Funktionelle Frührehabilitation der Füße gemäß Spiraldynamikkonzept (Spiraldynamik®)

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S242 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001 Unterschiedliche Rehabilitationstandards für Hand und Fuß Größer könnten die Unterschiede nicht sein! Die Rehabilitation von Hand und Fuß sind 2 verschiedene Kapitel der mo- dernen Chirurgie. Die Vorzugsbehand- lung der Hände bleibt den meisten Fü- ßen vorenthalten. Minimalinvasive und funktionelle Operationstechniken – etab- lierte Standards der Handchirurgie – fassen in der Fußchirurgie erst langsam Fuß. 3D-Rekonstruktion, Gelenkerhal- tung, minimalinvasive Techniken, dyna- mische Schienung und frühestmögliche funktionelle Nachbehandlung seien als Stichworte erwähnt. Postoperatives Ein- gipsen während Wochen bei grundsätz- lich übungsstabilen Verhältnissen ist selbst heute keine Seltenheit.Aktuell fin- det ein Umdenken statt: Die Standards der Handchirurgie werden sinngemäß auf den Fuß übertragen. Der Fuß nimmt anatomisch zwar eine periphere Stel- lung, dynamisch aber eine zentrale Funktion in der Lokomotion ein. Funktionelles Denken in der Fußchirurgie am Beispiel Achillessehne Inzwischen wird in der Fußchirurgie ein neues Denken proklamiert [6]. Eindrück- lich lässt sich dieses Umdenken Rich- tung Funktionalität am Beispiel der Achillessehnenruptur belegen. Bis vor wenigen Jahren wurde und wird auch heute – wie die klinische Erfahrung zeigt – weltweit als Standardtherapie post- operativ für Wochen eingegipst. Die kinematischen und neuromuskulären Langzeitveränderungen nach länger dauernder Immobilisation sind belegt. Ein Jahr nach der Immobilisation in Equinovalgusstellung sind Störungen der funktionellen Bewegungsabläufe beim Gehen immer noch klar nachweis- bar – dokumentiert mittels Gelenkmo- bilität, Druckverteilung und Elektromyo- graphie [4]. Mitte der 90er Jahre kam – parallel zur minimalinvasiven Operationstech- nik – frischer Wind in die postoperative Nachbehandlung: Zunächst zaghaft mit passiver „Frühmobilisation“ ab dem 10. Tag und aktiver Mobilisation ab der 3. postoperativen Woche [5]. Inzwischen wird die funktionelle Frühbehandlung immer früher und immer aggressiver durchgeführt, und dies mit Erfolg. Teil- belastung von 10–15 kg und passive Be- wegungsübungen werden bereits ab dem 2. postoperativen Tag vorgenommen (P. Rippstein, pers. Mitteilung). Frühbehandlung Die Nachteile der lokalen Immobilisa- tion sind hinlänglich bekannt: thromb- Trauma Berufskrankh 2001 · 3 [Suppl 2]: S242–S247 © Springer-Verlag 2001 Frakturen des Fußes Christian Larsen Institut für Spiraldynamik, Privatklinik Bethanien, Zürich Funktionelle Frührehabilitation der Füße gemäß Spiraldynamikkonzept (Spiraldynamik®) Spiraldynamik® ist eine registrierte und international geschützte Marke. Dr. Christian Larsen Institut für Spiraldynamik, Privatklinik Bethanien,Toblerstraße 51, CH-8044 Zürich, Schweiz (E-Mail: [email protected], Tel.: 0041-878-886888, Fax: 0041-878-886889) Zusammenfassung Wochenlanges Eingipsen trotz postoperativ „übungsstabiler Verhältnisse“ entspricht heute nicht mehr einer zeitgerechten Nach- behandlung.Parallel zur minimalinvasiven und funktionellen 3D-Chirurgie des Fußes haben sich die Konzepte der postoperativen Nachbehandlung gewandelt, neue Heraus- forderungen sind entstanden. „Früh“ und „funktionell“ lauten die aktuellen Stichwor- te. Die physiologischen Vorteile liegen auf der Hand: Abschwellung, Aktivierung der Muskelpumpe,Verbesserung von Trophik und Funktion, mehr Komfort für den Patien- ten ...Voraussetzung für die funktionelle Frühmobilisation nach Eingriffen am Fuß sind übungsstabile Verhältnisse,d. h. mögli- che Teilbelastung von 10–15 kg ab dem 2.Tag postoperativ. Spiraldynamik ist ein neues und innovatives Bewegungs- und Therapiekonzept im deutschsprachigen Raum mit Schwerpunkt „Fuß“. Definition, Kurzportrait und einige Kennzahlen ermög- lichen dem Fußchirurgen die Erstorientie- rung und die richtige Einordnung. Schlüsselwörter Fußrehabilitation · Spiraldynamik · 3D-Anatomie · Physiotherapie · Fußschule

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S242 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001

UnterschiedlicheRehabilitationstandards für Hand und Fuß

Größer könnten die Unterschiede nichtsein! Die Rehabilitation von Hand undFuß sind 2 verschiedene Kapitel der mo-dernen Chirurgie. Die Vorzugsbehand-lung der Hände bleibt den meisten Fü-ßen vorenthalten. Minimalinvasive undfunktionelle Operationstechniken – etab-lierte Standards der Handchirurgie –fassen in der Fußchirurgie erst langsamFuß. 3D-Rekonstruktion, Gelenkerhal-tung, minimalinvasive Techniken, dyna-mische Schienung und frühestmöglichefunktionelle Nachbehandlung seien alsStichworte erwähnt. Postoperatives Ein-gipsen während Wochen bei grundsätz-lich übungsstabilen Verhältnissen istselbst heute keine Seltenheit.Aktuell fin-det ein Umdenken statt: Die Standardsder Handchirurgie werden sinngemäßauf den Fuß übertragen. Der Fuß nimmtanatomisch zwar eine periphere Stel-lung, dynamisch aber eine zentraleFunktion in der Lokomotion ein.

Funktionelles Denken in der Fußchirurgie am Beispiel Achillessehne

Inzwischen wird in der Fußchirurgie einneues Denken proklamiert [6]. Eindrück-lich lässt sich dieses Umdenken Rich-tung Funktionalität am Beispiel derAchillessehnenruptur belegen. Bis vorwenigen Jahren wurde und wird auchheute – wie die klinische Erfahrung zeigt– weltweit als Standardtherapie post-

operativ für Wochen eingegipst. Die kinematischen und neuromuskulärenLangzeitveränderungen nach längerdauernder Immobilisation sind belegt.Ein Jahr nach der Immobilisation inEquinovalgusstellung sind Störungender funktionellen Bewegungsabläufebeim Gehen immer noch klar nachweis-bar – dokumentiert mittels Gelenkmo-bilität, Druckverteilung und Elektromyo-graphie [4].

Mitte der 90er Jahre kam – parallelzur minimalinvasiven Operationstech-nik – frischer Wind in die postoperativeNachbehandlung: Zunächst zaghaft mitpassiver „Frühmobilisation“ ab dem 10.Tag und aktiver Mobilisation ab der 3. postoperativen Woche [5]. Inzwischenwird die funktionelle Frühbehandlungimmer früher und immer aggressiverdurchgeführt, und dies mit Erfolg. Teil-belastung von 10–15 kg und passive Be-wegungsübungen werden bereits ab dem2. postoperativen Tag vorgenommen (P. Rippstein, pers. Mitteilung).

Frühbehandlung

Die Nachteile der lokalen Immobilisa-tion sind hinlänglich bekannt: thromb-

Trauma Berufskrankh2001 · 3 [Suppl 2]: S242–S247 © Springer-Verlag 2001 Frakturen des Fußes

Christian LarsenInstitut für Spiraldynamik, Privatklinik Bethanien, Zürich

Funktionelle Frührehabilitation der Füßegemäß Spiraldynamikkonzept(Spiraldynamik®)

Spiraldynamik® ist eine registrierte und international geschützte Marke.

Dr. Christian LarsenInstitut für Spiraldynamik,Privatklinik Bethanien,Toblerstraße 51,CH-8044 Zürich, Schweiz(E-Mail: [email protected],Tel.: 0041-878-886888, Fax: 0041-878-886889)

Zusammenfassung

Wochenlanges Eingipsen trotz postoperativ„übungsstabiler Verhältnisse“ entsprichtheute nicht mehr einer zeitgerechten Nach-behandlung. Parallel zur minimalinvasivenund funktionellen 3D-Chirurgie des Fußeshaben sich die Konzepte der postoperativenNachbehandlung gewandelt, neue Heraus-forderungen sind entstanden. „Früh“ und„funktionell“ lauten die aktuellen Stichwor-te. Die physiologischen Vorteile liegen aufder Hand: Abschwellung, Aktivierung derMuskelpumpe,Verbesserung von Trophikund Funktion, mehr Komfort für den Patien-ten ...Voraussetzung für die funktionelleFrühmobilisation nach Eingriffen am Fußsind übungsstabile Verhältnisse, d. h. mögli-che Teilbelastung von 10–15 kg ab dem 2.Tag postoperativ. Spiraldynamik ist einneues und innovatives Bewegungs- undTherapiekonzept im deutschsprachigenRaum mit Schwerpunkt „Fuß“. Definition,Kurzportrait und einige Kennzahlen ermög-lichen dem Fußchirurgen die Erstorientie-rung und die richtige Einordnung.

Schlüsselwörter

Fußrehabilitation · Spiraldynamik · 3D-Anatomie · Physiotherapie · Fußschule

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Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001 S243

embolisches Risiko, Einbußen der Ge-lenkbeweglichkeit, Demineralisierungder Knochen, Adhäsionen, Kapsel-schrumpfungen, Sehnenverkürzungen,Muskelatrophien, Langzeitstörungender neuromuskulären Koordination usw.,kurzum: Die Füße verlernen das Laufen.Die funktionelle Frühmobilisation derFüße ist nahe liegend: Bewegung inKombination mit Hochlagerung wirktabschwellend, die Aktivierung der Mus-kelpumpe reduziert das Thromboserisi-ko, Trophik und Funktion werden all-seits verbessert, die Rehabilitationszeitverkürzt sich, der Komfort für den Pa-tienten erhöht sich usw. Somit ergibtsich die logische Konsequenz: Wieder-herstellungseingriffe am Fuß, die auffunktionellen Überlegungen basieren,erfordern eine möglichst frühzeitige Re-habilitation.

Funktionelle Frühbehandlung

Die Nachbehandlung muss funktionellsein: Dosierungsfehler, vorbestehendeFehlstatik, kompensatorische Fehlmus-ter und sekundäre Überlastungen müs-sen von Anfang an vermieden bzw. kor-rigiert werden. Typische klinische Bei-spiele sind: das sekundäre Streckdefizitim Kniegelenk, das Auftreten von Schul-terbeschwerden bei unsachgemäßerHandhabung der Gehstöcke, Überlas-tungssymptome des anderen, gesundenFußes usw. Eine anatomisch-funktionellorientierte Nachbehandlung unterschei-det sich vom unspezifischen Geh- undAktivierungstraining durch ihren kon-sequenten Bezug zur funktionellen Ana-tomie. Der physiologische Bewegungs-ablauf des Fußes wird somit konsequentin seinem funktionellen Globalzusam-menhang geübt.

Ziele, Mittel und Voraussetzungen der funktionellen Frühbehandlung

Voraussetzungen für eine funktionelleFrühbehandlung sind postoperativ„übungsstabile Verhältnisse“. Die Früh-behandlung impliziert übungsstabileVerhältnisse ab dem 2. postoperativenTag, d. h.:

– Teilbelastbarkeit von 10–15 kg und– passives und aktives Bewegen im defi-

nierten Winkelbereich.

Das primäre Ziel der funktionellenNachbehandlung betrifft den Fuß, undzwar im Einzelnen:

∑ Skelett: funktionelle Stabilität∑ Gelenke: funktionelle Mobilität∑ Muskeln: Kraft, Ausdauer, Koordination∑ Gewebe:Trophik

Sekundäres Ziel ist die Optimierung desfunktionellen Umfelds des verletztenFußes. Fehlmuster und unökonomischeKompensationsmuster sind im Keim zuersticken, bevor sie zu „falschen Ge-wohnheiten“ mutieren:

∑ Korrektur statischer Fehlbelastung∑ Ökonomisierung und Synchronisierung

der Dynamik∑ kognitive Schulung der Eigenwahrneh-

mung∑ Förderung der Eigenverantwortung

Zur Verfügung stehende Mittel der funk-tionellen Frührehabilitation sind:

∑ Physiotherapie: Lagerung, passives undaktives Bewegen, kontrollierte Teilbe-lastung

∑ (abnehmbare) Orthesen, (dynamische)Schienen

∑ das Einmaleins der Trainingslehre∑ psychologische Patientenführung∑ Erfolgskontrolle

Behandlungsschema bei postoperativ übungsstabilenVerhältnissen

Das Behandlungsschema lässt sich fol-gendermaßen darstellen:

1. stationäre Phase– abnehmbare Unterschenkelorthese– Hochlagerung– manuelles Durchbewegen 1-mal/

Tag– Teilbelastung 10–15 kg

2. ambulante Phase– 3- bis 4-mal Physiotherapie pro

Woche– Heimprogramm– evtl. „Home Trainer“

3. progressive Vollbelastung ab der 6.Woche

4. sportspezifischer Aufbau ab der 10.Woche

C. Larsen

Postoperative functional foot rehabilitation according to the Spiraldynamik concept

Abstract

It is no longer thought appropriate for pa-tients to wear a plaster cast for weeks eventhough their injured extremities have beenstabilized sufficiently to allow exercise. Inparallel with the developments in minimallyinvasive and functional 3D surgery of thefoot, ideas about postoperative aftertreat-ment have also evolved and new challengeshave arisen. “Early” and “functional” are thecurrent buzz words.The advantages from thephysiological viewpoint are obvious. Subsi-dence of swelling, activation of the muscularpump, improved nutritional status and func-tion, and greater convenience for the pa-tient. After operations on the foot, stabilityadequate to allow exercise, i.e. partialweight-bearing up to 10–15 kg from thesecond postoperative day, is essential if earlymobilization is to be attempted. Spiraldy-namik, a new and innovative programme formovement and therapy with the emphasison the foot, is currently finding acceptance inthe German-speaking world. Its definition, abrief description and a few characteristic val-ues provide a preliminary orientation forfoot surgeons and help them decide whatplace there is for this new concept of treat-ment.

Keywords

Functional rehabilitation · 3D anatomy · Spiraldynamik · Foot rehabilitation

Trauma Berufskrankh2001 · 3 [Suppl 2]: S242–S247 © Springer-Verlag 2001

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Spiraldynamik

Definition und Geschichte

Spiraldynamik ist ein neues und inno-vatives Therapie- und Bewegungskon-zept, das im deutschsprachigen Europazunehmende Akzeptanz und Verbrei-tung findet.Fußchirurgen werden in denkommenden Jahren vermehrt mit die-sem therapeutischen Ansatz konfron-tiert werden.Das Konzept wurde über 10Jahre von einer privaten und interdiszi-plinären Forschergruppe mit Vertreternaus den Gebieten Humanmedizin,Physiotherapie, Tanz- und Sportwissen-schaften entwickelt.

Spiraldynamik ist eine Wortneu-schöpfung, zusammengesetzt aus denWorten Spirale – im Sinn von Schrau-benspirale – und Dynamik – als Wissen-schaft der Bewegung. Die Helix gilt alsGrundbaustein der Natur schlechthin,wie zahllose Beispiele aus Mikro- undMakrokosmos belegen. Auch dermenschliche Bewegungsapparat nutztdie Schraubenspirale als Struktur- undBewegungselement: Anordnung derKreuzbänder, Band-Schrauben-Mecha-nismus der Hüftgelenkkapsel, spiraligerVerlauf des M. sartorius, 3D-Architekturdes Fußgewölbes sind Beispiele.

Wirksamkeit der Spiraldynamik

Als prinzipiengestütztes, gedanklichesLeitprogramm durch die funktionelle3D-Anatomie des menschlichen Bewe-gungssystems basiert das Konzept derSpiraldynamik auf naturwissenschaft-lich definierbaren Bewegungsprinzipienund begründbarer anatomischer Funk-tionalität. Ein Konzept stützt sich er-kenntnistheoretisch auf „Hinweise“,nicht auf „Beweise“. Diese Unterschei-dung ist wichtig: Prinzipielle Gültigkeit

eines Konzepts und methodische Wirk-samkeit sind 2 grundverschiedene Din-ge. Der klassische Wirksamkeitsnach-weis bleibt der methodischen Umset-zung im spezifischen Anwendungskon-text vorbehalten.Als Konzept ist die Spi-raldynamik definitionsgemäß metho-denneutral. Sie ist durch einen konse-quenten Bezug zur funktionellen Anato-mie, Praxisnähe und Vielseitigkeit derAnwendungsmöglichkeiten gekennzeich-net. Die 3 Hauptanwendungsgebietesind:

∑ medizinisch-therapeutische Berufe(Medizin, Physiotherapie, Ergotherapieusw.)

∑ pädagogische Berufe (Schullehrer, Kin-dergärten, psychomotorische Entwick-lungsförderung)

∑ Training (Sport,Tanz, Ballett, Gymnastik,Yoga usw.)

Definition: 3D-Geometrie der Spirale

Das Strukturelement der Helix zieht sichals roter Faden durch die 3D-Anatomiedes menschlichen Bewegungssystems.Die Geometrie eines helikal verschraub-

S244 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001

Frakturen des Fußes

Abb. 1 a–e � Geometrie der helikalen Ver-schraubung: die 3D-Torsion eines Körpervolu-mens (a Nullstellung) entsteht durch 3D-Rota-tion der beiden Enden. Die Kriterien sind:gegensinnige Rotation (b), C-Bogen (c) und S-Bogen (d). Der 3D-Torsion (e) liegt das Prinzipder Achsensymmetrie zugrunde – der rote Fa-den in der evolutionsgeschichtlichen Konstruk-tion des menschlichen Bewegungsapparats,mit freundlicher Genehmigung der Spiraldyna-mik International AG

Abb. 2 a, b � Hüftgelenk als klassisches Spiralgelenk: Das Femur ist ein insich spiralig verdrehter Knochen. Die Hüftgelenkbänder gelten als klassi-sche Bandschraube (a). Das Trajektorensystem im Knocheninneren ver-läuft ebenfalls in spiraligen Bahnen (b). Das Hüftgelenk ist somit ein klas-sisches „Spiralgelenk“. Bei den Mm. glutaei, dem M. psoas und bei derGruppe der Außenrotatoren dominiert neben den Beuge- und Streckfunk-tionen die Außenrotation – Ausdruck der rotatorischen Gerichtetheit derHüftgelenke nach außen. Jede Helix ist links oder rechts gedreht. b Bild-zitat aus Benninghoff [1], Abb. 3.3–10, S 198

a b

a

b

c

d

e

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ten Körpervolumens lässt sich – gemäßdem Prinzip der Achsensymmetrie – inden 3 Ebenen folgendermaßen definie-ren (Abb. 1, 2):

1. Opposition der Rotation um die Längs-achse (Opposition der Rotation)

2. spiegelsymmetrische Ausrichtung umdie transversalen Achsen (C-Bogen)

3. gleichsinnige Rotation um die 3. Achse(S-Bogen)

3D-Torsion der Wirbelsäule

Die funktionelle 3D-Torsion der Wirbel-säule beim Laufen (Abb. 3) – dem ar-chaischen Fortbewegungsmuster desaufrecht gehenden Menschen – lässt sichfolgendermaßen beschreiben:

1. Das Becken dreht zur Standbeinseite,der Oberkörper dagegen (Oppositionder Rotation).

2. Unter axialer Belastung (Standphase)reagiert die Wirbelsäule mit einer Ten-denz zur axialen Aufrichtung von Kopfund Becken (Minuslordose von HWSund LWS entsprechen der Spiegelsym-metrie des C-Bogens).

3. Auf der Standbeinseite liegt ein funk-tioneller Beckentiefstand mit S-Formder beweglichen Wirbelsäule in derFrontalebene vor.

Eine Umkehr der funktionellen 3D-Tor-sion in mindestens einer Dimension istpathologisch: z. B.die kompensatorischeLWS-Hyperlordose beim Hüftstreckde-fizit (Abb. 4.), das Trendelenburg-Hin-ken bei glutealer Schwäche oder die feh-lende Gegenrotation beim Passgang.

3D-Verschraubung des Fußskeletts als Funktionsgrundlage

Struktur und Bewegungsprinzip geltensinngemäß auch für die Architektur desFußes (Abb. 5).Die 3 geometrischen Kri-terien beim unbelasteten Fuß sind dann:

1. Supination des Rückfußes bei gleichzei-tiger Pronation des Vorfußes (Opposi-tion der Rotation),

2. Vertikalisierung des Kalkaneus undfunktionelle Flexion in den Metatarso-phalangealgelenken (C-Bogen),

3. „Abduktionstendenz“ von Rück- undMittelfuß (S-Bogen). Diese S-Form wirddurch die Belastungsstabilität des Fuß-skeletts versinnbildlicht: Fersenbein la-teral und Os metatarsale I.

Statische Fußdeformität bei Umkehr der Drehrichtungen

Wiederum verdeutlichen die Patholo-gien – die Umkehr mindestens einerDrehrichtung – das Strukturprinzip der3D-Torsion:

1. Opposition der Rotation– Rückfuß: Pes valgus (fehlende Su-

pination)– Vorfuß: ungenügender Bodenkon-

takt der Großzehe, Abrollen überden lateralen Vorfuß (einge-schränkte Pronationsfähigkeit)

Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001 S245

Abb. 3 � Dreidimensionale Torsion desStamms: Die Gesamtheit der Rumpfmuskulaturbildet eine funktionelle Einheit. Sie ermöglichtdie alternierende Links-rechts-Verschraubungdes Stamms bei der Fortbewegung. Das externeSchrägsystem der Standbeinseite links arbeitetmit dem internen Schrägsystem der Spielbein-seite rechts zusammen – und umgekehrt, mitfreundlicher Genehmigung der SpiraldynamikInternational AG

Abb. 4 � Wirbelsäule: Statik ist 3D-Dynamik im Gleichgewicht. Dabeiheben sich alternierende Rotatio-nen und alternierende Lateralfle-

xionen gegenseitig auf. Die 3D-Dynamik der alternierenden Ver-

schraubung reduziert sich physiolo-gisch auf eine aufrichtende, axiale

Verlängerung (Autoelongation) derWirbelsäule – Grundlage einer ko-

ordinierten Wirbelsäulenstatik,mit freundlicher Genehmigung der

Spiraldynamik International AG

Abb. 5 � Fußskelett: Vorfuß (Pro-nation) und Rückfuß (Supination)sind gegeneinander verschraubt.

Vertikalisierung des Kalkaneus undFlexion der Metatarsophalangeal-

gelenke ergeben einen C-Bogen. DieHauptbelastungsachse von der Ferse

lateral zum Metatarsalia I medialentspricht einem S-Bogen. Dies ent-

spricht exakt der Geometrie einerspiraligen Verschraubung (Helix) –

hinten solide und vorn in 5 Strahlenaufgefächert, mit freundlicher Ge-

nehmigung der SpiraldynamikInternational AG

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2. C-Bogen– Rückfuß: Senk- und Plattfuß (feh-

lendes C-förmiges Fußlängsge-wölbe)

– Vorfuß: Extensionsfehlstellung mit Subluxation der Metatarso-phalangealgelenke (fehlendes vorderes Ende des C-Bogens)

3. S-Bogen– Rückfuß: Innenrotationsfehlstel-

lung im OSG (Adduktionsfehlstel-lung des Talus)

– Vorfuß:Varisierung des erstenMetatarsalknochens mit konseku-tiver Entwicklung einer Spreizfuß-deformität und eines Hallux valgus

Der neurogene Hohlfuß entspricht einer„Hypertorsion“ der 3D-Verschraubungim Fuß mit Pes varus, cavus und Hyper-pronation im Vorfuß.

3D-Gewölbearchitektur des Fußes

Unter dem Gesichtspunkt der 3D-Tor-sion präsentiert sich die Gewölbearchi-tektur des Fußes (Abb. 6) in einem neu-en Licht. Die Unterteilung in diverse,vordere,mittlere und hintere Längs- undQuergewölbe entpuppt sich als ziemlichwillkürlich. Es gibt eigentlich nur einFußgewölbe, welches spiraliger Natur istund von der Fersenbeinaußenkante zumMetatarsophalangealgelenk I reicht. Dasviel diskutierte Vorfußquergewölbe ist –gemäß Spiraldynamikgeometrie – durch-aus vorhanden, aber nur im entlastetenZustand des Fußes. Unter Belastung gibtdas Vorfußquergewölbe exzentrisch-

dämpfend nach und wird beim Abrollenflach gedrückt, um eine flächige Vertei-lung der Druckbelastung zu ermög-lichen.

Lebenslange Belastbarkeit des Fußgewölbes dank Keilprinzip

Vor- und Rückfuß werden unter Belas-tung aktiv gegeneinander verschraubt.Dadurch werden die Spitzen der Keil-beine eng zusammengepresst. So undnur so können die Keilbeine nach demKeilprinzip funktionieren: Unter Belas-tung verkeilen sich die Keile ineinander,das Gewölbe gewinnt so an Stabilität(Abb. 7). Eine Umkehr der Drehrichtun-gen führt zur Aufhebung des Keilprin-zips, was einer biomechanischen Zeit-bombe gleichkommt.Ein leichter Knick-fuß in Kombination mit einer ungenü-genden Pronation des Vorfußes – undschon klaffen die Keilbeinspitzen ten-denziell auseinander. Die Verankerungdes 1. Strahls wird so unter Belastung in-stabil, ligamentäre und muskuläre In-suffizienz oder Überkompensation sindprogrammiert.

Fußmuskeln als Motoren der 3D-Torsion

Peronäale und tibiale Unterschenkel-muskeln garantieren – neben ihrer Ge-

wölbe stützenden Steigbügelfunktion –die gegensinnige Verschraubung zwi-schen Vor- und Rückfuß. Mm. tibialisposterior und anterior sorgen für dieAufrechterhaltung der Supination desKalkaneus in allen Stellungen des obe-ren Sprunggelenks, der M. peronaeuslongus garantiert die Pronation des Vor-fußes und so den funktionell suffizien-ten Bodenkontakt des Metatarsophalan-gealgelenks I. Hierbei wird er vom kräf-tigen M. adductor hallucis brevis caputtransversum unterstützt. Die Gesamt-heit der quer- und längs verlaufenden,kurzen Ballenmuskeln unterstützt dieexzentrische Stoßdämpfung im Vorfuß.Der funktionelle Gebrauch der Ver-schraubung von Vor- und Rückfuß istVoraussetzung für eine lebenslange Be-lastbarkeit des Fußgewölbes.

Fehlübungen

Selbst Fußchirurgen sind nicht vor Fehl-übungen gefeit. Vom beschriebenenfunktionellen Verständnis lassen sichsinnvolle Maßnahmen für die Therapieverschiedener Fußprobleme ableiten.Die 2 weitaus am häufigsten verordne-ten fußgymnastischen Übungen – auchvon fußchirurgischer Seite – sind

∑ „Bleistiftgreifen mit den Zehen“ und∑ „kräftigendes Auf- und Abwippen auf

den Ballen“.

Beide Übungen sind an fehlender Funk-tionalität kaum zu übertreffen!

Beim Greifen eines Bleistifts oderRaffen eines Handtuchs mit den Zehenwerden die ohnehin überaktiven, langenZehenmuskeln aktiviert. Das soll geradevermieden werden und leistet der Ent-wicklung von Krallenzehen Vorschub.Entscheidend ist das Auftrainieren derMm. interossei et lumbricales, nicht desM. flexor digitorum longus. Beim funk-tionellen Training muss zudem berück-sichtigt werden, dass beim Gehen dasPunktum fixum distal liegt.

Die 2. Übung – das „Auf- und Ab-wippen auf den Ballen“ – ist gleicher-maßen kontraproduktiv: Verkürzungendes M. triceps und ein therapeutisch in-duzierter Spreizfuß sind programmiert.Viel besser ist die „Turmspringer-übung“: Der Patient steht freihändig mitbeiden Vorfüßen rücklings auf deruntersten Treppenstufe; die Fersen wer-den achsengerecht eingestellt und lang-

S246 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001

Frakturen des Fußes

Abb. 6 � Gewölbearchitektur: Aus der 3D-Ver-schraubung des Fußskeletts (Abb. 5) ergibt sichzwanglos die 3D-Geometrie des Fußgewölbes:Opposition der Rotation, C-Bogen und S-Bogen– hinten 1-polig und vorn in 5 Strahlen aufgefä-chert. Die Gewölbearchitektur als Ganzes ent-spricht dem Prinzip der Achsensymmetrie

Abb. 7 � Keilprinzip: Die 3D-Verschraubung desFußgewölbes ermöglicht eine außerordentli-che Belastungsstabilität desselben dank desKeilprinzips: Durch die 3D-Verschraubung lie-gen die Keilbeinspitzen eng zusammen, dieKeilbeinbasen klaffen leicht auseinander; unterBelastung werden die Keilbeine ineinander ver-keilt und damit belastungsstabil. Eine Umkehrder Drehrichtungen – Pes valgus mit insuffi-zientem Bodenkontakt des Großzehengrund-gelenks – führt zur unphysiologischen, weil la-bilisierenden „Entschraubung“ des Mittelfußes.Dekompensation (Knick-Senk-Fuß) oder Über-kompensation (Knick-Hohl-Fuß) im Rahmen dergenetischen Disposition sind vorprogrammiert,mit freundlicher Genehmigung der Spiraldyna-mik International AG

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Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001 S247

sam unter die Horizontale abgesenkt. Sowerden sowohl die intrinsische Vorfuß-muskulatur gezielt aktiviert als auch derM. triceps surae exzentrisch trainiert.

Spiraldynamik:Gezieltes Fußmuskeltraining

Von den anatomisch funktionellen Kon-struktionsprinzipien des Fußes lassensich gezielte therapeutische Maßnah-men ableiten. Im Zentrum der Therapiestehen:

1. passive Mobilisation und aktiver Auf-bau des VorfußquergewölbesAnwendungsbeispiele sind– exzentrische Dämpfung im Lauf-

sport,– konservative Therapie des Spreiz-

fußes,– Prävention der Varisierung des

Metatarsale I bei entsprechenderDisposition

2. orthograde Belastung der Ferse mittelsHüftaußenrotatoren und M. tibialis pos-teriorAnwendungsbeispiele sind– Überlastungssyndrome der Achil-

lessehne und generell Knickfüße3. Verschraubung zwischen Vor- und

Rückfuß– konzentrisch beim Knick-Senk-

Fuß,– exzentrisch beim Knick-Hohl-Fuß

4. Integration in die Globalfunktion desGehens und Laufens

5. Förderung der Eigenverantwortung

Charakteristika, Fakten und Kennzahlen der Spiraldynamik

Für den Fußchirurgen ist es hilfreich,einneues Konzept auf Anhieb richtig ein-ordnen zu können. In den letzten 8 Jah-re wurde das Konzept der Spiraldyna-mik im deutschsprachigen Europa in-tensiv unterrichtet. Der Verbreitungs-grad wird häufig unterschätzt. Inphysiotherapeutischen Kreisen hat dasKonzept inzwischen einen respektablenBekanntheitsgrad erreicht, wie folgendeKennzahlen zeigen:

∑ Spiraldynamik ist das während der letz-ten 2 Jahre am meisten publizierte The-rapiekonzept in der deutschen Zeit-schrift für Krankengymnastik.

∑ Über 10.000 Personen belegten in denletzen 5 Jahren Kurse in Spiraldynamik.

∑ 1000 Personen absolvierten den Grund-lehrgang, davon etwa 50% Physiothera-peut/Innen.

∑ Schwerpunkte waren die Präventionund die Behandlung statischer Fuß-und Wirbelsäulendeformitäten.

Fußschule:Wege aus dem therapeutischenNiemandsland

Füße sind noch heute physiotherapeuti-sches Niemandsland! Ein Physiothera-peut, der nach Behandlungsrichtlinienvon Bandscheibenproblemen gefragtwird, wird auf Anhieb mit konzeptionel-len Überlegungen und methodischenAnsätzen zur Behandlung chronischerRückenleiden aufwarten. Jedes der exis-tierenden physiotherapeutischen Kon-zepte hat mehr oder weniger klare Vor-stellungen, wie Rückenprobleme thera-

peutisch anzugehen sind. Ganz anderssieht es bei den Füßen aus! Mit Ausnah-me der funktionellen Bewegungslehrenach Klein-Vogelbach ist hinsichtlichder funktionellen Therapie der Füßenichts bekannt! Der Fuß war währendJahren das Stiefkind der Chirurgie undder Therapie! Bezeichnenderweise gibtes inzwischen Hunderte von Rücken-schulen – aber keine einzige Fußschule.Das Bewegungs- und Therapiekonzeptder Spiraldynamik bietet konkrete An-leitungen zur Prävention und nichtope-rativen Behandlung chronischer Fußlei-den. Anfang 2000 wurde in Zürich dieSpiraldynamikfußschule etabliert.

Danksagung Herrn Prof. H. Zwipp sei für dasentgegengebrachte offen-kritische Interesse,Pascal Rippstein für die gewährte Unterstüt-zung gedankt.

Literatur1. Benninghoff A (1985) Anatomie. Urban &

Schwarzenberg, München Wien Baltimore,Abb. 3.3–10, S 198

2. Larsen C (1995) Spiraldynamik – die zwölfGrade der Freiheit.Via Nova, Petersberg,S 252–259

3. Larsen C (1999) Spiraldynamik – Präventionvon Fußdeformitäten. Krankengymnastik 50:1534–1544

4. Neumann D,Vogt L, Banzer W, Schreiber U(1997) Kinematic and neuromuscular changesof the gait pattern after Achilles tendon rup-ture. Foot Ankle Int 18: 339–341

5. Troop RL, Losse GM, Lane JG, Robertson DB,Hastings PS (1995) Early motion after repair ofAchilles tendon ruptures. Foot Ankle Int 16:705–709

6. Zwipp H (1994) Chirurgie des Fußes. Springer,Berlin Heidelberg New York