GESCHICHTE Amerikas Graf

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118 GESCHICHTE Amerikas Graf Soldaten, Hirsche und Geschütze — so lässt sich zusammenfassen, was diesen oberpfälzischen Ort kennzeichnet. Außerdem lässt sich der nach Grafenwöhr benannte Truppenübungsplatz aus der jüngeren deutschen Militärgeschichte ebensowenig wegdenken wie aus der amerikanischen. Dr. Rolf D. Baldus M it einem Schuss aus einer M109A6 Paladin- Haubitze, dem modernsten Gerät der US-Ar- mee, gedachte man am 30. Juni des Jubiläums. In Feierlaune verfolgte dies eine hochrangige Ver- sammlung von amerikanischen und deutschen Generälen, Mannschaften, bundesstaatlichen Förstern, oberpfälzischen Bürgermeistern und Vertretern des Freistaats Bayern. Sie alle begingen den 100. Gründungstag eines Truppenübungs- platzes, der heute der wichtigste für die US-Armee in ganz Europa ist: Grafenwöhr. Der Schuss saß präzise im Ziel, gab die US-Armee bekannt. A m Anfang ging’s daneben: Damit unterschied sich das sehr vom ersten Artillerie-Schuss, der vor genau 100 Jahren am selben Ort bei der offi- ziellen Einweihung des Schießplatzes abgefeuert worden war. Heimatforscher haben gerade her- ausgefunden: Ein gewisser Kanonier Michael Kug- ler vom zweiten königlich-bayerischen Fußartille- rie-Regiment hat damals die 15-cm-Granate aus einer von vier Pferden gezogenen und von sechs Mann bedienten Kruppschen Feldhaubitze abge- feuert. Allerdings ging die Vorführung mit einer Schussdistanz von 4000 Metern gründlich dane- ben. “800 Meter vor dem Ziel hat sie ihren Geist aufgegeben”, weiß noch heute ein im Bayerischen als “Marterl” bekannter Gedenkstein nahe der Einschlagstelle der Granate zu berichten. Immer- hin zeigte der Fehlschuss, dass die bayerisch-kö- nigliche Armee den Truppenübungsplatz zur Aus- bildung dringend brauchte.

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GESCHICHTE

Amerikas GrafSoldaten, Hirsche und Geschütze — so lässt sich zusammenfassen, was diesen oberpfälzischen Ort kennzeichnet. Außerdem lässt sich der nachGrafenwöhr benannte Truppenübungsplatz aus der jüngeren deutschenMilitärgeschichte ebensowenig wegdenken wie aus der amerikanischen.

Dr. Rolf D. Baldus

Mit einem Schuss aus einer M109A6 Paladin-Haubitze, dem modernsten Gerät der US-Ar-

mee, gedachte man am 30. Juni des Jubiläums. InFeierlaune verfolgte dies eine hochrangige Ver-sammlung von amerikanischen und deutschenGenerälen, Mannschaften, bundesstaatlichen Förstern, oberpfälzischen Bürgermeistern undVertretern des Freistaats Bayern. Sie alle begingenden 100. Gründungstag eines Truppenübungs-platzes, der heute der wichtigste für die US-Armeein ganz Europa ist: Grafenwöhr. Der Schuss saßpräzise im Ziel, gab die US-Armee bekannt.

Amm AAnnffaanngg ggiinngg’’ss ddaanneebbeenn:: Damit unterschiedsich das sehr vom ersten Artillerie-Schuss, der

vor genau 100 Jahren am selben Ort bei der offi-ziellen Einweihung des Schießplatzes abgefeuertworden war. Heimatforscher haben gerade her-ausgefunden: Ein gewisser Kanonier Michael Kug-ler vom zweiten königlich-bayerischen Fußartille-rie-Regiment hat damals die 15-cm-Granate auseiner von vier Pferden gezogenen und von sechsMann bedienten Kruppschen Feldhaubitze abge-feuert. Allerdings ging die Vorführung mit einerSchussdistanz von 4000 Metern gründlich dane-ben. “800 Meter vor dem Ziel hat sie ihren Geistaufgegeben”, weiß noch heute ein im Bayerischenals “Marterl” bekannter Gedenkstein nahe derEinschlagstelle der Granate zu berichten. Immer-hin zeigte der Fehlschuss, dass die bayerisch-kö-nigliche Armee den Truppenübungsplatz zur Aus-bildung dringend brauchte.

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100 Jahre Truppenübungsplatz Grafenwöhr

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Impressionen aus Grafenwöhr — eine

Postkarte mit Blick aufs Mannschafts-

lager, ein um 1910 gefertigtes Foto

zweier Kinder auf einem Geschütz,

eine Aufnahme einer Haubitze im

Feuer, ein Trupp Amerikaner vor einem

landenden Chinook-Helikopter. Das

hohe Gebäude mit der US-Flagge davor

ist der Wasserturm — das Wahrzeichen

der Anlage. Und der Mann an der

Bazooka ist Elvis Presley beim

Manöver in Grafenwöhr.

Soweit nicht anders erwähnt,

stammen die aktuellen Aufnahmen

von Soldaten sämtlich von der

US-Armee — vielen Dank!

Notwendig geworden war Gra-fenwöhr als dritter bayerischerTruppenübungsplatz durchdas 1900 aufgestellte III. Baye-rische Armeecorps. Jahrelangprüfte eine Auswahlkommissi-on verschiedene Standorte. ImNovember 1903 schickte dieStadtverwaltung Grafenwöhreine Bittschrift an das Kriegs-ministerium und warb mitdünner Besiedlung und nied-rigen Arbeitslöhnen, weil“durch Anlegung des Platzesdie ganze Gegend etwas geho-ben würde.” Am 12. August1904 fiel die Entscheidung. DieGrenzen für ein Gelände vonetwa 90 km2 wurden festge-legt, und man begann, die not-wendigen Flächen zu erwer-ben oder zu enteignen. Diebetroffene Bevölkerung lebtevon einer kargen Landwirt-schaft und saisonal von Forst-arbeit sowie dem Sammeln vonWaldfrüchten und dachte nichtdaran, sich davon zu machen.Das bestehende Zwangsenteig-nungsgesetz galt daher vonAnfang an als Mittel der Wahl.Ein “wirklich geheimer Kriegs-rat” übernahm die sensibleAufgabe. Und bis zum Herbst1909 waren rund 250 Einwoh-ner aus zehn Ortschaften aus-gesiedelt, wobei vor allem dieReligionszugehörigkeit dieWahl der neuen Siedlungsge-biete bestimmt hatte.

Riesige Rodungsarbeiten wur-den auf dem Platz ausgeführt.

Wegenetz, Wasserversorgung,Kanalisation, elektrische Be-leuchtung und Eisenbahnan-schluss folgten. Hinzu kamendie Schießbahnen, eine Feld-bahn auf dem Platz, eine Fliegerstation, und schließlichfolgte ein Truppenlager, ange-legt auf 4800 Mann und 1200Pferde. Zu erledigen waren allediese technischen Pionierlei-stungen in weniger als dreiJahren. In der Zeit hätte manheute sicherlich nicht einmaldie Genehmigungsverfahrenabgeschlossen. Bis zu 1700 Ar-beiter, darunter viele Auslän-der, strömten herbei. Sie lebtenzum Teil unter erbärmlichenBedingungen, da die Verwal-tungen organisatorisch völligüberfordert waren. Vermieterund Grafenwöhrer Geschäfts-welt erlebten hingegen ihreBonanza.

Zum 1. Mai 2010 wurde mit Ge-neralmajor Oskar Menzel auchein erster Kommandant er-nannt. “In Bezug auf vor-schriftsmäßigen Anzug hätteer noch mehr Energie ent-wickeln können”, heißt es inseiner dienstlichen Beurtei-lung. Freilich ist unbekannt, obsein mangelhaftes äußeres Er-scheinungsbild dazu bewog,ihn auf einen Platz im Hinter-land zu schicken, auf dem es nurzwei Bodenzustände zu gebenschien — Staub oder Schlamm.Dies hat sich bis heute nichtgeändert, wie mancher frühere

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GESCHICHTE

Bauarbeiten in Grafenwöhr — die Aufnahmen

zeigen Arbeiter, Ingenieure und Soldaten

beim Errichten der Anlage in den Jahren

vor dem Ersten Weltkrieg.

Bundeswehrrekrut mit Grau-sen bestätigen kann.

Die Ausbildung bestand zu-nächst nur aus Schießübun-gen. Mit dem Weltkrieg kamder Grabenkampf hinzu. Ge-schossen wurde mit allem, wasdas III. Armeekorps zu bietenhatte: Feldhaubitzen, Mörser,Maschinengewehre, Gewehreund Pistolen. Die Größe desPlatzes eignete sich für Feld-übungen aller Art, und in einerFestungskriegsübung im Juni1913 wurden rund 12000Mann, 540 Offiziere, 300 Pio-niere, 60 MGs, 16 Flugzeuge,1000 Pferde sowie ein Telegra-phenbataillon eingesetzt.

Deerr PPllaattzz iimm II.. WWeellttkkrriieegg::“Weihnachten seid Ihr

wieder zu Hause”, versprachWilhelm II. den Soldaten, dieer seit dem 28. Juli 1914 in denTod schickte. Der Kriegsan-fang schien ihn zu bestätigen.Und bald kamen im Lager auchbis zu 24 000 Kriegsgefangeneunter, vor allem Franzosen undRussen. Sie lebten notdürftigin zweckentfremdeten Pferde-stallungen und Holzbarackenund mussten auf dem Platzoder bei umliegenden Bauernarbeiten. Internationale In-spekteure bemängelten die Ei-seskälte in den nicht geheiztenBaracken, den Mangel an Klei-dung, das Ungeziefer und diekörperlichen Strafen. Laut Be-richt bestand das Essen mor-

gens aus einer halben Schale“Kunstkaffee” aus Mais undden Überbleibseln des Brotesvom vorigen Tag, mittags undabends gab es eine SchüsselKartoffelsuppe, in seltenenFällen mit etwas Einlage, und300 Gramm “schlecht gebacke-nes” Brot am Tag.

Doch Ingolstädter Rekruten er-ging es kaum besser, als sie imFrühjahr 1916 in dem von Ge-fangenen geräumten Stalllagereinquartiert wurden. Nach we-nigen Tagen lag jeder achte imLazarett, und die Ausbildunglitt wesentlich unter denschlechten Bedingungen, soder Kommandeur dieses Ba-taillons in einer Beschwerdean das bayerische Kriegsminis-terium. “Mir geht es gut, nurdie schmale Kost”, berichteteein Artillerist in einer An-sichtskarte an seine Lieben zuHause. Da offenbar mehr anLebensmitteln in das Lagerhineinging als bei den Insas-sen aller Art ankam, beschwer-te sich der Sprecher des christ-lichen Bauernvereins auchbeim Kriegsminister über dieHamsterei der korrupten “Her-ren Offiziere in Grafenwöhr.”Mit solchen “Volksverderbernim wahrsten Sinne des Wor-tes”, die nur auf ihren Magensehen würden, könne man kei-nem Feind widerstehen.

Nach Kriegsende kam es auchin Grafenwöhr zum politischen

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100 Jahre Truppenübungsplatz Grafenwöhr

Rekrut in Grafenwöhr, bewaffnet

mit Gewehr 98 und aufgepflanztem

Seitengewehr 98/05.

Im I. Weltkrieg waren auch

Kriegsgefangene in

Grafenwöhr einquartiert. Die

kolorierte Fotografie zeigt

Franzosen, zum Teil verwundet.

Ballonflüge gab es auch

auf dem Truppenübungsplatz,

hier eine Aufnahme von 1913.

Viele der frühen Luftbilder der

Anlage wurden von solchen

Ballons aus angefertigt.

Postkarte von Grafenwöhr, mit

Blick auf Kommandantur und

Garnisonsverwaltung. Oben

quer eine handschriftliche

Regiments- und Adressangabe.

Umbruch. Zeitgleich zur Ab-dankung des Kaisers und derAusrufung der Freien Sozia-listischen Republik Deutsch-land durch Karl Liebknechtvom Spartakusbund in Berlinwurde am Vormittag des 9. No-vember 1918 ein Arbeiter- undSoldatenrat gewählt und einSergeant König als Platzkom-mandant ernannt. Der Kaiserging am Folgetag ins Exil nachHolland und widmete sich spä-ter meist dem Holzhacken imPark des Schlosses zu Doorn,wenn er nicht von der Rück-kehr auf den Thron träumte. InGrafenwöhr riss man derweilden Offizieren die Kokardenvon den Mützen und erhieltideologische Unterstützungvon außen, wie der proleta-risch-atheistische FreidenkerKonrad Beißwanger in einemZeitungsartikel über einen“Revolutionsausflug nach Gra-fenwöhr” zu berichten wusste.Die politischen Wirren derWeimarer Republik machtenin der Folge auch nicht vor Gra-fenwöhr Halt.

Als der Versailler Vertrag dasHeer auf 100000 Mann und

leichte Waffen beschränkte,führte das zur Schließung derzwei anderen bayerischenTruppenübungsplätze Lech-feld und Hammelburg. Gra-fenwöhr behielt mit 5000Mann Belegung seinen Vor-kriegsstand. In leerstehende Baracken wurden Wohnungs-suchende einquartiert, undder Verkehr von unbefugtenZivilpersonen im Lager undbei Truppenübungen war all-täglich. Ein extra aus Münchenentsandter Kriminalkommis-sar entdeckte daher auch Ver-schwörung, “sozialdemokrati-sche Maulwürfe” und Spioneallerorten. Letztere hatten sichnach seiner Beobachtung Vieh-weiden als ihren “gefährlichenTreffpunkt” ausgesucht.

Grraaffeennwwööhhrr iimm IIII..WWeellttkkrriieegg:Direkt nach ihrer Macht-

übernahme begannen die Na-zis damit, den Krieg vorzube-reiten. In einer gewaltigenAufrüstung wuchs das Heerbis 1939 auf 2,6 MillionenMann. Das verlangte nachmehr Übungsgelände, und1936 gab das Reichskriegsmi-nisterium die Erweiterung des

Mehr als 2000 Anwesen hattedie RUGES in Bayern aufge-kauft, um Grundstückseigen-tümer neu anzusiedeln. ZumTeil wurden ganze Dörfer ge-schlossen umgesiedelt. 20 Mil-lionen Reichsmark kostetendie Entschädigungen, weitere20 Millionen die Erweiterungdes Platzes. Die Ruinen derKirchen und Friedhöfe werdenheute instand gehalten. Für Fa-milien und Nachkommen derfrüheren Bewohner gibt es Be-suchstage. Neuerdings unter-sucht und pflegt der Natur-schutz die alten Obstbäume,die den zahlreichen Hirschenund Wildschweinen Futter bieten. Denn hier finden sichalte, zum Teil ansonsten ver-schwundene Obstsorten.

Die fieberhafte Aufrüstungnach 1933 führte zu einer völli-gen Überlastung des Truppen-übungsplatzes, zumal nebendem Militär dort auch SA-Mannschaften ausgebildetwurden. Zunächst erweiterteman deshalb das Ostlager undbaute von Mitte 1937 bis Mitte 1938 das Südlager beiVilseck. Und schließlich schufman bei Bernreuth ein West-lager. Damit ging der Bau vonSchießanlagen für Handwaffenund von Gefechtsschützbah-nen für Infanterie und Panzereinher. Das größte Projekt wur-de aber die Errichtung eines

Truppenübungsplatzes be-kannt. Er sollte über 14000Hektar nach Westen ausgewei-tet werden, wobei es sich mitden Hauptorten Haag und Lan-genbruck um eine relativ dichtbesiedelte Gegend handelte.Eine per Gesetz eigens gegrün-dete Reichsumsiedlungsge-sellschaft (RUGES) sollte nach“angemessenen Entschädi-gungen” die Bewohner umsie-deln. Unwillige wurden enteig-net, wobei sich die Verfahrenteilweise jahrelang hinzogen.

3500 Personen aus 57 Dörfernund Gehöften mussten denPlatz verlassen und verlorenihre Heimat. 580 landwirt-schaftliche Betriebe wurdenaufgegeben. Schmerzhaft warder Abschied, und tragischeSzenen sollen sich abgespielthaben, wenn die Menschenbeim Verlassen ihrer Dörfernoch einmal von den Lastwa-gen zurückschauten. “Flentesabierunt — weinend sind sieabgezogen” notierte der Pfar-rer von Pappenberg am 13. Fe-bruar 1938 nach der Spendedes letzten Taufsakraments.“Sorghof” heißt deshalb auchbezeichnend eine Neusied-lung, die damals am Rand desPlatzes bei Vilseck angelegtwurde, wobei allerdings ein al-ter Hof Namensgeber war.

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GESCHICHTE

Die vor gut einem halben Jahrhundert produzierte

Postkarte zeigt ebenso wie das Schwarzweiß-Foto den

Eingang an der Hauptwache (Main Gate oder Gate 1) zur

“U.S. Army Training Area Grafenwohr” — die GIs nannten

all das kurz und knapp “Graf”.

“Festungskampffeldes Grafen-wöhr”. Ein Bunkersystem ent-stand, um das Beschießen un-terschiedlicher Bunkertypenund die Verteidigung des West-walls zu trainieren. DerÜbungsbetrieb nahm erheb-lich zu, im Sommer wechseltensich die Truppen alle drei Wo-chen ab. Und kurz vor demdeutschen Überfall auf Polenwar der Platz mit 103000 Sol-daten belegt, die 14000 Pferdemit sich führten.

Im II. Weltkrieg wurden zahl-reiche Truppen in Grafenwöhr

neu aufgestellt, etwa Fall-schirmeinheiten, die dann inKreta kämpften. 1941 erhieltdie spanische “Blaue Division“dort für den Einsatz an der Ost-front deutsche Uniformen undWaffen, im Spätherbst 1942 bekam eine ganze DivisionTropenkleidung, ehe es nachNordafrika ging. 1944 bezogein “Arbeitsstab Panzer“ unterGeneral Heinz Guderian(1888-1954) Quartier, der Pan-zerbataillone für alle Frontenneu aufstellen sollte. Nach derLandung der Alliierten in Ita-

waffen sollten sie hinter denfeindlichen Linien den US-Vor-marsch stören. Doch blieb das“Unternehmen Greif” kaummehr als ein Plan, da die Ar-dennen-Offensive bald fehl-schlug. Nur ein paar als US-Militärpolizisten verkleideteDeutsche waren durch die alli-ierte Front gedrungen, ver-suchten den Verkehr durchein-ander zu bringen und richtetenzumindest Verwirrung an.

Scchhwwaarrzzeerr TTaagg aamm WWeeiißßeennSSoonnnnttaagg:: Das Finale für

Grafenwöhr kam Anfang April1945. Am 5. April gegen 11 Uhrgriffen alliierte Bomberver-bände von Osten her an undsetzten 15 Minuten lang Bom-benteppiche ab. Schwer getrof-fen wurden das Hauptlager, diePanzerwerkstätten und der Mi-litärbahnhof. Eine unvorstell-bare Katastrophe hätte sich er-eignet, wären Bomben auf das

lien wurde auch eine italieni-sche Division aufgestellt, dievon Benito Mussolini besuchtwurde, nachdem ihn deutscheFallschirmjäger in der Aktion“Unternehmen Eiche” in denAbruzzen befreit und mit ei-nem Fieseler Storch ausgeflo-gen hatten. Der “Duce” hieltvor den 12 000 Mann der Divi-sion “San Marco” eine seinerlächerlich-theatralischen Re-den und ließ sich von den Sol-daten feiern.

Gegen Ende 1944 erlebte Gra-fenwöhr die Planungen einesbesonders geheimen Komman-dounternehmens. SS-Ober-sturmbannführer Otto Skorze-ny, der schon an der Mussolini-Befreiung beteiligt war, stellteeine Einheit aus englischspra-chigen Soldaten zusammen. InUS-Uniformen und mit Beute-

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100 Jahre Truppenübungsplatz Grafenwöhr

Gegen Ende des II.

Weltkrieges fanden

zwei alliierte Bomben-

angriffe statt — mit

den entsprechend

verheerenden Folgen.US-Soldat im Manöver

vor Panzer M109.

Dramatische Manöveraufnahme

eines “fliegenden” Jeeps.

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GESCHICHTE

... auch das ist Grafenwöhr: Gleichzeitigmit dem Truppenübungsplatz entstand eineigenes Forstamt, das heute “Bundesforst-betrieb Grafenwöhr” heißt und somit auchseit 100 Jahren besteht. Seine KöniglicheHoheit Prinz Luitpold, des KönigreichsBayern Verweser, geruhte mit allerhöchs-ter Entschließung am 25. Juli 1910 die Er-richtung des Militärforstamts zu genehmi-gen. Viele meinen ja, der Umweltschutzsei eine heutige Erfindung — aber schondamals legte man großen Wert auf die Er-haltung der Landschaft und des Waldes.Gleichzeitig sollte dies eine wirklichkeits-nahe Ausbildung der Soldaten sichern. Zusammen mit dem Bau des Lagers inGrafenwöhr entstand ein schmuckesForstamtsgebäude im schweizerischenStil neben dem Wasserturm, dem Wahrzei-chen des Platzes. Es dient heute dem rang-höchsten US-Offizier als Dienstwohnung;das Forstamt ist seit 1951 in Vilseck beheimatet.

Nach der Endphase des II. Weltkriegs fand eine großflächige Waldzerstörungstatt. Wälder wurden zerschossen oderdurch riesige Brände zerstört. Von der Be-satzungsmacht angeordnete Kahlschlägeund wilde Geländenutzung erledigten denRest. Erst allmählich änderte das Militärseine Einstellung. Heute werden die Wäl-der auf dem Platz nach naturnahen Grund-sätzen gepflegt. Die Wirtschaftsziele derForstwirtschaft auf Übungsplätzen unter-scheiden sich erheblich von denjenigen ei-nes normalen Forstamts. Die Bundesforst-verwaltung soll dauerhaft Wald erhalten,der für die Erfordernisse der Truppenwirklichkeitsnahe Verhältnisse schafft,seine biologischen Wirkungen auf Boden,Klima und Wasserhaushalt beibehält underst in dritter Linie durch Einnahmen einenBeitrag zur Kostendeckung erbringt. DasBundesforstamt Grafenwöhr muss alsoviele Anforderungen unter einen Hut brin-gen — die militärischen, die forstlichen

und nicht zuletzt die des Umweltschutzes.Enge Zusammenarbeit zwischen Bundes-forstamt und US-Dienststellen ist deshalbtägliche Praxis. Der Truppenübungsplatzist heute mit über 3000 Tier- und Pflanzen-arten ein Naturparadies und hat eine euro-paweite Bedeutung für das Leben vielerbedrohter Tier- und Pflanzenarten der ro-ten Listen. So brüten hier die Hälfte allerbayerischen Heidelerchen sowie Rohr-dommel, Wiedehopf, Schwarzstorch, Kra-nich und Fischadler. Neuerdings habensich mehrere Paare des deutschen Wap-pentiers, des Seeadlers, angesiedelt. An-dernorts wird er angeblich durch das gele-gentliche Aufnehmen von Schrotkörnernund Geschossresten bleihaltiger Jagdmu-nition gefährdet. Doch in Grafenwöhrscheint ihn die ganze Munition nicht zustören — im Gegenteil. In den Bächen undTeichen tummeln sich immer mehr Biber,der Elch erscheint ab und zu auf dem Platz,und Gelbbauchunke und Kammmolch, die nur in zeitweise austrocknenden, vege-tationsfreien Kleingewässern überlebenkönnen, profitieren von den Tümpeln inden Panzer-Kettenspuren.

Daneben kommen auf dem Platz jagdbareWildtiere vor — Rehe sowie Schwarz- undRotwild, letzteres sogar in hoher Dichte.“Im Himmel der Hirsche” titelte “Die Zeit”bei ihrem Bericht über das Naturparadies.Seit Mitte der 1980er Jahre wird der Rot-

wildbestand konsequent nach speziellemKonzept bewirtschaftet. Bei weit wenigerRotwild traten damals massive Wildschä-den auf. Heute ist der Bestand sehr viel hö-her; dennoch verjüngt sich der Wald mitzum Teil seltenen Laubbäumen ohne Zäune auf drei Vierteln der Fläche. DasJagdkonzept folgt drei Forderungen: - kurze Bejagungszeiten -störungsarme und effektive Jagd-ausübung- gezielte Lenkung der Raumnutzung desRotwildes durch Ruhe und Äsung. Man willes also dort “hinstellen”, wo es schadlosverweilen kann: Vor allem die Freiflächenauf dem Platz, die auch aus militärischenGründen offen bleiben müssen. Der Hirsch“pflegt hier die Landschaft” und arbeitetso gratis für Naturschutz und Militär.

In Grafenwöhr werden jedes Jahr 1500Stück Rotwild erlegt. Zahlende Jagdgästeschießen die alten Hirsche in der Brunft.Die Jagd trägt so mit 25 % zu den Einnah-men des Forstamts bei. Zusammen mit an-deren Innovationen ist das dem bayeri-schen Bund der Steuerzahler denjährlichen “Kreativpreis” wert. Für seinvorbildliches Konzept, das auch über dieJagd die Artenvielfalt in der Natur sichertund erhöht, erhielt das BundesforstamtGrafenwöhr 2010 den “Edmond-Blanc-Preis” des Internationalen Rates zur Er-haltung des Wildes und der Jagd (CIC).

EEiinn PPaarraaddiieess ffüürr HHiirrsscchhee,,HHiirrsscchhkkääffeerr uunndd JJääggeerr ......

Natur pur in Grafenwöhr: Hubertus von Blum gelangen diese

prächtigen Fotos der Hirsche und des auf dem Lukendeckel

eines alten Panzers sitzenden Seeadlers.

größte Giftgaslager der Wehr-macht mit drei Millionen Gift-gasgeschossen gefallen. Dasim Wald versteckte Depot wur-de jedoch knapp verfehlt. 74Tote waren zu beklagen, dar-unter 15 Zivilisten.

Weit verheerender war jedochein Angriff drei Tage später amWeißen Sonntag. 203 amerika-nische B-17-Bomber warfenzwei Stunden lang 606 TonnenSpreng- und Brandbomben inmehreren Wellen ab. 13 Bom-ber waren unterwegs verlorengegangen. “Very good — possi-bly excellent results” vermerkt

100 Jahre Truppenübungsplatz Grafenwöhr

der Berichtder 3. US-Luft-division. DieSchäden imHauptlager wa-ren immens,während dasSüdlager beiVilseck nahezuunzerstört blieb.Auch die StadtGrafenwöhr warschwer beschä-digt, mehrerehundert Wehrmachtsangehöri-ge und Kriegsgefangene im Lager umgekommen. Die Stadt beklagte elf zivile Opfer,aber 3000 Menschen warenobdachlos geworden. Die “Festung Grafenwöhr” war ge-fallen. Feldmarschall AlbertKesselring (1885-1960) ver-suchte noch, eine “Kampfgrup-pe Grafenwöhr” gegen die vonBayreuth nach Nürnberg vor-stoßende 14. US-Panzerdivisi-on einzusetzen. Angeführtwurde sie auf Befehl des Ober-kommandos in Berlin vomjüngsten und höchstdekorier-

Vor dem

Wasserturm

steht das alte

Forsthaus,

errichtet im

Schweizer Stil.

Das Bundesforstamt Grafenwöhr empfing den Edmond Blanc-Preis des

Internationalen Rates zur Erhaltung des Wildes und der Jagd (CIC)

— hier präsentieren William Stewart (l., Deputy Commander 2d

Stryker Cavalry Regiment) und Forstdirektor Ulrich Maushake

sichtlich stolz die Urkunde (Foto: Dr. Rolf Baldus).

Nur miteinander: Die geringstmögliche Belastung der Natur

erfordert ständige Abstimmung zwischen Militär und Bundesforst.

ten Generalleutnant der Wehr-macht, Theodor Tolsdorff. Aberauch “Brillantenträger” konn-ten das Kriegsende nicht mehraufhalten. “Ungenügende Ein-satzfreude” führte Kesselringunter anderem als Ursache fürden Misserfolg des Flankensto-ßes an. Die SS-Einheiten aufdem Platz suchten ihr Heil inder Flucht. Der NSDAP-Orts-gruppenleiter machte sichrechtzeitig mit dem Fahrradaus dem Staub. Am 19. Aprilmarschierten die Amerikanerein. Auf Widerstand trafen siein Grafenwöhr nicht.

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Ein Ereignis vom 19. April, dasden Größenwahn und die gan-ze Idiotie von Hitlers Kriegs-führung zeigt, soll nicht un-erwähnt bleiben. Auf derEisenbahnstrecke am nördli-chen Platzrand wurde an demTag auf persönlichen Befehldes “größten Feldherrn allerZeiten” (im Volksmund: Grö-faz) das “größte Geschütz allerZeiten” gesprengt, damit esden Alliierten nicht funktions-fähig in die Hände fiel. Hitlerselbst hatte 1937 Krupp in Es-sen mit dem Bau zweier Eisen-bahngeschütze mit 80-cm-Ka-nonen beauftragt. Die formelleWehrmachtsbezeichnung war“Schwerer Gustav 1 und 2”.

1350 Tonnen wog jedes dieserMonster. Acht Eisenbahnzüge,4120 Pioniere und 1500 Artille-risten waren notwendig, um ei-ne dieser 48 Kilometer weitschießenden, aber militärischsinnlosen Waffen in Stellungzu bringen und einzusetzen.Eines der Geräte sah sogar ei-nen Einsatz und verschoss vorSewastopol 48 Granaten, diebis zu sieben Tonnen wogen.Nach dem Krieg war das ge-sprengte Geschütz eine Attrak-tion und zog Besucherströmean. US-General George S. Pat-ton war im Sommer 1945 vorOrt und wurde dabei gefilmt, alser sich das Kruppsche Typen-schild als Souvenir einsteckte.

17000 Soldaten aller Waffen-gattungen teilnahmen. Zwi-schen 1950 und 1953 wurdeder Platz neu gestaltet. Hattendie Deutschen vorher nach je-dem Schießen ihre Blindgän-ger eingesammelt, so entstandjetzt in Platzmitte eine etwa3000 Hektar große “ImpactArea”, in die noch heute ge-schossen wird. Um den Platzherum legte man eine Panzer-Ringstraße an, es folgten großeTruppen- und Zeltlager.

Insgesamt traten die US-Dienststellen der Bevölkerungerstaunlich liberal und großzü-gig gegenüber, jedenfalls ganz

Diiee UUSSAA üübbeerrnneehhmmeenn:: DieAmerikaner richteten sich

notdürftig ein und nahmennoch 1945 den Übungsbetriebauf Teilen des Platzes auf. EinTeil der Zivilbeschäftigtenwurde übernommen. Die ver-bliebenen deutschen Truppenkamen in Gefangenschaft. BeiAuerbach wurde ein großesKriegsgefangenenlager für SS-Angehörige eingerichtet, indem anfangs auch Frauen un-tergebracht waren. Ab 1949 kamen regelmäßig größereTruppenteile zu Übungen. Imselben Jahr fanden drei großeParaden statt, an denen bis zu

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GESCHICHTE

Die von der US-Armee zur Verfügung gestellten

Aufnahmen zeigen deutsche und amerikanische

Soldaten beim Manöver, den Kommandostand

einer Schießbahn, Fallschirmjäger im “Lande-

anflug”, einen M1 Abrams-Panzer beim Feuern

und einen US-Soldaten beim Liegendschießen.

anders, als man nach denGräueln des Nationalsozialis-mus hätte erwarten können.Die Entnazifizierung verliefeher erfolglos, da die deut-schen Dienststellen offenbaralles taten, um sie zu verhin-dern. Kein Wunder, da in denDienststuben viele alte Nazisund ihre Mitläufer saßen.

Diiee DDeeuuttsscchheenn ddüürrffeenn wwiiee--ddeerr sscchhiieeßßeenn:: Am 7. Juli

1956 beschloss der DeutscheBundestag nach 16stündigerDebatte die Einführung der all-gemeinen Wehrpflicht. MitHochdruck arbeitete man dar-an, möglichst bald den erstenJahrgang Rekruten einzuzie-hen. Nur eine Woche späterrückten bereits zivile Ange-stellte der Bundeswehr in Gra-fenwöhr ein, um eine Standort-verwaltung einzurichten undden Übungsbetrieb vorzube-reiten. Der deutsche Neuan-fang war aber wenig ruhm-reich. Die Amerikaner wiesendas Vorauskommando bereitsnach zwei Tagen vom Platz. DieDeutschen waren aber hart-näckig, mieteten eine Privat-wohnung gegenüber demStriptease-Lokal “Micky-Bar”an und beschafften sich diefehlenden Einweisungspapie-re. Nur drei Wochen waren siein der Vilsecker Straße den Ge-fährdungen der Nachbarschaftausgesetzt, denn schon am 3.August durften ein Major undzwei Feldwebel auf dem Trup-penübungsplatz den Dienstbe-trieb aufnehmen. Sie bezogenGebäude 449, in dem nochheute die Standortkomman-

dantur der Bundeswehr resi-diert. Die Zusammenarbeit isteng und herzlich. 25 deutscheSoldaten tun auf dem Übungs-platz ihren Dienst, unterstütztvon 87 zivilen Kollegen, um all-jährlich 100000 Übungstagefür Angehörige der Bundes-wehr zu ermöglichen. Ge-schossen wird auf eigenenBahnen mit Handwaffen undgrößerem Gerät, wie Maschi-nenkanonen, den 120-mm-Bordkanonen des Kampf-panzers Leopard, 155-mm-Artillerie, aber auch Milan-Flugkörpern sowie den neuer-dings in Afghanistan einge-setzten 155-mm-Haubitzen.

Aber die wichtigsten Nutzerblieben die Amerikaner, diebis heute auch die Hausherrensind. Sie aktivierten 1958 inVilseck ihr Ausbildungszen-trum der 7. Armee. Das Haupt-ziel: die GIs für den erwartetenAngriff des Warschauer Paktsgefechtsbereit zu machen. Inden ersten Jahrzehnten desKalten Krieges durchliefen ei-nige hunderttausend US-Sol-daten die Ausbildung auf demPlatz. “The Graf” oder “Graf”wurde für sie zum Synonym ihrer Zeit in Europa, nirgend-wo wurde näher an der Reali-tät, in Kälte und Sommerhitze,in Staub, Nässe, Schlamm undSchnee geübt und geschossen.Im Mai 1970 begann die Aus-bildung an den in Europa neueingeführten Waffen und -systemen wie dem M16 A1-Sturmgewehr, den per Drahtgesteuerten TOW-Panzer-abwehr-Lenkflugkörpern und

100 Jahre Truppenübungsplatz Grafenwöhr

In Grafen-wöhr lebten

nach 1945 um die 18 000 Soldaten, und die zwischenmenschlichenBeziehungen müssen — nach anfänglichem Fraternisierungsver-bot — US-Militärbehörden wie deutschen Bürgermeistern Kopf-schmerzen bereitet haben. Der Ausstellungskatalog des Militär-museums Grafenwöhr berichtet ausführlich über die deutschen“Fräuleins”, eine Gemengelage zwischen fester Freundin, gele-gentlicher und gewerbsmäßiger Prostitution. Zwischen 40 und 50Taxis sollen täglich Damen aus Nürnberg und Frankfurt angekarrthaben. Ein gewisser Otmar Katz —wahrscheinlich ein US-Offizier —erwarb sich bleibende Verdienste,da er diese sozial-ökonomischenPhänomene im Frühjahr 1948ausführlich der interessiertenNachwelt überlieferte. Das typi-sche Fräulein von Grafenwöhrhatte sich den transatlantischenVorstellungen von einem “girl-friend” mit grellroten Lippen, Nylonstrümpfen, hochhackigenSchuhen mit Knöchelriemchenund ähnlichen Accessoires mus-tergültig angepasst. Da die Mili-tärpolizei die Einhaltung des “off-limits”-Gebots für Grafenwöhrund Umgebung ständig kontrol-lierte, hatte sich die stundenweiseVermietung von Privatzimmern(Satz: zehn Päckchen US-Zigaret-ten) eingebürgert. Daraufhin drohte der Stadtpfarrer den Profi-teuren der verbotenen Liebe die Verweigerung von Beichte undKommunion im Pfarrbrief an. Wegen der Verbreitung von Ge-schlechtskrankheiten (“Veneral Disease” oder abgekürzt “VD” imEnglischen) lästerten US-Zeitungen auch über “Fräulein VeronikaDankeschön”. Laut Militärmuseum wollte ein gewisser US-Cap-tain Woodcock (nomen est omen) bereits 1946 die ganze Bevölke-rung des Landkreises Eschenbach einer Reihenuntersuchung aufGeschlechtskrankheiten unterziehen lassen. Offenbar ließ sichWoodcock überzeugen, dass nicht alle Personengruppen gleicher-maßen in Frage kamen. So beschränkte er seine Verfügung auf neuzugezogene weibliche Personen, die er für besonders gefährdethielt. Auch der Versuch, in Pressrath eine “Geschlechtskranken-klinik” einzurichten, scheiterte am Widerstand des Bürgermeis-ters und Stadtrats, der geschlossen mit seinem Rücktritt drohte.

““FFrrääuulleeiinn VVeerroonniikkaa DDaannkkeesscchhöönn””

Schon im II. Weltkrieg warnten

Plakate wie dieses die GIs:

“Ihr könnt die Achsenmächte

nicht besiegen, wenn ihr

VD bekommt.”

lung, Steuerung und Kontrollealler US-Ausbildungsaktivitä-ten in Europa. In den 80er Jah-ren änderten sich die Heraus-forderungen. Zwischen denbeiden Militärblocks setzteTauwetter ein. Aber durchneue, komplexe Waffensyste-me wie dem M1 Abrams-Pan-zer oder dem Apache-Heliko-pter stellten sich neueAnforderungen an die Ausbil-dung. Dennoch schienen mitdem Zerfall des Ostblocks undmit dem im August 1994 abge-schlossenen Abzug der Russenaus Deutschland neue Zeitender Abrüstung anzubrechen.

Die Armee erlebte ein radika-les Programm zur Verkleine-rung. Dabei wurde im Septem-ber 2000 auch überprüft, obdie Anlage in Grafenwöhr ge-schlossen werden konnte. ImPentagon erörterte man aufhöchster Ebene die strategi-sche Bedeutung des Platzes.Dann jedoch ereigneten sichdie vom Al-Qaida-Netzwerk or-ganisierten Selbstmord-Atten-tate vom 11. September 2001.

Für Amerika und seine Ver-bündeten brach militärisch ei-ne neue Zeit an. Der internatio-nale Terrorismus löste alsFeindbild den Ost-West-Gegen-satz ab. Der Krieg gegen denTerror setzte ein. Am 7. Okto-ber 2001 begann auf derRechtsgrundlage einer Resolu-tion des UN-Sicherheitsratesdie “Operation Enduring Free-dom”. Sie soll die Lebenszen-

dem leichten OH-58A Beobach-tungshubschrauber von Bell.Im August 1977 erreichten dieersten A-10 Thunderbolt-Unter-schalljets — von ihren Pilotenliebevoll “Warzenschwein” ge-nannt — Europa und wurdengleich in Grafenwöhr einge-setzt. Die robusten Erdkampf-flugzeuge waren ungemeinwirksam gegen Panzer undbeim Bekämpfen von Erdzie-len. Und das konnten sie in derOberpfalz ausgiebig üben.

Voomm TTaauuwweetttteerr zzuumm KKrriieeggggeeggeenn ddeenn TTeerrrroorr:: 1976

wurde das Ausbildungszen-trum in Vilseck umbenannt in“Seventh Army Training Com-mand” (7ATC) — nunmehr ver-antwortlich für die Bereitstel-

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GESCHICHTE

Elvis Presley beim Schuss mit dem Garand-

Gewehr. Jenseits allen Starrummels legte

Presley großen Wert darauf, seine Wehr-

pflicht wie jeder andere auch zu absolvieren

— er galt als hochmotivierter Soldat.

The King in Graf: Eigentlich in Friedberg bei einem Panzerbataillon

stationiert, verbrachte Rock ‘n‘ Roll-Legende Elvis Presley auch einige

Zeit in Grafenwöhr — auf der Farbaufnahme mit den Sergeantenwinkeln.

Bis heute ziert der Vorname des berühmten Rock ‘n‘ Roll-Musikers

und Filmschauspielers einen Backstein am Bleidorn-Tower.

100 Jahre Truppenübungsplatz Grafenwöhr

Im Rahmen sei-ner Soldatenzeit

war Weltstar Elvis Aaron Presley (1935-77), da-mals auf dem Höhepunkt seiner Karriere, vom 1. Oktober 1958 an für eineinhalb Jahre bei einemPanzerbataillon der 3. Armoured Division inFriedberg stationiert. Er ließ sich nicht von der Ar-my als PR-Star instrumentalisieren, sondern kamseinen Aufgaben als Rekrut nach. Durchaus er-folgreich, wie aus seiner Militärakte hervorgeht.Kurz nach seiner Ankunft musste er als Jeepfahrerfür ein paar Wochen nach Grafenwöhr auf Manö-ver. Die Militärpolizei hatte alle Hände voll zu tun,den “King of Rock ‘n‘ Roll” dort vor Autogrammjä-gern und Verehrerinnen zu schützen. Zwei SäckeFanpost soll er erhalten haben. Gelegentlich griffer in der Kaserne auch zur Gitarre. Dabei sang eraber meistens die Lieder anderer Stars. Im Dezem-ber erhielt er Besuch von seinem Vater und eini-gen Bekannten, die inkognito bei einer FamilieFeiner wohnten. Ihnen gehörte die Micky-Bar, inder Tanzkapellen aufspielten und junge Damensich entblätterten. Mutter Feiner kochte, und hiersoll Elvis seine Basisernährung aus amerikani-schem “junk-food” erweitert haben, da er Schnit-zel-Sandwichs kennen lernte. Als Dank für dieGastfreundschaft gab er am letzten Tag ein kleinesinformelles Konzert für das Personal, bevor dieBar öffnete. Namentlich an “Heartbreak Hotel”und “Hound Dog” kann sich Feiner junior noch er-innern. Heute ist das ehemalige Striptease-Lokalin eine “Kirche der Heiligen der letzten Tage” um-gewandelt — also einen Tempel der Mormonen. ImFebruar 1960 zog Elvis noch einmal ins Manövernach Grafenwöhr, jetzt schon zum Sergeant beför-dert. “Winter Shield” hieß das NATO-Manöver, beidem 60000 amerikanische und deutsche Soldateneingesetzt wurden. Das Heimatmuseum in Gra-fenwöhr widmet dem Mythos heute eine ganzeEcke, und am “Bleidorn-Tower“ gibt es einen Ziegelstein, in den jemand “Elvis GI” geritzt hat — angeblich der “King” selbst.

EEllvviiss iinn GGrraaffeennwwööhhrrDer King bei einem Publicity-

Foto mit einem kleinen

bayerischen Jungen, der

mal statt des berühmten

Amerikaners im Jeep sitzt.

tren des internationalen Terro-rismus treffen. Seitdem wirdunter anderem in Afghanistanmilitärisch interveniert. Stra-tegie, Bewaffnung und Kampf-führung mussten der neuenKriegsführung angepasst wer-den. Grafenwöhr stand vor völ-lig neuen Aufgaben und vor ei-ner gewaltigen Expansion.

Bestimmte Aufgaben wurdenin der Mitte des Jahrzehnts inein zusätzliches Ausbildungs-zentrum auf den nahe gelege-nen Übungsplatz Hohenfelsausgelagert. Grafenwöhr avan-cierte danach zum exklusivenSchießplatz der US-Armee inEuropa. Zusätzlich entstanddort ein supermodernes Netz-werk von Simulatoren, in de-nen sich Soldaten an moder-nen Kommunikationsmitteln,in Taktik, Kampfstrukturenund mit realitätsnahen Kom-mandoübungen ausbilden las-sen. Unter Gefechtsbedingun-gen kann der Einsatz vonInfanteriewaffen simuliert oderder Schuss mit schwerem Ge-

rät geübt werden. Eine mo-derne Ausbildungsstruktur für das 21. Jahrhundert nimmt Gestalt an.

Es üben auch andere NATO-Partner, Soldaten aus dem ehe-maligen Ostblock und gele-gentlich sogar Offiziere ausAfrika. Um die zunehmendeZusammenarbeit auch im Na-men deutlich zu machen, wur-de die Organisation 2005 in“Joint Multinational TrainingCommand” (JMTC) umbe-nannt. Tausende von Soldatenhaben in den vergangenen Jah-ren auf dem Weg zum Irak odernach Afghanistan einen Halt inder Oberpfalz gemacht, um mitdemselben Gerät wie an ihrenEinsatzorten ein letztes aus-giebiges Schießtraining zu ab-solvieren. Durch GrafenwöhrsSchießbahnen und Ausbil-dungszentren ist JMTC inzwi-schen eine der wichtigsten mi-litärischen Einrichtungen derUS-Armee weltweit. Grafen-

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GESCHICHTE

wöhr, so schreibt die Sonder-ausgabe der JMTC-Truppen-zeitschrift “Training Journal”ist “der führende Truppen-übungsplatz außerhalb derUSA.” Direkt vor Ort sind auchdie 172. Infanteriebrigade sta-tioniert, die von Schweinfurtnach Grafenwöhr verlegt wur-de, sowie das 2. Stryker Regi-ment mit seinen hochmoder-nen, leichten Kampfpanzern.Es wurde im Juni für ein Jahrnach Afghanistan verlegt.

“Graf” ist das Testgelände, auf dem die Amerikaner ihre Panzer und ihre Haubitzen (hier M119) ausprobieren und wo viel

Entwicklungsarbeit stattfindet — all das unter feldmäßigen Bedingungen, wie die Tarnung dieses US-Soldaten zeigt. Und die

Bundeswehr schießt hier nicht nur mit dem SPz Marder (im Bild beim Verfeuern eines Milan-Flugkörpers), sondern trainiert

mit den Amerikanern in Rollenspielen das richtige Verhalten beim Einsatz in Ländern wie Afghanistan und Irak.

Im Jahre 2001 begann ein Rie-sen-Bauprogramm, das nichtnur große neue Militäranlagenvorsieht, sondern auch neueSchulen, Kasernen, Sportanla-gen, Kliniken, ein Hotel und einen ganzen neuen Stadtteil für die Soldaten mit Familien.Selbst an eine Kirche wird gedacht. Die Zeit der mehr-fach belegten Stuben ist vor-bei; jeder Soldat hat ein Einzelzimmer.

Wenn das Bauprogramm imJahre 2011 abgeschlossen seinwird, haben die VereinigtenStaaten von Amerika fast eineMilliarde Euro ausgegeben.

30000 Amerikaner leben inder Region, und die jährlichenUS-Ausgaben werden auf 600Millionen Euro beziffert — ein warmer Geldregen für die Oberpfalz. Da erstaunt esnicht, wenn bei der Hundert-jahrfeier des Forstamts am 3. Juli ein biederer Lokalpoliti-ker als Reaktion auf die langeListe der Leistungen beimSchutz der Umwelt auf demPlatz erwidert, man möge doch bitte auch in Zukunft nicht nur an die Umwelt, sondernauch an die wirtschaftlichenWirkungen des Platzes für die umliegenden Gemeindendenken. Æ

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100 Jahre Grafenwöhr

Grafenwöhr liegt imLandkreis Neustadt in

der Oberpfalz und erstreckt sich über eine Flächevon zirka 226 km2. WWeeiitteerreess MMaatteerriiaall//QQuueelllleenn:•Buch “Truppenübungsplatz Grafenwöhr gestern- heute” (2010) von Gerald Morgenstern, wwwwww..ggrraaffeennwwooeehhrr--uueebbuunnggssppllaattzzbbuucchh..ddee •Festschrift“100 Jahre Bundesforst Grafenwöhr”. Erhältlichbeim Bundesforstamt in Vilseck: (09662) 4101-0•1. Oberpfälzer Kultur- und Militärmuseum Grafenwöhr. wwwwww..mmuusseeuumm--ggrraaffeennwwooeehhrr..ddee•Ausstellungskatalog der Militärabteilung vonGerhard Müller (Heimatverein Grafenwöhr 1990)im Museum erhältlich. •US-Armee Grafenwöhr:wwwwww..ggrraaffeennwwooeehhrr..aarrmmyy..mmiill und wwwwww..hhqqjjmmttcc..aarrmmyy..mmiill •Elvis Presley in Grafenwöhr: eellvviiss..ggrraaffeennwwooeehhrr..ccoomm

WWeeiitteerree IInnffooss