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Herausgeber dieses Heftes / curatori di questo numero Andrea Bonoldi / Siglinde Clementi / Hans Heiss / Marlene Huber Innsbruck Wien Bozen / Bolzano Geschichte und Region/Storia e regione 21. Jahrgang, 2012, Heft 1 und 2 – anno XXI, 2012, n. 1 e 2 Bewegte Geschichte/Storia in movimento

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Herausgeber dieses Heftes / curatori di questo numeroAndrea Bonoldi / Siglinde Clementi / Hans Heiss / Marlene Huber

InnsbruckWienBozen / Bolzano

Geschichte und Region/Storia e regione21. Jahrgang, 2012, Heft 1 und 2 – anno XXI, 2012, n. 1 e 2

Bewegte Geschichte/Storia in movimento

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EinProjekt/unprogettoder Arbeitsgruppe/del gruppo di ricerca „Geschichte und Region/Storia e regione“

Herausgeber/acuradi:Arbeitsgruppe/gruppo di ricerca „Geschichte und Region/Storia e regione“ und/e Südtiroler Landesarchiv/Archivio provinciale di Bolzano

Redaktion/redazione:Giuseppe Albertoni, Andrea Bonoldi, Andrea Di Michele, Florian Huber, Hannes Obermair, Gustav Pfeifer, Christine Roilo, Oswald ÜbereggerGeschäftsführend/direzione: Siglinde ClementiRedaktionsanschrift/indirizzo della redazione: Siglinde Clementi, Südtiroler Landesarchiv/Archivio Provinciale di Bolzano, A.-Diaz-Str./via A. Diaz 8, I-39100 Bozen/Bolzano, Tel. + 39 04 71 41 19 72, Fax +39 04 71 41 19 69 e-mail: [email protected], [email protected]: www.provinz.bz.it/denkmalpflege/1303/grsr

Korrespondenten/corrispondenti:Thomas Albrich, Innsbruck · Helmut Alexander, Innsbruck · Agostino Amantia, Belluno · Marco Bellabarba, Trento · Klaus Brandstätter, Innsbruck · Laurence Cole, London · Emanuele Curzel, Trento · Elisabeth Dietrich, Innsbruck · Alessio Fornasin, Udine · Thomas Götz, Regensburg · Paola Guglielmotti, Genova · Maria Heidegger, Innsbruck · Hans Heiss, Brixen · Martin Kofler, Lienz · Margareth Lanzinger, Wien · Werner Matt, Dornbirn · Wolfgang Meixner, Innsbruck · Luca Mocarelli, Milano · Cecilia Nubola, Trento · Tullio Omezzoli, Aosta · Luciana Palla, Belluno · Eva Pfanzelter, Innsbruck · Luigi Provero, Torino · Reinhard Stauber, Klagenfurt · Gerald Steinacher, Lincoln/Nebraska · Rodolfo Taiani, Trento · Michael Wedekind, Wien · Rolf Wörsdörfer, Frankfurt

Presserechtlich verantwortlich/direttore responsabile: Günther Pallaver

Titel-Nr. 5150 ISSN 1121-0303

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Geschichte und Region/Storia e regione erscheint zweimal jährlich/esce due volte l’anno. Einzelnummer/singolo fascicolo: Euro 29,00/sfr 35,63 (zuzügl. Versand/più spese di spedizione), Abonnement/abbonamento annuo (2 Hefte/numeri): Euro 41,00/sfr 50,38 (Abonnementpreis inkl. MwSt. und zuzügl. Versand/IVA incl., più spese di spedizione). Alle Bezugspreise und Versandkosten unterliegen der Preisbindung. Abbestellungen müssen spätestens 3 Monate vor Ende des Kalenderjahres schriftlich erfolgen. Gli abbonamenti vanno disdetti tre mesi prima della fine dell’anno solare.Aboservice/servizio abbonamenti: Tel.: +43 (0)1 74040 7814, Fax: +43 (0)1 74040 7813 E-Mail: [email protected]

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AUTONOME PROVINZ

BOZENSÜDTIROL

PROVINCIA AUTONOMA DI BOLZANOALTO ADIGE

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Inhalt/IndiceEditorial / Editoriale

Bewegte Geschichte / Storia in movimento

Mikrogeschichte – Regionalgeschichte – Globalgeschichte La storia regionale tra microstoria e storia globale

Ernst Langthaler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27Orte in Beziehung. Mikrogeschichte nach dem Spatial Turn

Angelika Epple . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43Storia globale e storia di genere: un rapporto promettente

Marco Meriggi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58Storia transnazionale e storia regionale. Gli spazi mobili in Italia prima dell’Unità

Amateurfilme als historische Quelle / Film amatoriali come fonti storiche

Bernhard Krisper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70Vertraut, verstaut, vergessen. Zum Phänomen Amateurfilm

Reiner Ziegler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94Die Welt im Auge des Filmamateurs. Entwicklung analoger Filmformate und des Amateurfilms

Helmut Alexander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“ Wieviel sagt uns ein (Amateur-)Film?

Ilaria Genovese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112I film amatoriali di Nicolò La Colla. Testimonianze di un conformista alle prese con la rivoluzione del cinéma chez soi

Aufsätze / Contributi

Fabian Brändle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127„Die alten Zeiten aufgefrischt.“ Zum Selbstzeugnis des ladinischen Bauernsohns, Kutschers, Soldaten und Hotelportiers Anton Molling (1901–1987)

Martin Korenjak . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140Wie Tirol zum Land im Gebirge wurde. Eine Spurensuche in der Frühen Neuzeit

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Hans Heiss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163Geschichte und Region / Storia e regione. Eine Zwischenbilanz

Thomas Götz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17220 Jahre Geschichte und Region/Storia e regione: Mental Mapping

Reinhard Stauber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17420 Jahre „Geschichte und Region / Storia e regione“ 1992–2012

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Margareth Lanzinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177Über die „Grenzen der Provinz“ – weit hinaus …

Andrea Leonardi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180Metodo e merito: il contributo di „Storia e regione / Geschichte und Region“ alla ricerca storica regionale

Laurence Cole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18320 Jahre „Geschichte und Region / Storia e regione“ 1992–2012

Florian Huber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185Region takes place! Oder: Über welchen Raum schreibt die trentinisch-tirolische Regionalgeschichte? Ein Rezensionsessay

Andrej Werth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212„Am Anfang war die Randlage“. Die regionale Erinnerungskultur Osttirols aus Sicht der Museen

Ingo Dejaco . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231Das Interreg IV-Projekt „bewegtes Leben“. Ein Bericht

Daniela Pera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240Progetti di raccolta, conservazione e valorizzazione del cinema amatoriale in Italia: alcune realtà

Paolo Caneppele/Raoul Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243Amateurfilme und Kleinfilmformate im Österreichischen Filmmuseum, Wien

Reiner Ziegler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253Die Landesfilmsammlung Baden-Württemberg. Archivierung und Verwertungsstrategien

Ulrich Beuttler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258„Fino a quando …“ von Vittorio Curzel. Ein Antikriegsfilm mit ungewohnten Perspektiven und pädagogischem Anspruch

Rezensionen / Recensioni

Jon Mathieu, Die dritte Dimension. Eine vergleichende Geschichte der Berge in der Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265(Margareth Lanzinger)

Andreas Fischnaller, „Reue habe ich noch nie eine gehabt“. Simon Gschnell (1803–1826) oder: Vom Leben und Sterben eines Tiroler „Taugenichts“ . . . . 269(Gerhard Ammerer)

Rolf Wörsdörfer, Il confine orientale. Italia e Jugoslavia dal 1915 al 1955. . . . 272(Tullio Omezzoli)

Marina Hilber, Institutionalisierte Geburt. Eine Mikrogeschichte des Gebärhauses 275(Jürgen Schlumbohm)

Abstracts

Anschrift der AutorInnen / Recapito degli autori/delle autrici

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Geschichte und Region/Storia e regione. Eine Zwischenbilanz1

Hans Heiss

„Der Furz im England des 17. Jahrhunderts“ – so betitelt sich ein kürzlich erschienener Aufsatz im Heft der Zeitschrift „Historische Anthropologie“, verfasst von Keith Thomas, einem der großen Historiker der Frühen Neuzeit.2 Der Beitrag widmet sich Fragen der Körperkontrolle und den Schwellen der Peinlichkeit, die besondere Aufmerksamkeit aber gilt dem Thema, auf wel-che Weise sich über die wohl dosierte Freigabe der „Winde“ gesellschaftliche Unterschiede manifestierten. Die „Historische Anthropologie“ setzt mit dem Aufsatz einen program-matischen Schwerpunkt, der mit Hintersinn die eigene Position und Aufgabe der Zeitschrift auf den Prüfstand stellt. Auch das bei Böhlau erscheinende Periodikum feiert 2012 sein 20. Jubiläum, ganz so wie unsere „Geschichte und Region/Storia e regione“. Und vor etwas mehr als 20 Jahren erschien erstmalig auch die „Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften“, ebenso die „L’Homme“, sodass sich die Wegscheide um 1990–1992 als beachtliche Zäsur historischer Zeitschriften erweist. Man könnte aus dem italienischen Kulturraum auch „Memoria e ricerca“ mit hinzunehmen,3 als weiteres Glied in einer Kette von Newcomern, die sich um 1992, kurz vor Beginn der Internet-Ära, als historische Printmedien neu profilierten. Welche Winde der Zeit aber trieben, um die Betrachtungen von Keith Thomas zu parafrasieren, „Geschichte und Region / Storia e Regione“ hervor, warum ist unser Journal damals und ausgerechnet in Bozen entstanden?

Drei Komponenten standen am Beginn des Gründerkreises und der Zeitschrift: die Faktoren biografische Generation, regionale Konstellation und erhoffte Innovation. Die Bedeutung der drei Treibsätze ist schnell umrissen: „GR/SR“ war das Projekt einer Gruppe von Nachwuchsleuten, die um 1990 fast alle um die 30 waren und nach ihrer akademischen Ausbildung von einem gemein-

1 Festrede anlässlich der 20-Jahr-Feier von „Geschichte und Region/Storia e regione, Bozen, 5. Oktober 2012. Der Vortragsstil wurde beibehalten und der Text um wenige Anmerkungen ergänzt. Weitere Hinweise bei Hans Heiss, Identität und Wissenschaft an der Grenze. Landes- und Regionalgeschichte in Tirol und Südtirol. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte, Bd. 147 (2011), S. 31–57.

2 Keith Thomas, Der Furz im England des 17. Jahrhunderts. Soziale Peinlichkeit und Körperkontrolle. In: Historische Anthropologie, 20 (2012), 2, S. 200–224.

3 Bilanzierend das Themenheft „Identità e culture regionali. Germania e Italia a confronto“, Memoria e Ricerca 6 (1995), mit dem Beitrag von Giorgio Mezzalira, „Geschichte und Region/Storia e e regione“. Un passo oltre la storia della piccola patria sudtirolese, S. 153–162.

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samen Impuls getragen waren: Geschichte als Wissenschaft, als berufliche Grundlage zu betreiben und mit ihr nicht im Nebenerwerb dahinzukümmern. Historische Wissenschaft sollte nicht nur der Freizeit abgerungen werden, sondern auf einer stärker entfalteten, professionalisierten Basis – „Wissenschaft als Beruf“ betrieben werden, mit Leidenschaft, methodischer Vertiefung und finanzieller Absicherung, um Max Webers Diktum von „Politik als Beruf“ zu umschreiben. Ein klassischer Professionalisierungsdiskurs also, wie er von anderen Berufen her bekannt ist, getragen von einer Altersgruppe der Jahrgänge um 1960, die historische Talente in auffallendem Maß verdichtete. Begabungen traten nach vorne, die ihr damals vorgezeichnetes Potenzial seither durch emi-nente Forschungsleistungen bekundet haben, wie ich selbst als Teil einer deut-lich älteren Kohorte neidlos erwähnen darf. Die neue Generation stand auf den Schultern älterer, respektierter Vorgänger, suchte aber einen eigenen Weg als professionals des historischen Feldes, jenseits von Schuldienst, Journalismus und anderen Berufswegen. An dieser Stelle ist ein wenig name-dropping unerlässlich: Unter den Promotoren befanden sich die Mediävisten Giuseppe Albertoni und Hannes Obermair, Erika Kustatscher im Beobachter-Status, die Innsbrucker Sozial- und Wirtschaftshistoriker Helmut Alexander und Wolfgang Meixner, heute Vizerektor der Alma Mater, der mit dem Christoph Gasser, heute Museumsdirektor in Klausen, als Brückenbauer zur Ethnologie fungierte, der Filmhistoriker Paolo Caneppele, die Zeithistoriker Othmar Kiem und Hubert Mock, dessen strukturiertes Vorgehen dem Projekt sehr dienlich war, Giorgio Mezzalira und Carlo Romeo, der Zeithistoriker Michael Gehler als wohlwol-lender Impulsgeber, die Archäologen Luigi D’Ambrosio und die allzu früh verstorbene Laura Allavena, als Akteure eines stupend gleichaltrigen Start-up-Unternehmens.

Die Gruppe rückte in eine vorteilhafte Handlungskonstellation ein, in eine Situation, deren Zeichen auch auf regionaler Ebene auf Aufbruch und Ermöglichung verwiesen. Die Jahre um 1990 katapultierten nach Mauerfall und deutscher Einigung Europa in eine neue Reformepoche, die mühelos auch in die regionale Ebene durchschlug und diese auch durch Maastricht 1991 neu markierte und aufwertete.4 Auf Landesebene wurde die verän-derte Grundkonstellation durch die aufziehende Ära von Landeshauptmann Luis Durnwalder markiert. Der Pragmatismus des neuen Landeschefs war begleitet von gesellschaftlicher Öffnung, von einer verbreiteten Stimmung des carpe diem, die auch die „Generation Geschichte“ der 1960-er ver-spürte. Die Unbekümmertheit, mit der etwa damals die Landesarchivare

4 Vgl. Bruno Luverà, Oltre il confine. Euregio e conflitto etnico tra regionalismo europeo e nuovi nazionalismi in Trentino-Alto Adige (Studi e ricerche CCCLXV), Bologna 1996.

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Hannes Obermair und Heinz Noflatscher ohne Wissen ihres Dienstherrn, Amtsdirektor Josef Nössing, den neuen Kulturlandesrat Bruno Hosp 1989 in seinem Büro überfielen, um nichts weniger als ein Institut für Geschichte einzumahnen, verdankte sich diesem Gründungsoptimismus. Historiker und Historikerinnen wollten in der Aufbruchsstimmung der frühen Durnwalder-Jahre, des Durn-Turn, nicht nur als Zulieferer von Legitimation, fleißig kompilierter Lokalgeschichte und Heimatbewusstsein dienen, sondern einen neuen Part aufgreifen.

Als wesentlichster Treibsatz diente jenseits der politischen Grundkonstellation die eigene, neue Perspektivierung im wissenschaftlichen und vorpolitischen Raum. Zunächst positionierte sich die Arbeitsgruppe jenseits der landesimma-nenten Sprachgruppenlogik: „Deutsche“ und „italienische“ Wissenschaft sollten nicht getrennt agieren, sondern von Beginn an zusammen arbeiten. Geschichte als Universalwissenschaft – so der selbstverständliche Wunsch – sollte die Barrieren nationalisierender Historiografie oder dem Erhalt des Deutschtums verpflichteter Landesgeschichte abbauen, durch Kooperation von Historikerinnen und Historiker aller Landessprachen. Die Lust an Zusammenarbeit war bereits gewachsen im Projekt einer gemeinsamen historischen Ausstellung: In der vom Tiroler Geschichtsverein getragenen, von der Landesregierung beinahe wider Willen umfassend subventionierten „Option-Heimat-Opzioni“, die zur Jahreswende 1989/90 dem Thema der Südtirol-Option von 1939 gewidmet war.5 Die Schau, die dem Trauma der Trennung und Teilung der Südtiroler Gesellschaft galt, wurde dank gemein-samer Bearbeitung für junge Historikerinnen und Historiker zum Medium künftiger Kooperation. Die Absage an die Trennung der Sprachgruppen war aber nur ein Aspekt prinzipiell angestrebter Entgrenzung, die sich auch methodisch äußerte. Die Arbeitsgruppe suchte Diachronie im Blick auf viele historische Epochen, sie strebte nach Methodenpluralismus und ihre territoriale Orientierung zielte auf unterschiedliche Raumebenen. Die damals langsam in Westeuropa einsi-ckernde Regionalgeschichte erschien als gangbarer Weg, um den Ansprüchen gerecht zu werden, in deutlicher Absetzung von der noch hegemonialen Landesgeschichte, die sich in Tirol in der 1985–1988 erschienenen „Geschichte des Landes Tirol“ ein spätes Monument gesetzt hatte. Insgesamt so, dürfen wir heute rückblickend bilanzieren, atmete das Programm der Arbeitsgruppe den Geist des Poststrukturalismus, als nicht untypisches epistemologisches Tableau der frühen neunziger Jahre.6

5 Tiroler Geschichtsverein Bozen (Hg.), Option-Heimat-Opzioni. Eine Geschichte Südtirols. Una Storia dell’Alto Adige, Bozen 1989.

6 Vgl. Lutz Raphael, Geschichtswissenschaften im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart, München 2003, S. 228–246.

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Erfreulich war der strategische Sinn der aus ca. 20 Historikerinnen und Historikern bestehenden „Arbeitsgruppe Regionalgeschichte“, deren Name sich in italienischer Übersetzung zum pompösen „Gruppo di Ricerca per la Storia Regionale“ entfaltete. Von Anfang an zielte sie auf das, was jetzt nach 20 Jahren dank des Einsatzes von Landesrätin Kasslatter Mur, selbst Historikerin, erreicht wird: Ein eigenes „Institut für Regional- oder Vergleichende Landesgeschichte“, nicht mehr und nicht weniger. Mithin keine falsche Bescheidenheit, sondern solide Verankerung als Forschungseinrichtung, im Bewusstsein dessen, dass nur Institutionen von Dauer sind. Und es war die pure List der Vernunft, dass der Wunsch nicht sofort erfüllt wurde. Um die lästigen, unausgesetzt vorgetragenen Forderungen der Arbeitsgruppe nach eigener Einrichtung abzubiegen, entschied sich Landesrat Hosp, am Südtiroler Landesarchiv zwei neue Archivar-Stellen zu genehmigen.7 Bereits zuvor hatte der Südtiroler Landtag das Archiv mit einem Forschungsauftrag ausgestattet, wozu unter Federführung von Amtsdirektor Josef Nössing 1991 das Archivgesetz geändert worden war.8

Zunächst wurde also das relativ junge Landesarchiv Ende 1991/92 mit einem Forschungsauftrag und einem beachtlichen Stellenzuwachs beglückt, der heute undenkbar wäre. Den wesentlichen Impuls hierzu, das darf ich als Zeitzeuge/Akteur den Annalen überliefern und Kollege Nössing mag es bestä-tigen, lieferte die „Arbeitsgruppe Regionalgeschichte“, deren steter Druck eine erste institutionelle Umsetzung erfuhr. Und dass 20 Jahre später im Jahre 2012 das “Zentrum für Regionalgeschichte“ vom Stapel allmählich läuft, bedeutet rückblickend doppelten Segen: Der personellen Verstärkung des Landesarchivs und seinem wissenschaftlichen Auftrag folgte zeitversetzt die lang erhoffte Forschungseinrichtung.

1991 verblieb neben dem vorerst aufgeschobenen Institut als zweite Agenda der Arbeitsgruppe die Gründung einer Zeitschrift, die nach zweijähriger Diskussion Ende 1991 präsentiert werden konnte. Der Weg dahin war mühsam: Die zunächst informelle Arbeitsgruppe konstituierte sich nach kurzem Gastspiel unter dem Dach des „Tiroler Geschichtsvereins“ als Verein mit Berechtigung zum Empfang von Beiträgen, der über die deutschen und italienischen Kulturressorts des Landes ermöglicht wurde. Das Konzept der Zeitschrift wurde eingehend ausdiskutiert, ebenso die Vereinsstatuten, wozu Gründungspräsident Hubert Mock einen entsagungsvollen Beitrag leistete. Heftig gestritten wurde auch über den Namen der künftigen Zeitschrift, für die zunächst noch abenteuerliche Vorschläge wie „hinterland“ zirkulierten. Es

7 Öffentlicher Wettbewerb nach Bewertungsunterlagen und Prüfungen zur Besetzung von 2 Stellen für Verwaltungsinspektoren im kulturellen Bereich (Archivare), 26. 11. 1992, Ausschreibung aufgrund Beschluss der Südtiroler Landesregierung vom 23. 3. 1992, N. 1324.

8 Landesgesetz vom 11. 7. 1991, Nr. 19, Änderung des Landesgesetzes vom 13. 12. 1985, Nr. 17; Regelung des Archivwesens und Errichtung des Südtiroler Landesarchivs.

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war Kollege Helmut Alexander, der gleichsam spielerisch den Titel „Geschichte und Region / Storia e regione“ auf den Tisch warf, so beiläufig, dass er sich selbst nicht mehr an seine Rolle als Namengeber erinnert. Vor dem Start einer eigenen Zeitschrift hatte die „Arbeitsgruppe“ noch versucht, beim „Schlern“, dem honorigen Flaggschiff Südtiroler Landeskunde, unterzukommen und sich als Juniorpartner anzubieten. Drei bis vier Nummern im Jahr unter Regie der Arbeitsgruppe, so stellten wir Hans Griessmair, Schriftleiter von „Der Schlern“, lockend vor Augen, seien doch ein vorteilhaftes Angebot, ein Nürnberger Trichter zur Verjüngung des bemoosten „Schlern“ und eigener Entlastung dienlich. Obwohl Griessmair wohlwollend reagierte, vermochte Athesia die als conditio sine qua non postulierte Zweisprachigkeit nicht zu akzeptieren, sodass Peter Plattner, Präsident des Verlagshauses, dem Ansinnen freundlich, aber bestimmt absagte. Wie reagierte das etablierte landeskundliche Umfeld auf die Tätigkeit der Arbeitsgruppe und der von ihr geplanten Zeitschrift? Die Aufnahme des Newcomers verlief nicht durchwegs freundlich. Die Vertreter klassisch-bewährter Landesgeschichte bewiesen misstrauische bis grämliche Reaktion, mit Ausnahme von Josef Riedmann, der auch hier gewohnte Generosität bewies. Bereits der Name „Region“ erschien in Südtirol 35 Jahre nach dem „Los von Trient!“, nach der Absage an die „Region“ Trentino-Südtirol, immer noch stark kontaminiert. Aus diesem Grunde unterlag die Arbeitsgruppe zunächst dem Generalverdacht volkstumspolitischen Defätismus, wie uns der zürnende Robert Gismann, Leiter des Südtiroler-Referats bei der Tiroler Landesregierung, einmal vorhielt. Auch die Mehrsprachigkeit der Zeitschrift erschien zunächst als ein trojanisches Pferd ethnischer Unterwanderung. Umgekehrt hingegen galt „Geschichte und Region“ der Speerspitze der politischen Aufklärung im Lande, wie der Michael-Gaismair-Gesellschaft, wohl als zu zahnlos-unpoli-tisch, sodass von Beginn an für adäquate Positionierung zwischen den Stühlen gesorgt war. Volkstumspolitisch sensible Kulturpolitiker erhoben den Vorwurf ethnischer Unzuverlässigkeit, bei engagierten Aufklärern standen Zeitschrift und Gründerkreis im Ruch abgehobener Wissenschaftlichkeit. Da aber der wesentliche Referenzrahmen von „GR/SR“ die überregionale wissenschaftliche Community war, focht die Arbeitsgruppe landesimmanentes Naserümpfen zwar ein wenig, aber nicht allzu sehr an.Umso erfreulicher, dass der damals junge Verlag „Edition Raetia“ GR/SR willig aufnahm, als eine der vielen landes- und regionalgeschichtlichen Pionierleistungen von Verleger Gottfried Solderer. Seither wurde noch öfters Verlag gewechselt, bis die Zeitschrift Ende 2000 beim Studienverlag eine feste und kostengerechte Heimstatt fand.

Die Zeitschrift zielte in dreifache Stoßrichtung: thematisch auf die Balance zwischen Schwerpunktbildung und Vielfalt, methodisch auf die Hereinnahme

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innovativer Ansätze, personell auf Aufbau eines wachsenden Autorinnenkreises, getragen von überregional qualifizierten WissenschaftlerInnen und unter gezielter Einbindung guter Newcomer im historischen Feld. Qualifizierung, Erneuerung und Professionalisierung wirkten somit weiterhin als stilles Leitbild. Die Arbeit der Redaktion blieb angeleitet von einem konstanten Qualitätsanspruch, der selten unterschritten wird und in den Anfängen für manche Beobachter den Ruch des Elitären verströmte. Thematisch zielte die Zeitschrift auf eine konzeptionelle Bestimmung des Begriffs „Region“, in einer begrifflichen Anstrengung, die aber nach wich-tigen Anfängen und einem luziden Debattenbeitrag von Reinhard Stauber 1994 nicht mehr konsequent verfolgt wurde. Stattdessen verlegte sich das inhaltliche Grunddesign der Zeitschrift bevorzugt auf Fragen der landerüber-greifenden, in lockerer Systematik vergleichenden Mikrohistorie, sowie einer methodisch erweiterten Sozial- und Kulturgeschichte. Dies war eine plausible Option, die gleichwohl von einigen Risiken begleitet war. Denn die vertiefte Konzeptualisierung der Begriffe „Region“ und „Raum“, die bald nach 2000 einsetzte, ging an GR/SR vorüber, sodass der durch ihren Titel vorgegebene Auftrag inhaltlicher Revision und Repositionierung nur zum Teil erfüllt wurde.Innovative Ansätze von Methodenpluralismus und Interdisziplinarität stan-den als weitere Ziele im Fokus der Zeitschrift und des Herausgeberkreises. Im diachronen Schnitt deckte GR/SR ein breites Spektrum von Mittelalter bis zur Gegenwart ab, wobei die Zeitgeschichte bis um 1945 einen leichten Überhang errang. Die methodische Bandbreite bewies sich in Themenheften: Neben klassischen Feldern der Wirtschafts- und Sozialgeschichte und der konstanten Achse der Geschlechtergeschichte waren dies Fragen der regio-nalen Historiografie, der Psychiatrie-, Medizin- und Körpergeschichte, dazu Biografik, Prosopografie und Adelsforschung, neben Standortbestimmungen zur Faschismus- und NS-Forschung im internationalen Vergleich. Auch der Boom der Erinnerungskultur fand in mehreren Bänden Resonanz. Aufbau und Ausweitung eines Kreises von Autorinnen und Autoren folgten zugleich einer systematischen Zusammenarbeit mit italienischen und internatio-nalen Kollegen. Im Gegensatz zu den älteren landesgeschichtlichen Zeitschriften war die Präsenz des Italienischen in GR/SR von Beginn an selbstverständlich und wurde fallweise durch englische Beiträge ergänzt. Damit öffnete sich der Kontakt vor allem zum Trentino, wo sich im Umfeld der Universität und des Istituto Storico Italo-Germanico eine prosperierende Mittelalter- und Frühneuzeitforschung entfaltet hatte. Durch diese natürliche Öffnung erfuhr die Vielfalt der Verflechtungen zwischen dem Trentino und dem Tiroler Raum endlich wieder die verdiente Berücksichtigung. Auch englische Historiker wie Laurence Cole, der Tiroler Identitäten im 19. und 20. Jahrundert wegweisend erforschte, bereicherten die Zeitschrift um grundlegende Beiträge.

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Wirkung und Ausstrahlung von „GS/SR“ entfalteten sich also dank der beson-deren Kombination von Vernetzungsleistungen und Vielfalt der Themen in sorgfältig arrangierter Fokussierung. Die Netzwerkarbeit rückte denn auch über das Medium Zeitschrift hinaus zur prägenden Signatur der Gruppen- und Redaktionsarbeit auf. Keine Selbstverständlichkeit in einem Land, in dem nicht zielgerichtetes und offenes Networking, sondern die Pflege des eigenen Nestes und der eigenen Klientel zum unausrottbaren Quellcode sozialer Praktiken gehört. Den wesentlichsten Anteil am spezifischen Stil von GR/SR aber hatte eine personelle Konstante, die 1996 inauguriert wurde. Damals ließ sich die junge Siglinde Clementi, die mithilfe der Plattform der Arbeitsgruppe eben erst eine frauenhistorische Tagung bravourös bewältigt hatte, dazu breitschlagen, die Präsidentschaft des Trägervereins der Zeitschrift zu über-nehmen, im Anschluss an eine instabile Männerriege mit dem Unterfertigten als Schlusslicht. Vielleicht ging die junge Historikerin an die Aufgabe mit jugendlichem Leichtsinn heran, gewiss aber auch mit sicherem Gespür für die eigenen Fähigkeiten, sodass damit eine lange Erfolgsphase eingeleitet wurde. Hatte zuvor häufiger Präsidentenwechsel für Unruhe im Getriebe gesorgt, so blieb Siglinde Clementi seither die wichtigste Garantin für Kontinuität, Qualität und Innovation. Zuerst als Präsidentin, seit dem Jahr 2000 dann in neuer Funktion. Denn im Herbst dieses Jahres schloss die Arbeitsgruppe mit wohlwollender Billigung von Kultur-Landesrat Bruno Hosp und unterstützt von Archivdirektor Josef Nössing eine Vereinbarung mit dem Südtiroler Landesarchiv. Das Archiv garantierte dem Verein einen jährlichen Fixbetrag zur Herausgabe der Zeitschrift, dazu Büroräume und Medienanschlüsse. Im Gegenzug sicherte die Arbeitsgruppe dem Archiv die Präsenz in der Zeitschrift und stete Sichtbarkeit als Mitträgerin des Unternehmens. Damit startete eine aussichtsreiche, bis heute bewährte Verbindung, die auch unter der Archivleitung von Christine Roilo fortdauert. In der Public-Private- Partnership kamen die Talente und Leistungen von Clementi erst recht zum Blühen, die sich nicht mehr als Präsidentin, sondern als Geschäftsführerin im vollen Teilzeitjob für das Projekt Arbeitsgruppe und Zeitschrift engagierte. Seitdem ihr 2004 mit Andrea Bonoldi ein kongenialer Präsident zuwuchs, verfügt „Geschichte und Region / Storia e regione“ über ein winning team an seiner Spitze, dessen strategische Hand und Einsatz das Projekt exemplarisch auf Schiene halten. In dieser Konstellation entwickelte sich der Verein um die Zeitschrift zur Drehscheibe vielfältiger Aktivitäten, deren Wirkung weit höher ist als die Sichtbarkeit. Der Ausbau von Kontakten über ein Korrespondentenkomitee für die Zeitschrift, die Veranstaltung von Tagungen und die Anregung von akademischem Nachwuchs bilden seither nur einen Ausschnitt aus einer dyna-mischen Aktionspalette. Einen weiteren Teilaspekt bildet die Vermittlung von

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Finanzierungen für Buchpublikationen, unter denen etwa der bahnbrechende Band „Wie die Schwalben fliegen sie aus“ von Martha Verdorfer, Ursula Lüfter und Adelina Wallnöfer herausragt.9

Ein neues Qualitätslevel erzielte GR/SR dank der Regie Clementi/Bonoldi durch Trägerschaft und Initiative für großangelegte Forschungsprojekte, die, meist mühsam konfiguriert und finanziert, beachtliche Langzeitwirkung beweisen. Wenige Beispiele genügen: Das Thema jüdische Flüchtlinge, ein Buchvorhaben zur vergleichenden Erforschung von Grenzen, vor allem aber das mit Interreg IV-Mitteln finanzierte Thema „Psychiatrische Landschaften. Die Psychiatrie und ihre Patientinnen und Patienten im historischen Raum Tirol, Südtirol und Trentino seit 1830 “10 wäre ohne die tragfähige Plattform von GR/SR nicht denkbar. Dieses letzte Vorhaben, mit den Projektpartnern Institut für Geschichte an der Universität Innsbruck und Südtiroler Landesarchiv, spiegelt die Frage von Normalität und Devianz im zentralen Alpenraum in einer vertieften, auch zeithistorisch hoch brisanten Dimension. Seine Bearbeitung umfasst Grundlagenforschung in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen ebenso wie die Bildungsarbeit an Schulen und in der Öffentlichkeit. „Psychiatrische Landschaften“ ist für Forschung und politische Kultur gleichermaßen wegweisend und stellt den öffentlichen Auftrag von Geschichte eindringlich unter Beweis. Die Darstellung zeichnet das Bild einer Ausgrenzungsgesellschaft, die in den Worten von Dana Giesecke und Harald Welzer, “normativ umcodiert, was als erwünscht und verwerflich, gut und schlecht, ordnungsgemäß oder kriminell gilt“.

Den vorläufigen Schlussstein in der Arbeit von GR/SR aber bildet die nun-mehr angelaufene Gründung eines „Zentrums für Regionalgeschichte“ an der Freien Universität Bozen. An ihm erweist sich die Bedeutung der longue duree, denn ohne den langen Atem der Arbeitsgruppe und ihrer maßge-benden Promotorinnen wäre die Gründung niemals ins Sichtfeld des Landes gelangt, das seit 2009 mit ausdrücklicher Federführung der verantwortlichen Landesrätin und des Südtiroler Landesarchivs die rechtlichen und finanzi-ellen Weichen für die nunmehr erfolgte Implementierung gestellt hat. Die zivilgesellschaftliche Kärrnerarbeit von GR/SR hat sich nach 20 Jahren damit unstreitig gelohnt und das ursprüngliche Ziel erreicht.

Welche Zukunft bietet sich nunmehr für „Geschichte und Region / Storia e regione“? Könnte der Verein nach Gründung des ersehnten „Zentrums“

9 Ursula Lüfter/Martha Verdorfer/Adelina Wallnöfer, Wie die Schwalben fliegen sie aus. Südtirolerinnen als Dienstmädchen in italienischen Städten 1920–1960, Bozen 2006.

10 Elisabeth Dietrich-Daum/Hermann J. W. Kuprian/Siglinde Clementi/Maria Heidegger/Michaela Ralser, Psychiatrische Landschaften: Die Psychiatrie und ihre Patientinnen und Patienten im historischen Raum Tirol seit 1830, Innsbruck 2011.

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und nach erfolgter Abwicklung wichtiger Projekte nicht beruhigt an seine Selbstauflösung schreiten und in Goldenen Lettern ein „mission complete“ unter seine Agenda setzen? Mitnichten – darf ich namens der historischen Zunft und Südtiroler Öffentlichkeit mit Nachdruck deponieren und hin-zufügen „Nie war sie wertvoller als heute!“: Denn zwischen den Feldern der Institutionalisierung historischer Arbeit in Instituten und Archiven, zwischen ehrenamtlicher Forschung und zügiger Medialisierung des histo-rischen Markts bedarf es ständiger Impulsgeber wie „Geschichte und Region / Storia e Regione“. Ihre Rolle als Drehscheibe und Netzwerk, als Ort der Themenbildung, Qualitätsprüfung und Kritik wird zwar neu zu denken sein, bleibt aber wichtiger denn je. In der Arena historischer Arbeit bewegen sich Zeitschrift und Verein – im Bild des Fußballs – im offensiven, hoch flexiblen Mittelfeld. Vielleicht ist es nun an der Zeit, Themen und wissenschaft-liche Schwerpunkte neu zu fokussieren, etwa eine Grundsatzdebatte über Raum und Region anzuregen oder auf das Potenzial einer gegenwartsnahen Zeitgeschichte zu verweisen, wie sie Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael präfiguriert haben.11

Und es bleibt ein wichtiger Auftrag an Zeitschrift und Verein, jene Kooperation zwischen Wissenschaftskulturen und Sprachgruppen weiterhin aktiv zu halten, die ihre Arbeit von Beginn an angeleitet hat. Dieser längst zur Selbstverständlichkeit gediehene Dialog ist einer der Kernbeiträge zur kultu-rellen Entwicklung Südtirols, eine unaufgebbare raison d’être, ein Markenkern unserer „Geschichte und Region / Storia e regione“.

11 Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 32012.

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