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1 „Fürchte dich nicht, du kleine HerdeVortrag auf der Kreiskonferenz des Hessen-Waldeck-Kreises des Bundes Freier evangelischer Gemeinden am 17. April 2016, in Borken Prof. Dr. Andreas Heiser, Theologische Hochschule Ewersbach Rohmanuskript, nur für den privaten Gebrauch

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„Fürchte dich nicht, du kleine Herde“

– Vortrag auf der Kreiskonferenz des Hessen-Waldeck-Kreises

des Bundes Freier evangelischer Gemeinden

am 17. April 2016, in Borken

Prof. Dr. Andreas Heiser, Theologische Hochschule Ewersbach

– Rohmanuskript, nur für den privaten Gebrauch –

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Inhalt

Einleitung ................................................................................................................................................. 4

1. Demografie – Wie schlimm steht es wirklich? .................................................................................... 5

2. Bibel ..................................................................................................................................................... 8

3. Antikes Christentum ............................................................................................................................ 9

4. Kreisgeschichte .................................................................................................................................. 10

4.1. Kleine Anfänge ................................................................................................................................ 11

4.2. Schwierigkeiten .............................................................................................................................. 13

a) Separation ......................................................................................................................................... 13

b) Konflikte ............................................................................................................................................ 14

c) Allgemein ........................................................................................................................................... 14

d) Begriffe .............................................................................................................................................. 14

e) Verwerfungen .................................................................................................................................... 15

f) Persönliche Einbußen......................................................................................................................... 15

g) Strafen für Versammlungen .............................................................................................................. 15

h) Verhöre ............................................................................................................................................. 15

i) Klassische Konflikte bei Geburt, Taufe, Abendmahl und Beerdigung ............................................... 16

1. Geburt............................................................................................................................................ 16

2. Taufe .............................................................................................................................................. 16

3. Taufe/Konfirmation ....................................................................................................................... 18

4. Ausschluss vom Abendmahl .......................................................................................................... 19

5. Öffentliche Schmähungen ............................................................................................................. 19

6. Schikane – Ein Beispiel aus Bad Zwesten ...................................................................................... 19

7. Provokation ................................................................................................................................... 20

8. Friedhofstreitigkeiten .................................................................................................................... 21

9. Bekehrung von Pfarrern ................................................................................................................ 21

5. Impulse .............................................................................................................................................. 26

5.1. Impuls: Keine Dekadenzgeschichte betreiben ............................................................................... 26

5.2. Impuls: Gemeinde auf dem Weg sein ............................................................................................ 27

5.3. Impuls: Denken in langen Bahnen .................................................................................................. 27

5.4. Impuls: Solide Grundlagen ............................................................................................................. 28

5.4.1. Schrift .......................................................................................................................................... 28

5.4.2. Gebet ........................................................................................................................................... 29

5.4.3. Evangelisation.............................................................................................................................. 30

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Einleitung

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5.5. Impuls: Konzentration auf Ziele ..................................................................................................... 32

5.6. Impuls: Personen ............................................................................................................................ 33

5.7. Impuls: Vernetzung – Fusion – Auflösung ...................................................................................... 36

Schluss ................................................................................................................................................... 39

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Einleitung

Ich danke herzlich für die Einladung zur diesjährigen Kreis-Konferenz des

Hessen Waldeck-Kreises des Bundes Freier evangelischer Gemeinden. Ich

freue mich sehr darüber, bei Eurer Kreis-Konferenz dabei zu sein. Und wie

von selbst kommen mir dabei nostalgische Gefühle. Es ist der Kreis, in

dem ich groß geworden bin. Aufgewachsen in Braunau war ich in den

70ern schon als kleines Kind oft und gern bei der Kinder-Konferenz (KIKO)

dabei – immer super Programm! Da gab es am Ende tolle Geschenke.

Später in den 80ern spielte ich bei mancher Kreiskonferenz im Posaunen-

chor Braunau-Zwesten oder Gemeinsam mit einem extra für die Konferenz

zusammengestellten Kreisposaunenchor. Im Kreis hatten wir in den 90ern

auch etliche Konzerte mit dem „Christlichen Jugendchor Nordhessen.“ Mit

unsere Band „Toison D’or“ haben wir unser Rockmusical vom „Verlorenen

Sohn“ in vielen Kreisgemeinden aufgeführt. – Heute möchte ich sprechen.

Ich stamme aus einer der kleineren Gemeinden in unserem Kreis, aus

Braunau. Darum ist der Titel, von der „kleinen Herde, die sich nicht fürch-

ten soll“ mit Bedacht gewählt und auch wieder biografisch unterlegt: Die

Sonntagschule erlebte ich beim eigenen Vater, die Jungschar beim Cousin,

den Posaunenchor beim Onkel, die Jugendstunde beim Erdkundelehrer.

Das Gemeindeleben war der wesentliche Kern meiner Kindheit. So sehr,

dass ich es sogar zum Beruf gemacht habe.

Was ich hier mitbekommen habe, zog sich durch: der Glaube an Christus,

der Umgang mit Gottes Wort. Die öffentliche Verantwortung unseres

Glaubens über den eigenen Tellerrand hinaus, fürs Dorf und darüber hin-

aus.

In der Formulierung des Themas „Fürchte dich nicht, Du kleine Herde“

stecken mindestens zwei Anmaßungen drin: Zum einen sieht so aus, als

brauchten Sie diesen Aufruf. Also fürchten Sie sich und haben es nötig!

Zum anderen sage ich Ihnen, dass Sie eine „kleine Herde“ sind. Im mille,

mega, giga-Zeitalter klingt das sehr ernüchternd. Und dennoch mute ich

Ihnen beides zu: Die Gemeinden in unserem Hessen-Waldeck-Kreis sind

zum Teil auch wegen ihrer Größe entmutigt. Das liegt an der demogra-

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1. Demografie – Wie schlimm steht es wirklich?

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fischen Entwicklung. Viele junge Leute sind bis ca. 17 Jahren in der Ge-

meinde. Dann gehen sie weg, werden FSJ-ler, gehen in den BUFDI oder

werden Student und – kommen nicht mehr wieder. Darum scheint die Zu-

kunft der Gemeinden unsicher, die Gefahr droht, dass Gemeinden überal-

tern und dann kaum noch eine Perspektive haben. Im Moment haben Sie

an etlichen Orten Zulauf durch Flüchtlinge. Aber, es muss sich erst zeigen,

inwiefern dadurch die demografische Delle ausgeglichen wird.

Mein Ziel ist es, Sie heute zu ermutigen. Sie haben mich als Professor für

Kirchengeschichte eingeladen. Darum will ich Sie ermutigen, indem ich auf

die Anfänge unserer Kreisgemeinden zurückgreife. Ich möchte zeigen, was

den Gründern wichtig war, was sie motivierte und was sie „am Leben er-

halten“ hat, und das in allen Anfeindungen, Widerständen und scheinbarer

Erfolglosigkeit.

Dazu möchte ich zunächst auf die Bevölkerungsentwicklung in unserem

Kreis eingehen und danach fragen, wie schlimm es wirklich um uns steht?

Dann werde ich einige biblische Grundlagen skizzieren. Anschließend wer-

de ich exemplarisch die kleinen Anfänge einiger unserer Kreisgemeinden

vor Augen führen und zuletzt Impulse aus der Geschichte des Hessen-

Waldeck-Kreises für unsere Gemeindearbeit heute geben.

1. Demografie – Wie schlimm steht es wirklich?

Wir haben in Deutschland lange Zeit vom demografischen Wandel profi-

tiert. Unsere Lebenserwartung ist kräftig gestiegen und wir haben viel

Geld gespart, weil weniger Nachwuchs zu versorgen war.

Zudem haben sich die letzten geburtenstarken Jahrgänge der um

1950/1960 geborenen richtig ins Zeug gelegt, die Volkswirtschaft enorm

angekurbelt. Sie sorgen dafür, dass der Staat derzeit Rekordeinnahmen in

seinen Steuer- und Sozialkassen verbucht. Doch diese goldenen Jahre ge-

hen bald vorbei. Um das Jahr 2030 werden die meisten aus diesen Jahr-

gängen verrentet. Dann wird jeder Jahrgang, der sich in den Ruhestand

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1. Demografie – Wie schlimm steht es wirklich?

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verabschiedet, etwa doppelt so groß sein, wie ein Jahrgang, der ins Be-

rufsleben einsteigt1.

Quelle: Bevölkerungsschätzung der Hessenagentur, in: Uwe van den

Busch, Bevölkerungsschätzung für Hessen und seine Regionen als Grund-

1 Vgl. http://www.berlin-institut.org/publikationen/discussion-papers/deutschlands-demografische-herausforde-

rungen.html.

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1. Demografie – Wie schlimm steht es wirklich?

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lage der Landesentwicklungsplanung. Wichtige Ergebnisse im Überblick,

Wiesbaden 2015, S. 12.

Und in Hessen-Waldeck trifft uns das hart: Wenn sich die Entwicklung der

letzten Jahre so weiter fortsetzt, nimmt die Einwohnerzahl insbesondere in

Nordhessen zukünftig weiter ab. So ist langfristig bis zum Jahr 2050 für

den Regierungsbezirk Kassel ein Bevölkerungsrückgang von absolut

235.000 bzw. fast 20 % zu erwarten. Auf den Dörfern sind es über 20%,

denn für Kassel Stadt rechnet man eher mit Bevölkerungszuwachs. Da

unsere Gemeinden ein Ausschnitt aus der Bevölkerung sind, müssten wir

damit rechnen, dass unsere Gemeinden ganz parallel zur Bevölkerungs-

entwicklung um über 20 % schrumpfen: außer in Kassel-Stadt. Jetzt kön-

nen Sie rechnen, was das für Ihre Gemeinde bedeuten würde. Haben Sie

heute noch 50 Mitglieder, werden es in wenigen Jahren nur noch 40 sein.

Dazu kommt noch die Umkehr der Alterspyramide. Das heißt vereinfacht:

Immer weniger junge Leute, stehen immer mehr alten Menschen gegen-

über.

Quelle: Gemeindedatenblatt: Borken (Hessen), St. (634001), Grafik, S. 2,

unter: http://www.hessen-gemeindelexikon.de/gemeindelexi-

kon_PDF/634001.pdf

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2. Bibel

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Nehmen wir die Entwicklung von Borken bis 2030: Während hier in 2000

in Bezug auf Borkens Gesamtbevölkerung noch relativ viele unter 20-

Jährige wohnten, sind es in 2030 erheblich weniger. Ganz frappant am

anderen Ende. 2000 relativ wenige zwischen 60–80-Jährige, aber 2030

etwa 33 %. Würde sich die Gemeindezusammensetzung genauso entwi-

ckeln, wäret ihr nicht nur erheblich weniger, sondern ihr hättet auch bald

niemanden mehr in Sonntagschule und Teenkreis, dafür aber drei bis vier

Seniorenkreise. Welchen Grund gibt es, sich angesichts dieser Prognosen

nicht zu fürchten?

2. Bibel

Allein ein Blick in die Bibel, motiviert uns, uns nicht zu fürchten. Biblisch

gesehen, waren unsere Vorfahren immer eine kleine Herde Denken Sie

nur an das Bekenntnis Israels. Tief im Bekenntnis Israels haben sich die

kleinen Anfänge niedergeschlagen. „Dann [beim Erntedank, AH] sollst du

anheben und sagen vor dem HERRN, deinem Gott: Mein Vater war ein

Aramäer, dem Umkommen nahe, und zog hinab nach Ägypten und war

dort ein Fremdling mit wenig Leuten und wurde dort ein großes, starkes

und zahlreiches Volk.“ (5Mose 26,5) Und auch von der Familie Jesu lesen

wir nichts Großes. Ein unverheiratetes, junges Pärchen ist unterwegs zu

einer Volkszählung und bekommt ein Kind. Ein paar Hirten und nicht ein-

mal eine Hand voll Gelehrter kommen dazu. Und nicht zuletzt der Kreis

der gerade einmal zwölf Jünger, die Jesus um sich sammelte, war weder

zahlenmäßig noch von der Zusammensetzung außerordentlich. Wo wir

auch hinschauen kleine Anfänge. In solche kleinen Verhältnisse spricht

das Wort von heute Morgen. „Fürchte Dich nicht, Du kleine Herde“ (Lk

12,32)

Unser Leitmotiv steht in den Worten der Bergpredigt: „Vom falschen und

rechten Sorgen.“ Da geht es um ganz existentielle Sorgen. Um Essen und

Kleidung soll man sich keine Sorgen machen. Und dann: „Trachtet zuerst

nach seinem Reich, so wird euch das alles zufallen. Fürchte dich nicht du

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3. Antikes Christentum

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kleine Herde! Denn es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu

geben.“ (Lk 12,31f.)

Warum soll man sich nicht fürchten? Zum einen zeigt Jesus, wie alle Ver-

suche, sich selbst zu sichern, scheitern und in unnützer Sorge münden.

Am Anfang des Lebens steht Gott in seiner schenkenenden und schaffen-

den Güte. Und damit ist auch gesagt, dass Gott seine Geschöpfe auch er-

halten will und dazu die nötigen Mittel bereit stellt. Zum anderen macht er

klar: Wer nichts von Gott weiß, der für seine Geschöpfe sorgt, noch bevor

sie das selber merken, muss andauernd zwischen Selbstsicherheit und

Sorge schwanken. Und Jesus führt darüber hinaus: Es gibt nur ein Ziel,

das dich beschäftigen darf, ja beschäftigen muss: Gottes Herrschaft.

Nicht, dass Du dich durchsetzt, sondern, dass Gott regiert, hat Dein Anlie-

gen zu sein.

In unserem Vers kommt nun mit dem Bild der Herde, die Kirche in den

Blick. Weil Gott treu sorgt, befreit er auch von der Not, die daraus ent-

steht, dass die Gläubigen so eine geringe Anzahl haben. Die kleine Zahl

hat Gott für sich, denn er hat ihre Glieder erwählt. Schon jetzt stehen sie

im Licht des Kommenden mitten in aller Last der Gegenwart. Und das

zieht sich durch.

3. Antikes Christentum

Die Gruppen von Christen waren anfangs häufig sehr klein. Das Wachstum

beim ersten Pfingstfest, das Lukas so euphorisch in der Apostelgeschichte

schildert – jeden Tag tausende – sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen.

Kleine Anfänge, oft jahrelange Stagnation, häufig wurde es auch gar

nichts. Das widerspricht häufig dem Anspruch, den wir vielleicht selber

und oft auch gerade kleine Gruppen haben. Ich denke an die kleine Grup-

pe um den frühen Mönch Pachomius in Ägypten. Das waren velleicht 30

Leute. Aber wenn man schaut, wie sie sich selber verstanden, dann re-

deten sie von sich als „Feuerbrand zur Erleuchtung der Welt“, und

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4. Kreisgeschichte

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Pachomius sieht seine Truppe als Rettung für die ganze Welt an2. Fast wie

die Willow Creek-Bewegung es heute sagt: „The Local church is the Hope

of the World“ – Die Ortsgemeinde ist die Hoffnung der Welt. Und denken

wir an die Allianz-Mission. Gleich auf der Homepage blinkt uns entgegen:

„Christus für die Welt“. Und vor einer ganzen Welt mit knapp 7,5 Milliar-

den Menschen erscheint die Weltperspektive bei der Ausstattung mit um

die hundert Missionaren doch groß abgebissen. Und in unserem eigenen

Haus versucht mein Kollege Johannes Reimer das ganz alleine, mit Buchti-

teln wie „Die ganze Welt umarmen“3. Und bei solchen riesigen Perspekti-

ven vergisst man zu leicht, was man bereits Gutes hat.

4. Kreisgeschichte

Schauen wir einmal auf die Anfänge unserer Kreisgemeinden am Ende des

19. Jahrhunderts und nehmen nur drei Beispiele. Fangen vor der Haustür

an mit Zwesten (damals noch nicht Bad), dann Frankenberg und zuletzt

Kassel.

2 Pachomius, Catechesen bei Andreas HEISER, Die Paulusinszenierung des Johannes Chrysostomus. Epitheta und

ihre Vorgeschichte, Studien und Texte zu Antike und Christentum 70, Tübingen 2012 , S. 420. 3 Johannes REIMER, Die Welt umarmen. Theologie des Gesellschaftsrelevanten Gemeindebaus, Transformations-

studien Bd. 1, Marburg ²2013.

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4.1. Kleine Anfänge

11

4.1. Kleine Anfänge

Zwesten

„Die Anfänge der Gemeinde in Bad Zwesten liegen in den achtziger Jah-

ren des 19. Jahrhunderts. Der in Zwesten ansässiger Herr Landsiedel

sammelte ab 1884 einige Leute um sich. Sie hatten wie er das Wort Got-

tes lieb. Unter anderem der Schuhmacher Hommel und Herr Kötting. Was

sie machten, war denkbar schlicht. Sie sangen aus dem Kirchengesang-

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4.1. Kleine Anfänge

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buch, lasen gemeinsam in der Bibel und beteten aus dem Gebetbuch von

Stark. Sie hatten zentrale Fragen: Wozu bin ich eigentlich auf dieser Welt?

Und wie kann ich hier und in Ewigkeit in Frieden mit Gott leben?4

Über vier Jahre fanden diese unregelmäßigen Zusammenkünfte statt. Die

Einwohner von Zwesten haben vor dem Haus von Landsiedel versucht, die

Versammlungen zu stören: angefangen vom Krach machen über allerlei

Unfug bis hin zum einschlagen der Fensterscheiben5. Aber die Leute um

Landsiedel haben sich nicht verängstigen lassen.

Frankenberg

Auch der Anfang in Frankenberg lag in kleinen Stubenversammlungen.

Gerade in Frankenberg und Battenberg ist zu Beginn die Brüderbewegung

einflussreich6. Der Darbymus kam 1853 von Brockhaus im Dillkreis in den

Raum Frankenberg. Birkenbringhausen, Battenfeld, Geismar, Frankenberg

und Zechenhausen7. Für unseren ganzen Kreis ist entscheidend, dass

1904 das Westdeutsche und auch das Hessische Evangelisationskomitee

gegründet wurde. Gesamtverantwortung trug Otto Schopf. Für die Leitung

des Hessischen Komitees war Weigand Bamberger verantwortlich. Die

Aufgabe des Komitees ist bei der Gründungsversammlung in Mornshausen

klar definiert: „2. In bisher noch nicht erschlossenen Ortschaften soll zeit-

weise durch auswärtige Brüder evangelisiert werden; eventuell in gemie-

teten Räumen.“8

Die Anfänge waren also geplant. Aber sie waren klein und beschwerlich.

Weigand Bamberger vom neu gegründeten Hessischen Evangelisations-

komitee kam nach Frankenberg9. Sein Dienst ging von Frankenberg aus

4 100 Jahre Freie evangelische Gemeinde Bad Zwesten 1895–1995. Festschrift zum 100-jährigen Gemeindejubi-

läum, hg. im Auftrag der Freien evangelischen Gemeinde Bad Zwesten, Brunnenstraße 16, zusammengestellt

von Achim BRÜCKEL, unterstützt von Ernst-Werner KOCH, Kurt SILBER, Heinrich KOLOTYLO und Georg

SCHMIDT senior, Zwesten 1995, S. 26. 5 Ebd., S. 26.

6 Die Leute werden „Wiedertäufer“ genannt, gemeint sind aber Darbysten, nicht Baptisten, siehe 1904–2004.

Festschrift zum 100jährigen Jubiläum der Freien evangelischen Gemeinden Frankenberg, Allendorf und

Burgwald, verfasst von Helmut BEAUPAIN und Bertold MÜLLER, Frankenberg 2005, S. 25). 7 BEAUPAIN/MÜLLER, Frankenberg (wie Anm. 6), S. 15.

8 Ebd., S. 26.

9 Ebd., S. 25f.

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4.2. Schwierigkeiten

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das Edertal hinauf bis Battenberg, vom Burgwald bis Bromskirchen und

darüber hinaus10. Frankenberg wurde zum Zentrum. Das Jahresfest fand

ab 1908 dort statt11.

Meistens waren es einzelne Personen, durch die die Gemeindearbeit in

Gang kam. So kam in 1910 der Schreinermeister Wilhelm Hirt in

Bromskirchen zum Glauben. Fortan wurden in seinem Haus Stubenver-

sammlungen durchgeführt. Er war „viele Jahre Säule und Träger der Ge-

meindearbeit.“12

So entstanden viele ganz kleine Versammlungen. Noch der spätere Predi-

ger in dem Gebiet Karl Utsch betreute 16 Gemeinden mit ca. 250 Mitglie-

dern. Dazu kam noch, dass „in den Orten ein harter Boden für das Evan-

gelium war, und die Leute sehr an der althergebrachten kirchlichen

Frömmigkeit hingen.“13

Damit hingen auch die besonderen Schwierigkeiten zusammen, mit denen

die ersten frei-evangelischen zu kämpfen hatten.

4.2. Schwierigkeiten

a) Separation

Die Anfänge der Bewegung hatten immer mit Trennung zu tun. Der Grund

für die Trennung von der Kirche lag tief. Da können wir bereits bei der

ersten Freien evangelischen Gemeinde in Deutschland überhaupt be-

obachten. Es sei ein „Akt des Gewissens“ gewesen, der Hermann Heinrich

Grafe dazu veranlasste im November 1854 in Wuppertal-Elberfeld aus der

reformierten Kirche auszutreten. Sein Austritt richtete sich nicht gegen die

Glaubensgeschwister. Aber es richtet sich gegen die Institution einer Kir-

che, die sich als Organisation aus Christen und Nichtchristen verstand.

Gewiss, zum Evangelium wird jeder herzlich eingeladen. Doch damit sind

nicht alle automatisch Gemeinde. Denn Gemeinde ist die Schar, die ganz

bewusst im Glauben steht und die Rettung in Jesus Christus angenommen

10

Ebd., S. 27. 11

Ebd., S. 28. 12

Ebd., S. 104. 13

Ebd., S. 60.

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b) Konflikte

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hat. Natürlich kann es auch hier Selbsttäuschung geben. Aber der bibli-

sche Weg ist klar: die Gemeinde ist der Tempel Gottes (1Kor 3,16), die

Braut Jesu (2Kor 11,2) und der Leib Christi (Eph 1,22f.). Das alles können

nur wiedergeborene Christen verkörpern, die in Jesus Christus zu einem

neuen Leben gekommen sind14.

b) Konflikte

In der Mitte des 19. Jahrhunderts entstand im Gebiet unseres Kreises so-

mit eine neue Frontlinie. Der Gegensatz lautete jetzt nicht mehr „luthe-

risch : reformiert“, sondern „Landeskirche : Freikirche“15.

c) Allgemein

Die damalige Kirche konnte „diese kleinen Kreise von frommen Christen

nicht ertragen“. Sie versammelten sich in Bauernstuben und ehemaligen

Tanzsälen, sangen Choräle, lasen die Bibel und beteten zusammen. Sie

setzten ihr ganzes Vertrauen hinsichtlich des Friedens mit Gott und des

ewigen Heiles allein auf das Kreuz Jesu und seine Auferstehung. Das Mahl

des Herrn feierten sie in urchristlicher Schlichtheit16.

d) Begriffe

Schon die verächtlichen Begriffe, die man den Bekehrten beilegte, spra-

chen Bände: Im Dorf sprach man von „Muckern“, oder abwertend von

„Frommen“17. Als „Sektentanten“ wurden fromme Frauen in

Benkhausen18, öffentlich beschimpft „Sacramentsverächter und Kirchen-

14

Ebd., S. 98. 15

Ebd., S. 10. 16

Heinrich WIESEMANN, Ein unverletzt Gewissen zu haben. Die Erweckungsbewegung in den Kreisen Waldeck

und Fritzlar-Homberg vom Ende des vorigen Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Mit einer Übersichtskarte des

Erweckungsgebietes, Ewersbach (Dillkreis) 1974, S. 61. 17

Ebd., S. 65. 18

Ebd., S. 103.

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e) Verwerfungen

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verächter“19, „Taufgesinnte“20, „Wiedertäufer“21. In offiziellen Papieren

sprach man von „Dissidenten“22.

e) Verwerfungen

Auch aus den Familien hören wir von Enterbung23, von Streit und Tren-

nung24.

f) Persönliche Einbußen

Konrad Seiber in Röddenau muss im August 1853 seinen Beruf als Lehrer

in Birkenbringhausen aufgeben, weil er sich zu den Frommen hält25.

g) Strafen für Versammlungen

In Bromskirchen entstehen durch Handwerksgesellen, die auswärts in El-

berfeld und Umgebung waren, Konventikel. Nach der Rückkehr in die

Heimat um 1839 reicht ihnen die Sonntagspredigt nicht mehr. Sie ver-

sammeln sich in einem Haus zum Bibellesen, besuchen aber weiterhin den

Gottesdienst. 1831 fangen zwei Brüder an zu predigen. Der Ortspfarrer,

Kißner, ruft die Polizei. Der Bürgermeister lässt verlautbaren: Wer eine

solche Versammlung hält oder auch nur teilnimmt, wird mit 10 Talern be-

straft. Die Versammlungen lösen sich auf26.

Nur gelegentlich lesen wir von der Duldung solcher Hausandachten, „Je-

doch sollen Processionen und alle sonstigen in die Öffentlichkeit tretenden

Cultushandlungen von denselben nicht vorgenommen werden, ....“27

h) Verhöre

Den „Dissidenten“ wurden Fragenkataloge vorgelegt. Ein sehr umfangrei-

cher mit 20 Fragen ist uns aus einer Vernehmung in Frankenberg vom

19

BEAUPAIN/MÜLLER, Frankenberg (wie Anm. 6), S. 10. 20

Ebd., S. 12; hier in Röddenau sind jedoch „Darbysten“, nicht Baptisten gemeint. 21

Ebd., S. 14; „Sie lassen die Kinder nicht mehr taufen und die größeren Kinder nicht mehr konfirmieren. Sie

taufen keine Kinder, sondern nur wiedergeborene Christen.“ (ebd., S. 14) 22

Ebd., S. 14. 23

WIESEMANN, Gewissen (wie Anm. 16), S. 61. 24

BRÜCKEL u.a., Zwesten (wie Anm. Fehler! Textmarke nicht definiert.), S. 35. 25

BEAUPAIN/MÜLLER, Frankenberg (wie Anm. 6), S. 13. 26

Ebd., S. 10. 27

Ebd., S. 16.

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i) Klassische Konflikte bei Geburt, Taufe, Abendmahl

und Beerdigung

16

01.03.1862 überliefert28 Fragen zu Taufe, Abendmahl, Verständnis von

Welt und auch „20. Ob ihm an einem kirchlichen Begräbnis gelegen sei?“29

Beispiel: Der Schreiner Heinrich Mantel: am 15.02.1854

Vom Presybyterium zum Schluss fragen vorgelegt: "1. Ob er durch sein

Gewissen getrieben werde, aus der lutherischen Kirche auszuscheiden? -

Ja. 2. Was ihn aus der Kirche treibe? - Das Wort Gottes. 3. Welches Wort?

- Er sage nichts mehr, er sei ausgetreten. 4. Steht die Familie auf demsel-

ben Glaubensgrund wie er? - Ja, die Frau und drei Kinder.“30

i) Klassische Konflikte bei Geburt, Taufe, Abendmahl

und Beerdigung

In der Frühzeit unserer Gemeinden entstanden die Probleme bei den klas-

sischen Konfliktfeldern, die sich zwischen Landeskirche und Freikirche im

19. Jahrhundert auftaten: an den Eckpunkten des Lebens, vor allem bei

Geburt, Taufe, Abendmahl und der Beerdigung31. Aber nicht selten führte

die Neubesinnung auf das Evangelium und die Gründung von Versamm-

lungen und Freien evangelischen Gemeinden auch bei Pfarrern zur Besin-

nung auf die Wurzeln der eigenen kirchlichen Arbeit.

1. Geburt

Die Geburten wurden separat geführt, da die Kinder nicht getauft wurden,

konnten Sie nicht im Kirchenbuch verzeichnet werden. In Birkenbring-

hausen wurde ein „Geburtsbuch für die Religionsgemeinschaft der Dissi-

denten“ geführt32.

2. Taufe

„Jakob (sc. Schmidt) heiratete bald, und ein Kind wurde geboren. Der

junge Vater lehnte die Kindertaufe ab. Auf wiederholtes Drängen seines

Vaters ging Jakob zu Pastor Dippel und sagte: „Ich bin bereit, mein Kind

28

Ebd., S. 15f. 29

Ebd., S. 16. 30

Presbyterialprotokolle der evangelisch-reformierten Gemeinde zu Frankenberg, in: BEAUPAIN/MÜLLER, Fran-

kenberg (wie Anm. 6), S. 18. 31

Vgl. Erich GELDBACH, Freikirchen. Erbe, Gestalt, Wirkung, Bensheimer Hefte 70, 2., völlig neu bearbeitete

Auflage, Göttingen 2005, S. 124–160. 32

BEAUPAIN/MÜLLER, Frankenberg (wie Anm. 6), S. 14.

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i) Klassische Konflikte bei Geburt, Taufe, Abendmahl

und Beerdigung

17

taufen zu lassen ...“ Pastor Dippel ließ ihn erst gar nicht ausreden, son-

dern bat seinen Besucher auf die liebenswürdigste Weise näherzutreten.

Der aber vollendete seinen begonnenen Satz: wenn Sie mir nachweisen,

daß die Kindertaufe eine neutestamentliche Einrichtung ist.“ Da packte der

Pfarrer den nach seiner Meinung abtrünnigen Sohn der Kirche buchstäb-

lich am Kragen und drückte ihn unsaft zur Tür hinaus. Mit diesem „Hand-

griff" zerschnitt er das Band der Gemeinschaft und vergrößerte noch den

Riß, als er am nächsten Sonntag von der Kanzel herunter einen Kübel

Schelte ausgoß. Eine weitere Familie war freikirchlich geworden.“33

„Im Hause einer der Unseren in Arolsen fügte es sich, daß ich mit dem

Redakteur der ‚Waldeckschen Rundschau‘ Dr. N. das Abendbrot einnahm.

Wir kamen auf meine Reisen, meine Arbeit, die Versammlungen zu reden,

auch auf die Zeitungsfehde für und wider uns. - Ich dankte Dr. N. dafür,

daß er so männlich für uns eintrat. Er sagte: ‚Wenn ich auch nicht Ihren

Standpunkt habe – er war liberalfreisinnig – so achte ich doch ihr Wollen.

Das Kirchentum ist doch durchweg nur kalte Gewohnheit, Erwerbsfröm-

migkeit und Heuchelei‘. – ‚Aber wer ist dieser uns unbekannte Freund, der

wie ein Held für uns gefochten hat?‘ Das ist eigentlich Redaktionsgeheim-

nis, doch ich will es Ihnen sagen. Den Jägerpastor kennen Sie ja. Das ist

Ihr Freund Möller in Sachsenhausen. Ihm gegenüber an der anderen Stra-

ßenseite wohnt Ihr Anwalt Dr. H., Arzt in Sachsenhausen. Er denkt liberal

wie ich. Im letzten Frühjahr schenkte ihm seine Frau einen Buben. Diesen

hat er nicht zum Taufstein seines Freundes Möller gebracht, denn er

meint, Religion sei Privatsache. Der Junge solle sich taufen lassen, wenn

er will oder es auch bleiben lassen. Darüber ist der Pastor wild geworden

und mußte sich an Dr. H. rächen. Das nächste Missionsfest in Sachsen-

hausen, an dem der Berliner Hofprediger Stöcker Festredner war, bot die

günstige Gelegenheit. Nachdem Dr. Stöcker sein christlichsoziales Pro-

gramm mit starker Begeisterung der großen Versammlung vorgetragen

33

WIESEMANN, Gewissen (wie Anm. 16), S. 31f.

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i) Klassische Konflikte bei Geburt, Taufe, Abendmahl

und Beerdigung

18

hatte, nahm Pastor Möller das Schlußwort und unterstrich die Stöckersche

Rede:

Wie der Herr Hofprediger sagte, braucht unsere Kirche christliche Lehrer,

christliche Kaufleute, christliche Ärzte, die ihre Kinder zur Taufe bringen

und sie nicht wie Heiden aufwachsen lassen. Alles horcht auf. Das gilt Dr.

H. Zum Dank dafür ist Dr. H. für Sie eingetreten, und Sie haben den Nut-

zen davon.“34

3. Taufe/Konfirmation

„Ich (Sc. Heinrich Wiesemann) will ihn am Beispiel meiner Eltern zeigen,

weil ihre Geschichte mir am besten bekannt ist. Meine älteste Schwester

Marie (geboren 1885) hätte 1899 konfirmiert werden müssen. Vater ver-

weigerte die Konfirmation ( = „Befestigung des Glaubens, Einsegung des

heranwachsenden evangelischen Kindes mit Zulassung zum heiligen

Abendmahl“. Nach Duden, Fremdwörterbuch, S. 372. Der kleine Brock-

haus, S. 659. erklärt: „Einsegnung der getauften jungen Christen in einer

kirchlichen Feier der evangelischen Kirche, womit die Zulassung zum

Abendmahl und das Recht zur Patenschaft verbunden ist“). Durch fleißiges

Studium des Neuen Testaments war Vater überzeugt, daß weder unser

Herr Jesus Christus noch einer seiner Apostel die von ihnen erstrebte Ge-

meinde auf die Kindertaufe oder Konfirmation gründen wollten.

Die Verweigerung der Konfirmation rief einen Sturm hervor. Sogar die

Chronik der Bonner Schule erwähnt sie als bemerkenswertes Ereignis der

Dorfgeschichte. Es gab Gespräche mit dem Ortspfarrer Hopff. Da der Vor-

fall als beispielhaft angesehen wurde, mischte sich auch das Konsistorium

in Arolsen ein, durch das der Fürst von Waldeck sein Bischofsamt durch-

führte. Darüber befinden sich zwei Briefe in meiner Hand, einer von mei-

nem Vater ohne Datum, entweder Ende 1899 oder Januar 1900 an Kon-

sistorialrat Seehausen in Arolsen geschrieben, und die Antwort des Kon-

sistoriums an meinen Vater. Sie führen uns auf die Höhe des Konfliktes,

der kurz darauf damit endete, daß meine Eltern am Schluß eines öffentli-

chen Gottesdienstes von der Kanzel herunter exkommuniziert wurden – in

34

WIESEMANN, Gewissen (wie Anm. 16), S. 49f.

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i) Klassische Konflikte bei Geburt, Taufe, Abendmahl

und Beerdigung

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Anwesenheit meiner Großmutter und meiner älteren Geschwister. Die bei-

den Briefe sind die einzigen Dokumente von jenen Auseinandersetzungen.

Alle kirchlichen Akten wurden bei einem Luftangriff auf Kassel-

Wilhelmshöhe während des Zweiten Weltkrieges vernichtet.“35

4. Ausschluss vom Abendmahl

Eine dramatische Geschichte ereignete sich in Frankenberg. Dort wurde

selbst einer schwerkranken Frau, der Baptistin = Darbystin Schulze 1878

das Abendmahl verweigert36.

5. Öffentliche Schmähungen

In Allendorf/Eder fanden vor dem ersten Weltkrieg Evangelisationen statt.

Bei den Veranstaltung kam es immer wieder zu Anfeindungen. Die Ver-

sammlungen wurden durch Lärm, Musik und hässliche Zurufe gestört, auf

der Straße mussten die Boten des Evangeliums Verspottung über sich er-

gehen lassen. Im Hinterländer Anzeiger Biedenkopf wurde einmal gegen

das Sektenunwesen in jeder Zahl geschrieben37.

6. Schikane – Ein Beispiel aus Bad Zwesten

„Die Anfänge der Gemeinde in Bad Zwesten liegen in den achtziger Jahren

des 19. Jahrhunderts. Der in Zwesten ansässiger Herr Landsiedel sammel-

te ab 1884 einige Leute um sich. Sie hatten wie er das Wort Gottes lieb.

Unter anderem der Schuhmacher Hommel und Herr Kötting. Ihre

Zusammenkünfte waren vom Singen aus dem Kirchengesangbuch, dem

Lesen der Bibel und dem Gebet aus Starks Gebetbuch bestimmt. Zentrale

biblische Begriffe wie Buße und Bekehrung, Glaube und Widergeburt wa-

ren diesem Kreis noch unbekannt. Aber die Offenheit für geistliche Fragen

führte sie in unregelmäßigen Zeitabständen immer wieder zusammen.“38

Über vier Jahre fanden diese unregelmäßigen Zusammenkünfte statt. Die

Einwohner von Zwesten haben vor dem Haus von Landsiedel versucht, die

35

Ebd., S. 56. 36

BEAUPAIN/MÜLLER, Frankenberg (wie Anm. 6), S. 17. 37

Ebd., S. 52. 38

BRÜCKEL u.a., Zwesten (wie Anm.4), S. 26.

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i) Klassische Konflikte bei Geburt, Taufe, Abendmahl

und Beerdigung

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Versammlungen zu stören: angefangen vom Krach machen über allerlei

Unfug bis hin zum einschlagen der Fensterscheiben39.

In 1905 kaufte Friedrich Grebe sen., der Bruder von Heinrich Grebe aus

Gershausen, zusammen mit seinem Sohn Friedrich die Ottomühle. Sie

borgten sich das nötige Geld bei der Raiffeisenkasse. Die Ottomühle wur-

de bald ein weiterer Mittelpunkt des christlichen Lebens40. Nun trat der

Gegner auf. Der Zwestner Pfarrer Dippel, seit 1900 im Amt, wollte die Ar-

beit verhindern. Er war auch Vorsitzender der Darlehenskasse. Er drohte:

Wenn Grebe weiter Versammlungen in der Mühle abhalten würde, würde

er das Darlehen kündigen. Grebe ließ es sich nicht nehmen, weiter Bibel-

stunden in der Mühle zu halten. Und Dippel kündigte ihm den Kredit.

Als nun ein Bruder aus Borken, Paulus Waßmuth hörte, in welche Sack-

gasse die Zwestner Frommen geraten waren, gab er Grebe gegen einen

Hypothekenbrief sofort das nötige Geld. Den Hypothekenbrief schickte er

durch eine gläubige Frau namens Martleis zu Grebe in die Ottomühle. Als

sie dort ankam und ihre Handtasche aufmachte, war der Brief weg. –

Schock.

Kurz drauf kam ein Fremder Mann in die Mühle. Er kam vom Bahnhof in

Borken und wollte zur Ottomühle, weil er sich dort als Geselle beworben

hatte. Unterwegs hatte er den Brief gefunden und gelesen. Ihm war nun

klar, dass die Familie Grebe kein Geld hatte. Wenig später stellte sich

raus, dass er ein falscher Hund war. Er war ein Raubmörder. Er hatte wie-

derholt einsam wohnende Müller ermordet und beraubt. Ehe er einen wei-

teren Mord begehen konnte, wurde er verhaftet. „Gottes Gnade und der

leere Geldbeutel“ hatte Grebes vor dem ruchlosen Mann bewahrt41.

7. Provokation

Fritz Hommel, war bei der Evangelisation mit Elias Schrenk in Zwesten

zum Glauben gekommen und hielt sich zur Mühlenversammlung. Deswe-

gen wurde er vom Kirchenältesten Philipp Ribeling gefragt, warum er nicht

zur Kirche komme: Er antwortete: „Da kann ich mir nichts holen.“ Und

39

Ebd., S. 26. 40

Ebd., S. 31. 41

Ebd., S. 32; WIESEMANN, Gewissen (wie Anm. 16), S. 29f.

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i) Klassische Konflikte bei Geburt, Taufe, Abendmahl

und Beerdigung

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dann schob er nach: „Da kann ich genauso gut in den Schweinestall ge-

hen.“ Das gab einen riesen Tumult. Hommel wurde aus der Kirche ausge-

schlossen.

8. Friedhofstreitigkeiten

„Die Kündigung des Darlehens durch Pfarrer Dippel gab den Anstoß dafür,

daß die zu Christus Bekehrten ihre Gliedschaft in der Kirche aufkündigten.

In Betzigerode gehörte der Bauer Schmidt zu diesem Kreis. Als er starb,

wünschte er von Prediger Härdle in Bad Wildungen beerdigt zu werden.

Dieser predigte nach christlicher Sitte auf dem Dorffriedhof, wurde von

Pfarrer Dippel wegen Hausfriedensbruch angezeigt und mußte eine Geld-

strafe bezahlen. Der Friedhof gehörte zwar der Dorfgemeinde, wurde aber

von der Kirche verwaltet.“42

Für Frankenberg ist in dem Presbyterialprotokoll der evangelisch-

reformierten Kirchengemeinde Frankenberg schlicht notiert: „Kirchliche

Begräbnisse usw. sollen all denen, die aus der Kirche ausgetreten sind,

verweigert werden.“43

9. Bekehrung von Pfarrern

Aufsehen erregte es, dass der Ortspfarrer Busoldt in Böhne nach vielen

Gesprächen mit Wilhelm Otto in einer Evangelisation ebenfalls zu der

Überzeugung kam, „daß der Glaube an den gekreuzigten und auferstan-

denen Herrn in seinem Leben nicht die bestimmende Macht gewesen war,

wie das Neue Testament es verlangt und der Reformator Dr. Martin Luther

es vorgelebt hat. Er ordnete sich jetzt dem Herrschaftsanspruch Jesu un-

ter. Als er diese innere Umkehr öffentlich bezeugte und sogar gelegentlich

mit seiner Frau nach Bohne zur Versammlung kam, ließen sich einige Het-

zer vom Haß gegen das Evangelium dazu verleiten, bei einem Abendgot-

tesdienst in der Kirche, unmittelbar bevor der Pfarrer das Gotteshaus be-

trat, die Klinke der Kirchentür mit Wagenschmier zu besudeln. Pastor

Busoldt beschmutzte sich derartig, daß sich der Beginn des Gottesdienstes

42

WIESEMANN, Gewissen (wie Anm. 16), S. 30. 43

BEAUPAIN/MÜLLER, Frankenberg (wie Anm. 6), S. 18.

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i) Klassische Konflikte bei Geburt, Taufe, Abendmahl

und Beerdigung

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verzögerte. Wiederholt flogen Steine gegen die Tür des Pfarrhauses. Pas-

tor Busoldt wurde versetzt.“44

Auch in Röddenau lesen wir das: Das Problem mit den Frommen mildert

sich, als der Pfarrer selber sich dem pietistischen Gedankengut öffnet.

Pfarrer Heinrich Gottlieb Manche (1851–1881) hat in 1861 auf einem Mar-

burger Missionsfest den Erweckungsprediger Ludwig Harms gehört. Das

hat ihn so erwischt, dass er ab sofort anders predigte45.

Pfarrer Becker aus Frankenberg und Pfarrer Maus aus Bottendorf halten

am 21.10.1896 Vorträge, dann formuliert der Konvent 11 Thesen. Darin

beurteilt er die Gemeinschaftsbewegung:

„Die Evangelisierung ist stark versucht, methodistisch auszuarten ... Als

besonders schwerer Schaden ist hervorzuheben die Geringschätzung des

geordneten Predigtamtes und der Sakramente. ... Die Gemeinschaftsbe-

wegung ist ein Bußruf zunächst an uns selbst, uns zu prüfen, wie weit wir

sie verschuldet haben

a) durch Ungehorsam gegen das Evangelium

b) durch unbrüderliches Verhalten gegen unsere Mitchristen

c) durch spezielle Untreue in unserem Amte.

Ohne tägliche Buße und Reue haben wir keine Wahrheit und kein Recht in

der Bekämpfung einer ungesunden Gemeinschaftsbewegung und einer

von anderer Seite kommenden Schädigung unserer Kirche.“46

Man will „vorbeugen durch Vertiefung besonders folgender Wahrheiten:

a) einer hat den andern als sein und Christi Mitglied und Miterben zu ach-

ten und ihm selbstlos zum ewigen Leben zu dienen

b) Die Rechtfertigung aus Gnaden durch den Glauben ohne eigenes Ver-

dienst

c) Die Notwendigkeit beständiger Buße und unaufhörlicher Heiligung

d) Die Schriftgemäßheit unserer Bekenntnisse und die gesegnete Ge-

schichte unserer Kirche

e) Wir glauben eine heilige christliche Kirche d. i. communio sanctum.“47

44

WIESEMANN, Gewissen (wie Anm. 16), S. 88. 45

BEAUPAIN/MÜLLER, Frankenberg (wie Anm. 6), S. 10. 46

Ebd., S. 18.

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i) Klassische Konflikte bei Geburt, Taufe, Abendmahl

und Beerdigung

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Wenn wir fragen, wie die ersten frei-evangelischen mit den Schwierigkei-

ten umgingen, dann fällt auf, wie fest sie davon überzeugt waren, auf

dem Boden der neutestamentlichen Überlieferung zu stehen. Man fragt

sich häufig, ob das auf beiden Seiten, Kirche und auch Freikirche unbe-

dingt so hart und verletzend hätte zugehen müssen? Ich bin überzeugt,

dass auch heutige Beziehungen zwischen unseren Gemeinden im Kreis

und den Kirchengemeinden auf die nicht aufgearbeiteten Verletzungen

und Verwerfungen aus den Anfangszeiten zurückgehen48. – Schauen wir

aber noch kurz auf Kassel. Hier war das Problem weniger der Kampf zwi-

schen Frei- und Volkskirche, sondern das Hadern mit der eigenen Größe

und dem eigenen Auftrag.

Kassel

Kassel Wilhelmshöhe ist das Musterbeispiel für einen kleinen Anfang. In

Kassel Wilhelmshöhe ging es langsam. Prediger Gustav Klein kam im Auf-

trag des Westdeutschen Evangelisations-Komitees von Hamm in West-

falen nach Kassel.

Zuerst besuchte er die Baptistengemeinde. Dort traf er die Familie Li-

scheid. Die Lischeids waren zugezogen und schon bevor sie nach Kassel

kamen in der Freien evangelischen Gemeinde in Witten. Sie wollte nun

auch in Kassel gern in einer FeG sein. Anfangs eine ganz kleine Gruppe.

Der Eröffnungsgottesdienst war zwar mit 55 Teilnehmern gut besucht,

aber beim ersten Abendmahl im November 1910 gerade einmal 10 Perso-

nen49. Über ein halbes Jahrhundert führte man ein „Hinterhofdasein“, wie

Oskar Achenbach in der Festschrift beschrieb. Und zwischendurch berede-

47

Pfarrconvents-Protokollbuch 1724–1920, im Dekanatsarchiv Frankenberg, zum 21.10.1896, bei: BEAUPAIN/

MÜLLER, Frankenberg (wie Anm. 6), S. 18f. 48

Vgl. dazu das Projekt: Heilung der Erinnerungen. Das Verhältnis der evangelischen Frei- und Landeskirchen

im 19. Jahrhundert. Ein Forschungsprojekt in der Reformationsdekade, hg. v. Barbara RUDOLPH, epd-Dokumen-

tation 9, Frankfurt 2014. 49

50 Jahre Freie evangelische Gemeinde Kassel. 1910–1960, verfasst von Prediger Jakob Landes, Kassel 1960,

S. 9.

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und Beerdigung

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te man allzu oft, – auch mit der Bundesleitung, – ob die Arbeit überhaupt

weitergeführt werden soll. In solchen Momenten ist es die von Gott ge-

schenkte Überzeugung, gegen den Augenschein, zu vertrauen, dass er

etwas entstehen lässt. In der ersten Predigt in der neuen Gemeinde

brachte Prediger Klein das auf den Punkt:

„Die Berge von Hindernissen ... sollen vor dem Herrn, vor Seinen Boten

und Seinem Volk zur Ebene werden. Niemand soll die Tage kleiner Dinge

verachten. Unsere Arbeit fängt klein und gering an. Wir sind nur eine klei-

ne Schar, keine großen einflußreichen Leute und solche mit großen Geld-

mitteln. Wir haben keinen Gesangchor, nicht einmal ein Harmonium. Aber

wir haben einen reichen Vater und einen mächtigen Heiland, der des Gra-

bes und des Todes Riegel gesprengt hat. –“50

Am 3. Mai 1930 waren es 26 Mitglieder51 Nach dem Krieg waren es in

Kassel gerade noch 20 Mitglieder. Auch nachdem die Außenstelle Volk-

marshausen ganz an die Baptisten abwanderte, begann der Zweifel auf-

grund der Größe erneut52. Prediger Landes notierte seinen Zweifel, „ob es

sich lohne, einen so kleinen Gemeindekreis festzuhalten in einer Stadt, in

der es so viele andere Anschlußmöglichkeiten gibt, daß ihn selber dieser

Zweifel anfocht und anwandelte, worüber er sich heute schämt. Eine Auf-

lösung hätten ja auch die Mitglieder, besonders die älteren, schmerzlich

und mit tiefem Bedauern hingenommen.“

Man hat die Arbeit aber deswegen nicht beendet, weil man schon lange

um inneres und äußeres Wachstum der Gemeinde betete53. Und nach al-

lem schaute man auch auf die Erfahrung zurück, die man schon gemacht

hatte, „ob das Pflänzlein unserer Gemeinde nach allen schon überstande-

nen Stürmen nicht doch noch einen Auftrag für die Zukunft habe. Und

nicht nur Gemeindeglieder allein, auch andere Versammlungsbesucher

und Anhänger hätten eine Auflösung unserer Gemeinde bedauert.“54

50

Ebd., S. 8. 51

100 Jahre Freie evangelische Gemeinde Kassel (1910–2010), verfasst von Oskar ACHENBACH, Kassel 2010, S.

17. 52

LANDES, Kassel (wie Anm. 49), S. 22. 53

Ebd., S. 25. 54

LANDES, Kassel, S. 25.

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i) Klassische Konflikte bei Geburt, Taufe, Abendmahl

und Beerdigung

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In der Bombennacht vom 22. auf den 23. Oktober 1943 wurde die Kasse-

ler Innenstadt systematisch zerstört. „Mehr als zehn Kirchen, dazu auch

fast sämtliche Gemeinschafts- und Gemeindeheime waren zerstört.“ Die

Gebäude des Diakonissenhauses waren ganz geblieben. Man traf sich dort,

denn auch das Gebäude Wilhelmshöher Allee 95 war zerstört worden55.

Auch die Pastorenwohnung fiel in der Bombennacht vom 8. auf den 9.

März 1945 den Bomben zum Opfer56.

ACHENBACH, Kassel (wie Anm. 51), S. 125.

Die Zahl der Gemeindeglieder blieb auch nach dem Krieg klein. 1950 wa-

ren es 19 Mitglieder, 1951 waren es 21. Man wollte so gern wachsen. Man

hoffte, alles würde besser, wenn man geeignete Räume hätte. Raus aus

der Privatwohnung. Ab 1951 mietete man den Gemeindesaal der Landes-

kirchlichen Gemeinschaft am Berliner Platz. Der Besuch nahm etwas zu.

Grundsätzliche Fragen blieben: Haben wir einen Auftrag für eine FeG-

Arbeit in Kassel? Soll man sich nicht den Baptisten anschließen?57 Karl

55

LANDES, Kassel, S. 20. 56

LANDES, Kassel, S. 21. 57

ACHENBACH, Kassel (wie Anm. 49), S. 23.

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5. Impulse

26

Glebe 1952 (Präses): „Seht ihr für eure Gemeinde noch eine Aufgabe oder

nicht? Und wenn, seid ihr bereit, sie auch zu übernehmen?“58

Das Wort des Predigers Klein blieb wie ein Leitwort: „Wir sind nur eine

kleine Schar … Aber wir haben einen reichen Vater und einen mächtigen

Heiland, der des Grabes und des Todes Riegel gesprengt hat.“ Nicht aus-

zudenken, wenn man in 1950ern die Arbeit beendet hätte – heute keine

blühende Gemeindearbeit in Wilhelmshöhe, keine Neugründung in Kassel-

Ost, keine FeG Warburg, keine Anfänge in Eschwege.

Was aber gibt den Mut zum Durchhalten? Was veranlasst die „Kleine Her-

de, sich nicht zu fürchten?“

5. Impulse

Wenn ich nun von Impulsen spreche, dann gebe ich tatsächlich nur Anstö-

ße. Man kann nicht hergehen und sagen: „Mach es wie damals in Kassel!“

und dann läüft die Gemeindearbeit. Jede Gemeinde muss immer wieder

neu ihren eigenen Weg finden, wie sie aus dem Evangelium von Jesus

Christus, dem Grund der Gemeinde in ihrem je eigenen Kontext ihre eige-

ne, dem Evangelium entsprechende Form findet. Dazu mögen die Anstöße

aus der Kreisgeschichte dienen.

5.1. Impuls: Keine Dekadenzgeschichte betreiben

Der frei-evangelische Blick auf die Geschichte neigt dazu, eine Dekadenz-

geschichte zu schreiben. Das heißt, man denkt: Zur Zeit des Neuen Tes-

taments war alles gut, und von da an ging es lange Zeit nur noch bergab.

In der Reformation ging es ein wenig bergauf, dann im Pietismus wieder.

Dann zu Beginn der großen Erweckungsbewegungen und heute: sind wir

in einer Zeit der Bedrohung und des Verfalls59. Als Heilmittel wird dann

gegeben: Kehr zurück zu den Formen des Neuen Testaments! Aber das

reicht nicht ganz aus. Denn zum einen sind die Formen der Gemeinden in

58

Ebd., S. 24. 59

Die Gegenwart ist Zeit der Abkehr von der ursprünglichen, neutestamentlichen Gemeindewirklichkeit dazu:

LANDES, Kassel (wie Anm. 49), S. 3–5. „Die Geistesarmut in der Gottesgemeinde noch in unserer Zeit wird

besonders augenfällig durch die Zerrissenheit und Auffassungsverschiedenheit in Glaubensfragen unter den

Gläubigen und zwischen den mancherlei und verschieden benannten christlichen und christlich sich nennenden

Gemeindekreisen, abgesehen von den vielerlei abwegigen Sekten.“ (ebd., S. 3)

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5.2. Impuls: Gemeinde auf dem Weg sein

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der Zeit des Neuen Testamentsvielfältig. Zum anderen zeigt das Neue

Testament selber, wie Gemeinden um ihr Wesen und die ihm angemesse-

ne Gestalt ringen. Um dieses Ringen kommen auch wir nicht herum. Das

Evangelium von Jesus Christus schafft sich in jeder Zeit neue, angemes-

sene Formen.

5.2. Impuls: Gemeinde auf dem Weg sein

Damit hängt das zweite Zusammen: Die äußere Gestalt der Gemeinden ist

veränderlich. Die Leuenberger Kirchengemeinschaft unterscheidet zwi-

schen Grund und Gestalt der Kirche60. Die immer neue Aneignung des

Grundes, des Evangeliums von Jesus Christus, schafft sich immer neue

Gestalten. Der Kasseler Prediger Landes brachte

„Eine christliche Gemeinde ist nicht ein fertiger Tempel, sondern ein im

Entstehen begriffene geistlicher Bau, der aus lebendigen Steinen ausge-

führt. 1. Petr. 2,5. Anders trägt ihren Namen zu Unrecht. Und er werden

und Wirken in der Welt und Zeit ist ein Bauplatz Gottes. ... die äußeren

Gemeindeordnungen sind nur vergängliche und je nach gegebenen Vo-

raussetzungen wandelbare Hilfsmittel, das Baugerüst, das einst abge-

schlagen wird und dass darum nur von bedingtem und beschränktem Wert

ist. Der Bau selber besteht in den bleibenden werden, die für die Ewigkeit

geschaffen sind, den Seelen, die für das Reich Gottes gewonnen und zu-

gerichtet werden.“61

5.3. Impuls: Denken in langen Bahnen

Wir sind ein wenig von den amerikanischen Konzepten, die schnelles

Wachstum versprechen, verdorben. Peter Strauch schrieb zum Jubiläum

der Allendorfer Gemeinde: „Im Reich Gottes ist es anders, da geschieht

das alles wachstümlich. Aus kleinen oft unscheinbaren Anfängen entste-

60

Die Kirche Jesu Christi. Der reformatorische Beitrag zum ökumenischen Dialog über die kirchliche Einheit.

Im Auftrag des Exekutivausschusses für die Leuenberger Kirchengemeinschaft hg. v. Wilhelm HÜFFMEIER,

Leuenberger Texte 1, Frankfurt am Main 1995, bes. S. 10–20 (auch unter: http://www.leuenberg.eu/sites/de-

fault/files/publications/lt1.pdf). 61

LANDES, Kassel (wie Anm. 49), S. 6.

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5.4. Impuls: Solide Grundlagen

28

hen erstaunliche Dinge.“62 Damit schloss Strauch an Worte an, die Gustav

Klein zur Einweihung des Gemeindehauses in Frankenberg 1908 sprach in

seiner Auslegung des Gleichnisses vom Senfkorn sprach: „ … wie alle

Reichsgottesarbeit anfänglich klein, aber lebenskräftig und nicht wie ein

lebloser Mühlstein sei, wie aber auch allen Lebensentwicklung im Reich

Gottes durch einen Sterbeprozess hindurchgehen muss.. denn sterben

und Fruchtbarkeit gehören auf‘s engste zusammen.“63

„Möglich ist das alles nur, weil wir Menschen zwar pflanzen, pflegen und

begießen können (1Kor 3,7f.), aber allein der Geist Gottes neues Leben

schafft. Darin liegen auch die besten Aussichten für Eure Zukunft.“64

Oft zeigt sich die Frucht erst sehr viel später. Da ist ein Denken in langen

Bahnen wichtig65. Das beste Beispiel ist Wildungen. Graf Friedrich Anton

Ulrich war es, der 1711 jede Verbindung mit dem Pietismus in seinem

Land verbot und jeden des Landes verwies, der sich nicht fügen wollte.

Erst einer seiner Nachfahren - Prinz Heinrich war sein Ururenkel - führte

genau das ein, und zwar sogar auf seinem Schloß, was der Opa unter-

drückte und ausmerzte. „Gottes Mühlen mahlen langsam, mahlen aber

trefflich fein“66.

5.4. Impuls: Solide Grundlagen

Unsere Gemeinden haben Ihre Arbeit auf soliden Grundlagen aufgebaut.

Damit meine Ich: auf die Heilige Schrift, auf Gebet und Evangelisation.

Diese Grundlagen verlassen wir auch in der heutigen Kreisarbeit nicht.

5.4.1. Schrift

Die Bibel spielte im Kreis immer eine zentrale Rolle. Nach der Evangelisa-

tion von Elias Schrenk am Ende des 19. Jahrhunderts in Zwesten ver-

62

Der damalige Präses Peter Strauch zum 100 Jahre Allendorf, in: BEAUPAIN/MÜLLER, Frankenberg (wie Anm.

6), S. 5. 63

Ebd., S. 28. 64

Ebd., S. 5. 65

„ ... Mahnung sein, daß auch unsere Mitgliedschaft in der Gemeinde auf Erden in jedem Fall, wie lang sie

jeweils auch sein möge, nur eine zeitliche und vorübergehende ist. Und doch muss und wird sie so oder so einen

Einfluss ausüben und eine wichtige Bedeutung für uns selber und für die Gemeinde haben.“ (LANDES, Kassel

[wie Anm. 49], S. 7) 66

WIESEMANN, Gewissen (wie Anm. 16), S. 26.

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5.4.2. Gebet

29

sammelte Pastor Sperber die vom Evangelium Ergriffenen an jedem Wo-

chenende zur Bibelbetrachtung und zum Gebet. Auch aus Braunau be-

suchten die gläubig Gewordenen regelmäßig diese Zusammenkünfte. In

den Häusern wurde jetzt fleißig die Bibel gelesen und gebetet.“67 Und

auch als Pfarrer Sperber dann in 1900 an die Kasseler Martinskirche

wechselte, trafen sich die Gläubigen, „weiterhin, um vor allem die Bibel

besser kennen zu lernen so erwarben sie sich im Laufe der Zeit eine ent-

sprechende Bibelkenntnis.“68

5.4.2. Gebet

Von den Alten können wir das Beten lernen. Nehmen wir nur ein Beispiel:

Guilaume Beaupain (1842–1930) aus

Wiesenfeld „besaß nicht so sehr die Gabe

der öffentlichen Wortverkündigung, ob-

wohl sein Zeugnis lebendig und voller

Kraft war. Er war mehr ein Mann des

praktischen Christentums und vor allem

des Gebets. Über all konnte er beten, ob

es in der Scheune oder auf dem Acker

war, bevor er den Samen der Erde anver-

traute: er war in inniger Gemeinschaft mit

seinem Herrn.“69

Oder schauen wir wieder nach Zwesten:

Pfarrer Emil Sperber betete vor 1900 sehr für einen Aufbruch in der Regi-

on um Zwesten. Er konnte durch seine hartnäckige Einladung den bekann-

ten Evangelisten Elias Schrenk gewinnen, in Zwesten zu evangelisieren70.

Die Evangelisation in 1890 war ein voller Erfolg. Jeden Abend über 1000

Leute. Zahlreiche Bekehrungen.

67

WIESEMANN, Gewissen (wie Anm. 16), S. 29. 68

BRÜCKEL u.a., Zwesten (wie Anm. 4), S. 29. 69

BEAUPAIN/MÜLLER, Frankenberg (wie Anm. 6), S. 74. 70

„Sperber betete sehr für einen Aufbruch in der Region und lud in Zwesten und den Nachbarorten für die

Evangelisation mit Schrenk ein.“ (BRÜCKEL u.a., Zwesten [wie Anm. 4], S. 27)

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5.4.3. Evangelisation

30

Das Gebet für die umliegenden Orte lag den Leuten in der Frühzeit sehr

am Herzen. So auch Fritz Hommel aus Zwesten71.

5.4.3. Evangelisation

Es ist beeindruckend zu sehen, wie eifrig in den Orten unseres Kreises

evangelisiert wurde. Freilich oft in der klassischen Form als Saal- oder

Zeltevangelisation. In Frankenberg seit 1946 durchgehend fast jedes Jahr

eine Evangelisation, seit 1995 weniger72. In Allendorf/ Eder ließ man sich

trotz der Hindernisse in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft,

nicht von der öffentlichen Evangelisation abbringen. Noch 1938 heißt es:

„Der Besuch war sehr gut.“73

Und das erste Anliegen dabei, war, dass Menschen zum lebendigen Glau-

ben an Christus kamen – nicht, dass das eigene Gemeindehaus voller

wurde74.

Immer waren es Evangelisationen, in den Gott Glauben weckte. So in

Werkel 1919 im Gasthaussaal75, in Obervorschütz kam es zu einer Erwe-

ckung durch Evangelisation im Gasthaussaal kurz nach dem Ersten Welt-

krieg durch Chinamissionar Manz aus Barmen.

Dabei war man sich bewusst, es geht um „... nichts Neumodisches und

Besonderes, sondern das Einfache schlichte, alte Evangelium“ soll verkün-

digt werden, wies es Weigand Bamberger 1908 bei der Einweihung des

Gemeindehauses in Frankenberg betonte76.

Und es ging auch nicht um eine Methode, Gustav Klein, der von 1882–

1893 in Runzhausen bei Gladenbach lebte und später in Kassel missionier-

te, zeigt in seiner Arbeit ein großes Vertrauen in das Wirken Gottes:

71

Ebd., S. 35. 72

BEAUPAIN/MÜLLER, Frankenberg (wie Anm. 6), S. 43f. 73

Ebd., S. 60. 74

„Der Vorwurf der Sektiererei war falsch. Kraft gehörte zur Kirche und hat sie nie verlassen. Er verkündigte

ohne Hintergedanken das Evangelium von Jesus Christus. Er wollte niemanden von der Kirche abwenden und

auch keine eigenen Gemeinden gründen. Daß die Kirche von Waldeck auf die tiefen Fragen der Gottsucher nicht

antworten konnte, war nicht Schuld der Gläubiggewordenen. Sie stillten den Durst ihrer Seele an der Quelle, die

ihnen lebendiges Wasser zusprudelte und echte, wesenhafte Befriedigung schenkte.“ (WIESEMANN, Gewissen

[wie Anm. 16], S. 41) 75

WIESEMANN, Gewissen (wie Anm. 16), S. 85. 76

BEAUPAIN/MÜLLER, Frankenberg, S. 28.

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5.4.3. Evangelisation

31

„... eine wahre Bekehrung ist doch ein Werk Gottes, gewirkt durch den

Heiligen Geist und Gottes Wort“77.

In Flechtdorf kam die Gemeinde ins Leben, weil Frau Güldner auf einer

Evangelisation in Marburg zum lebendigen Glauben kam, ihr schloss sich

dann Frau Westmeier, die Großmutter von Horst Westmeier an78.

Und damit sind wir bei dem, wo wir uns heute noch die größte Scheibe

von abschneiden können. Christlicher Glaube verbreitet sich damals wie

heute noch am meisten durch das persönliche Zeugnis, durch „friendship

evangelism“. Davon ist die Kreisgeschichte voll79:

In Allendorf lebte Hermann Wendt, nächste Seite zusammen mit seiner

Frau Minna in 1950. Man nannte ihn ehrenvoll den „Ohm“ Wendt. Er war

das lebende Beispiel für Alltagsevangelisation. Auch in seinem Geschäft –

er war Friseur – wies er die Kunden beim Haareschneiden auf Christus hin.

„Weißt du was dir fehlt? (Er sprach dann die meisten Menschen mit „Du“

an, wie das in der plattdeutschen Sprache üblich ist.) Dir fehlt der Herr

Jesus! Ich verstehe alle deine Schwierigkeiten, mit denen du nicht fertig

wirst, Du wirst auch damit nicht fertig. Übergib dich ganz den Herrn Jesus.

Dann erkennst du alle deine Schuld und Sünde, und dann siehst du dein

Leben in einem anderen Lichte. Dann gestaltet sich dein Leben ganz neu,

ja, es wird alles neu.“80

77

„Mancher hat es mir vielleicht übel genommen, dass ich mich da (im Hessenland, AH) blieb uns die Leute

‚Bekehrte‘. .... ich gehöre nicht zu den Evangelisten, die, sobald sie eine Träne in einem Auge sehen, welche

vielleicht nur die Folge einer Gemütsbewegung ist, während das Gewissen noch vollständig schläft, den Leuten

mit drängen und Fragen noch halbe Nächte zu setzen ... eine wahre Bekehrung ist doch ein Werk Gottes, gewirkt

durch den Heiligen Geist und Gottes Wort.“ (Missions- und Heidenbote aus Neukirchen 1, 1928, S. 5). 78

„Ich berichtete schon, daß Heinrich Klein aus Berndorf regelmäßig in Flechtdorf einzelne Bekannte besuchte,

die Gewißheit des Heiles begehrten. Dazu gehörte Frau L u i s e G ü l d n e r . Im Winter 1913-14 nahm sie teil

an einem Nähkursus in Korbach, den Fräulein Köhler hielt. Diese war Glied der Freien evangelischen Gemeinde

in Korbach. Als im Sommer eine Zelt-Evangelisation in Marburg stattfand, gewann sie Frau Güldner mit ande-

ren Bekannten zu einer Fahrt nach der Lahnstadt. Dieser Besuch gab den Anstoß, daß Frau Güldner ihr Leben

unter die Herrschaft Jesu Christi stellte. Ihr schloß sich nach einiger Zeit Frau Westmeier an, die Großmutter von

Prediger Horst Westmeier in Halle/Westfalen. Sie hatte 1910 ihren Mann verloren und mußte vier kleine Kinder

versorgen. Das Ehepaar Westmeier hatte drei Jahre vorher, im Jahr 1907, sein Haus gebaut.“ (WIESEMANN, Ge-

wissen [wie Anm. 16], S. 101) 79

Freindship Evangelism. Eine langjährige Mitarbeiterin in Kassel war Fräulein Gertrude Wiederhold. „Ein

Mädchen, Lieschen Stübbe, die mit Gertrud im selben Haus bedienstet war, fand durch diese ebenfalls den Weg

in die Gemeine, und durch diese wieder deren beide Schwestern Maire, genannt Mimi, und Anne, genannt Änne.

Mimi Stübbe verheiratete sich später mit Walter Elsebach und Änne mit Prediger Rudolf Klingelhöfer.“ (LAN-

DES, Kassel, S. 19) 80

BEAUPAIN/MÜLLER, Frankenberg (wie Anm. 6), S. 54.

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5.5. Impuls: Konzentration auf Ziele

32

Und auch aus anderen Bereichen

unseres Kreises können wir Bei-

spiel für die Alltagsevangelisation

sehen. Einmal machte Fritz

Hommel aus Zwesten einen Be-

such in Betzigerode. Da traf er

die Gattin des Generals von

Gutshof. Sie wollte dort Anwei-

sungen für die Arbeiten am

Schloßgarten geben und begrüßte

auch Fritz Hommel, der damals schon über 80 war. Sie fragte ihn: Wie alt

er denn sei. Er sagte: „Noch recht jung.“ Die Baronin schaute verdutzt

und dachte, der veräppelt sie. Aber schon hatte er die Bibel aus der Ta-

sche geholt und las ihr Psalm 103,5 vor: „Der Deinen Mund fröhlich macht

und du wieder jung wirst wie ein Adler.“ Dann erzählte er von Jesus und

seine Augen leuchteten. Daraufhin lud ihn die Baron zu sich aufs Schloss

ein. Hommel kam und redete mit dem General offen über den Glauben:

„Herr, Wenn Sie einen Sarg voll Gold hätten, den Himmel können Sie sich

damit nicht erwerben“. Als der General später krank ernsthaft krank wur-

de, wurde ihm der einfache Hommel zum Seelsorger. Je Schwächer der

General wurde, desto größer wurde ihm der gekreuzigte Christus, dessen

Kreuz er sich vor Augen hielt81.

Eine Chance für unsere Gemeinden ist es, dass wir als Christen nicht nur

am Sonntag frei-evangelisch sind. Auch am Montag sind wir es. Wir leben

von der freien Gnade unseres Herrn, das gibt uns Mut furchtlos zu evan-

gelisieren.

5.5. Impuls: Konzentration auf Ziele

Was wir von den alten lernen können ist die Konzentration auf Ziel: Der

Kasseler Prediger Klein formuliert in seiner Eröffnungspredigt in Kassel

1910 genau zwei Ziele, nicht mehr und nicht weniger:

81

BRÜCKEL u.a., Zwesten (wie Anm. 4), S. 35.

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5.6. Impuls: Personen

33

„1. Erbauung der Heiligen auf ihren allerheiligsten Glauben“. „2. Dienst

zur Errettung Verlorener, denen der Weg des Heils noch fremd ist.“82

Wir sehen sofort, was hier unter Zielen gar nicht genannt wird: Gemein-

dewachstum, schönes Haus, Wohlfühlgottesdienste. Nein: Worauf wollen

wir uns konzentrieren? Dass der Glaube gestärkt wird, und Menschen

Glauben finden.“83

Habt ihr Euch in Euren Gemeinden klar gemacht, wofür ihr da seid? Eure

Ziele formuliert? Gerade in den kleinen Gemeinden: Habt ihr Euch die

Frage gestellt: Was fehlt Eurem Dorf, wenn es die FeG xy nicht mehr gä-

be?

5.6. Impuls: Personen

Die Freien evangelischen Gemeinden sind eine Laienbewegung. Unsere

Gemeinden leben davon, dass hier richtige Originale versammelt sind. Je-

der kann sich einbringen, mit dem, was Gott ihm an besonderen Gaben

zugespielt hat.

Nach dem Weggang August Krafts von Wildungen zu den Pokomon wagte

in der Anfangszeit „noch keiner der Alt- und Neubekehrten, einen Gottes-

dienst zu halten. Dafür fehlte der Mut und jede Erfahrung. Auch hielten sie

sich nicht für würdig. Später hatte jeder Kreis mehrere Brüder, die vereint

einer christlichen Zusammenkunft Inhalt zu geben vermochten. Aber der

Wunsch nach Weiterführung der sonntäglichen Versammlungen regte sich

unmittelbar nach Krafts Weggang.“84

Am Anfang von Gemeinden stehen häufig tatkräftige Persönlichkeiten.

Man braucht sich nicht zu fürchten, weil Gott zu seiner Zeit immer wieder

Personen ausstattet mit zündenden Ideen und enorme Tatkraft.

Dabei gebraucht Gott Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten.

Ganz im Anfang in Alt-Wildungen war es beispielsweise der Prinz Heinrich

von Waldeck. Er ermöglichte dem Missionar der Neukirchener Mission Au-

82

LANDES, Kassel, S. 8. 83

Ein anderes Beispiel: zur Einführung von Pastor Tobias Stahlschmidt gab Bundessekretär Bernd Kanwischer

zentrale Gedanken zu 2Tim 2,2 als Ziele der Gemeindearbeit weiter: „1. Füreinander da sein. 2. Leben, was man

sagt. 3. Zielorientiert leben. 4. Glauben! Gott ganz vertrauen.“ (ACHENBACH, Kassel, S. 118) 84

WIESEMANN, Gewissen (wie Anm. 16), S. 44.

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5.6. Impuls: Personen

34

gust Kraft, im Schloss Friedrichstein Bibelstunden zu halten. Kraft hatte

als Schreiner in Barmen gearbeitet. Während seiner Lehre hatte er Kon-

takt zum Gemarker Jünglingsverein, bei dem er entscheidende Impulse

für seinen Glauben erhielt. Zudem lernte er den frei-evangelischen Pastor

Friedrich Sprenger kennen, der Einfluss auf ihn hatte. Ab 1891 kam Kraft

auf Einladung des Bergheimer Heinrich Menge, um in der Gegend

um Waldeck Missions- und Bibelstunden abzuhalten.

„Der Prinz machte durch Handzettel und Anzeigen in der Zeitung die Öf-

fentlichkeit auf die ungewohnten Veranstaltungen aufmerksam. … Der Er-

folg blieb nicht aus. Diese missionarischen Gottesdienste neuen Stils hat-

ten großen Zulauf. ... Es war eine stattliche Zahl, die im mittelbaren und

unmittelbaren Zusammenhang mit diesen Schloßversammlungen sich in

die Nachfolge Jesu rufen ließ und ihr Leben änderte.“85

„Der Schweizer Elias Schrenk (1831–1913), im Basler Missionshaus aus-

gebildet, war von 1859–1872 Missionar an der Goldküste, dann in der

Schweiz unter heftigen Widerständen als Evangelist der Evangelischen

Gesellschaft tätig, ließ sich durch Professor Christlieb in Bonn bestimmen,

1884 als freier Evangelist in Deutschland tätig zu werden. Seine ein-

drucksvolle äußere Erscheinung, seine tiefe

Frömmigkeit, die bildhafte, biblisch nüchterne,

fast prophetisch volkstümliche Redeweise

machten ihn zum charismatischen Bahnbrecher

der heutigen Evangelisation. Er sprach in der

Regel in den großen Städten wie Stuttgart,

Frankfurt, Kassel unter großem Zulauf.“86

85

WIESEMANN, Gewissen (wie Anm. 16), S. 26. 86

WIESEMANN, Gewissen (wie Anm. 16), S. 27.

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5.6. Impuls: Personen

35

Oder auch ganz einfache Leute

benutzt Gott für seine Ziele. Fritz

Hommel war ein einfacher Mann,

hatte nie eine Schule von innen

gesehen. 1890 kam er mit um die

40 zum Glauben. Sein kindlicher

Glaube reizte die Dorfleute häufig

zu Spott. Einmal war er auf dem

Acker, als ein Gewitter aufzog. Er

wollte die Kühe noch heimbrin-

gen, aber sein Wagen blieb in ei-

nem Loch hängen. Ein Holzfuhr-

mann aus Zwesten kam vorbei.

Hommel bat ihn mit seinen beiden Pferden mal schnell vorzuspannen und

ihn rauszuziehen. Der entgegnete „Du hast doch einen starken Heiland,

Hommel, den lass helfen“ und fuhr kaltblütig weiter. Da kniete sich Hom-

mel neben seine Kühe und betete. Dann stand er auf und rief seinen Kü-

hen zu: „Los jetzt, der Heiland hilft schieben“ – und fuhr nach Hause87.

Viele weitere Beispiele finden wir in unseren Gemeinden, so aus Kassel

„Von seltener Treue und beispielhafter Uneigennützigkeit war unsere

schon vorerwähnte Schwester Gertrude Wiederhold. Seit manchem Jahre

schon hielt sie den Gemeinderaum in Ordnung und sorgte im Winter für

seine Beheizung. Dazu war sie Harmoniumspielerin, verwaltete die Blätter

und versah den Schriftebverkauf. Dieses alles tat sie nicht nur unentgelt-

lich, sondern indem sie stillschweigend, wodurch Versäumnisse anderer

Fehlbeträge entstanden, diese mit eigenen Mitteln aus ihrem bescheide-

nen Arbeitsverdienst deckte.“88

87

BRÜCKEL u.a., Zwesten (wie Anm. 4), S. 33. 88

LANDES, Kassel (wie Anm. 49), S. 20f.

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5.7. Impuls: Vernetzung – Fusion – Auflösung

36

Wir müssten auch Jakob Engel, den

Amerikaner, aus Ernsthausen nennen,

nebenstehend an seinem 80sten Ge-

burtstag 1956). Er ging Zusammen mit

seinem Zwillingsbruder nach Amerika,

vertrug das Klima nicht und kam ins

Dorf mit der „Aura des Weltmannes“ zu-

rück und setzte fortan seine ganze Zeit

und Kraft für die Gemeindearbeit ein89.

Und auch aus jüngerer Geschichte könn-

te ich Beispiele solcher prägender Cha-

rakter anführen, nicht zuletzt ja die bei-

den viel zu früh verstorbenen Reinhard

Schlauß aus Böhne und Friedebert Otto

aus Allendorf (Kreisjugendarbeit). Sicher

fallen jeden von Ihnen eine Reihe solcher Leute ein, die Gott in besonde-

rer Weise gebraucht hat.

5.7. Impuls: Vernetzung – Fusion – Auflösung

Warum wir uns nicht fürchten müssen liegt auch an der Vernetzung unse-

rer Gemeinden. Wir sind gemeinsam unterwegs.

Vernetzung

Diese Vernetzung im Kreis und im Bund ist ein hohes Gut und wir auch bei

den Herausforderungen der Zukunft wichtig werden.

Viele Beispiel zeigen, wie Gemeinden im Kreis sich gegenseitig unterstüt-

zen: „Am Anfang gab es [sc. in Kassel, AH] … keine Verbindungen zu Ge-

meinden in Bad Wildungen oder im Korbacher Raum, die damals entstan-

den oder schon als FeG existierten. Erst nach einigen Jahren wurden die

Kontakte aufgenommen, weil man Hilfe im Verkündigungsdienst brauch-

89

BEAUPAIN/MÜLLER, Frankenberg (wie Anm. 6), S. 86f.

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5.7. Impuls: Vernetzung – Fusion – Auflösung

37

te.“90 Während der Zeit der Krankheit von Prediger Klein in Kassel halfen

Bruder Kahlhöfer aus Bad Wildungen und Bruder Nietze aus Korbach

aus91. 1923 wurde die auf der Bundeskonferenz in Lüdenscheid in den

Bund Freier evangelischer Gemeinden aufgenommen92. Tauffeiern der

Kasseler Gemeinde wurden anfangs zusammen mit Zwesten an der Otto-

mühle vorgenommen. Gepredigt hat Prediger Hermann Schmidt aus Bad

Wildungen. Am 22. Juli 1934 beispielsweise waren 9 Täuflinge aus Kassel

mit dabei93. Praktische Hilfe und gegenseitige Unterstützung stand im

Kreis nie in Frage.

Auch in Frankenberg hatte man im ersten Gemeindehaus von 1908 noch

keine Gelegenheit zu taufen. So fanden die Taufen zuerst im Hinterland,

dann in Korbach statt. Erst 1957 das Haus mit Taufbecken gebaut94. Ge-

rade aus Frankenberg hören wir aus den Anfangszeiten von einem starken

Bundesbewusstsein.

Am 17.-19.06.1908 wird die Gesamtgemeinde „Frankenberg und Umge-

bung“ in den BFeG aufgenommen. Die Gebietsbrüdersitzung Anfang der

1920er Jahre hält eine Stärkung des Gemeindeberufs eins und des

Zusammengehörigkeitsgefühl mit dem Bund für nötig. Darum wird die

Lektüre des Gärtners empfohlen, verschiedene Schriften, etwa von Eduard

Wächter „Volkskirche oder Gemeinde von Gläubigen“, oder Ischebecks

„Aus der Geschichte der Freien evangelischen Gemeinden“ bestellt und

verteilt95.

Bei dem Kauf eines Grundstücks in Bad Wildungen96 half der Borkener

„Verein für Evangelisation und christliche Gemeinschaftspflege“. Er bot die

rechtliche Grundlage für den Kauf eines Grundstücks. Einige Monate spä-

90

ACHENBACH, Kassel (wie Anm. 51), S. 9. 91

LANDES, Kassel (wie Anm. 49), S. 12. 92

ACHENBACH, Kassel (wie Anm. 51), S. 15. 93

LANDES, Kassel (wie Anm. 49), S. 16; ACHENBACH, Kassel (wie Anm. 51), S. 18. 94

BEAUPAIN/MÜLLER, Frankenberg (wie Anm. 6), S. 20. 95

Ebd., S. 30. 96

„Der Borkener „Verein für Evangelisation und christliche Gemeinschaftspflege" bot die rechtliche Grundlage

für den Kauf eines Grundstücks. Nach dem Protokollbuch des Vereins ermächtigte eine Mitgliederversammlung

am 7. November 1909 den Vorstand, das in Wildungen von Conrad Paul erworbene Grundstück auf den Namen

des Vereins eintragen zu lassen, „damit eine Hypothek aufgenommen werden kann". Einige Monate später wur-

de eine große Anzahl neuer Vereinsmitglieder aus Bergheim, Böhne, Braunau, Wildungen und Zwesten einge-

reiht, die Zahl der Vorstandsmitglieder von drei auf fünf erhöht und deren Amtsdauer von drei auf sechs Jahre

heraufgesetzt.“ (WIESEMANN, Gewissen [wie Anm. 16], S. 76)

Page 38: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde Vortrag auf der ...¼rchte... · Ich danke herzlich für die Einladung zur diesjährigen Kreis-Konferenz des ... In der Formulierung des Themas

5.7. Impuls: Vernetzung – Fusion – Auflösung

38

ter wurde eine große Anzahl neuer Vereinsmitglieder aus Bergheim,

Böhne97, Braunau, Wildungen und Zwesten eingereiht, die Zahl der Vor-

standsmitglieder von drei auf fünf erhöht und deren Amtsdauer von drei

auf sechs Jahre heraufgesetzt. Jedoch Erst 1933 schlossen sich die Ge-

meinden im Raum Wildungen den Freien evangelischen Gemeinden und

damit der Kreisvereinigung Hessen-Waldeck an98.

Fusion

Viele unserer Gemeinden werden im Schnitt älter, vor allem auf den Dör-

fern. Die jungen Leute aus den Dörfern machen ihre Ausbildung in den

Städten, viele bleiben dort. Neue Gebietszusammenschlüsse werden nötig.

An manchen Stellen im Kreis werden wir zusammenrücken müssen.

Die Burgwald-Gemeinden erwogen in 2002, ob ein organisatorisches Zu-

sammengehen ihrer Arbeit zuträglich ist. Eine Anfrage, ob Frankenberg

mit einzubeziehen, wird am 25.5.2002 von Frankenberg bejaht. Es zeigt

sich aber, dass die Entscheidungsprozesse im Burgwald noch mehr Zeit

brauchten99. Es waren vor allem die kleinen Gemeinden auf den Dörfern,

für die sich diese Frage stellt:

Beispielsweise für Wiesenfeld: wird die Gemeindearbeit auf dem Dorf für

die weitere Zukunft Bestand haben? Auf Wunsch der Gemeinde Wiesenfeld

wurden diese Fragen mit dem Gemeindeleitungen von Frankenberg,

Birkenbringhausen, Wiesenfeld und Ernsthausen erörtert. Aufgrund der

hohen Baukosten eines Gemeindezentrums in Frankenberg, wurden die

Pläne verworfen. Darum hat Wiesenfeld das eigene Gemeindehaus 2004

sehr hübsch erweitert100. Inzwischen haben die Burgwaldgemeinden sich

mit Wiesenfeld fusioniert.

97

Zu Böhne siehe Bernd WIESEMANN/Jörg WIESEMANN, 100 Jahre Böhner Pfingstkonferenz, Edertal-Böhne

1996. 98

BEAUPAIN/MÜLLER, Frankenberg (wie Anm. 6), S. 32: „In der Niederschrift über die Mitgliederversammlung

am 10. Februar 1918 findet sich der aufschlußreiche Satz: „Angeregt wurde dann noch der Anschluß an den

Bund der freien evangelischen Gemeinden in Deutschland und eine Vorbesprechung mit Prediger Eduard Wäch-

ter (Frankfurt) und dem Vorstand empfohlen." Damals also schon beschäftigte einige klarsichtigen Brüder der

Gedanke, man müsse einem gleichartigen Gemeindeverband angehören, um standfester wirken zu können. Es tat

sich aber nichts.“. 99

BEAUPAIN/MÜLLER, Frankenberg (wie Anm. 6), S. 40.

100 BEAUPAIN/MÜLLER, Frankenberg (wie Anm. 6), S. 80 mit Abbildung.

Page 39: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde Vortrag auf der ...¼rchte... · Ich danke herzlich für die Einladung zur diesjährigen Kreis-Konferenz des ... In der Formulierung des Themas

Schluss

39

Auflösung

Ortsgemeinden kommen auch an ein Ende. Das haben wir in der Kreisge-

schichte immer wieder erlebt. „In den zwanziger Jahren entstand eine

blühende Arbeit in Dorla bei Gudensberg. Dreißig bis vierzig Männer und

Frauen besuchten regelmäßig die Bibelstunden. In einigen Evangelisatio-

nen zeigte sich große Aufgeschlossenheit für die Botschaft vom Heil. Im 2.

Weltkrieg fielen einige junge Männer, die eine Stütze der Arbeit hätten

sein können. Der Kreis verstand sich als Landeskirchliche Gemeinschaft,

wurde aber von den Predigern in Gudensberg und Werkel betreut. Da im

Dorf schließlich kein eigentlicher Träger mehr da war, ging die Arbeit wie-

der ein.“101 Weitere wäre hier über Volkmarshausen oder auch Netze zu

reden.

Neues entsteht

Aber es entstehen auch im Kreis neue Gemeinden. Im November 1990

trafen sich Christen aus Warburg und Umgebung zu einem ersten gemein-

samen Gottesdienst. An diesem Tag wurde der Grundstein für die Grün-

dung der Freien evangelischen Gemeinde in Warburg gelegt. Der Impuls

zu diesem Schritt geht zurück auf Oskar Achenbach, dem damaligen Pas-

tor der Freien evangelischen Gemeinde Kassel, der im Umfeld von War-

burg eine weitere Gemeinde gründen wollte. In Eschwege blüht, von Kas-

sel-Ost gesät ein zartes Pflänzchen.

Schluss

Wir stehen heute vor anderen Herausforderungen als die Mütter und Väter

unserer Gemeinden. Das Verhältnis von Arbeit und Freizeit gestaltet sich

neu. Wer Arbeit hat, hat selten eine 40 Stundenwoche. Vielleicht müssen

wir in Zukunft neu lernen, dass ein Mensch, der nicht jede Gemeindever-

anstaltung besucht, nicht automatisch ein schlechter Christ sein muss.

101

WIESEMANN, Gewissen (wie Anm. 16), S. 87.

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Schluss

40

Mit dieser Veränderung wird aber auch die Frage nach der verbindlichen

Mitarbeit immer lauter. Wir erfahren immer mehr, dass es schwer ist,

Menschen für kontinuierliche Mitarbeit zu gewinnen. Manche Gemeinden

setzen schon mehr auf Projektarbeit. Für einzelne Events alle paar Monate

lassen sich leichter Kräfte motivieren, als für wöchentliche Veranstaltun-

gen. Solche Projektarbeit verändert die Gemeindearbeit radikal. Bei sol-

chen Veränderungen wird es darauf ankommen, dass wir den Wesenskern

und die jeweils besondere Form unserer Gemeindearbeit unterscheiden.

Mancher Bruch mit lieben Traditionen in der Form, ist kein Bruch mit dem

Wesen unseres Glaubens. Wir haben und hatten sie, gläubige treue Beter,

Väter und Mütter im Glauben. Trotzdem sind wir der Tradition nicht ver-

pflichtet, verpflichtet sind wir unsern Herrn Jesus Christus er ist das Haupt

seiner Gemeinde. Es wird dabei die Aufgabe des Kreises bleiben, bei allen

organisatorischen Aufgaben, die zu regeln sind, die Hauptaufgaben nicht

aus dem Blick zu verlieren: nämlich Gottes Wort als Maßstab und Kom-

pass für das eigene Leben und für unsere Gemeinden zur Geltung zu brin-

gen und unseren Mitmenschen die frohe Botschaft von Jesus Christus mit

Worten und mit unserm Leben zu bringen. – Denn das haben auch unsere

Väter und Mütter getan.