Generalanwaltschaft des EuInGHEinführung: 1. „Vergessen ist Gefahr und Gnade zugleich“ sprach...

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Generalanwaltschaft des EuInGH SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTE SEBASTIAN MARIA SCHMITT CARINA NAGEL MARGHERITA MARASCIA vom 21 Juli 2014 Rechtssache G-1/14 des 15. EuGH Moot-Courts des Europa Institutes Viktoria Wohlgemuth gegen Das Parlament der Republik Anthurien (Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtes Schwarzburg [Anthurien]) „World Wide Web – Personenbezogene Daten – Petitionen – Datenschutzrichtlinie 95/46 – Auslegung von Art. 2 Buchst. b und d, Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und c, Art.7 Abs. 1 Buchst a und Art. 8 Abs.2 Buchst. a, Art. 12 Buchst. b und Art. 14 Buchst. a – Sachlicher Anwendungsbereich – Begriff der Verarbeitung personenbezogener Daten – Begriff der Einwilligung – Recht auf Löschung und Sperrung von Daten – ‚Petitionen, Recht auf Löschung‘ – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 7, 8, und 11“ von 1 30

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!!!!

!Generalanwaltschaft des EuInGH

!!

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTE

SEBASTIAN MARIA SCHMITT

CARINA NAGEL

MARGHERITA MARASCIA

!vom 21 Juli 2014

Rechtssache G-1/14 des 15. EuGH Moot-Courts des Europa Institutes

Viktoria Wohlgemuth

gegen

Das Parlament der Republik Anthurien

! (Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtes Schwarzburg [Anthurien])

!„World Wide Web – Personenbezogene Daten – Petitionen – Datenschutzrichtlinie 95/46 – Auslegung von Art. 2 Buchst. b und d, Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und c, Art.7 Abs. 1 Buchst a

und Art. 8 Abs.2 Buchst. a, Art. 12 Buchst. b und Art. 14 Buchst. a – Sachlicher Anwendungsbereich – Begriff der Verarbeitung personenbezogener Daten – Begriff der Einwilligung – Recht auf Löschung und Sperrung von Daten – ‚Petitionen, Recht auf

Löschung‘ – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 7, 8, und 11“ !! von !1 30

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I. Einführung: !1. „Vergessen ist Gefahr und Gnade zugleich“ sprach Theodor Heuss als erster Präsident der

vom Zweiten Weltkrieg gezeichneten Bundesrepublik Deutschland. Auch heute, 100

Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges, nachdem ganz Europa in einen Krieg hinein

schlafwandelte, scheint ein Vergessen fehl am Platz.

2. Wenn wir heute von Datenschutz sprechen, dann sprechen wir in erster Linie vom Schutz

der Persönlichkeitsrechte einzelner. Das Datenschutzrecht ist zu einem wichtigen

Kontrollinstrument geworden, mit dem sich der Einzelne die Hoheit über die

menschenwürdige Entfaltung seiner selbst sichern kann, indem er selbstbestimmt

Informationen preisgibt oder geheim hält.

3. Datenschutz hat also nichts mit der Kontrolle über historische Ereignisse oder

Persönlichkeiten zu tun. Datenschutz ist keine Zensur.

4. Dennoch werden Daten gezielt eingesetzt, um Kontrolle zu erlangen. Bei der

Suchmaschinenoptimierung werden Daten von Webseiten dahingehend verwendet,

möglichst früh in den Ergebnislisten der Suchmaschinen aufgeführt zu werden. Damit soll

der Eindruck erweckt werden, dass eine bestimmte Website bei den Internetnutzern

besonders populär ist, um mit dem daraus erwachsenden Vertrauen Marktmacht stärken

zu können.

5. Auch ist das Internet eine Plattform der Selbstdarstellung. Unzählige Nutzer kreieren auf

sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter Identitäten von sich selbst, die nicht

zwingend der Wahrheit entsprechen müssen. Mehr und mehr drängen sich Fragen auf, wie

weit unser Recht darüber gehen kann, Identitäten im Internet zu schaffen und zu formen

und die Konsequenzen unseres digitalen Handelns einfach beseitigen können.

6. Es ist der Grundkonflikt zwischen Ovids „Die Tat wird vergessen, doch das Ergebnis

bleibt.“ und Khalil Gibrans "Vergessen ist eine Form der Freiheit“.

7. In diesem Verfahren geht es der Klägerin darum, dass Informationen über sie bei einer

Suchanfrage nach ihrem Namen in den Ergebnislisten der Suchmaschine angezeigt

werden und die Nutzer auf einen sehr früh gelistet Link stoßen, indem man auf eine

Petition stößt, die ein gesundheitsrechtliches Thema zum Gegenstand hat.

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8. Die im Jahre 1995 erlassene Richtlinie 46/95/EG entstammt einem Zeitalter, zu dem noch

niemand an elektronische Petitionen gedacht hat. Es stellen sich also Fragen, wie in

diesem Kontext Gesetze auszulegen sein werden.

9. Aufgrund der rapiden technischen Entwicklungen der internationalen Vernetzung über das

Internet stellen sich diese Fragen fast jeden Tag in einer neuen Dimension. Das

Moore’sche Gesetz und die daraus von Ray Kurzweil abgeleitete Theorie der 1 2

Geschichte lassen vermuten, dass Gesetze in Zukunft der technischen Entwicklung

deutlich zurückzuliegen drohen, als dies bereits der Fall ist.

10. Heute sind Petitionen über das Internet möglich. Sowohl private Anbieter , als auch die 3

Mitgliedsstaaten stellen Dienste bereit, mit denen Petitionen online eingereicht werden 4

können.

11. Diese Sachlage führt dazu, dass das Datenschutzrecht und das Petitionsrecht miteinander

in Berührung kommen. Die Petenten sind schon der Natur der Sache nach bereits

gehalten, personenbezogene Daten zur Bearbeitung einer Petition abzugeben. Somit

werden Fragen aufgeworfen, wie sich die Rechtsmaterie des Datenschutzes zu klassischen

Rechten wie dem Petitionsrecht verhält.

12. Der Gerichtshof des Europa Institutes hat sich hier zum ersten Mal mit der Auslegung der

Richtlinie im Kontext von Petitionen und dem Kontext der Wahrnehmung von

Persönlichkeitsrechten aus dem Datenschutzrecht durch prominente Personen bzw.

Personen von öffentlichem Interesse zu beschäftigen. Zumindest im Hinblick auf die

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Das mooresche Gesetz (Moore's law;) besagt, dass sich die Komplexität integrierter Schaltkreise mit 1

minimalen Komponentenkosten regelmäßig verdoppelt; je nach Quelle werden 12 bis 24 Monate als Zeitraum genannt. Das bedeutet, dass Datenverarbeitungsmöglichkeiten geometrisch anwachsen, was die Relevanz des Datenschutzrechts schon aufgrund dieser Möglichkeit entsprechend erhöht. Zudem sind aufgrund dieses rapiden Wachstums die Integration von Datenverarbeitungsprozessen und deren Konvergenz insgesamt – zB Big Data – in ihrer sozialen, tatsächlichen und rechtlichen Dimension kaum abzusehen.

Kurzweil, Ray; The singularity is near, P.10 ff.; der Zukunftsforscher Kurzweil stellt anhand dessen die 2

Theorie auf, dass die Entwicklung der Menschheit insgesamt geometrischer Natur ist und sich der sog. Singularität nähert. Überwiegend wird darunter der Zeitpunkt verstanden, ab dem sich Maschinen mittels künstlicher Intelligenz (KI) selbst verbessern können. Das würde den technischen Fortschritt so beschleunigen, dass die Zukunft der Menschheit hinter diesem Ereignis nicht mehr vorhersehbar ist. Somit ist die menschliche Disposition über Daten (Datenschutz) und Datenverarbeitung für die Zukunft vielleicht ein sogar existenzielles Recht.

https://www.openpetition.de ist eine Website, die von Privatpersonen betrieben wird, und Petitionen an die 3

zuständigen Stellen weiterleiten will; http://www.france-petitions.com/mentions-legales ist ein entsprechendes Äquivalent aus der Republik Frankreich.

Für die Bundesrepublik Deutschland: https://epetitionen.bundestag.de; für das Großherzogtum Luxemburg 4

http://www.chd.lu/wps/portal/public/DepotPetition.

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Anwendung auf Petitionsvorhaben nationaler Parlamente handelt es sich hierbei um ein

aktuelles Thema. Das Verwaltungsgericht Schwarzburg gibt an, dass bei ihm gleich

mehrere vergleichbare Verfahren anhängig seien.

13. Die maßgebenden Urteile, in denen sich der EuGH bereits mit Datenschutzfragen zu

beschäftigen hatte war die Rechtssache Google Spain und die Rechtssache Lindqvist. Im

übrigen verweist die Generalsanwaltschaft hinsichtlich der relevanten Rechtsprechung auf

die Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache Google Spain . 5

14. Seit dem Erlass der Richtlinie wurden in Art. 16 AEUV und in Art. 8 der Charta der

Grundrechte der Europäischen Union (im folgenden: GRC) Bestimmungen über den

Schutz personenbezogener Daten aufgenommen. Zudem hat die Kommission einen

Vorschlag für eine Datenschutz-Grundverordnung vorgelegt, die sich derzeit noch im

parlamentarischen Prozess befindet. Obgleich dieser Entwurf in Art. 17 möglicherweise

einen relevanten Rechtssatz für diesen Fall enthält, so ist diese Rechtssache de lege lata

zu entscheiden.

!!II. Rechtlicher Rahmen

A - Datenschutzrichtlinie 95/46/EG

14.Nach Art. 1 der Richtlinie 95/46/EG gewährleisten die Mitgliedstaaten nach den

Bestimmungen der Richtlinie den Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten und

insbesondere den Schutz der Privatsphäre natürlicher Personen bei der Verarbeitung

personenbezogener Daten.

15.In Art. 2 werden u. a. die Begriffe „personenbezogene Daten“, „betroffene Person“,

Verarbeitung personenbezogener Daten“, „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ und

„Dritter“ definiert.

16.Gemäß Art. 3 gilt die Richtlinie für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung

personenbezogener Daten sowie in bestimmten Fällen für die nicht automatisierte

Verarbeitung personenbezogener Daten.

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Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 25. Juni 2013, Rechtssache C-131/12.5

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17.Nach Art. 4 Abs. 1 wendet ein Mitgliedstaat die Vorschriften, die er zur Umsetzung der

Richtlinie erlässt, auf alle Verarbeitungen personenbezogener Daten an, wenn der für

die Verarbeitung Verantwortliche eine Niederlassung im Hoheitsgebiet des

Mitgliedstaats besitzt, oder in Fällen, in denen der für die Verarbeitung

Verantwortliche nicht in der Union niedergelassen ist, wenn dieser zum Zweck der

Verarbeitung personenbezogener Daten auf Mittel zurückgreift, die dem Hoheitsgebiet

des betreffenden Mitgliedstaats zuzuordnen sind.

18.Die von der Verarbeitung ihrer personenbezogener Daten betroffenen Personen haben

nach Art. 12 der Richtlinie ein „Auskunftsrecht“ hinsichtlich der vom für die

Verarbeitung Verantwortlichen verarbeiteten personenbezogenen Daten und nach

Art. 14 ein „Widerspruchsrecht“ um in bestimmten Fällen gegen die Verarbeitung

personenbezogener Daten vorzugehen.

19.Durch Art. 29 der Richtlinie wird überdies eine unabhängige Gruppe mit beratender

Funktion eingerichtet, der u. a. die Datenschutzbehörden der Mitgliedstaaten

angehören.

B - Nationales Recht

20. Gesetz des Staates Anthurien zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung

personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Amtsblatt Nr. L 281 vom

23/11/1995) in Umsetzung der Richtlinie 95/46/EG.

!!III. Sachverhalt und Vorlagefragen: !21. Ausgangsverfahren dieser Rechtssache ist ein verwaltungsgerichtliches Verfahren aus der

Republik Schwarzburg. Die Klägerin hatte im nationalen Verfahren gegen das Parlament

der Republik Anthurien geklagt, da sie eine Beeinträchtigung ihres Rechts auf

Privatsphäre durch die Online-Veröffentlichung ihrer Petition besorgt.

22. Nachdem sie sich im Jahre 2007 wegen eines angeborenen Herzfehlers in einem für

entsprechende Operationen spezialisierten Krankenhaus im Nachbarstaat des Staates

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Anthurien behandeln ließ, verweigerte ihr Heimatland die Rückerstattung der

angefallenen Kosten für die medizinische Behandlung.

23. Diese Weigerung betrachtete die Klägerin als einen Verstoß gegen die vom EuGH in der

Rechtssache C-158/96 festgelegten Grundsätze. Anstatt gegen die Weigerung des

Mitgliedsstaates den Rechtsweg zu beschreiten, entschloss sie sich mit einer Petition

ihrem Anliegen vor dem Parlament des Mitgliedsstaates Geltung zu verschaffen. Sie war

der Auffassung, dass ihr Fall eine grundsätzliche Bedeutung habe und zudem auf höchster

nationaler politischer Ebene geklärt werden müsse.

24. Hierzu bediente sie sich der von dem Mitgliedsstaat bereitgestellten Möglichkeit eine

Petition online einzureichen. Dabei gab sie ihren Vor- und Familiennamen an und

schilderte detailliert ihren Gesundheitszustand vor und nach der Operation. Um ihrer

Petition noch mehr Gewicht zu verleihen, hob die Klägerin hervor, dass nur

„grundsätzlich“ davon ausgegangen werden kann, dass ihr Herzfehler beseitigt ist. Damit

stellte sie zur Debatte, dass es jederzeit zu einem Rückfall kommen könnte, der eine

erneute Behandlung erforderlich machen würde.

25. Das Formular zur Einreichung der Petition auf der Webseite des Parlaments des

Mitgliedsstaates informierte die Klägerin wie folgt:

26. „Die Namen der Verfasser der Petitionen und die der Petition zugewiesenen Nummer

werden in der Reihenfolge des Eingangs der Petitionen in ein Register aufgenommen und

im Plenum des Parlaments bekannt gegeben. Die Bekanntmachungen werden in das

Protokoll der betreffenden Sitzung aufgenommen. Die Petenten werden darüber

unterrichtet, dass Protokolle im Gesetzes Anzeiger veröffentlicht werden. Bestimmte

Details einschließlich des Namens des Petenten und der Nummer der Petition können

somit im Internet abgerufen werden. Dies zieht Folgen für den Schutz der

personenbezogenen Daten nach sich und die Betenden werden darauf ganz ausdrücklich

hingewiesen. Wenn sie als Petenten nicht wollen dass der Name bekannt gegeben wird,

dann wird das Parlament ihre Privatsphäre achten, aber solche Anträge müssen in ihrer

Petition eindeutig und ausdrücklich erwähnt werden. Auch wenn Sie wünschen dass Ihre

Petition vertraulich behandelt wird, sollte dies eindeutig beantragt werden. In der Regel

finden die Sitzung des Ausschusses für Petitionen öffentlich statt, und die Petenten können

auf Wunsch dabei sein, wenn ihre Petition erörtert wird. Der Ausschuss legt großen Wert

auf die Transparenz seiner Sitzung, die manchmal per Webstream übertragen werden. Der

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Ablauf der Sitzung kann also von jedem normalen PC aus über die Website des

Parlaments verfolgt werden. Die Ausschusssitzungen sind öffentlich und auf Antrag

können die Betenden in einer Sitzung teilnehmen, wenn ihre Petition behandelt wird.“

27. Im Anschluss an diese Erklärung wurden der Klägerin folgende Fragen gestellt: „Sind Sie

damit einverstanden, dass Ihre Petition öffentlich behandelt wird?“, sowie, „Sind Sie

damit einverstanden, dass ihr Name in ein öffentliches Register aufgenommen wird?“

28. Diese beiden Fragen bejahte die Klägerin, indem sie ein hierfür vorgesehenes Kästchen

neben der Frage anklickte.

29. Im Jahr 2014 fühlt sich die Klägerin durch die Tatsache, dass die Petition über das

Internet abrufbar ist und bei einer Suchanfrage mit ihrem Namen bereits äußerst früh

angezeigt wird, in ihrem Recht auf Datenschutz verletzt.

30. Sie befürchtet aufgrund des Inhaltes der Petition Nachteile für ihre politische Karriere.

Die Klägerin hat sich auch nach der Petition weiterhin politisch engagiert und steht

nunmehr als Kandidatin für die Präsidentschaft der Kommission zur Debatte.

31. Das nationale Gericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof des Europa

Instituts gemäß Art. 267 AEUV die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

32. a) Ist Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 95/467/EG des europäischen Parlaments und des Rates

vom 24. Oktober 1995 so auszulegen, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten

im Rahmen der Behandlung einer Petition durch ein nationales Parlament, mit der eine

Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht gerügt wird, „in den

Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts“ fällt?

33. b) Welche Anforderungen muss die Einwilligung der betroffenen Person erfüllen, wenn

ein gemischter Datensatz (bestehend aus persönlichen und sensiblen Daten) verarbeitet

wird?

34. c) Wie sind die Begriffe „Einwilligung ohne jeden Zweifel“ in Art. 7 Abs. 1 Buchst. a)

der Richtlinie und „ausdrückliche Einwilligung“ in Art. 8 Abs. 2 Buchst. a) der Richtlinie

auszulegen? Insbesondere: besteht ein qualitativer Unterschied zwischen der

„Einwilligung ohne jeden Zweifel“ und der „ausdrücklichen Einwilligung“ der

betroffenen Person? – Liegt im vorliegenden Fall die erforderliche Einwilligung vor?

35. d) Ist Art. 6 der Richtlinie so auszulegen, dass ein nationales Parlament auch dann

überprüfen muss, ob die Daten für die Verarbeitung erheblich sind und nicht über das

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Notwendige hinausgehen, wenn die betroffene Person ihre Zustimmung zur öffentlichen

Behandlung einer Petition gegeben hat?

36. e) Ist die Richtlinie, gegebenenfalls in Verbindung mit den Grundrechten so auszulegen,

dass ein Petent die Löschung einer auf der Internetseite des Parlaments veröffentlichten

Zusammenfassung seiner Petition – gegebenenfalls nach einem bestimmten Zeitraum –

verlangen kann?

!IV. Vorbemerkungen

!A - Einführung !37. In diesem Vorabentscheidungsverfahren geht es um die Frage, welche Verpflichtungen

sich für einen Webseitenurheber, hier: ein nationales Parlament bei der Verarbeitung bzw.

Veröffentlichung von Petitionen, hinsichtlich der Löschung personenbezogener Daten im

Lichte der geltenden Unionsrechtsakte zum Datenschutz, insbesondere der Richtlinie

95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rats vom 24. Oktober

1995, ergeben und wie selbige zu beurteilen sind.

38. Die Richtlinie 95/46/EG wurde zum Behufe des Datenschutzes unter Anpassung an die

sich aus dem technischen Fortschritt ergebenden neuen Erfordernisse erlassen. Neben

rein schriftlichen Daten umfasst sie deshalb auch die automatisierte Verarbeitung oder die

nach personenbezogenen Kriterien erfolgte Strukturierung neuerer Datenarten wie Bild-

oder Audiodateien. 6

39. Das Internet hat in den vergangenen 20 Jahren eine rasante Entwicklung genommen.

Viele sich heutzutage daraus ergebende Möglichkeiten, aber auch Probleme, waren zum

Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie noch nicht absehbar. Vor allem der Anstieg der

Datenmenge sowie der erleichterte Zugang zu und die erleichterte Verbreitung von

Informationen stellen den Gesetzgeber vor neue Herausforderungen. Dies hat eine

Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie zur Folge. 7

40. Zu prüfen bleibt überdies stets die Vereinbarkeit mit dem bestehenden Grundrecht auf

Schutz des Privatlebens, welches unter Datenschutzgesichtspunkten eine weite Auslegung

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vgl. Richtlinie 95/46/EG.6

vgl. Schlussantrag des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache C-131/12 "Google Spain".7

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e r f ä h r t . D i e s e r U m s t a n d s t e h t i m M i t t e l p u n k t d e s v o r l i e g e n d e n

Vorabentscheidungsverfahrens.

!B - Datenschutz und Verantwortlichkeit des Webseitenurhebers

!41. Der Begriff Datenschutz ist ein Sammelbegriff über die in verschiedenen Gesetzen zum

Schutz des Individuums angeordneten Rechtsnormen mit dem Ziel des Schutzes der

Privatsphäre vor unberechtigten Zugriffen von außen, sei es durch den Staat oder andere

Private, vor dem Hintergrund einer zunehmend automatisierten und computerisierten

Welt. 8

42. Laut einem Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichtes geht es um den "Schutz des

Einzelnen vor Beeinträchtigungen seines Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung,

kraft dessen jeder Bürger grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner

personenbezogenen Daten bestimmen darf (BVerfGE 65, 1).“ 9

43. "Die Handlung, die darin besteht, auf einer Internetseite auf verschiedene Personen

hinzuweisen und diese entweder durch ihren Namen oder auf andere Weise […]

erkennbar zu machen [stellt] eine ganze oder teilweise automatisierte Verarbeitung

personenbezogener Daten im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie [...] [dar]." Ergo ist 10

der Urheber einer Webseite, die personenbezogene Daten enthält, im Sinne der Richtlinie

für die Verarbeitung personenbezogener Daten verantwortlich.

44. Weiterhin ist dem Urteil Lindqvist zu entnehmen, dass es sich bei Angaben zur

Gesundheit um besonders sensible Daten im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie

handelt, deren Verarbeitung einer ausdrücklichen Zustimmung durch die betroffene

Person bedarf. 11

!!!

! von !9 30

vgl. http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/1663/datenschutz-v12.html, letzter Aufruf: 15.07.2014.8

vgl. http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/1663/datenschutz-v12.html, letzter Aufruf: 15.07.2014.9

EuGH, Lindqvist, C-101/01, Rn. 50.10

vgl. EuGH, Lindqvist, C-101/01, Rn. 50.11

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C - Ziel und Zweck von Petitionen und Datenschutz

!45. Das Unionsrecht kennt den Begriff der Petition. Nach Art. 24 Abs. 3 AEUV kann sich

„jeder Unionsbürger schriftlich in einer der in Art. 55 Abs. 1 des Vertrags über die

Europäische Union genannten Sprachen an jedes Organ oder jede Einrichtung wenden,

die in dem vorliegenden Artikel oder in Art. 13 des genannten Vertrages genannt ist, und

eine Antwort in derselben Sprache erhalten“.

46. Dieses Recht dient objektiv der Schaffung von Transparenz und Bürgernähe sowie der

politischen Kontrolle der europäischen Institutionen. Die Tragweite dieses Rechts hat der

EuGH bereits in der Rechtssache C-149/96 Portugal/Rat anerkannt.

47. Die Geschäftsordnung des beklagten Mitgliedsstaates Anthurien sieht ebenfalls ein

solches Petitionsrecht vor. Im Regelfall werden die eingereichten Petitionen zu

öffentlichen Dokumenten. Namen der Petenten sowie der Inhalt der Petition können vom

Parlament aus Transparenzgründen veröffentlicht werden. 12

48. Da es sich bei einer Petition um ein Instrument zur politischen Partizipation handelt, hat

die Öffentlichkeit ein großes Interesse an deren Veröffentlichung.

49. Auch Petitionen unterliegen den allgemeinen Bestimmungen zum Datenschutz. Bevor

eine Petition eingereicht werden kann, muss der Petent in die mit ihr einhergehende

Datenschutzerklärung ausdrücklich einwilligen. 13

50. Auch im vorliegenden Fall muss daher ein angemessenes und dem Grundsatz der

Verhältnismäßigkeit entsprechendes Gleichgewicht zwischen dem Schutz

personenbezogener Daten, festgehalten in Art. 8 GRC, und den berechtigten Interessen

der Öffentlichkeit sowie deren Recht auf Information, welches sowohl in Art. 10 der

Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zur Freiheit der Meinungsäußerung,

als auch in Art. 42 GRC implizit enthalten ist, gefunden werden.

!!!!

! von !10 30

vgl. Geschäftsordnung des Parlaments des Staates Anthurien.12

vgl. bspw. https://epetitionen.bundestag.de/epet/service.$$$.rubrik.datenschutz.html, letzter Aufruf: 13

15.07.2014.

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V. Erste Frage betreffend den Anwendungsbereich der Richtlinie

!A - Vorbemerkungen

51.Die erste Vorlagefrage betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 95/46/EG. Zu

prüfen ist, ob der vorliegende Fall den Anwendungsbereich der Richtlinie eröffnet.

52.Das vorlegende Gericht hat die Vorlagefrage gestellt, ob die Verarbeitung

personenbezogener Daten im Rahmen der Behandlung einer Petition durch ein nationales

Parlament, mit der eine Unvereinbarkeit des nationales Rechts mit Unionsrecht gerügt

wird, in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt.

!B - Zum Anwendungsbereich der Richtlinie

53. Artikel 3 Abs. 2 der Richtlinie sieht Fälle vor, bei denen die Richtlinie keine Anwendung

findet, beziehungsweise für jene „Ausübung von Tätigkeiten, die nicht in den

Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen wie beispielsweise Tätigkeiten

gemäß den Titeln V und VI des Vertrags über die Europäische Union (EUV) oder in

Fällen der Datenverarbeitung, die die öffentliche Sicherheit, die Landesverteidigung, die

Sicherheit des Staates oder Tätigkeiten des Staates im strafrechtlichen Bereich betreffen.

Außerdem findet die Richtlinie bei der Verarbeitung von Daten, die von einer natürlichen

Person zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten

vorgenommen werden keine Anwendung.

54. Für Petitionen, welche in den Aufgabenbereich eines nationalen Parlaments fallen, liegt

gemäß Art.3-5 AUEV die Zuständigkeit nicht beim Gemeinschaftsrechtsgesetzgeber.

Allerdings sind Petitionen gerichtet an nationale Parlamente, wie vom vorlegenden

Gericht angemerkt, nicht ausdrücklich zwischen den Tätigkeiten aufgelistet, für die die

Richtlinie zur Verarbeitung personenbezogener Daten keine Anwendung findet. Die in

Art. 3 Abs. 2 enthaltene Liste ist als abschließend zu betrachten. Hierfür spricht auch

Erwägungsgrund 13 der Richtlinie, der als Ausnahmen für die Anwendung der Richtlinie

lediglich die in den Titeln V und VI des Vertrags über die Europäische Union

festgehaltenen Bereiche erwähnt.

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55.Darüber hinaus stellt Artikel 3 Absatz 1 eine allgemeine Anwendbarkeit der Richtlinie „für

die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für

die nicht-automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einer Datei

gespeichert sind oder gespeichert werden sollen“ fest.

56.Zu beachten is t auch der „Erste Bericht über die Durchführung der

Datenschutzrichtlinie“ (KOM(2003) 265 vom 15.05.2003: hier hat die Europäische

Kommission eine sehr breite Wirkung der Richtlinie per se erklärt, da jede Person von der

Datenverarbeitung betroffen sei und es in jedem Wirtschaftszweig für die

Datenverarbeitung Verantwortliche gebe.

57.In Erwägung der vorstehend genannten Gründe sowie im Hinblick auf die Wichtigkeit des

Datenschutzes als Grundrecht (Art. 8 GRC) und der Notwendigkeit einer Harmonisierung

der nationalen Gesetze in diesem Bereich sind wir der Meinung, dass der Vorlagefall den

Anwendungsbereich der Richtlinie 95/46/EG eröffnet.

!VI. Zweite Fragengruppe betreffend die Anforderungen der Richtlinie an eine

Einwilligung

!Vorlagefrage b) betreffend die Anforderungen an die Einwilligung einer betroffenen Person

bei Verarbeitung eines gemischten Datensatzes:

!A - Vorbemerkungen

!58. Das nationale Gericht möchte wissen, wie eine Einwilligung einer betroffenen Person bei

der Verarbeitung eines gemischten Datensatzes beschaffen sein muss, d.h. in welchem

Umfang die Person über die Konsequenzen der Veröffentlichung aufgeklärt werden muss,

zu wie vielen Detailfragen sie ggf. ihre Zustimmung erteilen muss, vor allem aber in

welcher Form sie diese erteilen muss. Damit soll künftigen späteren Uneinigkeiten über

Zustimmungen oder ggf. auch Anträgen auf Löschung entgegengewirkt werden können.

Hierzu ist zunächst einmal eine Definition des Begriffes "gemischter Datensatz"

erforderlich.

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59. Ein gemischter Datensatz besteht aus personenbezogenen Daten und einer besonderen

Kategorie sensibler personenbezogener Daten. Wie in unseren Vorbemerkungen unter 14

Punkt IV. B bereits angesprochen, handelt es sich bei Angaben zum Gesundheitszustand

einer Person um besonders sensible Daten.

!!B - Zur Frage betreffend die Anforderungen an die Einwilligung einer betroffenen Person bei

Verarbeitung eines gemischten Datensatzes

!60. Die Richtlinie 95/46/EG sieht verschiedene Anforderungen für verschiedene Arten von

Daten vor. Zu diesem Zwecke unterscheidet sie die "Verarbeitung personenbezogener

Daten" in Art. 7 und die "Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten"

in Art.8.

61. Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch, dass Art. 7 in Form einer Erlaubnis, Art. 8

hingegen in Form eines Verbots formuliert ist.

62. Bei der Verarbeitung personenbezogener Daten genügt gemäß Art.7 Abs.1 Buchst. a eine

"Einwilligung ohne jeden Zweifel" durch die betroffene Person (sofern eine Erlaubnis der

Verarbeitung nicht bereits aus den Tatbeständen des Art.7 Abs.1 Buchst. b-f hervorgeht),

während bei der Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten gemäß

Art.8 Abs. 2 Buchst. a eine "ausdrückliche Einwilligung" durch die betroffene Person

erforderlich ist (sofern eine Erlaubnis der Verarbeitung nicht bereits aus den Tatbeständen

des Art.8 Abs. 2-4 hervorgeht).

63. Das Recht des Mitgliedsstaates sieht keine wie in Art. 8 Abs. 2 Buchst. a genannte

Vorschrift vor, welche die Verarbeitung der personenbezogenen Daten auch bei

ausdrücklicher Einwilligung durch die Person verbietet. 15

64. In einem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des

Europäischen Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung

personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung)

vom 25.01.2012 wird unter Erwägungsgrund 41 ausgeführt:

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vgl. Richtlinie 95/46/EG Art. 7 und 8.14

vgl. Datenschutzgesetz des Staats Anthurien.15

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65. „Personenbezogene Daten, die ihrem Wesen nach besonders sensibel und anfällig für

eine Verletzung von Grundrechten oder der Privatsphäre sind, bedürfen eines besonderen

Schutzes. Derartige Daten dürfen nicht ohne ausdrückliche Einwilligung der betroffenen

Person verarbeitet werden. Ausnahmen von diesem Verbot sollten im Bedarfsfall jedoch

ausdrücklich vorgesehen werden, insbesondere wenn die Verarbeitung im Rahmen

rechtmäßiger Tätigkeiten bestimmter Vereinigungen oder Stiftungen vorgenommen wird,

die sich für die Ausübung von Grundfreiheiten einsetzen“. 16

66. Deshalb sollten unseres Erachtens bei der Verarbeitung eines gemischten Datensatzes

höhere Anforderungen an die Einwilligung gelten, d.b. ein höheres Schutzniveau

bestehen, da ein gemischter Datensatz eben auch personenbezogene Daten einer

besonderen Kategorie und/oder auch sensible Daten enthalten kann. Aus diesem Grund

sollte Art. 8 der Richtlinie zur Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener

Daten auch auf einen gemischten Datensatz Anwendung finden.

!!Vorlagefrage c) zur Auslegung der Begriffe "Einwilligung ohne jeden Zweifel" in Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und "ausdrückliche Einwilligung" in Art. 8 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie: !A - Vorbemerkungen !67. Es geht hier insbesondere um die Frage, ob ein qualitativer Unterschied zwischen den

beiden Begrifflichkeiten „Einwilligung ohne jeden Zweifel“ und „ausdrückliche

Einwilligung“ besteht, was bei deren Bejahung weitreichende Konsequenzen für die

Rechtskonformität der Datenverarbeitung nach sich zieht.

68. Nach den in Art. 2 Buchst. h niedergelegten Kriterien ist es für die Gültigkeit einer

Einwilligung, d.h. Willensbekundung jedweder Art zunächst erforderlich, dass sie ohne

Zwang, für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage abgegeben wurde.

69. Im ersten Bericht der Kommission über die Durchführung der Datenschutzrichtlinie

(95/46/EG) (KOM(2003) 265 endgültig) wird bereits nahegelegt, dass die Bestimmungen

zur Einwilligung in Zukunft besser präzisiert werden und die Begrifflichkeiten

! von !14 30

Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates zum Schutz natürlicher 16

Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung) vom 25.01.2012.

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„Einwilligung ohne jeden Zweifel“ und „ausdrückliche Einwilligung“ , auch in Bezug auf

Online-Szenarios, näher erläutert werden sollen. 17

!B - Zur Frage ob und inwiefern ein qualitativer Unterschied zwischen der "Einwilligung ohne

jeden Zweifel" und der "ausdrücklichen Einwilligung" besteht

!70. Die Richtlinie 95/46/EG macht selbst keine weiteren Angaben zu den Begrifflichkeiten

„Einwilligung ohne jeden Zweifel“ und „ausdrückliche Einwilligung“ bzw. führt nicht

näher aus, wie selbige definiert werden.

71. Auch im Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des

Europäischen Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung

personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung)

vom 25.01.2012 findet keine Unterscheidung der in Rede stehenden Begrifflichkeiten

statt. Dennoch enthält sie eine Präzisierung des Begriffs „Einwilligung“:

72. „"Einwilligung der betroffenen Person" jede ohne Zwang, für den konkreten Fall und in

Kenntnis der Sachlage erfolgte explizite Willensbekundung in Form einer Erklärung oder

einer sonstigen eindeutigen Handlung, mit der die betroffene Person zu verstehen gibt,

dass sie mit der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten

einverstanden ist […].“ 18

73. Der Stellungnahme der Artikel-29-Datenschutzgruppe 15/2011 können jedoch

einschlägige Definitionen der zunächst problematisch erscheinenden Begrifflichkeiten

entnommen werden. Zur „Einwilligung ohne jeden Zweifel“ ist dort nachzulesen: „[…]

dass die für die Datenverarbeitung Verantwortlichen als Folge der Forderung nach einer

Einwilligung ohne jeden Zweifel, de facto dazu angehalten werden, Verfahren und

Mechanismen anzuwenden, die keinen Zweifel daran lassen, dass die Einwilligung erteilt

wurde. Dies kann entweder eine ausdrückliche Handlung der Person sein oder eine

Handlung der Person, aus der die Einwilligung eindeutig geschlossen werden kann.“ 19

! von !15 30

vgl. Artikel-29-Datenschutzgruppe: Stellungnahme 15/2011.17

Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates zum Schutz natürlicher 18

Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung) vom 25.01.2012, Art.4 Abs.8.

Artikel-29-Datenschutzgruppe: Stellungnahme 15/2011.19

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74. Die „ausdrückliche Einwilligung“ definiert sie wie folgt: „Juristisch gesehen umfasst eine

„ausdrückliche Einwilligung“ alle Situationen, in denen Personen ein Vorschlag gemacht

wird und sie einer bestimmten Verwendung oder der Offenlegung ihrer

personenbezogenen Daten entweder zustimmen oder diese ablehnen können und sie aktiv

entweder schriftlich oder mündlich auf die Frage antworten. Normalerweise wird die

ausdrückliche Einwilligung in Schriftform erteilt und handschriftlich unterzeichnet. Wenn

eine betroffene Person beispielsweise ein Einwilligungsformular unterzeichnet, in dem

eindeutig dargelegt wird, warum der für die Dat enverarbeitung Verantwortliche

personenbezogene Daten erheben und weiter verarbeiten möchte, liegt eine ausdrückliche

Einwilligung vor.“ 20

75. Zusammenfassend kann gefolgert werden, dass eine "Einwilligung ohne jeden Zweifel"

eine durch eine ausgeführte Handlung oder durch ein schlüssiges Verhalten implizite aber

ohne ausdrückliche Einwilligung erfolgte Einwilligung darstellt. Diese Art der

Willenserklärung ist konkludent. Eine "ausdrückliche Einwilligung" wiederum ist nicht

konkludent und geht von einem expliziten Akt der Willensbekundung aus.

76. Vor diesem Hintergrund wird konstatiert, dass im vorliegenden Fall des

Vorabentscheidungsverfahrens eine „ausdrückliche Einwilligung“ der Klägerin zur

Veröffentlichung ihrer Petition vorliegt, da sie durch das Anklicken eines Kästchens

hierzu aktiv ihre Zustimmung erteilt hat. Dass es sich beim Anklicken eines Kästchens

um eine „ausdrückliche Einwilligung“ handelt, geht sowohl aus dem Vorschlag für

Verordnung des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates zum Schutz

natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien

Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung) vom 25.01.2012, als auch aus den

Ausführungen der Stellungnahme 15/2011 der Artikel-29-Datenschutzgrupp eindeutig

hervor. So schreibt die Europäische Kommission in ihrem Verordnungsvorschlag bspw. in

Erwägungsgrund 25: „Die Einwilligung sollte explizit mittels einer geeigneten Methode

erfolgen, die eine ohne Zwang, für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage

abgegebene Willensbekundung der betroffenen Person in Form einer Erklärung oder

einer eindeutigen Handlung ermöglicht, die sicherstellt, dass der betreffenden Person

bewusst ist, dass sie ihre Einwilligung in die Verarbeitung personenbezogener Daten gibt,

etwa durch Anklicken eines Kästchens beim Besuch einer Internetseite und durch jede

! von !16 30

ebda.20

Page 17: Generalanwaltschaft des EuInGHEinführung: 1. „Vergessen ist Gefahr und Gnade zugleich“ sprach Theodor Heuss als erster Präsident der ... Suchmaschinenoptimierung werden Daten

sonstige Erklärung oder Verhaltensweise, mit der die betroffene Person in dem jeweiligen

Kontext klar und deutlich ihr Einverständnis mit der beabsichtigten Verarbeitung ihrer

personenbezogenen Daten signalisiert.“ 21

77. Die Artikel-29-Datenschutzgruppe führt hierzu aus, dass das Anklicken der Schaltfläche

nach Erhalt der einschlägigen Information eine ausdrückliche Einwilligung ohne jeden

Zweifel darstellt, da das Anklicken der Schaltfläche deutlich genug sei und keine Zweifel

daran lasse, dass die jeweilige Person tatsächlich dem gegebenen Sachverhalt zustimmen

möchte. 22

78. Überdies wird dieser Umstand auch gemäß Erwägungsgrund 17 der Datenschutzrichtlinie

für elektronische Kommunikation ausdrücklich anerkannt: „Die Einwilligung kann in

jeder geeigneten Weise gegeben werden, wodurch der Wunsch des Nutzers in einer

spezifischen Angabe zum Ausdruck kommt, die sachkundig und in freier Entscheidung

erfolgt; hierzu zählt auch das Markieren eines Feldes auf einer Internet-Website.“ 23

79. Infolgedessen schlagen wir dem Gerichtshof vor, den qualitativen Unterschied der beiden

Begrifflichkeiten „Einwilligung ohne jeden Zweifel“ und „ausdrückliche Einwilligung“

im Sinne der Anforderungen von Art.7 und 8 der Richtlinie hervorzuheben sowie im

Lichte der von der Artikel-29-Datenschutzgruppe vorgeschlagenen Definitionen zu

beurteilen, welche nahelegen, dass bei der „ausdrücklichen Einwilligung“ ein höheres

Schutzniveau der einer besonderen Kategorie zuzuordnenden personenbezogenen Daten

gewährleistet ist, als dies bei der „Einwilligung ohne jeden Zweifel“, die für die

Verarbeitung personenbezogener Daten erforderlich ist, der Fall ist.

!!!!!!!!

! von !17 30

Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates zum Schutz natürlicher 21

Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung) vom 25.01.2012, Erwägungsgrund 25.

vgl. Artikel-29-Datenschutzgruppe: Stellungnahme 15/2011.22

Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation, Erwägungsgrund 17.23

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C - Zur Frage ob im vorliegenden Fall des Vorabentscheidungsverfahrens die erforderliche

Einwilligung vorliegt

!80. Von der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts ist deren Anwendung auf den

konkreten Fall d.h. die Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter dieser Vorschrift,

zu unterscheiden. Letztere fällt aufgrund der strikten Aufgabenverteilung zwischen

vorlegenden Gericht und dem EuInGH im Rahmen des Art. 267 AEUV allein in die

Zuständigkeit des nationalen Gerichts. 24

81. Das Vorabentscheidungsverfahren ist, wie aus der Rechtsprechung des EuGH hervorgeht,

ein Instrument der richterlichen Zusammenarbeit und soll zu einem „Dialog der

Richter“ auf europäischer Ebene führen. Der EuInGH erklärt lediglich in dem 25

Zwischenverfahren der Vorabentscheidung abstrakt die ihm vorgelegten

entscheidungserheblichen Fragen zur Auslegung des Unionsrechts. 26

82. Dies führt dazu, dass sich auch der Gerichtshof des Europa Instituts nicht zu der vom

Verwaltungsgericht Schwarzburg vorgelegten Frage, ob in diesem Fall die erforderliche

Einwilligung der Klägerin vorliegt, äußern kann.

83. Dennoch scheint uns an dieser Stelle die Tendenz dahin zu gehen: Im vorliegenden

Vorabentscheidungsverfahren hat die Klägerin durch Anklicken einer Schaltfläche ihre

„ausdrückliche Einwilligung“ erteilt. Zuvor wurde sie auf die Veröffentlichung ihrer

Petition und der damit einhergehenden Veröffentlichung einzelner personenbezogener

Daten hingewiesen. Außerdem möchten wir hier darauf aufmerksam machen, dass bei

Petitionen die Veröffentlichung generell im Sinne und der Natur der Sache liegt. Überdies

hat die Klägerin nicht von ihrem nationalen Recht Gebrauch gemacht, einen

entsprechenden Antrag auf vertrauliche Behandlung ihrer Petition zu stellen. 27

84.Die Frage wäre mit nein zu beantworten insofern lediglich eine „Einwilligung ohne jeden

Zweifel“ nach Art. 7 vorläge, die Klägerin ihre ausdrückliche Einwilligung unter Zwang

abgegeben hätte (vgl. Art.2 Buchst. h), sie keine Wahlmöglichkeit gehabt hätte (vgl.

! von !18 30

vgl. insb. EuGH verb. Rs. 28-30/62, Da Costa et. al./niederländische Finanzverwaltung, Slg. 1963, 63, 81; 24

EuGH C-297/88 und C-197/89, Dzodzi/État Belge, Sog 1990, I-3763 Rn 36.

EuGH Rechtssache 6/64, Costa/E.N.E.L., Slg 1964, 1251, 1269.25

Schwarze, EU Kommentar, 3. Auflage, AEUV Art. 267, Rn. 4.26

vgl. hierzu Art. 8 Abs. 2 Buchst. a und e der Richtlinie 95/46/EG.27

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Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates zum

Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum

freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung) vom 25.01.2012, Erwägungsgrund

33), die Einwilligung nicht in Kenntnis der Sachlage oder für den konkreten Fall erfolgt

wäre (vgl. Art. 2 Buchst. h) oder sie nicht ausreichend über die Konsequenzen ihrer

Einwilligung aufgeklärt worden wäre. Unseres Erachtens war dies hier nicht der Fall.

!!VII. Dritte Frage betreffend einer Prüfpflicht nationaler Parlamente hinsichtlich der

Erheblichkeit der Daten !!A – Vorbemerkungen !85. Die dritte Vorlagefrage bezieht sich auf Art. 6 der Richtlinie 95/46/EG zu den

Grundsätzen, die sich im Hinblick auf die Qualität der Daten ergeben.

86. Das nationale Gericht möchte wissen, ob ein nationales Parlament auch dann überprüfen

muss, ob die Daten für die Verarbeitung erheblich sind und nicht über das Notwendige

hinausgehen, wenn die betroffene Person ihre Zustimmung zur öffentlichen Behandlung

einer Petition gegeben hat.

87. Fraglich ist indes insbesondere, ob eine Petition, deren Veröffentlichung im Interesse der

Allgemeinheit liegt, einen Sonderfall darstellen könnte, da hierbei die Interessen der

Petentin mit denen der Öffentlichkeit gegeneinander abgewogen werden müssen.

!B – Prüfpflicht hinsichtlich der Erheblichkeit der Daten

!88. Generell verpflichtet Art. 6 der Richtlinie 95/46/EG dazu personenbezogene Daten nach

Treu und Glauben und auf rechtmäßige Weise zu verarbeiten und diese nur für festgelegte

eindeutige und rechtmäßige Zwecke zu erheben. Des Weiteren müssen die verarbeiteten

personenbezogenen Daten den Zwecken entsprechen, für die sie erhoben und/oder

weiterverarbeitet werden, dafür erheblich sein und nicht darüber hinausgehen. Außerdem

müssen sie sachlich richtig und, wenn nötig, auf den neuesten Stand gebracht sein und

dürfen nicht länger, als es für die Realisierung der Zwecke, für die sie erhoben oder

! von !19 30

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weiterverarbeitet werden, erforderlich ist, in einer Form aufbewahrt werden, die die

Identifizierung der betroffenen Personen ermöglicht. 28

89. Zuvor wird in Erwägungsgrund 30 der Richtlinie 95/46/EG bereits dargelegt: „Die

Verarbeitung personenbezogener Daten ist nur dann rechtmäßig […] oder wenn sie im

Interesse einer anderen Person erforderlich ist, vorausgesetzt, dass die Interessen oder

die Rechte und Freiheiten der betroffenen Person nicht überwiegen.“ 29

90. In seinem Urteil „google Spain“ führt der Gerichtshof weiterhin aus, dass die Interessen

des „für die Verarbeitung Verantwortlichen“ oder eines Dritten, für den die Verarbeitung

erfolgt, und die Interessen der betroffenen Person abzuwägen sind. 30

91. Ausnahmeregelungen für die aus Art. 6 resultierenden Verpflichtungen ergeben sich

lediglich nach den Bestimmungen des Art. 13., wonach Beschränkungen nur aus Gründen

der Staatssicherheit, der Landesverteidigung, der öffentlichen Sicherheit, der Verhütung,

Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten oder Verstößen gegen die

berufsständischen Regeln bei reglementierten Berufen, zum Schutz der betroffenen

Person und deren Rechte und Freiheiten sowie bei Bestehen eines wichtigen

wirtschaftlichen oder finanziellen Interesses eines Mitgliedstaats oder der Europäischen

Union zulässig sind. 31

92. Ähnliche Regelungen finden sich in der Konvention des Europarats zum Schutz von

Individuen bezüglich der Verarbeitung personenbezogener Daten von 1981 (“the Data

Protection Convention”).

!C – Prüfpflicht nationaler Parlamente hinsichtlich der Erheblichkeit der Daten bei

Petitionen, deren öffentlicher Behandlung der Petent/die Petentin zugestimmt hat

!93. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in seinem Urteil S.and

Marper/Großbritannien vom 04. Dezember 2008 zu von staatlichen Stellen gespeicherten

Daten Folgendes festgehalten: ”The domestic law must afford appropriate safeguards to

! von !20 30

vgl. Richtlinie 95/46/EG Art.6.28

Richtlinie 95/46/EG Erwägungsgrund 30.29

vgl. Urteil Google Spain, C-131/12, Rn. 96.30

vgl Richtlinie 95/46/EG Art.13.31

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prevent any such use of personal data as may be inconsistent with the guarantees of this

Article [Artikel 8 EMRK] […]. The need for such safeguards is all the greater where the

protection of personal data undergoing automatic processing is concerned, not least when

such data are used for police purposes. The domestic law should notably ensure that such

data are relevant and not excessive in relation to the purposes for which they are stored;

and preserved in a form which permits identification of the data subjects for no longer

than is required for the purpose for which those data are stored.” 32

58.Vor dem Hintergrund des Art. 6 EUV respektiert der EuGH die Rechtsprechung des

EGMR und wendet die Rechtsgrundsätze entsprechend um eine einheitliche

Grundrechtswerteordnung in Europa zu etablieren.

94. Vier Jahre zuvor befasste sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits in

seinem Urteil Caroline von Hannover/Deutschland mit der Frage inwieweit ein Foto

(sowie auch ein personenbezogenes Datum) zu einer Debatte beiträgt, für die ein

Allgemeininteresse geltend gemacht werden kann. Der EGMR entschied zu Gunsten der

Beschwerdeführerin wie in ähnlichen von ihm gewürdigten Rechtssachen, dass im

vorliegenden Fall die Veröffentlichung der streitgegenständlichen Fotos und Artikel, die

nur dem Zweck dienten, die Neugier eines bestimmten Publikums im Hinblick auf

Einzelheiten aus dem Privatleben der Beschwerdeführerin zu befriedigen, trotz des

Bekanntheitsgrads der Beschwerdeführerin nicht als ein Beitrag zu einer Debatte von

allgemeinem gesellschaftlichen Interesse angesehen werden kann. Der EGMR folgert,

dass unter diesen Voraussetzungen die freie Meinungsäußerung eine weniger weite

Auslegung gebiete. 33

95. Der Deutsche Bundestag beispielsweise unterliegt den Bestimmungen des nationalen

Telemediengesetzes. Dies wird auch im Zusammenhang mit Petitionen ausdrücklich

erwähnt. Das Telemediengesetz wiederum fußt auf den geltenden Vorschriften zum

Schutz personenbezogener Daten. Daraus kann abgeleitet werden, dass auch beim

Deutschen Bundestag Petitionen einer Prüfpflicht hinsichtlich der Erheblichkeit der Daten

besteht.

! von !21 30

EGMR: Urteil S. and Marper/Großbritannien, Nr. 30562/04 und 30566/04.32

vgl. EGMR: Urteil Caroline von Hannover/Deutschland, Nr. 59320/00. 33

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96. Eine rechtskonforme Prüfpflicht bei der Verarbeitung personenbezogener Daten im

Hinblick auf Petitionen könnte im Sinne der Richtlinie 95/46/EG, auch und insbesondere

bei Online-Verfahren, folgendermaßen aussehen: Nachdem der Petent/die Petentin ihre

ausdrückliche Einwilligung zur Veröffentlichung ihrer Petition erteilt hat, erstellt die

zuständige Stelle des Petitionsausschusses eine Zusammenfassung, wobei sie jegliche

personenbezogene Daten auf ihre Relevanz und Erheblichkeit prüft. Diese

Zusammenfassung wird vor der schließlich erfolgenden Veröffentlichung nochmals an

den betreffenden Petenten/die betreffende Petentin versandt und dessen/deren

abschließende ausdrückliche Einwilligung zu genau diesem Dokument eingeholt. Dieses

"doppelte opt-in-Verfahren" stellt den Schutz personenbezogener Daten in hohem Maße

sicher und beugt nachträglichen Widerrufen vor.

97. Aus diesen Gründen sind wir der Auffassung, dass auch nationale Parlamente sowie auch

Petitionen einer Prüfpflicht gemäß Art.6 der Richtlinie 95/46/EG unterworfen sind, da

keine Ausnahmeregelung nach Art. 13 geltend gemacht werden kann. Die ausdrückliche

Zustimmung der Petentin zur Veröffentlichung ihrer Petition enthebt die für die

Verarbeitung der Daten verantwortliche Stelle nicht ihrer Prüfpflicht ob der Relevanz der

verarbeiteten Daten. !!!VIII. Vierte Frage bezüglich eines der betroffenen Person zustehenden Rechts auf

Löschung einer veröffentlichten Petition, ggf. nach einem bestimmten Zeitraum. !A - Vorbemerkungen

!99. Mit Vorlagefrage e) möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie auch in

Verbindung mit den Grundrechten dahingehend auszulegen ist, dass eintretend die

Löschung einer auf der Internetseite eines Parlaments veröffentlichten Zusammenfassung

einer Petition – gegebenenfalls auch nach einem bestimmten Zeitraum – verlangen kann.

100. Somit ist die Frage zu klären, ob das Datenschutzrecht auch als Kontrollinstrument für

die Betroffenen hinsichtlich ursprünglich legitimer Veröffentlichungen dienen kann.

! von !22 30

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101.Aufgrund des prominenten Status der Klägerin im Ausgangsverfahren wird zu klären

sein, ob datenschutzrechtliche Widerspruchs- bzw. Löschungsansprüche hierdurch

beeinflusst werden.

!B – Recht auf Löschung aus dem Widerspruchsrecht des Art. 14 der Richtlinie 95/46/EG

!102.Die Richtlinie 95/46/EG sieht in Art. 14 (1) lit. a) vor, dass die Mitgliedsstaaten das Recht

anerkennen, dass die betroffenen Personen jederzeit aus überwiegenden, schutzwürdigen,

sich aus ihrer besonderen Situation ergebenden Gründen gegen die Verarbeitung der

Daten Widerspruch einlegen können. Dieses Recht hat der Mitgliedsstaat durch die

Einführung des Art. 9 des nationalen Datenschutzgesetzes des Staates Anthurien

umgesetzt.

103.Das Recht, einer Datenverarbeitung zu widersprechen besteht auch dann, wenn die

ursprüngliche Verarbeitung auf einer ausdrücklichen Einwilligung ohne jeden Zweifel im

Sinne des Art. 7 Absatz 1Buchst. a) der Richtlinie beruht.

104.Zwar sieht die Richtlinie ein solches Recht nur explizit in den Fällen des Art. 7 Buchst. e)

und f) 46/95/EG vor, doch der Wortlaut „zumindest“ („at least“, „au moins“, „pelo

menos“ – insoweit sind diese auch einheitlich) lässt einen Widerspruch auch in anderen

Fällen offen. Dieses Recht entspringt dem Grundsatz der informationellen

Selbstbestimmung, der den betroffenen Personen jederzeit die Herrschaft über die sie

betreffenden personenbezogenen Daten garantieren soll.

105.Widerspricht eine Person der weiteren Verarbeitung von Daten, so kann diesem Recht in

der Regel nur effizient nachgekommen werden, indem die maßgebenden Daten aus dem

Verarbeitungsprozess entfernt – also gelöscht werden. Insoweit gewährt das

Widerspruchsrecht auch ein Recht auf Löschung.

106.In diesem Vorlageverfahren stellt sich die Frage, inwieweit die Herrschaft über eine durch

einen Mitgliedsstaaten veröffentlichte Petition gehen kann.

107.Erforderlich ist daher eine Konkretisierung der Widerspruchsvoraussetzungen, nämlich

der überwiegenden, schutzwürdigen, sich aus ihrer besonderen Situation ergebenden

Gründe. Eine solche Konkretisierung kann über die Abwägung der maßgebenden

Grundrechte erreicht werden.

!! von !23 30

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C – Die maßgebenden Grundrechte

!108.Ein maßgebendes Grundrecht in dieser Rechtssache ist das Recht auf Datenschutz aus

Art. 8 GRC. Das Grundrecht auf den Schutz personenbezogener Daten steht jedermann

zu. Zudem dürfen Daten nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit

Einwilligung der betroffenen Person oder einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen

Grundlage verarbeitet werden. Zudem gewährt die Charta auf Grundrechtsebene das

Recht, Auskunft über erhobene Daten, sowie gegebenenfalls die Berichtigung derselben

zu erwirken.

109.Ergänzend steht neben Art. 8 GRC als lex generalis das Recht auf Privatsphäre aus Art. 7

GRC. zwar verdrängt Art. 8 GRC den Art. 7 GRC für den Bereich des Datenschutzes , 34

doch wirken die grundsätzlichen Erwägungen des Persönlichkeitsrechtsschutzes im

Grundrecht auf Datenschutz fort.

110.Demgegenüber steht das Grundrecht auf Informationsfreiheit, welches die Charta in Art.

11 GRC vorsieht. Art. 11 Abs. 1 Satz 2 GRC schließt die Freiheit ein, Informationen und

Ideen ohne behördliche Eingriffe und Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und

weiterzugeben.

111.Für die Abwägung ohne Bedeutung bleibt jedoch das Grundrecht der Meinungsfreiheit

aus Art. 11 Abs. 1 Satz 1 GRC. Durch die Löschung einer Petition von der Webseite eines

Parlaments kann schon der Natur eines Grundrechts nach kein Eingriff in die

Meinungsfreiheit des Parlaments als staatlicher Stelle stattfinden. Grundrechte sind in

erster Linie Abwehrrechte der Bürger gegen den Staat, weswegen sich staatliche Stellen

grundsätzlich nicht auf Grundrechte berufen können. Somit handelt es sich hier um die

Abwägung zwischen Individual- und Allgemeininteressen.

!D – Das Recht auf Datenschutz im Verhältnis zur Informationsfreiheit

!112.Mit seinem Urteil vom 13.05.2014 hat der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache

C-131/12 „Google Spain“ zum Verhältnis des Rechts auf Datenschutz aus Art. 8 GRC und

dem Recht auf Informationsfreiheit aus Art. 11 GRC Stellung bezogen.

! von !24 30

Schwarze, EU-Kommentar, 3. Auflage, GRC Art. 8, Rn. 5 m.w.N..34

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113.Grundsätzlich überwiegt das Interesse einer von einer Datenverarbeitung betroffenen

Person auf Wahrung der Privatsphäre das wirtschaftliche Interesse eines

Suchmaschinenbetreibers, sowie das Interesse der Allgemeinheit auf Verfügbarkeit von

Informationen.

114.Die Generalsanwaltschaft ist nach wie vor der Auffassung, dass ein Recht auf Löschung

in einem derartigen Dreiecksverhältnis zu nicht abzusehenden Eingriffen in die Freiheit

der Meinungsäußerung der Webseiten Urheber führt, die zudem ohne angemessenen

Rechtsschutz bleiben . In einem Zwei-Personen-Verhältnis, also der Geltendmachung 35

eines Rechts auf Löschung gegenüber dem Urheber einer Website selbst bestehen vor

dem Hintergrund der seitens der Generalsanwaltschaft in den Schlussanträgen zur

Rechtssache Google Spain geäußerten Auffassung keine Bedenken hinsichtlich der

Anwendung der durch den EuGH aufgestellten Grundsätze.

115.Daher stellt sich die Frage, ob der Gerichtshof des Europa Institutes hinsichtlich dieser

Frage von dem in Art. 104 § 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs eingeräumten

Recht Gebrauch machen sollte, da sich die Antwort auf die Vorlagefrage möglicherweise

klar aus der bisherigen Rechtsprechung ableiten lässt.

116.Die Klägerin wendet sich im Ausgangsverfahren aber nicht gegen einen

Suchmaschinenbetreiber, obwohl sie angegeben hat, dass maßgebend ist, dass die Petition

sehr früh in den Ergebnissen von Google auftaucht. Sie wendet sich unmittelbar gegen die

veröffentlichende Stelle der Petition. Sie verzichtet somit auf die Geltendmachung des

vom EuGH anerkannten Löschungsanspruchs gegen den Suchmaschinenbetreiber und

wendet sich unmittelbar an die veröffentlichende Stelle.

117.Schon aufgrund dieses maßgebenden Unterschiedes können die Grundsätze aus der

vorgezeichneten Rechtssache nicht ohne weiteres auf dieses Vorabentscheidungsverfahren

angewandt werden. Adressat des Anspruches ist hier das Parlament eines

Mitgliedsstaates, also eine öffentliche Stelle – kein privates Wirtschaftsunternehmen.

118.Entscheidend ist hier die Frage, wie sich das Recht aus Art. 8 GRC auf Schutz der

personenbezogenen Daten in Abwägung zu dem Recht aus Art. 11 GRC, also der

Informationsfreiheit der Allgemeinheit besonders im Lichte der parlamentarischen Arbeit

der nationalen Parlamente verhält.

! von !25 30

Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache C-131/12, Rn. 134.35

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119.Selbst wenn man dabei von dem durch den EuGH aufgestellten Grundsatz ausgeht , so 36

muss zumindest die Frage gestellt werden, ob dieser Grundsatz auch im Hinblick auf die

parlamentarische Arbeit eines Mitgliedstaates anwendbar ist.

120.Dies hat folgenden Grund: Inhalt und Gegenstand des Petitionsrechts umfassen das Recht

der Berechtigten, sich mit Bitten und Beschwerden an einer staatlichen Stelle zu wenden,

wobei keine besonderen Formerfordernisse beachtet werden müssen. Dieses Recht geht

über das Recht zur freien Meinungsäußerung hinaus und umfasst einen Anspruch

gegenüber der staatlichen Stelle auf Behandlung (Entgegennahme, inhaltliche Prüfung)

der Petition und auf begründete Bescheidung des Petenten, nicht jedoch auf Erfüllung des

vorgebrachten Interesses. Das Petitionsrecht ist also ein Individualrecht, was ein

Parlament dazu zwingt, tätig zu werden.

121.Weil die Geltendmachung des Petitionsrechts dazu führt, dass das vom Volk gewählte

Parlament seine Zeit für einen, von einem Einzelnen bestimmten Zweck nutzt, entsteht

gleichzeitig ein Interesse der Allgemeinheit, zu erfahren, womit sich das Parlament

hierbei beschäftigt hat.

122.Dieses Recht geht jedoch grundsätzlich nicht so weit, als dass neben der Information über

die Tätigkeit des Parlamentes auch die Identität des Betenden bereitgehalten werden

muss. Die Identität des Petenten liegt grundsätzlich nicht im Interesse der Allgemeinheit,

da sich das von der Informationsfreiheit bedeckte Allgemeininteresse auf die

parlamentarische Arbeit als solche bezieht.

123.Das bedeutet, dass bei einem parlamentarischen Prozess wie dem der Petition kann das

Recht auf Widerspruch hinsichtlich einer Datenverarbeitung personenbezogener Daten

sich also nicht auf die Petition als Ganzes beziehen. Der Petent verliert mit Abgabe der

Petition an die staatliche Stelle die Herrschaftsgewalt über dieses Dokument. Dies

schließt jedoch nicht das Recht aus, jederzeit die Löschung seiner persönlichen Daten aus

der Petitionsschrift zu verlangen.

124.Personenbezogene Daten sind für die Durchführung einer Petition nur insoweit

erforderlich, als sie für die Bescheidung des Petenten über die parlamentarische

Entscheidung genutzt werden müssen.

125.Die Petition selbst kann von den Mitgliedsstaaten solange vorgehalten werden, wie diese

es für die Wahrung von Transparenz im parlamentarischen Prozess für erforderlich halten.

! von !26 30

EuGH Rechtssache C-131/12 – Google Spain, Rn. 97.36

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Zweifelsohne wird dieser Zeitraum kaum länger als 3-4 Legislaturperioden sein, da das

öffentliche Interesse an der Arbeit eines parlamentarischen Petitionsausschusses schon

aufgrund der mit der Zeit immer geringer werdenden tatsächlichen Relevanz immer

weiter abnehmen dürfte.

126.In der Rechtssache Google Spain hat der EuGH jedoch ausdrücklich die Möglichkeit

offen gehalten , dass aus besonderen Gründen ein Recht auf Widerspruch versagt bleiben 37

muss. An dieser Stelle explizit genannt wurde die Rolle der betreffenden Personen Im

öffentlichen Leben die das Widerspruchsrecht geltend macht. das bedeutet, dass auch hier

das Recht auf Privatsphäre der Person durch ihren Status in der Öffentlichkeit an anderes

Gewicht bekommen kann, als es der Grundsatz des europäischen Gerichtshofes vorsieht.

127.Auf das Recht auf Achtung der Privatsphäre können sich auch prominente Personen

berufen. Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens dürfen wie andere ebenfalls die

legitime Erwartung hegen, dass ihr Privatleben geschützt und geachtet wird. So entschied

der europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Rechtssache Caroline von

Hannover gegen Deutschland . 38

128.In dieser Entscheidung war entscheidendes Kriterium der Abwägung, inwieweit ein Foto

zu einer Debatte beiträgt für die ein Allgemeininteresse geltend gemacht werden kann.

Ein Foto ist ebenso wie der Name einer Person ein personenbezogenes Datum im Sinne

der Richtlinie.

129.In Anwendung dieser Rechtsprechung führt dies dazu, dass soweit die

personenbezogenen Daten in einer Petition zu einer Debatte beitragen, für die ein

Allgemeininteresse geltend gemacht werden kann, das Interesse an einer Löschung des

Betroffenen nicht per se überwiegt.

130.Hieraus lässt sich ableiten, dass die Verarbeitung von Daten grundsätzlich zulässig ist,

sofern Sie einer Person des öffentlichen Lebens in Ausübung ihrer Amtsfunktion

betreffen. Vor dem Hintergrund der Transparenzpflichten die der EuGH den Institutionen

der Europäischen Union, sowie den parlamentarischen Prozessen der Mitgliedstaaten

auferlegt, dürfte sich die grundsätzliche Zulässigkeit einer Datenverarbeitung nicht nur

auf die Ausübung einer Amtsfunktion einer Person des öffentlichen Lebens beziehen.

! von !27 30

EuGH Rechtssache C-131/12 – Google Spain, Rn. 99.37

EGMR, Urteil vom 24. Juni 2004 – Beschwerde Nr. 59320/00 .38

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131.Auch bereits für einen Zeitpunkt, wo eine Person noch keine Person des öffentlichen

Lebens ist und demnach noch kein Amt ausübt, kann die Relevanz hinsichtlich einer

Debatte mit Allgemeininteresse entstehen. Als Beispiel hierfür kann die im Mitgliedsstaat

der Bundesrepublik Deutschland vertretene Rechtsprechung hinsichtlich des

überwiegenden öffentlichen Interesses einer ehemaligen Stasi Aktivität einer Person

angeführt werden.

132.Vergleichbares folgt aus der Anwendung des europäischen Primärrechts, das weitgehende

Transparenzpflichten hinsichtlich der politischen Institutionen postuliert. Nichts anderes

gilt auch für die Vertreter dieser politischen Institutionen. Die Europäische Union steht für

Transparenz. Kaum eine politische Institution verlangt derart weitgehende Offenlegung,

wie es zum Beispiel in Bezug auf die Abgeordneten des Europaparlaments ist der Fall ist.

133.Das Unionsrecht geht also insgesamt davon aus, dass die Bekleidung eines öffentlichen

Amtes innerhalb der EU mit erheblichen Transparenzpflichten verbunden ist. Daraus

folgt, dass grundsätzlich ein öffentliches Interesse an der politischen Vergangenheit einer

in der Europäischen Union politisch aktiven Person besteht. Das schließt auch die 39

Anfänge dieser Tätigkeit, beispielsweise durch die Durchführung einer Petition mit ein.

134.Dies wird auch grundsätzlich nicht dann ausgeschlossen, wenn die Person hierbei über

sensible Daten disponiert, um einem politischen Vorhaben mehr Gewicht zu verleihen.

135.Sofern der Gerichtshof des Europa Institutes diese Vorlagefrage des Verwaltungsgerichtes

Schwarzburg entsprechend der Empfehlung der Generalanwaltschaft dahingehend

beantwortet, dass dem nationalen Gericht keine Möglichkeit bleibt, der Klägerin ein

Recht auf Löschung zuzusprechen, so stellt es diese keineswegs schutzlos. Der Grundsatz

der Verhältnismäßigkeit des Primärrechts bliebe gewahrt.

136.Der EuGH hat in der Rechtssache Google Spain das grundsätzliche Recht anerkannt,

auch rechtmäßig veröffentlichte, in Google einbezogene Links löschen zu lassen. Somit

steht der Klägerin im Ausgangsverfahren das Recht zu, den sie betreffenden Link aus den

Google Suchergebnissen streichen zu lassen.

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Rechtssache C-149/96 – Portugal/Rat.39

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D - Zur Frage, ob ein Petent die Löschung einer auf der Internetseite eines Parlaments

veröffentlichten Zusammenfassung seiner Petition – gegebenenfalls nach einem bestimmten

Zeitraum – verlangen kann

!137.Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist die Generalanwaltschaft der Ansicht, dass

einem Petenten grundsätzlich das Recht zustehen kann, die Löschung einer auf der

Internetseite eines Parlaments veröffentlichten Zusammenfassung seiner Petition zu

verlangen.

138.Aus dem Grundsatz der informationellen Selbstbestimmung folgt, dass dieses Recht auch

geltend gemacht werden kann, wenn die Veröffentlichung auf einer ausdrücklichen

Einwilligung ohne jeden Zweifel beruht.

139.Dieses Recht steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass der Inhalt der Petition nicht etwa

Gegenstand des noch andauernden parlamentarischen Vorgangs oder einer noch

fortwährenden Debatte im öffentlichen Interesse ist.

140.Aufgrund der potenziell historischen Bedeutung kann nicht pauschal bestimmt werden,

wann ein Zeitpunkt erreicht sein soll, an dem eine Datenverarbeitung im Sinne einer

Petition unzulässig wird.

141.Das Gewicht der Informationsfreiheit im Sinne eines legitimen öffentlichen Interesse an

der Petition schwindet aber in dem Maße, in dem die Aktualität und politische Relevanz

der Petition abnimmt und im Laufe der Zeit auch das Interesse an der Transparenz

zurückliegender parlamentarischer Vorgänge abnimmt.

142.Die Generalanwaltschaft schlägt daher vor, die Vorlagefrage e) dahingehend zu

beantworten, dass ein Petent grundsätzlich die Löschung der Zusammenfassung seiner

Petition von der Internetseite, bzw. entsprechend die Streichung bzw. Anonymisierung der

sie identifizierenden Daten verlangen kann. Dieses Recht überwiegt das Interesse der

Allgemeinheit aber nur dann, wenn die veröffentlichten Daten nicht zu einer Debatte im

Allgemeininteresse beitragen können. Das legitime öffentliche Interesse verliert jedoch in

dem Maße an Gewicht, in dem die Aktualität und politische Relevanz der Petition

abnimmt und zudem nicht mehr dem Interesse der Transparenz legislative Vorgänge in

vollem Umfang Rechnung getragen werden muss.

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IX. Ergebnis !1. Nach alledem sind wir der Meinung, dass der Gerichtshof auf die vom

Verwaltungsgericht Schwarzburg (Anthurien) vorgelegten Fragen wie folgt antworten sollte:!a) Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie ist dahingehend auszulegen, dass die Verarbeitung

personenbezogener Daten im Rahmen der Behandlung einer Petition durch ein nationales Parlament, mit der eine Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit Unionsrecht gerügt wird, „ in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts“ fällt. !

b) Die Anforderungen an die Einwilligung einer betroffenen Person hinsichtlich eines gemischten Datensatzes sind wegen des erforderlichen, höheren Schutzniveaus an Art.8 der Richtlinie zu messen. !

c) Die Begriffe "Einwilligung ohne jeden Zweifel" und "ausdrückliche Einwilligung" sind dahingehend auszulegen, dass ein qualitativer Unterschied sowie die sich daraus ergebenden differierenden Anforderungen deutlich werden. Eine "Einwilligung ohne jeden Zweifel" stellt eine durch eine ausgeführte Handlung oder durch ein schlüssiges Verhalten implizite aber ohne ausdrückliche Einwilligung erfolgte Einwilligung dar. Diese Art der Willenserklärung ist konkludent. Eine "ausdrückliche Einwilligung" wiederum ist nicht konkludent und geht von einem expliziten Akt der Willensbekundung aus. Die Beurteilung, ob im vorliegenden Fall die entsprechend notwendige Einwilligung vorliegt, ist allein Sache des vorlegenden nationalen Gerichts. !

d) Art. 6 der Richtlinie 95/46/EG ist dahingehend auszulegen, dass auch nationale Parlamente sowie auch Petitionen einer Prüfpflicht im Hinblick auf die Erheblichkeit personenbezogener Daten unterworfen sind, da keine Ausnahmeregelung nach Art. 13 geltend gemacht werden kann. !

e) Die Richtlinie 95/46/EG kann in Verbindung mit den Grundrechten der Art. 7 und 8 der Charta dahingehend ausgelegt werden, dass ein Petent grundsätzlich die Löschung der Zusammenfassung seiner Petition von der Internetseite, bzw. entsprechend die Streichung bzw. Anonymisierung der sie identifizierenden Daten verlangen kann. Dieses Recht überwiegt das Interesse der Allgemeinheit aber nur dann, wenn die veröffentlichten Daten nicht zu einer Debatte im Allgemeininteresse beitragen können. Das legitime öffentliche Interesse verliert jedoch in dem Maße an Gewicht, in dem die Aktualität und politische Relevanz der Petition abnimmt und zudem nicht mehr dem Interesse der Transparenz legislativer Vorgänge in vollem Umfang Rechnung getragen werden muss.

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