liebe bringe. Als Elli selbst ebendieser sprechende Holzkerl

begegnet und ihr die entscheidenden Ideen für einen neuen Gedicht-band liefert, geraten sie und ihre neuen Freunde immer tiefer in

ein Abenteuer. Dabei geht es um nichts Geringeres als um die Rettung der Welt vor dem endgültigen

Untergang der Kunst. Ann

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Impressum© Laudatio Verlag, 2013Text: © Anna-Beata MirschingFotos von Friedrich und der Katze: © Mona Ruhmann Umschlagfoto (Vorderseite): Fotolia.com, © M. RosenwirthAbbildungsverzeichnis: siehe S. 72Lektorat: Manfred Enderle, Franziska Jentsch Buch- und Umschlaggestaltung: Andreas Grunau,Laudatio Verlag, Frankfurt am MainISBN: 978-3-941275-65-2www.laudatio-verlag.de

Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbe-halten. Nachdruck oder Reproduktion (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder anderes Verfahren) sowie die Einspeicherung, Verarbeitung, Vervielfälti-gung und Verbreitung mit Hilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt oder auszugs-weise, ist ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Laudatio Verlages untersagt.

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Anna-Beata Mirsching

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Fred eilte flott wie ein junges Reh durch die regen-nassen Straßen. Sein langer weißer Pferdeschwanz

mutierte zu einem tropfenden Würstchen und in sei-nen Luxusschuhen quatschte das Wasser. Ein wohliger Schauer ging durch seinen Körper, als er endlich die vertraute Türklinke seiner Stammkneipe in die Hand nahm.„Hallo Nase!“, rief er Emil hinter der Theke zu, der unglücklicherweise Ohr hieß. Fred verschwand auf seine Lieblingsbank am Ende des Raumes. Er befreite sich von der durchweichten geblümten Jacke und holte sein Häkelzeug aus dem Rucksack.„Na, schon wieder was Neues in Arbeit?“, fragte Emil neugierig, als er ihm blitzschnell eine Karaffe Rotwein mit zwei Gläsern hinstellte. Fred trank immer aus zwei

Gläsern. Eines für ihn, eines für die Kreativität.„Ach Nase, das ist nicht einfach“, seufzte Fred jetzt. „Einen perlenbestickten Kapuzenanzug für ihren mexi-kanischen Nackthund hat eine Lady bestellt. Und mor-gen ist schon die Anprobe.“„Verstehe“, meinte Emil und pfiff anerkennend durch die Zähne.Die Zeiten, in denen Fred belächelt wurde, waren end-gültig vorbei. Heute galt er als Karl Lagerfeld für Vier-beiner. Seine Ellenbogenschoner für Hunde aller Größen waren ein Verkaufshit und die Halsbänder mit einge-nähten Bachblütenkissen gegen Draufgängertum oder Depressionen wurden als Geheimtipp gehandelt.Fred liebte die Abendstunden im „Na und?“. Hier war jeder mit einer bedeutenden Sache oder mit sich selbst

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beschäftigt. Geselligkeitstrinker ergriffen freiwillig die Flucht. Da saß zum Beispiel die stille Marie immer zur gleichen Stunde an der Theke und faltete hunderte von Papierschiffchen, die sie kurz vor dem Nachhausegehen ordentlich in den Papierkorb warf. „Alles ist ein Kom-men und Gehen“, pflegte sie dann lächelnd zu sagen, schulterte ihre winzig kleine Handtasche und verließ hoch erhobenen Hauptes das „Na und?“.Emil spülte gerade ein paar Gläser, als eine ältere Dame mit einem quittegelben Schal um den Hals zur Tür hereintrippelte. Es war Therese.„Hallo Emil“, sagte sie leise.„Hallo Therese.“ Emil lächelte und schob dabei sein Käppi von vorn nach hinten und wieder zurück. Er mochte Therese, auch wenn sie sehr speziell war.Sie setzte sich an ihren Fensterplatz, holte ein Opern-glas aus der Manteltasche und begann, die Straße zu beobachten. So wie jeden Abend. Nicht, dass sie sich für Menschen interessieren würde, nein, in keiner Weise. Sie hoffte, den Friedrich zu entdecken. Friedrich war ein lebendes Astwesen, das sich je nach Bedarf auch unsichtbar machen konnte. Ignoranten könnten ihn für eine geschnitzte Holzfigur halten, doch Therese wusste es besser. Sie spürte, er war in dieser Stadt und sie musste ihn sehen.

„Na, Therese, meinst du, er erscheint heute Abend?“, fragte Fred vom Tisch gegenüber.„Irgendwann demnächst, da bin ich mir ganz sicher“, seufzte Therese. „Seine Mutter hat es doch erzählt, dass er hier ist.“„Seine Mutter!?“ Emil bekam einen Hustenanfall.Fred ging da diplomatischer vor. Ohne seine Häkeleien zu unterbrechen, fragte er vorsichtig: „Du kennst seine Mutter?“Therese lächelte. „Natürlich nicht, die lebt ja im Mopi-nienwald. Und als Baum kommt man ja auch nicht gerade viel herum.“„Als Baum? Seine Mutter ist ein Baum?“ Fred flüsterte fast.„Natürlich hat der Friedrich eine Baummama. Jedes Astwesen hat eine Baummama!“ Therese schnaubte.„Und woher weißt du … ?“, mischte sich Emil ein.„Ein Zugvogel hat es meiner alten Kiefer im Garten gesagt. Und was Zugvögel den Bäumen erzählen, ist amtlich. Außerdem hat meine Kiefer noch nie gelogen!“„Aha!“, sagte jetzt Fred und „Aha!“, sagte jetzt Emil.„Aha!“, kam es auch völlig überraschend von der geöffneten Eingangstür. Im Türrahmen stand ein nas-ser knöchellanger Trenchcoat mit schulterlangen Locken darüber.

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„Komm schon rein, du tropfst ja alles voll“, meinte Emil freundlich und räumte ein paar Aschenbecher weg.„Ganz schön exklusive Themen habt ihr drauf“, lachte Tom, der in dem Trenchcoat steckte. Er setzte sich an die Theke und bestellte ein großes Bier. Fast fühlte er sich schon zuhause.

„Werte Elli,obwohl wir uns seit zwanzig Jahren nicht mehr

begegnet sind, so durfte ich doch Deinen Lebensweg dank meiner hellsichtigen Begabung ab und zu betrach-ten. Kurz, Du scheinst mir der richtige Mensch zu sein.Ich werde Dich am ersten September dieses Jahres am Bahnhof meiner Heimatstadt erwarten. Eine Zugfahr-karte nach Oberwelchenbach ist beigelegt, Du musst Dich um nichts kümmern.Bringe bitte das Nötigste mit, Dein Aufenthalt hier könnte länger dauern. Du wirst diese Reise nicht bereuen, das ist ein Versprechen.Deine Dir fast unbekannte Verwandte,Alma Mohn

PS: Ich weiß, Deine Neugier wird siegen.“

Elli saß auf ihrem Koffer am Bahnhof der idyllischen Fachwerkstadt am Rande der Wetterau und las diese Zeilen immer wieder, während sie wartete. Sie hatte weder eine Adresse noch Telefonnummer und es war keine Menschenseele weit und breit zu sehen. Niemand, der mit ihr ausgestiegen war, keiner, der anscheinend von hier weg wollte. Gerade, als sie sich entschlossen hatte, mit dem nächsten Zug wieder nach Hause zu fah-ren, kam ein kleiner korpulenter Mann mit ausgebreite-ten Armen auf sie zugelaufen.„Elli, Elli Fuchs?“, fragte er atemlos.Sie nickte unsicher und schob sich ihr knallrotes Filzhüt-chen in die Stirn.„Gestatten, Elmar, einfach nur Elmar bitte. Frau Alma bat mich, Sie abzuholen, denn die gnädige Frau musste ihre Reise schon letzte Woche antreten.“„Ihre Reise?“ Nun war Elli sprachlos.„Sehr wohl. Bitte folgen sie mir. Frau Alma hat alles aufs Trefflichste für Sie vorbereitet. Darf ich?“ Er wollte gerade nach Ellis Koffer greifen, doch das ließ sie nicht zu. „Meine Sachen trage ich selbst!“, sagte sie und drückte ihren klei-nen roten Hut noch einmal fest auf den Kopf.Nach einer kurzen bedächtigen Autofahrt öffnete Elmar zuvorkommend ein rostiges Gartentor. „Voilà!“, rief er. „Herzlich willkommen, meine Liebe.“

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„Wow!“, sagte Elli und blickte sich staunend um. Sie stand mitten in einem kleinen Zaubergarten. Da saßen Elfen und Feen aus hauchzartem Metall in den Bäu-men und wackelten mit den Beinchen. Da wuchsen blattvergoldete Sterne aus herumliegenden Baumstäm-men und da lag ein kugelrunder dicker Mond mitten im Gras.„Das ist ja …“, begann Elli.„Genau! Der Himmel auf Erden“, unterbrach sie Elmar. Er führte sie über ein paar unbekannte herumliegende Planeten hinweg bis hin zu einem kleinen Holzhaus, dessen himmelblau gestrichene Tür einfach offen stand. Sie gingen hinein.„Fühlen Sie sich wie zu Hause, Werteste. Frau Alma hat für alles gesorgt. Nehmen Sie bitte das Schreiben dort hinten auf dem rosa Tischchen an sich. Sie können mich jederzeit erreichen, falls etwas unklar ist. Meine Telefonnummer hängt an der Küchentüre. Auf bald, Frau Elli“, sagte Elmar noch und verschwand.Elli stand wie ein begossener Pudel da und betrachtete scheu die wenigen selbst geschreinerten Möbel und die leeren Bücherregale. Fast ängstlich ergriff sie den an sie gerichteten Briefumschlag und öffnete ihn.„Werte Elli“, war darin zu lesen. „Schön, dass Du gekom-men bist. Ich hätte Dich gerne persönlich begrüßt, doch

die Sterne rieten mir zu einem baldigen Aufbruch in das ferne Indien, wo ich meinen Lebensabend verbrin-gen werde. Haus und Garten darfst Du ab sofort Dein Eigen nennen. Mein bescheidenes bisheriges Hab und Gut ist zum Zeitpunkt Deiner Ankunft als Schenkung auf Dich übergegangen. Sei gesegnet in dem Dir eige-nen künstlerischen Werdegang,Alma Mohn“Elli war fassungslos. Das gibt’s doch nicht, das macht doch keiner, dachte sie immer wieder, während sie auf Zehenspitzen begann, das Zwei-Zimmer-Häuschen zu inspizieren. Was sie sah, gefiel ihr ausnehmend gut. So gut, dass sie gleich den Elmar anrief, um zu fragen, ob das alles nicht nur geträumt war. Doch als der sie zu ihrem neuen Heim höflich und gediegen beglück-wünschte und ihr noch für eine Woche seine Hilfe anbot, da war sie außer sich, da hüpfte und tanzte sie jubelnd durch ihren neuen Garten.

Friedrich schlenderte behaglich die Straße ent-lang. Da er die Kunst, sich unsichtbar zu machen,

vortrefflich beherrschte, erlaubte er sich dann und

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wann einen Schabernack, um abgestumpfte Men-schenseelen wieder auf Vordermann zu bringen. So legte er letztes Jahr den Verkehr in Hamburg lahm, als er mit hoch erhobenem Arm einen Strauß Rosen durch die Stadt trug. Die Geschichte vom schweben-den Blumenstrauß geisterte mit Fotos durch viele Gazetten. Manchmal tippte er für Schriftsteller die Romane einfach weiter oder er vollendete unbekann-ten Malern oder Komponisten so manches Meister-werk. Doch darüber wurde nie berichtet, denn die zu Ruhm und Ehre Gekommenen schwiegen eisern im eigenen Interesse.Friedrich genoss die letzten Sonnenstrahlen des endenden Sommers, als direkt neben ihm eine ältere Dame auf dem Bürgersteig zusammenbrach und bewusstlos liegen blieb. Bei dem Sturz war ihr ein Opernglas aus der Hand gerutscht. Sofort bildete sich ein Kreis hilflos dreinblickender Schaulustiger, die alle nach einem Notarzt schrien.„Ach du grüne Neune!“, entfuhr es dem Friedrich, als er das Opernglas entdeckte. Jetzt war ihm alles klar. Die alte Dame hatte ihn sehen können und darüber die Fassung verloren. Denn ein Friedrich konnte noch so gut die hohe Schule des „Unsichtbar-werdens“ beherrschen, der Blick durch ein Opern-

glas setzte diese Kunst sofort außer Kraft. Einer der wichtigsten Lehrsätze auf der Hochschule für Astwe-sen lautete: Kein unsichtbarer Friedrich wird es je verstehen, doch durch ein Opernglas ist immer er zu sehen.Blitzschnell schob Friedrich das Opernglas in die Man-teltasche der ohnmächtigen Dame zurück und blickte aufmerksam in ihr Gesicht. Es war ein sehr heiteres und liebenswertes Gesicht und es gefiel ihm.Plötzlich schlug sie die Augen auf und lächelte wie von einem anderen Stern. „Der Friedrich ist da!“, hauchte sie. „Mein Friedrich ist gekommen“.„Alles wird gut, der Arzt ist gleich da“, wurde sie von den Passanten getröstet, die wie eine Gefängnismauer um sie herumstanden.Da raffte sich Therese hoch, so schnell es eben ging. Mit heftig kreisenden Armbewegungen kämpfte sie sich durch die Menschenmenge und rannte davon. Sie wollte nur noch nach Hause.Friedrich war bei ihren Worten das Herz aufgegan-gen. Er folgte ihr in gebührendem Abstand. Diese nette alte Dame konnte er jetzt auf keinen Fall alleine las-sen. Außerdem schien sie ihn ja auch noch erwartet zu haben. Bloß warum? Das hätte er zu gerne gewusst.

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Tom hatte gerade das letzte Foto für seine nächste Ausstellung gerahmt, als Theo zur Ateliertür her-

einschlurfte. Theo schlurfte trotz seiner fast achtzig Jahre nicht aus Gebrechlichkeit, sondern aus Prinzip. Ansonsten bewegte er sich so behände wie ein junger Gott, was bei seiner Körperfülle immer wieder Anlass zur Bewunderung gab. Seinen Lebensunterhalt ver-diente er sich auch heute noch als Buchhändler mit einem Laden für ungewöhnliche Literatur. Doch jeden Dienstag blieb sein Geschäft geschlossen. Da war er für nichts und niemand zu sprechen, da widmete er sich ganz seinen Mopinienwald-Forschungen. Aber es war kein Dienstag und sein bester Freund Tom war gerade mal im Atelier.„Hallo Tom“, sagte Theo.

„Hallo Theo“, sagte Tom, ohne sich umzudrehen.Schweigend und höchst konzentriert betrachtete jetzt Theo die an die Wand gelehnten Bilder. Dann brei-tete er urplötzlich beide Arme aus und drehte sich schwungvoll um die eigene Achse.„Meisterwerke sind das! Du hast fotografische Meister-werke geschaffen, ich hoffe, das ist dir klar!?“, rief er.Tom nickte. „Ich habe mir auch fast so etwas gedacht“, sagte er beinahe bescheiden.„Tom?“„Ja?“„Ich glaube, du hast den Friedrich!“„Ich habe den was, bitte?“ Jetzt war Tom doch mal zusammengezuckt. Der seltsame Abend im „Na und?“ kam ihm sofort in den Sinn und natürlich die Opern-

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glas-Therese, die auch ständig von einem Friedrich faselte.Tom packte jetzt Theos Arm und zog ihn ein Stück mit sich. „Sag mal, was für Forschungen betreibst du diens-tags eigentlich genau und wie heißt dieser komische Wald?“„Mopinienwald“, antwortete Theo wie aus der Pistole geschossen.Tom setzte sich auf eine leere Weinkiste, die herum-stand und schnaufte erst einmal tief durch.„Du und diese Therese, ihr habt beide den gleichen Knall“, stellte er fest und tippte sich demonstrativ mit dem Zeigefinger an die Stirn.„Welche Therese?“, fragte Theo neugierig.Und da erzählte Tom von der merkwürdigen Nacht im „Na und?“. Beide lümmelten sich inzwischen auf dem abgewetzten Ledersofa und genossen einen herrlichen Rotwein, den Tom aus irgendeiner Ecke seines Ateliers hervorgezaubert hatte. Immer wieder musste Tom von Therese und dem Opernglas erzählen, bis Theo sich nach der zweiten Flasche Rotwein entspannt zurücklehnte.„Weißt du was, Tom?“„Hm?“„Da, wo es um große Kunst geht, hat immer ein Fried-rich seine Hände im Spiel. Der Beethoven hatte den

Friedrich, der Picasso hatte den Friedrich, der Rilke hatte den Friedrich und jetzt …“„Du meinst, jetzt habe ich den Friedrich?“„Genau!“„Puh! Das ist wahrscheinlich ein Riesenkompliment, Theo.“„Nein, mein Junge, das sind Fakten, Fakten, Fakten. Ein berühmter Maler hat einmal gesagt: Wirklichkeit ist nicht nur das, was jeder wiedererkennt. Und der hatte keinen Friedrich, das weiß ich genau.“„Puh!“, sagte Tom wieder. Die Zunge war ihm schon ein wenig schwer geworden. Vielleicht sitzt ja der Friedrich drauf, dachte er noch und schlief dann lächelnd ein.Theo raffte sich ein letztes Mal hoch, besorgte eine Decke, mit der er seinen Freund und sich selbst lie-bevoll einwickelte und betrat ebenfalls das Reich der Träume.

Elli hatte inzwischen ihren kompletten Umzug hin-ter sich gebracht, den hilfsbereiten Elmar noch zu

seinem Flieger nach Indien begleitet und war gerade dabei, ihre zwei Gummibäume namens Heinz und Gün-

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ter umzutopfen, als ein schwarzer großer Hund über ihren Zaun sprang und freudig auf sie zurannte. Sie begrüßte ihren neuen Gast und versprach ihm einen Käsewürfel für ein ordentliches „Sitz“. Wurst habe sie leider keine im Haus, erklärte sie dem Hund, der sich sofort wie angeklebt vor sie setzte. „Bis gleich, du Gauner“, lachte sie und ging ins Haus, um den Käse zu holen. Doch als sie zurückkam, war der Hund ver-schwunden. Sie lief zum Zaun und blickte noch lange die Straße auf und ab. Doch von dem Schwarzen war keine Spur mehr zu sehen. Schade, dachte Elli und wid-mete sich wieder ihren Pflanzen.„Entschuldigung, darf ich kurz stören?“, fragte plötzlich eine gepflegte Männerstimme am Gartentor.„Nur hereinspaziert“, rief die momentan gastfreundliche Elli und blickte den Herrn in Glitzerweste mit weißem Pferdeschwanz neugierig an.„Hallo! Ich wohne schräg gegenüber und bin Fred. Fred Zimt. Ich habe mitbekommen, wie der große Hund auf Ihr Grundstück stürmte und wollte nur mal fragen, ob alles in Ordnung ist.“„Na klar!“ Elli lachte. „Trotzdem danke! Gehört der Schwarze zu Ihnen?“Fred schüttelte den Kopf. „Ein prächtiger Kerl! Ich hätte ihm schon längst ein Halsband entworfen, aber das

Tierheim kann sich meine Arbeit nicht leisten.“„Das Tierheim?“ Elli horchte auf.„Ja, er ist dort der Ausreißerkönig, aber sie kriegen ihn leider immer wieder. Schade eigentlich.“„Hm“. Elli starrte Löcher in die Luft. Und immer, wenn sie Löcher in die Luft starrte, bedeutete das etwas Beson-deres.„Also, dann nichts für ungut“, sagte Fred und wünschte noch einen netten Tag mit einer galanten Verbeugung.„Auch tschüss, und vielen Dank noch mal, Fred“, mur-melte Elli in Gedanken und ging in die Küche. Da ent-deckte sie mitten auf ihrer Kaffeemaschine einen win-zigen braunen Zettel, auf dem etwas geschrieben stand. Mühsam entzifferte sie die kleine Schrift:„Der Mensch, der nie Abstraktes sieht, lebt im Synap-sensperrgebiet.“Elli lachte schallend los. Na, das ist ja mal ein Spruch, dachte sie, doch dann kam es ihr ziemlich komisch vor. Wo kam der Spruch her? Hier war außer ihr keine Menschenseele gewesen. Und solche Sachen schrieb sie nicht, das wusste sie genau. Und schon gar nicht auf Packpapier. Ihr letzter Gedichtband wurde vor einem Jahr veröffentlicht und ihre Entwürfe schrieb sie höchs-tens mal auf Bierdeckel, aber niemals auf Packpapier. Sie verstaute den Zettel sorgfältig in einer Zuckerdose.

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„Da bleibst du jetzt drin, bis ich weiß, woher du kommst“, sagte sie, während sie den Deckel fest zudrückte.Elli hatte sich für heute viel vorgenommen. Doch je mehr Zeit verstrich, desto mehr Löcher starrte sie in die Luft. Und dann endlich gegen Abend wusste sie es. Sie musste ins Tierheim und den großen Schwarzen suchen. Und weil Elli für ihre Herzenswünsche kämpfen konnte wie ein Löwe, lag der Schwarze schon zwei Wochen spä-ter mit ihr auf dem Sofa. Es war, als hätten sie immer zusammen dort gelegen. Ab jetzt hatte Elli einen Hund und der Schwarze einen Menschen.

Nach ihrem öffentlichen Ohnmachtsanfall war es Therese, als sei sie in einen Jungbrunnen gefallen.

Ihr Lebenstraum war erfüllt, sie hatte Friedrich einmal sehen dürfen. Warum das so wichtig für sie war, wusste sie selbst nicht. Diesen Floh hatte ihr wohl ihre Kiefer ins Ohr gesetzt. Der musste sie fast täglich versprechen, Friedrich zu suchen. Etwas Wunderbares würde dann geschehen, hatte der Baum ihr immer wieder zugeflüs-tert. Doch der sprach plötzlich nicht mehr mit ihr. Diese Verbindung war wie abgeschnitten. Das änderte aber

ihre euphorische Grundstimmung keineswegs. Zum ersten Mal ging sie heute ohne Opernglas ins „Na und?“. Die Haare hatte sie sich wie ein ausgefranstes Bürstchen selbst kurz geschnitten. Das verlieh ihr einen Hauch von Verwegenheit. Erhaben wie eine Göttin trug sie ihren selbst gemachten Kartoffelsalat in die Kneipe.So staunen konnte nur Emil. Sein Käppi rutschte ihm vom Kopf und das Bierglas aus der Hand. Er starrte und schwieg. Und schwieg und starrte.Strahlend stellte Therese ihre Schüssel auf die Theke. „Für alle“, sagte sie nur und setzte sich lächelnd auf ihren Stammplatz. Doch statt wie immer die Straße zu beob-achten, pulte sie ein Buch aus dem Rucksack, setzte ihre blaue übergroße Lesebrille auf die zierliche Nase und versank schmunzelnd in einem Alpenkrimi. Therese ignorierte nicht nur die Fassungslosigkeit der restlichen Stammgäste über ihr ungewohntes Verhalten, nein, sie setzte dem noch eine Krone auf, indem sie lautstark Emil um ein Gläschen Sekt bat.„Therese, ist auch alles in Ordnung?“, fragte Emil tonlos.„Natürlich!“ Therese saß so kerzengerade wie ein Erd-männchen. „Ich habe nur etwas zu feiern.“ Furchtlos blickte sie in die Runde. „Mein größter Wunsch ging in Erfüllung. Ich habe Friedrich gesehen. Er ist tatsächlich hier in der Stadt.“ Sie strahlte.

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„Donnerwetter!“ Emil brachte den Sekt auf einem kleinen Silbertablett zu ihrem Tisch und die Erleich-terung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Gott sei Dank, dachte er, ihrem Friedrichtick ist sie treu geblieben.Auch Fred hatte sich von seiner Eckbank erhoben und schüttelte Therese die Hand. „Herzlichen Glück-wunsch! Ich freu mich für dich“, sagte er so artig, dass ihr vor Rührung ein Tränchen im Auge tanzte. Sie erhob ihr Sektglas. „Auf Friedrich! Und lasst euch den Salat schmecken.“ Dann vertiefte sie sich wieder höchst genüsslich in ihren Krimi.Tom und Theo waren in der Zwischenzeit richtige Stammgäste im „Na und?“ geworden. Theo trieb all-abendlich die Hoffnung, diese Therese einmal ken-nenzulernen, und Tom schleppte seinen schlurfen-den Freund brav immer mit. Heute war es endlich so weit. Therese wollte gerade gehen, als die beiden kamen. Sie rannte Theo buchstäblich in die Arme. Und der ließ sie einfach nicht mehr los. Er blickte in ihr Gesicht und war auf der Stelle hingerissen.„Lieber Theo, darf ich vorstellen, du hältst gerade The-rese im Arm“, sagte Tom lachend.„Oh, mein Gott!“, rief da Theo und drückte sie ganz leicht noch einmal an sich, bevor er sie losließ.

Schade eigentlich, dachte Therese, denn aus uner-findlichen Gründen hatte sie sich höchst geborgen in den Armen des Fremden gefühlt. Sie zwinkerte Theo noch einmal kurz zu und verschwand mit einem gemurmelten „Tschüss!“ blitzschnell durch die Tür.Da ging ein Ruck durch den Theo. In Windeseile schlurfte er Therese nach draußen hinterher.„Tür zu!“, murmelte Emil lakonisch und tat ansonsten völlig unbeteiligt.Nach ein paar Minuten kam Theo strahlend zurück. „Wir haben uns für Dienstag verabredet“, flüsterte er aufgeregt seinem Freund ins Ohr. „Weißt du, mein Junge“, sagte er dann sehr leise, „wenn man die Frau seines Lebens trifft, dann hat man einfach nicht mehr so viel Zeit wie früher.“„Ach du Scheiße!“, konnte Tom nur murmeln. Dann sagte er lange nichts mehr und grübelte über die Liebe nach, vor der er selbst immer erfolgreich geflo-hen war.Emil waren auch die Worte ausgegangen. Er genoss in dieser Nacht sein eigenes Bier in rauen Mengen.

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Tom radelte gerade Richtung Ortsausgang die Hauptstraße entlang, da entdeckte er einen

künstlerisch gestalteten Garten, in dem es zuging wie im Märchen. Eine junge Frau stand leicht nach vorne geneigt in einem knöchellangen weißen Gewand. Neben ihr flackerte ein Windlicht und vor ihr saß ein großer schwarzer Hund. In ihren wild abstehenden Locken trug sie einen Kranz aus Efeu geflochten und in ihrer linken Hand hielt sie eine Tonschale mit Wasser. Während sie ein paar Tropfen auf dem dunklen Fell des Tieres verteilte, sprach sie sehr feierlich zu dem Hund: „Hiermit taufe ich dich auf den Namen: Herr Schwarz. Jawohl.“Tom war so fasziniert, dass er am liebsten zu seiner Kamera gegriffen hätte. Aber es war nicht seine Art, Menschen heimlich zu fotografieren. So radelte er einfach weiter, konnte aber diesen Augenblick nie vergessen.Nach der Taufe hüpfte Elli fröhlich mit Herrn Schwarz ins Haus, zog sich um und dann zogen beide los, zum ersten gemeinsamen Stadtbummel. Herr Schwarz benahm sich bis auf wenige Ausnahmen vorbildlich und Elli stand staunend vor dem Schaufenster einer höchst ungewöhnlichen Buchhandlung. Keine Bestsel-ler, Kochbücher oder Ratgeber waren darin zu sehen,

sondern es hing schlicht und ergreifend ein großes Stück schwarzes Leder an kleinen Silberkettchen von einem Ast herab. Darauf stand in kleinen weißen Druckbuchstaben:„Gehen Sie nicht an dem Buch Ihres Lebens vorbei – Es könnte hier auf Sie warten.“Na, das ist mal ’ne Ansage, dachte Elli und betrat neugierig mit ihrem Hund den Laden. Die übervollen Regale an den Wänden waren hinter bodenlangen Nesselgardinen versteckt und auf drei knallgelb gestri-chenen Holztischen stapelten sich die Bücher in krum-men und schiefen Türmen bis fast zur Decke. Mit dem Rücken zur Tür gewandt, bewegte sich in gleichmäßi-gem Rhythmus ein Schaukelstuhl.„Hallo“, sagte Elli leicht verunsichert und „Hallo“, kam es aus dem Schaukelstuhl zurück. Dann klatschten zwei Lederschuhe auf den Fußboden und ein korpulenter älterer Herr schlurfte auf Elli zu. Es war ein freundli-ches Schlurfen.„Willkommen im Garten Eden der Literatur“, sagte er jetzt. „Blättern Sie nach Herzenslust und lassen Sie sich nie von der Ungeduld treiben, denn das führt zu nichts.“ Er drehte eine halbe Pirouette und versank wie-der in seinem Stuhl. Vor und zurück. Vor und zurück.„Ja“, sagte Elli. „Danke!“

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noch nichts davon, wie grundlegend diese Reise ihr Leben verändern wird. So macht sie die unfreiwillige Bekanntschaft eines herrenlosen Hundes und verliebt sich in den Fotografen Tom, der sie mit einer kleinen Gruppe seltsamer Künstler bekannt macht. Darunter ist auch eine ältere Dame, die behauptet, Friedrich, ein

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