Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und...

38
Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der Erfolg eines Unternehmens ist von vielen Faktoren ab- hängig. Produktpalette, Qualität, Preis, Absatz und Marke- ting, vielfältigste Einflussfaktoren auf den unternehmeri- schen und organisationalen Erfolg sind auszumachen. Einen Dauerbrenner in der Diskussion um Organisationserfolg und -misserfolg stellt dabei der Bereich der Führung dar. Das Thema ist uralt und doch immer wieder aktuell: Wer führt erfolgreich? Wie führt man erfolgreich? Was ist über- haupt erfolgreiche Führung? Und wie erkennt man erfolg- reiche Führungskräfte? Die Antworten auf diese Fragen haben sich im Wandel der Zeiten immer wieder einmal ge- ändert. Der erste Teil dieses Beitrags beschäftigt sich daher mit der Frage, wie (erfolgreiche) Führung überhaupt zu de- finieren ist. Dabei wird auf unterschiedliche Führungsan- sätze und -theorien zurückgegriffen. Der zweite Teil des Beitrags beschäftigt sich mit Führungserfolg und dessen „Messung“, mit der Vorhersage von Führungspotential und dem alltäglichen Führungsverhalten. Was machen Füh- rungskräfte eigentlich den ganzen Tag? Was ist Führung? Führung – ein Thema, das wohl zu den interessantesten, aber auch umstrittensten Bereichen der Organisationspsy- chologie gehört. Über Führungsfehler ist im Zusammen- hang mit zahlreichen Wirtschaftskrisen der letzten Monate und Jahre immer wieder gesprochen worden. Und der Abstract Facettenreiche Faszination 18. Aktualisierung © Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen Führungserfolg in Theorie und Praxis 10211 Seite 1

Transcript of Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und...

Page 1: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht)vorhersagen kann

Dr. Stefan Poppelreuter

Der Erfolg eines Unternehmens ist von vielen Faktoren ab-hängig. Produktpalette, Qualität, Preis, Absatz und Marke-ting, vielfältigste Einflussfaktoren auf den unternehmeri-schen und organisationalen Erfolg sind auszumachen. EinenDauerbrenner in der Diskussion um Organisationserfolgund -misserfolg stellt dabei der Bereich der Führung dar.Das Thema ist uralt und doch immer wieder aktuell: Werführt erfolgreich? Wie führt man erfolgreich? Was ist über-haupt erfolgreiche Führung? Und wie erkennt man erfolg-reiche Führungskräfte? Die Antworten auf diese Fragenhaben sich im Wandel der Zeiten immer wieder einmal ge-ändert. Der erste Teil dieses Beitrags beschäftigt sich dahermit der Frage, wie (erfolgreiche) Führung überhaupt zu de-finieren ist. Dabei wird auf unterschiedliche Führungsan-sätze und -theorien zurückgegriffen. Der zweite Teil desBeitrags beschäftigt sich mit Führungserfolg und dessen„Messung“, mit der Vorhersage von Führungspotential unddem alltäglichen Führungsverhalten. Was machen Füh-rungskräfte eigentlich den ganzen Tag?

Was ist Führung?

Führung – ein Thema, das wohl zu den interessantesten,aber auch umstrittensten Bereichen der Organisationspsy-chologie gehört. Über Führungsfehler ist im Zusammen-hang mit zahlreichen Wirtschaftskrisen der letzten Monateund Jahre immer wieder gesprochen worden. Und der

Abstract

FacettenreicheFaszination

18. Aktualisierung © Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Führungserfolg in Theorie und Praxis 10211Seite 1

Page 2: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

Wunsch nach einer starken Führung wird nicht nur in Unter-nehmen und Organisationen, sondern auch und gerade inder Politik immer wieder geäußert. Von dem Begriff gehtdabei eine facettenreiche Faszination aus: führend sein, inFührung gehen, führungsstark sein sind Eigenschaften, diein unserer Gesellschaft hohes positives Ansehen genießen.Im Alltag begegnen wir den Begriffen der Führung und desGeführtwerdens in unterschiedlichsten Zusammenhängen:Im Sport wird der „aggressive leader“ propagiert. In Kom-munikationsseminaren wird immer wieder eingeschärft:„Wer fragt, der führt”. Dass es mit der Führung so seineTücken hat, erfährt man allerdings nicht erst im Berufsall-tag. Leidvolle Erinnerungen an die Tanzschulenzeit werdenhier wach, in der das Führen der Tanzpartnerin sich – zu-mindest für den Autor – als Problem besonderer Art heraus-stellte. Die Werbung als scheinbar unkontrollierbarer Ver-führer und Manipulierer unserer Wünsche und Bedürfnissewird eher skeptisch betrachtet. Und nicht zuletzt ist auchdas dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte untrennbarmit dem Begriff des Führers verbunden... ein angedrohter1000-jähriger Schrecken, der Gott sei dank nach wenigenJahren sein Ende fand.

Es liegt in der Natur der Sache, dass im Folgenden nur aufden eingeschränkten Bereich der Führung in Organisatio-nen eingegangen wird. Aber auch wenn in diesem Beitrageine Menge über Führungsverhalten und Führungsstile,über Führungserfolg und Führungskräfteauswahl und auchüber Führungsalltag berichtet werden wird, wird am Endebestenfalls eine bessere Strukturierung dieser komplexenThematik gegeben sein. Eindeutige und unumstrittene Kon-zepte hingegen dürfen nicht erwartet werden. Denn: Füh-rung ist ein vielschichtiges und vieldeutiges Phänomen.

Führung inOrganisationen

© Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 18. Aktualisierung

10211 Führungserfolg in Theorie und PraxisSeite 2

Page 3: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

Selbst die Definition dessen, was unter Führung zu verste-hen ist, bereitet schon erhebliche Schwierigkeiten und hatZehntausende von Buchseiten gefüllt und Hunderten vonAutorinnen und Autoren Lohn und Brot gebracht. Auch waserfolgreiche Führung anbetrifft, kann kaum von einheit-lichen und allgemein geteilten Auffassungen ausgegangenwerden, was nicht zuletzt durch einen Blick in die einschlä-gige Literatur bestätigt wird: dort findet man nicht wenigerals über 1000 (!) Kriterien zur Beurteilung des Führungser-folges aufgelistet. Ein wahrhaft babylonischer Sprach- undBegriffsdschungel tut sich da auf. Neuberger (1995, S. 3f.)hat daher auch pointiert gesagt:

Will man sich auf dem Gebiet der Führung orientieren, sotrifft man auf unübersichtliches Gelände: Es gibt beein-druckende Pracht-Straßen, die aber ins Nichts führen,kleine Schleichwege zu faszinierenden Aussichtspunkten,Nebellöcher und sumpfige Stellen. Auf der Landkarte derFührung finden sich auch eine ganze Reihe PotemkinscherDörfer, uneinnehmbarer Festungen oder wild wuchernderSlums.

Sievers (1988) geht sogar soweit, dass er vielen Schriftenüber Führung „mehr Heiz- als Erkenntniswert“ zuspricht.Der vorliegende Beitrag betont den Wissensgewinn und gibtauf engem Raum einen Überblick über zentrale theoretischeund praktische Erkenntnisse und Probleme der Führungs-psychologie. Er ist quasi eine kleine Führung durch die Weltder Führung.

Definitionen von Führung

Führung ist nicht nur ein komplexes, sondern vor allem auchein allgegenwärtiges Phänomen. Fast alle Menschen sind –

BabylonischerBegriffs-dschungel

Konsequenzvon Gruppen-bildung

18. Aktualisierung © Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Führungserfolg in Theorie und Praxis 10211Seite 3

Page 4: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

unabhängig vom Geschlecht, vom Alter, von der Religion,von der Nationalität und vom sozialen Status – mehr oderweniger stark von Führung betroffen. Sei es in der klassi-schen Form als Führungskraft oder Mitarbeiter in einem Ar-beitsverhältnis, sei es als Familienangehöriger, als Verein-smitglied, als Bürger einer Stadt, eines Bundeslandes odereiner Nation. Führung ist, in Anlehnung an Bergler (1987),als ein natürlicher Vorgang, als Konsequenz von Gruppen-bildung, Gruppenentwicklung und Verteilung von unter-schiedlichen Rollen innerhalb einer Gruppe zu sehen und zubewerten. Insbesondere in wirtschaftlich tätigen Organisa-tionen schließt die Notwendigkeit der Arbeitsteilung inGruppen die Notwendigkeit von Abstimmungsprozessenein. Unterschiedliche Fähigkeiten und Aktivitäten der Mit-glieder einer Gruppe müssen zielbestimmt definiert, initiiert,organisiert, koordiniert, motiviert und kontrolliert werden.

Versucht man nun dieses Bündel von Aktivitäten, das Füh-rung umfasst, in einen definitorischen Rahmen zu bringen,so stößt man aufgrund vielfältiger möglicher Betrachtungs-perspektiven (Führung aus Sicht des Führers, Führung ausSicht der Geführten, Führung als machtbezogenes Verhaltenusw.) sowie unter dem Aspekt unterschiedlicher Wissen-schaften (Psychologie, Betriebswirtschaftslehre, Politik-wissenschaften, Philosophie, Theologie, um nur einige zunennen) auf eine Vielzahl, um nicht zu sagen Unzahl vonDefinitionsvorschlägen. An dieser Stelle wird zur Vermei-dung von Langeweile auf eine Aneinanderreihung unter-schiedlicher Definitionsversuche verzichtet. Vielmehr sollin Anlehnung an Neuberger (1995) durch eine Satzanalyseuntersucht werden, welche Subjekte, Objekte und Prädikatein den Definitionen zum Begriff „Führung“ miteinanderverbunden werden. Bekanntlich besteht ein Satz in der deut-schen Sprache aus einem Subjekt, einem Prädikat und –meistens – einem Objekt. Wenn wir uns die Definitionen

© Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 18. Aktualisierung

10211 Führungserfolg in Theorie und PraxisSeite 4

Page 5: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

zum Begriff „Führung“ unter diesem Ordnungsschema –Subjekt, Prädikat, Objekt – einmal näher betrachten, zeigtsich folgendes:

Man möchte meinen, der Handelnde im Bereich der Füh-rung ist der Führer bzw. eine Führungskraft. Darin stimmenschon nicht alle Definitionen überein. Führung scheint dortapersonal, multipersonal oder „irgendwie“ zu geschehen.Wie anders könnte man sonst z. B. die Definition von Bave-las (1960, S. 492) verstehen, die lautet: „...organisatorischeFührung besteht aus Unsicherheitsreduktion“?

Man sollte meinen, dass der Gegenstand der Führung dieGeführten sind. Weit gefehlt, schaut man sich die Samm-lung von Führungsdefinitionen genauer an. Da wird von„geführten personalen Elementen“ gesprochen (Bleicher &Meyer, 1976, S. 38), Pfeffer (1977, S. 104) nennt „indivi-duelle soziale Akteure“, die geführt werden, die Heeres-Dienst-Vorschrift 100/200, Nr. 101 begnügt sich mit „ande-ren Menschen“ als Objekten der Führung. Oftmals bleibtgänzlich offen, wer oder was geführt wird.

In diesem Definitionsbestandteil wird festgelegt, was wiewo geschieht. Bezüglich des was wird gesprochen von Ein-flussnahme, Verhaltensbeeinflussung, Steuerung und Ge-staltung des Handelns, Verhaltenssteuerung, Beeinflussungvon Einstellungen und Handeln, Fremd-Willensdurchset-zung, Herrschaftsdurchsetzung, Unsicherheitsreduktion,Ursachenzuschreibung usw. usw.

Wie Führung geschieht, ist ebenso unklar: da ist von zielbe-zogen, motivierend, interpersonell, informierend, instruie-rend, direkt, asymmetrisch und vielem mehr die Rede. Nurselten wird darauf eingegangen, wo Führung stattfindet: imUnternehmen, in der Arbeitssituation, bei Organisationsmit-gliedern oder auch einfach „irgendwo“.

Subjekt

Objekt

Prädikat

18. Aktualisierung © Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Führungserfolg in Theorie und Praxis 10211Seite 5

Page 6: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

Die Vielfalt der Definitionsversuche macht es sehr schwie-rig, eine einheitliche, allgemeingültige Definition kreierenzu wollen. Es wäre jedoch ebenso falsch, diese verwirrendeSituation zum Anlass zu nehmen, den Begriff der „Füh-rung“ durch vermeintlich einfachere Konzepte ersetzen zuwollen. Neuberger (1995) spricht in diesem Zusammenhangzu Recht von „kindlicher Magie“: man meint, die ängsti-gende Wirklichkeit verschwindet, sobald man die Augenschließt!

Daher wird im folgenden der Begriff der Führung auch bei-behalten und darunter das verstanden, was sich zumindestin der organisationspsychologischen Führungsliteratur alskleinster gemeinsamer Nenner inzwischen hat etablierenkönnen. Danach ist Führung die „unmittelbare, absichtlicheund zielbezogene Einflussnahme durch Inhaber von Vorge-setztenpositionen auf Unterstellte mit Hilfe von Kommuni-kationsmitteln“ (v. Rosenstiel, Molt & Rüttinger, 1988).Führung wird also verstanden als eine Einflussnahme durchPersonen insbesondere auf Personen. Das Phänomen derapersonalen Führung, z. B. durch Technik, Strukturierung,fixierte Vorschriften, ungeschriebene Normen usw., das inOrganisationen ebenfalls häufig anzutreffen ist, wird hiernicht weiter thematisiert. Derartige Systeme hat Weinert(1989) als „Führungssubstitute“ bezeichnet, die im Extrem-fall das Ziel haben, den Vorgesetzten überflüssig oder be-stenfalls zum „Lückenbüßer der Organisation“ zu machen.Bürokratische Modelle der Organisation zielen darauf ab,die Organisation möglichst weitgehend von personaler Füh-rung frei zu halten. Man kann darüber streiten, ob dies Sinnmacht oder nicht. In der Organisationspsychologie stehtallerdings das Individuum im Mittelpunkt der Betrachtung.Daher wird sich im Folgenden auch nur auf die personaleKonzeption von Führung bezogen.

KleinstergemeinsamerNenner

© Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 18. Aktualisierung

10211 Führungserfolg in Theorie und PraxisSeite 6

Page 7: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

Allgemein wird die Funktion der Führung, die Einfluss-nahme, in vier Unterfunktionen aufgegliedert, die „die kon-stitutiven Elemente der Führung bilden“ (Thommen, 1991,S. 731), nämlich die Planung, die Entscheidung, die Aufga-benübertragung und die Kontrolle. Für Unternehmen undOrganisationen stellt sich die Frage nach der Erfüllung die-ser Einflussnahme in zweifacher Hinsicht (vgl. Rosenstiel,1995):

• Wer führt erfolgreich, d. h. wen sollte man einstellen, be-fördern etc. (Selektionsfrage)?

• Wie führt man erfolgreich, d. h. welches Verhalten sollteman schulen, trainieren, weiterbilden (Modifikations-frage)?

Beide Fragen werden im Folgenden näher beleuchtet. DieSelektionsfrage erfordert dabei eine intensivere Beschäfti-gung mit unterschiedlichen theoretischen Ansätzen zur Er-klärung von (erfolgreichem) Führungsverhalten, währenddie Modifikationsfrage eine Betrachtung des Problemberei-ches „Führungserfolg“ mit sich bringt.

Theorien der Führung

Mit Rosenstiel (1995) lässt sich die Zielsetzung der zahlrei-chen Führungstheorien, die im Laufe der Zeit entwickeltworden sind – und wohl auch derjenigen, die noch entwik-kelt werden – dahingehend zusammenfassen, dass sie alleimplizit oder explizit Führungserfolg erklären und progno-stizieren sowie mögliche Wege der entsprechenden Beein-flussung von Führungserfolg aufzeigen wollen. Zugrunde-gelegte Führungstheorien haben daher immer auch erhebli-che Auswirkungen auf die Konstruktion und den Einsatzvon Instrumenten zur Auswahl von potentiellen Führungs-

Vier Unter-funktionen

ErfolgreicheFührung

18. Aktualisierung © Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Führungserfolg in Theorie und Praxis 10211Seite 7

Page 8: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

kräften bzw. auf Vorstellungen darüber, was eine gute – d. h.in der Regel, eine erfolgreiche – Führungskraft auszeichnet.Wichtig ist der Hinweis, dass die meisten der im Folgendendargestellten Theorieansätze eine lange Tradition haben.Führungstheorien entstehen nicht „aus der hohlen Hand“.So ist der Eigenschaftsansatz schon mehr als 2000 Jahre alt,Machiavelli gab vor 500 Jahren Ratschläge zum besten Füh-rungsverhalten, und traditionsreiche Großorganisationenwie das Militär oder die Kirche wussten schon immer umdie Bedeutung personunabhängiger Regelungen, die alsFührungsersatz wirken (vgl. Neuberger, 1995). Drei Grup-pen von Theorieansätzen im Bereich der Führung werdendargestellt:

• die Eigenschaftsansätze der Führung,

• die Führungsstil- bzw. Führungsverhaltenstheorien, und

• die Kontingenzansätze der Führung.

Eigenschaftsansätze der Führung

Den Eigenschaftsansätzen der Führung liegt eine ebensobanale wie falsche Annahme zugrunde, die da lautet: Füh-rungserfolg und -misserfolg hängen einzig und allein vonden persönlichen Eigenschaften der Führungskraft ab! Umerfolgreiche Führung zu gewährleisten ist es – so der Tenordieser Ansätze – lediglich erforderlich, die Eigenschaftenausfindig zu machen, die eine erfolgreiche Führungskraftkennzeichnen, und dann nur noch Personen mit Führungs-aufgaben zu betrauen, die über ebendiese Eigenschaftenausreichend oder überhaupt verfügen. Eigenschaften wer-den dabei als zeitlich stabil, übersituativ (d. h. generell gül-tig) und universell (d. h. bei allen Menschen, wenngleich inje unterschiedlicher Ausprägung vorhanden) definiert. Füh-rungsfähigkeit ist nach dieser Auffassung letztlich eine an-

Personen-abhängig

© Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 18. Aktualisierung

10211 Führungserfolg in Theorie und PraxisSeite 8

Page 9: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

geborene Fähigkeit. Entweder man hat entsprechende Kom-petenzen, oder man hat sie nicht. Diskutiert wurde im Rah-men der eigenschaftstheoretischen Ansätze der Führung le-diglich noch, welche Eigenschaften eine Führungskraft aus-zeichnen. Die oftmals vorzufindenden Listen von äußerstpositiven Eigenschaften, die einen Vorgesetzten angeblichkennzeichnen sollen (wie z.B. hohe Intelligenz, hohesSelbstbewusstsein, hohe Aktivität, ausgeprägte soziale Fer-tigkeiten, Motivation), werden durch Beispiele aus der Rea-lität jedoch häufig eindrucksvoll widerlegt. Brown (1956,S. 132) schreibt dazu:

Wenn wir an Männer wie Hitler, Napoleon, John Knocks,Oliver Cromwell, oder an Frauen wie Mary Baker <oder>die erste Königin Elisabeth (...) denken, wird es uns fastgrotesk anmuten, einer Führungspersönlichkeit Eigenschaf-ten wie innere Ausgeglichenheit, Sinn für Humor oder Ge-rechtigkeitssinn zuzuschreiben. Einige der erfolgreichstenFührer in der Geschichte sind Neurotiker, Geisteskrankeund Epileptiker gewesen. Waren humorlos, engstirnig, un-gerecht und despotisch. Es gab religiöse Führer, die anSchuldgefühl, politische Führer, die an Größenwahnsinn,und Militärdiktatoren, die an Verfolgungswahn krankten.Sollte man einwenden, dass wir es mit der Industrie zu tunhaben und nicht mit Religion, Politik oder Militärkunde,wäre mit Leichtigkeit nachzuweisen, dass auch die großenIndustriekapitäne vielfach der von den Psychologen emp-fohlenen Eigenschaften ermangeln. Männer wie HenryFord, Carnegie oder Morgan waren keineswegs Musterbei-spiele an Tugend oder innerer Gesundheit.

Es bleibt der Kreativität und Phantasie des Lesers überlas-sen, Beispiele für entsprechende, keineswegs als „Muster-beispiele an Tugend oder innerer Gesundheit“ zu betrach-tende Topmanager in deutschen Unternehmen zu finden.

Realitätsfern

Wie ist eineFührungs-kraft?

18. Aktualisierung © Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Führungserfolg in Theorie und Praxis 10211Seite 9

Page 10: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

Die eigenschaftstheoretischen Ansätze der Führung sind invielerlei Hinsicht kritisiert worden. So wurden in unter-schiedlichen Studien immer neue Eigenschaftslisten prä-sentiert, die eine Führungspersönlichkeit angeblich kenn-zeichnen. Über verschiedene Studien hinweg wurde darüberhinaus identischen Eigenschaften ein höchst unterschiedli-ches Gewicht für erfolgreiche Führung beigemessen. Man-che Studien kamen zu dem Ergebnis, dass z. B. Intelligenzhochgradig positiv mit Führungserfolg korrespondiert. An-dere hingegen postulierten das genaue Gegenteil: Führungs-erfolg und Intelligenz hängen schwach negativ miteinanderzusammen. Zweite Ansicht bestätigt ja auch der Volks-mund: „Die dümmsten Bauern haben eben doch die dick-sten Kartoffeln“. Über das Zusammenspiel der unterschied-lichen aufgelisteten Eigenschaften wurden ebenso wenigAussagen gemacht wie über situative und zwischen Personund Situation wirksamen Einflussfaktoren des Führungser-folges. Auch blieben die Eigenschaftstheoretiker die Ant-wort schuldig, ob die angeblich erfolgreiche Führungskräftekennzeichnenden Persönlichkeitsmerkmale tatsächlichschon gegeben waren, bevor die Führungsposition einge-nommen wurde. Denkbar wäre auch, dass sich bestimmteEigenschaften erst durch die Übernahme von Führungstä-tigkeiten entwickeln, frei nach dem Motto „Wem Gott einAmt gibt, dem gibt er auch Verstand.“ Schließlich bliebendie Kriterien zur Bestimmung des Führungserfolges oftmalsweitgehend im Dunkeln, ein Problem, auf das später noch-mals genauer eingegangen werden wird.

Dennoch erfreuen sich die Aussagen der Eigenschaftstheo-rie auch heute noch großer Beliebtheit in der Praxis. Gemäßihrem Credo, „Stark behauptet ist besser als schwach be-wiesen“, werden die Anhänger dieses Theorieansatzes auchnicht müde, immer neue Namen aus der Geschichte anzu-führen, die als Beleg dafür dienen, dass tatsächlich nur sol-

Charismati-schen Füh-rungspersön-lichkeit

© Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 18. Aktualisierung

10211 Führungserfolg in Theorie und PraxisSeite 10

Page 11: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

che Leute in Führungspositionen vorgedrungen sind, dieüber bestimmte Persönlichkeitsmerkmale verfügen. Dabeiwird dieser Eindruck noch verstärkt durch die Art undWeise, wie Geschichtsschreibung stattfindet, nämlich häu-fig als Geschichte einzelner herausragender Personen;ganze Epochen werden nach Leitgestalten benannt. Ähnli-che Beispiele aus dem Bereich der Industriegeschichte sinddurchaus bekannt. Auch heute noch wird die Auffassungvon der „charismatischen Führungspersönlichkeit“ weithinpropagiert. Dies führt, so Neuberger (2002), zu der Unter-stellung, Geschichte – auch Firmengeschichte – sei von ein-zelnen gemacht worden. Doch auch wenn sie als Inhaber so-zialer Positionen zum Teil mit ungewöhnlicher Machtfülleausgestattet waren, so unterlagen auch diese Leitgestaltenzahlreichen, Außenstehenden und der Nachwelt häufig un-bekannten Zwängen. Diese Zwänge werden insbesonderevon Inhabern von Führungspositionen gerne ausgeblendet,Führungserfolg wird rein personal begründet. Möglicher-weise finden Manager die Eigenschaftstheorie auch des-wegen so faszinierend, weil sie darin eine Bestätigung fürihre besonderen Eigenschaften und Fähigkeiten sehen, ob-schon sie diese Fähigkeiten unter Umständen gar nicht be-sitzen. Der Ökonom und Nobelpreisträger Milton Friedmanhat den Managern jedenfalls jeglichen Zauber abgespro-chen, in dem er sagt: „Die wirtschaftlichen Personen sindletztlich nichts anderes als Marionetten der Marktgesetze“.

Die recht kritische Auseinandersetzung mit dem eigen-schaftstheoretischen Ansatz soll nicht den Eindruck er-wecken, dass erfolgreiche Führungstätigkeit gänzlich unab-hängig ist von den Persönlichkeitsmerkmalen der Füh-rungskraft. Es soll jedoch vor Generalisierungen gewarntwerden, „d. h. die Eigenschaften der Führungskräfte müs-sen vor dem Hintergrund der Führungssituation und vordem Hintergrund anderer Persönlichkeitsmerkmale der Per-

18. Aktualisierung © Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Führungserfolg in Theorie und Praxis 10211Seite 11

Page 12: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

sonen interpretiert werden, mit denen sie in Interaktion ste-hen“ (Rosenstiel, 1995, S. 340).

Führungsstil- bzw. Führungsverhaltenstheorien

Nicht nur die Eigenschaftstheorie, auch die frühe experi-mentelle Führungsstilforschung ging von einem monokau-sal-personalistischen Konzept aus. Zwar war die grundsätz-liche Frage nun nicht mehr „Wie ist eine erfolgreiche Füh-rungskraft?“, sondern man wandte sich der Erforschung derFrage zu „Wie führt eine erfolgreiche Führungskraft?“ Manbemühte sich, das Eigenschaftskonzept zugunsten einereher verhaltensorientierten Betrachtungsweise aufzugeben.Innerhalb der Führungsstilforschung wurde dabei zwischeneinem „demokratischen“ und einem „autoritären“ Füh-rungsstil unterschieden. Die Grundannahme des Führungs-stil-Konzeptes ist unsinnigerweise jedoch, „dass jede Füh-rungssituation durch ein einheitliches Verhalten gekenn-zeichnet ist“ (Thommen, 1991, S. 761). Erneut kommt esalso zu personalen Zuschreibungsprozessen, der Führungs-stil wird implizit wiederum als Persönlichkeitskonstanteoperationalisiert. Wer z. B. autoritär führt, der ist ein autori-tärer Mensch.

Der Beginn der empirischen Führungsstilforschung lässtsich datieren auf die späten 30er Jahre dieses Jahrhunderts.Er ist eng verknüpft mit dem Namen Kurt Lewin, einem derwohl bedeutendsten deutschen Psychologen überhaupt.Aufgrund seiner jüdischen Abstammung musste Lewin inden 30er Jahren vor den Nazis in die USA flüchten. DieKenntnis dieser Hintergrundinformation ist sicher nichtganz unwichtig, wenn man sich mit den Forschungsinhaltenund den Forschungsergebnissen Lewins zum Führungsver-halten beschäftigt. Kurt Lewin und seine Mitarbeiter (Lip-

Wie ist eineerfolgreicheFührungs-kraft?

© Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 18. Aktualisierung

10211 Führungserfolg in Theorie und PraxisSeite 12

Page 13: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

pitt & White, 1943) führten Studien an Kindergruppendurch. In experimentellen Untersuchungen überprüften siedie Auswirkungen dreier unterschiedlicher Führungsstile,nämlich des „autoritären“, des „demokratischen“ und des„Laissez-faire“-Stils. Zusammengefasst (vgl. Rosenstiel,1995) kamen sie zu dem Ergebnis, dass

• die Mehrzahl der Kinder mit dem demokratischen Füh-rungsstil zufriedener war,

• in den autoritär geführten Gruppen sich ein aggressiveresKlima entwickelte,

• bei Anwesenheit des Führers die Leistung in den autoritärgeführten Gruppen höher lag, dagegen war die Leistungin den demokratisch geführten Gruppen bei Abwesenheitdes Führers höher.

Angeregt durch die Forschungen von Lewin wurde eineVielzahl ähnlicher Untersuchungen experimenteller Artdurchgeführt (vgl. zusammenfassend Neuberger, 1972; Sei-del, Jung & Redel, 1988; Wunderer, 2007), die immer wie-der eine Unterscheidung zwischen einem autoritären undeinem demokratischen (oder kooperativen) Führungsstil er-gaben. Der autoritäre Führungsstil ist dadurch gekennzeich-net, dass die Führungskraft alleine und ohne Rücksprachemit den Mitarbeitern alle Entscheidungen selber trifft und inForm von Befehlen weitergibt. Der demokratische (oder ko-operative) Führungsstil hingegen zeichnet sich aus durchdie Förderung der Initiative und Selbständigkeit von Mitar-beitern über Delegation von Entscheidungskompetenz undVerantwortung sowie Partizipation am Führungsprozess.Eine Generalisierung der Aussagen von Lewin, insbeson-dere zu den Leistungsresultaten, erscheint bei Betrachtungder Forschungsergebnisse allerdings nicht zulässig. Auchhier ist eine Berücksichtigung der Situation als Einflussva-

Autorität vs.demokratisch

18. Aktualisierung © Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Führungserfolg in Theorie und Praxis 10211Seite 13

Page 14: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

riable notwendig, d. h. in bestimmten Situationen bewirktder autoritäre, in bestimmten anderen Situationen der ko-operative Führungsstil eher bessere Leistungen. Die Füh-rungsstilforschung ließ jedoch offen, in welchen Situationenwelcher Führungsstil geeigneter ist. Zudem dürfte es kaumFührungskräfte geben, die sich ausschließlich autoritäroder ausschließlich kooperativ verhalten. Auch wäre esfalsch, in Personalentwicklungsmaßnahmen (zukünftige)Führungskräfte auf einen „kooperativen“ Führungsstil fest-zulegen, was leider in zahlreichen Trainings immer nochgeschieht. Es gibt nicht „den besten Führungsstil“, sondernimmer nur ein den situativen Bedingungen mehr oder weni-ger gut angepasstes Führungsverhalten.

Den realen Gegebenheiten in der Praxis näher als die Füh-rungsstilforschung steht der Versuch, beobachtbares Verhal-ten von Führungskräften zu beschreiben, zu messen und inseiner Wirkung auf bestimmte Kriterien des Erfolges zuanalysieren. Die Frage ist nun: Wie verhalten sich erfolgrei-che Führungskräfte? Was tun sie, und wie tun sie es, wennsie eine effektive, produktive, aber zugleich auch zufriedeneArbeitsgruppe führen? Diese Forschungsbemühungen sindunter dem Stichwort „Führungsverhaltenstheorien“ populärgeworden. Zahlreiche Untersuchungen bestätigten immerwieder einen Ausgangsbefund, der im Rahmen der soge-nannten Ohio-Studien von Hemphill, Fleishman, Stogdillund Shartle gewonnen worden war: Führungskräfte lassensich aufgrund ihres Verhaltens in zwei Gruppen unterteilen,nämlich in die

• arbeits- und aufgabenorientierten (auch: leistungsorien-tierten) Führer, und in die

• personen- und mitarbeiterorientierten Führer.

Wie verhaltensich erfolgrei-che Führungs-kräfte?

© Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 18. Aktualisierung

10211 Führungserfolg in Theorie und PraxisSeite 14

Page 15: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

Während die aufgabenorientierten Führer sich in ersterLinie auf die Erledigung der zu bewältigenden Aufgabekonzentrieren, wenden sich mitarbeiterorientierte Füh-rungskräfte im Arbeitsprozess vor allen Dingen den persön-lichen Bedürfnissen und Erwartungen ihrer Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter zu. Der aufgabenorientierte Führersieht den Schwerpunkt der eigenen Führungstätigkeit darin,zu organisieren, Gruppenaktivitäten und Arbeitsziele zu de-finieren, Anordnungen zu geben, die Rollen der einzelnenGruppenmitglieder festzulegen, Aufgaben zu verteilen, alleEntscheidungen selbst zu fällen, auf hohe Produktivität undLeistung zu drängen, alle Verantwortung zu übernehmenund die Erreichung des Organisationsziels eindeutig in denMittelpunkt der Gruppenaktivitäten zu stellen.

Der mitarbeiterorientierte Vorgesetzte hingegen legt denSchwerpunkt auf die menschliche, besser gesagt auf diezwischenmenschliche Komponente im Arbeitsprozess. Erbetont und sucht die Mitarbeit der Gruppenmitglieder in we-sentlichen Fragen, berücksichtigt die persönlichen Bedürf-nisse und Empfindungen seiner Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter am Arbeitsplatz, respektiert ihre Vorschläge und Ein-wände, baut auf ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis, undpraktiziert eine zweiseitige Kommunikation zwischen sichund seinen Untergebenen (vgl. Weinert, 2004). In Reinformfinden sich diese Verhaltensmuster im Führungsalltag aller-dings nur selten. Vielmehr ist der Erkenntnisfortschritt derFührungsverhaltenstheorien in der Annahme zu sehen, dassaufgabenorientiertes bzw. personenzentriertes Führungsver-halten in einer Vielzahl von Abstufungen auftreten kann, Ab-stufungen, die ihrer Tendenz nach von der Persönlichkeit desFührers und seinem Wertesystem, aber auch von der Situa-tion, von der Art der Aufgabe und von den Merkmalen derMitarbeiterinnen und Mitarbeiter bzw. der Arbeitsgruppe be-einflusst und bestimmt werden (vgl. Weinert, 2004).

Aufgaben-orientiert

Mitarbeiter-orientiert

18. Aktualisierung © Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Führungserfolg in Theorie und Praxis 10211Seite 15

Page 16: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

Als geradezu revolutionär musste zur damaligen Zeit dieEinsicht beschrieben werden, dass Führungsverhalten nichtnur zwischen verschiedenen Führungskräften, also interin-dividuell, variieren kann, sondern dass auch ein und die-selbe Führungskraft sich intraindividuell je nach Situationund Aufgabe unterschiedlich verhalten kann. Somit unter-scheiden sich die Führungsverhaltenstheorien in ihrer Varia-tionsbreite grundlegend sowohl von den Führungsstilansät-zen als auch von den Eigenschaftsansätzen der Führung.

Empirische Untersuchungen zur Führungsverhaltenstheoriekamen zu dem Ergebnis, dass eine unterschiedlich starkeAusprägung des aufgaben- bzw. mitarbeiterorientiertenFührungsverhaltens eklatante Auswirkungen auf die Zufrie-denheit innerhalb einer Arbeitsgruppe, aber auch auf dieLeistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit hat. Dies wirddurch die Abbildung 1 verdeutlicht.

Situations-abhängig

© Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 18. Aktualisierung

10211 Führungserfolg in Theorie und PraxisSeite 16

Abb. 1: Grundlegende Dimensionen des Führungsverhaltens und ihre Auswirkungen

Mitarbeiterorientierung

sozialextremes Bemühen um MitarbeiterAtmosphäre im Vorder-,Produktion im Hintergrund

Laissez-faireGeringes Einwirken aufProduktionsverlauf und Mitarbeiter

demokratischProduktion und Mitarbeiter im Zentrum

autoritärProduktion im Vorder-,Mitarbeiter im Hintergrund

Leistungsorientierung

Page 17: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

Die beiden Dimensionen Mitarbeiterorientierung und Leis-tungsorientierung werden als voneinander unabhängig be-griffen. Sie variieren jeweils von „schwach ausgeprägt“ bis„stark ausgeprägt“, woraus sich – grob vereinfacht – vierKombinationsmöglichkeiten ergeben.

a) geringe Leistungsorientierung und geringe Mitarbeiter-orientierung

Eine Führungskraft, die beide Dimensionen nur in geringemMaße realisiert, zeigt insgesamt eine schwache Führungsin-tensität. Sie kümmert sich wenig um die zu erledigenden Ar-beiten und geht auch kaum auf ihre Mitarbeiterinnen undMitarbeiter ein. Sowohl die Arbeitsleistung als auch die Ar-beitsmotivation der Mitarbeiter ist niedrig, die Zahl der auf-tretenden Konflikte ist hoch. Es handelt sich somit um einFührungsverhalten, das für die Praxis kaum zu empfehlen ist.

b) hohe Leistungsorientierung und geringe Mitarbeiter-orientierung

Eine solche Führungskraft engagiert sich zwar sehr stark beider Aufgabenerledigung, ist aber an ihren Mitarbeitern alsPersonen allenfalls am Rande interessiert. Dieses Führungs-verhalten kann nach empirischen Erkenntnissen durchauszu einer hohen Arbeitsleistung führen. Allerdings wirkendie positiven Effekte nur sehr kurzfristig. Langfristig rächtsich die Vernachlässigung der persönlichen Bedürfnisse undWünsche der Mitarbeiter. Es treten massive Konflikte auf,die Arbeitsleistung sinkt zum Teil dramatisch ab. In der Pra-xis „empfiehlt“ sich ein solches Führungsverhalten nur fürsolche Vorgesetzte, die möglichst schnell von einer Füh-rungsposition zur nächsten wechseln wollen. Man spricht indiesem Zusammenhang auch von einem „Sanierer-Füh-rungsverhalten“. So gebärden sich in der Regel Manager,

So nicht!

Sanierer-Führungs-verhalten

18. Aktualisierung © Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Führungserfolg in Theorie und Praxis 10211Seite 17

Page 18: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

die kurzfristig in einen angeschlagenen Konzern kommen,um diesen wieder „flott“ zu machen. Sollte der Konzernüberleben, ist es nicht empfehlenswert, den Sanierer alsVorgesetzten weiter zu beschäftigen, da er sich aufgrundseiner häufig unpopulären und harten Entscheidungen kaumFreunde im Unternehmen gemacht haben dürfte. Dennochhat er seine Führungsaufgabe dann mit Bravour gelöst,wenn das Unternehmen ganz oder zumindest teilweise er-halten werden kann.

c) geringe Leistungsorientierung und hohe Mitarbeiter-orientierung

Eine Führungskraft mit einer derartigen Kombination derbeiden Dimensionen kümmert sich nur wenig um die Auf-gabenerledigung, widmet sich jedoch intensiv ihren Mitar-beiterinnen und Mitarbeitern, stellt deren Wünsche und Be-dürfnisse in den Vordergrund. Die Empirie zeigt, dass einsolches Führungsverhalten zwar zu einem guten Betriebs-klima und einer angenehmen Gruppenatmosphäre führt, derGrad der Zielerreichung ist allerdings eher niedrig, das Ar-beitstempo ist eher gemütlich. Spöttische Geister mögensich hier an den Öffentlichen Dienst oder den deutschenBeamtenapparat erinnert fühlen. Tatsache ist, dass solcheFührungsverhaltensmuster häufig (und auch immer noch) ingroßen Organisationen mit quasi monopolistischer Positionzu finden sind.

d) hohe Leistungsorientierung und hohe Mitarbeiterorien-tierung

Solche Führungskräfte kümmern sich einerseits intensiv umdie Aufgabenerledigung, gehen aber andererseits auch sehrstark auf die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter ein. Empirisch zeigt sich bei einer sol-

Ideal

© Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 18. Aktualisierung

10211 Führungserfolg in Theorie und PraxisSeite 18

Page 19: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

chen Konstellation häufig eine hohe Arbeitsmotivationinnerhalb der Arbeitsgruppe bei gleichzeitig hoher Leis-tungsgüte und -qualität. Offensichtlich scheint also eine sol-che Kombination der Führungsverhaltensmuster ideal zusein. Die Begeisterung über diese Erkenntnis innerhalb derFührungsverhaltensforschung wurde von den amerikani-schen Psychologen Robert Blake und Jane Mouton kom-merziell sehr geschickt ausgenutzt. Sie entwickelten einweithin bekanntes „Verhaltensgitter der Führung“ (vgl. Ab-bildung 2).

18. Aktualisierung © Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Führungserfolg in Theorie und Praxis 10211Seite 19

Abb. 2: Das Verhaltensgitter der Führung nach Blake & Mouton (in Anlehnung an Thom-men, 1991, S. 765)

Page 20: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

Wieder erkennt man die beiden Führungsverhaltensdimen-sionen „Mitarbeiterorientierung“ und „Aufgabenorientie-rung“. Blake und Mouton (1986) propagieren nun die Prak-tizierung eines von ihnen so genannten „9.9-Führungsver-haltens“, also einer Verwirklichung von gleichermaßenhoch ausgeprägtem aufgabenzentrierten und auch mitarbei-terzentrierten Führungsverhalten in jedweder Situation. Sieentwickelten spezifische Führungsseminare, in denen siedie Praktizierung dieses Führungsverhaltens trainierten unddurch die sie Hunderttausende von amerikanischen, späteraber auch europäischen Managern schleusten. Finanziellein Riesenerfolg, muss man dieser Vermarktung der Er-kenntnisse der Führungsverhaltensforschung jedoch kri-tisch entgegenhalten, dass es nicht ein übersituativ gültiges,immer erfolgreiches Führungsverhalten gibt. Insofernstellte der Vorschlag von Blake und Mouton (1986) eineneklatanten Rückfall in längst überwunden geglaubte Vor-stellungen von Führung und Führungserfolg dar. Die Füh-rungsverhaltensforschung hatte zwar die Erkenntnis ge-bracht, dass sich eine Führungskraft je nach Situationdurchaus unterschiedlich verhalten kann, Forscher wieBlake und Mouton (1986) verwässerten durch ihre Auffas-sung vom „einzig besten Führungsverhalten“ diese Einsichtjedoch massiv. Allerdings muss man der Führungsverhal-tensforschung auch vorwerfen, dass sie sich nie darum ge-kümmert hat, welche situativen Variablen denn dafür ver-antwortlich sind, ob ein eher aufgabenzentriertes oder eineher mitarbeiterzentriertes Führungsverhalten sinnvoller ist.Diesen Aspekt der Forschung brachten erst die sogenanntenKontingenzansätze der Führung in das Gespräch.

9.9-Führungs-verhaltens

© Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 18. Aktualisierung

10211 Führungserfolg in Theorie und PraxisSeite 20

Page 21: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

Kontingenzansätze der Führung

Als die psychologische Führungsforschung nach langemEntwicklungsprozess zu der Einsicht gekommen war, dasses nicht „die“ optimalen Führungseigenschaften, „den“ be-sten Führungsstil, „das“ ideale Führungsverhalten gibt,konzentrierte man sich in den 60er und 70er Jahren darauf,herauszufinden, welche Situationsfaktoren denn von Be-deutung für Führungserfolg und Führungsmisserfolg sind.Zentral war nun die Auffassung, dass in bestimmten Situa-tionen ein bestimmtes Führungsverhalten zu praktizierenist, um in spezifischer Weise präzisierte Ziele zu erreichen.Mit Kontingenz war also die Berücksichtigung des gemein-samen Auftretens von situativen und personalen Faktorenim Hinblick auf erfolgreiche Führungstätigkeit gemeint.Aus der großen Zahl von Kontingenzansätzen der Führungsoll nur einer, jedoch der wohl populärste und am häufigstenerwähnte, aufgegriffen und hier kurz vorgestellt werden. Eshandelt sich dabei um den Kontingenzansatz der Führungvon Fiedler (1967, 1987). Auch Fiedler (1967, 1987) nimmtan, dass sich das Verhalten eines Vorgesetzten aus den bei-den Dimensionen „Mitarbeiterorientierung“ und „Aufga-benorientierung“ zusammensetzt und die Führungskraft dieMöglichkeit hat, diese beide Verhaltensdimensionen mitein-ander zu kombinieren. Fiedler (1967, 1987) postuliert je-doch nun, dass bestimmte Situationsparameter dafür verant-wortlich sind, ob ein eher aufgabenzentriertes oder ein ehermitarbeiterzentriertes Vorgesetztenverhalten den gewünsch-ten Führungserfolg hat. Diese Situationsparameter sindnach Fiedler (1967, 1987)

• die Beziehung zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter(haben die beiden ein gutes oder eher schlechtes Verhält-nis?),

Situative undpersonaleFaktoren

18. Aktualisierung © Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Führungserfolg in Theorie und Praxis 10211Seite 21

Page 22: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

• die Aufgabenstruktur (müssen strukturierte oder eher un-strukturierte Aufgaben bewältigt werden?),

• die Positionsmacht des Vorgesetzten (hat der Vorgesetzteformal wie auch informell großen oder eher geringen Ein-fluss?).

Fiedler (1967, 1987) sagt nun aufgrund nicht unumstrittengebliebener empirischer Analysen, dass in von ihm so be-zeichneten sehr günstigen und sehr ungünstigen Situationenein aufgabenzentriertes Führungsverhalten und in Situatio-nen von mittlerer Günstigkeit ein mitarbeiterzentriertesFührungsverhalten erfolgreich ist. Eine sehr günstige Situ-ation liegt nach Fiedler (1967, 1987) z. B. dann vor, wenndie Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeitersehr gut ist, eine stark strukturierte Aufgabe zu bewälti-gen ist, und der Vorgesetzte zudem noch über eine hohe Po-sitionsmacht verfügt. Sehr ungünstige Situationen sinddurch die jeweils genau gegenteiligen Bedingungen ge-kennzeichnet. Als Konsequenz seiner Forschungsergebnissefordert Fiedler (1967, 1987), Führungskräfte nicht hinsicht-lich der verschiedenen Führungsverhaltensdimensionen zutrainieren, sondern im Rahmen von Personalauswahlverfah-ren festzustellen, ob eine Person eher mitarbeiter- oder eheraufgabenorientiert führt. Aufgabenzentrierte Führungs-kräfte sollten dann entsprechend nur in günstigen bzw. un-günstigen situativen Rahmenbedingungen eingesetzt wer-den, während man mitarbeiterorientierte Vorgesetzte nurmit Situationen mittlerer Günstigkeit konfrontieren sollte.Dieser Vorschlag ist sowohl bezüglich seiner Machbarkeitals auch hinsichtlich seiner ethischen Vertretbarkeit kriti-siert worden. Zudem ist Fiedler (1967, 1987) neben ekla-tanten methodischen Defiziten auch vorzuwerfen, dass erzentrale weitere Situationsvariablen sträflich vernachlässigthat. Genannt seien hier nur die Erwartungen der Mitarbeiter

© Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 18. Aktualisierung

10211 Führungserfolg in Theorie und PraxisSeite 22

Page 23: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

gegenüber dem Vorgesetzten, die Erwartungen der Vorge-setzten gegenüber ihren Mitarbeitern, die Einstellungen undWertorientierungen des Vorgesetzten, die Merkmale der Or-ganisation sowie die gesellschaftlichen Rahmenbedingun-gen. Allerdings ist Fiedler (1967, 1987) sowie denSituationstheoretikern der Führung zuzuschreiben, dass erst-mals aus dem unverbindlichen „es kommt darauf an“ einnachprüfbares „auf dies und jenes kommt es an“ wurde (vgl.Rosenstiel, 1995). Man konnte jetzt spezifische situativeEinflussfaktoren des Führungserfolges genauer unter dieLupe nehmen und im Führungsalltag berücksichtigen.

Führungserfolg

Alle bisher dargestellten Führungstheorien haben ein ge-meinsames Ziel: Sie wollen Führungserfolg erklären undvorhersagen können. Nun braucht man zur Prognose vonFührungserfolg jedoch dreierlei:

1. eine geeignete Theorie zur Erklärung von Führungser-folg,

2. eine Vorstellung davon, was man denn unter erfolgrei-cher Führung verstehen möchte, also ein oder mehrereKriterien für Führungserfolg, und

3. ein geeignetes Instrumentarium zur Ermittlung von künf-tig erfolgreichen Führungskräften.

Nach der ausgiebigen Darstellung unterschiedlicher Füh-rungstheorien soll nun auf den zweiten Aspekt zur Erklärungund Prognose von Führungserfolg, nämlich auf die Frageeingegangen werden, welche Indikatoren erfolgreicher Füh-rung unterschieden werden. Auch hier findet man in der Li-teratur eine nahezu unüberschaubare Menge von Definitio-

Worauf esankommt

18. Aktualisierung © Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Führungserfolg in Theorie und Praxis 10211Seite 23

Page 24: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

nen, Konzepten, Maßeinheiten und Faustformeln zur Be-schreibung erfolgreicher Führung. Lent, Aurbach und Levin(1971) oder auch Neuberger (1976) haben sich einmal dieMühe gemacht, die in der Literatur genannten unterschied-lichen Kriterien für Führungserfolg zu zählen: Sie kamenauf weit über 1000! In der Praxis jedoch beschränkt mansich in der Regel auf einige wenige, immer wieder ver-wandte Maßstäbe zur Beurteilung von Führungserfolg. Mankann diese Kriterien nach Bereichen untergliedern:

• Merkmale der Führungskraft selber werden zur Beurtei-lung ihres Führungserfolges herangezogen (Gehaltshöhe,erreichte Position in einer Hierarchie, Zufriedenheit derMitarbeiter mit dem Vorgesetzten etc.).

• Die Verhältnisse in der Organisation selbst werden zumIndikator für Führungserfolg (Quantität und Qualität derLeistung, Betriebsklima, Zusammenhalt der Mitarbeiteretc.).

• Das Verhalten der Kunden, aber auch das Verhaltengegenüber Kunden wird zum Maßstab für Führungserfolggemacht (Grad der Kundenorientierung, Zufriedenheitder Kunden, Kundenbindung an die Institution etc.).

• Merkmale der Kapitalgeber bestimmen über Führungser-folg bzw. -misserfolg (Rendite, Image der Organisation inder Öffentlichkeit etc.).

• Die Mitkonkurrenten werden zur Bewertung von erfolg-reicher Führungstätigkeit herangezogen (Marktanteil, At-traktivität und Flexibilität des eigenen Angebots, Innova-tion und Kreativität der eigenen Organisation etc.).

• Gesellschaftliche Ziele und Werte dienen zur Beurteilungvon Führungsverhalten (ethische und soziale Verantwor-tungsübernahme, Bewahrung der Schöpfung, Schonungder natürlichen Ressourcen etc.).

Indikatoren

© Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 18. Aktualisierung

10211 Führungserfolg in Theorie und PraxisSeite 24

Page 25: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

Diese kleine Zusammenstellung von Kriterien der erfolgrei-chen Führung verdeutlicht, dass ein und dieselbe Führungs-tätigkeit je nach Kriterium durchaus sehr erfolgreich oderauch sehr misserfolgreich beurteilt werden kann. Zudemgreifen zahlreiche Kriterien auf Aspekte zurück, die nurzum Teil oder gar nicht im Einflussbereich der Führungs-kraft liegen. Auch hier schimmert das personalistische Füh-rungskonzept wieder durch: Gute, aber auch schlechte Re-sultate werden der Führungskraft zugeschrieben, selbstdann, wenn eindeutig situative Gegebenheiten dafür verant-wortlich zu machen sind. So wurden z. B. zahlreiche Auto-mobilverkäufer nach dem Fall der Mauer maßlos in ihrenVerkaufstalenten überschätzt. Große Umsatzzahlen kamennämlich nicht aufgrund von persönlichen Fähigkeiten, son-dern wegen eines extremen Nachfrageschubes zustande.Erst heute, wo sich die Lage wieder „normalisiert“ hat, lässtsich die verkäuferische Spreu eindeutiger vom Weizen tren-nen. Es ist letztlich immer eine unternehmenspolitische Ent-scheidung, nach welchen Kriterien Vorgesetzte beurteilt undgemessen werden (Rosenstiel, 1995). Zentral für eine er-folgreiche Führungstätigkeit ist aber, dass die Kriterientransparent gemacht werden, die ein Unternehmen zur Füh-rungskräftebeurteilung heranzieht. So wird Verbindlichkeit,aber auch Orientierung geschaffen. Und nur so lässt sichlangfristig die effektive Koordination der Organisationsakti-vitäten und damit unternehmerischer Erfolg sichern. Eineauf die Person des Führenden fixierte Betrachtungsweise,die ausschließlich Merkmale der Person des Führendenoder ihre Führungsverhaltensweisen als Ursache für Füh-rungserfolg in Betracht zieht, ist dabei aus organisations-psychologischer Perspektive abzulehnen. Vielmehr gilt alsKonsens der Führungsforschung, dass Führung in Organisa-tionen in einem Netzwerk zwischenmenschlicher Bezie-hungen stattfindet und somit von einer Interaktion zwischenVorgesetzten und Untergebenen auszugehen ist. Erwartun-

Abhängig vomKriterium

Interaktion

18. Aktualisierung © Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Führungserfolg in Theorie und Praxis 10211Seite 25

Page 26: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

gen, Einstellungen, Vorurteile und Werthaltungen auf bei-den Seiten tragen entscheidend dazu bei, ob Führung er-folgreich ist oder nicht. Zudem vollzieht sich Führungshan-deln immer innerhalb eines bestimmten Aufgabenbereiches,innerhalb einer spezifischen Situation und im Rahmen be-stimmter gesellschaftlicher Bedingungen. Eine Führungs-verhaltenstheorie ebenso wie eine Führungskräftebeurtei-lung, die solche situativen Einflussfaktoren außer Acht las-sen, müssen als absolut unzulänglich bezeichnet werden.

Wenn es nun erklärtes Ziel einer Organisation ist, erfolgrei-che Führungskräfte einzustellen oder zu entwickeln, be-wegen wir uns auf die Frage nach der Diagnose und Pro-gnose von Führungspotential zu.

Vorhersage von Führungspotential

Der Personalauswahl und Personalentwicklung kommt inZeiten härter werdenden Wettbewerbs und zunehmenderQualitätsorientierung nicht nur im Produktions-, sondernauch und gerade im Dienstleistungsbereich herausragendeBedeutung zu (Böhm & Poppelreuter, 2009). Die Unterneh-men müssen zur Vermeidung von Fehlinvestitionen immerstärker darum bemüht sein,

• geeignetes Personal für die zu erledigenden Aufgaben zugewinnen,

• aber auch Entwicklungspotentiale bei bereits in der Orga-nisation befindlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiternzuverlässig zu erkennen, und

• diese Potentiale durch sinnvolle Aus- und Weiterbildungs-programme für die Organisation nutzbar zu machen.

© Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 18. Aktualisierung

10211 Führungserfolg in Theorie und PraxisSeite 26

Page 27: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

Die Forschungsbemühungen in den Bereichen Führungs-und Organisationspsychologie zielen von jeher darauf ab,zuverlässige Instrumente zur Erkennung von geeignetenFührungskräften oder von ausbaufähigen Führungspotentia-len zu entwickeln. Es liegt auf der Hand, dass die Entwick-lung solcher Instrumente immer eng an die jeweils vorherr-schenden theoretischen Grundlagen im Bereich der Füh-rungsforschung geknüpft war und ist. Eine Übersicht übertraditionelle und neuere Verfahren der Personaleignungs-diagnostik gibt Abbildung 3 (Böhm & Poppelreuter, 2009).

• Zeugnisse/Referenzen

• Einstellungsinterviews

• Biographische Fragebogen

• Psychologische Tests

• Computergestützte Eignungsdiagnostik

• Arbeitsproben/Probezeit

• Assessment-Center

Abb. 3: Verfahren der Personaleignungsdiagnostik (Auswahl)

Je anspruchsvoller jedoch die theoretischen Erkenntnissewurden, umso aufwendiger mussten auch die Verfahren zurDiagnose von Führungsfähigkeiten und Führungspotentia-len werden. Es lässt sich heute statistisch abgesichert bele-gen, dass dieser Mehraufwand kein Selbstzweck ist. Mo-derne Instrumente der Personaleignungsdiagnostik sindihren traditionellen Vorgängern hinsichtlich ihrer prognosti-schen Güte und Leistungsfähigkeit weit überlegen. Dies be-deutet nicht, dass nicht auch traditionelle Verfahren wiez. B. die Sichtung von Bewerberunterlagen oder das Einstel-lungsgespräch auch heute noch einen sinnvollen und we-sentlichen Beitrag im Rahmen der Klärung von Personalfra-gen liefern.

18. Aktualisierung © Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Führungserfolg in Theorie und Praxis 10211Seite 27

Page 28: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

Je weitreichender und damit in der Regel auch kosteninten-siver jedoch eine Personalentscheidung wird, umso wichti-ger wird der Einsatz hochwertiger und zuverlässiger Dia-gnoseinstrumente. In dieser Hinsicht muss die sogenannteAssessment-Center-Methode derzeit als Verfahren der Wahlim Bereich der Personaleignungsdiagnostik betrachtet wer-den. Abbildung 4 gibt einige Essentials der Assessment-Center-Methode wieder.

• multiple Verfahrenstechnik

• verhaltensorientiert

• strikt anforderungsbezogen

• multimodal

• mehrere Beurteilte gleichzeitig

• mehrere Beobachter gleichzeitig

• hohe prognostische Validität

Abb. 4: Essentials der Assessment-Center-Methode

Bei der Assessment-Center-Methode handelt es sich umeine multiple Verfahrenstechnik, bei der mehrere eignungs-diagnostische Instrumente oder leistungsrelevante Aufga-ben zusammengestellt werden.

Assessment-Center sind verhaltensorientiert, d. h. Eig-nungsfeststellungen werden anhand beobachtbarer Verhal-tensmuster vorgenommen.

Assessment-Center sind strikt anforderungsbezogen konzi-piert, d. h. die überprüften Anforderungen werden organisa-tionsspezifisch erhoben und mit speziell zugeschnittenenMethoden überprüft. Dies bedeutet, dass z. B. das Assess-

Personaleig-nungsdiag-nostik

Assessment-Center-Methode

© Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 18. Aktualisierung

10211 Führungserfolg in Theorie und PraxisSeite 28

Page 29: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

ment-Center der Versicherung X sich deutlich unterschei-den kann von dem der Versicherung Y. Unter anderem prä-gen die Zielsetzung des Verfahrens, aber auch die Strukturund das Klima innerhalb der Organisation die Art und dieDurchführung eines Assessment-Centers.

Aufgrund des Einsatzes unterschiedlicher Methoden wiez. B. Gruppendiskussionen, Präsentationsübungen, Rollen-spielen, mündlichen und schriftlichen Verfahren usw. wer-den die Leistungen zu gleichen Anforderungen in wechseln-den Situationen mit wechselnden Verfahren beobachtet undbewertet (Multimodalität). Damit kommt das Assessment-Center-Verfahren unter allen eignungsdiagnostischen In-strumenten den Erkenntnissen der modernen Führungstheo-rien am nächsten, dass Führungserfolg ein von personalenund situativen Faktoren abhängiges Resultat ist.

Charakteristisch für Assessment-Center ist weiterhin, dassmehrere Personen gleichzeitig als Beurteilte daran teilneh-men, und dass auch die Einschätzungen von mehreren un-abhängigen Beobachtern vorgenommen werden, wobei dasVerhältnis Beurteilte – Beobachter etwa 2:1 beträgt. Beob-achter sind in der Regel Linienvorgesetzte, aber auchPsychologen und Mitarbeiter der Personalabteilung.

Die prognostische Validität der Assessment-Center-Me-thode hängt natürlich stark von der bei der organisations-spezifischen Konstruktion und Verwendung des Verfahrensaufgewandten Sorgfalt ab. Wird ein Verfahren jedoch nach„den Regeln der Kunst“ entwickelt und durchgeführt, ist mitausgesprochen hohen Validitätskoeffizienten zu rechnen,d. h. auf Grundlage der Ergebnisse des Assessment-Center-Verfahrens lassen sich zuverlässige Prognosen hinsichtlichkünftiger Führungsfähigkeiten bzw. künftigen Führungser-folgs treffen.

Anforderungs-bezogen

Validitätskoef-fizienten

18. Aktualisierung © Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Führungserfolg in Theorie und Praxis 10211Seite 29

Page 30: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

Der Einsatz eines Assessment-Center-Verfahrens kann so-wohl dazu dienen, die aktuellen Kompetenzen von Mitarbei-tern oder Bewerbern einzuschätzen als auch Aussagen überderen zukünftige berufliche Entwicklung und Bewährung zumachen. Assessment-Center werden also einerseits zur Aus-wahl künftiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, anderer-seits aber auch als organisatorische Beurteilungs- und För-derinstrumente herangezogen.

Das Assessment-Center stellt die vielschichtigste und ent-wickeltste Form eignungsdiagnostischer Verfahren dar. Inder Regel werden durch den Einsatz von Assessment-Cen-tern hohe prognostische Validitäten erzielt, d. h. die ineinem Assessment-Center gewonnenen Daten lassen guteRückschlüsse auf die Bewährung und Geeignetheit einesBewerbers zu. Das Assessment-Center stellt jedoch einesehr aufwendige und damit auch eher teuere Methode derPersonalauswahl dar. Dennoch sollte angesichts der Ef-fekte, die man durch den Einsatz des Assessment-Centerserzielen kann – auch und gerade im Hinblick auf die Ver-meidung von Kosten durch personelle Fehlentscheidungen– ein Einsatz dieses Verfahrens nicht leichtfertig zurückge-wiesen werden. Insbesondere für die Auswahl von Mitar-beitern, die Führungsverantwortung und/oder kundennaheAufgaben übernehmen, ist die Assessment-Center-Methodehöchst empfehlenswert.

Bei soviel Licht sollte aber nicht vergessen werden, dass esauch noch „Schattenseiten“ gibt, Problemzonen, die Mög-lichkeiten zur Optimierung der Assessment-Center-Me-thode bieten. An dieser Stelle wird nur auf einen Problem-bereich näher eingegangen, nämlich auf die Frage, ob Füh-rungskräfte in ihrem Führungsalltag wirklich nur das tunmüssen, was man im Assessment-Center von ihnen ver-langt.

Auswahl undFörderung

© Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 18. Aktualisierung

10211 Führungserfolg in Theorie und PraxisSeite 30

Page 31: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

Ein Blick in den Alltag: Was tun Führungskräfte überhaupt?

Wenn man sich mit Personalberatern, Führungskräften,Führungsforschern oder auch Unternehmensmitarbeiterin-nen und -mitarbeitern über die Frage unterhält, was einenguten Vorgesetzten auszeichnet, dann erhält man in derRegel einen bunten Reigen von Begriffen wie Durchset-zungsvermögen, Kreativität, Mobilität, Flexibilität, Auffas-sungsvermögen, soziales Geschick, Motivationsfähigkeitusw. Eine gewisse begriffliche Parallelität zu den dargestell-ten, im Rahmen der Assessment-Center-Methode überprüf-ten Anforderungsgruppen ist unverkennbar. Es handelt sichdabei mehr oder weniger um Worthülsen, die zunächst weit-estgehend im Dunkeln lassen, welches konkrete Verhaltensich denn hinter diesen Begrifflichkeiten verbirgt.

Ein Zweig der Führungsforschung hat sich damit beschäf-tigt herauszufinden, was (erfolgreiche) Vorgesetzte den lie-ben langen Tag tatsächlich tun, um so zu Aussagen darüberzu kommen, welche Fähigkeiten Führungskräfte zur erfolg-reichen Bewältigung ihrer Aufgaben haben sollten. Pointiertformuliert geht es um die Frage: „Brauchen Führungskräftegenau die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die im Assessment-Center überprüft werden?“

Die im Rahmen der Führungsverhaltensforschung gewon-nenen Erkenntnisse machen deutlich, dass die situativeKomponente in den personaleignungsdiagnostischen In-strumenten in Zukunft noch stärker berücksichtigt werdenmuss als dies bislang der Fall ist. Im Gegensatz dazu schei-nen manche den Führungskräften als notwendig zugeschrie-bene Merkmale (z. B. Planungsfähigkeit, Erledigung von„Papierarbeit“, gründliche Problemanalyse etc.) in ihrer Be-deutung für ein erfolgreiches Führungsverhalten relativiertwerden zu müssen. In Anlehnung an Neuberger (1995) las-sen sich die Ergebnisse der Verhaltens-Beobachtungen vonFührungskräften im Alltag wie folgt zusammenfassen:

Schattenseiten

SituativeKomponente!!

18. Aktualisierung © Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Führungserfolg in Theorie und Praxis 10211Seite 31

Page 32: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

1) Vorgesetzte bevorzugen die mündliche Kommunikation.

Sie sind viel eher „Reder“ (nicht „Redner“) als Schreiber,sie speichern eine Fülle von Informationen in ihren Köp-fen, was sich letztlich als enorme Machtquelle der Vorge-setzten gegenüber der Organisation erweist.

2) Vorgesetzte leben von sozialen Kontakten.

Sie arbeiten wenig allein in ihrem Büro, sondern sie be-mühen sich um soziale Kontakte in alle (!) Richtungen.Dabei reagieren sie mitnichten nur auf offizielle Informa-tionen oder harte Fakten, sondern insbesondere auch aufKlatsch, Spekulationen, Andeutungen usw. Sie versu-chen zu den Insidern zu gehören, die Informationen mög-lichst früh mitbekommen, denn was heute noch Klatschist kann schon morgen Fakt sein, aber vielleicht ist es füreine Anpassungsreaktion dann bereits zu spät.

3) Der Arbeitstag der Vorgesetzten ist äußerst zerstückelt.

Eine Vielzahl von Störungen und Unterbrechungen kenn-zeichnet ihren Arbeitsalltag. Neuberger (1995) spricht indiesem Zusammenhang von einem „labor interruptus“.Wichtig ist die Fähigkeit, trotz aller Fragmentierung den„roten Faden“ nicht aus den Augen zu verlieren.

4) Der Arbeitstag ist uneinheitlich und enthält viele unge-plante Elemente.

Führungskräfte sind mitnichten nur Initiatoren und Im-pulsgeber. Vielmehr müssen sie häufig auf Vorgaben an-derer oder auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren.Sie müssen in hohem Maße umstellungsfähig sein undsich konsequent inkonsistent verhalten können. Ein skla-visches Festhalten an Schemata und Ritualen führt zumUntergang.

DER Vorgesetzte

© Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 18. Aktualisierung

10211 Führungserfolg in Theorie und PraxisSeite 32

Page 33: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

5) Vorgesetzte sind mit vielen kurzen Arbeitsakten ausgela-stet.

Diese Kurzatmigkeit hält ab von gründlicher Reflexion.Nicht differenzierte Problematisierung, sondern Reduk-tion von Komplexität – nicht selten auf der Grundlagevon Daumenregeln – ist der Job der Führungskräfte.Dabei müssen sie trotz aller Vereinfachung immer nochsensibel für geringfügigste Veränderungen bleiben.

6) Vorgesetzte sind mehr als Führer.

Eine Einengung des Führungsverhaltens auf die Vorge-setzten-Untergebenen-Beziehung greift mit Sicherheit zukurz. Vorgesetzte sind auch noch Experten, Verbindungs-offiziere, Feuerwehrmänner, Galionsfiguren, Spionage-satelliten usw.

7) Vorgesetzte müssen mobil sein.

Gemeint ist damit eine räumliche Mobilität „im kleinen“.Führungskräfte arbeiten nicht nur im eigenen Büro, son-dern auch in den Räumen des Vorgesetzten, des Mitarbei-ters, des Kunden, des Stabes usw. Informationen werdenaktiv über mündliche Kommunikation geholt, per Papiergebrachte Information wird in der Regel als störend undbelastend empfunden. Selektive Informationsaufnahmeist häufig die Folge.

Studiert man solche Befunde der Verhaltensbeobachtungs-forschung bei Führungskräften eingehend, so entsteht eingewisses Misstrauen und Unbehagen gegenüber den in somanchem Führungsseminar oder auch Führungshandbuchausgesprochenen Empfehlungen, die z. B. lauten:

18. Aktualisierung © Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Führungserfolg in Theorie und Praxis 10211Seite 33

Page 34: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

• „Delegiere alle Arbeiten, die Deine Mitarbeiter ausführenkönnen.“

• „Analysiere Probleme gründlich, bevor Du Maßnahmentriffst.“

• „Denke in großen Zusammenhängen und verliere Dichnicht ins Detail.“

• „Konzentriere Dich auf objektive Information und gibnichts auf Klatsch und Tratsch.“

• „Setze Dir selbst Handlungsschwerpunkte und verfolgesie konsequent.“

• „Plane Deine Arbeit im Voraus.“

• „Halte Dir immer genügend Zeit zum Nachdenken frei.“

• „Sei berechenbar in Arbeitsstil und Vorgehensweise.“

Zwar mag die Richtigkeit dieser Grundsätze durchaus gege-ben sein. Es scheint in der Realität des Führungsalltagesaufgrund struktureller Gegebenheiten aber recht schwierig,wenn nicht unmöglich zu sein, solche Regeln auch tatsäch-lich einzuhalten. Neuberger (1995, S. 176) resümiert bezüg-lich solcher Führungsgrundsätze:

„Sie vermitteln ein zu reines und zu logisches Soll-Modelldes Arbeitens; suggerieren aber gleichzeitig, dass es mög-lich sei, diese Anweisungen in die Tat umzusetzen. Weildies aber nicht der Fall ist, besorgen sie jeder Führungskraftein schlechtes Gewissen, weil sie glaubt, nur bei ihr ginge esso chaotisch, hektisch und zerstückelt zu.“

Was folgt aus solchen Erkenntnissen für die Zukunft?

Die Ergebnisse der Führungsverhaltensbeobachtung ver-deutlichen, dass selbst bei einem solch elaboriertem Verfah-

Vorsicht

DynamischenAssessment-Center

© Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 18. Aktualisierung

10211 Führungserfolg in Theorie und PraxisSeite 34

Page 35: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

ren wie der Assessment-Center-Methode noch Optimierun-gen möglich sind. Diese Verbesserungen betreffen insbe-sondere die noch stärkere Berücksichtigung der situativenKomponente im Führungsprozess. Daran wird mit Nach-druck gearbeitet, als Stichwort sei hier nur die Entwicklungvon „Dynamischen Assessment-Centern“ genannt, beidenen die situative Variabilität besondere Berücksichtigungfindet. Es ist daher zu erwarten, dass auch mit den aktuellenPotentialanalyseverfahren nur ein Zwischenstadium durch-laufen wird, da die Verbesserungsmöglichkeiten der Assess-ment-Center-Methodik noch nicht ausgereizt sind. Bisdahin ist es allerdings noch ein guter Weg, und da man inder Zwischenzeit nicht untätig bleiben kann, stellen nachden Regeln der Kunst entwickelte Assessment-Center-Ver-fahren eine hervorragende Basis für zuverlässige Personal-auswahl- und -entwicklungsentscheidungen zum Wohle desUnternehmens ebenso wie zum Wohle der Mitarbeiter dar.Die professionelle Personalauswahl und Personalentwick-lung gehört wohl zu den wichtigsten Aufgaben einer zu-kunftsorientierten, streng dem Gedanken der Leistungser-bringung auf hohem Qualitäts- und Serviceniveau ver-pflichteten Organisation. Nur leistungsfähiges, flexiblesund innovatives Personal wird in der heutigen Wettbewerbs-situation das langfristige Überleben und den nachhaltigenwirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens gewährleistenkönnen.

Bavelas, A. (1960). Leadership: Man and function. Admini-strative Science Quarterly, 4, 491-498.

Bergler, R. (1987). Psychologie in Wirtschaft und Gesell-schaft. (2. Aufl.). Köln: Deutscher Instituts-Verlag.

Blake, R.R. & Mouton, J.S. (1986). Verhaltenspsychologieim Betrieb. Der Schlüssel zu Spitzenleistungen. Düsseldorf:Econ.

Literatur

18. Aktualisierung © Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Führungserfolg in Theorie und Praxis 10211Seite 35

Page 36: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

Bleicher, K. & Meyer, E. (1976). Führung in der Unterneh-mung. Formen und Modelle. Reinbek: Rowohlt.

Böhm, W. & Poppelreuter, S. (2009). Bewerberauswahl undEinstellungsgespräch. (7., vollständig neu bearbeitete underweiterte Auflage). Berlin: Erich Schmidt Verlag.

Brown, J.A.C. (1956). Psychologie der industriellen Lei-stung. Reinbek: Rowohlt.

Fiedler, F.E. (1967). A theory of leadership effectiveness.New York: McGraw-Hill.

Fiedler, F.E. (1987). Führungstheorien – Kontingenztheorie.In A. Kieser, G. Reber & R. Wunderer (Hrsg.), Handwörter-buch der Führung (S. 809-823). Stuttgart: Poeschel.

Heeres-Dienst-Vorschrift, Bonn, o.J. (HDV 100/200).

Lent, R.H., Aurbach, H.A. & Levin, L.S. (1971). Predictors,criteria and significant results. Personnel Psychology, 24,519-533.

Lippitt, R. & White, R.K. (1943). The „social climate“ ofchildren´s group. In R.G. Baker, J.S. Kounin & H.F. Wright(Eds.), Child behavior and development (pp. 485-508). NewYork: McGraw-Hill.

Neuberger, O. (1972). Experimentelle Untersuchungen vonFührungsstilen. Gruppendynamik, 3, 191-219.

Neuberger, O. (1976). Führungsverhalten und Führungser-folg. Berlin: Duncker & Humblot.

Neuberger, O. (1995). Führen und geführt werden. (5.Aufl.). Stuttgart: Enke.

Neuberger, O. (2002). Führen und führen lassen: Ansätze,Ergebnisse und Kritik der Führungsforschung. (6., völligneu bearb. u. erw. Aufl.). Stuttgart: UTB.

Pfeffer, J. (1977). The ambiguity of leadership. Academy ofManagement Review, 2, 104-112.

© Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 18. Aktualisierung

10211 Führungserfolg in Theorie und PraxisSeite 36

Page 37: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

Rosenstiel, L.v. (1995). Kommunikation und Führung inArbeitsgruppen. In H. Schuler (Hrsg.), Lehrbuch Organisa-tionspsychologie. (2. Aufl.). (S. 321-351). Bern: Huber.

Rosenstiel, L.v., Molt, W. & Rüttinger, B. (1988). Organisa-tionspsychologie. (7. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.

Seidel, E., Jung, R. & Redel, W. (1988). Führungsstil undFührungsorganisation. Darmstadt: Wissenschaftliche Buch-gesellschaft.

Sievers, B. (1988). Führung als Perpetuierung von Unreife.Unveröffentliches Manuskript, Wuppertal.

Thommen, J.-P. (1991). Allgemeine Betriebswirtschafts-lehre. Wiebaden: Gabler.

Weinert, A.B. (1989). Führung und soziale Steuerung. In E.Roth (Hrsg.), Organisationspsychologie. Enzyklopädie derPsychologie D/III/3 (S. 552-577). Göttingen: Hogrefe.

Weinert, A.B. (2004). Lehrbuch der Organisations- und Per-sonalpsychologie. (5., vollst. überab. Aufl.). München:PVU.

Wunderer, R. (2007). Führung und Zusammenarbeit: Eineunternehmerische Führungslehre. (7., überarb. Aufl.). Köln:Luchterhand.

Dr. Stefan Poppelreuter ist Bereichsleiter der TÜV Rhein-land/Impuls GmbH Personal- und Managementberatung

TÜV Rheinland/Impuls GmbH, Personal- und Manage-mentberatung, Römerstraße 45-47, 53111 Bonn (www.im-puls-beratung.de)

18. Aktualisierung © Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Führungserfolg in Theorie und Praxis 10211Seite 37

Page 38: Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn ... · Führungserfolg in Theorie und Praxis – und wie man ihn (vielleicht) vorhersagen kann Dr. Stefan Poppelreuter Der

© Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 18. Aktualisierung

10211 Führungserfolg in Theorie und PraxisSeite 38