GERHARD HARTMANN Die „Affäre Wasserbäck (1933) · 2020-01-11 · Bischöflichen Delegaten in...

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Blätter für Heimatkunde 79 (2005) GERHARD HARTMANN Die „Affäre Wasserbäck" (1933) Die ungewöhnliche Karriere eines steirischen Priesters Der Steirer Erwin Wasserbäck schlug den für einen Priester ungewöhnlichen Berufsweg eines österreichischen Diplomaten ein und machte im Juni 1933 Schlagzeilen („Affäre Wasserbäck"). Nach LagederDinge dürfte erauch der erste Österreicher gewesen sein, der von denNationalsozialisten inhaftiert wurde. Im Oktober 1938 starb ervereinsamt inWien, und einMantel des Vergessens brei- tete sich über ihn aus. In historischen Abhandlungen begegnet man ihmselten, und dann höchstens am Rande oder in Fußnoten. 1 Eher durch Zufall fiel dem Verfasser im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde ein Brief Wasserbäcks an Bundes- kanzler Kurt Schuschnigg vom Anfang Februar 1938indie Hände. Damit begann eine Spurensuche, um dasLeben, das Wirken aber auch die Tragik dieser Persön- lichkeit aufzuhellen.- Dabei ist ein kleines Stück österreichischer Zeitgeschichte ans Licht gekommen. Erwin Wasserbäck wurde am 13. Juni 1896 in Irdning alsdamals noch nicht Studium und ehelicher Sohn desFinanzbeamten Ludwig Wasserbäck undseiner späteren Frau Eintritt in den Theresia, geb. Moik, geboren. 1 Da dieFamilie inGöß wohnte, trat er 1906 in das diplomatischen Dienst ' Die „Affare Wasserbäck" wird z. B.erwähnt in RUDOLF AGSTNER, 130 Jahre Österreichische Borschaft in Berlin. Von der Moltkestraße zur Stauffenbergstraße. Handbuch der Vertretungs- behörden vonÖsterreich(-Ungarn) in Deutschland seit 1720,Berlin 2003, S. 60; DIETER A. BINDER, Dollfuß undHitler. Über dieAußenpolitik desautoritären Ständestaates in denJahren 1933/34 (=Dissertationen der Universität Graz 43),Graz 1979, S. 128; GERHARD JAGSCHITZ, Der Putsch. DieNationalsozialisten inOsterreich 1934, Graz 1976, S. 48;KURT SCHUSCHNIGG, Im Kampf um Österreich. DieÜberwindung derAnschlußidee, Wien 1969, S. 339; THEODOR VEITER, Das 34er Jahr. Bürgerkrieg in Ösrerreich, Wien 1984, S. 132: „Ich selbst habe Wasser- bäck sehrgutgekannt." - Die„Affäre Habicht", dieVoraussetzung für die„Affäre Wasserbäck", wird erwähnt, letztere aber nicht, in: Geschichte der Ersten Republik. Hg. vonERIKA WEINZIERL - KURT SKALNIK, 2Bände, Graz 1982. Die„Affären Habicht undWasserbäck" werden beispiels- weise nicht einmal erwähnt in: FRIEDRICH FUNDER, Als Österreich denSturm bestand. Aus der Ersten in die Zweite Republik, Wien 1957; WALTER GOLDINGER - DIETER A. BINDER, Ge- schichte der Republik Österreich 1918-1938, Wien 1992; Handbuch des Polirischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918-1933. Hg. von EMMERICH IALOS U.a., Wien 1995; GOTT- FRIED-KARL KINDERMANN, Österreich gegen Hitler. Europas erste Abwehrfront 1933-1938, München 2003; Österreich im 20. Jahrhundert. Band 1: Von der Monarchie bis zumZweiten Weltkrieg. Band 2: VomZweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Hg. VONROLF STEININGER - MICHAEL GEHLER, Wien 1997. "DerAutor dankt für Hinweise und Hilfestellungen dem Leiter der Außenstelle Bonn der österreichischen Botschaft in Berlin, Herrn Gesandten Dr. Rudolf Agstner. Herrn Dr. Norbert Allmer vom Diözesanarchiv Graz, sowie Herrn Oberstudienrat Dr. Helmut Haidacher, Graz. Der Lebenslauf Wasserbäcks wurde ausverschiedenen Quellen rekonstruiert: Österr. Staats- archiv, Archiv der Republik (=AdR), Bundeskanzleramr - Auswärtige Angelegenheiten, Neue Administrative Registratur, Personalakt Wasserbäck. Eigenhändiges „Gurriculum Vitae" unda- tiert (Selbstdarstellung endet mit Oktobet 1923). Ebda., Beamcenlaufbahntabelle. Diözesanar- chiv Graz (=DA), Personalakt Wasserbäck. Schreiben an Fürstbischof Pawlikowski vom 7. 3. 1936.

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Blätter für Heimatkunde 79 (2005)

GERHARD H A R T M A N N

Die „Affäre Wasserbäck" (1933) Die ungewöhnliche Karriere eines steirischen Priesters

Der Steirer Erwin Wasserbäck schlug den für einen Priester ungewöhnlichen Berufsweg eines österreichischen Diplomaten ein und machte im Juni 1933 Schlagzeilen („Affäre Wasserbäck"). Nach Lage der Dinge dürfte er auch der erste Österreicher gewesen sein, der von den Nationalsozialisten inhaftiert wurde. Im Oktober 1938 starb er vereinsamt in Wien, und ein Mantel des Vergessens brei­tete sich über ihn aus. In historischen Abhandlungen begegnet man ihm selten, und dann höchstens am Rande oder in Fußnoten.1 Eher durch Zufall fiel dem Verfasser im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde ein Brief Wasserbäcks an Bundes­kanzler Kurt Schuschnigg vom Anfang Februar 1938 in die Hände. Damit begann eine Spurensuche, um das Leben, das Wirken aber auch die Tragik dieser Persön­lichkeit aufzuhellen.- Dabei ist ein kleines Stück österreichischer Zeitgeschichte ans Licht gekommen.

Erwin Wasserbäck wurde am 13. Juni 1896 in Irdning als damals noch nicht Studium und ehelicher Sohn des Finanzbeamten Ludwig Wasserbäck und seiner späteren Frau Eintritt in den Theresia, geb. Moik, geboren.1 Da die Familie in Göß wohnte, trat er 1906 in das diplomatischen

Dienst

' Die „Affare Wasserbäck" wird z. B. erwähnt in RUDOLF AGSTNER, 130 Jahre Österreichische Borschaft in Berlin. Von der Moltkestraße zur Stauffenbergstraße. Handbuch der Vertretungs­behörden von Österreich(-Ungarn) in Deutschland seit 1720, Berlin 2003, S. 60; DIETER A. BINDER, Dollfuß und Hitler. Über die Außenpolitik des autoritären Ständestaates in den Jahren 1933/34 (= Dissertationen der Universität Graz 43), Graz 1979, S. 128; GERHARD JAGSCHITZ, Der Putsch. Die Nationalsozialisten in Osterreich 1934, Graz 1976, S. 48; KURT SCHUSCHNIGG, Im Kampf um Österreich. Die Überwindung der Anschlußidee, Wien 1969, S. 339; THEODOR VEITER, Das 34er Jahr. Bürgerkrieg in Ösrerreich, Wien 1984, S. 132: „Ich selbst habe Wasser­bäck sehr gut gekannt." - Die „Affäre Habicht", die Voraussetzung für die „Affäre Wasserbäck", wird erwähnt, letztere aber nicht, in: Geschichte der Ersten Republik. Hg. von ERIKA WEINZIERL - KURT SKALNIK, 2 Bände, Graz 1982. Die „Affären Habicht und Wasserbäck" werden beispiels­weise nicht einmal erwähnt in: FRIEDRICH FUNDER, Als Österreich den Sturm bestand. Aus der Ersten in die Zweite Republik, Wien 1957; WALTER GOLDINGER - DIETER A. BINDER, Ge­

schichte der Republik Österreich 1918-1938, Wien 1992; Handbuch des Polirischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918-1933. Hg. von EMMERICH IALOS U. a., Wien 1995; GOTT­FRIED-KARL KINDERMANN, Österreich gegen Hitler. Europas erste Abwehrfront 1933-1938, München 2003; Österreich im 20. Jahrhundert. Band 1: Von der Monarchie bis zum Zweiten Weltkrieg. Band 2: Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Hg. VON ROLF STEININGER -MICHAEL GEHLER, Wien 1997.

" Der Autor dankt für Hinweise und Hilfestellungen dem Leiter der Außenstelle Bonn der österreichischen Botschaft in Berlin, Herrn Gesandten Dr. Rudolf Agstner. Herrn Dr. Norbert Allmer vom Diözesanarchiv Graz, sowie Herrn Oberstudienrat Dr. Helmut Haidacher, Graz.

Der Lebenslauf Wasserbäcks wurde aus verschiedenen Quellen rekonstruiert: Österr. Staats­archiv, Archiv der Republik (=AdR), Bundeskanzleramr - Auswärtige Angelegenheiten, Neue Administrative Registratur, Personalakt Wasserbäck. Eigenhändiges „Gurriculum Vitae" unda­tiert (Selbstdarstellung endet mit Oktobet 1923). Ebda., Beamcenlaufbahntabelle. Diözesanar­chiv Graz (=DA), Personalakt Wasserbäck. Schreiben an Fürstbischof Pawlikowski vom 7. 3. 1936.

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k. k. Staatsgymnasium Leoben ein, wechselte aber 1909 an das fb. Gymnasium in Graz, um sich - dem Wunsch seiner Eltern entsprechend - auf den Priesterberuf vorzubereiten. Nach Ablegung der Matura mit Auszeichnung wurde er 1914 zum Studium nach Rom geschickt, mußte aber im Mai 1915 die Ewige Stadt wegen der Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn verlassen und setzte seine Stu­dien in Innsbruck an der von den Jesuiten geführten bedeutenden Theologischen Fakultät fort. Diese besitzt das Recht, wie die päpstlichen Universitäten in Rom den akademischen Grad Dr. phil. zu verleihen,4 weil dort ein Aufbaustudium zut normalen zweijährigen philosophischen Grundausbildung der Theologen möglich war. Davon machte Wasserbäck Gebrauch und wurde am 25. Oktober 1919 mit der Arbeit „Die sittliche Rechtfertigung des Krieges" zum Dr. phil. promoviert, welches Thema kurz nach Ende des Weltkriegs durchaus Aktualität besaß und auch seine späteren Interessen andeutete." Danach kehrte er nach Graz zurück, um hier 1920 sein Theologie-Studium zu beenden. Am 26. Dezember 1920, dem „Stephanitag", wurde er von Fürstbischof Leopold Schuster zum Priester ge­weiht.

Aus den vorhandenen Unterlagen und Selbstzeugnissen kann der Schluß gezo­gen werden, daß Wasserbäck durch den damals noch jungen steirischen Landes­hauptmannstellvertreter Jakob Ahrer6 Zugang zum Politischen Katholizismus ge­funden haben dürfte. Die Familien Wasserbäck und Ahrer waren in Göß Nach­barn, deren Kinder „gemeinsam in der Sandkiste gespielt haben", wie man heute sagen würde. Daher war Wasserbäck bereits in der Zeit von 1919 bis 1921 in verschiedenen „vorpolitischen" Einrichtungen tätig, ebenso auch im Vorstand det Wirtschaftsgenossenschaft der Deutschen Studentenschaft Graz. Ahrer dürfte es auch gewesen sein, der ihn für die Grazer CV-Verbindung Traungau geworben hat. Am 18. Mai 1920 trat er der 1908 gegründeten Verbindung bei, sie chargierte auch bei dessen Priesterweihe. Die Bedeutung Ahrers für die Richtung, die det Lebensweg Wasserbäcks genommen hat, ist evident. Nach 1926 („Affäre Ahrer") wird dieser sich wohl gehütet haben, Ahrers Namen im Zusammenhang mit seiner Person zu nennen.

4 Heißt jetzt Dr. phil. fac. theol. = Dr. phil. der Theologischen Fakultät. Dieser Dr. phil. war aber damals in Österreich nicht anerkannt, für die Aufnahme in die Verwendungsgruppe A (Akademiker) des Beamtenstandes war daher allein das abs. theol. der Grazer Universität maß­gebend. Merkwürdig ist auch, daß ab 1929 im Personalstand der Diözese Seckau zusätzlich zum Dr. phil. bei Wasserbäck noch der Dr. rer. soc. oec. geführt wurde. Im Österreichischen Amts­kalender des Jahres 1935 steht bei ihm eigentümlicherweis ein Dr. theol.

5 Lt. fteundlicher Mitteilung der Bibliothek der Theologischen Fakultät Innsbruck vom 13. 9. 2005, die sich auf GERTRUD LABENBACHER, Tiroler Bibliographien. Heft X, Innsbruck 1986, beruft. Die Dissertation findet sich weder in der Österreichischen Nationalbibliothek, noch in der Universitätsbibliothek Innsbruck, so daß die Vermutung besteht, daß sie - wie damals noch durchaus üblich - handschriftlich verfaßt wurde.

'• Jakob Ahrer (1888-1962) war bereits in det Umbruchszeit 1918/19 Mitglied der Steietmär-kischen Landesregierung und dann von 1919 bis 1924 Landeshauptmannstellvertreter. Ende 1924 bis Anfang 1926 war er in der Regierung Ramek I Finanzminister, mußte aber wegen einer Affäre zurücktreten und Österreich verlassen. Damit war eine der hoffungsvollsten politi­schen Karrieren der Christlichsozialen Partei zu Ende. Ahrer trar 1908 der Grazer CV-Verbin­dung Traungau bei.

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Rintelen - er wurde übrigens am 16. März 1921 Ehrenmitglied des Traungau - war es dann, der ihn zu politischer Ar­beit heranzog und ihn för­derte. In einet persönlichen Vorsprache am 24. März 1921 bei Fürstbischof Schuster erreichte et, daß Wassetbäck im Juni 1921 nach Berlin gehen konnte, um sich dorr staatswissen­schaftlichen und ökono­mischen Studien zu wid­men." Er erhielt dafür von der Diözese keine finanzi­elle Unterstützung und mußte für sein Studium selbst aufkommen. „Durch ein merkwürdiges Zusam­menspiel verschiedener Umstände" konnte er, wie er 1936 schreibt, zuerst als Gehilfe und dann bereits ab 1. September 1921 als Vertragsbediensteter an der österreichischen Ge­sandtschaft in Berlin tätig

werden. Dort war er der Presseabteilung zugeteilt, die zugleich auch Amtliche Nachrichrensrelle war. Das war eine Art Vorform der heutigen Austria Presseagen­tur. Diesen Posten bekam er, wie er 1924 Fürstbischof Schuster berichtete, „auf Veranlassung und auf ausdrücklichen Wunsch des Herrn Bundeskanzlers Dr. Seipel".8

Bereits am 9. Juli 1921 schrieb Wasserbäck einen handschriftlichen Bericht an Schuster.1' Neben seiner Tätigkeit im Katholischen Mädchen-Waisenhaus „Mariaschutz" in Berlin-Wilmersdorf (Pfalzburger Straße 18) sind natürlich die Berichre über seine ersten Kontakte interessant. So nannte er ausdrücklich u. a. den noch im Juli 1921 verstorbenen Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Zen-ttumspartei, Karl Trimborn, den langjährigen Arbeirsminister Heinrich Brauns

Legationsrat Erwin Wasserbäck, links, 1934 in Paris gemeinsam mit Legationsrat Robert Friedinger-Pranter, der kurze Zeit später in die Präsidentschaftskanzlei nach Wien versetzt wurde. (Nachlaß Robert Friedinger-Pranter)

' DA Graz. Personalakt Wasserbäck. Aktennotiz über die Vorsprache Rintelens, die um 7.15 Uhr in der Früh erfolgte.

8 Aus dem unten in Anm. 39 zitierten Aktenvermerk vom 5. 4. 1937 geht hervor, daß Wasser­bäck am 8. 8. 1922 an Bundeskanzler Seipel ein Schreiben gerichtet hatte.

11 DA Graz. Personalakt Wasserbäck. Schreiben Wasserbäcks an Fürstbischof Schuster vom 9. 7. 1921.

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(ein Priester), den christlichen Gewerkschafter und damals kurzzeitigen (April bis November 1921) preußischen Ministerpräsidenten Adam Stegerwald, den im August 1921 ermordeten Zentrumspolitiker Matthias Erzberger sowie den be­kannten Studentenseelsorger Carl Sonnenschein. Mit einem Wort, Wassetbäck konnte sich relativ rasch im politisch-katholischen Milieu der Reichshauptstadt integrieren.

Ein kurzes, interessantes Schlaglicht auf die „Zustände" in der österreichischen Gesandtschaft bietet seine Bemerkung: „Ich bin zwar durch unser Außenministe­rium in Wien ... verpflichtet worden, habe aber sehr schwer zu arbeiten, da der Pressedienst ganz rot und verjudet (seit Gesandten Hartmanns"1 Zeiten) und det neue Gesandte Exz. Riedl" sehr deutschnational ist."

Als Wasserbäck nach Berlin zum Studium kam, befand sich dort noch aus dem gleichen Grund - nämlich zu ökonomischen Studien - der spätere Bundeskanzler Engelbert Dollfuß. Da dieser bereits Ende Juli nach Österreich zurückkehrte, ist es zwar nicht auszuschließen, doch eher unwahrscheinlich, daß sich die beiden begegneten.12

Mit 1. Juli 1924 wurde Wasserbäck zum Presseattache und mit 31. Juli 1925 noch nicht 30jährig zum Sektionsrat ernannt. Am 15. August 1924 berichtete er, wie bereits erwähnt, in einem Brief Fürstbischof Leopold Schuster, wobei er sich eingangs entschuldigte, daß „ich längere Zeit von mir nichts habe hören lassen".13

Er schilderte in diesem Schreiben die allgemeine Nachkriegsnot in Berlin, aber „die Verhältnisse hiet in Deutschland haben sich doch auch schon wieder bedeu­tend gebessert", wobei er das dem Reichskanzler Wilhelm Marx14 zuschrieb, „ein wahrhaft heiligmäßiger Mann".

Aus den folgenden Jahren gibt es keine Hinweise auf Wasserbäck in den Perso­nalakten des Staatsarchivs oder des Grazer Diözesanarchivs. Seine Tätigkeit dürfte dahet normal und unauffällig verlaufen sein. Spätestens mit der Ernennung zum Sektionsrat (heute Dienstklasse VII) - in der Verwendung im auswärtigen Dienst hieß dieser Rang Legationsrar - dürften seine noch 1924 dem Bischof geschilder­ten finanziellen Sorgen beendet gewesen sein, und er hat auch seinen Wohnort gewechselt.15 Unbestritten ist auch, daß Wasserbäck in Berlin (und dann in der Folge in Paris) ein Leben quasi außerhalb des Priesterstandes geführt hatte. Vom

Ludo (Ludw.g) Moritz Hartmann (1865-1924) entstammte zwar dem deutschliberalen Milieu, trat aber 1901 den Sozialdemokraten bei. Von Staatssekretär Otto Bauer wurde er im November 1918 zum österreichischen Gesandten in Berlin bestellt, was er bis November 1920 blieb. Siehe dazu auch AGSTNER (wie Anm. 1), S. 77. " Richard Riedl (1865-1944) war vom Juli 1921 bis Ende Juni 1925 Gesandter. Siehe AGST­

NER (wie Anm. 1), S. 7. - Riedl war Burschenschafter (Albia Wien) ~ GERHARD JAGSCHITZ, Die Jugend des Bundeskanzlers Dollfuß. Ein Beitrag zur geistig-poli-

tischen Situation der sogenannten „Kriegsgeneration" des 1. Weltkriegs, phil. Diss. Wien 1967,

1924A G r a Z ' P c r S ° n a I a k t W a s s c r b ä c k - Brief Wasserbäcks an Fürstbischof Schuster vom 15. 8.

" Wilhelm Marx (1863-1946), von 1922 bis 1928 Partei- und Fraktionsvorsitzender der Zentrumspartei war von 1923 bis 1925 und von 1926 bis 1928 Reichskanzler.

Uer 1 ersonalstand der Diözese Seckau nennt bis 1933 als Adresse Berlin-Wilmersdorf, Prinz­regentenstraße 24, die Wasserbäck Mitte der zwanziger Jahre bezogen haben dürfte.

Die Affäre Wasserbäck" (1933)

Bischöflichen Delegaten in Berlin, Joseph Deitmer, erhielt er seiner Aussage zu­folge die Erlaubnis, Zivilkleidung zu tragen.16

Im Juni 1933 gelangte Wasserbäck ohne sein Zutun in die Schlagzeilen. Aus- Die „AfFäre gangspunkt waren die Repressionen der nationalsozialistischen Regierung in Wasserbäck Berlin gegenüber der Regierung Dollfuß in Wien. Erster Höhepunkt war die am 1. April 1933 eingeführte sog. „Tausendmarksperre", mit der vor allem der öster­reichische Fremdenverkehr getroffen werden sollte. Parallel dazu wurde die NS-Propaganda in Österreich massiv verstärkt. Um der NSDAP in Österreich zu helfen, beabsichtigte man, den Landesleiter der NSDAP in Österreich, den deut­schen Reichstagsabgeordneten Theo Habicht, als Diplomaten an die deutsche Gesandtschaft zu entsenden, um ihm für seine Arbeit den entsprechenden diplo­matischen Schutz zu gewähren.

Am 27. Mai wurde daher der österreichischen Bundesregierung mitgeteilt, daß Habicht det Presseabteilung det deutschen Gesandtschaft in Wien zugeteilt werde. Das durchschaute die österreichische Bundesregierung und verweigerte noch am selben Tag das Agrement. Daraufhin ordnete Hitler am 9. Juni an, daß im Falle einer Ausweisung Habichts der österreichische Presseattache Wasserbäck aus Deutschland ebenso ausgewiesen werden solle. Am 12. Juni 1933 wurde Habicht nach Überschreiten det österreichischen Grenze in Linz verhaftet, da er mit einer nationalsozialistischen Terrorwelle, die in diesen Tagen über Österreich ging, in Verbindung gebracht wurde.17 Als Gegenmaßnahme wurde tatsächlich in Berlin Wasserbäck verhaftet, mehrere Stunden in Gewahrsam gehalten und zut persona non grata erklärt.18

Nach den im Staatsarchiv, Personalakt Wasserbäck, befindlichen Unterlagen läßt sich folgender Hergang recht gut rekonstruieren:" Am Mittwoch, dem 14. Juni, gegen 2 Uhr in der Früh, wurde die Wohnung Wasserbäcks von der preußischen Polizei umstellt. Es gelang ihm, mit einem Kollegen der Gesandtschaft telefonisch in Kontakt zu treten. Um 2.15 Uhr rief Legationssekretär Max Attems von der Berliner Gesandtschaft den in London bei der Weltwirtschaftskonferenz weilenden

"' Das geht aus dem lateinischen Laisierungs-Gesuch an Papst Pius XI. hervor. Es ist Ende März/Anfang April 1936 verfaßt worden und wurde mit Schreiben vom 5. 4. 1936 an Fürst­bischof Pawlikowksi zur Weiterleitung geschickt. Eine authentische Abschrift, verfertigt am 17. 11. 1937, befindet sich im DA Graz. Personalakt Wasserbäck. Joseph Deitmar war von 1920 bis 1929 Fürstbischöflicher Delegat der Diözese Breslau in Berlin und Weihbischof. Berlin

gehörte damals zu Breslau und wurde erst 1929 ein eigenes Bistum. " Dazu siehe Akten zur Auswärtigen Deutschen Politik 1918-1945 aus dem Archiv des Aus­

wärtigen Amtes. Serie C (1933-1937), Band I, Baden-Baden 1950, Nrr. 256, 267, 298, 3 0 5 -307 und 313. Ein Attentat auf den Tiroler Heimwehrführer Richard Steidle am 11.6. war wohl das spektakulärste hinsichtlich der Personen.

18 Nach BINDER, Dollfuß und Hitler (wie Anm. 1), S. 128, hat das außenpolitische Amt der NSDAP nach Bekanntwerden der Verhaftung Habichts sofort im Auswärtigen Amt interveniert und die Verhaftung Wasserbäcks gefordert. Dort wies man aber daraufhin, daß man Wasserbäck höchstens für unerwünscht erklären könne, was dann auch geschah. Dieser Hinweis verhinder­te jedoch nicht die Verhaftung. " AdR, Bundeskanzleramt - Auswärtige Angelegenheiten, Neue Administrative Registratur,

Personalakt Wasserbäck. Gedächtnisnotiz London, 14. 7. 1933 (Unterschrift unleserlich, nach dem Inhalt zu schließen wohl von einer Begleitperson Dollfuß' in London verfaßt); Protokoll über die Inhaftierung des österreichischen Presseattaches in Berlin und die Durchführung seiner Enthaftung, London, 17. 6. 1933, unterzeichnet von Wasserbäck; Protokoll des Generalsekretärs für auswärtige Angelegenheiten, Franz Peter, 14. 6. 1933.

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Bundeskanzler Engelbert Dollfuß an und berichtete ihm. Dieser vetsuchte noch in der Nacht, den ebenfalls in London sich befindenden deutschen Außenminister Konstantin Frhr. von Neurath zu erreichen, der aber von dem Vorfall nichts wuß­te. Zwischenzeitlich rief Wasserbäck bei der Berliner Polizei an, wo er erfuhr, daß seine Verhaftung auf Weisung des preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring erfolgt sei.

Um 3.30 Uhr telefonierte Dollfuß mit dem Generalsekretär für auswärtige Angelegenheiten in Wien, Franz Peter, und beauftragte ihn, sich mit dem Gesand­ten in Berlin, Stefan Tauschitz,20 in Verbindung zu setzen. Dies tat Peter auch und wies den Gesandten an, sofort das Auswärtige Amt anzurufen und einen Protest zu übermitteln. Tauschitz erreichte aber in der Nacht nur einen Chiffrier-Beamten, so daß er den Protest erst am frühen Vormittag anbringen konnte. Das Ersuchen um eine Vorspräche bei Staarssekretär Bernhard von Bülow21 wurde aber abge­lehnt.

Doch zurück zu den Geschehnissen in der Nacht. Um 3.50 Uhr gelang offen­bar von London aus eine telefonische Verbindung mit Wasserbäck in seiner Woh­nung, die weiterhin von der Polizei umstellt war. Er schilderte seine Lage, und anschließend übernahm die Haushälterin das Telefon und berichtete gleichsam live, was sich abspielte: Wasserbäck ließ die Polizei hinein und wurde mit Gewalt abgeführt. Daraufhin versuchte Dollfuß nochmals Neurath zu erreichen, der ihn aber auf den Tag vertrösten ließ.22 Es ist im nachhinein durchaus als sensarionell zu bezeichnen: Der Bundeskanzler der Republik Österreich - in dessen Kompe­tenzen zu dieset Zeit auch die Zuständigkeit für die auswärtigen Angelegenheiten fielen (es gab damals keinen Außenminister) — konnte per Telefon miterleben, wie einer seiner Diplomaten in der Nacht gewaltsam in Haft genommen wutde! Ein Vorgang, den man eigentlich erst in späteren „Handy-Zeiten" vermuten wür­de.

Wasserbäck wurde in das Polizeipräsidium am Alexanderplatz gebracht. Dott wurden seine Personalien aufgenommen, und er erhielt auch Gelegenheit, den Gesandten Tauschitz von seiner Verhaftung zu informieren. Danach kam er in eine Zelle mit weiteren, meist kriminellen Häftlingen. Die Schilderung seiner Erleb­nisse im Polizeipräsidium ist übrigens sehr detailreich, sie reicht fast schon an Milieustudien heran und entbehrt oft nicht einer gewissen Komik. Gesundheitlich machte ihm diese Situation auf jeden Fall zu schaffen, weil er an einem Herzleiden laborierte. Gegen 13 Uhr wurde er in das Büro des Staatsanwaltes namens Mit­telbach geführt, der ihm erklärte, er könne ihn enthaften, wenn er drei Bedingun­gen akzeptiere: die Entziehung des Agrements, die sofortige Einstellung det dienstlichen Tätigkeit und das rasche Verlassen des Reichsgebiets. Da sich Wasser­bäck vorerst weigerte, wurde nach Konsultationen Mittelbachs vereinbart, daß et

"° Stefan Tauschitz (1889-1970), Kärntner Landbundpolitiker und Nationalratsabgeordneter, wurde im März 1933 zum österreichischen Gesandten in Berlin ernannt und blieb dies bis zum ..Anschluß". Im Juli/August 1934 (in diese Zeit fiel die Ermordung von Dollfuß) war er für rund drei Wochen Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten. Nach dem Krieg war er wieder im diplomatischen Dienst tätig.

21 Bernhard von Bülow (1885-1936) war ab 1930 bis zu seinem Tod Staatssekretär im Aus-wartigen Amt. Er war ein Neffe des deurschen Reichskanzlers Bernhard von Bülow. -- Um 9.15 Uhr ließ er mitteilen, daß er noch keine Nachricht aus Berlin habe.

Die „Affäre Wasserbäck" (1933)

lediglich die Bekanntgabe der drei Bedingungen bestätigen soll. Um 13.45 Uhr konnte Wasserbäck das Polizeipräsidium als freier Mann verlassen und begab sich sofort nach Hause, um sich nach einer zweistündigen Ruhepause in die Gesandt­schaft zu begeben. Et war also rund zehn Stunden in Haft.

Der Berliner Gesandte Tauschitz erhielt inzwischen gegen Mittag ein Schreiben von Staatssektetär von Bülow: „Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, daß der Presseattache ... Dr. Erwin Wasserbäck seitens det Reichsregierung nicht mehr als erwünschte Persönlichkeit betrachtet wird. Ich darf Sie deshalb bitten, veran­lassen zu wollen, daß Herr Dr. Wasserbäck unverzüglich das Reichsgebiet ver­lasse."23 Tauschitz berichtete davon telefonisch sofort Genetalsekretär Peter in Wien. Dieser wies ihn nochmals an, mit von Bülow eine persönliche Unterredung herbeizuführen, um gegen das völkerrechtswidrige Vorgehen schärfstens zu protes­tieren.

Etwa zur selben Zeit, um 12.45 Uhr, erhielt Dollfuß vom Kabinettschef Neu-taths in London die Mitteilung, daß die Verhaftung durch die preußische Polizei erfolgt und daß Wasserbäck über Auftrag Hitlers unverzüglich aus der Haft ent­lassen worden sei.

Im Protokoll Wasserbäcks wird noch angemerkt, daß es seitens des in Betlin akkreditierten diplomarischen Corps Aufregung wegen der offenkundigen Verlet­zung des Völkerrechts gegeben habe und daß Legationsrat Josef Meindl24 zum Berliner Nuntius Cesare Orsenigo2^ zitiert worden sei. Dieser suchte in seiner Eigenschaft als Doyen des Diplomatischen Korps am Abend des 15. Juni Staats­sekretär von Bülow im Auswärtigen Amt auf und deponierte, daß große Beunru­higung über die Verhaftung eines Diplomaten entstanden sei. Er verlangte vom Staatssekretär eine eingehende Etklätung. Dieser betonte, daß die Verhaftung Wasserbäcks lediglich eine Retorsion (d. h. eine Art gleichgeartete Vergeltungs­maßnahme) für die Verhaftung Habichts gewesen sei, denen Notwendigkeit die Reichsregierung bedaure und hoffe, daß ein solcher Anlaß nicht mehr gegeben sein werde. Darüber hinaus wies von Bülow darauf hin, daß „in Österreich wie hier der innenpolitische Aspekt der Vorgänge den juristisch-diplomatischen völlig übetschatte". Mit dieser Erklärung gab sich Orsenigo zufrieden.26

In der Presse, vor allem in Österreich, wurde dieser Fall natürlich groß berich­tet. Die Ausgaben vom 15. Juni 1933 geben eigentlich im großen und ganzen das

23 Nach Beittäge zur Vorgeschichte und Geschichte der Julirevolte. Herausgegeben auf Grund amtlicher Quellen, Wien 1934, S. 24, war das Schreiben Bülows mir 13. Juni datiert.

24 Josef Meindl (1876-1934) war 1932/33 Geschäftsträger in Berlin. " Cesare Orsenigo (1873-1946) war von 1930 bis 1945 Nuntius in Berlin. -'' PA des Auswärtigen Amtes, Berlin. Staatssekretär. Aufzeichnungen über Diplomatenbesuche,

Bd. 5. E 189 327-328. Aufzeichnung Bülows, Berlin 15. Juni 1933. Abgedruckt in: Der Noten­wechsel zwischen dem Heiligen Stuhl und der Deutschen Reichsregierung III. Der Notenwech­sel und die Demarchen des Nuntius Orsenigo 1933-1945 (= Veröffentlichungen der Kommis­sion für Zeitgeschichte. Reihe A: Quellen - Band 29), bearbeitet von DIETER AI.BRECHT, Mainz 1980. S. 2f. Interessant ist, daß im Kommentar von Albrecht nicht darauf eingegangen wird, daß Wasserbäck Priester war, obwohl diese Edition von einer Institution herausgegeben wurde, die der Deutschen Bischofskonferenz untersteht. Offen bleibt auch die Frage, ob Nuntius Orsenigo wußte, daß Wasserbäck Priester war. Wäre er bei Bülow auch so insistent vorstellig geworden, wenn es sich um einen gleichrangigen Diplomaten aber Nicht-Priester gehandelt hätte?

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wieder, was sich auch in den Akten findet.2 Die österreichische Regierung hatte natürlich großes Interesse, daß die Fakten der Öffentlichkeit bekannt gegeben werden.

Breiten Raum nahm in der Diskussion die Rechtmäßigkeit der Verhaftung Wasserbäcks ein. Der Standpunkt der deutschen Reichsregierung war klar, wie die Äußerung des Staatssekretärs von Bülow gegenüber Nuntius Orsenigo zeigt: Es handle sich um eine Retorsion, die völkerrechtlich erlaubt sei.

Wie sahen nun damals die völkerrechtlichen Normen hinsichtlich des diploma­tischen Verkehrs aus? Letztmalig wurden diese im Rahmen des Wiener Kongresses 1814/15 behandelt und auf diesen bauten gewohnheitsrechtliche Übungen auf, die man als „anerkannte Regeln des Völkerrechts" bezeichnete. Danach war es unbestritten, daß ein Diplomat in dem Staat, in den er entsendet wurde, nur dann tätig werden kann bzw. die Privilegien eines Diplomaten genießt, wenn dieser das sog. Agrement erteilt bzw. keinen Einwand erhebt. Österreich hat die Entsendung Habichts ausdrücklich abgelehnt, daher hatte er nicht den diplomatischen Status besessen, war daher nicht exterritorial und somit den Gesetzen des Gastlandes unterworfen. Ob die Verhaftung und Abschiebung Habichts rechtskonform war oder nicht, ist daher nicht eine Frage des Völkerrechts.28

Wasserbäck hingegen war ordnungsgemäß akkreditiert und besaß den diploma­tischen Status. Seine Verhaftung war daher eindeutig völkerrechrswidrig und kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Retorsion gerechtfertigt werden. Eine solche wäre dann korrekt gewesen, wenn die deutsche Reichsregierung nach Ab­lehnung Habichts durch Wien am 27. Mai oder spätestens nach dessen Verhaftung am 14. Juni Wasserbäck zur persona non grata erklärt hätte.2' Mit anderen Worten: Die Behandlung Habichts durch Österreich war völkerrechtlich vollkommen ge­deckt, die von Wasserbäck durch die deutsche Reichsregierung war eindeutig ein Verstoß gegen die „anerkannten Regeln des Völkerrechts".

Daß das Vorgehen gegen Wasserbäck ein Versuch der deurschen Seite gewesen sei, Dollfuß persönlich zu treffen, wie Gerhard Jagschitz meint, weil Wasserbäck „einer der wichtigsten Vertrauten des Kanzlers war, der ihn direkt informierte, für ihn Sondermissionen ausführte und der ein größeres Gewicht hatte als der offizi­elle österreichische Gesandte", scheint m. E. doch eine übertriebene Intetpreration zu sein. Für die Nationalsozialisten war er wohl ein zu „kleiner Fisch", als daß man sich derart bewußt mit seiner Person und Bedeutung befaßt hätte.'0 Zu sehr steht die schon weit vor der Verhaftung Habichts ins Auge gefaßre Retorsion eindeutig im Vordergrund. Auffällig ist auch, daß die Bundesregierung - abgesehen von den Reaktionen im Zusammenhang mit dem unmittelbaren Geschehen am 14./15. Juni - ansonsten kein Interesse hatte, diese Angelegenheit eskalieren zu lassen. Das lag

1 n° Z' BD d u NeUe FKle Presse u n d d a s Neue Wiener Tagblatt jeweils vom 15. 6. 1933.

Uiese Kechtsposition wird sehr ausführlich und klar in der Neuen Freien Presse vom 15. 6. U35 unter Zitierung von Juristen vertreten. -"Der von Österreich damals vertretene Standpunkt, der zwar nur auf den gewohnheitsrecht­

lich „anerkannten Regeln des Völkerrechts" beruhte, wurde im Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 auch vertragsrechtlich formuliert. Siehe Recht der internationalen Beziehungen. Ein Führer durch internationale Abkommen und Organisa­tionen. Hg. von RUDOLF GEIGER, 3. Aufl., München 1982, S. 321«

JAGSCHITZ (wie Anm. 1), S. 48.

Die „Affäre Wasserbäck" (1933) 93

auch daran, daß nach den Enthaftungen Wasserbäcks und Habichts diese Sache tasch in den Hinteigrund gerreten war. Nicht beruhigte sich hingegen die Situa­tion mit den Nationalsozialisten in Österreich, die sich nun zuspitzte: Die NSDAP wutde am 19. Juni in Österreich verboten.

Was geschah weitet? Dollfuß ordnete die umgehende Versetzung Wasserbäcks nach London an, wo der Kanzler noch immer wegen der Weltwirtschaftskonferenz weilte. Wasserbäck ttat seinen Diensr dort am 16. Juni an, blieb aber nicht lange, denn bereits am 22. August wurde er zum Presseattache in Paris ernannt. Nach einem Aufenrhalt in Wien begann er seine Tätigkeit in Paris am 7. Oktober 1933.

Über seine Aktivitäten in Paris gibt es Erinnerungen des bereits verstorbenen Vorarlberger Rechtsanwalts und Schriftstellets Max Riccabona. Dieser begann 1934 sein Jus-Studium in Graz und trat dort ebenfalls der CV-Verbindung Traun­gau bei. Anfang 1936 ging er studienhalbet nach Paris und fand naturgemäß Kontakt zu seinem Bundesbtudet Wasserbäck. Dieser war damals nach Riccabonas Schilderung Vorsitzender eines internationalen Komitees, das die gemäßigten Kreise Francos und die Republikaner zusammenbringen wollte, um in Spanien eine konstitutionelle Monarchie zu errichten. Riccabona war wegen seiner Spanisch-kenntnisse Schriftführer dieser Verhandlungen.31

Erwin Wasserbäck hatte seit 1921 den priesterlichen Beruf kaum ausgeübt, was Gesuch um alletdings mit Billigung det zuständigen kirchlichen Oberen und in einer Zeit Laisierung geschah, in der Priester nicht selten in Stellungen tätig waren, wie dies heute un­vorstellbar wäre. Er lebte also quasi wie ein Laie. So überrascht es nach all dem nicht, daß er mit Schreiben vom 7. März 1936 an Fürstbischof Ferdinand Pawli-kowski um die Versetzung in den Laienstand ersuchte.12 Als Begründung führte er an: Er sei zwei Jahre vor der Hochzeit der Eltern geboren worden, und diese hät­ten ein Gelübde abgelegt, ihren Sohn Priester werden zu lassen, um „ihren Fehltritt damit zu sühnen". Et sei somit gegen seinen Willen zum Priesterstand gedrängt und „seiner freien Entschließung betäubt worden". Nun sei vor kurzem seine Mutter gestorben, und aus Pietät ihr gegenüber habe er diesen Anttag nicht schon zu ihren Lebzeiten gestellt.

Am 10. Mätz 1936 konnte Wasserbäck persönlich mit Pawlikowski in Graz sprechen und sein Anliegen erläutern. Am 12. März traf er in Wien mit Bundes­kanzler Kurt Schuschnigg und Außenminister Egon Berger-Waldenegg zusammen, denen er von seinem Laisierungsvorhaben Mitteilung machte. Ursprünglich woll­te er auch Nuntius Gaetano Cicognani" und den Wiener Erzbischof Theodor Kardinal Innitzer aufsuchen, doch die „beiden Kabinettsmitglieder hielten es ... für inopportun". Wieder zurück in Paris konnte er am 8. April 1936 sein offizi­elles, in lateinischer Sprache abgefaßtes Laisierungsgesuch absenden.1'

" Berichtet von HELMUT HAIDACHER in 80 Jahre Traungau. 1908-1988 (= Ad fundum Nr. 5.), Graz 1988, S. 16. Siehe auch MAX RICCABONA, Auf dem Nebengeleise, Klagenfurr 1995, S. 108.

, ; DA Graz. Personalakt Wasserbäck. Brief Wasserbäcks an Fürstbischof Pawlikowski vom 7. 3. 1936.

" Gaetano Cicognani (1881—1962) war von 1935 bis 1938 Nuntius in Wien, danach in Spa­nien. 1953 wurde er Kurienkardinal. "4 Diese Vorgänge sind durch zwei Schreiben Wasserbäcks vom 11 .3 - und 8. 4. 1936, DA

Graz. Personalakt Wasserbäck, belegt.

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94 Gerhard Hartmann

In dem Schreiben vom 7. März erwähnt Wasserbäck, daß gegen ihn Verleum­dungen in Gang gesetzt wurden: „Freilich haben immer wieder Personen und Kreise, denen meine politische Arbeit im Interesse Österreichs und im Interesse der Kirche unsympathisch war, Verleumdungen ausgestreut und mich moralisch zu untergraben gesucht, da dies ihnen sonst nicht gelang ... Ich habe mich an alle kanonischen Verpflichtungen gehalten ... und nicht durch meinen Lebenswandel Veranlassung geboten, von einem notorischen scandalum zu sprechen." Die Formulierungen geben Anlaß zu Vermutungen, daß ein Teil der Verleumdungen sich auf einen „un-kanonischen" Lebenswandel beziehe, den er aber in Abrede stellt." In seinem Schreiben vom 5. April geht er nochmals darauf ein: „Ich konn­te hingegen in Wien noch wertvolle Feststellungen über die Hintergründe der Demarche des Herrn Nuntius machen. Die angeblichen Klagen aus Paris sind von gewisser Seite in Wien fabriziert worden." Aber diese Formulierung macht alles noch mysteriöser. Genauere Hintergründe wird man wohl nicht mehr erfahren können.

Die Vorerhebungen zum Laisierungsverfahren - Zeugenbefragung für die Untermauerung der Begründung Wasserbäcks - kamen zügig voran. Bereits am 25. April wurde sein Bruder Josef befragt, der die Aussagen seines Bruders Erwin bestätigte. Ebenso tat dies die Schwester Jakob Ahrers, Resa Friedl, eine Kinder­bzw. Jugendbekannrschaft.'6

Durch eine Schlamperei langten die Laisierungsakten bei der zuständigen Sakra-mentenkongregation in Rom nicht ein bzw. gingen verloren, so daß diese in Ab­schrift im November 1937 neuerlich nach Rom geschickt wurden. Die Ereignisse des Jahres 1938 ließen dieses Ansuchen aber in den Hintergrund treten. Lapidat heißt es in einem Schreiben vom 17. Oktober 1938: „Curia episcopalis Seccovi-ensis S. Congregationi notificat, sacerdotem Erwinum Wasserbaeck, qui reductio-nem ad statum laicalem libello 17. Nov. 1937 imploravit, die 7. Octobris 1938 Viennae in Austria esse mortuum, ideoque eius petionem [sie!] esse vacuam." Die Sache hat sich also von selbst erledigt. Interessant in diesem Schreiben ist die Formulierung „Viennae in Austria". Für das fb. Ordinariat Graz bestand im Herbst 1938 Österreich noch weiter...37

Verhinderter Obwohl Bundeskanzler Schuschnigg und wohl auch andere seit dem Ftühjaht Karrieresprung 1936 von dem Laisierungsvorhaben Wasserbäcks wußten, ist es im nachhinein

betrachtet merkwürdig, daß sich dies offenbar nicht negativ auf seine Karriere auswirkte. Für einen konfessionell neutralen Staat mag das zwar normal sein, nicht jedoch für den „Christlichen Ständestaat" und seine starke Verknüpfung mit der katholischen Kirche. Zweifelsohne galt damals in diesen Kreisen das Verlassen des Priesterstandes ähnlich wie die Scheidung als „Schandfleck". Aus der vorhandenen Aktenlage ist nicht ersichtlich, welche Motive, Hintergründe o. ä. verantwortlich

Bei der Lektüre seiner diesbezüglichen Verteidigung gewinnt man den Eindruck, daß sich diese sehr auf eine formelle Ebene zurückzieht (er würde nicht im Konkubinat leben) und durchaus eine Hintertür' für ein tatsächliches derartiges Verhalten offenstehen läßt. Es kann also das Sprichwort semper aliquid haeret" durchaus ein „fundamentum in re" gehabt haben.

Sie war die Ehefrau des Beamten der Steiermärkischen Landesbibliothek, Karl Friedl, der

Mitglied der Wiener CV-Verbindung Marco-Danubia war.

vom L M 1 1P 9 3 8 , l a l a k t W a s s e r b ä c k - Abschrift des Schreibens an die Sakramentenkongregation

Die .Affäre Wasserbäck" (1933) _ _ ^ _

waren, im Frühjahr 1937 Wasserbäck zum österreichischen Gesandten in Athen (damals auch für Albanien zuständig*8) zu machen. Er war auch gerade erst 41 Jahre alt und damit für einen Gesandtenposten relativ jung, war kein Jurist abet „Single", was ein im diplomatischen Betufsleben mit seinen Repräsentations­pflichten erhebliches Manko darstellte.

Daß Wasserbäck und Dollfuß in einem besonderen Vertrauensverhältnis zuein­ander standen, wurde bereits angedeutet. Offenbar gelang es Wasserbäck, ein sol­ches auch mit Schuschnigg und dessen Staatssekretär für auswärtige Angelegen­heiren, Guido Schmidt, herzustellen, wie teilweise auch belegt ist. Eine „Wieder­gutmachung" für den Berliner Schock, den er erlitten hatte, wäre zwar nachvoll­ziehbar. Daß jedoch eine solche erst vier Jahre später erfolgt wäre, macht ein sol­ches Motiv eher unwahrscheinlich.

Wie auch immer: Der Ministerrat vom 17. März 1937 genehmigte die Ernen­nung Wasserbäcks zum Gesandten in Athen und beschloss, die Einholung des Agrements der griechischen Regierung in die Wege zu leiten.39 Am 25. März erhielt det griechische Gesandte in Wien vom Leiter der Politischen Abteilung im Bun­deskanzleramt — Auswärtige Angelegenheiten, Gesandten Theodor Hornbostel,''" ein Schreiben, das ihn vom Ministerrats-Beschluß informierte und in dem er um die Erteilung des Agrements ersucht wutde. Der griechische Gesandte stellte am 5. April zwei Fragen: Isr Wasserbäck Priestet bzw. in weichet Eigenschaft war er als Priester tätig? Aus welchem Grund mußte er 1933 Betlin verlassen?

Gesandter Theodor Hornbostel bat daher am 6. April Wasserbäck um Aufklä­rung wegen seiner priesterlichen Tätigkeit und stellte in diesem Schreiben fest, „daß wir den Griechen wahrheitsgemäß sagen könnten, daß Du im Jahr 1920 in Graz die Weihe empfangen hast und gegenwärtig Dein Laisierungsverfahren im Zug ist".

Daß Wasserbäck schlußendlich nicht nach Athen gegangen ist, ist bekannt. Es gibt aber keine archivalischen Hinweise über die Gründe dafür, weder im Staatsar­chiv, noch im Diözesanarchiv Graz. Doch in einem Schreiben an Schuschnigg vom 7. Februar 1938, auf das sparet nochmals eingegangen wird, kommt er auf die Sache mit Athen zu sprechen: „Und in diesem Zusammenhang muß ich Dir eine Bemerkung berichten, die mich natürlich lebhaft beschäftigt und die P. Mucker­mann gelegentlich seines letzten Besuches bei mir machte. Er kam von selbst auf die vorjährige Stellungnahme Roms gegen meine Entsendung nach Athen zu sprechen und sagte, daß eben dadurch ein schwerer Fehler begangen worden sei, daß man es für nötig gehalten habe, im Vatikan vother anzufragen. Nun frage ich

M Der bisherige Gesandte in Athen war auch für Kairo zuständig, dorthin sollte aber nunmehr ein eigener Gesandter geschickt werden, siehe Neues Wiener Tagblatt, 24. 3. 1937. " Zu diesem Vorgang siehe AdR, Bundeskanzleramt - Auswärtige Angelegenheiten, Neue

Administrative Registratur, Personalakt Wasserbäck. Aktennotiz über Ministerratsbeschluß vom 17. 3. 1937; Schreiben des Gesandten Hornbostel an den griechischen Gesandten in Wien, 25. 3. 1937; Aktenvermerk über den Anruf des griechischen Gesandten, 5. 4. 1937; Schreiben des Gesandten Hornbostel an Wasserbäck, 6. 4. 1937.

4(1 Theodor Hornbostel (1889-1973) wurde 1933 von Dollfuß zum Leiter der Politischen Abteilung im Bundeskanzleramt - Auswärtige Angelegenheiten ernannt und behielt diese Funk­tion bis 1938. Er beeinflußte wesentlich die Außenpolitik Österreichs unter Dollfuß und Schuschnigg.

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mich, wer hat da angefragt? Du doch bestimmt nicht und gewiß auch nicht Freund Guido [gemeint Staatssekretär Guido Schmidt, Anm. d. Verf.], aber wer?""1

P. Friedrich Muckermann SJ kam im Herbst 1937 von Rom nach Wien, um dort gegen den Nationalsozialismus zu agitieren und die Regierung Schuschnigg zu untetstützen.42 Er konnte sich kurz vor dem „Anschluß" in die Schweiz abset­zen. Muckermann galt als sehr einflußreich, er hat auch in Wien rasch Zugang zu höchsten Regierungskreisen bekommen. Seiner Aussage kommt dahet ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad zu.

Danach ist folgendes anzunehmen: Offenbar wurde von östetreichischer Seite beim Heiligen Stuhl wegen der Ernennung Wasserbäcks angefragt, höchstwaht-scheinlich erst nach den Fragen des griechischen Gesandten. Dies geschah anschei­nend inoffiziell, d. h., die zuständigen Regierungsmitglieder waren darin nicht in­volviert bzw. wußten vorerst nichts davon. Ob das die voreilige Tätigkeit eines Beamten war - etwa die Spitzendiplomaten am Ballhausplatz Franz Perer oder Theodor Hornbostel - oder eine Intrige gegen Wasserbäck, ist vorerst nicht zu klären.43 Daß er beim Wiener Nuntius nicht gelitten war, wurde bereits 1936 (s. o.) deutlich.

Was könnten die Motive Roms gewesen sein? Zum einen etwa zu verhindern, daß ein (ehemaliger) Priester eine so exponierte Position einnehmen sollte. Zum anderen möglicherweise die heikle Situation, daß ein solcher in einem genuin orthodoxen Land diesen Dienst vetsieht. Doch das bleiben vorerst nut Spekula­tionen.

Wie ging es mit Wasserbäck weiter? Da man bald einsah, daß ein Dienstanrritt in Athen nicht durchzusetzen war, konnte man jemanden, dessen Bestellung zum Gesandten bereits den Ministerrar passierr harre, nicht mehr auf seinen bisherigen Posten als Presseattache zurückstufen. Er wurde daher mit Wirkung vom 1. Juli 1937 zum Ministerialrat ernannt und dem Präsidium des Generalsekretariats für auswärtige Angelegenheiten zugeteilt, wobei er für die Dauer der Zuteilung den Litel eines ao. Gesandten und bev. Ministers führen konnte; also eine Rangerhö­hung, die auch vom Grundgehalt her besser dotiert war.

Ausklang und Das letzte bislang bekannte Lebenszeichen Wasserbäcks war sein bereits erwähn-Ende tes Schreiben vom 7. Februar 1938 an Schuschnigg. Daraus läßt sich schließen,

daß er im Spätherbst 1937 an einer Herzmuskelentzündung erkrankte und seitdem in Krankenhaus- bzw. Sanatoriumsbehandlung war. Anfang 1938 gesellte sich noch eine Rippenfellentzündung hinzu, also keine leichte gesundheitliche Situati­on. Daher entschuldigte sich Wasserbäck bei Schuschnigg, daß er erst jetzt für dessen Besuch vor Weihnachten danken kann. Auch geht aus dem Brief an Schuschnigg hervor, daß Wasserbäck in den Monaten September und Okrober in

4: BA Berlin-Lichterfelde, Akten des SD-Oberabschnitts Donau, ZB I 68, Brief Wasserbäcks an Schuschnigg, 7. 2. 1938.

42 Die Rolle P. Friedrich Muckermanns SJ, der in der zweiten Oktoberhälfte 1938 nach Wien kam und dort ca. viereinhalb Monate blieb, ist noch nicht austeichend erforscht, geschweige denn rezipiert. Siehe dazu HEINRICH GRUBER, Friedrich Muckermann SJ 1883-1946 (= Veröf-

7 3 i ' L S o n K°mm«k>n f ü r Zeitgeschichte. Reihe B: Forschungen - Band 61), Mainz 1993, bes. S. 327ff. 4t Da es in Wiener Akten keine Hinweise auf römische Einwände gibt, könnte nur das Vati­

kanische Archiv Auskunft geben, aber diese Akten sind noch nicht freigegeben.

Die ,Affäre Wasserbäck" (1933)

Paris weilte - offenbar an seinem alten Arbeitsplatz - und dort in ärztlicher Be­handlung stand.

Anfang Februar 1938 spitzte sich die Lage zwischen Deutschland und Öster­reich zu, und Wasserbäck schreibt dazu: „Daß die mir auferlegte Passivität immer schwerer fällt ..., wirst Du mir gewiß nachfühlen können. In einer so schick­salsträchtigen Zeitperiode im besonderen." Dann geht er auf die Abberufung des deutschen Gesandten in Wien, Franz von Papen, ein, die „ein Zeichen der schlech­ten Stimmung gegenübet Wien ist ... Wohl die Antwort auf die Teinfaltstraße."44

Und weitet: „Aber Göring ist meines Erachtens das Übel schlechthin ..., det die Erobetung Österreichs nie aus seinem Plan streichen wird."

Die Ereignisse im Umfeld dieses Schreibens waren folgende: Am 4. Februar kam es zu Änderungen in der militärischen Führung und im Auswärtigen Amt des Deutschen Reiches, im Zuge deren auch der deutsche Gesandte von Papen aus Wien abbetufen wurde. Davon hatte Wasserbäck im Sanatorium Kenntnis etlangt. Wovon er aber offenbar noch keine Kenntnis hatte, war, daß Papen am 5. Februar Schuschnigg ein Treffen mit Hitler votgeschlagen hatte, dem jener am 7. Februar zustimmte und das dann am 12. Februar stattfand.

Was geschah mit Wassetbäck nach dem 11. März 1938? Der staatliche Perso-nalakr gibt keine Auskünfte übet eine Zwangspensionierung oder gar Inhaftie-tung.4" Doch ist aufgrund seiner zuletzt hetausragenden Stellung am Ballhausplatz, infolge seiner engen Verbundenheit mit dem Ständestaat und dessen Exponenten sowie nicht zuletzt wegen seine Mitgliedschaft im CV aber auch wegen seiner Herzkrankheit anzunehmen, daß er in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde. Letztlich wurde ja auch das österreichische Außenministerium kurz nach dem „Anschluß" liquidiert.

Im Petsonalakt des Diözesanarchivs Graz findet sich eine Anfrage der Buch­handlung Herder Wien vom Mai 1938, wie die Adresse von Wasserbäck laute. Man kenne sie nicht, war die Antwort. Seine Sput, formal noch Priester der Diö­zese Seckau, hat sich für das zuständige Ordinariat verloren. Lediglich Max Ric­cabona von seiner Verbindung Traungau soll fast bis zum Tod Kontakt mit ihm gehabt haben.46

In Selbstzeugnissen Wasserbäcks und in seinen Personalakten stößt man immer wieder auf Bemerkungen über seine angeschlagene Gesundheit. Gelegentlich ge­winnt man den Eindruck, sie sei eine psychosomatische Folge seines unglücklichen Lebenslaufs als Priester gewesen, was ihm sicherlich zu schaffen gemacht haben wird.

Am Rosenkranzfest 1938, dem 7. Oktobet, eingeführt zum Gedenken an den Sieg Juan d'Austrias gegen die Türken in der Seeschlacht bei Lepanto, an dem Tag,

"' Damit spielt Wasserbäck auf die Verhaftung von Leopold Tavs, einet führenden Persönlich­keit der österreichischen NSDAP, am 25. 1. 1938 an. in dessen Büro in der Teinfaltstraße der sog. „Tavs-Plan" gefunden wurde. Nach diesem sollten seitens der NSDAP in Österreich der­artige Unruhen geschürt werden, daß diese ein Eingreifen des Deutschen Reiches rechtfertigen würden.

4< Eine Inhaftierung ist im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands nicht zu belegen.

46 80 Jahre Traungau (wie Anm. 31), S. 16.

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als im Wiener Stephansdom machtvoll das Lied „Ein Haus voll Glorie schauet" im Rahmen der berühmten Jugendkundgebung mit Kardinal Innitzer erklang, an diesem Tag ging das interessante, ohne Zweifel abwechslungsreiche, aber letztlich persönlich tragische Leben eines steirischen Priesters und österreichischen Diplo­maten zu Ende.

Anschtift des Verfassers: Univ.-Doz. Dr. Gerhard Hartmann, Venloer Straße 16, D 47623 Kevelaer