George Orwell 2017 - StV Strafverteidiger · George Orwell lsst grßen. Es bleibt der wohl...

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StV 9 . 2017 I George Orwell 2017 – Online-Durchsuchung und Quellen-TKș im Schnellverfahren in die StPO eingefȱhrt Es begann mit dem Entwurf eines Gesetzes »zur Ȗnderung des Strafgesetzbuches, des Ju- gendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze« (BT-Drs. 18/11272) vom 22.02.2017, mit dem Ziel der Einfȱhrung eines Fahrverbots als allgemeine Sanktion und der Abschaffung des Richtervorbehalts bei der Blutentnahme – mit einer AnhȰrung im Rechtsausschuss und der MȰglichkeit zur Stellungnahme fȱr die Interessenverbȩnde. Nach der ersten Lesung im Bundestag wurden dann ȱber einen »Ȗnderungsantrag der Fraktio- nen der Fraktionen der SPD und CDU/CSU« mitten im Gesetzgebungsverfahren dem Ge- setzesentwurf Vorschriften zur Einfȱhrung der »Quellen-TKș« und der »Online-Durch- suchung« hinzugefȱgt – die jetzt nach Durchfȱhrung der zweiten und dritten Lesung in die StPO eingefȱhrt werden. Der Gesetzgeber hat in einem verfassungsrechtlich fragwȱr- digen Verfahren verfassungsrechtlich fragwȱrdige Ermȩchtigungsgrundlagen in die StPO eingefȱhrt – unter Vermeidung jeder gesellschaftlichen Auseinandersetzung, einer An- hȰrung der Fachverbȩnde oder auch nur der Bundesdatenschutzbeauftragten. Dieses Bestreben, politische und gesellschaftliche Auseinandersetzungen um staatliche Spȩh- mȰglichkeiten in die Intimsphȩre des Bȱrgers zu vermeiden, ist bar jeder redlichen Legiti- mation. Nicht nur im Hinblick auf die verfassungs- und datenschutzrechtlichen Implika- tionen hȩtte es dieser gesellschaftlichen Auseinandersetzung ȱber die »Quellen-TKș« und die »Online-Durchsuchung« bedurft. șber den »Großen Lauschangriff« mit einer im Vergleich geringeren Eingriffstiefe wurde zwar erfolglos, aber zumindest engagiert und breit gestritten. Zudem ist der »Taschenspielertrick« der Hinzufȱgung der Vorschriften ȱber einen »Ȗnde- rungsantrag«, zu dem in einem wohl einmaligen Vorgang die Bundesregierung eine »For- mulierungshilfe« vom 15.05.2017 vorlegte, verfassungsrechtlich ebenfalls bedenklich. Angesichts der Tatsache, dass nach einem Vergleich zwischen dem Inhalt des Gesetzes- entwurfs vor und nach dem »Ȗnderungsantrag« kaum von einer »Verȩnderung« des ursprȱnglichen Inhalts des Gesetzesentwurfs gesprochen werden kann, dȱrfte bereits kein Ȗnderungsantrag im Sinne des § 82 Abs. 1 GOBT vorgelegen haben. Denn Ȗnderungs- antrȩge zu Gesetzesantrȩgen mȱssen an »die vom federfȱhrenden Ausschuss empfoh- lenen Formulierungen« anknȱpfen. Mit dem »Ȗnderungsantrag der Fraktionen der SPD und CDU/CSU« dagegen wurde unter Auslassung und Umgehung der notwendigen ersten Lesung ein »Aliud« in das Gesetzgebungsverfahren geschmuggelt. So wurde dann der »Staatstrojaner« deutsche strafprozessuale Realitȩt. George Orwell lȩsst grȱßen. Es bleibt der wohl begrȱndete Eindruck, ein gravierender Grundrechtseingriff werde be- wusst in einem »Ȗnderungsantrag« versteckt, um ohne Diskussion und mit großer Eile durchgesetzt zu werden. Diese Eile war weder geboten noch – angesichts einer Reihe von verfassungsrechtlichen Problemen und offenen Fragen in der Sache – tunlich. Es geht nicht um die Abwehr von drohenden Gefahren fȱr ȱberragend wichtige Rechtsgȱter, son- dern um Einsȩtze im Bereich der Strafverfolgung. Dort wird nunmehr »die Kanone zur Stan- dardwaffe«, wie ZEIT Online zutreffend titelte. Rechtsanwalt Martin Rubbert, Berlin Editorial

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WKD/StV, 09/2017 #8977 02.08.2017, 11:32 Uhr – hzo/st –S:/3D/wkd/Zeitschriften/StV/2017_09/wkd_stv_2017_09_Roemer.3d [S. 1/16] 3

StV 9 . 2017 I

George Orwell 2017 – Online-Durchsuchungund Quellen-TK� im Schnellverfahren in dieStPO eingef�hrt

Es begann mit dem Entwurf eines Gesetzes »zur �nderung des Strafgesetzbuches, des Ju-gendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze« (BT-Drs. 18/11272)vom 22.02.2017, mit dem Ziel der Einf�hrung eines Fahrverbots als allgemeine Sanktionund der Abschaffung des Richtervorbehalts bei der Blutentnahme – mit einer Anh�rung imRechtsausschuss und der M�glichkeit zur Stellungnahme f�r die Interessenverb�nde. Nachder ersten Lesung im Bundestag wurden dann �ber einen »�nderungsantrag der Fraktio-nen der Fraktionen der SPD und CDU/CSU« mitten im Gesetzgebungsverfahren dem Ge-setzesentwurf Vorschriften zur Einf�hrung der »Quellen-TK�« und der »Online-Durch-suchung« hinzugef�gt – die jetzt nach Durchf�hrung der zweiten und dritten Lesung indie StPO eingef�hrt werden. Der Gesetzgeber hat in einem verfassungsrechtlich fragw�r-digen Verfahren verfassungsrechtlich fragw�rdige Erm�chtigungsgrundlagen in die StPOeingef�hrt – unter Vermeidung jeder gesellschaftlichen Auseinandersetzung, einer An-h�rung der Fachverb�nde oder auch nur der Bundesdatenschutzbeauftragten. DiesesBestreben, politische und gesellschaftliche Auseinandersetzungen um staatliche Sp�h-m�glichkeiten in die Intimsph�re des B�rgers zu vermeiden, ist bar jeder redlichen Legiti-mation. Nicht nur im Hinblick auf die verfassungs- und datenschutzrechtlichen Implika-tionen h�tte es dieser gesellschaftlichen Auseinandersetzung �ber die »Quellen-TK�«und die »Online-Durchsuchung« bedurft. �ber den »Großen Lauschangriff« mit einer imVergleich geringeren Eingriffstiefe wurde zwar erfolglos, aber zumindest engagiert undbreit gestritten.

Zudem ist der »Taschenspielertrick« der Hinzuf�gung der Vorschriften �ber einen »�nde-rungsantrag«, zu dem in einem wohl einmaligen Vorgang die Bundesregierung eine »For-mulierungshilfe« vom 15.05.2017 vorlegte, verfassungsrechtlich ebenfalls bedenklich.Angesichts der Tatsache, dass nach einem Vergleich zwischen dem Inhalt des Gesetzes-entwurfs vor und nach dem »�nderungsantrag« kaum von einer »Ver�nderung« desurspr�nglichen Inhalts des Gesetzesentwurfs gesprochen werden kann, d�rfte bereits kein�nderungsantrag im Sinne des § 82 Abs. 1 GOBT vorgelegen haben. Denn �nderungs-antr�ge zu Gesetzesantr�gen m�ssen an »die vom federf�hrenden Ausschuss empfoh-lenen Formulierungen« ankn�pfen. Mit dem »�nderungsantrag der Fraktionen der SPDund CDU/CSU« dagegen wurde unter Auslassung und Umgehung der notwendigen erstenLesung ein »Aliud« in das Gesetzgebungsverfahren geschmuggelt. So wurde dann der»Staatstrojaner« deutsche strafprozessuale Realit�t. George Orwell l�sst gr�ßen.

Es bleibt der wohl begr�ndete Eindruck, ein gravierender Grundrechtseingriff werde be-wusst in einem »�nderungsantrag« versteckt, um ohne Diskussion und mit großer Eiledurchgesetzt zu werden. Diese Eile war weder geboten noch – angesichts einer Reihevon verfassungsrechtlichen Problemen und offenen Fragen in der Sache – tunlich. Es gehtnicht um die Abwehr von drohenden Gefahren f�r �berragend wichtige Rechtsg�ter, son-dern um Eins�tze im Bereich der Strafverfolgung. Dort wird nunmehr »die Kanone zur Stan-dardwaffe«, wie ZEIT Online zutreffend titelte.

Rechtsanwalt Martin Rubbert, Berlin

Editorial