Geschichte und Dogmatik der Vertrags- aufhebung wegen ......468 StudZR 3/2008 I. Die Dogmatik des...

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467 Lars Bierschenk=· Geschichte und Dogmatik der Vertrags- aufhebung wegen Nichterfüllung in Art.1184 ,Code Civil (1804) Abstract Das Vertragsrecht ist geprägt vom Grundsatz pacta sunt servanda. Die Möglichkeit des Gläubigers, von einem Vertrag zurückzutreten, steht im Widerspruch zu dieser Regel und bedarf auch bei Nichterfüllung durch den Schuldner einer Rechtfertigung. Während § 323 I BGB dem Gläubiger ohne eigene konstruktive Begründung ein Rücktrittsrecht einräumt, be- zeichnet Art. 1184 Code Civil des Franr;ais (CC) die Nichterfüllung als süllschweigend vereinbarte auflösende Bedingung. Allerdings führt der Eintritt der Bedingung nicht automatisch zur Auflösung des Vertrags, sondern berechtigt den Gläubiger lediglich zur Erhebung ei11er Auflö- sungsklage. Aufhebung oder Aufrcclncrhaltung des Vertrags bleiben dem Richter vorbehalten. Der Beitrag stellt die Dogmatik der nisolution pour inexecution gemäß Art. 1184 CC vor und zeichnet ihre rechtshistorische Entwicklung nach. Ein Blick auf die gegenwärtige Diskussion bildet den Schluss. ::- Cand. iur. Lars Bierschenk studiert im 6. Semester Rechtswissenschaft an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Der Beitrag beruht auf einer Arbeit, die im Wintersemester 2006/2007 im Rahmen des von Prof. Dr. Christian Hauenhauer geleiteten historisch-rechtsverglei- chenden Seminars "Geschichte und Dogmatik des allgemeinen gesetz- lichen Rücktrittsrechts wegen Nichterfüllung" entstand. Für die vielen Gespräche und Anregungen dankt ihm der Verfasser herzlich.

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Lars Bierschenk=·

Geschichte und Dogmatik der Vertrags-

aufhebung wegen Nichterfüllung in

Art.1184 ,Code Civil (1804)

Abstract

Das Vertragsrecht ist geprägt vom Grundsatz pacta sunt servanda. Die Möglichkeit des Gläubigers, von einem Vertrag zurückzutreten, steht im Widerspruch zu dieser Regel und bedarf auch bei Nichterfüllung durch den Schuldner einer Rechtfertigung. Während § 323 I BGB dem Gläubiger ohne eigene konstruktive Begründung ein Rücktrittsrecht einräumt, be-zeichnet Art. 1184 Code Civil des Franr;ais (CC) die Nichterfüllung als süllschweigend vereinbarte auflösende Bedingung. Allerdings führt der Eintritt der Bedingung nicht automatisch zur Auflösung des Vertrags, sondern berechtigt den Gläubiger lediglich zur Erhebung ei11er Auflö-sungsklage. Aufhebung oder Aufrcclncrhaltung des Vertrags bleiben dem Richter vorbehalten. Der Beitrag stellt die Dogmatik der nisolution pour inexecution gemäß Art. 1184 CC vor und zeichnet ihre rechtshistorische Entwicklung nach. Ein Blick auf die gegenwärtige Diskussion bildet den

Schluss.

::- Cand. iur. Lars Bierschenk studiert im 6. Semester Rechtswissenschaft an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Der Beitrag beruht auf einer Arbeit, die im Wintersemester 2006/2007 im Rahmen des von Prof. Dr. Christian Hauenhauer geleiteten historisch-rechtsverglei-chenden Seminars "Geschichte und Dogmatik des allgemeinen gesetz-lichen Rücktrittsrechts wegen Nichterfüllung" entstand. Für die vielen Gespräche und Anregungen dankt ihm der Verfasser herzlich.

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I. Die Dogmatik des Art. 1184 Code Civi/ 1

Dieresolution pour inexecution nach Art. II H4 CC findet sich seit Inkrafttreten des Code Civil des Franrais am 21.03.1804 unvcr:i.ndcrt2 im dritten Buch, welches ,.die verschiedenen Arten, das Eigcnthurn zu erwerben" behandelt, unter dem Titel der "Contractc oder vertragsmäßigen Verbindlichkeiten im A II gemeinen" .3

1. Der Tatbestand des Art. 1184 I CC: Auflösende Bedingung und Wahlrecht des Gläubigers

Voraussetzung für die rc!solution pour incxecutirm ist die Nichterfüllung der vertrag-lichen Leistungspflicht durch den Schuldncr.4 Hinzukommen mi.isscn das Vermögen und die Bereitschaft des Gläubigcrs zur Erfüllung scincr Gcgcnlcistungspflicht.

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Art .. 1184 CC enthält keine Angabe darüber, ob der Schuldner die Nichterfüllung zu vertreten haben muss/' Mit Verweis auf den offenen Wortlaut des Art. 1184 I CC lässt die Rechtsprechung die risolution pour im:xicution auch bei nicht zu vertreten-der Nichterfüllung zu.7 I7ür eine Beschränkung der richterlichen Vertragsaufhebung auf Fälle der zu vertretenden Nichtcrfülllung (thl.:oric de Ia cause)x spricht aber, dass nach An. 1302 CC und der darauf gestützten Risikotheorie (thcnrie des risques) die Leistungspflicht des Schuldners entfällt, sofern dessen Unvermögen zur Erfüllung auf Zufall oder höherer Gewalt beruht.') Nach dem Rcchtsgctlankcn des Art. 1722

CC entfällt dann auch die Gegenleistungspflicht d.cs Gläubigers; eine Vertragsauf-hebung nach Art. 1 l 84 CC ist nicht mehr crfordcrlich. 10 Dari.iher hinaus kann der

An. 1184 Code Civil: ,.La condition rcsolutoin: c:st toujours dans \es: contrats: syna\lagmatiqucs, pour Je cas OU ]'unc des dtUX panics Tlt: sat point a SOll cngagement./ Dans cc cas, lc contrat n'cst point rcsolu dc plcin droi1. l.a panic cnvcrs l.aquelle l'cngagcmcm n'a point ctc cxccutc, a lc choix ou dc forccr l',,utrc ?t l'cxccution dc Ia cmwen-tion lorsqu'cllc cst possiblc, ou d'cn dcmandcr Ia rcsolution avcc ct intcrcts./ La rcso\ution doit ctrc dcmandcc Cll justicc, Cl. jf pellt ctrc accordc ;lll dcfcndcur Lll1 dclai selon ]es circonstanccs."

2 Bihr, Le Code Civil1 franc,;ais - cvolution des tcxtcs depuis I !l04 (200 I) S. 344. 3 Übersetzungen nach: Napoleons Geset7.buch- !:'imix ofji'cicllc Ausgabe Jlir das Königreich

Westphalen (1808). 4 Parchy-Simon, Droit civil2" anncc- Lcs obli!-:ations, 2. Aurt. (2002) Rn. 501. 5 Storck, Juris-Ciasscur Civil Code, Art. 1131 a 1133 App. art. I I X4, Fase. 49 -I, art. 1184

(1997) Rn. 65. 6 Parchy-Simon (Fn.4) Rn.50L 7 Cour d'appel de Versaillt·s (3. eh. civ.), Arrct du 5. avril I 'J%, vcrilfft:ntlicht in:

d'information dc Ia Cour de Cassation n" 441 du 15.12.1996, n" 1263- contrats ct obhga-tions.

8 Benabent, Lcs obligations, 4.Aufl. (t 1J94) S.IXI; a . .A.: 1/rulr:lot, Des J.Aufl. (1901) s. 187.

9 Terre, Droit civil: Lcs obligations, R. AuH. (:2002) S. 62!-!, M(, ff. I 0 Ferid, Das französische Zivilrecht I (1971) S. 5HH; zur A usnahmc heim Kaufvertrag nach

Art. t 138 CC Sonnenbergerl i\utexier, Einführung in das franziisischc Recht, 3. Auf!. (2000)

S.l32f.

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Bierschenk Vertragsaufhebung wegen Nichterfüllung in Art. 1184 Code Civil 469

Richter die Vertragsaufhebung nach Art. 1184 II CC mit Schadenscrsatz verknüpfen. Es wäre unbillig, den Schuldner auch bei nicht zu vertretender Unmöglichkeit dieser

schweren Folge auszusetzen. 1 1

Weiterhin enthält Art. I 1 84 CC keine Angabe darüber, ob sich der Schuldner bei Klageerhebung bereits im Verzug der Leistung befinden muss. Zwar wird in Anleh-nung an Art. 1139 CC allgemein gefordert, dass Art. 1184 CC Schuldnerverzug vor-aussetze. 12 Allerdings gerät der Schuldner spätestens durch die Klage in Verzug, 13

sodass das Erfordernis der mise en de-meure keine praktische Bedeutung hat. 14

Nach seiner systematischen Stellung unter den "bedingten Verbindlichkeiten" 15 wie nach seinem Wortlaut geht Art. 1184 CC im Fall der Nichterfüllung von einer auflö-senden Bedingung aus. 16 Es handelt sich um eine Rechtsgrundverweisung auf Art. 1183 I CC, wonach der Eintritt einer auflösenden Bedingung den Vertrag mit Wirkung ex tune aufhebt. Eine Vertragsaufhebung ipso iure ist nach Art. 1184 II 1 CC aber ausgeschlossen: Die Rechtsfolge der auflösenden Bedingung beschränkt sich auf ein Wahlrecht des Gläubigcrs gemäß Art. 1184 II 2 CC. 17 Hiernach kann der Gläubiger im Klageweg Erfüllung oder Aufhebung des Vertrags nebst Schadenser-satz verlangen. Der Gläubiger ist in seiner Wahl frei 18 und kann seinen Entschluss noch im Laufe des Verfahrens ändcrn. 19 Die nach An. 1184 II 2 CC getroffene Wahl des Gläubigcrs wiegt entgegen ihrer Bezeichnung (,,Je choix") aber nicht schwerer als ein Vorschlag, denn die Gestaltungsmacht liegt allein beim Gericht und wird durch Urteil ausgeübt.20 Der Richter ist in seiner Entscheidung nicht an das Klageziel des Gläubigers gebundcn. 21 Er hat einen weiten Beurteilungsspielraum bei der Prüfung, ob die Nichterfüllung in ihrer Art und Schwere die Vertragsaufhebung rechtfertigt. 22

Der Richter berücksichtigt nicht nur den objektiven Vertragsinhalt, sondern auch die Belastung des Glä.ubigcrs durch die Nichterfüllung,. die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien und die gesamten U mständc des Einzelfalls.23 Bei völliger Nichterfül-lung erfolgt in der Regel dieresolutiondes Vertrags. 24 Bei Schlechterfüllung wird der

11 Carbonnier, Theorie des obligations (1963) S. 310: "C'cst le rcmcde specifique de J'inexccution fautive.".

12 Storck (Fn.5) Rn. 79 ff.

13 zweigert!Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts,

3. Aufl. (1996) S. 496. 14 Zu Ausnabmcfällcn: Ferid (Fn. I 0) S. 510.

15 Napoleons 3 ): Drittes Buch, dritter !itel, Kapitel, erster Abschnitt.

16 Landfermann, D1e des Vertrages nach nchterhchem Ermessen als Rechtsfolge der Nicbterfüllung 1m franzoSISchcn Recht (1968) S. 18.

17 Flessner, Befreiung vom Vertrag wegen Nichterfüllung, ZEu.P 1997, 255 (303 f.).

18 Canin, Droit Civil- Les obligations, 3. Aufl. (2007) S. 83; Benabent (Fn. 8) S.177.

19 Benabent (Fn.8) 5.177.; Ferid (Fn.lO) S.Sto.

20 Ferid (Fn. 1 0) S. 51 !. . . .

21 Guimezanes, ]ntroducnon au drmt fram,:a1s, 2. Aufl. (1999) S. 214.

22 zweigertlKötz (Fn: 1:3) S. ?) S. 630. .

23 Ghestin, La rcsolutiOil pour mexccutwn, 111: Vacca (Hrsg.), Il contratto madempiuto- Realta e tradizione del diritto contrattuale curopeo, lii. Congresso internazianale ARISTEC, Gincvra, 24. -27. Settembrc 1997, S. 1 13.

24 Benabent (Fn. 8) S. 183.

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Richter je nach Schwere des Vertragsbruchs die rcsolution aussprechen oder den Schuldner zur Erfüllung Im zweiten Fall kann der Richter nach freiem Ermessen eine Frist bewilligen.26 Die Verurteilung zum Sch<lldenscrsatz erfolgt nach Art. 1184II 2 CC. Bei besonders schwerem Verschulden des Schuldners lässt Art. 1184 II 2 CC einen Ersatzanspruch in 1-:H'Ihe des positiven Interesses zuY

2. Die RechtsfoiDgen der risolution pour inexccut ion

Verurteilt der Richter den Schuldner zur Erfüllung, ändert sich die Rechtslage nicht?R Bei Vertragsaufhebung stellt der Richter zwischen den Parteien die Rechtsla-ge quo ante her:29 Wegen der Rechtsgrundverweisung des J\rt. 1184 I CC auf Art. 1183 CC begründet die Aufhebung zwischen den Parteien ein Rückgewähr-schuldverhälmis, in dessen Zuge "alles wieder in den Zustand, als wenn keine Ver-bindlichkeit vorhanden gewesen wärc" 3" zu versetzen ist.-' 1 Nach Art. 1183 II CC muss der Gläubiger "das Empfangene( ... ) crstattcn".-'2 Da nach dem französischen Konsensprinzip das Eigentum unmittelbar durch den Schuldvertrag übenragen wird,33 hat die richterliche Vertragsaufhebung bei auch ding-liche Wirkung. Mit der Urtcilsvcrkündung ändern sich die Eigcntlllmvcrhältnisse; die Rückabwicklung erfolgt über die rei

II. Ursprung und Entwicklung der richterlichen Vertragsaufhebung nach Art. 1184 CC

1. Die Vertragsaufhebung im römischen Recht und ihr Einfluss auf Art. 1184 CC

Das römische Recht kannte keinen allgemeinen Grundsatz, dass sich der Gläubiger bei Nichterfüllung des Schuldners vom Vertrag lösen Es galt die ,,Kardinal-regel"36 des Spätklassikcrs Ulpian (gcst. 223 n. ChrY7

:

25 Terre (Pn. 9) S. 628; Bcnabent (Fn. 8) S. 183. 26 Storck (Fn. 5) Rn.l 01. 27 Stall, Rücktritt und Schadensersatz, in: AcP 131 ( 1929), 141 ( 155 ). 28 Terre (Fn. 9) S. 632. 29 Schmidlin, Der Rücktritt vom Vertrag, Maycr-Maly- FS (2002) S. 677 (6H I). 30 Art. 1183 I CC (Napoleons Gesetzbuch,. fn. 3 ). 31 Porchy-Simon (Fn.4) Rn.507; Stoll AcP 131 (1929), 141 (155). 32 Art.1183II CC (Napoleons Gesetzbuch, Fn.3). 33 Ferid (Fn. 1 0) S. 588. 34 Scherner, Rückrittsrecht wegen Nichterfüllung, Diss. iur. Mainz (I 'J65) S. IJS. 35 Schmidlin (Fn. 29) S. 677. 36 Schmidlin (Fn. 29) S. 677. 37 Zur Person Ulpians: Knütel, in: Stalleis (Hrsg.), Juristen- Ein biographisches Lexikon. Von

der Antike bis zum 20.Jahrhundcrt, 2. Aufl. (2001) S. 640 f.

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Bierschenk Vertragsaufhebung wegen Nichterfüllung in Art. 1184 Code Civil 471

"Quid enim tam congruum fidei humanae quam ea quae inter eos placuerunt ser-«:JH vare. ·

Wollte sich eine Partei von einem Vertrag lösen, kam es auf die Unterscheidung zwi-schen klagbaren benannten ("bekleideten") Verträgen (pacta nominata!vestita) und unklagbaren ("nackten") Innominatkontraktcn (pacta innominata!nuda) an:39 Trafen die Parteien eine gegenseitige Abrede, die nicht unter die klagbaren Verträge fiel, war die Vereinbarung nicht bindend. Der Gläubiger konnte lediglich seine erbrachte Leistung mit der condictio ob causam datorum im Rahmen einer dem jeweiligen Sachverhalt angepassten actio in factum zurückverlangen.40 Erst ab der Nachklassik konnte er mit der actio prescriptis verbis alternativ auf Erfüllung eines Innominat-kontrakts klagen, wenn er bereits geleistet hattc.41

Die Aufhebung eines klagbaren Vertrags war nur in Ausnahmefällen zulässig und auf Art und Inhalt des jeweiligen Vertrags zugeschnitten.42 Spezielle gesetzliche Möglich-keiten der einseitigen Vertragsaufhebung bestanden nicht nur für die Dauerschuldver-hältnisse des Sachmietvertrags (locatio conductio rei), der Gesellschaft (societas) und des Auftrags (mandatum),41 sondern auch für den Kauf: Lag der Kaufpreis erheblich unter dem Wert der verkauften Sache (sog. lacsio cnormis), konnte der Verkäufer den Vertrag auflösen und den Kaufgegenstand zmückfordern.44 Einen besonderen Fall der Nichterfüllung bzw. Schlechtleistung regelte die actio redhibitoria. Mit dieser Klage konnte der Käufer eines Sklaven .oder Zugviehs Aufhebung des Kaufvertrags verlangen, wenn ihm der Verkäufer bestimmte Mängel verschwiegen hatte.45

Neben den gesetzlichen Aufhebungsgründen hatten die Parteien die Möglichkeit, den Kaufvertrag mit speziellen Rücktrittsvorbehalten zu versehen.46 Den Fall der Nichterfüllung regelte die Lex commissoria. Sie ermöglichte dem Verkäufer, den Kauf-vertrag unter dem Vorbchal.t zu schließen, das.s der Käufer seine Zahlungspflicht er-füllte.47 Blieb der Käufer die Zahlung schuldig, konnte der Verkäufer die Rückge-währ eigenmächtig einleiten.'

1s

38 Digcstcn 2, 14, I, pr.; Ulpian 4. ad e_dictum; zitiert Behrends (Hrsg.) u. a., Corpus Iuris Civilis IJ (1995): ,.Denn was enrspncht der menschlichen Treue mehr als zu halten, worüber man sich untereinander geeinigt hat.".

39 Zum römisch-rechtlichen Typenzwang: Ebei!Thielmmm, Rechtsgeschichte, 3. Auf!. (2003)

Rn. 73, 107.

40 Honsell,. Römisches Recht, 6. Aufl. (2005) S. 159.

41 Ka>erl Kniitel, Römisches Privatrecht, l 8. Aufl. (2005) § 46 Rn. 6 f.

42 Storck (Fn.S) Rn.3; Leser, Der Rücktritt vom Vertrag (1975) 5.2: "Einzclbchelfe".

43 zur einseitigen Aufhebung benanmer Dauerschuldverhältnisse im römischen Recht: Hat-tenhauer, in: Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Band II (2007),. §§323-325,

Rn.13.

44 Schulze, Die laesio enormis in der demsehen Privatrechtsgeschichte, Diss. iur. Münster

(1973) s. 3, 9.

45 Honsell (Fn. 40) S. 139. .

Zu den einzelnen Rücktnttsmrbehalten beim Kauf: Hattenhauer (Fn. 43) §§ 323-325,

46 Rn.16.

47 Storck (Fn. 5) Rn. 4. . . . . . . Ghes.tin, Traitc dc droH cJvli - Lcs obhgauons ( 1992) S. 397.

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Wie die Iex commissoria versteht auch Art. 1184 CC die Nieirrerfüllung durch den Schuldner als auflösende Bedingung. Die nach römischem Recht zu stipulierende Be-dingung könnte im Laufe der Zeit derart geläufig geworden sci.n, dass sie schließlich in jedem Vertrag als stillschweigend vereinbart angenommen wurdc.'1'1 Dielex com-missoria fand aber in den überlieferten französischen Uneilc.:n und notariellen Quel-len zu keiner Zeit Beachtung.50 Auch die naturrechtliche Lehre setzte sich bei der Diskussion eines aUgemeinen Rechts der Vertragsaufhebung nicht mit jenem römisch-rechtlichen Rücktrittsvorbehalt auscinandcr. 51 Darüber hinaus besteht ein wesentlicher systematischer Unterschied zwischen Art. 11841 CC und der lex com-missoria: Während letztere zur Vertragsaufhebung wie dargclq;t keine richterliche Entscheidung vcrlangte,52 kann ein Vertrag nach Art. 1184 CC ausschließlich durch Urteil aufgehoben werden. 53 Art. 1184 CC ist nach alledem nicht auf die lex commis-soria zurückzufiihrcn. 54

2. Erste Parallelen zur resolution pour inexecution im kanonischen Recht

Eine der resolution pour inexecution ähnliche Art der Vertragsaufhebung entwickelte sich erst im kanonischen Recht. 55 Nach dem U ntcrgang des weströmischen Reichs weitete die christliche Kirche ihren rechtspoliti,schen Einfluss aus und begann auf Grundlage des römischen Rechts - ecclesi.a vivit lege Romana5r. - mit der Begrün-dung eines eigenen Rechts, des sog. kanonischen Rechts. 57 DieJurisdiktionsgewalt des iuris canonici erfasste den Klerus, die Kirchengüter und die kirchlichen Rechtsan-gelegenheiten der Bevölkcrung.511

Während die Legisten in der Tradition des römischen Kaiserrechts an der Lehre der pacti nominati bzw. innominati fcsthiclten, war das kanonische Recht von einer chrisdichen Moralisierung geprägt, aufgrund derer die KanonisLCn die Unterschei-dung von klagbaren Nominatvcrträgcn und unklagbaren I nnominatkontrakten in Frage std1ten.59 Der Bruch eines vertraglichen Versprechens galt im kanonischen Recht unabhängig von der Art des Schuldverhähn.isscs als Li.igc und Sündc,"

0 wes-

49 Starck, Droit Civil- Lcs Obligations, 2. Auf!. (1986) S. 547. 50 Boyer, Recherehes historiqucs sur Ia rcsolution des origies dc I 'artidc 1184 C. civ.

(1924) s. 378 f. 51 Schmidlin (Fn.29) S. 683. 52 Hudelot (Fn. 8) S. 188; Ghestin (Fn. 48) S. 397. 53 Oben: I 1. 54 Anderer Ansicht noch Stall AcP 131 (1929), 141 (155). 55 Terre (Fn. 9) S. 623; Storck (Fn. 5) Rn. 6. 56 Lieberwirth, Latein im Recht, •1-.Aufl. (1996) S. 105: "Die Kirche lebt nach römischem

Recht.". 57 Storck (Fn. 5) Rn. 6. 58 Ferid!Sonnenberger Das französische Zivilrecht l/1, 2. Aufl. ( 1994) S. 86. 59 Liebs, Römisches Recht, 6. Aufl. (2004) S. 258 f.; Landfcrmann (Fn. 16) S. 12.

60 Schmidlin (Fn. 29) S. 678.

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Bierschenk Vertragsaufhebung wegen Nichterfüllung in Art. 1184 Code Civil 473

halb nunmehr jede vertragliche Absprache Bindungswirkung entfaltete.61 Wer sein Versprechen breche und sich dadurch versündige, habe nicht die Treue seines Ver-tragspartners verdient und sei mit dem Verlust des Gegenleistungsanspruchs zu be-strafen.62 Die Kanonisten cmwickeltcn den Grundsatz, jeder willentlich eingegange-ne Vertrag werde unter der stillschweigenden Bedingung geschlossen, dass die vertragsbrüchige Panei ihren Anspruch auf Gegenleistung verliere.63 Diese Ent-wicklung mündete in die von Huguccius (um 1140-1210)64 um 1190 formulierte

Regel: "Fragenti fidem Jides non cst servanda. "r'

5

Der Vertrag konnte nur durch richterliche Entscheidung aufgehoben werden.l\6 Es lag im freien Ermessen des Richters, den Vertrag aufzulösen, ihn aufrecht zu erhal-ten, Fristen zur nachträglichen Erfüllung zu gewähren oder eine Strafe gegen den säumigen Teil zu vcrhängen.67 Sogar die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien konnte der Richter in die Urteilsfindung cinbezichen.68 Die Notwendigkeit eines Urteils begründeten die Kanonisten damit, dass der Richter als Außenstehender überprüfen müsse, ob die Vereinbarung der Parteien tatsächlich verletzt wurde. 69

Außerdem sei allein der Richter kompetent, Strafen gegen sündiges Verhalten zu ver-

h.. 70 angcn.

Obwohl bei Vertragstypen weltlichen Ursprungs geringe Abwandlungen des von Huguccius formulierten Grundsatzes fallen die strukturellen Paralle-len zwischen der Vertragsaufhebung 1m kanomschen Recht und der Dogmatik des Art. 1184 CC in Form der stillschweigenden Vereinbarung und der Entscheidungs-

gewalt des Richters auf.

3• Die Entwicklung der Vertragsaufhebung im säkularen französischen Recht

a) Droit ecrit und droit coutumicr als Ausgangspunkt

Während sich die Vertragsaufhebung im kanonischen Recht seit dem Spätmittelalter ungeachtet der weltlichen Staaten- und Rechtsentwicklung zunehmend vereinheit-

61 Vgl.: .Grcgorii IX. (Libcr)Extra, 1234), 1.35.1: "Pacta nuda ser-vanda sunt. ', ZJtJCrt nach: Landau, I acra sunt scrvanda- Zu den kanomstJschen Grundlagen der Privatautonomic, in: ",ns Wasser geworfen und Ozeane durchquert", in: Nörr- FS

(Z003) 5.457 (45!1) w. N. . .

62 Ghestin in Vacca (1-n. 23) S. 110; Sclmudlm (h. 29) S. 678.

63 Storck (Fn. 5) Rn. 6.

64 zur Person J-luguccius' (/Juguccio dc Pisa): Müller in Stallcis (Fn. 37) S. 314 f.

65 Schmidlin (Fn. 29) S. 678: "Wer die Treue bricht ( ... ), dem ist die Treue nicht zu halten.".

Terre (Fn. 9) S. 623. 66 Schmidlin (Fn. 29) S. 678; Tcm! (Fn. 9) S. 623. :; Storck (fn. 5) Rn. 7; TnTc (Fn. 9) S. 623.

Bayer (Fn. 50) S. 214 f. 69 . 2

ßoycr (Fn. SO) S. 22 . . . . Starck (Fn.5) Rn.8 verweiSt u.a. auf Unterschiede be1 der Aufhebung von Kauf- und

Dienstverträgen.

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lichte, verfügte Frankreich bis zum Ende des Ancien Regime über keinen einheitl-ichen Rechtsraum.72 Im Süden galt das von den Glossatoren wissenschaftlich bear-beitete römische Recht in Form des Corpus I uris Civilis.1

.1 Die Bestandskraft des römischen Rechts gründete entweder auf tatsächlicher Übung (ex usu fori) oder auf königlichem Dekret (patientia principis) und war derart gefestigt, dass der Süden Frankreichs rückblickend als pays du droit ecrit bezeichnet wird. 74 lm Gebiet des droit ecrit galt das von Ulpian formulierte Rücktrittsverbot.75 Zulässig waren allein die aus der Antike übcrlidcrtcn, speziellen Arten der Vcrtragsaufhe-bung.76

Im Norden Frankreichs galt Gewohnheitsrecht fränkischen Ursprungs, welches nur vereinzelt römisch-rechtlichem Einfluss umcrlag.77 Das Gewohnheitsrecht (droit coutumier) bildete sich durch Präzedenzfälle und Befragungen gesellschaftlich ange-sehener Bürger der jeweiligen Gegencl. 7x Es wies lokale Unterschiede auf und war aufgrund seiner geringen Verschriftlichung fl.exibler und Neuerungen gegenüber offener.79 In den einzelnen coutumes des Nordens war das Recht der Vertragsauf-hebung nicht allgemein

Mit zunehmendem Handel wuchs im Norden Frankreichs der Bedarf nach einem einheitlichen Vertragsrecht. Das römische Vertragsrecht wurde mitsamt seinen spe-ziellen Möglichkeiten der Vertragsaufhebung in die coutumes übcrnommcn.x 1 Dane-ben konnten sich auch neue Formen der Aufhebung und Rückabwicklung durchset-zen: Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts wurde beispielsweise in der Coutume de Pa-ris für Mobiliarverkäufe die Regel entwickclt1 dass der Verkäufer die Sache zurückfordern konnte, wenn der Käufer nicht leistete und ihm der Verkäufer keine Zahlungsfrist eingeräumt Nach anderen coutumes behielt der Verkäufer bis zur vollständigen Bezahlung des Kaufpreises ein Pfandrecht an der K;1ufsache. Er-füllte der Käufer seine vertragliche Pflicht nicht, konnte der Verkäufer die Sache zu-rückverlangen und auf diese Weise den Vertrag faktisch

b) Die Neuinterpretation römischer Quellen durch DuMoulin als Vertreter des mos gallicus

Im 16.Jahrhundcrt verstärkte sich im Norden .Frankreichs die Auseinandersetzung mit dem im Corpus luris Civilis überlieferten römischen Recht durch die Humanis-

72 Aubert,. Introduction au droit, 1984, S. 224. 73 Ferid!Sonnnberger (Fn. 58) S. 84 L 74 Aubert (Fn. 72) 5.224; Ferid!Sonnenberger (1-'n. SH) S. S4. 75 Terri (Fn. 9) S. 623. 76 Oben: II 1; außerdem Storck (Fn. 5) Rn. S. 77 Landfermann (Fn. 16) S. 14. 78 Ferid/Sonnenberger (Fn. 58) S. 86. 79 Scherner (Fn. 34) S. 135: "Das Recht konnte wachsen.". 80 Scherner (Fn. 34) S. 135. 81 Bayer (Fn. 50) S. 339; Landfermann (Fn. I 6) S. 14; (Fn. 42) S. (,, 82 Scherner (Fn. 34) S. 135. 83 Bayer (Fn. 50) S. 337 f.; Sehern er (Fn. 34) S. 135.

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Bierschenk Vertragsaufhebung wegen Nichterfüllung in Art. 1184 Code Civil 475

ten. 84 ]m Gegensatz zu den Juristen des mos italicus, welche die Quellen historisch unkritisch als ratio scripta ansahen, entwickelten die Humanisten des mos gallicus einen historisch-kririschen Ansatz. Sie erkannten, dass das Corpus luris Civilis keine Sammlung des ursprünglichen römischen Rechts ist, sondern durch]ustinian (durch sog. Interpolation) und die anschließende rechtsgeschichtliche Entwicklung in Teilen verändert wurde.85 Die humanistischen Juristen machten es sich zur Aufgabe, den ,wahren' klassischen Rechtszustand anhand weniger vorjustinianischer Quellen zu ermitteln.86 Im Zuge dieser Entwicklung erfolgte für die Herausbildung eines allge-meinen Rechts der Vertragsaufhebung wegen Nichterfüllung der entscheidende Schritt: Im Gegensatz zu allen vorangegangenen Interpretationen behauptete der Humanist Charles DuMoulin (1500-1566),s7 dem Corpus Juris Civilis die Struktur eines allgemeinen Rücktrittsrechts entnehmen zu können.88 Das Recht bestehe unab-hängig davon, ob es sich beim jeweiligen Rechtsgeschäft um einen zwei- oder mehr-seitigen Vertrag handele und ob er benannt oderunbenannt sei:

.,Stat ergo quod defectu causae finalis, locus est rescissionis etiam in contractibus no-min.atis, & specialiter in venditione."R9

Entscheidend für die Vertragsaufhebung sei allein, ob der Vertrag entgeltlich sei und damit die rücktrittswillige Partei durch die Nichterfüllung ihres Partners belastet würdeY0 Zur Begründung seiner Erkenntnis bediente sich DuMoulin derselben Quel-len des Corpus /uris Civilis wie seine Vorgänger. Allerdings legte er den Text neu aus und formulierte zwei neue Ansätze: Die Quellen des Corpus luris Civilis, mit denen bislang ein allgemeines Rücktrittsverbot begründet wurde, seien nicht allgemein gül-tig, Ferner Quellen des Cor-pus Juris m Emzelfallen d1e Vertragsaufhebung zuließen, etn allgcmemes Pnnz1p entnehmen. - Zur Regelung der Aufhebungsfolgen

84 Liebs (F n. 59) S. 112. SS Mayer-Maly, Römisches Rec!H, 2. Auf!. (1999) S. 34.

Manthe, Geschichte des römJschen Rechts, 2. Auf!. (2003) S. 120 f.; Liebs (Fn. 59) S. 112 f. 86 I 87

zur Person DuMoulins (Mo inaeus): Otlo in Stalleis (Fn.37) S. 188 f.

88 Bayer (Fn. 50) S .. 342 ff.; Schemcr (Fn. S. 5) 0.

89 DuMoulin ( Molmaeus), Nova et analyuca expilcatJo rubncae & legts I & li ff. de verbarum obligationibus cx uberrimis lectionibus tarn quam Dolanis (prima pars) Pari-siis ad Salamand rx (J 662) no 62, S. 26; eigene Ubcrsetzung: "Es steht aber fest, dass beim Verfehlen des Zwecks aucb bei benannten Verträgen und speziell bei Verkäufen Anlass zur

Aufhebung besteht.".

90 Ghestin (Fn. 48) S. 397: "Contrats a titrc oncreux"; Scherner (Fn. 34) S. 136.

91 Sehern er (Fn. 34) S. 136;. Boy er (Fn. 50) S. 344 f.

92 ßoyer (fn. 50) S. 346 f.; ·:chemcr 34) S. 137, Fn. 11: "So aus über die Wandlung, aus C 4, 54, 6 ; vgl. Schdlmg (Hrsg.) u. a., Das Corpus I uns ClVIhs ms Deutsche "bersctzt, Band V (1832): Codex Justinianus 4, 54, 6- "( ... )indem bei nicht erfülltem Ver-u rechen dein Eigcnthumsrccht wiederum in das alte Verhältnis eintreten muss. Daher wird :fer compctentc Richter( ... ) dass das. ( ... ) dir( ... ) zurückgegeben

rde zu mal da auch der Gegenthe•l, wenn er scm Geld w1eder bekommt, nicht als irgend-wc , d I . ,, ein Unrecht leiden crsc 1c1nt ..

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476 StudZR 3/2008

verwies DuMo.ulin auf die Lehre des Bartofus ( 1313 -1357)93 und der Kommentatoren von der causa finalis, 94 wonach jede vertragliche Leistungspflicht ihren Zweck in der Erlangung der Gegenleistung Danach verfehle eine aufgrund Vertrags er-brachte Leistung ihren Zweck, wenn die andere Partei ihre Leistungspflicht nicht er-fülle. Die sine causaerbrachte Leistung könne dann mit der condictio causa data causa non secuta96 zurückgefordert werdcn.n Der Rückgriff auf die causa finalis genügte je-doch nicht, um den gedanklichen Vorstoß DuMoulins vollends zu decken; denn die Kommentatoren hatten ihre Lehre lediglich auf lnnominatkontraktc bczogcn.9

H Dem-gegenüber wollte DuMoulin die Regeln der condictio causa datä causanon secuta so-wohl auf benannte als auch auf unbenannte Verträge anwenden.'J'J Bei Kaufverträgen trat als weiteres Problem hinzu, dass nicht der Kaufpreis selbst, sondern die vom Ver-käufer angestrebte Nutzung des Geldes als Zweck angesehen wurde. 11

KJ Daher konnte eine veräußerte Sache nur dann mittels condictio zurückgefordert werden, wenn für den Verkäufer die rechtzeitige Zahlung unerlässlich war, um einen weitergehenden Zweck zu erreichen.u11 Um diesen Problem zu begegnen, untermauerte DuMoulin seine Lehre mit dem allgemein gültigen Grundsatz des kanonischen Rechts fragenti fidem fides non est servanda und gab damit den Anstoß für die Annäherung der Dok-trin der causa finalis und der Regel fragenti fidem. 102

aa) Die Aufnahme und Weiterentwicklung der Lehre DuMoulins in der Rechtsprechung

Unter dem Einfluss der Lehre DuMoulins übernahmen die Gerichte im Norden Frankreichs ab der Mitte des 16.Jahrhundens die an das kanonische Recht angelehn-te Art der Vertragsaufhebung wegen Treubruchs und cmwickcltcn sie fort:w3 Seit ei-ner Leitentscheidung aus dem Jahre 1574 räumte das Parlemenl de Paris dem Ver-käufer bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung stets ein dingliches Recht an der Sache ein- selbst wenn für den Käufer eine Zahlungsfrist bcstand. 10

'1 Die neue Regel erwies

sich als praktikabel, wurde in andere coutumes übernommen und auf we.itere Ver-

tragstypen übcrtragcn. 105

93 Zur Person Bartolus': Kleinheyer/Schröder, Deutsche und curopiiischc Juristen aus neun Jahrhunderten, 4. Aufl. (1996) S. 43 ff.

94 Landfermann (Fn. 16) S. 14. 95 Boyer (Fn. 50) S. 342 f.; Storck (Fn. 5) Rn. 9. 96 Lieberwirth (Fn. 56) S. 65; "Hcrausgabeanspruch wegen 97 Landfermann (Fn. 16) S. 14. 98 Storck (Fn. 5) Rn. 9. 99 Boyer (Fn. 50) S. 344.

100 Boyer (Fn. 50) S. 347; Landfermann (Fn. 16) S. 14 f. 101 Landfermann (Fn. 16) S. 15. 102 Bayer (Fn. 50) S. 373, 4]1; Landfermann 16) S. 15. 103 Terre (Fn. 9) S. 624; Storck (Fn. 5) Rn. 10. 104 Scherner (Fn.34) 5.137. 105 Storck (Fn. 5) Rn. 1 0; Scherner (Fn. 34) S. 137.

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Bierschenk Vertragsaufhebung wegen Nichterfüllung in Art. 1184 Code Civil 477

bb) Die Herausbildung der auflös·cndcn Bedingung des späteren Art. 1184 I CC

In den Gebieten des droit t!crit verlief die Entwicklung langsamer. Die dortige Recht-sprechung konnte sich nur zögernd vom römisch-rechtlichen Formalismus lösen und unterschied weiterhin zwischen dem Verkauf von beweglichen und unbewegli-chen Sachen. 106 Erfüllte der Käufer seine Pflicht beim Kauf einer beweglichen Sache nicht, wurde der Vertrag als eine beliebig widerrufbare Leihe gedeutet (precarium).lln Beim Kauf eines Grundstücks stellte sich das Problem, dass nach römischem Recht keine Leihe möglich war und eine Vertragsaufhebung nicht im Wege der Auslegung erfolgen konnte. 10x Vor diesem Hintergrund kam es 1577 zu einer wegweisenden Entscheidung des Parlement de Toulouse: Als ein Käufer die Zahlung des Kaufprei-ses schuldig blieb, räumte das Gericht dem Verkäufer eine Hypothek am Grundstück ein,. aus der er sich befriedigen konnte; eine Rückübertragung war nicht möglich. 10

9

Obwohl sich zahlreiche Gerichte an der Rechtsprechung des Parlement de Taulause orientierten, verlangten einige südliche pm·lements weiterhin eine durch stipulatio vereinbarte auflösende Bedingung. 110

[ m Wege richterlicher Rechtsfortbildung kam es schließlich sowohl für den Mobiliar- wie lmmobiliarerwerb zur Vermutung einer stillschweigend vereinbarten auflösenden Bedingung,.''' die einerseits dem Parteiwil-len gerecht werde und andererseits die römisch-rechtlichen Vorschriften zumindest der äußeren Form nach ein halte. 112 Mit der Zeit erschien die Fiktion einer auflösen-den Bedingung auch den Gerichten im Norden als praktikabel und für die Parteien verständ]icher als die Lehre von der causa finalis. 113 Damit ging ab Anfang des

18. Jahrhunderts die gesamte französische Rechtsprechung zur Fiktion einer auflö-

senden Bedingung

c) Die Entwicklung einer einheitlichen Theorie ab dem 17.Jahrhundert

Obwohl durch die Leh_rc ab dem 16.Jahrhundert die "Sperre" der römi-schen Quellen gegen em allgemcmes Recht der Vertragsaufhebung wegen Nichter-füllung schrittweise es an einer allgemeingülti-

en Begründung. Be1 der Herausbildung emer allgcmemen Lösung war die Lehre g n der causa finalis ein bedeutender Schritt. Durch die Anerkennung einer Zweck-v_o htung des Vertrags erlangte der Parteiwillen die Aufmerksamkeit der Juristen und

zum Ausgangspunkt einer allgemeinen Theorie der Venragsaufhcbung.' 16

-106 107 108 109 HO t11 112 113 114 115 116

Scherner (fn.J4) S.l37. Scherner (fn.34) S.l37. Boyer (Fn . .50) S. 362 ff. _ Bayer (Fn. 50) S. 363 f.; Scbcmcr (1-n. 34) S. 137.

Storck (Fn. 5) Rn. 10. _ Scherner (Fn.34) S. 137; Storck (l·n.S) Rn.10. Boyer (Fn. 50) S. 376 ff.

Landfermarm (Pn. 16) S. 15. Landfermann (Fn. 16) S. Leser (Fn. 42) S. 9; Bayer (1-n. 50) S. 344 ff. Scherner (Fn. 34) S. 137 f.; Bayer (Fn. SO) S. 373.

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aa) Die Lehren Domats und Pothiers

Gegen Ende des 17.Jahrhundcrt griff der Naturrechtier jean Domat (:1626-1696) 117

die Lehre von der causa finalis auf und modifizierte sie dahin, dass jede vertragliche Verpflichtung ihren Grund bereits in der Verpflichtung des Partners und nicht. erst in deren Erfüllung habe. 11

R Durch die dogmatische Vorverlagerung der caus.a koppelte Domat die Vertragsaufhebung allein an den Leistungswillen und das Leistungsvermö-gen des Vertragspartners und entlarvte mit dieser Konstruktion die auflösende Bedin-gung als dogmatisch überflüssig. Der Gläubi,ger sei im Falle der Nichterfüllung durch den Schuldner auch dann zur Vertragsaufhebung berechtigt, wenn keine auflösende Bedingung vereinbart wurde. 119 Der Grund der Vertragsauflösung folge allein aus der Nichterfüllung selbst, "encore qu'il n'y ait pas de clause rcsolutoire" .120 Das entschei-dende Gewicht, das Domat allein der gegenseitigen Verpflichtung zuerkannte, zeigte sich ferner daran, dass er die Vertragsaufhebung wegen Nichterfüllung nicht vom Ver-tretenmüssen des Schuldners abhängig machte ("soit qu'il ne puisse ou qu'il ne veuille pas executer son engagcmcm"). 121 Darüber hinaus zog Dornat sogar Schadensersatz-ansprüche (,,dornmages et intcrcts") für den Fall der Nichterfüllung in Erwägung.

Die in Art. 1184 IH cc angelegte Möglichkeit zur Nachfristsctzung (,.dclai arbitraire") geht ebenfalls auf Domat zurück. 122 Das neuartige Verständnis Domclls von der causa festigte DuMoulins Theorie, benannte und unbcnanntc Verträge auch im säkularen Recht einheidich zu behandeln und definierte zugleich das heute in Art. 1184 I CC niedergelegte Synalilagma. 123

Im 18.Jahrhundert griff Robert ]oseph Pothier (1699-1772) 12'1 die Lehre Domats

vorn Synallagma auf und bestätigte, dass das Recht zur Vertragsaufhebung unmittel-bar aus der Nichterfüllung folge und nicht vom Eintritt einer auflösenden Bedingung abhängig sei. 125 Den Wegfall der Leistungspflicht des Gläubigcrs im Falle der Nicht-erfüllung durch den Schuldner bezeichnete Pothier als logische Konsequenz ("conse-quernment").126 Zur Veranschaulichung seiner Theorie wählte Pothier ein Beispiel aus dem Kaufrccht. Im Gegensatz zu Domat konstruierte Pothier das Beispiel aber dergestalt, dass die Gegenleistungspflicht des Käufers im Falle der Nichterfüllung durch den Verkäufer entfiel; was die endgültige rechtliche Gleichstellung der Pflich-ten aus einem gegenseitigen Vertrag bedcutcte. 127 Die 'fhcoric Domats konkretisierte

117 Zur Person Domats: Kleinhcycr!Schrödcr (Fn. 93) S. lOS ff. 118 Scherner (Fn.34) S. 139. 119 Bayer (Fn. 50) S. 382. 120 Domat, Lcs lois civilcs dans lcur ordre nature!, Liv. I, 'fit. I, Scct. VI, I I, in: CEuvrcs complc-

tcs, Tomc I, 1835. 121 Domat (Fn. 120) Tomc ], Liv. I, Tit. I, Scct. VI, II; ;wgcrdcm lloyr.:r (Fn. 50) S. 382. 122 Domat(Fn.120) Tomc I, Liv. l, Tit. I, Scct. VI, II. 123 Scherner (Fn. 34) S. 139; Ghestin (Fn.48) S. 398. 124 Zur Person Pothiers: Kleinheyer/Schröder 93) S. 321 f(. 125 Storck (Fn. 5) Rn. 1 1; Boyer (Fn. 50) S. 382; Schmidlin (Fn. 2'J) S. MD. 126 Pothier, Traitc des obligations, Part. m, Chap. VII, .Art. II (n" 672), in: CEuvrcs dc Pothier,

Tomc li, 1848. 127 Terre (Fn. 9) S. 624.

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Bierschenk Vertragsaufhebung wegen Nichterfüllung in Art. 1184 Code Civil 479

Pothier mit dem bloßen Verweis auf die bisherige Rechtspraxis dahin, dass allein der Richter befugt sei, etwaige Fristen zu gewähren oder den Vertrag aufzuheben:

"Neanmoins dans notrc pratiquc fram;aisc, il cst d'usage de faire une sommation au creancier par un sergent, a cc qu 'il ait a satisfaire a Ia condition, avec assignation devant le fuge pour voir prononcer Ia nullite de l'engagement (. .. ). "128

bb) Die Wirkung Domats und Poth.iers in der Rechtspraxis

Aufgrund des von Domat und Pothier entwickelten allgemeinen Prinzips der Ver-tragsaufhebungwegen Nichterfüllung sahen die Gerichte zunehmend davon ab, zwi-schen einzelnen Vertragstypen zu diffcrcnziercn. 129 Der Begriff der Nichterfüllung wurde immer weiter ausgelegt und erfasste schließlich auch die Schlechterfüllung. 130

Die Frage nach dem Vertretenmüssen der säumigen Partei spielte bei der Vertragsauf-hebung keine Rolle, da sich die Gerichte fortan allein an der von Domat formulierten Lehre von der causa synallagmarischcr Verträge orientierten .. 131

cc) Die Festigung der auflösenden Bedingung durch die Lehre Bourjons

Wenngkich Pothier in Anlehnu?g an Domat die auflösende Bedingung mit der Lehre von der causa für überflüss1g erklärte, sprach er sich nicht ausdrücklich gegen eine (stillschweigende) Bedingung aus. m Stattdessen versuchte Pothier mit der For-mulierung "exprimer l'incxccution ( ... ) comme condition resolutoire" seine Lehre der damaligen Rechtspraxis anzupassen. Diese Haltung Pothiers nahm Franr;ois Bourjon Mitte des. 18. Jahrhun?c:rts zum. alle Vertragsarten allgemein zu formulieren, dass Jede gegense1t1gc Verbmdhchken unter der stillschweigenden Be-dingung stehe, dass jede der Parteien ihrer Leistungspflicht nachkomme:

C'est une condition tacite dH cantrat qu 'il ne subsistera qu 'autant que !es parties '' · . f ul11 e::ct?cuteront reczproquement eur engagement. · ·

Irn Gegensatz Recht begründete Bourjon die auflösende Bedin-gung allerdings m1t sondern durch d!e von Dornat und Pothzer hcrausgcbdd.cte Abhang•gkc.lt von Le1stung und Gegenleistung. Danach solle Bcdmgung verdeutlichen, ein gegensciti_ger . Fa.Ue der Ntchtcrfullung aufgrund der "synallagmatischen Mechamk" 134 mcht un k .. d · · I b I • mehr fortbestehen onne un 111 s1c 1 zusammen rec 1e. · · D1csc Rechtsfolge war

Part. Ill, Chap. VII, An. II (n°672).

129 Storck (h1 .. S) Rn. 10 f.

0 Sehern er (J·n. 34) S. 138. 1 l Bayer (Fn. 50) S. 383. 1 .2 Neubecker, Vcrtragslösung, ZVcrgiRW 2 I (I 908), 35 (97 f.); siehe außerdem oben: II 3 c aa. 13 B urion, Lc droit commun de Ia Franccer Ia courumc dc Paris, rcduits cn principes, tires 133 ° I - d I . . 'I d . d d s ordonnances, des arrcts, es o1x Cl\"1 es & es autcurs & m1s ans l'ordrc d'un commen-

complct & mcthodiquc sur ccnc coutume, 1747, Tomc I, Tit. IV, Ch. 9, scct. ], na III.

Schmidlin (Fn. 29) S. 684. g: Schmidlin (Fn. 29) S. 684.

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nach Ansicht Bourjons auch durch die alles beherrschende Billigkeit geboten ("sou-vcraine equite"). 136

dd) Die Begründung eines konstitutiven Urteils zur Vertragsaufhebung

Aufgrund der Gewichtung des Synallagmas durch Domat, Pothicr, Bourjon und die Rechtsprechung wäre es konsequent, die Vertragsauflösung beim Eintritt der Bedin-gung de plein droit zuzulassen. 137 Dennoch verlangte selbst Pothier als Mitbegründer der "synallagmatischen Mechanik" 1311 das U rtcil eines Richters. Ferner war die rich-terliche Vertragsaufhebung in Frankreich Praxis.u9 Allein dieser Umstand genügt aber nicht, um die Notwendigkeit eines Urteils rechtstechnisch zu erklären. Ein wesentlicher Grund ergab sich daraus, dass Vcräußeru i 111 französischen Recht von jeher zugleich dingliche Wirkung hatten und sich die Eigentumsverhält-nisse der Parteien bereits mit Vertragschluss ändertcn. 1

'10 Sofern der Verkäufer seine

vertragliche Pflicht erfülh hatte und die Leistung wegen Nichterfüllung vom anderen Teil zurückverlangte, benötigte er wegen des Eigentumsverlusts eine richterliche Rcchtfcrtigung. 141 Ein weiterer Grund rechtsethischer Natur ergab sich aus den Bil-ligkeitserwägungen Bourjons. Nur ein H.icl1ter könne objektiv entscheiden, ob die Nichterfüllung nach Art und Schwere den Gläubiger ermächtige, dem Schuldner die Treue aufzukündigen. Eigenmächtiger Rücktritt des Gläubigcrs hätte den Grundsatz der Vertragstreue gcfährdet. 142

4. Die Kodifikation des gewohnheitsrechtliehen Grundsatzes in Art. 1184 CC

Bei den Bcraltungen über das a]lgemcinc Recht der Vertragsaufhebung wegen Nicht-erfüllung ließen sich die Verfasser des Code Civil von den durch Domal, Pothier und Bourjon entwickelten Grundsätzen der pays du droit coutumicr leiten. Römisches Recht floss nicht in die Beratungen ein. 144 Die Lösung des Art. 1.184 CC fand sich wie dargelegt bereits in den Abhandlungen Pothiers, gehörte längst zur Rechtspraxis des Nordens und wurde hinsichtlich der auflösenden Bedingung von Bourjon maßgeb-lich geprägt. Der kanonische Grundsatz fragcnti fidem hatte sich zu einem allgemei-nen Prinzip entwickelt und wurde in Art. 1184 CC gcsetzl:ich fcstgcschricbcn. 145 Die

136 Boy er (F n. 50) S. 383. 137 So bereits Neuhecker ZVcrgiRW 21 { 1908), 35 (97). 138 Schmidlin (Fn. 29) S. 684. 139 Pothier (Fn. 126) Part. III, Chap. VII, Art. II (n'' fJ72): .. Ncannwins dans notrc pratique

( ... ) il cst d'usagc dc faire( ... ) Jcvant lc pour voir prononccr Ia nullitc de l'engagcmcm ( ... ).".

140 Scherner (Fn.34) S. 138. 141 Boyer (Fn.SO) 5.400. 142 Schmidlin (Fn. 29) S. 684. 143 Boyer (Fn. 50) $.41!2;. Tcrrc (Fn. 10) S. (,24. 144 Landfermann (Fn. 16) S. 16. 145 Schmidlin (Fn. 29) S. 677.

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Bierschenk Vertragsaufhebung wegen Nichterfü1lung in Art. 1184 Code Civil 481

Verfasser des Code Civil entwarfen keine neue resolution pour inexecution, sondern kodifizierten den damaligen Rechtszustand in Art. 1184 CC. 146

IV. Zusammenfassung und Kritik

Die Vertragsaufhebung nach Art. 1184 CC hat ihren Ursprung im kanonischen Recht. Der kanonische Grundsatzfr,agentifidem diente im 16.Jahrhundert DuMou-lin als Rechtfertigung die causa finalis auf unbenannte Verträge anzuwenden und eine Vereinheitlichung des Vertragsrechts einzuleiten. In Anknüpfung an DuMoulin konnte sich ab dem 17. Jahrhundert unter dem Einfluss Domats, Potbiers und der parlements des coutumes eine allgemeine Regel der Vertragsaufhebung entwickeln, die in Form des Art. 1184 CC Gesetzesrang erhielt.

Während die Vertragsaufhebung im kanonischen Recht auf der Treuebindung (jides) der Parteien beruhte, 147 wurde die säkulare resolution pour inexecution auf Grund-lage der causa finalis m_it dem gerechtfertigt. 148 Der Richter, dessen Aufgabe 1m kanomschen Recht dann bestand, treuwidriges Verhalten festzustellen und nötigenfalls das kirchliche Strafmonopol auszuüben, 149 sollte im säkularen Recht nunmehr den Willen der Vertragsparteien ermitteln. 150

Hinter der allein möglichen richterlichen Vertragsaufhebung des Art 1184 CC steht der Gedanke einer interdiclion de faire justice a soi meme (Verbot der "Selbstjustiz") mit dem Ziel, den Schuldner vor einer willkürlichen und ungerechtfertigten Vertrags-aufhebung durch den Gläubiger zu schützcn. 151 Das gerichtliche Verfahren soll ver-hindern, dass eine Partei i.iber das Verhalten ihres Vertragspartners urteilt ("eviter

ue chaquc panic dcvienne scul juge du comportement de son partenaire"). 152 Die ;esolution pour inexecution begründet daher kein Rücktrittsrecht des Gläubigcrs im

Sinne eines Gcstal tungs(klage)rcchts.153

Das Modell der richterlichen Vertragsaufhebung hat sich heute überlebt. Es zieht die Vertragsaufhebung in die Länge uncl bereitet Kosten, die bei einseitig gestaltender Ver-tragsaufhcbung nicht Der Schuldner kann nach Urreilsverkündung durch

146

147 148 149 150 151

152

t53

Zimmermann, ,,Hcard mdodics arc swcct, but those unheard are sweeter ... ", AcP 193

(1993), 121 (145).

Oben: 11 2. Oben: ll 3 c. Schmidlin (Fn. 29) S. 678; Ghcstin in Vacca (Fn. 23) S. 110.

Bayer (Fn. 50) 403 ff. _ Hattenhauer (J·n. 43) §§ 323-325, Rn. 28; flessner ZEuP 1997, 255 (271); Bayer (Fn. 50)

s. 400 ff. Terre (Fn. 9) S. 640; Ghestin in Vacca (Fn. 23) S. 11 L So bereits Richter, Studien zur Geschichte der Gestaltungsrechte des deutschen bürgerli-chen Rechts, Diss. iur. Münster 1939, S. 135; unzutreffend daher Helmreich,. Das Selbsthil-feverbot des französischen Rechts und sein Einfluss auf Gestaltungs- und Gestaltungskla-,,crccht, Diss. iur. München (1967) S. 85, 88. J·tesmer ZEuP 1997, 255 (27 I); Nc,.bccker ZVcrgiRW 21 (1908), 35 (98).

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die Einlegung von Rechtsmitteln die Geltungsdauer des Vertrags zusätzlich in die Länge zichcn. 155 Hinzu kommt, dass der Gläubiger über den Streitgegenstand erst nach Urteilsvcrkündung anderweitig verfügen kann, was seine wirtschaftliche Dispo-sitionsfreiheit erheblich einschränkt. 156 Ein Verkäufer, der sich vom Kaufvertrag lösen möchte, kann beispielsweise die verkaufte Sache erst nach Vcrkündung des Auflö-sungsurteils anderweitig wirksam vcräußern. 157 Art. 1184 CC wird daher häufig durch Auflösungsklauseln (clauses resolutoires) rechtsgeschäftlich abbcdungcn. 15

R Vor allem im Arbeitsrecht findet er kaum noch Anwendung. Die Cour de Cassation versucht die Dispositionsfreiheit des Gläubigcrs dadurch zu wahren, dass sie dem Gläubiger bei besonders schweren Vertragsverletzungen durch den Schuldner ein Recht zur einse.iti-gen Aufhebung Doch auch dadurch erhält der Gläubiger keine verlässliche Rechtsposition, da die Schwelle einer besonders schweren Verletzung nicht allgemein gültig definiert ist und der Schuldner eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle der ein-seitigen Vertragsaufhebung beantragen kann. 1

"1 Im Rahmen der nachträglichen Kon-

trolle bewertet das Gericht die einseitige Vertragsaufhebung durch den Gläubiger nur unter der strengen Voraussetzung als rechtmäßig, dass es selbst den Vertrag zum Zeit-punkt der Erklärung ohne Nachfrist aufgehoben hätte. 1 r,2 Nach alledem entspricht die resolution pour inexecution des Art. 1] 84 CC in vielen Bereichen nicht den Bedürfnis-sen eines modernen und schnelllebigen

V. Rechtsvergleich und gegenwärtige Diskussion

Von den europäischen Staaten, deren Zivilrecht vom Code Civil des Franrais geprägt ist, hat mittlerweile Portugal das Modell der gerichtlichen Vertragsaufhebung aufge-geben. In Italien und den Niederlanden wurde die gerichtliche Auflösung durch ein privates Verfahren ergänzt. In Belgien, Luxcmhurg und Spanien ist noch immer nur das richterliche Verfahren möglich. 1r.4

155 Ferid (Fn. 10) S. 510. 156 Temi (Fn. 9) S. 637; Storck (Fn. 5) Rn.l28 ff.: "La rcsolution unilaterale cst donc unc voie

risquee ( ... ). ". 157 Zweigert/Kötz (Fn.13) S.496. 158 Canin (Fn.18) S. 83; Ghestin in Vacca (Fn.23) S.116. 159 Beige{, .Arbcitssichcrhcitsrccht in Deutschland und Frankreich, Diss. iur. M iinchen (1996)

S.173, 176. 160 Cour de Cassation (1. eh. civ.) Arrer du 20. fcvricr 200 I, veröffentlicht in: Bulletin des arrcts

c:lc Ia Cour de Cassation I chambrcs civilcs, 2001, I. partic, 11° 40- Contrats ct obligations. 161 Porchy-Simon (Fn. 4) Rn. 523; Tem} (Fn. 9) S. 639. 162 Cour de Cassation (I. eh. civ.) Arrct du 13. octobre 1998, veröffentlicht in: Bulletin des ar-

rets dc Ia Cour de Cassation I chambrcs civilcs, 1998, 1. partic, n" 300 - Contrats ct obliga-tions; Zweigertl Kötz (Fn. 13) S. 496; Guimezancs (Fn. 21) S. 214.

163 Terre (Fn. 9) S. 637; Flessner ZEuP 1997, 255 (262). 164 Die jeweiligen nationalen Artikel und ihre Ausnahmen finden sich bei Bar/Zimmermann,

Grundregeln des europäischen Vertragsrechts, Teile I und H (2002), Anm. Art. 8:103 Rn. 3, Anm. Art. 8:106 Rn.l, 2, Anm. Art. 9:301 Rn. 1, Anm. Art. 9:303 Rn. 1; außerdem Flcssner ZEuP 1997,255 (271).

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Bierschenk Vertragsaufhebung wegen Nichterfüllung in Art. 1184 Code Civil 483

Obwohl der Code Civil in Deutschland noch bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am L 1.1900 in den linksrheinischen Staaten, dem Großherzogtum Baden (dort als Vorlage für das Badische Landrecht, 1810)165 und dem Bergischen Land galt, 166 wurde das allgemeine gesetzliche Rücktrittsrecht in den §§ 325, 326 a. F. BGB (heute: § 323 I BGB) als privates Verfahren ausgestaltet. 167 Die Entschei-dung gegen das gerichtliche Verfahren erfolgte in der länderübergreifenden Gesetz-gebung bereits mit Erlass des. Deutschen Handelgesetzbuchs (ADHG) von 1861. Zwar floss mn dem preußischen Entwurf von 1857 eine an Art. 1184 CC angelehnte Art der gerichtlichen Vertragsaufhebung in die Beratungen zum ADHGB ein, wurde aber als erhebliche Verzögerung und Erschwerung des

Handelsverkehrs angesehen und nicht übcrnommen .. 169

Unter den Rechtsvereinheitlichungsprojekten des europäischen Vertragsrechts 170 se-hen exemplarisch sowohl die Principles of European Contract Law (Art. 9:301 PECL) für das allgemeine Zivilrecht als auch die UNIDROIT-Principles (Art. 7.3.2] pJCC) für das Handelsrecht eine Vertragsaufhebung durch einseitig gestaltende Wil-lenserklärung vor. 171 Zwar haben die Harmonisierungsentwürfe keine Rechtskraft; sie dienen aber als Referenzordnung für Vergleich und Gesetzgebung nationalen Pri-

h 172 vatrec ts. Unter dem Einfluss der nationalen Privatrechtsentwicklungen und der europäischen Harmonisicrungscntwürfe - vor allem der PECL- wird in Frankreich gegenwärtig eine Reform des Schuld- und Verjährungsrechts diskutiert. 173 Am 22. September

20os übergab die zuständige Arbeitsgruppe unter der Leitung von Pierre Catala dem

----] 65

Sonnenbcrgcrl Autexicr (Fn. 1 0) S. . . .

166 Klippe/, Deutsche Rechts- und Gcnchtskartc mit Onentterungsheft, Nachdruck der Aus-

gabe von 189'6 . .

167 Vgl.: §§ 325, 326 a. I·. BG B tn BGB-Synopsc 1896-2005 (2005 ).

168 Art. 356 ADHGB (1861): .. Wdl cm Kontrahent auf Grund der Bestimmungen der vorigen Artikel statt der Erfüllung Schadenscrsatz wegen Nichterfül]ung fordern oder von dem Vertrage abgehen, so muß er dicß dem anderen Kontrahenten anzeigen und ihm dabei, wenn die Natur des Geschäfts dies zuläßt, noch eine den Umständen angemessene Frist zur Nachholung des Versäumten gewähren."; zitiert nach: Allgemeines Deutsches Handelsge-setzbuch von 1861 - Neudrucke Privatrechtlicher Kodifikat.ionen und Entwürfe des

t9.Jahrhundcrts, Band I (1973) S. 71. . . .

169 Lutz (Hrsg.), Protokolle der Kommtss1on zur Bcrathung emcs allgemeinen deutschen Handclsgcsctzbuchcs, II. Theil (1858), 66. Sitzung am 14.05.1857 (S. 593 ff.); außerdem

Hattenhauer (Fn. 46) §§323-325, Rn.40.

170 zu den Entwi.irfcn wissenschaftlicher Arbeitsgruppen und Einrichtungen zum europäi-schen Privatrecht und zum UN -Kauf recht ausführlich Kadner Graziano, Le contrat cn

droit privc curopccn (2006).

171 Rolland, Die Aufhebung des Vertrags nach den Vorschlägen der Schuldrechtsreform auf dem Hintergrund inr:rn.atinalcr in: FS (2003) S. 629 (649). vadner Graziano, Dtc Zukunft der Ztvdrcchtskodtftkatton 111 Europa, ZEuP 2005, 253

172 , .. , (253 f.). . .. . . . . . . Fauvarque-Cosson, lowards a Ncw Frcnch Law of Obltgauons and PrescnptiOn?, ZEuP

73 2007, 428 ff.

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484 StudZR 3/2008

Justizministerium den Vorentwurf einer Reform des Schuldrecht, das sog. Avant-Projet Catala (AP-C). 174 Art. 1158 AP-C berechtigt den Gläubiger im Falle der Nichterfüllung durch den Schuldner Erfüllung zu verlangen, auf VcrtragsauHösung zu klagen oder den Vertrag nach Invcrzugsetzung des Schuldners durch einseitig ge-staltende Willenserklärung aufzuhebcn. 175

Zwar ist der Vorschlag eines privaten Verfahrens zu begrüßen; das Nebeneinander von privatem du gerichtlichem Verfahren ist aber nicht geeignet, die Nachteile der resolution pour inexecution vollständig zu beseitigen. Der Wegfall des gerichtlichen Aufhebungsverfahrens würde- wie in Rechtsprechung und Lehre oftmals befürch-tet - den Schuldner auch nicht unangemessen benachteiligen, da er im Wege der Feststellungsklage stets die Rechtmäßigkeit der einseitigen Vertragsaufhebung über-prüfen lassen kann. 17

fi

Ob und in welchem Umfang das Avant-Projet Catala umgesetzt werden wird, ist ungewiss. 177 Es bleibt zu hoffen, dass die Lehren Domals und Pothiers von der Auf-hebung synallagmatischer Verbindlichkeiten nach über 300 Jahren ihre Umsetzung im Code Civil des Franrais finden werden.

174 Rochfeld,. La proposition de rcforme des sanctions dc l'incxccution du contrat, in: Schulze (Hrsg.), New featur·cs in contract law (2007) 197, 197.

175 Art. 1158 AP-C: "Bei allen Verträgen kann die Partei, der gegenüber die Verbindlichkeit nicht erfüllt worden ist, nach ihrer Wahl auf Erfüllung bestehen, die Auflösung des Vertra-ges herbeiführen oder Schadenscrsatz verlangen; letzterer kann gegebenenfalls auch neben die Erfüllung oder die Auflösung treten. I Wählt der Gläubiger die Auflösung, so ist erbe-rechtigt, diese entweder gerichtlich geltend zu machen oder den säumigen Schuldner in Verzug zu setzen, seiner Verbindlichkeit in vernünftiger Frist nachzukommen, und, wenn dies nicht geschieht, den Vertrag auflösen. I Hält die Nichterfüllung an, so teilt der Gläubi-ger dem Schuldner die Auflösung des Vertrages und sie tragenden Gründe rnit. Die Auflö-sung wird wirksam mit dem Empfang der Mitteilung durch die andere Partei." Der franzö-sische Text ist veröffentlicht unter: Picrre Catala, Ministere dc Ia Justice Avant-projct dc reforme du droit des obligations ct dc Ia prcscription, La documcntation Paris 2006. Die hier zitierte deutsche Fassung von Sonnenherger ist abrufbar unter: www.justi-

ce.gouv.fr/ art_pix/rapportcatatla0905-allcmand.pdf - letzter Zugriff am 01.07.2008. 176 Rochfeld (Fn. 174) S. 207 f. sieht hingegen die nachträgliche Kontrolle als Benachteiligung

des Schuldners. 177 Fauvarque-Cosson ZEuP 2007,428 (434).