Geschichte der Grundrechte

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Der Gedanke, dass jedem Menschen von Natur aus unveräußerliche Grundrechte zustehen, geht auf die Naturrechtsgedanken der Antike zurück, die durch die Stoa1 entwickelt wurden. Zu den wichtigsten Philosophen der antiken Naturrechtslehre gehören neben Platon und Aristo-teles auch Cicero und Epiktet. Die Auffassung der Stoa, alle Menschen seien von Natur aus gleich, bezog sich zu dieser Zeit noch ausschließlich auf das Verhältnis zwischen einzelnen Menschen, nicht aber zum Staat, da ein modernes Staatsgefüge noch nicht existierte.

Die Grundrechte nach heutigem Verständnis gründen sich auf die Magna Charta2, einer be-deutenden Quelle englischen Verfassungsrechts. Die Magna Charta wurde 1215 zwischen Kö-nig Johann Ohneland3 sowie dem englischen Adel und Vertretern der Kirche vereinbart. Sie re-gelte unter anderem Rechte von Adeligen, Geistlichen sowie Kaufleuten und Bauern. Im Jahr 1225 wurde sie unter Regentschaft Heinrichs III. bestätigt und erhielt ihre endgültige Fassung.

In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts spitzte sich der Konflikt zwischen dem englischen Par-lament und König Karl I. zu. Das Parlament bat 1628 um die Gewährung bestimmter Rechte (Petition of Right), um Maßnahmen des Königs bei der Steuererhebung sowie bei Festnahmen und anderen Rechtsbrüchen kontrollieren zu können. Ferner forderte das Parlament die Aufhe-bung des Kriegsrechts. Die Auseinandersetzung führte 1642 zum Englischen Bürgerkrieg, der im Januar 1649 mit der Enthauptung Karls. I. endete.

Nach der Regentschaft Oliver Cromwells4 als Oberhaupt des Commonwealth of England wurde 1660 Karl II. zum König gekrönt. Er setzte die willkürlichen Festnahmen Karls I. fort und konnte sich auf den Habeas Corpus Act5 stützen, ein Gesetz aus dem Jahr 1640, das dem König weitgehende Entscheidungsfreiheit bei Verhaftungen gab. Bereits seit 1305 gab es ähnliche Vorrechte des Königs. Dieses Gesetz geriet jedoch zunehmend in die Kritik, so dass Karl II. im Jahr 1679 einen Zusatz, den Habeas Corpus Amendment Act verabschiedete. Dieser ver-pflichtete den König, Festgenommene innerhalb von drei Tagen einem Richter vorzuführen.

1685 traten Spannungen zwischen dem Parlament und dem neuen König Jakob II. auf. Dieser stellte eine große Armee unter Führung katholischer Geistlicher auf und ließ Anglikaner verfol-gen und hart bestrafen, das Parlament forderte die Trennung von Staat und Kirche. Ende 1688 marschierte Wilhelm III., Fürst von Oranien, in England ein. Jakob II. wurde von seiner Armee im Stich gelassen und floh aus England.

Im Februar 1689 beschloss das Übergangsparlament, dass die Flucht Jakobs II. das Ende der Regierung markierte und verkündete die Declaration of Rights (Erklärung der Rechte). Diese wurde vom neuen Königspaar Wilhelm III. von Oranien und Maria II. als Bill of Rights (Gesetz der Rechte) im Oktober 1689 angenommen.

Zu den wohl wichtigsten englischen Philosophen des 17. Jahrhunderts gehören Thomas Hobbes (1588 - 1679) und John Locke (1632 – 1704). Hobbes ging in seinem Werk „Leviathan“ (1651) von einem Naturzustand ohne Rechtsordnung aus. In diesem Zustand strebe jeder Mensch nach eigenem Nutzen und versuche diesen auch dadurch zu erreichen, dass er anderen scha-de. Das Ausleben unbeschränkter Freiheit führe zu einem Krieg „Aller gegen alle“, der Mensch sei des Menschen Wolf6, so Hobbes. Es sei daher notwendig, dass die Menschen einen Teil ihrer Freiheiten einem Souverän übertragen, der sie im Gegenzug voreinander schützen soll.

1 griechische Philosophenschule, etwa 3. Jahrhundert v. Chr. bis 2. Jahrhundert n. Chr.2 auf Deutsch etwa „große Freiheitsurkunde“3 engl.: John Lackland (1167 – 1216), Sohn Heinrichs II. und Thronfolger seines Bruders Richard I. (Richard

Löwenherz)4 Lordprotektor England, Schottland und Irland, 1599 - 16585 habeas corpus = „du mögest den Körper haben“6 „Homo homini lupus“, die Wendung geht zurück auf den römischen Dramatiker Plautus (254 – 184 v. Chr.);

Hobbes griff sie 1642 in seinem Werk „De cive“ auf

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John Locke war einer der wichtigsten Berater Wilhelms III. In seinem Werk „Two Treatises of Government7“ finden sich Formulierungen, die auch in der Bill of Rights verwendet wurden. Vermutlich begann Locke bereits Anfang der 1680er Jahre mit diesem Werk, veröffentlicht wur-de es jedoch erst Ende 1689. Locke postulierte drei natürliche Rechte, die jeder Mensch besitze, ohne dass sie ihm vom Staat verliehen werden müssen: Leben, Freiheit und Eigentum. In Lockes Natur-zustand habe der Mensch umfassende Freiheiten, ohne einem anderen gegenüber weisungsgebunden zu sein.

Locke ging es nicht nur darum, dass der Souverän – bei Locke die Regierung8 – die Bürger voreinander zu schützen habe, sondern auch um den Schutz des Einzelnen gegenüber staatlichen Eingriffen. Dem Staat müssen daher Grenzen gesetzt werden, um die Freiheit der Bürger zu erhalten. Die Autorität ist keine willkürliche Herrschaft, sondern selbst an die Gesetze gebunden. Überschreitet die Legislative diese Grenzen und greift unzulässig in die natürli-chen Rechte der Menschen ein, statt diese zu schüt-zen, so habe jeder Mensch ein Recht zum Wider-stand und zur Rebellion. Durch solche Eingriffe füh-re die Regierung nämlich ihre eigene Rechtfertigung ad absurdum. Die Menschen gingen einen Gesell-schaftsvertrag mit der Autorität ein, damit ihre Rechte von dieser geschützt werden, daher hät-ten sie auch das Recht, diesen Vertrag zu kündigen, wenn ihre Rechte vom Souverän gefährdet oder bedroht werden.

Montesquieu9 knüpfte an die Vorstellungen Lockes an und entwickelte sie weiter, die jüngere Entwicklung Englands diente ihm als Vorbild. Er bevorzugte die parlamentarische Demokratie und nannte England eine Nation, deren unmittelbarer Verfassungszweck die politische Frei-heit sei. Diese politische Freiheit sei nur in gemäßigten Regierungsformen zu finden, wo die staatliche Macht begrenzt ist. Montesquieu erweiterte die Machtverteilung im Staat auf drei Ge-walten, während Locke nur Exekutive und Legislative kannte, stellte Montesquieu diesen Ge-walten die Rechtsprechung (Judikative oder Jurisdiktion) zur Seite. Diese Gewaltenteilung konnte Montesquieu in England beobachten, nicht aber in anderen Ländern Europas wie Frank-reich oder Preußen, wo der König alle Staatsmacht auf sich konzentrierte. Die Gewaltenteilung war das zentrale Thema seines Werks „De l'esprit des loix“ (Vom Geist der Gesetze), das 1748 veröffentlicht wurde.

Die politischen und staatsphilosophischen Errungenschaften Europas im 17. und 18 Jahrhun-dert förderten eine demokratische Entwicklung, auch in Übersee. England war nach dem Sie-benjährigen Krieg (1756 – 1763) mit hohen Kriegskosten belastet und versuchte diese zum Teil durch Steuererhöhungen auf seine Kolonien in Nordamerika abzuwälzen. Die Kolonien empfanden die Auferlegung von Steuern ohne gleichzeitige Gewährung von Repräsentati-onsrechten als Demütigung und Ausbeutung.

Nachdem 1774 ein erster Versuch der Delegierten der amerikanischen Kolonien, den Konflikt friedlich beizulegen, scheiterte, kam es ein Jahr später zu kämpferischen Auseinandersetzun-gen zwischen Kolonialtruppen und der britischen Armee. Die Delegierten der Kolonien ent-schieden sich für eine Trennung von der Krone. Am 15. Mai 1776 erklärte sich die Kolonie Vir-

7 auf Deutsch etwa „Zwei Abhandlungen über die Regierung“8 Locke sah die Regierung als aus Legislative und Exekutive bestehend an, insofern unterscheidet sich seine

Auffassung vom Begriff Regierung deutlich vom heutigen Verständnis, nach dem die Regierung Teil der ausführenden Gewalt ist.

9 Charles de Secondat, Baron de Montesquieu (1689 – 1755), französischer Philosoph und Schriftsteller

Abbildung 1: Godfrey Kneller, Portrait von Lohn Locke, Öl auf Leinwand, 1697

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ginia für unabhängig und am 12. Juni 1776 beschloss der Konvent von Virginia eine Grund-rechteerklärung, die Virginia Declaration of Rights10. Deren erster Artikel lautet:

hat all men are by nature equally free and independent, and have certain inherent rights, of which, when they enter into a state of society, they cannot, by any compact, deprive or divest

their posterity; namely, the enjoyment of life and liberty, with the means of acquiring and possessing property, and pursuing and obtaining happiness and safety11.

T

10 auch: „Virginia Bill of Rights“11 „Dass alle Menschen von Natur aus in gleicher Weise frei und unabhängig sind und bestimmte angeborene

Rechte besitzen, welche sie ihrer Nachkommenschaft durch kein Abkommen rauben oder entziehen können, wenn sie eine gesellschaftliche Verbindung eingehen; nämlich auf den Genuss des Lebens und der Freiheit, auf die Mittel zum Erwerb und Besitz von Eigentum und das Erstreben und Erlangen von Glück und Sicherheit.“