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Gehard von Kapff

Wüstenblues

Mit dem Mountainbike von

den Victor ia-Fäl lenbis Kapstadt

Del ius Klasing Ver lag

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Inhalt

Prolog .......................................................................................9Tag 1: Willkommen in Livingstone ..........................................11Tag 2: LivingstoneKein zurück: »Wenn du schreist, schrei wie ein Mann!« ..........19Tag 3: Livingstone–Kasane Die ersten 80 Kilometer ...........................................................39Tag 4: Ein Camp unter Baobab-Bäumen108 harte Kilometer, und Salzpfannen, so groß wie das Saarland .........................................................57Tag 5: 65 Kilometer nach MaunErste Löwenspuren am Nxai-Pan-Nationalpark ......................65Tag 6: Ruhetag (was das Radeln betrifft)Wildlife im Moremi-Schutzgebiet ............................................75Tag 7: Audi-Camp (Okavango-Delta)Wenn im offenen Hubschrauber der Gurt aufgeht … ..............83Tag 8: Maun–Ghanzi120 brüllend heiße Kilometer in die Kalahari-Wüste ...............89Tag 9: Ghanzi–WindhoekBuschmänner, Namibia und Joes German Beerhouse .............101Tag 10: Windhoek – »somewhere in nowhere«80 Kilometer grobe Bike-Pisten und die einsame Wildnis Namibias ..................................................................109Tag 11: Rooisand Desert Ranch–Sesriem100 Kilometer Piste und ein Achsbruch am südlichen Wendekreis ......................................................121

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Tag 12: Sesriem–Sossusvlei124 Kilometer zu den roten Sandbergen Namibias ................129Tag 13: Sesriem–BettaDie Königsetappe: zwölfeinhalb Stunden Kampf um jeden Pedaltritt ................................................................137Tag 14: Betta–Kanaan 85 Kilometer lockeres Ausradeln und fi ngerlange Dornen .....149Tag 15: Tiefpunkt am Fish RiverNur 20 Kilometer – bergauf … ..............................................159Tag 16: 70 Kilometer vom Fish River Canyon nach Ai-AisSchwimmbäder in der Wüste und eine mystische Landschaft ............................................................167Tag 17: Ai-Ais–Orange RiverEin Ruhetag, eine Paddeltour und ein Blick nach Südafrika ......................................................................173Tag 18: Orange River–Algeria-CampDas legendäre Zederberg-Naturreservat; aber wo sind die Zedern? ....................................................................179Tag 19: Unterwegs in den Zederbergen80 Kilometer Piste. Und am Ende ein ganz besonderes Weingut ...............................................................187Tag 20: 90 Kilometer vom Algeria-Camp nach Kapstadt Sandstrand und eine Woge von Glück ...................................199Dank .....................................................................................205

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Für alle, die an sich zweifeln.

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Prolog

Ich kann nicht mehr. Trete mit letzten Kräften in die Pedale. Dieser Weg ist härter als meine Waden, stärker als meine Kondition und steiler, als ich es mir vorstellen konnte. Ich

weiß, dass ich sehr bald absteigen und schieben werde – aber ich will nicht. Mein Radtrikot klebt klatschnass auf dem Rücken, meine Oberschenkelmuskulatur will nichts anderes als ihre Ruhe. Ich kämpfe trotzdem weiter. 30 Meter noch bis zum Scheitel-punkt – das muss doch irgendwie zu schaffen sein.

Ist es nicht. Ich steige vom Rad, schreie wütend ins Gelände – und schiebe.

Ich bin nicht nur zornig auf mich selbst, sondern auch ver-zweifelt. Ich bin mit dem Rad noch nie weiter als zum Einkaufen oder zur nahen Arbeitsstelle gefahren, geschweige denn, dass ich jemals auf einem Mountainbike gesessen hätte. Trotzdem habe ich mich zu einer Tour über 1200 Kilometer angemeldet: einmal mit dem Mountainbike von den Victoria-Wasserfällen bis nach Kapstadt. Eine der schönsten Radstrecken der Welt und für mich als Rad-Greenhorn schlichtweg ein Wahnsinn.

Denn wie soll das gehen, wenn ich schon an diesem kleinen Buckel am Tauberfelder Grund scheitere? Wenn ich nicht in der Kalahari-Wüste, sondern bereits mitten in Oberbayern, am Rande des Altmühltals schieben muss, nur weil es ein bisschen steiler nach oben geht? Meine Augen brennen, ich schmecke einen Hauch von Salz, den der Schweiß hinterlassen hat, auf mei-nen Lippen. Bald wird es der Staub der afrikanischen Wüste sein.

Irgendwie muss ich deutlich fi tter werden. Nur noch 76 Tage bis zum Start.

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Tag 1: Willkommen in Livingstone

Noch drei, zwei Meter bis zum Boden, gleich müssten die Reifen des Airbus auf der Landebahn aufsetzen. Doch dann brüllen die Turbinen auf. Die Maschine wird sofort schnel-

ler, steigt wieder hinauf in Richtung Himmel, und die Passagiere sehen sich nervös an. Schnell gewinnt das Flugzeug an Höhe, die trockenen Bäume und Sträucher der afrikanischen Steppe werden kleiner. Zwei Minuten Ungewissheit, ehe sich der Kapitän meldet. »Wie Sie sicher bemerkt haben, sind wir durchgestartet«, sagt er: »Ein Pavian saß auf der Landebahn, und ich wollte weder ihn noch das Flugzeug beschädigen. Das ist Ihnen doch sicher recht.« Schallendes Gelächter der Fluggäste und ein entspann-tes Gemurmel im Passagierraum leiten den zweiten Landeanfl ug ein. Nach zehn Stunden Flugzeit und einer Zwischenlandung in Johannisburg passiert die Maschine der South African Airways nach der kurzen Ehrenrunde jetzt zum zweiten Mal die gewal-tige Schneise in der afrikanischen Steppe, in die sich tosend die Victoria-Wasserfälle ergießen.

Es ist wie eine Inszenierung. Passender kann die Begegnung mit Afrika, der Auftakt zu einem Trip wie diesem nicht sein als mit einem Affen, der die Landebahn des Internationalen Flug-hafens von Livingstone blockiert.

Kurz danach berühren meine Füße erstmals den Boden des südlichen Afrika. Als wir mit unserem Handgepäck über die

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Landebahn zur verspiegelten Eingangshalle des zweistöckigen Flughafengebäudes laufen, erfasst mich Nervosität, ich spüre, dass ich die ersten Schritte zu etwas ganz Außergewöhnlichem wage. Immerhin ist das keine Tour wie jede andere, kein gemüt-licher Fahrradtrip für Touristen. Schon die Beschreibung klang extrem: »1136 Kilometer auf dem Bike, drei Nächte im Gäste-haus, 17 Nächte Camping, teils wild, teils in festen Camps. Vor Ihnen liegt nicht nur eine Rad-Expedition, sondern das Abenteuer Ihres Lebens. Zwischen den Etappen gibt es mehrmals Transfers in Fahrzeugen und Ausfl üge zu Fuß. Sie werden uns dankbar dafür sein. Es geht los in Sambia, an den Victoria-Wasserfällen. Genießen Sie die Gischt, den Wasserschleier und die Regenbögen. Spätestens in der Namib-Wüste sehnen Sie sich danach zurück.«

Manchmal im Leben sieht man etwas und weiß sofort: Das lässt dich nicht mehr los. Auch wenn es eigentlich gar nicht realisierbar ist. Als ich den Flyer dieser Tour vor einem halben Jahr erstmals in Händen hielt, schien sie ein unmögliches Unterfangen. Mehr als 20 Kilometer am Stück war ich noch nie geradelt, ganz zu schweigen von einer mehrtägigen Tour. Aber dieser Trip würde an den Victoria-Wasserfällen starten, in Botswana ins größte Bin-nendelta der Erde führen, das Okavango-Delta, in Namibia an die größten Sanddünen der Erde und erst an der Spitze Südafrikas in Kapstadt enden. Eine Extremtour, sicher. Aber auch unglaub-lich spannend: ein einziges, drei Wochen langes Abenteuer.

Fünf-, sechsmal hatte ich die Ausschreibung in der Hand, wollte sie jedes Mal gleich wegwerfen und konnte es irgendwie doch nicht. Zweieinhalb Monate vor dem Start rief ich dann bei den Organisatoren an. »Guten Tag, mein Name ist Gerhard von Kapff. Ich bin ein ganz normaler, nur ein bisschen sportlicher Familienvater, und ich habe drei, vier Kilo zu viel auf den Rippen.

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Ich saß zwar noch nie auf einem Mountainbike gesessen. Aber ich will trotzdem mit. Geht das?« Die Antwort war ein kurzes Zögern, ein etwas längeres Gespräch über Kondition – und dann haben wir uns ein wenig ausführlicher unterhalten.

Doch jetzt stehe ich in der Ankunftshalle des Flughafens von Livingstone und warte nervös, ob South African Airways mein Rad tatsächlich in Johannesburg umgeladen und mitgebracht hat. Alles andere wäre eine Katastrophe.

Schon das Bike selbst ist für mich völlig neues Terrain. Das erste Mountainbike meines Lebens, ein Velo, das ich mir erst vor zwei Wochen zugelegt habe. Mit einem weißen Carbon-Rahmen und silbrig glänzenden Scheibenbremsen, keine zehn Kilo schwer. Ein edles Teil, das in der Bikeschmiede M1 Sporttechnik von Hand zusammengefügt wurde. Wie jedes der Räder halt, das dort gebaut wird. Normalerweise gedacht für Menschen, die sich damit auskennen. Trotzdem muss das Bike jetzt mit mir zurecht-kommen. Oder umgekehrt. Wir werden sehen.

Ich bin erleichtert. Der braune Karton, den mir ein dunkelhäutiger Angestellter mit fragendem Blick entgegenschiebt, ist zumindest auf den ersten Blick unbeschädigt. »Was für ein Irrer«, denkt der Mann vermutlich. »Mit dem Rad in Afrika unterwegs sein, wenn man sich auch ein Auto leisten könnte.« Wer weiß? Vielleicht hat er sogar recht.

Ein sambesischer Taxifahrer hebt ein Schild in die Höhe: »Mr. Kapff. Biketour«, und ich lächle ihn an. Es kann losgehen. Gut 30 Grad Celsius sind es bereits jetzt gegen elf Uhr vormittags, als wir aus der Flughafenhalle treten. »And you want to ride by bike to Capetown?«, fragt der Fahrer und schickt ein schepperndes »Hehe« hinterher: »Good luck!« Der Pick-up donnert durch die Straßen eines Vorortes, der einem amerikanischen Roadmovie

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entnommen sein könnte. Flache Holzhäuser, bunt angestrichen, und ein paar Läden, deren Schilder auf dem Hausdach auf einen Reifenhändler, F. M. Mores Pharmacy oder die Kodak Photo Bank hinweisen, die eigenartigerweise auch »Hairextensions« (Haarverlängerungen) anbietet.

Nach knapp 20-minütiger Autofahrt wird die Landschaft grü-ner. Die Vorstadt und die vertrocknete Steppe weichen zurück, und wir nähern uns dem Sambesi, dem mit 2574 Kilometern viertlängs-ten Fluss Afrikas. Ein, zwei Kilometer Luftlinie von hier stürzt er als einer der größten Wasserfälle der Erde in die Tiefe. Schon vom Flugzeug aus war vor allem die immense Breite des Flusses mit seinen Tausenden teils winzig kleinen Inseln beeindruckend.

Faszinierend ist von oben aber auch die Weite der afrikani-schen Steppe. Selbst wenn spätestens jetzt klar ist, was mich in den nächsten drei Wochen erwarten wird: Trockenheit, Wüste oder eine von leichten Erhebungen unterbrochene Steppenland-schaft. Hunderte Kilometer fast baumloses Braun, durchzogen nur von schnurgeraden, staubigen Pisten, die sich im Horizont verlieren. Und auf das alles brennt unbarmherzig die Sonne, die jeden Tropfen Flüssigkeit aus dieser Landschaft saugt. Hätte ich bisher noch keinen Respekt vor dieser Tour, würde ich ihn jetzt bekommen. Denn nur noch eineinhalb Tage, und wir werden genau dort unterwegs sein.

Das Prachtstück des Waterfront Camps ist die große Holzterrasse des Restaurantgebäudes. Zehn Meter über dem Fluss thront sie, ist eingebettet zwischen hohen Bäumen und versteckt im hinteren Bereich, gleich neben der Bar, sogar einen kleinen Swimmingpool. Am Nachbartisch prosten sich junge Australier im Studenten-alter mit eisgekühlten Windhoek-Bierfl aschen zu. Doch mein Blick schweift weit über den träge dahinfl ießenden Sambesi, die sattgrünen Inseln und die kleinen Boote, mit denen Fischer unter-

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wegs sind. Irgendwie unvorstellbar, dass in diesen friedlichen Wassermassen unzählige Krokodile und Nilpferde leben sollen. Letztere werden freilich oft genug selbst ein Opfer des Flusses. Vor allem jüngere Tiere werden immer wieder über die Kante der Wasserfälle geschwemmt und stürzen an den entsetzten Touristen vorbei in den Tod.

Der Roomservice hat seine Arbeit beendet, ich kann meine Unter-kunft beziehen. Eigentlich ein Scherz, denn ich habe ein Zelt gebucht. Es steht in der Mittagshitze ungeschützt auf einer Beton-platte, verfügt aber immerhin links neben dem Eingang über ein komplettes Bett. Das alte Armeezelt ist Tarnfarbengrün und stinkt nach Gummi. Die Innentemperatur dürfte bei 50 Grad Celsius liegen. Ich packe schnell meine beiden großen Reise taschen und die drei Rucksäcke hinein, schiebe auch noch mein Rad ins Zelt und lege mich danach auf eine Liege in den Schatten. Ein kurzer Schlummer, später werde ich zumindest ein Stück in Richtung der Wasserfälle fahren.

Da der Rest der englisch-deutschen Truppe, mit der ich unter-wegs sein werde, erst einen Tag später eintrifft, will ich mich ein bisschen einradeln. Über eine gute Straße passiere ich den Ein-gang eines Naturparks; ein Ranger winkt freundlich, und ich radle weiter. Ein wenig irritierend ist lediglich der Linksverkehr, der auf dem Rad noch gewöhnungsbedürftiger ist als im Auto.

Immer wieder ist weit rechts das Rauschen des Sambesi zu hören. Sind hier, nur ein paar Hundert Meter fl ussabwärts, bereits die ersten Stromschnellen vor den Fällen? Ich erreiche einen klei-nen Rastplatz am Fluss. »Two Dollar«, grinst einer der beiden Uniformierten an der Schranke. Aber wofür? »Parkgebühr«, meint einer der beiden, muss dann aber selbst lachen. Natürlich kann ich mein Rad kostenlos abstellen.

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Obwohl hier keine Touristen sind, ist der Parkplatz bis auf den letzten Platz besetzt. Die Aussicht auf einen spektakulären Sonnenuntergang direkt neben den Stromschnellen des hier rei-ßenden Sambesi reizt vor allem Einheimische. Hip-Hop-Musik dröhnt aus völlig überforderten Autolautsprechern, die brum-men, dröhnen oder nur noch krachen. In großen Plastikwannen ruht kistenweise eisgekühltes Windhoek-Bier.

Die Mädchen und jungen Frauen, die sich für die improvisierte Party schick gemacht haben und nicht eben dezent geschminkt sind, tanzen mit ihren extrem kurzen Röcken auf dem trockenen Steppenboden zum Rhythmus der Musik. Die Jungs lehnen cool an ihren Wagen, sitzen auf den Kotfl ügeln und bewegen sich vor allem dann, wenn das Bier leer ist.

Sofort werde ich als einziger Weißer weit und breit auf ein »Windhoek« eingeladen. Die Jungs freuen sich unheimlich, einen Gast aus »Germany« in ihrem Kreis zu haben. Alle paar Minu-ten werde ich jemand Neuem vorgestellt, soll immer noch ein »Windhoek« trinken und bin nach einer halben Stunde schon richtig integriert.

Langsam bricht die Dämmerung herein, und ich muss zurück. Klar, ich Amateurbiker habe die Anstecklichter meines Rades im Zelt vergessen, und ganz im Dunkeln mag ich doch nicht im mir völlig unbekannten Sambia herumradeln. Die Verabschiedung ist herzlich, der ein oder andere umarmt mich sogar. Dann sehen sie mir hinterher. Seltsamer Weißer, mit seinem stylischen Bike und auf dem Weg in die Dämmerung.

Keine Frage, dass ich die Geschwindigkeit, mit der in Afrika das Tageslicht erlischt, völlig unterschätzt habe. Zehn Minuten später ist es stockdunkel. Auf der Straße ist das noch unproble-matisch, und die letzten zehn Minuten auf einer Staubpiste muss das Licht der Handy-Leuchte genügen. Zumindest eine Zeit lang. Dann ist der Akku leer.

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Zu sehen bin ich offensichtlich trotzdem. Ein Autofahrer blen-det hektisch auf, ein anderer hält an und winkt mich heran: »Be careful, elephants.« Ich bedanke mich bei dem Witzbold und radle zügig weiter. Doch dann schälen sie sich aus der Dunkel-heit. Zwei, drei Kolosse, die riesig wirken im Dunkeln und nun in aller Gemütsruhe die Piste queren. Keine zehn Meter entfernt von mir.

Ich fahre rasch weiter, nachdem sie vorbei sind, und biege nach knapp 20 Metern in die Zufahrtsstraße zu unserem Camp ab. Doch auch hier reißen fünf, sechs Elefanten keine zehn Meter entfernt im Dickicht Äste von den Bäumen, um das essbare Grün abzustreifen. Sie hinterlassen ein absolutes Chaos. Als hätte eine Windhose ein Waldstück durcheinandergewirbelt. Um mich kümmern sich die grauen Riesen kein bisschen.

Es ist absolut faszinierend – die ersten Elefanten in freier Wild-bahn, völlig unerwartet schon an meinem ersten Abend in Afrika. Hundemüde schlüpfe ich kurz danach in meinen Schlafsack, ver-schließe das Zelt mit den dicken Reißverschlüssen, um keinen Besuch von den vielen Affen zu bekommen, die in den Bäumen des Camps herumturnen. Und natürlich schiebe ich auch das Rad ins Zelt. Nur zur Sicherheit vor Dieben – nicht, dass das Greenhorn morgen als ersten Eindruck hinterlässt, es hätte sein Mountainbike zu Hause vergessen.

Es war ein beeindruckender Auftakt heute, dem schon morgen ein Highlight folgen wird. Die erste kleine Biketour mit meinen Mitreisenden zu den Victoria-Fällen. Und vorher noch ein ganz persönliches Anliegen: der erste Bungee-Sprung meines Lebens. An den Victoria-Wasserfällen geht es 128 Meter in die Tiefe, und ich bin gespannt, ob ich es tatsächlich wage. Denn eigentlich habe ich Höhenangst.

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Tag 2: LivingstoneKein zurück: »Wenn du schreist,

schrei wie ein Mann!«

Dieses Mädchen weiß gar nicht, welche Macht es hat. Lange, schlanke Beine, ein strahlendes Lächeln aus himmelblauen Augen – und die blonden Haare reichen ihm bis hinunter

zum Gürtel der knackengen Jeans. Als wäre es nicht soeben einem Zelt, sondern einem Modekatalog entstiegen. »Fährst du zu den Wasserfällen und zur Brücke?«, spricht mich die gut 25-Jährige im Camp auf Deutsch an. Anscheinend ist mir meine Nationa-lität anzusehen, und ich bejahe. »Springst du auch?« Jetzt bin ich gefangen. Ich wollte mir noch offenlassen, ob ich den ersten Bungee-Sprung meines Lebens wagen sollte, bin jetzt aber in der Zwickmühle. Anscheinend schätzt sie mich als cool genug ein, sonst wäre die Frage nicht gekommen. Bin ich allerdings gar nicht.

Aber ich kann mich doch jetzt nicht selbst demontieren – auch wenn ich sie gar nicht kenne. So ticken wir Männer einfach, ob wir wollen oder nicht. Ganz ehrlich zu antworten: »Ich weiß noch nicht, ob ich nicht doch zu viel Angst habe«, das kommt nicht infrage.

»Klar, ziemlich sicher«, lasse ich mir zumindest ein kleines Hintertürchen offen. Das sie instinktiv sofort wieder zuschlägt: »Wenn du dich traust, springe ich auch.« Verdammt. Eigentlich will ich ja gar nicht. Einen Bungee-Sprung hatte ich schon vor Jahren gedanklich längst abgehakt. Irgendwann, als die Sprünge

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aufkamen, reizten sie mich. Aber kurz danach, als sie dann auf jedem noch so kleinen Stadtfest stattfanden, interessierten sie mich nicht mehr.

Hier in Sambia allerdings ist das ganz anders. Erstens ist der Sprung über 110 Meter einer der höchsten der Welt, zweitens wäre er ein markanter, ein ganz besonderer Auftakt zu dieser Mountainbike-Tour. Einer Unternehmung, die eines der ganz großen Highlights meines Lebens werden dürfte. Wenn nicht hier, wo dann?

Aber ich habe noch ein bisschen Zeit, mich einzustimmen und abzuwägen. Da meine neue Bekanntschaft mit dem Taxi zu den Fällen fährt – schließlich hat sie kein Rad dabei –, ist noch nicht ganz sicher, ob wir uns dort tatsächlich treffen werden.

Meine später eintreffenden Biker bilden nicht die einzige Gruppe, die vom Waterfront Camp aus zu einer Tour startet. Zu sehen ist das vor allem an den Ungetümen von Fahrzeugen, die vor dem Zeltplatz, auf den Parkplätzen vor den elegant aus-sehenden Hütten oder des anschließenden Hotels stehen. Kantige Kastenwagen mit Aufbauten, die jedem deutschen TÜV-Beamten Schweißtropfen auf die Stirn treiben würden. Passagierkabinen kleiner Busse wurden mit dem Basisfahrzeug geländegängiger Lastwagen verschweißt. Der Boden des Passagierraumes ist ein-einhalb Meter oder mehr vom Asphalt entfernt, damit die Safari-gäste einen besseren Ausblick haben. Die Standardfenster wurden durch teils vergitterte Panoramascheiben ersetzt. Schließlich sollen die Giraffen die Fahrgäste nicht abknutschen können – und umgekehrt auch nicht.

Die Trucks und Busse sind dennoch bequem und auf einem optisch und technisch sehr hohen Standard. Wenn es im süd lichen Afrika um Touristen geht, bemüht man sich ganz besonders. Wohl wissend, dass Komfort fürstlich bezahlt wird. Denn billig ist hier nichts. Das geht beim Essen los, das sich auf deutschem

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Preisniveau bewegt, und endet wie selbstverständlich auch bei den durchweg geschmackvollen Unterkünften. Vieles in den Häuschen, die meist für zwei Personen gedacht sind, wird mit dem gebaut, was die Natur hergibt: Lampenständer bestehen aus Holz, handgefl ochtene Lampenschirme aus Stroh, Bäume schüt-zen das im Freien befi ndliche, aber ummauerte Badezimmer vor der Sonne, und Ockertöne setzen das Farbenspiel der Natur auch in den Zimmern fort. Sogar der Campingplatz ist ein bisschen edler als gewohnt. Wer ein paar Euro mehr ausgibt, muss nicht einmal sein Zelt selbst aufstellen. Es steht dann wie meines schon aufgebaut auf einer betonierten Platte, damit kein Sand hinein-getragen wird, und ist mit einem kompletten Bett und frischem Bettzeug ausgestattet.

Eines dieser skurrilen Fahrzeuge, das soeben ankommt, ist ein etwas klapprig wirkender, einst weißer Bus mit einem Rad-anhänger. Das können nur unsere Guides sein. Ein wenig gerä-dert steigen die drei Jungs aus dem Auto. Schließlich kommen sie direkt aus Südafrika, aus Kapstadt, dem eigentlichen Stand-ort unseres Begleitfahrzeuges. Der Fahrer, ein gut 40 Jahre alter Mann mit Lederschlapphut, ist Tallis Wessels, der Chefguide. Juandrey, ein weiterer Südafrikaner, wirkt ein wenig fröhlicher, er ist aber auch erst 25. Der spätere Fahrer des Busses und Mann für alles ist der dunkelhäutige Bornwell aus Simbabwe. Auch er wirkt lockerer als Wessels. Ich lasse die drei erst einmal in Ruhe, schließlich habe ich noch eine ganz persönliche Mission vor mir.

Die Straße zu den Wasserfällen führt vorbei an dem von den Elefanten verwüsteten Wäldchen, wo das ganze Chaos bei Tage noch eindrucksvoller erscheint. Irgendwann wird diese Straße automatisch auf die Brücke führen, schließlich ist sie die einzige, die hier in der Nähe den Sambesi überspannt. Es ist angenehm warm an diesem Morgen, gut 20 Grad Celsius. Rechts und links der Straße knochentrockene Erde, ein paar Bäume – teils grün,

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teils vertrocknet –, ansonsten prägen hüfthohe und vereinzelt auch zwei Meter hohe Büsche die Landschaft. Nur ab und zu ein Schwall unbekannter Gerüche, vielleicht von Kräutern, der so schnell verschwindet, wie er gekommen ist.

Plötzlich, hinter einer Kurve, wird die Straße breiter. Last wagen stehen am Straßenrand, und nach 300 Metern verhindert ein brei-tes Metalltor mit senkrechten Streben die Weiterfahrt. Es wird nach jedem Auto oder Laster, der den Grenzzaun passiert, wieder von Hand zugezogen. Drei Grenzer gammeln auf alten Garten-stühlen vor dem Zaun herum und lächeln mir zu. Offensichtlich bin ich mit meinem Rad eine willkommene Abwechslung. Ein vierter steht direkt am Tor, schaut sich die Pässe und gestempelte weiße Zettel von einigen vor ihm stehenden einheimischen Fuß-gängern an, die wie ich nach Simbabwe wollen. »Do you have a visum?«, fragt er und will mich, als ich verneine, in ein rechts neben dem Posten stehendes Haus schicken. »Ich will aber nur auf die Brücke, zum Bungee-Jump«, erkläre ich ihm. Er meint, dass ich trotzdem ein Visum für den Wiedereintritt nach Sambia brauche. Als ich mein Rad am Zaun anketten will, passt ihm das aus irgendeinem Grund nicht. »Okay, you need no visum«, sagt er und schiebt das Tor auf. Ich bin zwar ein wenig verwirrt, da ich – geprägt durch die deutsche Bürokratie – gewohnt bin, dass es bei Vorschriften keinen Spielraum gibt. Entweder man braucht ein Visum, und dann gibt es auch keine Alternative – oder eben nicht. Trotzdem schiebe ich mein Rad auf die andere Seite. Ich bin gespannt, ob ich tatsächlich wieder einreisen darf …

Kurz hinter der Grenze macht die Straße einen weiteren Knick, biegt nach rechts ab und führt leicht nach unten, direkt auf ein eisernes Monster zu, das die Schlucht des Sambesi überspannt. Eine gewaltige Bogenkonstruktion, in deren Mitte auf der linken Seite eine kleine Plattform über das Brückengeländer ragt. Darü-ber ein großes Plakat: »Welcome to Vic Falls Bungee«.