Ganze Predigtreihe Psalmen Juli und August 2012 · Mal steht die Frage da: Woran orientierst Du...

15
- 1 -

Transcript of Ganze Predigtreihe Psalmen Juli und August 2012 · Mal steht die Frage da: Woran orientierst Du...

- 1 -

Zur Predigtreihe „Psalmen“Immer wieder habe ich in meinem Leben Psalmen gelesen. Die Sprache, die Art und

Weise der Gebet, die Klarheit, die Einfachheit - all das hat mich fasziniert und mir gehol-fen. In verschiedenen Situationen wurden sie mir zur Hilfe. Manchmal konnte ich sie wie eine Art Vorlage benutzen, wenn mir selber die Worte zum Beten fehlten. So habe ich sie in all den Jahren sehr schätzen gelernt.

Für die Sommerzeit 2012 habe ich mir vorgenommen, über Psalmen zu predigen. Die Zeit der Sommerferien soll auch eine Zeit sein, in der ich als Mensch Zeit habe, mich zu-rück zu ziehen, zur Ruhe zu kommen, mich auch ermutigen zu lassen für den Alltag. Die Psalmen schienen mir dafür eine gute Grundlage zu bieten.

Es war jedoch auch klar, dass es nur eine kleine Auswahl sein wird, über die ich (und Kollegen, die beim Predigtdienst helfen) predigen können. Jedoch habe ich den Eindruck, dass es eine gute und hilfreiche Zusammenstellung geworden ist.

Ich hoffe, dass die Gedanken für alle, die sie nun lesen, auch wieder zur Hilfe und Er-mutigung für den Alltag werden dürfen. Ich wünsche Dir / Ihnen das, was nötig ist für die momentane Lebenszeit.

Mit herzlichen GrüssenStefan Pfister, Pfarrer der EMK Davos

- 2 -

Predigttext: Psalm 1 (Stefan Pfister)

Liebe GemeindeDie tägliche Frage - bewusst oder unbewusst - ist doch immer wieder: Woran orientie-

ren wir uns? Und die Antwort ist - mehr oder weniger klar für Christen: An Jesus Christus. Wir haben in den letzten Wochen auch über die Ich bin Worte von Jesus nachgedacht und immer wieder gefragt: Wer sagt Jesus von sich, dass er sei und was bedeutet das für un-ser (tägliches) Leben? Was heisst es, wenn Jesus sagt „Ich bin die Tür“, oder „Ich bin der Weg“.

Woran orientieren wir uns? Das ist eine alte Frage. Sie wurde offen oder versteckt auch den Menschen gestellt, sie beschäftigt uns mehr oder weniger intensiv. Manchmal wird sie mir plötzlich direkter bewusst, weil ich merke, dass ich eben doch einen falschen Weg ein-geschlagen habe, mich an etwas falschem orientiert habe. Und gerade wird mir auch be-wusst: Die Entscheidungen, die ich vor vielen Jahren getroffen habe, bestimmen heute mein Leben. Und die Entscheidungen, die ich heute treffe, werden daher mein zukünftiges Leben bestimmen. Vielleicht wird mir nicht gleich bewusst, was es bedeutet, diese oder jene Entscheidung getroffen zu haben. Doch in einigen Jahren werde ich es merken. Da-her ist die Frage „Woran orientieren wir uns?“ eine lebensentscheidende Frage. Sie wird über unser Leben „ent-scheiden“! Gerade deshalb wurde diese Frage auch in Israel immer wieder gestellt.

Wenn wir uns heute mit dem Psalm 1 beschäftigen, spüren wir diese Frage ganz stark heraus. Der Psalm 1 entpuppt sich damit als eine Tür (Jesus sagt: „Ich bin die Tür“ - so ist auch der Psalm 1 eine Tür, zum Psalmbuch aber eben auch im Zusammenhang mit den entscheidenden Lebensfragen). Der Psalm 1 beschäftigt sich von dem her auch ganz stark mit dem Thema „Weg“ (Jesus sagt: „Ich bin der Weg“ - und so ist auch der Psalm 1 eine Einladung, sich auf den richtigen Weg zu machen). Der Psalm 1 lädt ein, sich für den richtigen Weg im Leben zu entscheiden.

Wir hören nun auf den Psalm 1Ich finde es spannend, wie der Psalm anfängt (und damit das ganze Psalmbuch an-

fängt): Es geht zuerst darum, im Leben „Nein sagen“ zu lernen! Es gibt Menschen, die können das sehr gut. Das beginnt schon in der Kindheit: Darf ich das haben? - Nein! Willst du mir helfen? - Nein! Doch es gibt auch Menschen, die haben sehr viel Mühe mit Nein-Sagen - und leiden dementsprechend auch darunter. Das Leben kann sehr mühsam und schwierig werden, wenn wir nicht Nein sagen können! Doch wichtig ist auch zu merken, zu was wir Nein sagen müssen und sollen und zu was wir Ja sagen müssen und sollen. Und immer mit dem Ziel, dass unser Leben gelingt. Immer aufgrund der Frage: Woran orientie-ren wir uns? Der Psalmbeter beginnt damit zu beschreiben, dass der Mensch, dessen Le-ben gelingen will, zu gewissen Dingen klar „Nein“ sagt: Er lässt sich nicht beeinflussen von den Ideen („Rat“) der Frevler, er ahmt nicht die Taten („Weg“) der Sünder nach und er wirkt nicht mit bei den gemeinsamen Treffen und Aktionen („Kreis“) der Spötter.

Und dies betrifft das gesamte Leben! Alle unsere Handlungsmöglichkeiten. Leider kommt es in keinen der deutschen Übersetzungen so richtig zum Ausdruck, was hier im Hebräischen steht. Hier werden nämlich die drei Verben gebraucht „gehen, stehen, sit-zen“. Und alles, was wir tun, tun wir in einer dieser drei Positionen. Wir gehen umher, wir stehen irgendwo oder wir liegen. Somit meint der Psalmist: Das Nein zu gewissen Um-ständen und Menschen betrifft wirklich das gesamte Leben, alles, was ich tue - oder in diesem Fall eben nicht tue! Ich habe entschieden, dies nicht zu tun und tue es deshalb auch nicht! Mein Nein dazu ist klar und eindeutig.

- 3 -

So klar beginnt der erste Psalm! Doch dieser hier beschriebene Mensch ist nicht einfach ein „Nein-Sager“ (die es eben

ja auch gibt!). Nein, genauso wie er weiss, zu was er Nein sagen will, genauso klar ist das „Ja“ dieses Menschen: Es ist geprägt von der Lust an den Weisungen Gottes. Sie bestim-men sein gesamtes Leben. Auch hier wieder: Tag und Nacht bedeutet „immer“. Er sinnt darüber nach, was Gottes Wort ihm für sein Leben sagt, damit er sich daran orientieren kann (positiv) und eben nicht an spottenden Menschen. Er „murmelt“ das, was er in den „Weisungen Gottes“ liest - so wörtlich übersetzt. Die Juden lesen nicht so die Heilige Schrift wie wir sie normalerweise lesen. Wir lesen sie normalerweise für uns in Gedanken. Die Juden murmeln beim Lesen auch dann, wenn sie alleine für sich Gottes Wort lesen. Es geht viel besser ins Gedächtnis, wenn man so liest als es eben nur in Gedanken zu tun. Und sie können auch darüber „Tag und Nacht“ nachsinnen, weil sie ganz viele Stellen aus der Bibel auswendig können (viele Juden konnten früher - ich weiss nicht, wie es heu-te ist - das ganze Alte Testament, aber mindestens die 5 Bücher Mose, auswendig!). Und wir wissen ja: Nur das, was wir wirklich auswendig wissen, dass können wir auch wirklich anwenden in unserm Leben. Ich bin froh um alle Verse, die ich auswendig kann (auch wenn ich gestehen muss, dass ich als Teenager viel mehr Bibelstellen auswendig konnte als ich heute zitieren kann). Ich merke, wie mich diese begleiten und auch prägen. Was ich nicht weiss aus der Bibel kann mich auch nicht beeinflussen in meinem täglichen Le-ben!

Menschen, die so leben, wie der Psalmist es beschreibt, werden mit Bäumen vergli-chen, die am Bach gepflanzt sind und daher keine Angst haben müssen, zu wenig Wasser zu haben und wachsen und - ganz wichtig - auch Frucht bringen können daher.

Ich habe in den Ferien ganz eindrücklich gesehen und erlebt, was das heisst. Denn der Norden von Europa ist durchzogen von Flüssen und Seen. Und es gibt so viel Wald wie ich das so noch kaum erlebt habe! In Finnland, so habe ich gelesen, gibt es 180‘000 Seen! Und ungefähr 68% des Landes ist mit Wald bedeckt! Beim durchfahren durch viele Kilometer Wald und an Flüssen und Seen entlang die ganze Zeit ist mir das Bild von Psalm 1 ganz eindrücklich nahe gekommen. So ist das Leben, wenn wir mit Gott intensiv verbunden sind durch sein Wort! Es hat konkrete Auswirkungen auf das ganze Leben. Es geht nicht anders, könnte man sagen.

Hier wird nun doch auch das Gegenteil beschrieben, das Leben und der Weg von den Menschen, die sich nicht an Gott und seinem Wort orientieren. Sie sind so leicht, also nicht verwurzelt in fruchtbarem Boden, wie Spreu und daher haben sie keinen Bestand. Das wird noch einmal eindrücklich bestätigt im letzten Vers des Psalms: „Denn der Herr kennt den Weg der Gerechten, der Weg der Frevler aber führt in den Abgrund.“ (V. 6) Gott kennt (das ist hier auch eine ganz starke Bindung, eine haltende tiefe Beziehung) den Menschen der sich an ihm orientiert. Der Weg von den Menschen, die das nicht tun, ver-laufen sich im Nichts.

Seit Jahrhunderten wird dieser Psalm gelesen und gebetet und gesungen. Und jedes Mal steht die Frage da: Woran orientierst Du Dich? Zu was sagst Du Nein und zu was Ja? Das ist lebensentscheidend! Deine heutigen Entscheidungen machen Deine Zukunft aus. Und ich hoffe und bete, dass die Entscheidungen, die wir heute treffen in der Nachfolge Gottes, so klar sind wie die des Beters. Ich weiche nicht mehr davon ab. Nie mehr!

AMEN

- 4 -

Predigttext: Psalm 131 (Stefan Pfister)

Liebe GemeindeTäglich rasen uns tausend Bilder durch den Kopf und ins Herz. Wir sehen sie direkt

aufgrund von Orten, wo wir uns aufhalten, heute sehen wir sie durch die Medien. Bilder bestimmen unser Leben. Sie können aggressiv machen. Sie können uns depressiv ma-chen. Sie können uns traurig machen. Sie können uns glücklich machen. Sie können uns helfen.

Viele Bilder, die wir sehen und die auf uns zu kommen, sind eher negativ geprägt. Die Probleme in der Welt sind zum Teil gross und scheinen überwindbar. Auch Bilder aus dem persönlichen Umfeld oder dem persönlichen Leben können uns ziemlich Mühe machen.

Heute beschäftigen wir uns mit einem Psalm (einem ganz kurzen). Es wird uns durch diesen Psalm ein Bild geschenkt, das uns helfen soll, das uns stärken will. Ich hoffe, dass es dieses Ziel in unserm Leben auch erreicht. Psalm 131

Doch bevor wir uns diesem wunderschönen Bild widmen, das im zweiten Teil beschrie-ben wird, müssen wir uns noch einer Realität im Leben stellen. Erst dann, wenn wir uns diesem schwierigen Thema im Leben stellen, können wir auch das Bild auf uns wirken lassen: Es geht um den Stolz im ersten Teil.

Ich habe den Eindruck, dass der Psalmist den Stolz und den Hochmut im Leben kennt. Das ist für ihn nichts unbekanntes. Doch er hat sich mit sich und seinem Hochmut ausei-nander gesetzt. Es ist etwas geschehen in seinem Leben. Irgendwann kam er zur Er-kenntnis, dass er eben doch nicht alles machen kann. Dass sein Leben begrenzt ist. Ein nicht einfacher Prozess im Leben. Ich kenne diesen Prozess. Ich bin immer wieder davon auch betroffen. Und ich durfte auch schon viel Heilung erleben in diesem Bereich.

Es gab eine Zeit in meinem Leben, da gehörte der Stolz zu meinem Leben. Nicht, dass ich das bewusst gewählt hätte. Nein, ganz im Gegenteil. Eigentlich wollte ich doch gar nicht stolz sein. Doch zwei Bemerkungen von anderen Menschen und das Lesen eines Buches trafen mich und ich musste mich Anfangs 20 sehr stark mit mir und meinem Stolz auseinander setzen. Es war ein sehr schmerzhafter Prozess. Als zwei Menschen mir mehr oder weniger direkt ins Gesicht sagten, dass ich - aufgrund einer konkreten Situation - stolz sei. Und als ich mich mit einer Typologie beschäftigte und mich genau sah in der Be-schreibung und der Stolz in dieser Typologie ein wichtiges Thema war. Wow, ist das einge-fahren. Hat mich das auf den Boden geholt. Gott hat sehr konkret zu mir gesprochen in dieser Zeit. Einige Male weinte ich nachts über mich, über mein Leben, über meinen Stolz, über meine Sünde, die damit verbunden war. Ich nahm mich selber neu wahr. Ich versuch-te, neue Einstellungen zu entwickeln. Eine neue Sichtweise zu finden. Einiges gelang mir damals, anderes wird ein bleibender Prozess in meinem Leben sein.

Der Psalmist sagt hier: „Herr, mein Herz ist nicht (mehr?) hochmütig und meine Augen sind nicht stolz.“ Das kann ich noch nicht so beten. Immer wieder merke ich, dass ich mich über andere Menschen erhebe. Dass ich mich oben sehen will und andere unten. Und immer wieder kann ich dann beten: „Herr, erforsche mich und prüfe mich wie ich es mei-ne.“ (Psalm 139,23f)

Und kurz darauf schliesst der Psalmbeter ein wunderschönes und beruhigendes Bild an. Er hat es erfahren in der Beziehung mit Gott. Er ist ruhig geworden. Er ist nicht mehr so umgetrieben von der Beschäftigung mit ganz vielen „hohen“, komplizierten Dingen, die das Leben manchmal ziemlich kompliziert machen. Er hat sich gelöst von den Bildern, die das Leben zerstören wollen, die den Menschen hinunter drücken wollen. Jetzt findet er sich selber in den Armen des Schöpfers, der ihn liebt. Zärtlich liebevoll umgibt in Gott ganz. Der Beter ist still geworden. Dieses getragensein, dieses umgebensein macht ihn in

- 5 -

der Zeit, in der er ist, ruhig und still. Und ich meine, dass die Zeit vielleicht umso stärker von Sorgen und Mühsal geprägt ist, weil sonst bräuchte er ja dieses Wissen um das Ge-tragen und genährt sein von Gott gar nicht. Denn er nimmt hier das Bild des Säuglings, das gerade eben an der Mutterbrust getrunken hat und nun ganz still, gesättigt und glück-lich in den Armen der Mutter liegt.

Ich habe schon öfters Säuglinge auf dem Arm gehabt. Und es gibt die besondere Erfah-rung, dass das Kind zu schreien beginnt, und ich habe alles versucht, um das Kind zu be-ruhigen. Und alles hat nichts genützt. Und kaum habe ich es der Mutter in die Arme gege-ben, war es ganz still, ruhig, getrost.

Ich will auf etwas ganz wichtiges in diesem Bild hinweisen, das der Psalmist uns hier gibt: Was hat dieser Säugling geleistet, dass die Mutter ihn genommen hat, ihm Milch zu trinken gegeben hat und ihn in den Armen hält? Nichts! Höchstens geschrieen. In diesem Bild liegt eine ganz tiefe und ganz wichtige Wahrheit für uns. Wir leben in einer Leistungs-gesellschaft. Je mehr wir leisten, desto mehr Wert haben wir (meinen wir mindestens). Menschen arbeiten bis zum Umfallen (im wahrsten Sinne des Wortes), weil sie sonst den Job oder die Anerkennung los werden könnten. Wir machen uns oft gegenseitig krank damit. Die meisten Menschen leiden unter Minderwertigkeitsproblemen. Obwohl sie sich so Mühe geben und sich aufopfern, erhalten sie nicht das, was sie sich wünschen oder bräuchten. Und die meiste Anerkennung, die sie bekommen, fällt in einen bodenlosen Kü-bel. Es ist immer zu wenig. Es müsste immer noch mehr sein. Der eigene Wert kann nicht gesteigert werden, weder mit gutem Zureden noch mit Anerkennung von Aussen.

Was der Psalmist hier in seinem Leben erfährt, ist die wichtigste Grunderfahrung auch als erwachsene Person. Für Säuglinge und Kinder ist sie so normal. Für uns Erwachsene leider eine Erfahrung, die wir uns zu Tiefst wünschen und doch irgendwie nicht bekom-men: Uns einfach in die Arme fallen lassen von Gott, uns geliebt wissen und fühlen, ge-stärkt und genährt, willkommen, gehalten. Ohne etwas leisten zu müssen. Ohne sich in irgendeiner Weise Mühe geben zu müssen. Einfach da sein.

Wann hast Du das das letzte Mal erlebt? Wie hat es sich angefühlt und was hat es aus-gelöst in Deinem Leben?

Ich mache meist meine Stille Zeit in einem Sitzhocker. Schon seit vielen Jahren. Und (leider!) vor allem damals, als ich das begonnen habe, war für mich immer wieder die Vor-stellung: Ich lasse mich jetzt während der Stillen Zeit einfach in die Arme Gottes fallen. Der Sitzhocker sind die Arme Gottes. Ich darf einfach sein, ohne etwas leisten zu müssen. Ich darf Gottes Wort, das ich lese, an mir wirken lassen. Ich darf mit all meinen Gefühlen - gu-ten und schlechten - vor Gott sein. Ich darf mit meinem Dank und meinen Bitten einfach sein. Ich muss aber auch nicht bewusst beten. Sondern es geht einfach um die Erfahrung, die Nähe, Zärtlichkeit und Liebe Gottes zu erfahren. Und aus dieser Erfahrung in den Tag zu gehen - mit allem, was er bringen wird. Ob ich Anerkennung von Menschen erhalte oder nicht, ob ich mich von andern gestürzt und geliebt fühle oder nichts, kann nichts da-ran ändern, dass ich wertvoll bin vor Gott, meinem Schöpfer. Ich bin geliebtes Kind des Schöpfers. Wie eine Mutter seinen Säugling liebt, hält und zärtlich streichelt, genauso hat es Gott mit mir an diesem Morgen getan - und das trägt durch alles hindurch.

In den letzten Monaten habe ich diese bewusste (!) Erfahrung leider immer wieder ver-nachlässigt. Es gibt eine (schlechte) Gewöhnung, einfach an diesem Ort und in dieser Stellung die Beziehung mit Gott zu pflegen - ohne die Bewusstmachung der Erfahrung mich ganz in die liebevollen Arme Gottes fallen zu lassen. Ich will das wieder bewusster tun. Denn ich merke, wie es mir fehlt! Wie ich anders bin und anders reagiere, je nach-dem, welche Bilder mein Leben prägen und bestimmen. Psalm 131 gibt mir die Erfahrung und das Bild, das mein Leben prägen darf.

AMEN

- 6 -

Predigttext: Psalm 73 (Stefan Pfister)

Liebe Gemeinde„Aber das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte und meine Zuversicht setze auf

Gott, den HERRN, dass ich verkündige all dein Tun.“ (Psalm 73,28) Das ist für mich ein ganz wichtiger Vers. Ich habe ihn in einer besonderen Situation zugesprochen bekommen - nämlich an meiner Konfirmation. Und er gehört damit auch mitten in meine Berufungsge-schichte hinein, in die damalige Frage, was mit meinem Leben werden soll, welchen Weg ich einschlagen soll. Erwin Hopfengärtner, der Pfarrer, der mich konfirmiert hat, hat damals bei der Übergage des Verses mir ungefähr gesagt (wörtlich weiss ich es natürlich nicht mehr): „Stefan, ich denke, dass du in irgendeiner Art einmal einen Verkündigungsdienst haben wirst. Du wirst anderen Menschen Gottes Tun verkündigen. Man spürt jetzt schon die Freude, die du erlebst, wenn du von deinen Erfahrungen mit Gott reden kannst.“

Dieser für mich so wichtige Vers steht am Ende eines Psalmes. Damals kannte ich den ganzen Psalm wohl kaum. Vielleicht habe ich ihn schon einmal gelesen, vielleicht auch noch nicht. Erst meine „Konf-Bibel“ wurde meine richtige Arbeits- und Lesebibel, die ich mehrmals durchgelesen und teilweise damals richtig durchgearbeitet habe. Ich nehme an, dass mir erst Monate oder vielleicht sogar Jahre später bewusst wurde, in welchem schwierigen Zusammenhang mein Konfvers stand. Doch gerade das ist für mich auch wichtig und entscheidend geworden. Dieser Vers erhält noch einmal eine ganz neue Per-spektive und Tiefe, wenn wir den ganzen Psalm lesen und den Vers in diesem Zusam-menhang wahrnehmen. Und das will ich heute mit Euch zusammen tun.

Daher ist es auch gut, auf den ganzen Psalm zu hören. Er ist zwar dicht und es wird nicht so einfach sein, ihm zu folgen. Wir lesen den ersten Vers gemeinsam und dann den Schluss. Zwischendrin seid Ihr eingeladen, einfach gut zuzuhören. Psalm 73

Der Psalm beginnt mit einer wunderbaren Feststellung und Verheissung: „Ich weiss es: Gott ist gut zu Israel, zu allen, die ihm mit ganzem Herzen gehorchen.“ Diese Verheissung hat sich in Israel festgesetzt. Das haben die Juden geglaubt und auch erwartet. Doch eine solche Verheissung ist nur so viel Wert, wie sie sich dann auch im täglichen Leben zeigt. Und genau hier beginnt die Schwierigkeit des Psalmisten. Er kommt in eine Glaubenskri-se, weil für ihn die „Rechnung“ nicht mehr aufgeht. Hier diese Verheissung, dieses Wissen und Vertrauen, dass Gott gut ist zu Israel und zu jedem einzelnen im Volk - und auf der anderen Seite das Erleben, dass es ihm selber gar nicht gut geht („Peinigung“ und „Ver-folgung“ werden im Vers 14 genannt) und er beobachten kann, wie es den Menschen, die - vielleicht sogar! - bewusst nicht an Gott glauben, so gut geht. Bis jetzt war er der Mei-nung, dass es gerade umgekehrt ist: An Gott glauben bedeutet, dass es einem gut geht im Leben, nicht an Gott glauben bedeutet, dass man unten durch muss. Und jetzt erlebt er gerade das Gegenteil! Es geht so weit, dass er sich fragt: Soll meine Art zu leben, soll mein Bemühen, mich rein zu halten, gerecht und aufrichtig zu leben, soll dies alles um-sonst sein? (V. 13). Man spürt hier die tiefe, ernsthafte Frage: Soll ich den Glauben an den Nagel hängen? Ginge es mir dann nicht besser? Das hat doch die Frau von Hiob schon zu ihm gesagt in seiner Lebenskrise, als ihm alles genommen wurde: „Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Sage Gott ab und stirb!“ (Hiob 2,9)

Wenn das eigene Leben so ziemlich „verschissen“ ist, und dies, obwohl man doch an Gott glaubt und ihm vertraut - und das von Mitmenschen, die doch nicht einmal einen Ge-danken an Gott „verschwenden“ zu gelingen scheint, dann wird es wirklich schwierig mit dem eigenen Glauben! Wer von Euch kennt solche Situationen, in der der Vergleich mit Mitmenschen in die Richtung gezeigt hat: Ohne Gott scheint das Leben einfacher und so-gar noch glücklicher zu sein! ...

- 7 -

Ich kenne beide Situationen in meinem Leben. Manchmal kann ich voll Überzeugung sagen: „Ich kann nicht verstehen, dass Menschen nicht an Gott glauben. Es gibt dem Le-ben in allem eine andere Perspektive, hilft, trägt, usw.“ Doch es gab (und ich rechne damit, dass es dies auch in Zukunft wieder geben wird) Situationen, in denen ich gedacht habe: „Oh, es wäre doch im Moment einfacher ohne meinen Glauben an Gott und der Überzeu-gung, dass dies auch im Leben sichtbar werden soll.“ Nicht oft, doch es kam vor! Der Psalmist geht auf jeden Fall durch die Krise seines Lebens! Die Sinnlosigkeit scheint un-ermessen gross zu sein! Und doch merkt man von Anfang her: Er wäre nur beinahe geglit-ten. Die Anfechtung war zwar riesengross. Doch schlussendlich fiel er doch nicht ganz hin. In einer speziellen Situation im Tempel macht er eine Erfahrung, die ihn doch zurück bringt, die ihn überzeugt: Nein, es hat wert, es ist wichtig, es macht einen - positiven! - Un-terschied an Gott zu glauben! Trotz allem, egal was passiert - mit mir und den anderen! - ich bleibe an Gott dran. Was ihn überzeugt ist das „getragen und gehalten sein“ von Gott. Dass er Leitung von Gott erfahren darf. Und auch, dass er am Ende seines Lebens, wenn der Tod anklopft, bei Gott angenommen sein wird. Und damit kommt eine neue Tiefe in sein Leben. Plötzlich kann er sogar sagen: Wenn ich auch nur dich, Gott, habe, ist alles andere doch egal. Du, Gott, bist doch kostbarerer als alles andere. Und jetzt wird er zu ei-nem Verkündiger dieser guten Botschaft. Am Anfang war es eben nur eine gute Theorie, dass Gott zu seinem Volk und zu ihm steht. Jetzt ist es geläutert worden in der Erfahrung seines Lebens - geläutert worden durch die Krisen.

Folgendes will ich lernen aus diesem Psalm: • Die Ehrlichkeit. Der Psalmist ist ganz ehrlich. Es geht ihm nicht gut. Und diese Krise

bringt ihn fast um den Verstand um um seinen Glauben. Doch gerade dies steckt er nicht einfach so beiseite und geht so darüber. Wenn jemand ihn ehrlich und vertrau-ensvoll fragt, steht er dazu: Es geht mir gar nicht gut. Ich verzweifle fast am Leben und ich verzweifle fast an Gott! Mein „Glaubensgebäude“ wankt. - Mir (und wohl fast allen Christen im Westen) fehlt diese Ehrlichkeit. Wir getrauen nicht so richtig hinzu-blicken, wenn es uns nicht so gut geht. Und es so krass ausdrücken im Gebet kön-nen wir auch kaum. Hier können wir von den Psalmen lernen!

• Der Beter bleibt dran! Gerade in und durch diese Ehrlichkeit, durch diese Auseinan-dersetzung mit dem „theoretischen Glauben“. Er weiss: Glaube ist nur dann echt und tief, wenn er geläutert wird. Und dies geschieht nur in der Krise, im dunkeln Tal, da wo es schmerzt! - Je länger je mehr bin ich überzeugt, dass wir in unserm Leben und Glauben mindestens eine grosse Krise brauchen, damit unser Glaube und unser ganzes Leben echt werden kann und wir - gerade durch diesen neu gewonnen Blick - anders leben und glauben können.

• Der Vergleich mit anderen ist gefährlich! Ich kann es nicht anders ausdrücken. Wir vergleichen leider so oft. Und meist (immer?) mit denen, die es besser haben, mehr haben, besser geht. Und in diesem Vergleichen gehen wir kaputt.

AMEN

- 8 -

Predigttext: Psalm 32 (Philipp Brückmann)

Liebe Gemeinde(SELA bedeutet eine Zäsur, eine Pause zum Nachdenken)Eine Unterweisung Davids.Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist! 2 Wohl

dem Menschen, dem der HERR die Schuld nicht zurechnet, in dessen Geist kein Trug ist! 3 Denn als ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein tägli-ches Klagen. 4 Denn deine Hand lag Tag und Nacht schwer auf mir, dass mein Saft ver-trocknete, wie es im Sommer dürre wird.

„SELA.“ 5 Darum bekannte ich dir meine Sünde, und meine Schuld verhehlte ich nicht. Ich

sprach: Ich will dem HERRN meine Übertretungen bekennen. Da vergabst du mir die Schuld meiner Sünde.

„SELA.“6 Deshalb werden alle Heiligen zu dir beten zur Zeit der Angst. Darum, wenn große

Wasserfluten kommen, werden sie nicht an sie gelangen. 7 Du bist mein Schirm, du wirst mich vor Angst behüten, dass ich errettet gar fröhlich rühmen kann. "SELA".

8 »Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, / den du gehen sollst; ich will dich mit meinen Augen leiten.« 9 Seid nicht wie Rosse und Maultiere, die ohne Verstand sind, denen man Zaum und Gebiss anlegen muss; sie werden sonst nicht zu dir kommen. 10 Der Gottlose hat viel Plage; wer aber auf den HERRN hofft, den wird die Güte umfangen. 11 Freuet euch des HERRN und seid fröhlich, ihr Gerechten, und jauchzet, alle ihr From-men.

Schuld, Sünde: Einerseits reden wir nicht gerne davon, andererseits beschäftigen wir uns sehr intensiv damit: ein ambivalentes Verhältnis!

BLICK-Schlagzeile: WER ist schuld am Pfadidrama? (Verbrennungen wegen Feuer-spielen mit Brennsprit)

Die wichtigste Frage bei Unfällen: WER IST SCHULD?Mega Aufwand um den Schuldigen zu finden!Wieso ist das so?Wir alle wollen unschuldig sein! (schlechtes Gewissen)Wir leiden an der Schuld, ja sogar an der Möglichkeit, schuldig zu werden!Deshalb sind wir immer froh, wenn die Schuldfrage möglichst eindeutig geklärt ist, na-

türlich so, dass wir unschuldig davon kommen.Das Leben bringt es aber unweigerlich immer wieder mit sich, dass wir schuldig wer-

den, sei es durch tun oder unterlassen. Die für uns entscheidende Frage ist also nicht, wie wir ja nie schuldig werden (das wäre

pharisäisch), sondern was wir tun, wenn es dennoch geschieht.Die Erfahrung des Psalmisten: „Denn als ich es wollte verschweigen...“Verschweigen ist wohl die naheliegendste, menschliche Reaktion.„Gras drüber wachsen lassen“Aber es ist wie bei einer nicht sanierten Kehrichtdeponie: giftige Wässerchen treten

hervor und belasten unser Leben: „verschmachteten meine Gebeine.“Der Psalmist hat es selber erlebt, was unerledigte Schuld anrichtet.SELA: Hier folgt die Zäsur

- 9 -

Schliesslich kommt es zur entscheidenden Wende:„Darum bekannte ich meine Schuld.“• Stopp mit den Kaschierungsversuchen• Stopp mit der Täuschung andererUnd dann das erstaunliche Resultat: „Da vergabst du mir die Schuld meiner Sünde.“

Am Anfang dieser Wende stand eine ENTSCHEIDUNG.Stopp mit verschweigen, ignorieren, leugnen, - Start mit bekennen, Wahrheit akzeptie-

ren.Vor sich selbst, vor seinen Mitmenschen, vor Gott zu seinen Schwächen stehen.Ohne Entscheidung kommt es zu keiner Veränderung. Offenbar braucht es bisweilen einen grossen Leidensdruck, bis wir fähig sind, diese

Entscheidung zu fällen und den neuen Weg einzuschlagen. Das war bei David so, und das ist auch heute bei uns so. Wir Menschen sind so gestrickt.

Heute haben wir so viele Möglichkeiten, das Leiden zu dämpfen (Zerstreuung, Medika-mente etc.). Ist das nun ein Fluch oder ein Segen? Im Blick auf das Jetzt ist es ein Segen, im Blick auf die Ewigkeit wohl eher ein Fluch. Viele bleiben dadurch auf dem Heiligungs-weg stecken!

„Da vergabst du mir die Schuld meiner Sünde“: Durch die Vergebung sind wir mit Gott versöhnt. Das heisst aber nicht, dass damit auch augenblicklich alle Folgen unserer Sünde verschwinden.

Es gilt auch das Gesetz von Saat und Ernte. Aber es kommt die Barmherzigkeit Gottes dazu, die vieles mildert und mit der Zeit heilt.Das nimmt der Psalmist im folgenden Abschnitt auf: „wenn die Wasserfluten kommen.“

Die Fluten kommen noch, können uns aber nicht mehr zerstören. Gott ist mit seiner All-macht da.

SELANun spricht Gott zur mit ihm versöhnten Seele: „Ich will dich unterweisen und dir den

Weg zeigen, den du gehen sollst. Ich will dich mit meinen Augen leiten“ (einer meiner Lieb-lingsverse).

Parallelstelle: „Kommt her zu mir alle ... und lernt von mir!“ (Mt.11,28)„Seid nicht wie Ross und Maultier (störrisch)“ bei denen man sanfte Gewalt anwenden

muss, damit sie sich in die gewünschte Richtung bewegen.Gebet: „Ich danke Dir Herr, dass Du mir den Weg zeigen willst. Und ich sage Dir, dass

ich mich von Dir leiten lassen will. Darum erwarte ich von Dir, dass Du mir den Weg so zeigst, dass auch ich verstehe, wo es nach Deinem Willen entlanggeht!“

Und wenn wir dann nichts hören? Dann ist auch keine Kursänderung nötig!Eigene Vorstellungen über das Glaubensleben fahren lassen und gelassen darauf ver-

trauen, dass Gott uns den Weg zu seiner Zeit verständlich zeigen wird.„Wer auf den Herrn hofft, den wird die Güte umfangen (Vers 10)“ - ein schönes Bild!Darum: „Freuet euch des HERRN und seid fröhlich, ihr Gerechten, und jauchzet, alle ihr

Frommen.“ (V. 11) Amen

- 10 -

Predigttext: Psalm 8 (Dialogpredigt von Christoph Schluep und Stefan Pfister)

Es war eben wirklich ein Dialog, ein Gespräch zwischen Christoph Schluep und Stefan Pfister. Wir beide haben zwar uns telefonisch unterhalten über den Psalm 8 und auch Ge-danken ausgetauscht, die uns wichtig schienen. Doch dann haben wir ein Gespräch ge-führt über den Psalm, über das, was uns beschäftigt, anspricht, ärgert, herausfordert.

Da kein schriftliches Manuskript vorlag, kann die Predigt hier (leider!) nicht abgedruckt werden. Das tut uns leid. Denn wir erhielten viele positive Reaktionen auf diese Art von Predigt.

- 11 -

Predigttext: Psalm 27 (Stefan Pfister)

Liebe GemeindeIch erinnere mich gut, wie als Kind jeden Abend das kleine Lämpchen eingesteckt wur-

de, das mindestens zeigte, wo die Türe ist und auch bisschen Licht schenkte in das dunkle Zimmer. So konnte ich gut einschlafen und hatte keine Angst. Die Eltern waren ja unten im Wohnzimmer; ich konnte also rufen, wenn ich aus irgendwelchen Gründen Angst bekam und sie würden schnell in mein Zimmer hoch kommen.

Wenn es mitten in der Nacht ein Gewitter gab und ich Angst bekam, hatte ich auch ver-schiedene Möglichkeiten. Entweder schloff ich ins Elternbett (ins Grüebli), oder meine Schwester oder ich schloffen einfach beim andern ins Bett (während der Zeit, in der wir im gleichen Zimmer schliefen). Es half zu spüren, dass eine andere Person ganz nahe ist, eine Person, die einem vertraut war und die man liebte. Da hatte das gröbste furchterre-gende Gewitter keine Chance mehr!

Nehmen wir einmal diese beiden Erfahrungen aus meiner Kindheit, von der ich über-zeugt bin, dass sie sich mit den meisten von Euch decken wird. So hören wir auf den Psalm 27.

Für Kinder - und das waren wir, die wir erwachsen sind, alle auch einmal - scheint es oft einfacher zu sein, im täglichen Leben etwas gegen die Angst zu tun. Da sind die schüt-zenden Hände des Vaters, das warme Bett der Eltern, das Licht neben der Zimmertür, die Zimmertür, die einen Spalt offen bleibt, usw. Oft helfen solche Kleinigkeiten (natürlich nicht immer), um die Angst zu besiegen. Wie geht es jedoch bei uns Erwachsenen? Schaffen wir es auch, in unseren manchmal täglichen erdrückenden Erfahrungen, so etwas zu be-kennen wie der Psalmist von Psalm 27? Kann ich sagen: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir grauen?“ Kann ich das sagen, wenn alles schief geht, wenn ich die Prüfungen nicht geschafft habe, die so wichtig gewesen wären, wenn meine Freundin mich verlässt und die Welt zusammen bricht, wenn die Arbeit nicht so geht, wie ich es wünsche und der Chef unbequeme Fragen stellt, wenn die Kinder sich von einem entfremden und die Beziehun-gen zunehmen kompliziert werden, usw.?

Wenn ich den Psalm 27 lese, fällt mir folgendes auf: Am Anfang stehen einige Verse, die ein Bekenntnis darstellen. Das glaube ich: Der Herr ist mein Licht und mein Heil; egal was passiert, die Feinde müssen straucheln, mein Herz wird nicht verzagen, ich bleibe vol-ler Zuversicht... Bekenntnisse sind da, damit sie Menschen in verschiedenen Lebenslagen nachsprechen können. Sie helfen, den eigenen Glauben zu „definieren“. Sie helfen, sich zu vergewissern im Alltag.

Aber eines ist dabei ganz wichtig: Solche Bekenntnisse wie die ersten Verse müssen sich dann im Alltag bewähren. Sonst nützen sie ja auch nicht viel.

David formuliert am Anfang so etwas wie ein Ideal. So sollte es sein. So wünsche ich es mir. So wünsche ich mir auch die Beziehung zu Gott. Sie soll tragen, halten, fest sein. Und das sage ich mir auch. - Und wie in anderen Psalmen, wird dieses Bekenntnis auch mit einer gewissen Distanz gesprochen: Der Herr ist... Nur eines erbitte ich von Gott... Er birgt mich... Dem Herrn will ich singen... usw.

Und dann, im Vers 7, kommt ein abrupter Wechsel. Das ist kein Bekenntnis mehr, son-dern da betet einer mitten in der bitteren Realität seines Lebens: „Vernimm, o Herr, mein lautes Rufen; sei mir gnädig und erhöre mich!“

Gerade eben war doch noch alles so einfach und klar. Der Glaube an Gott war „defi-niert“. Ich, Mensch, hier, er, Gott, da. Er, dieser Gott, ist mein Licht, meine Hilfe, auch wenn Feinde da sind... Wirklich? So mitten im Sturm ist es nicht mehr ganz so klar. So

- 12 -

ging es mindestens den Jüngern damals in der Geschichte, die wir in der Schriftlesung gehört haben: Jesus war nah, sehr nah. Er, der Sohn Gottes, der Kranke geheilt, Tote auf-erweckt und mit seinen Predigten Tausenden von Menschen Hoffnung gegeben hat! Doch jetzt, mitten im Sturm, schläft er friedlich. Er ist hier - aber er tut nichts gegen diesen Sturm. Das Bekenntnis wird arg auf die Probe gestellt! Und sie beginnen zu beten und zu rufen: „Herr, hilf uns, wir kommen sonst um!“ In der Not erinnert sich der Psalmist und er-innern sich die Jünger daran, dass Gottes Nähe echt gesucht werden darf und soll. Dass Gott sich freut, wenn wir nicht einfach über ihn reden als den tollen Gott, der doch schon irgendwie schaut, dass alles gut kommt - sondern dass wir mit ihm reden, ihn suchen, sei-ne spürbare und sichtbare (!) Nähe herbeisehnen und herbei bitten! Und diese Nähe ver-ändert alles.

Ich erinnere an unsere Erfahrung als Kinder: Ich (und ich denke, viele von Euch auch) hatte Angst, wenn es so heftig donnerte und blitzte! Die Eltern können in einer solchen Si-tuation das Gewitter nicht wegnehmen. Der Krach und die Lichter der Blitze bleiben beste-hen. Jedoch können sie ihr Bett den Kindern anbieten. Und die Kinder schlüpfen hinein und sie schlafen meist innerhalb kürzester Zeit wieder ein, obwohl das Gewitter weiter tobt. So ist es auch bei Gott: Das Gewitter tobt manchmal weiter. Es ist nicht einfach weg. Doch Gott lädt uns ein, zu ihm zu kommen, seine Gegenwart zu erleben, seine Liebe und Nähe ganz in Anspruch zu nehmen - und das ändert bei uns alles. Nicht ob ein Gewitter tobt oder nicht ist die Frage, sondern ob wir Geborgenheit erleben, das macht den Unter-schied!!

Ich will noch etwas anhängen: Der Psalmist sagt hier etwas ganz wichtiges für unser Leben (V. 10): „Wenn mich auch Vater und Mutter verlassen, der Herr nimmt mich auf.“ Es gibt Menschen, die haben - leider! - weder Vater noch Mutter erlebt, die das Bett angebo-ten haben, die in der Not dem Kind viel Wärme, Nähe und Geborgenheit geschenkt ha-ben. Es gibt Kinder, die zu Hause Kälte erleben (oder auch hier Erwachsene, die zurück denken an ihre Kindheit und eben kaum Geborgenheit und Liebe erfahren haben - vor al-lem dann nicht, wenn es ihnen schlecht ging). Ob Alkohol, Scheidung der Eltern oder ein-fach ein Unvermögen der Eltern der Grund war, spielt gar keine Rolle. Diese Erfahrung ist prägend und traurig. Und sie begleitet einem wohl das ganze Leben mehr oder weniger. Und, so erleben viele Menschen auch, diese Elternerfahrung hat auch Einfluss auf unsere Gotteserfahrung. Wenn wir die Eltern als lieblos erlebt haben, ist es viel schwieriger an Gott als die Liebe zu glauben. Wenn der Vater nur Leistung erwartet hat und kaum Wert-schätzung ausgesprochen hat, dann ist es ganz schwierig zu glauben, dass Gott anders ist. Und gerade für solche Menschen steht dieser Vers in der Bibel: Es mag sein, dass Deine Eltern in einigen Punkten ein schlechtes Vorbild waren. Doch bitte übertrag das nicht einfach auf Gott als Vater! Wenn Dich sogar Vater und / oder Mutter verlassen hat, Gott ist anders: Er hält zu Dir! Er trägt Dich! Er will Dir nicht nur in der Theorie Licht und Nähe sein, sondern eben in der Praxis.

Wenn es das nächste Mal um Dich herum stürmt und tobt, wenn alles zusammen zu fallen droht, dann denke an den Psalm 27, an die Erfahrung des Psalmisten. Und an das, was ihm auch in den Sinn kam. Er sagt: „Mein Herz denkt an dein Wort: Sucht mein Ange-sicht! Dein Angesicht, deine Nähe, Herr, will ich suchen.“ Und sei gespannt, was dann passiert!

AMEN

- 13 -

Predigttext: Psalm 139: Du hältst deine Hand über mir (Stefan Pfister)

Liebe Kinder, liebe ErwachseneWer von Euch Kinder - oder auch Erwachsenen - hat ein Mikroskop, um etwas zu un-

tersuchen? Als Teenager habe ich mir eines auf einen Geburtstag gewünscht und auch immer wieder etwas untersucht. Natürlich längst nicht so tief und so stark, wie das heute die Wissenschaftler tun, die immer mehr ins Detail wollen und immer mehr vom Kleinsten der Welt erforschen können.

Nun stellen wir uns diese Wissenschaftler vor, wie sie irgendetwas mit ihren speziellen Mikroskopen betrachten - und wie Gott als Wissenschaftler alles in uns erforschen und he-rausfinden will. Nicht unbedingt eine angenehme Überlegung, oder? So ein Bild kann Angst machen. Gott als Wissenschaftler, der mich wie ein Objekt behandelt, das er erfor-schen will? Nein danke. Nicht nur, dass da ja alles Kleinste zu Vorschein kommen könnte, das vielleicht nicht gut oder schön ist. Auch sonst ist diese Vorstellung nicht angenehm. - Gott ist jedoch nicht eine solche Art von Wissenschaftler! „Herr, Du erforschst mich und du kennst mich!“ Das Wort kennen, das hier verwendet wird, meint nämlich eine ganz tiefe Beziehung, eine tiefe Liebe. Es ist also vielmehr ein Liebhaber, der hier gemeint ist, der uns erforschen und kennen will, und nicht ein Wissenschaftler. Wie Eltern, die ihre Kinder kennen wollen, wie ein Ehemann, der seine Ehefrau „erforschen“ und kennen will, so ist es von Gott her, der uns erforschen und erkennen will. Und diese Vorstellung gefällt mir.

David hat erkannt, dass Gott ihn umgibt und ihn beschützt, weil er ihn liebt. Doch dann beschäftigt ihn die Frage, ob das wirklich immer, überall und in jedem Fall so ist, oder ob es doch auch möglich ist, aus dieser Liebe von Gott heraus zu fallen. Es scheint, als wür-de David die ganze Welt, ja sogar das ganze Weltall durchschreiten um dies herauszufin-den - und seine Erkenntnis ist eindeutig: Es gibt keinen Ort und es gibt keine Zeit, wo Gott nicht (zu finden) ist. Diese Erkenntnis ist auch wieder nicht bedrohlich gemeint (ich kann nicht fliehen vor Gott, obwohl ich gerne möchte), sondern viel mehr eben in dem Sinn: Gott ist überall, um mich zu behüten und zu beschützen, ich muss keine Angst haben (V. 5). Es sind also tröstende Erkenntnisse, die David hier macht.

Diese Liebe von Gott umfasst sein ganzes Leben. Von der Geburt her, nein, sogar noch vorher, ist es so: Gott hat mich gewollt, ich bin nicht ein Kind des Zufalls, sondern geschaf-fen von einem Schöpfer, der mich von Herzen liebt (V. 15). Und jeder Tag in meinem Le-ben kennt Gott schon. Bis zu meinem letzten Atemzug bin ich ihm wichtig (V. 16).

Diese ganze Erkenntnis ist für ihn entscheidend wichtig, denn es gibt Leute, die David ans Leben und den Glauben wollen. Die meisten von uns (nun eher Erwachsene) kennen die „Warum-Frage“, die uns manchmal quält. Warum gerade ich? Weshalb musste mir das passieren? David erlebt solche Situationen. Menschen die ihm das Leben schwer machen wollen und Situationen, die ihm das Leben zur Hölle machen sollen. All dies soll ihm den Glauben an einen guten Gott nehmen, der ihn kennt und ihn liebt. Und genau dagegen wehrt sich David entschieden. Er benennt die Feinde, die Situationen - und ich möchte es einmal so sagen - er lacht fast etwas darüber, er macht sie zu seinen eigenen Feinden und sagt ihnen damit: Ihr könnt mir den Glauben und das Vertrauen an Gott nicht nehmen! Gott steht weiterhin zu mir, das habe ich erlebt und daran halte ich fest, egal was kommen kann.

In den Schulen, auf den Pausenplätzen, in Geschäften ... läuft oft viel, auch viel Ge-meinheit und Brutalität. Wenn wir die Berichte hören - und vor allem selber so schwierige Situationen erleben - kann es einem manchmal schon fast ablöschen! Und wer hat sich vielleicht angesichts von dem allem auch schon gefragt: „Warum, Gott?“ Und wenn uns Kollegen und Kolleginnen auslachen und uns das Leben schwer machen, dann merken wir: Ohne Glauben an Gott wäre es doch in solchen Situationen viel einfacher. Die wollen

- 14 -

uns also den Glauben an Gott, so wie wir ihn kennen gelernt haben, nehmen. Aber ich will ihnen diesen Gefallen nicht tun - und ich hoffe und bete, Ihr alle auch nicht! Stehen wir auf für Gott, stehen wir auf und halten uns an ihm fest, der im Psalm 139 so liebevoll be-schrieben wird! Seid Ihr dabei? Gerade deshalb wollen wir Euch Kinder, Teenager und Ju-gendliche segnen und unter den Schutz Gottes stellen! Denn eines ist sicher: Die Verheis-sung bleibt bestehen in jeder Situation, in die ihr kommen könnt: Gott hält seine Hand über Dir, über Euch! Das ist sein Versprechen. Das hält er auch! Da kann ich nur sagen, Amen, so sei es! Ja, es ist wirklich wahr. Gott sei Dank.

AMEN

- 15 -