Führung neu denken Führung und Innovation in Zeiten ... · aus der Wirtschaft diskutieren....

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Führung neu denken Führung und Innovation in Zeiten digitaler Transformation Konferenzbericht

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Führung neu denkenFührung und Innovation in Zeiten digitaler Transformation

Konferenzbericht

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KONFERENZBERICHT 03

HHL-FORUM

Führung und Innovation in Zeiten digitaler Transformation

REFERENTEN:

Matthias Afting

Malte Brettel

Joerg Dederichs

Kai Engel

Rüdiger Grube

Dietmar Harhoff

Manfred Kirchgeorg

Timo Meynhardt

Hans Müller-Steinhagen

Jürgen Peukert

Andreas Pinkwart

Eva-Maria Stange

Fritz Straub

Frank Strauß

Stefan H. Thomke

Bernd J. Wieczorek

Karola Wille

Neuer Ehrendoktor der HHL: Prof. Stefan H. Thomke, PhD (William Barclay Harding Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Harvard Business School (USA) (links). Hier mit HHL-Rektor Prof. Dr. Andreas Pinkwart (Mitte) und dem ehem. Präsidenten

des Stifterverbandes, Dr. Arend Oetker.

Bahn-Chef Dr. Rüdiger Grube (links) mit dem ehem. sächsischen Ministerpräsidenten Prof. Dr. Georg Milbradt (Mitte) und dem Aufsichtsratsvorsitzenden des

Industriekonzerns SMS Siemag, Dr. Heinrich Weiss.

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04 KONFERENZBERICHT KONFERENZBERICHT 05

Was genau ist das Ziel Ihrer bis Ende 2016 geplanten Reihe zum Thema „Füh-rung in Zeiten des digitalen Wandels“?

Mit unserer Themenreihe, die sechs große Konferenzen und viele kleinere Veranstaltungen umfasst, möchten wir den Blick für die Chancen der Digitali-sierung in Bildung, Wissenschaft und Unternehmenspraxis schärfen und die neuen Anforderungen an die Unter-nehmensführung mit Entscheidern aus der Wirtschaft diskutieren. Parallel entwickeln wir an der HHL neue Lehr- und Lernmethoden sowie betriebswirt-schaftliche Werkzeuge zum gezielten Einsatz digitaler Methoden in der for-schungsbasierten Präsenzlehre wie in der Unternehmenspraxis.

Den Auftakt zur Themenreihe bildet das HHL-Forum 2015. Welche Themen und Akteure stehen hierbei im Mittelpunkt?

Im Fokus des diesjährigen HHL-Forums steht die Frage, wie der dynamische Wandel mit Hilfe neuer, auch digita-ler Führungsinstrumente und zuneh-mender Öffnung des Innovationsma-nagements gestaltet werden kann. Was

verstehen wir unter digital Leadership? Wie können wir die Leader von morgen so vorbereiten, dass sie gerüstet sind für die neuen Bedingungen? Mehr noch: Wie befähigen wir sie, die digitale Revoluti-on aktiv mitzugestalten und zu nutzen? Die Herausforderungen sind vielfältig und wir möchten dieses Themenfeld im Rahmen des HHL-Forums unter mög-lichst vielen Aspekten beleuchten und diskutieren.

Wie weit fortgeschritten ist die HHL auf dem Weg zu ihrem neuen „Leipziger Führungsmodell“?

Anknüpfend an die letztjährigen HHL-Foren leistet auch die Veranstaltung am 19. November einen weiteren Beitrag zur Entwicklung eines neuen „Leipziger Führungsmodells“: Die Erkenntnisse aus dieser Tagung werden in den laufenden Prozess einfl ießen. Dieser soll in den nächsten Monaten zu einem Abschluss und in die geeignete Form gebracht wer-den. Unser Ergebnis wollen wir beim nächsten HHL-Forum im Dezember 2016 Entscheidern aus Wirtschaft und Wis-senschaft vorstellen und mit ihnen dis-kutieren. Unser Ziel ist, Führungskräften

INTERVIEW MIT PROF. DR. ANDREAS PINKWARTRektor der HHL Leipzig Graduate School of Management

Digitalisierung wird zur Chefsache

Für eine Überwindung funktionaler Säulen und den Einsatz interdisziplinärer Projektteams

wirksame, an den neuen sozio-ökonomi-schen Bedingungen ausgerichtete, nach-haltige Methoden an die Hand zu geben.

Welche Bedeutung hat die Digitalisierung für Wirtschaft und Hochschulen?

Die aktuelle zweite Welle der digitalen Revolution unterscheidet sich grund-legend von allem, was wir bisher erlebt haben. Es geht längst nicht mehr nur um die Umwandlung analoger in di-gitale Daten, die dann online verfüg-bar gemacht werden. Vielmehr stehen ganze Geschäftsmodelle, ihre Produk-

te, Prozesse, Preismodelle und Partner auf dem Prüfstand. Ein Beispiel ist die Taxibranche. Sie wird von Dienstleis-tern wie MyTaxi angegriffen, die eine Fahrtvermittlung via Smartphone an-bieten. Wir erleben, dass sich aufgrund der Individualisierung der Angebote und der exponentiellen Wissensexplosion die Komplexität und Veränderungsge-schwindigkeit erhöht. Wer hier den An-schluss nicht verlieren und die Chancen des Neuen konsequent nutzen möch-te, muss sich des Themas umfassend annehmen. Digitalisierung wird damit immer mehr zur Chefsache. Nur so kann es gelingen, die funktionalen Säulen zu

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06 KONFERENZBERICHT KONFERENZBERICHT 07

Prof. Dr. Andreas PinkwartRektor der HHL Leipzig Graduate

School of Management

überwinden und die unterschiedlichen Fähigkeiten mit Hilfe interdisziplinärer Projektteams zu bündeln. Sie sind es, die die Türen und Fenster für den Austausch mit der neuen digitalen Generation in den Hochschulen und den innovativen Start-up-Unternehmen weit aufreißen, um sich mit ihnen gemeinsam schneller weiter entwickeln zu können. Entspre-chendes gilt für die Universitäten selbst in ihrer Forschung wie auch in der Leh-re und beim Transfer. Häufi g wird hier sehr spezialisiert geforscht. Es besteht gleichzeitig die Notwendigkeit, dieses Wissen zu bündeln und problembezogen zum Einsatz zu bringen. Hierzu bedarf es einer stärkeren Querschnittsorientie-rung und Vernetzung durch übergrei-fende Plattformen und interdisziplinäre Zentren.

Lebt die HHL bereits dieses neue Verständnis?

Die HHL ist auf den Gebieten Strategie, Entrepreneurship, Innovations- und Change Management wie beim E-Com-merce und Multi-Channel-Management besonders kompetent. Erst kürzlich hat die Financial Times die HHL im Bereich E-Business als weltweit führend gerankt. Sie arbeitet zu diesen Themen mit vielen Start-up-Unternehmen und Forschungs-instituten wie auch mit großen Mittel-ständlern und Dax-Konzernen zusam-men. Davon profi tieren die Studierenden ebenso wie die Unternehmen.

Ein wichtiger Kooperationspartner im Bereich Innovation und Entrepre-neurship ist seit einem Jahr auch das

„Bei der zweiten Welle der

digitalen Revolution stehen ganze

Geschäftsmodelle, ihre Produkte,

Prozesse, Preismodelle und

Partner auf dem Prüfstand.“

Hasso-Plattner-Institut in Potsdam. Auf diese Weise fi ndet der unternehmeri-sche Nachwuchs sehr früh eine engere Verbindung zur Informatik und kann gemeinsam neue Geschäftsmodelle ent-wickeln. Dazu tragen auch mehrere Labs an der HHL bei, die in jüngerer Zeit ein-gerichtet wurden. So etwa das SpinLab – The HHL Accelerator, aus dessen erstem Zyklus der deutsche IKT-Preis-Gewinner 2015 mit der Idee eines digitalen Schau-fensters hervorgegangen ist. Aktuell brütet dort ein Start-up, das eine Spezi-alsoftware für die Fabrik 4.0 entwickelt hat und bereits mit der Industrie testet.Daneben entwickeln sich HHL-Start-ups im E-Commerce-Bereich nach wie vor äußerst dynamisch, wie etwa die Online-Unternehmen Delivery Hero, Mr Spex oder Trivago.Ebenso bemerkenswert sind Fortschrit-te bei der Integration der neuen Metho-den in die Lehre. Hier erfahren wir sehr positive Resonanz auch von Fachkolle-gen aus dem internationalen Bereich, die die Innovationen der HHL und ihre

Verankerung im Curriculum mit großem Interesse verfolgen.

Wie können Unternehmen davon profi tieren?

Firmen können auf allen Ebenen der Forschung und Entwicklung und hier besonders bei der Innovationsgestaltung vielfältige Anregungen und konkrete Unterstützung von Seiten der Hoch-schulen bekommen. Die Firmen können dabei ihre konkreten Fragestellungen viel schneller und wirkungsvoller beant-worten. Durch die Partnerschaft mit der Wissenschaft können sie schneller eige-ne Hierarchien aufbrechen und natür-lich auch junge Talente kennenlernen.Wissenschaftliche Hochschulen mit starkem Bezug zu Start-ups wie zur Pra-xis wie die HHL, die interdisziplinär und vernetzt arbeiten, können Unternehmen als Plattform nutzen, um sich wiederum auch mit anderen Unternehmen oder mit anderen Forschungseinrichtungen besser zu vernetzen.

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08 KONFERENZBERICHT KONFERENZBERICHT 09

Meine Damen und Herren,

mit der Fokussierung auf das Thema Führung und Innovation im digitalen Wandel hat die HHL mit ihrem dies-jährigen Forum den Nagel auf den Kopf getroffen.Die Digitalisierung verändert die Welt in einem Tempo, das unglaublich rasant ist. Ich erinnere mich noch sehr gut da-ran: Als ich vor drei Jahren eins unserer Teams ins Silicon Valley geschickt habe, wurde ich gefragt, ob das die neue Form von Betriebsausfl ügen sei.Aber über Führung allein zu sprechen, greift zu kurz. Denn Führung ohne Stra-tegie ist ziellos und Strategie ohne Füh-rung ist wirkungslos. Wir brauchen kla-re Ziele und eine klare Strategie – dann ist Führung letztendlich die Umsetzung.Aber auch die beste Strategie und die beste Führung werden nicht erfolgreich sein, wenn ihnen nicht die richtige Un-ternehmenskultur zugrunde liegt. Die Digitalisierung birgt drei große Auf-gaben: Das ist zum ersten das Element der destruktiven Vorgehensweise, die bestehende Geschäftsmodelle in Fra-ge stellt und Schwächen identifi ziert. Führungspersönlichkeiten müssen

diese Kräfte und neue Anbieter frühzei-tig erkennen. Zweitens muss der Kun-de gerade von Führungskräften in den Mittelpunkt gestellt werden, und zwar kompromisslos. Die dritte Aufgabe ist Vernetzung – und zwar so, dass sich in-terne Prozesse kostengünstiger und stö-rungsunanfälliger steuern lassen, für das Unternehmen und für den Kunden.

Aus meiner langjährigen Erfahrung habe ich eines verinnerlicht: Wenn Sie in ein Unternehmen kommen und Sie haben dort aufzuräumen, dann gibt es nur ei-nen Weg – den geradlinigen. Sonst verschwenden Sie viel zu viel Zeit. Kurz nachdem ich bei der Deutschen Bahn eingestiegen war, trommelte ich 20 Leute aus dem Führungskräftekreis, der aus 220 Mitarbeitern besteht, zusam-men. Ich fragte sie, was aus ihrer Sicht im Konzern los sei. Nach dem vierstündi-gen Gespräch fragte ich sie, ob sie bereit wären, gemeinsam mit mir den Konzern zu führen und was ihnen dazu einfi ele. Und dann habe ich eine ganz tolle Er-fahrung gemacht: Alle haben sich aktiv beteiligt, wir hatten nach kurzer Zeit ein

DINNER-SPEECH VON DR. RÜDIGER GRUBEVorsitzender des Vorstands der Deutschen Bahn AG

Führung ohne Strategie ist ziellos

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10 KONFERENZBERICHT KONFERENZBERICHT 11

neues Konzept, gingen damit zurück zu den 220 Kolleginnen und Kollegen aus dem Top-Management und diskutierten es mit ihnen. Es folgte eine klare Zielver-einbarung und zwei Jahre später hatten wir eine ganz neue Strategie, die alle mit-tragen: die DB2020. Mit ihr setzen wir uns ehrgeizige Ziele:

1. Wir wollen profi tabler Marktführer mit dem Schwerpunkt auf Kunde und Qualität werden.

2. Wir wollen Top-Arbeitgeber werden.3. Wir wollen Umwelt-Vorreiter werden.

Es geht also nicht um „ entweder –

oder“, sondern um „sowohl als

auch“; nicht um kurzfristigen

Erfolg oder die Erfüllung eines

Teilziels, sondern um eine ganz-

heitliche Strategie.

Dabei sind 20 Prozent Konzeption, 80 Prozent Umsetzung. Wenn Sie also scheitern, dann meist dann, weil Sie nicht konsequent umsetzen, was Sie sich vorgenommen haben.

treiben und die notwendigen Entschei-dungen für unser Unternehmen treffen. Gerade in der Digitalisierung zeigt sich: Was sich keiner im digitalen Zeitalter leisten kann, ist Arroganz. Die ist der Kil-ler des Erfolgs.

Wer sagt, Digitalisierung beträfe

ihn nicht, der hat über disruptives

Vorgehen nie nachgedacht.

Unsere Aufgabe heute ist es, Lösungen von Haus zu Haus anzubieten. Dazu müssen wir Transport- und Logistik-lösungen von Tür zu Tür anbieten und alle Technologien nutzen, die uns behilf-lich sind. Digitalisierung ist also ernst zu nehmen, wir sollten die damit verbunde-nen Herausforderungen annehmen und sie als Chance begreifen.

Die Digitalisierung bringt viele Verände-rungen mit sich – und die mögen Men-schen naturgemäß nicht, einige reagie-ren mit Angst. Was Unternehmen nach außen und Führungskräfte nach innen vermitteln müssen, ist die Botschaft: Die-se Transformation ist eine Chance, die Welt zu unserem Vorteil zu verändern – das halte ich auf der menschlichen Seite für eine der größten Herausforderungen. Deshalb kümmere ich mich auch persön-lich sehr stark um das Thema Digitalisie-rung. Wenn man selbst leidenschaftlich an einer Sache arbeitet, steckt man ande-re an. Das ist die beste Form, Menschen mitzunehmen auf einem anstrengenden, aber erfolgsversprechenden Weg.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

Welche Skills müssen Führungskräfte für die Aufgaben der Zukunft haben? Sie müssen selbst Vorbild sein. Sie müssen inspiriert sein, sie müssen die Menschen mitnehmen. Sie müssen fordern und noch mehr fördern können. Sie müssen viel stärker auf die individuellen Belange ihrer Mitarbeiter eingehen. Nur so haben sie die Chance, die Talente dieser Welt für ihr Unternehmen zu begeistern.Meine Philosophie ist: Wenn du Men-schen mitnehmen willst, kehr erst vor deiner eigenen Haustür, dann bist du glaubwürdig. Für mich gehören zur Füh-rung vor allem Werte. Diese Werte habe ich schon als Kind von zu Hause mit-gegeben bekommen: Glaubwürdigkeit, Authentizität, Respekt, Wertschätzung, Leidenschaft und Integrität. Das sind meine persönlichen Maximen, an denen ich mich Tag für Tag orientierte. Jeder, der Menschen führt, sollte sich ganz auf seine ganz persönlichen Werte fokussie-ren und sie nie aus den Augen verlieren.In Zeiten der Digitalisierung dürfen wir uns nicht von der schnellen Entwick-lung unter Druck setzen lassen, sondern müssen die Zügel in der Hand behalten, eigene Lösungen fi nden, Prozesse selbst

Dr. Rüdiger Grube, Vorsitzender des Vorstands der Deutschen Bahn AG

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12 KONFERENZBERICHT KONFERENZBERICHT 13

Wissen schafft die Grundlage für Inno-vationsführerschaft. Doch es geht nicht um totes, vergangenes, statisches Wis-sen, sondern um anwendungsbereites, ständig auch zu hinterfragendes und zu vertiefendes Wissen. Nur wenn aus Wis-sen Bildung und kreative Anwendungs-kompetenz wird, dann kann daraus auch Innovation erwachsen. Denn es geht da-bei um neue Erkenntnisse, neue Lösun-gen für Probleme und Fragen, die man erst einmal zu stellen in der Lage sein muss. Somit schafft eine gute Bildungs- und Wissenschaftspolitik gleichzeitig den Rahmen und die Voraussetzungen für die Innovationsfähigkeit einer Gesell-schaft und letztlich einer erfolgreichen Wirtschaft. Innovation umfasst dabei nicht allein technologischen, produktorientierten Fortschritt, sondern auch die geistige, kulturelle und immaterielle Erneuerung einer Gesellschaft. Dazu gehört beides: eine solide Bildung für alle und die Mög-lichkeit der Förderung von herausragen-den Spitzen in der Wissenschaft.

Sachsen hat in den vergangenen 25 Jah-ren eine optimale Hochschul- und Wis-senschaftsinfrastruktur geschaffen.

ERÖFFNUNGSREDE DR. EVA-MARIA STANGEStaatsministerin für Wissenschaft und Kunst des Freistaates Sachsen

Wissen schaff t Grundlagen für Innovationsführerschaft

Mit vierzehn staatlichen Universitäten, Hochschulen für angewandte Wissen-schaften und Kunsthochschulen, Berufs-akademien sowie privaten Hochschulen wie der traditionsreichen HHL haben wir ein dichtes Netzwerk akademischer Bildung und Forschung geschaffen. Dazu kommen eine Vielzahl außeruni-versitärer Forschungseinrichtungen aller großen Forschungsgesellschaften sowie landeseigene Institute. Sachsen ist gut aufgestellt, doch wür-de Stillstand oder eine Verringerung der Anstrengungen – egal ob bei der staatlichen Finanzierung oder bei der wettbewerblichen Einwerbung von Forschungsmitteln – unweigerlich zum Rückfall führen. Eine solide Grundfi -nanzierung der Hochschulen und die Unterstützung der Exzellenzinitiative im Verbund von Universitäten und au-ßeruniversitären Forschungseinrichtun-gen gehören eng zusammen.

Wir haben heute mehr als 100.000 Stu-dierende aus dem In-und Ausland an Sachsens Hochschulen – das sind so viele wie noch nie. In der Exzellenziniti-ative des Bundes und der Länder konnte die TU Dresden als einzige ostdeutsche

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Hochschule in der dritten Förderlinie mit ihrem Zukunftskonzept, dem Netz-werk DresdenConcept, punkten. Drei Exzellenzcluster und zwei Graduier-tenschulen wurden seit 2006 eingewor-ben. Aktuell wird über die Zukunft der Exzellenzinitiative nach 2017 beraten. Fest steht bereits, dass es eine Fortset-zung dieses Erfolgsmodells geben wird und der Bund fünf Milliarden Euro über zehn Jahre zur Verfügung stellt. Allein in Sachsen fl ossen von 2006 bis 2017 rund 250 Millionen Euro an die Universitäten, 50 Millionen Euro als Landesmittel und weitere ca. 300 Millionen Euro für Bau- und Geräteinvestitionen, diese auch mit Unterstützung von EU-Mitteln. Die da-mit einhergehende Dynamik in der Wis-senschaftslandschaft muss fortgesetzt werden und die Änderung des Grundge-setztes in Artikel 91b lässt eine gemein-same und nachhaltige Finanzierung von Bund und Ländern zu.

schaft bzw. Wirtschaft denkt, verliert eines Tages nicht nur die Innovations-fähigkeit, sondern auch die fi nanzielle Grundlage für die Forschung. Sachsen ist nicht das Land der großen DAX-Unternehmen. Noch nicht! Umso wichtiger ist es aber, dass aus wis-senschaftlicher Exzellenz auch Wirt-schaftsstärke erwächst. Zahlreiche Ausgründungen, Transfer in vorhandene mittelständige und kleine Unternehmen etc. sind wichtige Schritte dazu. Hoch-schulen haben begonnen, eigene Trans-fereinrichtungen zu etablieren. Hier werden wir nachlegen müssen.

Unerlässlich für die Innovationsfähig-keit einer Gesellschaft sind auch die sozialen und Führungskompetenzen. Potenziale für Innovationsfähigkeit können nur gehoben werden, wenn Führungskräfte die Mitarbeiter/innen als wichtigste Ressource – als Innova-tionsträger – betrachten. Vereinbar-keit von Familie und Beruf, positives Betriebsklima, aktive Beteiligung an der Entwicklung eines Unternehmens, einer Einrichtung, Weiterbildungsmöglichkei-ten, die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung usw. sind keine sozialromatischen Sahnehäub-chen. Doch wo erlernen Führungskräfte diese Kompetenzen? Hier gibt es noch einiges zu tun – auch in den Hochschu-len. Career Center waren und sind da ein erster Schritt.In den kommenden Jahren werden viele Unternehmen in Sachsen einen Genera-tionswechsel unter schwierigen Bedin-gungen vollziehen. Fachkräfte werden in allen Bereichen gesucht. Daher kommt es einerseits darauf an, dass möglichst

viele junge Menschen mit bester Bil-dung als Startkapital ausgerüstet sind und akademische Weiterbildung zur Selbstverständlichkeit wird. Es kommt aber auch darauf an, Wissenschaft und Hochschulen noch weiter hin zur Gesell-schaft und Wirtschaft zu öffnen. Statt reinen Wissenschaftsregionen sollten wir gemeinsam Innovationsregionen in Sachsen entwickeln, denn wir benötigen stärker denn je verlässliche Netzwerk-strukturen, die nicht an den Grenzen der Institutionen halt machen. Dafür gilt es in den nächsten Monaten die Weichen zu stellen.

Dr. Eva-Maria StangeStaatsministerin für Wissenschaft und Kunst des Freistaates Sachsen

Statt reinen Wissenschafts-

regionen sollten wir gemeinsam

Innovationsregionen entwickeln,

denn wir benötigen stärker denn

je verlässliche Netzwerkstruk-

turen, die nicht an den Grenzen

der Institutionen halt machen.

Das Motto „Stärken stärken“ wurde und wird im Rahmen der Wissenschafts-politik Sachsen verbunden mit konse-quenter Förderung der gesamten Wert-schöpfungskette von der Idee bis zur Markteinführung. Grundlagenforschung und anwendungsnahe Forschung sind keine Gegensätze. Sie rücken in Berei-chen wie den Lebenswissenschaften oder der Mikro- und Nanotechnologie immer enger zusammen. Wer in der Wissenschaftspolitik nicht auch an den Transfer der Erkenntnisse in die Gesell-

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Unternehmensperspektive

FRANK STRAUßVorstandsvorsitzender der Deutschen Postbank AG

Wir sind bereits mitten im Wandel, die Industrie befi ndet sich in grundlegender Veränderung. Die Digitalisierung bietet viele Chancen und eröffnet zahlreiche Perspektiven für neue Geschäftsmodel-le und verändert die Kommunikation grundlegend. Sie treibt einen gesell-schaftlichen Wandel voran, der auch vor Unternehmen nicht Halt macht.Die nächsten drei, vier Jahre werden für Banken entscheidend sein, sich neu

aufzustellen und sich den neuen An-forderungen der Kunden anzupassen. Natürlich werden wir als Direktbank Nummer eins in Deutschland die Di-gitalisierung zügig vorantreiben. Aber nur damit werden wir nicht gewin-nen – es geht um die Gestaltung eines Transformationsprozesses. Die Frage, wie wir Mensch und Maschine verbinden, wird den wirklichen Unter-schied ausmachen. In unserem Geschäft spielen für wesentliche Entscheidungen Menschen eine zentrale Rolle. Das Zu-sammenspiel von digital und persön-lich – das ist das zentrale Thema für uns.Wesentliche Dinge im Führungsvorge-hen verändern sich, Hierarchien brechen

IMPULSVORTRÄGE

Führung in Zeiten digitaler Revolution

„Die Frage, wie wir Mensch

und Maschine verbinden, wird

den wirklichen Unterschied

ausmachen.“

Frank StraußVorstandsvorsitzender der Deutschen Postbank AG

auf, Vernetzung wird immer wichtiger. Statt Briefen werden Emails geschrie-ben aber: Die Informationsmenge muss von den Empfängern auch verarbeitet werden.Ernste Gedanken müssen wir uns über die Demokratisierung von Informations-hoheit machen. Denn es ist nicht allein die Frage, ob man technisch zu digitaler Kommunikation fähig ist, sondern wie sie die Zusammenarbeit verändert.Wir beschäftigen uns im Unternehmen intensiv mit den Anforderungen an die Führungsarbeit in digitalen Zeiten. Wir sind seit geraumer Zeit dabei, ein neu-es Leitbild zu erarbeiten und bespre-chen das mit unseren 20.000 Beschäf-tigten. Wir arbeiten z. B. an der Frage, wie unsere Beschäftigten zukünftig arbeiten möchten, wie z. B. Arbeits- und Ruhezeiten defi niert sein sollten. Unser Ziel ist ein Konsens, der sich im neuen Leitbild widerspiegelt und von allen mitgetragen wird. Daraus ergibt sich viel Gesprächsbedarf – womit digital und persönlich noch einmal eine neue Bedeutung erlangt. Wir sollten uns beeilen – aber darauf achten, die Menschen mitzunehmen.

Prof. Dr. Karola WilleIntendantin des Mitteldeutschen

Rundfunks (MDR)

„‚Oben und unten‘

funktioniert nicht mehr,

Vernetzung ist wichtig.“

Medienperspektive

PROF. DR. KAROLA WILLEIntendantin des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR)

Wir stecken mittendrin in einem tief-greifenden Veränderungsprozess, der sich wie ein Fluss unaufhaltsam weiter bewegt. Allein im letzten Jahr hat sich im MDR technisch und inhaltlich sehr viel verändert und weiter entwickelt. Die Erwartungen an uns als öffentlich-recht-lichen Sender hinsichtlich der Angebote für alle auf allen Kanälen, der Legitima-tion in der konvergenten Medienwelt und nicht zuletzt unserer Glaubwürdig-keit sind hoch. In unserem Programm „MDR 2017“ arbeiten wir an der Weiter-entwicklung als Multimediahaus mit trimedialen Ressorts und gleichzeitigen Schärfung des öffentlich-rechtlichen Profi ls.Die Herausforderungen an die Füh-rungskräfte sind entsprechend an-spruchsvoll, denn unsere Mitarbeiter/innen sollen diesen Weg mitgehen. Deshalb werden gemeinsame Werte im-mer wichtiger. Sie ermöglichen

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mit unseren Führungskräften ermög-licht permanentes Nachsteuern.

Wissenschaftsperspektive

PROF. DR.-ING. DRS. H.C. HANS MÜLLER-STEINHAGENRektor der Technischen Universität Dresden

Wir sind eine von elf Exzellenzuniver-sitäten in Deutschland und befi nden uns – wie die meisten Unternehmen und Institutionen – mitten im digitalen Transformationsprozess. Uns ist klar, dass die Digitalisierung dramatische dis-ruptive Veränderungen nach sich ziehen wird – mit erheblichen Folgen für die Wissenschaft und die Hochschulen u. a. bezüglich der Lehre, den Forschungs-gegenständen, und dem Transfer in die Gesellschaft. Darin liegen große Heraus-forderungen, aber auch ein gewaltiges Potenzial. In Forschung und Lehre werden sich Technik, Didaktik und Organisation ver-ändern, z. B. durch Online-Kurse, digitale Interaktion zwischen Lehrenden und

Flexibilität und Dynamik, ohne die Ori-entierung zu verlieren.„Oben und unten“ funktioniert nicht mehr, Vernetzung ist wichtig. Die Zeit des Vordenkens und Anweisens ist vor-bei – gemeinschaftlich gefundene und getragene Lösungen sind nötig. Hier ha-ben Führungskräfte die Aufgabe, ergeb-nisoffene Diskussionsprozesse professi-onell zu gestalten.Wir haben uns auf die Grundwerte „Glaubwürdigkeit, Professionalität, Leidenschaft“ geeinigt und die Erwar-tungen an die Führungskräfte genau defi niert und damit messbar gemacht. Professionalität heißt: kreatives Denken und Handeln der Mitarbeiter/innen för-dern, medien- und bereichsübergreifend handeln. Hinter Glaubwürdigkeit ver-birgt sich, Verantwortung zu überneh-men, Entscheidungen konsequent um-zusetzen und klare Ziele zu defi nieren. Unter Leidenschaft verstehen wir, mutig Entscheidungen zu treffen, auch in unsi-cheren Situationen, konfl iktfähig zu sein und aus Fehlern zu lernen. Das ist die Basis des gemeinsamen Führungsver-ständnisses im MDR. Der stetige Dialog

Lernenden oder der Vernetzung von Stu-dierenden. Hier müssen die Universitä-ten neue Geschäftsmodelle entwickeln, ihre Datennetze erweitern und beschleu-nigen. Daten werden das Öl der Zukunft sein: Die Wissenschaft wird Daten inter-pretieren und Informationen ohne Zeit-verzug weltweit nutzbar machen. Administration und Infrastruktur müs-sen diesen Anforderungen angepasst werden. Große Hörsäle gehören bald der Vergangenheit an, denn klassische Vor-lesungen werden von digitalen Formen abgelöst. Der Schutz der Daten – z. B. von Laboren, Verwaltung, Kommunikations-infrastruktur – bekommt einen neuen Stellenwert. Strategisch zu führen muss als kontinu-

ierlicher Prozess verstanden werden, der einerseits die Menschen mitnimmt und permanent weiterbildet, andererseits die technischen Voraussetzungen für die Weiterentwicklung schafft. Bislang waren Unis und Hochschulen eine geschützte Umgebung. Durch die Digitalisierung entsteht eine Dynamik, die erfordert, dass auch sie z.B. das Bran-ding vorantreiben und ihr Profi l schär-fen. Hier sind akademische Strukturen und ihre Mitbestimmungsgremien nicht mehr zeitgemäß, da die Entscheidungs-prozesse zu langsam sind. Frei nach Starship Enterprise: „Es wird auch in Zukunft ein akademisches Leben geben – aber nicht so, wie wir es uns jetzt vorstellen.“

„Strategisch zu führen muss als

kontinuierlicher Prozess verstan-

den werden, der einerseits die

Menschen mitnimmt und perma-

nent weiterbildet, andererseits die

technischen Voraussetzungen für

die Weiterentwicklung schafft.“

Prof. Dr.-Ing. Drs. h.c. Hans Müller-SteinhagenRektor der Technischen Universität Dresden

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technischer Innovationen sein müssten. Dennoch sei es weiterhin nötig, „den Umgang mit Menschen zu mögen und die Fähigkeit zu haben, über den eigenen Tellerrand hinweg zu schauen.“ Inner-halb dieser beschleunigten Prozesse Stabilität und Sinn herzustellen, scheint für viele Leader eine schwierige Aufga-be zu sein. Frank Strauß versuchte, das zu relativeren: „Was ist stabil? Früher war es das Ziel, heute ist es die Entwick-lung und der Weg, die Beschreibung des Prozesses. Wenn ich es auf die Postbank beziehe gibt es eine stabile Aussage: Der

„Deutschland ist ein digitaler Anfänger – so zumindest behauptete es aktuell das Handelsblatt“, leitete Moderator Prof. Dr. Manfred Kirchgeorg vom SVI-Stiftungs-lehrstuhl für Marketing, insbes. E-Com-merce und Crossmediales Management an der HHL die erste Diskussionsrunde ein. Bestandsaufnahmen in Sachen Di-gitalisierung würfen kritische Blicke auf Deutschland und immer wieder wird be-hauptet, dass hierzulande die erste Hälf-te des digitalen Wandels bereits verpasst worden sei und viele Führungskräfte die „Revolution“ verschlafen hätten. Welche Führungsstrategien und -qualitäten sind notwendig, um Unternehmen für die rasanten Veränderungsprozesse zu rüs-ten? Und wie sollten sie dabei mit dem

DISKUSSIONSRUNDE

immensen Druck umgehen, der durch die rasante Entwicklung getrieben wird? Postbank-Vorstandsvorsitzender Frank Strauß blieb seiner Linie treu: „Über die Wahrheit reden, Transparenz schaffen, den Plan für die Zukunft defi nieren und erklären. So kann man ein Grundver-ständnis schaffen, das man teilt. Druck ist hilfreich, aber man muss auch wer-ben für den Weg.“ MDR-Intendantin Prof. Dr. Karola Wille meinte, dass ein gewisser Leidensdruck vorhanden sein müsse, um Veränderungswillen zu ent-wickeln: „Für uns ist die Finanzierung nur gesichert, so lange die Gesellschaft sie trägt. Wenn sich die Bedingungen verändern, muss die Unternehmens-führung handeln. Sie ist der Treiber und muss den Wandel so führen, dass sich die Ziele im Diskussionsprozess her-auskristallisieren.“ Moderator Kirch-georg blieb weiter unbequem: „Aber welche Führungselite brauchen wir für das digitale Zeitalter? Was müs-sen sie an Eigenschaften mitbringen?“ TU-Dresden-Rektor Prof. Dr.-Ing. Drs. H.c. Hans Müller-Steinhagen erwartet, dass die Beschaffung von Informatio-nen einen neuen Stellenwert erlangt, weil Führungskräfte auch Moderatoren

Führung in Zeiten digitaler Revolution

Kunde entscheidet, wie wir zukünftig aussehen. Die Digitalisierung ist aus un-serer Sicht kein Ziel, sondern eine Hilfe zur Verbindung mit unseren Kunden.“ Wille pfl ichtete ihm bei: „Es ist der Weg und die Transparenz des Weges. Si-cherheit kommt über die Erklärung der Schritte und die Erläuterung der Grün-de. Mitarbeitergespräche sind wichtiger denn je, wir brauchen den Dialog.“ Einig war man sich in der Runde, dass gute Personalführung ein Schlüssel dafür sei, die Digitalisierung in erster Linie als gro-ße Chance zu begreifen.

„Mitarbeitergespräche sind

wichtiger denn je, wir brauchen

den Dialog.“

Prof. Dr. Karola WilleIntendantin des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR)

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IMPULSVORTRÄGE

Innovation als Führungsaufgabe

„Unter dem Aspekt

‚Speed is King‘ wird es für

Führungskräfte nötig, heraus aus

der Funktion und hinein in die

Teamarbeit zu kommen und viele

Parallelprozesse zu organisieren.“

Dr.-Ing. Kai EngelPartner & MD Germany bei der

A.�T. Kearney GmbH

prozesse zu organisieren. Bei all dem sind Kultur und Leadership bleibende Werte: Personality, Leidenschaft, Talent, Engagement. Die Führungskräfte von heute müssen mehr erklären und coa-chen, mehr über Fragen führen, besser verknüpfen.

Das 3M-Konzept innovativer Unternehmensführung

DR. JOERG DEDERICHS Mitglied der Geschäftsleitung bei der 3M Deutschland GmbH

3M ist ein weltweit agierender voll-integrierter Technologiekonzern mit 18 Standorten in Deutschland, fünf Busi-ness Groups – z. B. Consumer Post it, Scotch Klebeband, Health Care Kranken-haussoftware oder refl ektierende Folien für Straßenschilder. Die 50.000 Produk-te auf unseren 40 Technologieplattfor-men werden fast alle selbst in Kunden-nähe produziert und der Anspruch ist kein geringerer als die Weltmarktfüh-rerschaft – auch im Wissenschaftsbe-reich, z. B. der Klebstofftechnologie. Der

Umsatz wächst organisch um drei bis fünf Prozent jährlich, die Umsatzrendite liegt sehr kontinuierlich bei 24 Prozent über alle Bereiche hinweg. Wie kann das funktionieren?Unsere Führungsgrundsätze sind im Kern noch immer die des Firmengrün-ders McKnight aus dem Jahr 1948: Mitar-beitern Verantwortung und Freiräume geben; ihnen Anerkennung und Wert-schätzung entgegen bringen; dafür sor-gen, dass sie sich untereinander kennen. Ins heute übersetzt heißt das Vernet-zung unserer Mitarbeiter weltweit, wo-bei der digitale Weg nur ein zusätzliches Tool ist, das persönliche Kontakte nicht ersetzen kann. Der Mitarbeiterentwicklungsprozess basiert auf regelmäßigen Dialogen zwischen Mitarbeitern und Führungs-kräften, bei denen auf ihre Stärken und Leidenschaften aufgebaut wird. So gibt es im Unternehmen u. a. eine Regel, nach der Mitarbeiter maximal 15 Prozent ih-rer Arbeitszeit in den Projekten arbeiten können, die sie sich ausgesucht haben. Für die Führungskräfte bedeutet das: teamworken, priorisieren, Innovationen vorantreiben. Auch bei der Weiterbil-

Aktuelle Herausforderungen großer Unternehmen

DR.-ING. KAI ENGEL Partner & MD Germany bei der A.�T. Kearney GmbH

Auch wenn die digitale Transformation uns vor vielfältige Herausforderun-gen stellt, können wir guten Gewissens sagen: „Wir schaffen das!“ Dafür gibt es eine Reihe guter Beispiele wie u. a. CEWE. Früher haben Kunden bei der Firma ihre Filmrollen abgegeben, heute ist es der führende Anbieter von Fotobü-chern – der komplette Transformations-prozess ist bei CEWE bereits bewältigt.Die Digitalisierung führt dazu, dass die Geschwindigkeit wächst und Strategi-en nicht mehr in der herkömmlichen Weise funktionieren: Es gibt viele Berei-che, in denen exponentielles Wachstum stattfi ndet wie z. B. Airbnb, das 2009 als Zwerg startete und jetzt rund 80 Millio-nen Übernachtungen pro Jahr verzeich-net, ohne ein einziges Hotel zu besitzen. Wenn man in organisches Wachstum im Unternehmen investieren und Verän-derungen vorantreiben will, muss man das Innovationsmanagement gut aus-

arbeiten. Ein Unternehmen wie Apple bietet ein wunderbares Beispiel dafür, dass nicht die Höhe des Investments ent-scheidend ist, sondern die Effektivität. Führungskräfte müssen in diesem schwierigen Umfeld u. a. Kompeten-zen in Innovationsstrategie, Portfolio-Management, rigidem Management der Lebenszyklus-Profi tabilität und Naviga-tion/Foundation haben. Statt serieller Abläufe müssen möglichst viele Mitar-beiter parallel und integrativ in die Sze-narienplanung einbezogen werden. Wir stehen in einem globalen Wettbe-werb von Fähigkeiten. Exzellente Ausbil-dung an vielen Orten der Welt treibt die Entwicklung von Technologien. Deshalb ist es wichtig, genau zu wissen: Mit wel-chen Partnern müssen wir zusammen gehen, um das wettbewerbsfähigste und differenzierteste Angebot machen zu können?Hier gilt es, den Radar aufzuspannen: Partnerschaften mit kleinen, speziali-sierten Unternehmen werden immer wichtiger. Unter dem Aspekt „Speed is King“ wird es für Führungskräfte nötig, heraus aus der Funktion und hinein in die Team-arbeit zu kommen und viele Parallel-

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„Welche Anforderungen wird an

die Leader gestellt? Weg also von

den reinen Zahlen und Fakten

und hin zu den Menschen, die wir

in eine Richtung bewegen wollen.“

Prof. Dr. Malte BrettelProrektor an der Rheinisch-Westfälische

Hochschule Aachen (RWTH)

Ein gutes Beispiel bietet hier die Fußball-WM 2010. Michael Ballack war verletzt – aber die Mannschaft spielte phantas-tisch – nicht mehr bezogen auf den einzelnen Führungsspieler, sondern die ganze Mannschaft bewegte sich in eine Richtung. Sie war nicht mehr auf einen Führungsspieler fokussiert, sondern agierte als erfolgreiches Team. Die Universitäten und Hochschulen

Dr. Joerg DederichsMitglied der Geschäftsleitung bei der 3M Deutschland GmbH

„Die Matrixstruktur von 3M ist

kommunikationsintensiv und

nicht besonders schnell, aber sie

ermöglicht differenzierte Pers-

pektiven – und diese Erfahrungen

schaffen uns wieder Vorsprung.“

Mit Unsicherheit umzugehen, das ist der Kern von heutigen Führungsaufgaben:Das Ziel wird schwieriger kalkulierbar und deshalb müssen wir umso besser in der Lage sein, mit Risiken umzugehen. Aber Erfolg ist dennoch keine Frage von Zufall, sondern eine Frage von Führung. Es gibt sehr wohl Strategien, mit Un-sicherheiten umzugehen, nämlich die Zukunft nicht voraussehen zu wollen, sondern schrittweise vorzugehen. Gute Führungskräfte versuchen, Unsicherheit zu reduzieren oder brechen ab, wenn sich der Weg als falsch erweist. Auf diese Weise schaffte Michael Dell den Auf-bau eines Weltkonzerns. Er konnte den Erfolg nicht prognostizieren, ging aber diesen schrittweisen Weg der Commit-ments. Die Erfahrungen belegen, dass dieses zyklische Vorgehen Prozesse er-folgreicher macht. Welche Anforderungen stellt das an Leader? Wissenschaftlich ausgedrückt ist es der Übergang von einer transakti-onalen Führung hin zur transformatio-nalen Führung, weg also von den reinen Zahlen und Fakten und hin zu den Men-schen, die wir in eine Richtung bewegen wollen.

befi nden sich derzeit in der größten Revolution durch Digitalisierung. Das Rektorat muss klarmachen, was es will, muss Werte vermitteln, eine Kultur der Ermöglichung pfl egen, Fehler zulassen, Fähigkeiten und Stärken der Mitarbei-ter erkennen und entwickeln. Das wird nicht einfach sein. Ich weiß nur eins: Dass ich nicht weiß, wie die Zukunft aussieht.

dung unserer Leader gehen wir unseren eigenen Weg: Die Älteren schulen die Jungen, nichts wird nach außen gegeben. Die Matrixstruktur des Konzerns ist kommunikationsintensiv und nicht besonders schnell, aber sie ermöglicht differenzierte Perspektiven – und diese Erfahrungen schaffen uns wieder Vor-sprung. Das alles klingt sehr altmodisch, aber es funktioniert. Dafür spricht nicht nur unsere Marktführerschaft in vie-len Bereichen, sondern auch, dass die durchschnittliche Betriebszugehörig-keit bei M3 bei durchschnittlich 17 Jah-ren liegt.

Entrepreneurial Leadership

PROF. DR. MALTE BRETTEL Prorektor an der Rheinisch-Westfälische Hochschule Aachen (RWTH)

Wir an der RWTH treiben Innovationen; wir entwickeln Technik und versuchen, sie in die Praxis zu bringen. Gleichzeitig bekommen wir Probleme, denn die im-mer kürzeren Innovationszyklen schaf-fen Unsicherheit.

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tig mehrere Strategien gefahren werden. „Schizophrenie scheint auch ein Weg im Management zu sein. Dafür müssen wir uns interessieren, wenn wir die Her-ausforderungen in den Griff bekommen wollen.“ Kai Engel pfl ichtete dem bei:

„Google zeigt uns, dass Wertgenerierung viel besser in Einzelgeschäften möglich ist, als in der Gesamtheit.“ Wenn man um Geschäftsmodelle und Dynamiken einheitliche Modelle baue, wie das 3M vorführe, könne das erfolgreich sein.

Fehler zulassen und Prozesse recht-zeitig abbrechen – aber wie? Dr. Joerg Dederichs von 3M Deutschland stellte sich der spannenden Eingangsfrage in der zweiten Talk-Runde: „Wir nennen dieses Prinzip ‚kill early and cheap‘. Wir teilen Prozesse in sieben Phasen auf, in denen wir bestimmte markttechnische Eckdaten und klare Ausstiegskriterien festlegen. Dann kann es sein, dass ein Projekt schon in einer sehr frühen Pha-se gestoppt wird. Wir legen viel Wert darauf, zu dokumentieren, warum und wann und wie wir den Stopp vollzogen haben.“ In seltenen Fällen werde auch die erwähnte 15-Prozent-Regel angewen-det, um den „Fuß vom Gas“ zu nehmen, aber Mitarbeitern die weitere Arbeit am Projekt zu ermöglichen. Dederichs glaubt, dass Unternehmen wie 3M etwas mehr Zeit haben, sich für die Digitalisierung zu rüsten – aber vor-bei gehen werde sie an ihnen nicht. „Zum Beispiel unsere Abformmaterialien für die Zahnarztpraxis – das wird zukünftig digital vonstatten gehen. Wir haben uns dafür gerüstet, u. a. Start-ups im Bereich Scannertechnologien aufgekauft und mit ihnen neue Lösungen entwickelt.“ Moderator Prof. Dr. Andreas Pinkwart

DISKUSSIONSRUNDE

Innovation als Führungsaufgabe

vom Stiftungsfonds Deutsche Bank Lehrstuhl für Innovationsmanagement und Entrepreneurship an der HHL hakte nach: „Kannibalisieren Sie sich damit nicht selbst? Was geschieht mit der Ein-heit, die Sie nun nicht mehr brauchen? Was wird konkret aus den Mitarbei-tern?“ Die Chemiker würden in anderen Divisions im Konzern weiter arbeiten, denn noch immer basiere der Großteil der 3M-Produkte auf chemischen Pro-zessen, erklärte Dederichs. Natürlich werde Industrie 4.0 Hersteller wie Liefe-ranten verändern. „Aber momentan ist nur ein Prozent des Marktes digital, die restlichen 99 noch analog.“ Der Riesenkonzern 3M gibt Betriebs-wirtschaftlern Rätsel auf. Pinkwart stell-te fest: „Die 3M-Berater kommen ins Grü-beln, denn in jedem Lehrbuch steht, dass Matrixorganisationen nicht funktionie-ren. Auch wissen wir, dass Unterneh-men immer schlanker werden müssen. Sollten wir uns angesichts des Erfolgs von 3M die Frage stellen, ob die Emp-fehlungen von Beratern wirklich richtig sind?“ Brettel: „Die Wissenschaft schaut immer zurück und wir entdecken erst im Nachhinein, was funktioniert hat.“ Google mache derzeit vor, wie gleichzei-

„Schizophrenie scheint auch ein

Weg im Management zu sein. Dafür

müssen wir uns interessieren, wenn

wir die Herausforderungen in den

Griff bekommen wollen.“

Prof. Dr. Malte BrettelProrektor an der Rheinisch-Westfälische Hochschule Aachen (RWTH)

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Einbeziehung der Mitarbeiter in den Innovationsprozess

FRITZ STRAUB Geschäftsführer der Deutschen Werkstätten Hellerau GmbH

Wir sind ein kleines feines Unterneh-men mit 300 Mitarbeitern an einem hochmodernen Standort, der alt und neu verknüpft. Das Risiko des Scheiterns ist immer gegeben, so dass man sich als Unternehmer immer auf einer Gratwan-derung befi ndet. Wenn aber das Projekt gelingt, kann wieder in Innovationen in-vestiert werden. Jemand hat mal zu mir gesagt: „Sie kommen mir vor, als würden Sie immer auf einer morschen Leiter ge-

hen und hinter Ihnen brechen die Spros-sen weg.“ Meine Antwort lautete: „Das mag sein, aber von der nächsten Stufe sehe ich neue Horizonte!“Die Entwicklung des Unternehmens vollzog sich mit den Kundenanforderun-gen. Dabei war es mir wichtig, die Be-schäftigten mitzunehmen, ihre Kompe-tenzen zu nutzen, ihnen Verantwortung zu übertragen. Innovation passiert nicht in irgendeiner Abteilung, sondern ist Ergebnis einer strategischen Planung – sie ist ein Alltagszustand. Innovation erwächst aus den Anforderungen des Tagesgeschäfts heraus. Alle Mitarbei-ter sind der Innovationsprozess und ihr Netz trägt den Innovationsprozess: Die

„Die Aufgabenstellung für Füh-

rungskräfte möchte ich mit einem

Bild beschreiben: Es ist wie im

Fußball: Sie müssen den Ball nicht

dahin spielen, wo der Mitspieler

steht, sondern dahin, wo er hin-

laufen kann.“

Dr. Matthias AftingHead of Global HR and Organization der Vorwerk & Co. KG

Dr. Matthias AftingHead of Global HR and Organization

der Vorwerk & Co. KG

Fritz StraubGeschäftsführer der Deutschen Werkstätten Hellerau GmbH

„Alle Mitarbeiter sind der

Innovationsprozess und ihr Netz

trägt den Innovationsprozess:

Die Projekte stellen die Fragen,

die Mitarbeiter geben zusammen

die Antwort.“

IMPULSVORTRÄGE

Mitarbeiterführung in Zeiten permanenten Wandels

Projekte stellen die Fragen, die Mitar-beiter geben zusammen die Antwort. Die Anforderung ist, Fachbereiche und Leute zu integrieren – weitere quanti-tative Entwicklungen und zunehmen-de Differenzierungen sind zu erwarten. Wichtig zudem: Es gibt keine Zukunft ohne Herkunft.

Innovationsorientiertes HR-Management

DR. MATTHIAS AFTINGHead of Global HR and Organization der Vorwerk & Co. KG

Die größten Hürden, die wir haben, ist vergangener Erfolg: Wir dürfen nicht glauben, dass das auch zukünftig so ist. Viele Entscheidungen, die wir heute treffen, werden erst in der Zukunft ein-schätzbar sein. So ging es Vorwerk z. B. in den 1970er Jahren, als Dyson uns die Zyklonentechnik anbot. Wir lehnten ab – heute beherrscht die Zyklonentechnik rund 80 Prozent des Marktes bei Staub-saugern. Auch wenn wir dennoch immer noch erfolgreich sind, haben wir diese neue Technologie verschlafen.

Das neue Produkt Thermomix wird erst-mals auch über digitale Kanäle vertrie-ben, aber der Direktvertrieb ist bei Vor-werk nach wie vor das Hauptgeschäft. Wir sind hinsichtlich der Digitalisie-rung sind also noch ganz am Anfang. Wir haben das Know How, müsser aber aufpassen, dass wir uns nicht selbst kan-nibalisieren. Die Aufgabenstellung für Führungskräfte möchte ich mit einem Bild beschreiben: Es ist wie im Fußball: Sie müssen den Ball nicht dahin spielen, wo der Mitspieler steht, sondern dahin, wo er hinlaufen kann.

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Bernd J. WieczorekSenior Advisor bei der

Egon Zehnder International GmbH

Neue Wege der Personal- auswahl und -entwicklung

BERND J. WIECZOREKSenior Advisor bei der Egon Zehnder International GmbH

„Es gibt keine Zeit, Erfahrungen

zu sammeln. Wir müssen aber

dennoch entscheiden – das ist

radikal anders als in der Vergan-

genheit und völlig neu. Die große

Herausforderung der Gegenwart

ist die Fragestellung, was Füh-

rung unter diesen Bedingungen

bedeutet.“

Führungskräfte von heute müssen „Men-schenfänger“ sein – das ist eine Tugend, die wir nicht aus den Augen verlieren sollten. Hüten sollten wir uns vor mo-dellhaften Vorstellungen, denn die Gene des Menschen ändern sich nicht und übersteigen alle modellhaften Szenari-en. Deshalb hat Intuition sowohl in der alten als auch in der neuen Welt ihren

Platz. Mehr noch – sie ist in der heuti-gen Zeit wichtiger denn je: Wesentliche Teile des wirtschaftlichen und privaten Geschehens werden in atemberaubender Geschwindigkeit verändert. Es gibt kei-ne Zeit, Erfahrungen zu sammeln. Wir müssen aber dennoch entscheiden – das ist radikal anders als in der Vergangen-heit und völlig neu. Die große Heraus-forderung der Gegenwart ist die Fra-gestellung, was Führung unter diesen Bedingungen bedeutet.

JUERGEN PEUKERTPartner bei der Ernst & Young GmbH

Meine drei Kinder zeigen mir täglich, was Digitalisierung bedeutet und wie sie Einzug ins alltägliche Leben hält. Im Un-ternehmen ist das ein großes Führungs-thema, denn wir haben zum einen die Digital Player wie Facebook, Uber oder Airbnb, die allein an ihren Plattformen verdienen. Andererseits ist da noch die „alte Industrie“, die sich mit Innovati-onen schwer tun, weil der alte Weg ge-fährlich, aber noch profi tabel ist.

Und nahezu täglich müssen wir Fragen beantworten wie Warum gibt es euch, welche Werte habt ihr, welchen Beitrag leistet ihr für die Gesellschaft? Darauf Antworten zu fi nden, ist die Herausfor-derung für Führungskräfte. Man erwar-tet von ihnen, Entscheidungen zu fällen, Transparenz zu schaffen, mutig mit Unsicherheiten umzugehen, Entepre-neurship zu fördern, Fehler zuzulassen,

sich den neuen Aufgaben zu stellen, mit Diversity in der Belegschaft umzugehen und die verschiedenen Kompetenzen po-sitiv zu verknüpfen. Wir brauchen neue Leadership-Modelle, in der die Psycholo-gie einen höheren Stellenwert bekommt und sich der Frage stellt: Wie schaf-fen wir es, mit den neuen Bedingungen umzugehen?

Juergen PeukertPartner bei der Ernst & Young GmbH

„Wir brauchen neue Leadership-

Modelle, in der die Psychologie

einen höheren Stellenwert

bekommt und sich der Frage

stellt: Wie schaffen wir es, mit den

neuen Bedingungen umzugehen?“

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Mitarbeiterführung dreht sich im Kern um den Faktor Human Capital: Wie befä-higen wir Menschen, die Beschleunigung des Transformationsprozesses nicht nur auszuhalten, sondern aktiv mitzugestal-ten? Und wie funktioniert das praktisch? Realwirtschaft und Berater wollen die Sache gemeinsam voranbringen.Ist in Zeiten der Digitalisierung eine grundlegende Umorientierung nötig oder gelten alte Werte weiterhin? Für Hellerau-Chef Fritz Straub hat sich nichts verändert: „Aus dauerndem Über-lebenskampf entsteht eine verschworene Gemeinschaft. Jeder hat etwas beizutra-gen, keiner weiß genau, wo es hingeht; es ist ein permanenter Prozess von Trial and Error.“ Dabei sei es zweitrangig, ob die Entwicklung durch Marktverände-rungen oder tecnnologische Prozesse ge-trieben sei. „Wir tragen Werte nicht vor uns her, wir leben sie einfach. Leiden-schaft ist eine große Motivation“, sagte Straub und appellierte: „Gehen Sie mit Menschen anständig um, lassen Sie ih-nen ihre Freiheit, lassen sie Fehler zu.“Bernd J. Wieczorek relativierte Straubs Aussage aus Beratersicht. Start-ups und Unternehmen wie Hellerau seien typi-sche Beispiele, in denen unternehme-

DISKUSSIONSRUNDE

rische Leidenschaft auf die Beschäftig-ten übertragen werden könne. Dagegen funktionierten in großen, komplexen Unternehmen oft nur modellhafte Ansätze. Einig waren sich die vier Panelisten dar-in, dass Führungskräfte in der Lage sein sollten, ihre Leidenschaft für ein The-ma auf andere zu übertragen, sich und ihr Team als Teil der Unternehmensge-schichte zu sehen. Diese Identitätsmerk-male seien umso wichtiger in Zeiten, die sich so schnell ändern. Straub brachte es auf den Punkt: „Wer ‚wozu‘ und ‚warum‘ kennt, erträgt fast jedes wie.“Moderator Prof. Dr. Timo Meynhardt vom Dr. Arend Oetker Lehrstuhl für Business Psychology und Leadership fragte Vorwerk-Manager Dr. Matthias Afting nach der Perspektive des Direkt-verkäufers. „Wir müssen mehr über Ent-wicklung und Zukunft sprechen, denn es geht nicht mehr allein um Geld“, sagte Afting und plädierte für eine Einstellung, die weniger taktierend und mehr zupa-ckend sei. Jürgen Peukert von Ernst & Young beton-te: „Die neue Generation brennt genau so, wie die vorherige.“ Der große Unter-schied sei, dass es damals Ziel gewesen

Mitarbeiterführung in Zeiten permanenten Wandels

sei, Partner im Unternehmen zu werden. „Heute wollen Menschen in Projekten arbeiten, die interessant für sie sind – das defi nieren sie als Erfolg.“ Für die Aufgaben der Zukunft müsse man die-jenigen gewinnen, die kompetent sind – auch wenn sie äußerlich und erst recht nicht in ihrer Arbeitsweise (noch) nicht zum Unternehmen passten. Das Modell des Transformational Lea-dership sei bereits in der Beratertätig-keit angekommen, sagte Bernd J. Wie-czorek: „In dem Moment, in dem sich jemand eine Frage stellt, ist ein Teil der Lösung schon geschafft.“ Zukünftig müs-se man die Mitarbeiter mit intellektuel-lem und die mit Erfahrungswissen noch besser verbinden. „Hier haben wir über die Unternehmen hinaus auch eine ge-sellschaftliche Aufgabe“, so Wieczorek. Wie schwer das tatsächlich ist, konnte Matthias Afting durch seine Erfahrun-gen aus einem Management-Workshop bei Vorwerk vermitteln. Aufgabe war ge-wesen, ein Unternehmen zu simulieren: „Ich habe in der Simulation als Arbeiter fungiert und bekam nichts mit … keine Informationen von oben nach unten oder umgekehrt, fühlte mich völlig allein gelassen“, berichtete er. Auch Peukert verwies auf die Schwachstellen heutiger Führung, die sich u. a. in hohen Burn-outraten zeige: „Vor sechs, sieben Jahren

war Change Management noch nicht ge-fragt. Aber jetzt müssen wir schnell um-steuern, eine neue Kultur der Achtsam-keit pfl egen.“ Juergen Peukert: „Wir legen keine Pläne mehr auf mit Meilenstei-nen, wir denken kurzfristiger, projekt-bezogen, wir müssen die Mitarbeiter da mitnehmen. Unternehmen, die bislang statisch waren, fällt das schwerer.“Wieczoreks Aussage sollte im weite-ren Verlauf des HHL-Fourms noch öfter zitiert werden: „Wertschöpfung durch Wertschätzung – daraus resultiert eine Bandbreite von Anforderungen, – das ist verdammt schwer umzusetzen, aber unerlässlich.“ Nach dieser Diskussionsrunde reifte die Erkenntnis, dass in vielen Unternehmen heute schon die Mitarbeiter eingestellt werden sollten, die in drei bis vier Jahren benötigt werden. Meynhard schloss die spannende Diskussionsrunde mit einem Zitat von Altkanzler Willy Brandt: „Der beste Weg, die Zukunft vorherzusagen, ist, sie zu gestalten.“

„Gehen Sie mit Menschen

anständig um, lassen Sie ihnen

ihre Freiheit, lassen sie Fehler zu.“

Fritz StraubGeschäftsführer der Deutschen Werkstätten Hellerau GmbH

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IMPULSVORTRÄGE

Innovationsführerschaft aus transatlantischer Perspektive

Was die USA und Deutschland voneinander lernen können

Die USA zeichnen sich durch eine hohe Innovationstätigkeit, hohes Pro-Kopf-Einkommen sowie hohe Lebensqualität aus. Wobei die Streuung in allen Para-metern größer ist als in Deutschland. Deutschland als Exportweltmeister weist bemerkenswert viel mehr Kontinu-ität auf und nur zwei Prozent Mobilität.

Prof. Dietmar Harhoff , PhDVorsitzender des Innovationsrates der Bundesregierung, Direktor des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb

Brauchen wir (wieder) mehr Experimentiergeist?

Die Frage nach der Notwendigkeit von Experimenten lässt sich mit einem kla-ren JA beantworten. Überall wird von In-novation als großes Thema gesprochen.Aber was ist Innovation? Innovation ist geprägt durch eine gewisse Radikalität – es geht um Neuheit und Gewinn, Durch-bruch oder Abbruch. Innovativ können Produkte und Service, Technolologien, Produktionsprozesse, Märkte und Kanä-le oder Geschäftsmodelle. Warum und wie entwickeln einige Unternehmen immer wieder Innovationen, wie z. B. Apple das iPhone, das den Umsatz und Gewinn von Microsoft innerhalb kürzes-ter Zeit überstieg. Sie experimentierten und schafften überraschende Kunden-lösungen. Dadurch konnten sie wach-sen. Experimente können freilich auch schief gehen – das gehört dazu. Deshalb ist es eine fundamentale Anforderung an Führungskräfte, Unwägbarkeiten managen zu können. Denn viele Fragen können nicht sofort beantwortet wer-den. Wie kreieren wir ein Angebot für einen Markt, der (noch) nicht existiert? Lösen wir Kundenprobleme wirklich? Wie agieren wir ohne Erfahrungen und Daten? Antworten darauf fi nden wir nur durch Experimente, mit denen wir herausbekommen, wie Prozesse funk-tionieren. Das kann auf verschiedenen Ebenen des Unternehmens passieren. Die meisten großen Institutionen haben leider vergessen, wie man testet und daraus lernt. Sie diskutieren Analysen und schrecken zurück, getrieben von der Angst, Fehler zu machen. Das Gegenteil ist nötig: Fehler zulassen und daraus ler-

Prof. Stefan H. Thomke, PhDWilliam Barclay Harding Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Harvard Business School (USA)

nen. Das wurde vor 100 Jahren schon ge-tan und heute immer noch, wie es diese „Rezepte für Innovation“ belegen:

In den USA ist dieser Wert mindestens fünfmal so hoch. Hinsichtlich der Digitalisierung fehlt in Deutschland Wagniskapital. Die USA hingegen benötigten mehr Manufactoring-Industrie, um die Stabi-lität zu erhöhen. Und während man in Nordamerika keine Angst vor Kanniba-lisierung hat, ist hierzulande in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels mehr Flexibilität gefragt. Die Gegensätze sind also groß. Und während in den USA begeistert experimentiert wird, fragt man in Deutschland noch nach Erlaubnis für Innovationen.Ich wünsche mir mehr Ambitionen, mehr Mut zu Fehlern, mehr großes Den-ken und vor allem mehr Experimente.

“The real measure of success is

the number of experiments that

can be crowded into twenty-four

hours.”

Tomas Alva Edison

“We try things … we celebrate

our failures – this is a company

where it’s absolutely okay to try

something that’s very hard, have

it not be successful, and take the

learning from that.”

Eric Schmidt, ex-CEO, Google

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36 KONFERENZBERICHT

Impressum

HHL-Forum 2015 Führung neu denken – Führung und Innovation in Zeiten digitaler Transformation

ISSN: 2193-6870 (Print)ISSN: 2191-6889 (Online) © HHL gemeinnützige GmbH, 2016

Alle Rechte vorbehalten.

Die Reden in dieser Publikation stellen einen Auszug dar und wurden entsprechend des Satzspiegels gekürzt.

Das Werk einschließlich aller Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung der Urheber unzulässig und strafbar.

Herausgeber: Die Geschäftsführung der HHL gemeinnützige GmbH Geschäftsführer: Prof. Dr. Andreas Pinkwart (Rektor), Dr. Axel Baisch (Kanzler)

Redaktion: Volker Stößel (MBA) Text: Gundula LaschFotos: Hendrik Schmidt Konzept: CLAUS KOCHTM Gestaltung: Stefanie Bader Druck: FISCHER druck&medien OHG

Wir danken der Heinz Nixdorf Stiftung für die Förderung des HHL-Forums 2015.

www.hhl.de/hhl-forum

HHL-FORSCHUNGSPREIS 2015

Der HHL-Forschungspreis 2015 geht an Marc Marheineke

Für seine Forschungen, in deren Zentrum die Analyse und Gestaltung von Inno-vationsprozessen in standortverteilten Entwicklerteams stehen, erhielt Marc Marheineke (Mitte) den mit 500 Euro do-tierten HHL-Forschungspreis 2015. Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Center for Leading Innovation and Coope-ration (CLIC) an der HHL untersuchte das Problem, dass unterschiedliche Wissens-stände von Entwicklern an den verschie-denen Standorten von Unternehmen Innovationsbarrieren darstellen. Deshalb stehen Lernplattformen, so genannte „Boundary Objekts“, allen Mitgliedern eines verteilten Entwicklerteams zur Ver-fügung und bringen alle auf ein gemein-sames Wissensniveau. In seiner Laudatio würdigte Prof. Dr. Dr. h.c. Ralf Reichwald (links) die empirischen Untersuchungen, die Marheineke in seiner Dissertation anstellte, um Einsatz und Wirksamkeit

solcher Lernplattformen bestimmen zu können. Seine Empirie basiert auf einer qualitativ ausgerichteten Forschungsme-thodik, dem sogenannten gestaltungs-orientierten Ansatz in der Wirtschafts-informatik. „Insbesondere sein Beitrag ‚Standing in Misunderstanding: Analy-zing Boundary Objects’ Effectiveness in Innovation Communities‘ erzielte große wissenschaftliche Aufmerksamkeit“, so Reichwald. Peter Dorsch (rechts), Consultant bei Mar-tens & Prahl Versicherungskontor GmbH Leipzig und zugleich Vorstandsmitglied in der Gesellschaft der Freunde der HHL (GdF), sagte: „Ich freue mich, dass ich auch 40 Jahre nach meinem Studienab-schluss an der HHL Herrn Marc Marhei-neke den seit 2007 durch die Martens & Prahl Versicherungskontor GmbH Leipzig gestifteten Wissenschaftspreis überrei-chen kann.“

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Mit dem Thema „Führung neu denken – Führung und Innovation in Zeiten digitaler Transformation“ beschäftigt sich das HHL-Forum 2015. Die zweite Welle der Digi-talisierung durchdringt nahezu alle Bereiche der Unternehmensführung und stellt das Innovationsmanagement vor grundlegende Veränderungen. Erhöhter Komple-xität und Geschwindigkeit beim Finden und Durchsetzen von Entscheidungen ste-hen neue Möglichkeiten der schnelleren Analyse, Kommunikation und Innovation gegenüber. Wie der dynamische Wandel mit Hilfe neuer Führungsinstrumente und zunehmender Öffnung des Innovationsmanagements gestaltet werden kann, steht im Mittelpunkt des HHL-Forums 2015. Mit den Auswirkungen der Digitalisierung beschäftigen sich zudem zahlreiche HHL-Veranstaltungen im Jahr 2016 (www.hhl.de/digitaltransformation).

Das von der Heinz Nixdorf Stiftung unterstützte HHL-Forum 2015 leistet einen weiteren Beitrag zur Entwicklung eines neuen „Leipziger Führungsmodell“ und gibt den Führungskräften wirksame, an den neuen Bedingungen ausgerichtete Methoden an die Hand.

www.hhl.de/hhl-forum

HHL Leipzig Graduate School of Management

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HHL-Veranstaltungen 2016

DIGITAL

LEADERSHIP AND

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