Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes...

68
Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Wie muss ein Lernort gestaltet sein, damit die Integration eines Kin- des im Autismus-Spektrum gelingen kann? Bachelorarbeit Studienjahrgang PR 16 Verfasserin: Milena Tschopp Sonnrain 16 6252 Dagmersellen eingereicht am: 03.05.2019 bei: Marcel Bühlmann Fachkreis: Bildungs- und Sozialwissenschaften

Transcript of Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes...

Page 1: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

 

             

Gestaltung des Lernortes für ein Kind im

Autismus-Spektrum

Wie muss ein Lernort gestaltet sein, damit die Integration eines Kin-

des im Autismus-Spektrum gelingen kann?

Bachelorarbeit Studienjahrgang PR 16

Verfasserin:

Milena Tschopp

Sonnrain 16

6252 Dagmersellen

eingereicht am:

03.05.2019

bei:

Marcel Bühlmann

Fachkreis:

Bildungs- und Sozialwissenschaften

Page 2: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

I  

Abstract

„Das autistische Kind gibt es nicht. Jedes autistische Kind ist anders. Jedes autistische Kind

ist eine neue Herausforderung für die Lehrkraft“ (Schuster, 2016, S. 9).

Die Lehrperson trifft im Kontext ihres Erziehungs- und Bildungsauftrags eine Vielzahl von

herausfordernden und komplexen Situationen an. Ein Kind im Autismus-Spektrum (AS) in

die Regelschule zu integrieren, ist eine von diesen herausfordernden Situationen. Eines von

100 Kindern ist von Autismus betroffen. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, in der Arbeit als

Lehrperson Verantwortung für die schulische Förderung von Kindern im AS zu übernehmen.

In der vorliegenden Arbeit wird untersucht, wie der Lernort für ein Kind im AS gestaltet sein

muss, damit die Integration in die Regelschule gelingen kann. Zur Beantwortung der Frage-

stellung werden in einem theoretischen Input aktuelle Forschungsergebnisse zu Autismus,

Lernort und schulischer Integration präsentiert. Es wurden fünf wissenschaftliche Interviews

mit ausgewiesenen Autismus-Fachpersonen durchgeführt. Die Ergebnisse wurden systema-

tisch ausgewertet und mit der Theorie verglichen.

Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass es kein allgemeingültiges Rezept für die ideale Ge-

staltung eines Lernortes für ein Kind im AS gibt, da die Symptome der Betroffenen sehr viel-

fältig ausgeprägt sein können. Jedes Kind im AS hat individuelle Bedürfnisse, auch bezüglich

der Ausgestaltung seines Lernortes.

Diese Arbeit kommt zum Schluss, dass eine strukturierte und reizarme Lernumgebung zum

schulischen Lernerfolg und Wohlbefinden von Kindern im AS beitragen und zeigt wichtige

pädagogische Ansätze für die Förderung sowohl für Kinder im AS als auch für neurotypische

Kinder.

Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt auf Kindern im AS. Es muss erwähnt werden, dass

die meisten Aussagen auch auf Jugendliche und Erwachsene im AS zutreffen.

Page 3: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

II  

Danksagung

Im Rahmen dieser Bachelorarbeit unterstützten mich zahlreiche Menschen massgeblich.

Grossen Dank gebührt den interviewten Fachpersonen, welche mir mit grosser Begeisterung

ihr Wissen zur Thematik weitergaben.

Mein besonderer Dank gilt auch Herrn Marcel Bühlmann, welcher mich als Betreuungsper-

son tatkräftig unterstützte sowie durch wertvolle und kritische Anregungen inspirierte.

Abschliessend bedanke ich mich bei meinen Eltern und meinem Bruder, die mir mit viel Ge-

duld und Interesse zur Seite standen und wertvolle Kritik gaben.

Die vorliegende Arbeit entstand zum Abschluss des dreijährigen Bachelorstudiengangs (Pri-

mar) der Autorin an der Pädagogischen Hochschule Luzern.

Luzern, Mai 2019 Milena Tschopp

Page 4: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

III  

Inhaltsverzeichnis

1   Einleitung  ...................................................................................................................................  1  

2   Theoretischer  Hintergrund  .................................................................................................  3  2.1   Autismus  ...........................................................................................................................................  3  

2.1.1   Historischer Abriss  ....................................................................................................................................  3  2.1.2   Begrifflichkeiten  .........................................................................................................................................  4  2.1.3   Autismus aus klinischer Sicht  ................................................................................................................  5  2.1.4   Symptomatik  ................................................................................................................................................  6  2.1.5   Stärken und Fähigkeiten  ........................................................................................................................  10  2.1.6   Umgang mit Veränderungen  ...............................................................................................................  11  2.1.7   Hilfestellungen / Strukturierungen  ....................................................................................................  12  

2.2   Lernort  ...........................................................................................................................................  14  

2.2.1   Schule als Lernort  ...................................................................................................................................  14  2.2.2   Einfluss des Schulgebäudes auf den Schulalltag  ..........................................................................  15  2.2.3   Baubiologie für eine gesunde Lernumgebung  ...............................................................................  16  2.2.4   Lernort für ein Kind im Autismus-Spektrum  .................................................................................  17  2.2.5   Die beeinträchtigte räumliche Orientierung  ...................................................................................  18  

2.3   Schulische  Integration  ..............................................................................................................  21  

2.3.1   Integration von einem Kind im Autismus-Spektrum  ..................................................................  21  

3   Fragestellung  und  Hypothesen  .........................................................................................  24  3.1   Kind  im  Autismus-­‐Spektrum  in  der  Schule  .......................................................................  24  

3.2   Lernort  ...........................................................................................................................................  24  

3.3   Integration  ....................................................................................................................................  25  

4   Methode  ....................................................................................................................................  26  4.1   Stichprobe  .....................................................................................................................................  26  

4.2   Datenerhebung  ............................................................................................................................  27  

4.3   Datenauswertung  .......................................................................................................................  28  

5   Ergebnisse  ...............................................................................................................................  29  5.1   Erfahrungen  mit  Kindern  im  Autismus-­‐Spektrum  ..........................................................  30  

5.1.1   Schulisches Lernen  .................................................................................................................................  30  5.1.2   Symptomatik  .............................................................................................................................................  31  

5.2   Lernort  allgemein  .......................................................................................................................  35  

Page 5: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

IV  

5.3   Lernort  für  ein  Kind  im  Autismus-­‐Spektrum  ....................................................................  36  

5.3.1   Auswirkungen  ..........................................................................................................................................  36  5.3.2   Strukturierung  ...........................................................................................................................................  37  5.3.3   Empfehlungen Lernort für Kind im Autismus-Spektrum  ..........................................................  38  

5.4   Empfehlungen  für  eine  gelingende  Integration  ...............................................................  40  

6   Diskussion  ...............................................................................................................................  42  6.1   Kind  im  Autismus-­‐Spektrum  in  der  Schule  .......................................................................  42  

6.2   Lernort  ...........................................................................................................................................  46  

6.3   Integration  ....................................................................................................................................  52  

7   Zusammenfassende  Schlussfolgerung  ...........................................................................  54  

8   Kritische  Reflexion  ...............................................................................................................  56  9   Ausblick  ....................................................................................................................................  57  

10   Literaturverzeichnis  ............................................................................................................  58  

11  Abbildungsverzeichnis  ........................................................................................................  60  12  Tabellenverzeichnis  .............................................................................................................  60  

13   Eigenständigkeitserklärung  ..............................................................................................  61  14  Anhang  ......................................................................................................................................  62  14.1   Interviewleitfaden  .....................................................................................................................  62  

14.1.1   Interviewleitfaden SHP 1/ 2 und SP  ...............................................................................................  62  14.1.2   Interviewleitfaden KJP und PROF  ..................................................................................................  63  

Page 6: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

1  

1 Einleitung

Das Thema Autismus hat in der jüngsten Zeit enorm an Bedeutung gewonnen. Dies ist darauf

zurückzuführen, dass in den letzten 30 Jahren in diesem Fachgebiet viele neue Erkenntnisse

gewonnen wurden. Man spricht gar von einer wissenschaftlichen Revolution. Noch Anfang

der 1980-er Jahre galt Autismus als eine eher seltene Störung, welche bei 1:2'500 Kindern

oder Erwachsenen diagnostiziert wurde. Heute liegt die Häufigkeit einer Autismus-Diagnose

bei ungefähr 1:100. Der Begriff Autismus hat sich grundlegend gewandelt. Er wurde von

einer seltenen, klar abgrenzbaren Krankheit, zu einem breiten Spektrum verschiedener Stö-

rungen, die insgesamt 25 Mal häufiger sind als die mit dem ursprünglichen Begriff bezeich-

nete Diagnose (Girsberger, 2016). Autismus ist als eine tiefgreifende Entwicklungsstörung

definiert. Menschen mit einer Autismus-Diagnose haben Auffälligkeiten in den Bereichen

soziale Interaktion, Kommunikation und Interessen und zeigen sich wiederholendes, stereo-

types Verhalten (Schuster, 2016).

Das Behindertengleichstellungsgesetz zieht die Integration des Kindes in die Regelschule

separierenden Lösungen vor  (Art. 20 Abs. 1 & 2 BehiG). Aus diesem Grund werden Kinder

und Jugendliche im Autismus-Spektrum (AS) wenn möglich in die Regelschule integriert.

Um den besonderen Bedürfnissen dieser Kinder gerecht zu werden und ihnen Lernerfolge zu

ermöglichen, muss sich das schulische Fachpersonal bewusst sein, dass diese Kinder in vie-

lerlei Hinsicht besondere Unterstützung und viel Verständnis und Geduld benötigen. Die Be-

dürfnisse der Kinder im AS unterscheiden sich von den Bedürfnissen nicht betroffenen Schü-

lerinnen und Schülern.

In der Arbeit als Lehrperson ist die Wahrscheinlichkeit gross, Verantwortung für die schuli-

sche Förderung von Kindern im AS zu übernehmen. Dies und das allgemeine Interesse an

Autismus war der Beweggrund für die Autorin, sich für diese Thematik zu entscheiden.

Rittelmeyer (2010) definiert die Schule als Platz des Lernens und Lebens und als einen

Treffpunkt für soziales Lernen. Kinder verbringen einen grossen Teil ihres Lebens im Klas-

senraum. Aus diesem Grund müssen Schulen nicht nur Unterrichtsmethoden und Unter-

richtsmaterialien weiterentwickeln, sondern auch den Fokus auf die Gestaltung der Schul-

räume legen (Sprecher Mathieu, 2010). Untersuchungen von Rittelmeyer (2010) haben den

erheblichen Einfluss des Lernortes auf die Leistungsfähigkeit, das Wohlbefinden und die

Gesundheit eines Kindes verdeutlicht.

Page 7: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

2  

Der Fokus dieser Arbeit liegt auf der Gestaltung eines Lernortes für Kinder im AS. Um den

besonderen Bedürfnissen dieser Kinder gerecht zu werden, muss der Lernort bewusst gewählt

und eingerichtet werden. Dabei ist wichtig, dass neben den Heilpädagoginnen und Heilpäda-

gogen auch Lehrpersonen der Regelschule ohne heilpädagogische Ausbildung die Bedürfnis-

se der Kinder im AS bezüglich ihres Lernortes kennen und diese in der Einrichtung des Lern-

ortes berücksichtigen.

Die vorliegende Arbeit stellt eine fundierte Übersicht zum Thema Lernort für Kinder im AS

dar. Das Augenmerk liegt auf konkreten Gestaltungsideen für einen Lernort für jene Kinder

im AS, welche aufgrund ihren nicht zu stark ausgeprägten Symptomen in die Regelschule

integriert werden können. Es ist anzumerken, dass die befragten Personen ausgehend von

ihren persönlichen Erfahrungen teilweise Auskunft über den Lernort an einer Sonderschule

geben. Diese Aussagen können jedoch grösstenteils auch auf die integrativ unterrichteten

Kinder im AS angewendet werden.

Um die zentrale Fragestellung dieser Arbeit beantworten zu können, wurden fünf teilstruktu-

rierte Interviews geführt. Zu den befragten Fachpersonen gehören zwei praktizierende schuli-

sche Heilpädagoginnen, eine Sozialpädagogin, ein Dozent der Hochschule für Heilpädagogik

und ein Kinder- und Jugendpsychiater. Die Interviews wurden in Anlehnung an eine qualita-

tive Inhaltsanalyse und mit Hilfe des Programmes MAXQDA ausgewertet.

Eine allumfassende Abhandlung der Thematik ist aufgrund der Rahmenbedingungen nicht

möglich. Deshalb bleibt beispielsweise der Einbezug von Kindern im AS und deren Familien

unberücksichtigt. Die Arbeit konzentriert sich auf die Frage:

„Wie muss ein Lernort gestaltet sein, damit die Integration eines Kindes im Autismus-

Spektrum gelingen kann?“

.

Page 8: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

3  

2 Theoretischer Hintergrund

Der Theorieteil umfasst die theoretischen Grundlagen zu Autismus, beleuchtet die Schule als

Lernort und geht im Besonderen auf die Baubiologie für eine gesunde und lernfördernde Ler-

numgebung ein. Zudem wird der Begriff der schulischen Integration geklärt und Vorausset-

zungen für eine gelingende Integration von einem Kind im AS erläutert.

2.1 Autismus

Im nachfolgenden Kapitel wird das Konstrukt Autismus beschrieben. Dies geschieht sowohl

aus historischer und klinischer Sicht, als auch durch das Klären der Begrifflichkeiten. In ei-

nem weiteren Schritt wird auf die Symptomatik eingegangen. Es werden die zwei Hauptkate-

gorien in den zwei Bereichen thematisiert, in welchen die Betroffenen Auffälligkeiten zeigen:

Beeinträchtigungen in der sozialen Interaktion und der Kommunikation, sowie eingeschränk-

te Interessen und sich wiederholendes, stereotypes Verhalten. Zusätzlich werden auch die

Besonderheiten der Wahrnehmung erläutert und der Umgang mit Veränderungen behandelt.

Neben den Herausforderungen werden auch die Stärken und Fähigkeiten von Kindern im AS

dargestellt. Am Schluss des Kapitels werden mögliche Hilfestellungen und Strukturierungen

für Kinder im AS aufgearbeitet.

2.1.1 Historischer Abriss

Gemäss Theunissen (2018), Schuster (2016) und Girsberger (2016) gilt der Schweizer Psy-

chiater Eugen Beuler als der erste Wissenschaftler und Forscher, der den Begriff Autismus

bekannt gemacht hat. Eugen Beuler bezeichnete im Jahre 1911 starke Zurückgezogenheit und

Selbstbezogenheit als eines der Symptome der Schizophrenie (Girsberger, 2016). Nach der

Zeit des Zweiten Weltkrieges, wurde Autismus erstmals als eine Entwicklungsstörung be-

schrieben (Schuster, 2016). Im Jahre 1938 beschrieb Leo Kanner, ein österreichisch-

amerikanischer Kinder- und Jugendpsychiater, Kinder, die im Bereich der Wahrnehmung, der

Entwicklung sowie des sozialen und kommunikativen Verhaltens Auffälligkeiten zeigten

(Schuster, 2016). Diesen „Kanner-Autismus“ bezeichnete man später als frühkindlichen Au-

tismus (Theunissen, 2018).

Unabhängig von Leo Kanner beschäftigte sich der Wiener Kinderarzt Hans Asperger etwa

zur gleichen Zeit mit Buben, die im Gegensatz zu den von Kanner beschriebenen Kindern

alle eine entwickelte Sprache aufwiesen. Girsberger (2016) kommt in seiner Arbeit zum

Schluss, dass das Konzept von Asperger breiter als das Konzept von Kanner angelegt war.

Page 9: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

4  

Während Kanner ausschliesslich schwer beeinträchtigte Kinder beschrieb, ging Asperger von

Kindern mit guten verbalen und intellektuellen Fähigkeiten aus. In Anlehnung an die Studien

von Asperger sprach man später von einem höheren funktionierenden Autismus, dem soge-

nannten Asperger-Syndrom (Schuster 2016).

2.1.2 Begrifflichkeiten

In der Fachliteratur finden sich viele unterschiedliche Begriffe wie Autismus, Frühkindlicher

Autismus, Asperger-Syndrom, Atypischer Autismus, Autismus-Spektrum-Störung, Autis-

mus-Spektrum und autistische Züge. Diese Aufzählung ist nicht abschliessend und die vielen

verschiedenen Begriffe können verunsichern (Schirmer 2016).

Der Begriff Autismus stammt aus dem Griechischen (autos = selbst) und bedeutet „sehr auf

sich bezogen sein“ (Theunisssen, 2018).

Im letzten Jahrzehnt hat sich der Begriff Autismus-Spektrum-Störung in der Fachliteratur

etabliert und wurde in internationalen Klassifikationen psychischer Störungen aufgenommen.

Der wesentliche Hintergrund dieser Entwicklung bildet die Erkenntnis, dass die Symptome

und die Ausprägungen sehr vielfältig und unterschiedlich bei verschiedenen Betroffenen oder

im Verlauf der Entwicklung sein können (Schirmer, 2016). Der Fachbegriff Autismus-

Spektrum-Störung löst zunehmend die vorranging verwendeten Diagnosebezeichnungen des

frühkindlichen Autismus, des atypischen Autismus und des Asperger-Syndroms ab (Eckert,

2015).

Viele von Autismus betroffene Personen und zunehmend auch Fachleute lehnen die Bezeich-

nung für Autismus als Störung, Behinderung oder psychische Krankheit ab. Diese Sicht ist

einseitig und beschreibt nur die Defizite. Den Stärken, Spezialbegabungen oder besonderen

Fähigkeiten der Betroffenen werden diese Begriffe nicht gerecht. Deshalb favorisieren immer

mehr Autismusforscherinnen und Autismusforscher die Bezeichnung Autismus-Spektrum,

kurz AS. Durch den Begriff AS werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie Stärken

anerkannt und negative Zuschreibungen vermieden. Autismus ist nicht nur eine Summe von

Defiziten, sondern es handelt sich um ein besonderes Fähigkeitsprofil, das durchaus Stärken

beinhaltet (Schirmer, 2016). Dies verhindert eine Stigmatisierung (Theunissen, 2018). In der

vorliegenden Arbeit wird die Bezeichnung „Autismus-Spektrum“ (AS) bevorzugt. Beim Zi-

tieren oder Transkribieren werden jedoch die Originalbegriffe des jeweiligen Autors über-

nommen. Nicht von Autismus betroffene Menschen bezeichnet die Autorin als neurotypische

Menschen. Mit neurotypisch sind „normale“ Menschen gemeint, in Abgrenzung zu den Men-

schen mit einer autistischen Wahrnehmung. Das Wort „normal“ wird jedoch vermieden, um

Page 10: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

5  

Menschen mit AS nicht als „abnormal“ zu bezeichnen. Viel mehr eignen sich die Begriffe

„besonders“ oder „anders“, die jedoch nicht mit den Bezeichnungen krankhaft oder defizitär

gleichgestellt werden dürfen (Girsberger, 2016).

Auffälligkeiten

Menschen im AS unterscheiden sich von ihren Mitmenschen durch ihr Sozialverhalten, ihre

verbale und nicht-verbale Kommunikation, ihre Interessen und durch ihre Wahrnehmung.

Erschwerend kommt hinzu, dass Menschen im AS oft grosse Schwierigkeiten haben, sich in

andere Menschen hinein zu fühlen. Oft sind die Betroffenen überempfindlich gegenüber

Licht, Gerüchen, Geräuschen oder Berührungen (Eckert, 2015).

Häufigkeit

Gemäss Herbrecht & Gwerder (o.J.) wird angenommen, dass rund ein Prozent aller Men-

schen von einer Autismus-Spektrum-Störung betroffen ist. Jungen erhalten häufiger als Mäd-

chen eine Autismus-Diagnose. Bei Mädchen kann eine autistische Symptomatik jedoch über-

sehen werden, da Mädchen Schwierigkeiten im sozialen Bereich besser kompensieren kön-

nen und dadurch weniger auffallen. Die Prognose des Verlaufs der Entwicklungsstörung ist

nur schwer vorherzusagen. Es gibt Forschungsergebnisse die zeigen, dass autismusspezifi-

sche Symptome mit dem Alter nachlassen. Dies begründen die Wissenschaftler damit, dass

die Betroffenen Strategien erlernen, um mit ihren Herausforderungen umgehen zu können.

2.1.3 Autismus aus klinischer Sicht

Für die Klassifizierung von psychischen Störungen sind weltweit die beiden Systeme ICD1

und DSM 2 verbreitet. Seit dem Erscheinen von DSM-5 liegt ein System vor, welches unter

dem Begriff Autismus-Spektrum-Störung die Merkmale von Betroffenen mit Autismus in

zwei Hauptkategorien miteinbezieht (Schirmer, 2016). Die in dieser Arbeit ausgeführten

Merkmale beziehen sich auf das System DSM-5.

Die erste Hauptkategorie beschreibt anhaltende Defizite in der sozialen Kommunikation und

sozialen Interaktion in unterschiedlichen Kontexten. Die folgenden Defizite müssen in allen

drei Unterkategorien nachweisbar sein:

                                                                                                               1  Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM) von amerikanischen Psychiatern  2  Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD) von der WHO    

Page 11: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

6  

1. Defizite in der sozial-emotionalen Wechselseitigkeit

2. Defizite in der nonverbalen Kommunikation im Rahmen sozialer Interaktionen

3. Defizite in der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Beziehungen, entsprechend

dem Entwicklungsstand (Theunissen, 2018, S. 42f)

Die zweite Hauptkategorie beschreibt eingeschränkte Interessen oder Aktivitäten der Be-

troffenen und repetitives Verhalten (Theunissen, 2018). Die folgenden Symptome müssen in

mindestens zwei von vier Aufzählungen nachweisbar sein:

1. Stereotype oder repetitive motorische Bewegungen, Verwendung von Objekten oder

Sprache

2. Beharren auf Gleichförmigkeit, unflexibles Festhalten an Routine, ritualisierte Muster

von verbalem oder nonverbalem Verhalten

3. Stark eingeschränkte, fixierte Interessen, die mit „abnormer“ Intensität oder Fokussie-

rung einhergehen

4. Hyper- oder Hyporeaktivität auf sensorische Reize oder ungewöhnliches Interesse an

sensorischen Reizen der Umwelt (Theunissen, 2018, S. 43)

Theunissen (2018) betont, dass die oben genannten Symptome für eine Autismus-Spektrum-

Diagnose in der frühen Kindheit auftreten sollten, jedoch nicht vollständig ausgebildet sein

müssen. Bei hohen sozialen Anforderungen können sie auch erst später zutage treten. Zusätz-

lich wird im DSM-5 von einer Beeinträchtigung des Alltagsverhaltens ausgegangen.

2.1.4 Symptomatik

Betroffene im AS unterscheiden sich in verschiedenen Bereichen von ihren Mitmenschen.

Menschen mit einer autistischen Wahrnehmung haben Gemeinsamkeiten. Jedoch ist jede

Person im AS anders und die typischen Symptome äussern sich unterschiedlich (Schirmer,

2016). Die nachfolgende Darstellung beschreibt die Bereiche, in denen sich Autismus im

Verhalten bemerkbar macht (Schuster, 2016).

Page 12: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

7  

Abb. 1 Auffälligkeiten von Menschen im AS

Kommunikation

Herbrecht und Gwerder (o.J.) heben die sprachlichen Schwierigkeiten von Kindern im AS

hervor. Teilweise entwickeln die Kinder erst sehr spät die verbale Sprache oder ihre Sprach-

entwicklung entspricht bis zum 2. Lebensjahr der Norm, stagniert jedoch von da an oder bil-

det sich gar zurück.

Kinder im AS erfassen Aussagen meist wortwörtlich. Ironie, Redewendungen, Metaphern

oder Witze verstehen sie oft nicht (Schuster, 2016). Auch Schirmer (2016) betont die Schwie-

rigkeit der Menschen im AS, Ironie und Sprachbilder zu verstehen. Dies kann zu Problemen

und Missverständnissen führen. Eine Lehrperson muss immer wieder überprüfen, ob ein

Schüler oder eine Schülerin den Inhalt ihrer Aussage verstanden hat. Dies erfordert viel

Selbstdisziplin, denn die sprachlichen Äusserungen müssen sehr bewusst gewählt und über-

prüft werden. Es gilt, wenn immer möglich, Metaphern oder ironische Bemerkungen zu ver-

meiden und auf indirekte Aufforderungen zu verzichten (Schirmer, 2016).

Unsere alltägliche Kommunikation geschieht oft nonverbal. Wir teilen unsere Bedürfnisse

und Gemütszustände durch Augenkontakt, Gesten oder Gesichtsausdrücke mit. Für neuroty-

pische Menschen geschieht dies oft automatisch, ohne darüber nachdenken zu müssen.

Menschen im AS fällt es schwer, mit ihren Augen zu kommunizieren. Nur selten schauen sie

während dem Kommunizieren ihrem Gegenüber in die Augen. Auch Gesten und Gesichts-

ausdrücke verwenden Menschen im AS eher selten. Sie haben grosse Schwierigkeiten, die

Körpersprache ihrer Mitmenschen zu deuten und zu verstehen. Menschen im AS nehmen

!

2. Soziale Interaktion 1. Kommunikation

!

3. Stereotype Verhaltensweisen und eingeschränkte Interessen

Auffälligkeiten von Menschen im AS

!

4. Besonderheiten in der Wahrnehmung !

Page 13: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

8  

unterschiedliche Emotionen durchaus wahr, sind jedoch in ihren Möglichkeiten einge-

schränkt, diese auszudrücken (Herbrecht & Gwerder, o.J.).

Soziale Interaktion

Laut Herbrecht und Gwerder (o.J.) sehnen sich auch Kinder im AS nach Kontakt zu anderen

Kindern. Diese sind für Kinder im AS sehr wichtig, auch wenn es öfters zu Missverständnis-

sen und Frustrationen kommen kann. Schirmer (2016) stimmt der Aussage von Herbrecht

und Gwerder (o.J.) nur teilweise zu. Die Autorin betont, dass die Auffälligkeiten der Men-

schen im AS im Sozialverhalten individuell verschieden sind. Es gibt Kinder im AS, die nicht

auf ihren Namen reagieren und nicht fähig sind, Freundschaften aufzubauen und zu pflegen.

Im Gegensatz dazu gibt es Kinder, die bewusst jeden sozialen Kontakt ablehnen und sich am

wohlsten fühlen, wenn sie alleine sind. Wiederum gibt es Menschen im AS, die sich nach

sozialen Kontakten sehnen. Die Umsetzung gelingt ihnen aber nicht oder nur teilweise.

Oft führt das fehlende Wissen über Verhaltensregeln in sozialen Situationen zu Schwierigkei-

ten. Für neurotypische Menschen selbstverständliche Konventionen, an die sie sich, ohne

lange zu überlegen halten, sind für Kinder im AS mühsam zu erwerbende Regeln. Ihnen fällt

es beispielsweise schwer, den richtigen Abstand zu einer anderen Person zu halten, ein Ge-

spräch zu beginnen und zu beenden sowie zu erkennen, wenn der Gesprächspartner sich zu

Wort melden möchte (Herbrecht & Gwerder, o.J.).

Stereotype Verhaltensweisen und eingeschränkte Interessen

Einige Kinder im AS weisen motorische Stereotypien auf, welche bei den Betroffenen mehr

oder weniger stark ausgeprägt sein können (Schuster, 2016). „Als Stereotypien bezeichnet

man sich immer wiederholende Bewegungen, Äusserungen, Wahrnehmungshandlungen (z.B.

Beobachtung von zumeist technischen Vorgängen) oder Gedankenabläufe, die ohne erkenn-

bare Funktion vollzogen werden“ (Schirmer, 2016, S. 68). Diese Stereotypien können sich

bei den Betroffenen unterschiedlich zeigen. Dazu kann beispielsweise ein Händeflattern, ein

Kopf- oder Oberkörperschaukeln oder ein Drehen von Objekten gehören. Weshalb viele

Menschen im AS ein stereotypes Verhalten zeigen und welche Bedeutung dies für sie hat, ist

noch nicht vollständig geklärt. Es wird vermutet, dass dieses Verhalten für die Betroffenen

beruhigend wirkt und für sie eine Art Schutzmassnahme darstellt (Schuster, 2016).

Herbrecht und Gwerder (o.J.). heben hervor, dass Kinder im AS gleichbleibende Abläufe

lieben und brauchen. Menschen im AS fällt es schwer, flexibel zu reagieren, wenn sich Ab-

läufe kurzfristig ändern. So müssen beispielsweise Gegenstände immer am gleichen Platz im

Page 14: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

9  

Zimmer stehen und Kleider in der immer gleichen Reihenfolge angezogen werden. Beson-

ders jüngere Kinder haben eine Vorliebe für gleichbleibende und sich immer wiederholende

Bewegungen und Spiele. Diese sich wiederholenden Handlungen haben für die Betroffenen

eine regulierende Wirkung. Gleichbleibende Handlungsmuster geben ihnen Sicherheit und

helfen, Ordnung in ihre Umwelt zu bringen. Diese Verhaltensweisen können jedoch den All-

tag der betroffenen Familien sehr einschränken. Die Inflexibilität der Menschen im AS bei

Veränderungen und ihr Beharren an gleichbleibenden Routinen beschreibt auch Schirmer

(2016) in ihrem Werk.

Herbrecht und Gwerder (o.J.) unterstreichen zusätzlich, dass Kinder im AS häufig ein stark

ausgeprägtes Interesse an bestimmten Themen oder Gegenständen haben. Einige besitzen in

ihrem Spezialgebiet aussergewöhnliche Fähigkeiten (Schirmer 2016). Oftmals können sie

sich nur schwer für andere Lebensbereiche begeistern. Diesen Spezialinteressen misst auch

Schuster (2016) grosse Bedeutung zu. Viele Menschen gehen einem Hobby oder einem Inte-

resse phasenweise begeistert nach. Besonders bei neurotypischen Kindern klingt dieses Inte-

resse jedoch nach ein paar Tagen ab und sie suchen sich eine neue Beschäftigung. Anders

sieht dies bei Menschen im AS aus. Sie können über Monate oder Jahre vom gleichen Thema

fasziniert sein und diesem begeistert und zeitintensiv nachgehen. Für Eltern und Lehrperso-

nen kann das Wissen über diese Spezialinteressen Vorteile bringen. Sie können diese nutzen,

um die Kinder in ihrer Entwicklung und ihrem Lernstand weiterzubringen.

Besonderheiten in der Wahrnehmung

Als Wahrnehmung wird die Aufnahme von Reizen aus der Aussenwelt bezeichnet, die über

unsere Sinne (sehen, hören, riechen, schmecken, tasten) aufgenommen, verarbeitet und zu

einem sinnvollen Ganzen zusammengefügt werden. Obwohl ihre Sinnesorgane nicht beein-

trächtigt sind, nehmen Menschen im AS ihre Umwelt anders war als ihre Mitmenschen (Her-

brecht & Gwerder, o.J.). Auch Schuster (2016) beschreibt die Wahrnehmung von Menschen

im AS. Betroffene nehmen Sinneseindrücke verstärkt oder vermindert wahr und es fällt ihnen

schwer, Reize zu filtern. Sie haben grosse Mühe, die wichtigen von den nicht wichtigen In-

formationen zu unterscheiden (Herbrecht & Gwerder, o.J.). Die Autoren Schuster (2016) und

Herbrecht und Gwerder (o.J.) beschreiben die erheblichen Probleme der Betroffenen, sich in

der Umwelt zurechtzufinden und sich in die Gesellschaft einzufügen. Komplexe Situationen

oder Orte mit vielen Reizen und Sinneseindrücken können schnell zur Überforderung wer-

den. Grelles oder flackerndes Licht, bestimmte Gerüche oder grosse Menschengruppen kön-

nen diese Menschen irritieren und stark verunsichern.

Page 15: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

10  

Kinder im AS haben ein grosses Interesse an Details von Gegenständen. Sie sehen Details

scharf und haben Probleme, die umfassenden, beziehungsweise sinnvollen Zusammenhänge

zu erkennen (Herbrecht & Gwerder, o.J.). Girsberger (2016) führt aus, dass Menschen im AS

Schwierigkeiten mit der Zentralen Kohärenz haben. Die Zentrale Kohärenz ist ein Begriff aus

der Neuropsychologie. Sie beschreibt eine wichtige Hirnfunktion, die dem Menschen ermög-

licht, einzelne Wahrnehmungselemente in einen übergeordneten Zusammenhang zu stellen

und sie zu einem stimmigen „Ganzen“ zusammenzufügen. Menschen im AS haben in diesem

Bereich grosse Defizite und Girsberger (2016) spricht von einer sogenannten „schwachen

Zentralen Kohärenz“. Lucas (2014) beleuchtet ebenfalls die besondere Wahrnehmung der

Menschen im AS. Bilder können schneller und einfacher verarbeitet werden als Sprache.

 

2.1.5 Stärken und Fähigkeiten

Theunissen (2018), Schuster (2016), Girsberger (2016) und Schirmer (2016) sind sich einig,

dass Menschen im AS nicht nur Einschränkungen und Defizite, sondern durchaus auch be-

sondere Fähigkeiten und Stärken haben. Es ist zu betonen, dass jedes Kind im AS ein indivi-

duelles Fähigkeitsprofil hat. Im folgenden Abschnitt werden die häufig auftretenden Fähig-

keiten und Stärken zusammengefasst.

Wahrnehmung

Die Besonderheiten der autistischen Wahrnehmung sind nicht nur mit Nachteilen, sondern

auch mit Vorteilen verbunden. Wie im Kapitel 2.1.4 beschrieben, nehmen Kinder aus dem

AS Details sehr ausgeprägt wahr. Sie erkennen Unterschiede besser als Gemeinsamkeiten.

Daraus resultiert oft die Neigung zur Perfektion und Genauigkeit. Sie finden sehr schnell

Fehler. Dies kann im Berufsleben, beispielsweise bei einer Qualitätskontrolle, ein Vorteil

sein (Theunissen, 2018).

Spezialinteressen

Wie im Kapitel 2.1.4 bereits ausgeführt, haben Menschen im AS oft die Fähigkeit, ausserge-

wöhnliche Interessen zu entwickeln und diese in einer ungewöhnlichen Intensität auszuüben.

Schuster (2016) betont die Abilität der Menschen im AS, besonders sorgfältig und genau zu

arbeiten.

Neben der Stärke im visuellen Denken gibt es Menschen im AS, die sich durch enorme Ge-

dächtnisleistungen Faktenwissen über ihr Spezialgebiet aneignen. Daraus können hervorra-

gende Leistungen, sogenannte Inselbegabungen, resultieren (Theunissen, 2018).

Page 16: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

11  

Kreativität

Menschen im AS können sehr kreativ sein. Sie legen eine grosse Datenbank an Detailwissen

an. Zur Bewältigung von Aufgaben werden diese Daten abgerufen, in einem kreativen Pro-

zess die Details kombiniert und zu etwas Neuem zusammengefügt. Dies kann zu überra-

schenden und kreativen Leistungen führen.

Menschen im AS können sich Phantasiewelten mit imaginären Figuren schaffen und zeigen

oft grosse Fantasie in bildnerischen Tätigkeiten (Theunissen, 2018).

Soziale Intuition und Ehrlichkeit

Menschen im AS haben die Fähigkeit, ihren Mitmenschen vorurteilsfrei zu begegnen. Oft

zeigen sie gegenüber der Gefühlslage anderer Menschen eine überdurchschnittlich ausge-

prägte Sensibilität (Theunissen, 2018). Zudem sehen Menschen im AS die Welt oft nur in

„Schwarz-Weiss“. Sie sind deshalb sehr ehrlich und lügen nicht (La Brie Norall & Wagner

Brust, 2012).

2.1.6 Umgang mit Veränderungen

Walden (2008) und Schirmer (2016) betonen die Schwierigkeit von Menschen im AS, mit

Veränderungen umzugehen. Veränderungen sorgen bei Menschen im AS häufig für Unsi-

cherheit und Angst. Vor allem jüngere Kinder im AS verlangen einen festen, gleichbleiben-

den und unveränderlichen Tagesablauf. Auch Lucas (2014) betont die Inflexibilität der Men-

schen im AS. Da Menschen im AS nur schwer mit Veränderungen umgehen können, müssen

diese für sie stets vorhersehbar sein. Routineänderungen müssen im Voraus verbal oder durch

ein vereinbartes Signal angekündigt werden. Die Lehrperson muss vorausdenken, wo Prob-

leme entstehen können und sich deren Auslöser für schwieriges Verhalten bewusst sein.

Walden (2008) beschreibt mögliche psychische und physische Symptome, die bei Menschen

im AS bei unerwarteten Veränderungen oder bei zu vielen Reizen, auftreten können. Zu den

psychischen Symptomen zählt Walden (2008) Hilflosigkeit, Passivität, depressive Stimmun-

gen, Lernschwierigkeiten sowie Attribution von Misserfolgen an mangelnder Fähigkeit. Un-

ter den physischen Symptomen versteht er Kopfschmerzen, Herzklopfen, Atem- und Magen-

beschwerden sowie Handschweiss (S. 33f).

Konsequenzen für die Schule

Schuster (2016) beschreibt die Flexibilität als eine wichtige Eigenschaft einer Lehrperson im

Umgang mit Kindern im AS. Des Weiteren müssen Veränderungen, welche voraussehbar

Page 17: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

12  

sind, unbedingt angekündigt werden. So wird die Schule ein Stück sicherer für ein Kind im

AS und verliert an ihrem beängstigenden Potenzial.

Auf die Schule übertragen ergeben sich folgende Konsequenzen:

• Genügend grosse Klassenzimmer

• Individuelle Möglichkeiten zur Regulierung von Stressoren

• Verantwortlichkeit von Schülerinnen und Schülern über Pflanzen, Haustiere, häusli-

che Dienste

• Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf die Einschulung in eine neue Schul-

form (Walden, 2008, S. 56)

2.1.7 Hilfestellungen / Strukturierungen

Wissenschaftliche Befunde von Lucas (2014), Herbrecht und Gwerder (o.J.), Schuster

(2016), Bernard-Opitz und Häussler (2013) und Meyer (2018) belegen, dass Menschen im

AS klare Strukturen brauchen. Wie Bernard-Opitz und Häussler (2013) passend formulieren,

dient Strukturierung dazu, „ungeordnetes zu ordnen, Beziehungen zwischen Zusammengehö-

rigem herzustellen, Vorgehensweisen zu regeln, wesentliche Aspekte hervorzuheben und Ori-

entierung zu bieten“ (S.13). Für die von Autismus betroffenen Kinder ist es wichtig, dass sie

in allen Bereichen strukturiert unterrichtet werden. Klare Strukturen im Unterricht, sowie

auch in ihrer Lernumgebung bieten den Betroffenen Sicherheit und Orientierung und verein-

fachen ihren Alltag in vielen Bereichen (Herbrecht & Gwerder, o.J.). Meyer (2018) be-

schreibt ebenfalls die klare Strukturierung des Unterrichts als eines der wichtigsten Merkmale

von gutem Unterricht.

Strukturierung von Raum

Gemäss den Autoren Herbrecht und Gwerder (o.J.) und Bernard-Opitz und Häussler (2013)

fällt es Kindern und Erwachsenen im AS schwer, sich in einem Raum zu orientieren. Einfach

strukturierte, übersichtliche Räume mit visuellen Hinweisen, was sich wo befindet, können

eine grosse Hilfe für Menschen im AS sein (Bernard-Opitz & Häussler, 2013). Es ist sinn-

voll, wenn Gegenstände einen festen Platz im Schulzimmer haben. So kann Struktur in den

Alltag der Betroffenen gebracht werden. Überladene Räume sind zu vermeiden. Viel mehr

hilft es Menschen im AS, wenn das Schulzimmer schlicht und reduziert eingerichtet ist. Um

die räumliche Orientierung zu erleichtern, ist es sinnvoll, einzelne Bereiche im Schulzimmer

mit Farben, Teppichen, Klebebändern oder Raumteilen abzugrenzen (Herbrecht & Gwerder,

Page 18: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

13  

o.J.). Dieser Ansicht sind auch Bernard-Opitz & Häussler (2013). Für die betroffenen Kinder

wird durch diese Unterstützung besser nachvollziehbar, welcher Ort welche Funktion hat und

welche Aktivität mit sich zieht. Diese Thematik wird im Kapitel 2.2 genauer beleuchtet.

Die mangelnde Orientierung im Raum kann zu sozialen Problemen führen. Kinder im AS

haben oft Probleme mit Nähe und Distanz. Für sie ist es schwierig einzuschätzen, wie nahe

sie einem anderen Kind oder der Lehrperson kommen dürfen (Herbrecht & Gwerder, o.J.).

Strukturierung der Zeit

Herbrecht und Gwerder (o.J.) unterstreichen, dass Kinder im AS oft keine oder nur eine

schlecht entwickelte Zeitvorstellung haben. Vom gleichen Befund berichtet Schuster (2016).

Sie beschreibt, dass Kinder im AS in der Schule oft unter Zeitmangel leiden. Dies kann ver-

schiedene Gründe haben. Betroffene Kinder brauchen oft mehr Zeit, um eine Aufgabe zu

verstehen oder haben motorische Probleme, die sich auf beispielsweise auf die Schreibge-

schwindigkeit auswirken, oder zeigen grosse Mühe, eigene Gedanken verbal oder schriftlich

zu äussern. Zusätzlich brauchen Menschen im AS meist mehr Zeit, die Aufgabe zu verstehen.

Sie benötigen ebenfalls mehr Zeit bei Alltagshandlungen, wie beispielsweise beim Umziehen

für den Sportunterricht, beim Essen des Pausenbrotes oder beim Auspacken von Schulbü-

chern aus der Schultasche.

Wie im Kapitel 2.1.6 beschrieben, ist es für Menschen im AS sehr wichtig, dass Veränderun-

gen für sie vorhersehbar sind (Bernard-Opitz & Häussler, 2013). Sowohl Bernard-Opitz und

Häussler (2013), als auch Herbrecht und Gwerder (o.J.) sehen es für Menschen im AS als

hilfreich an, wenn Zeitspannen visuell sichtbar gemacht werden und damit die Dauer von

einer Aktivität nachvollziehbar verdeutlicht wird. Es ist sinnvoll, Zeit- oder Stundenpläne zu

erstellen, Küchen- oder Sanduhren zu verwenden oder mit einer Klingel das Ende einer Zeit-

spanne zu signalisieren. Zusätzlich können Abläufe und Tagesinhalte, die durch Symbole,

Tafeln oder anderen Hilfsmittel dargestellt werden, für Kinder im AS von grossem Nutzen

sein. Ein gleichbleibender und ritualisierter Tagesablauf fördert die Vorhersehbarkeit und

gibt den Kindern Sicherheit.

Strukturierung der Pausen

Gemäss Schuster (2016) sind Pausen für viele neurotypische Kinder der Höhepunkt des

Schulalltags. Für Pausen gibt es keine festen Pläne und geregelten Abläufe. Kinder können

machen was sie wollen, so lange es den Schulregeln entspricht. Sie toben, unterhalten sich

mit Freunden, lachen, schreien und fühlen sich frei. Für Kinder im AS hingegen sind Schul-

Page 19: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

14  

pausen keine Erholung, sondern eine zusätzliche Anstrengung. Das wilde und laute Durchei-

nander von Geräuschen, die schnellen und unberechenbaren Bewegungen der Mitschülerin-

nen und Mitschüler, unangenehme Berührungen und die Unvorhersehbarkeit der entstehen-

den Situationen stellen eine Überforderung dar. Statt Erholung sind die Pausen für Kinder im

AS oft die schlimmste Zeit in der Schule. Als Folge reagieren Kinder im AS auf die unstruk-

turierte Zeit der Pausen oft mit selbststimulativem oder herausforderndem Verhalten. Wäh-

rendem sich neurotypische Kinder im „gesunden Chaos“ der Pausen erholen, brauchen Kin-

der im AS eine andere Form der Entspannung. Ein Ruheraum, beispielsweise die Bibliothek,

eignet sich gut als Rückzugs- und Entspannungsort. Für viele Kinder im AS sind die Pausen

auch aufgrund ihrer Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion belastend. da sie nur wenige

Freunde haben. Vielfach scheitern die Versuche, sich zu einer Gruppe zu gesellen und das

Kind leidet unter der Aussenseiterrolle.

2.2 Lernort

In diesem Kapitel wird der Lernort „Schule“ näher beleuchtet. Es wird geklärt, inwiefern das

Schulgebäude den Schulalltag der Kinder beeinflusst. Ausserdem werden Einflussfaktoren

für eine gesunde Lernumgebung erläutert. Zum Schluss wird auf den Lernort für ein Kind im

AS eingegangen.

Um auf den Lernort eingehen zu können, muss zuerst der Begriff Lernen geklärt werden.

Walden (2008) definiert Lernen als eine aus Erfahrungen resultierende permanente Verhal-

tensänderung. Lernen geschieht in der Anpassung an die Umwelt oder durch die aktive Ge-

staltung der Umwelt.

Lernen benötigt Zeit, Geduld, Zuwendung, Stille und Ausdauer. Lernen ist ein sozialer Pro-

zess, der schon im frühesten Kindesalter beginnt. Kinder bauen ihr Wissen auf, in dem sie

sich aktiv mit ihrer Umwelt auseinandersetzen. Bei diesem Bildungsprozess sind Kinder auf

die Erwachsenen angewiesen. Erwachsene orientieren sich an den individuellen Bedürfnissen

der Kinder und führen die Kinder an ihre individuellen Lernmöglichkeiten heran (Braun,

Bühlmann, Straumann, Burri, Degenhardt, Neuhaus, Schumacher, Straumann, Weinhardt,

2014).

2.2.1 Schule als Lernort

Untersuchungen von Rittelmeyer (2010) haben den erheblichen Einfluss der Gestaltung des

Lernortes sowohl auf die Leistungsfähigkeit, das Wohlbefinden, die Gesundheit aber auch

Page 20: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

15  

auf die Aggressionsbereitschaft eines Kindes verdeutlicht. In gleicher Qualität wie dem zu

vermittelnden Wissen muss auch dem Lernort Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Die Schule soll ein Platz des Lernens und Lebens und ein Treffpunkt für soziales Lernen

sein. In der Schule sollen Kinder Kreativität, individuelle Vielfalt, soziale Kompetenz und

Konfliktlösungsstrategien entwickeln. Weiter lernt ein Kind Vorlieben und Abneigungen für

Themen und Arbeiten. Individuelle Bedingungen wie Motivation und Ermüdung tragen dazu

bei, ob eine Lernleistung erfolgt oder nicht (Walden, 2008). Forster (2010) beschreibt in ihrer

Arbeit eine Thematik, welche das von Walden (2008) definierte Lernen (vgl. Kap.2.2) erheb-

lich erschwert. Forster (2010) sieht die knappen Platzverhältnisse an Schulen als sehr heraus-

fordernd für die Kinder. Dauernd im Klassenzimmer mit vielen anderen Kindern und Lehr-

personen auf engem Raum zusammen zu sein, fordert eine hohe Aufmerksamkeit, Toleranz

und braucht viel Energie. Dadurch stehen die Kinder unter Druck. Dieser räumlichen Enge

und sozialen Dichte kann entgegengewirkt werden, in dem der Raum bewusst strukturiert

wird. Geschickt platzierte Stellwände, Regale und Sitzgruppen unterteilen das Klassenzim-

mer in verschiedene Bereiche. Nischen und Ecken bieten den Kindern Rückzugsmöglichkei-

ten. Durch diese Rückzugsmöglichkeiten können Kinder das soziale Geschehen regulieren,

was sich positiv auf ihr Wohlbefinden auswirkt (Forster, 2010). Auch Sprecher Mathieu

(2010) betont die Wichtigkeit einer durchdachten Sitzordnung. Jede Schülerin und jeder

Schüler sollte einen festen Arbeits- und Rückzugsort haben. Rückzugsmöglichkeiten und

ruhige Arbeitsplätze schreiben auch die Erziehungsdirektion des Kanton Bern (2015), Rittel-

meyer (2010) und Forster (2010) eine grosse Wichtigkeit zu. Forster (2010) beschreibt diese

Rückzugsmöglichkeiten als private Bereiche, welche die Zufriedenheit mit dem Raum stär-

ken. Zusätzlich weist Sprecher Mathieu (2010) auf die essenzielle Wichtigkeit einer guten

Ordnung im Klassenzimmer hin. Damit meint die Autorin eine übersichtliche und nachvoll-

ziehbare Ordnung von Unterrichtsmaterialien und Lehrbüchern. Eine bewusst gewählte Sitz-

ordnung und das Festlegen eines Ortes für das persönliche Schulmaterial unterstützen dies

und strahlen Ruhe und Sicherheit aus. Auch die Erziehungsdirektion des Kanton Bern (2015)

betont, dass Schülerinnen und Schüler ausreichend Platz haben sollten, um ihre persönlichen

Sachen zu verstauen und Arbeiten abzulegen.

2.2.2 Einfluss des Schulgebäudes auf den Schulalltag

Schulen müssen nicht nur Unterrichtsmethoden und Unterrichtsmaterialien weiterentwickeln,

sondern auch den Fokus auf die Entwicklung der Schulräume setzen. Die Raumqualität ist

dabei von enormer Bedeutung für die Kinder, da sie einen grossen Teil ihres Lebens im Klas-

Page 21: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

16  

senraum verbringen. Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler werden durch Räume in ihrem

Handeln beeinflusst. Enge Räume können Nervosität und Gereiztheit auslösen. Es kann von

den Schülerinnen und Schülern nicht erwartet werden, dass sie sich im Unterricht aktiv betei-

ligen, wenn sie stundenlang eingeengt auf ihrem Stuhl sitzen müssen. Der Klassenraum hat

einen dauerhaft prägenden Einfluss auf die Kinder. Farben und Formen wirken sich ebenfalls

auf die Qualität eines Lernortes aus. Eine positive Einstellung gegenüber dem Lernraum trägt

zum Arbeitserfolg bei (Sprecher Mathieu, 2010).

2.2.3 Baubiologie für eine gesunde Lernumgebung

Aufgrund der langen Aufenthaltsdauer von Schülerinnen und Schülern im Schulzimmer

spielt die Raumqualität eine grosse Rolle. Räume sollten beim Benutzen Wohlbefinden her-

vorrufen. Die Raumbiologie behandelt diese Thematik. Nachfolgend werden die fünf zentra-

len Bereiche einer gesunden Lernumgebung genauer beleuchtet. Dazu gehört das Raumkli-

ma, das Licht, die Akustik, die Farben und Formen (Sprecher Mathieu, 2010). Auch die Er-

ziehungsdirektion des Kanton Bern (2015) nennt diese Bereiche als Einflussfaktoren auf die

Raumqualität.

Raumklima

Ein Raumklima gilt als gut, wenn es im Raum weder zu heiss noch zu kalt ist und keine Zug-

luft herrscht. Das Raumklima wird als angenehm empfunden, wenn die Luftfeuchtigkeit

stimmt. Das heisst, die Luft ist weder zu trocken noch zu feucht. Die Raumluft sollte auch

nicht mit Schadstoffen belastet sein (Sprecher Mathieu, 2010).

Licht

Sprecher Mathieu (2010) unterscheidet zwischen Tages- und Kunstlicht. Diese Lichtarten

ergänzen sich gegenseitig und sind beide von grosser Bedeutung für die Schule. Unter dem

Tageslicht versteht Sprecher Mathieu (2010) das Sonnenlicht. Ohne die gesundheitsgefähr-

denden Aspekte des Sonnenlichtes zu leugnen, hat das Sonnenlicht vor allem eine positive

Wirkung auf den Menschen. Durch Sonnenlicht kann jedoch auch Blendung auftreten. Es ist

unvermeidlich, dass einzelne Arbeitsplätze im Schulzimmer gelegentlich im Bereich einer

Blendung liegen. Mit dem Installieren von Sonnenstoren kann diesem Problem entgegenge-

wirkt werden. Fehlt das Sonnenlicht, sinkt gemäss Sprecher Mathieu (2010) die Leistungsbe-

reitschaft und die Stimmung des Lernenden. Da aber im Winter, früh abends oder morgens

Page 22: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

17  

das natürliche Sonnenlicht nicht ausreicht und überall im Klassenzimmer genügend Licht

sein muss, muss Kunstlicht installiert werden.

Akustik

Auch der Akustik schreibt Sprecher Mathieu (2010) grosse Bedeutung zu. Der Schulraum

muss geschützt werden vor Lärm aus der Umgebung. Oft stört Lärm aus den Schulkorridoren

das Lernen im Schulzimmer. Ein weiteres Problem sieht die Autorin in den Eingangsberei-

chen, Turnhallen und Garderobenräumen, wo es häufig stark hallt.

Farben und Formen

Laut Forster (2010) wird der Raum durch Farben und Formen strukturiert. Durch die in der

Umwelt vorhandenen Formen- und Farbstrukturen entwickelt das Kind seine Orientierungs-

fähigkeit. Durch das Orientieren im Raum sowie das Erkennen und Einordnen von Gegen-

ständen aus ihrer Umgebung, erlangen die Kinder ein Gefühl der Sicherheit. Diese Sicherheit

beschreibt die Erziehungswissenschaftlerin wiederum als eine Voraussetzung für das Wohl-

befinden. Diese Wirkungskette wird weitergeführt, in dem das Wohlbefinden einen Einfluss

darauf hat, ob sich das Kind aktiv am Unterricht beteiligt und ist somit auch Grundlage für

komplexe Verhaltensbereiche wie Lernmotivation und Leistungsbereitschaft. Sprecher Ma-

thieu (2010) wird in ihrer Arbeit noch konkreter und gibt Ratschläge zur farblichen Gestal-

tung des Lernraumes. Die Farben sollten neutral gewählt werden. Keine Farbgruppe sollte

dominant sein, damit sich möglichst alle Kinder im Raum wohlfühlen können. Nicht alle

Menschen nehmen Farben auf die gleiche Weise wahr. Manche stimmt ein helles Rot sehr

fröhlich, für andere wirkt es aggressiv. Damit mit der Farbgestaltung des Lernraumes den

unterschiedlichen Nutzungsbedürfnissen entsprochen werden kann, empfiehlt es sich, den

Raum mit warmen und kalten Farben gleichermassen zu gestalten. Warme Farben sind bei-

spielsweise ein sonniges Gelb, Orange oder Ocker. Kühle Farben sind Farben, die in der Na-

tur nicht vorkommen wie das reine Schwarz oder Weiss und auch Farben wie Zitronengelb,

Blaugrün und Königsblau. Auch Rittelmeyer (2010) beschreibt den grossen Einfluss der Far-

ben. Er empfiehlt, grelle Farben zu vermeiden.

2.2.4 Lernort für ein Kind im Autismus-Spektrum

Ein Kind verbringt täglich mehrere Stunden in der Schule. Für viele Kinder im AS stellt die

Schule in zwei Bereichen eine besondere Herausforderung dar. Zum einen ist in der Schule

Sozialkompetenz gefragt ist und wie im Kapitel 2.1.4 beschrieben, zeigen Kinder im AS oft

Page 23: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

18  

in diesem Bereich grosse Auffälligkeiten (Girsberger, 2016). Das bedeutet, es werden Fähig-

keiten verlangt wie:

• Sich in einer Gruppe/ Gemeinschaft einfügen

• Mit anderen zusammenarbeiten

• Sich mit neuen, relativ wenig strukturierten Lernformen zurechtfinden

• Konflikte austragen und lösen (Girsberger, 2016, S. 142)

Zum anderen, wird oft von einem Kind im Bereich des schulischen Lernens oft etwas ver-

langt, das es nur ungern macht. Hans Asperger (1944) beschreibt treffend diese Herausforde-

rung: „Die Leistungen eines Kindes erwachsen aus einer Spannung zwischen den beiden Po-

len: spontane, eigenständige Produktion und – Nachahmen eines Vorgezeigten, erlernen von

Kenntnissen und Fähigkeiten, welche die Erwachsenen bereits besitzen. ... Die autistischen

Kinder können vor allem spontan produzieren, können nur originell sein, können aber nur in

herabgesetzten Masse lernen, nur schwer mechanisiert werden, sind gar nicht darauf einge-

stellt, Kenntnisse von den Erwachsenen, etwa vom Lehrer, zu übernehmen“. Unser Schulmo-

dell geht jedoch genau von diesem, dem Kind im AS fremden Grundsatz aus: Der Schüler /

die Schülerin soll Wissen von der Lehrperson übernehmen und dieses durch mechanisches

Üben verinnerlichen (Girsberger, 2016).

Zusätzlich stellt ein Klassenzimmer eine grosse Fülle an Informationen dar. Die vielen Reize

können Kinder im AS überfordern, ablenken und Orientierungslosigkeit und Unsicherheit

auslösen. Diese sensorische Überbelastung führt oftmals zu einem unangemessenen Sozial-

verhalten (Schirmer, 2016).

2.2.5 Die beeinträchtigte räumliche Orientierung

Laut Rittelmeyer (2010) nehmen die Menschen ihre Umwelt durch das Sehen wahr und nut-

zen diese visuellen Informationen, um sich in einem Raum zu orientieren. Für ein Kind im

AS können räumliche Bedingungen Schwierigkeiten auf drei verschiedenen Ebenen bedeuten

(Schirmer, 2016):

• Orientierung im Haus

• Orientierung in einem Raum

• Orientierung am Platz (Schirmer, 2016, S. 87)

Page 24: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

19  

Orientierung im Haus

Ein Schulgebäude kann Lernen fördern oder hindern. Wichtig ist, dass Schulen abwechs-

lungsreiche sensorische Erfahrung bieten und die Interaktion der Kinder mit ihrer Umwelt

fördern (Walden, 2008). Gut entwickelte und gestaltete Schulen können die Voraussetzung

für die Entwicklung von motivationalen Lernmethoden sein. Diese können dazu beitragen,

Freude am Lernen und Freude an der Leistung zu entwickeln (Walden, 2008). Um die Orien-

tierung im Haus zu verbessern, können Räume von Aussen gekennzeichnet werden, damit

zweifelsfrei erkennbar ist, was sich darin befindet (Schirmer, 2016).

Die Ausgestaltung eines Gebäudes, wie beispielsweise das eines Schulhauses, kann sich auf

das Sozialverhalten eines Kindes auswirken. So wird je nach Gebäude ein kooperatives Ver-

halten angeregt, aggressives Verhalten verstärkt oder vermindert und Orientierungsverhalten

erleichtert oder erschwert (Walden, 2008).

Orientierung in einem Raum

Braun et al. (2014) heben wichtige Aspekte des Klassenzimmers hervor. Das Klassenzimmer

ist eine Lernumgebung, welche sich durch eine gute Ordnung, einer funktionalen Einrichtung

und griffbereiten Lernmaterialien auszeichnet. Transparente Regeln, Rituale und Routinen

tragen zu einer guten Ordnung im Klassenzimmer bei. Ein funktional eingerichtetes Klassen-

zimmer sollte für jedes Kind einen eigenen Arbeitsplatz beinhalten. Zusätzlich sollte genü-

gend Platz vorhanden sein, um den Bewegungsdrang der Kinder zu befriedigen. Für die Ge-

staltung des Klassenzimmers müssen jedoch auch ökologische und ergonomische Grundsät-

ze, wie die Beleuchtung, Akustik und Farb- und Formenwahl beachtet werden. Diese

Grundsätze wurden im Kapitel 2.2.3 näher beleuchtet.

Laut Schuster (2016) können Menschen im AS nur schwer mit Veränderungen umgehen und

brauchen Regelmässigkeit und Verlässlichkeit in ihrer Umwelt (vgl. Kap. 2.1.6). Dazu gehört

auch die Orientierung im Klassenzimmer. Kinder im AS fühlen sich sicher, wenn bestimmte

räumliche Verhältnisse gleichbleiben. Die Lehrperson kann zur besseren Orientierung des

Kindes im Schulzimmer beitragen, indem sie für möglichst viele Konstanten im räumlichen

Umfeld des Kindes sorgt und auf die Bedürfnisse des Kindes eingeht. Auch Schirmer (2016)

betont die Schwierigkeit der Betroffenen, sich in einem Raum zu orientieren. Klare Struktu-

ren und feste Plätze können den Betroffenen helfen, ihren Arbeitsplatz und ihre Arbeitsmate-

rialien besser zu finden. Auch die Kennzeichnung des Arbeitsplatzes oder des Stuhls im

Kreis mit einem Foto oder mit Farbe können zur Orientierung im Raum beitragen. Dekorati-

Page 25: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

20  

onen wie Kerzen, Bilder, Pflanzen und Blumen führen bei Kindern im AS schnell zu einer

sensorischen Überforderung und beeinträchtigen ihre Konzentration. Überflüssige Reize soll-

ten im Schulzimmer reduziert werden, um den Fokus nicht vom Wesentlichen abzulenken.

Der Sitzplatz des Kindes sollte so gewählt werden, dass es möglichst wenig Ablenkungen

ausgesetzt ist und trotzdem den Lehrer gut sehen und hören kann. Zusätzlich sind viele Men-

schen im AS blendungsempfindlich. Aus diesem Grund sollten bei der Schulzimmereinrich-

tung eine blendungsarme Gesamtausleuchtung und Fenstervorhänge montiert werden. Dazu

kommt, dass 80% der Betroffenen an einer auditiven Hypersensibilität leiden. Sie nehmen

extrem leise Töne und Geräusche wahr und müssen vor dieser Geräuschbelastung geschützt

werden. So sollten Holz- statt Metallschränke verwendet und Teppiche ausgelegt werden.

Wichtig ist jedoch, dass der Teppich nicht gemustert ist, damit das Kind im AS nicht vom

Muster abgelenkt wird. Ausserdem sollte das Klassenzimmer an einem ruhigen Ort des

Schulhauses gelegen sein, um unnötigen Lärm zu vermeiden.

Auch Raumwechsel können für Kinder im AS Stress bedeuten, da jeder Raumwechsel neue

Orientierungsprobleme mit sich bringt: Neuer Sitznachbar, neue Tischoberfläche (rau / glatt)

oder neue Wandfarben (Schuster, 2016).

Orientierung am Platz

Kinder im AS sind sehr leicht ablenkbar. Aus diesem Grund benötigen sie einen stark reizre-

duzierten Arbeitsplatz (Schirmer, 2016). Auch Schuster (2016) misst dem Arbeitsplatz eine

hohe Bedeutung zu. Für die von Menschen im AS ist es schwierig, wenn nicht unmöglich,

den idealen Sitzplatz zu finden. Menschen im AS wünschen sich einen Arbeitsplatz der ruhig,

geschützt, sauber und isoliert ist und trotzdem einen freien Blick nach vorne gewährt. Für

Kinder im AS ist es wichtig, dass die Sitzplätze nicht ständig wechseln. Häufig wechselnde

Sitzplatzumgebungen können Angst und Unsicherheit auslösen und erschweren das Lernen.

Welcher Sitzplatz sich am besten für das Kind eignet, kann die Lehrperson in einem gemein-

samen Gespräch mit dem Kind eruieren.

Zusätzlich können Kinder im AS oft einen stark ausgeprägten Sinn für Hygiene aufweisen

und sich vor Stühlen und Tischen im Schulzimmer ekeln. Die Lehrperson kann diesem be-

sonderen Bedürfnis Rechnung tragen, indem sie dem Kind einen Tisch zuteilt, an dem es

alleine sitzen darf. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass das Kind von Zuhause ein

eigenes Tischtuch oder ein Sitzpolster mitnehmen darf.

Oftmals äussert sich die Reizüberflutung der Betroffenen durch auffälliges Verhalten. Schü-

lerinnen oder Schülern im AS hilft es, wenn ihre Arbeitsmaterialien an einem immer gleich-

Page 26: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

21  

bleibenden Platz aufbewahrt sind. Wichtig ist auch, dass Materialien, die sie gerade nicht

benötigen, nicht auf dem Tisch liegen bleiben. Diese lenken sie unnötig vom Lernen ab

(Schirmer, 2016).

Gemäss Schirmer (2016) haben Menschen im AS Schwierigkeiten in der Wahrnehmungsver-

arbeitung. Aus diesem Grund müssen bei der Gestaltung der räumlichen Lernbedingungen

auf jeder der drei beschriebenen Ebenen (Orientierung im Haus / Raum / am Platz) zwei

wichtige Grundsätze beachtet werden:

• Die Reize im Lernraum müssen minimiert werden. Dies dient der Entlastung des Kin-

des und der Reduktion von Stress. Nur so kann erreicht werden, dass sich das Kind

auf das Lernen und seine Orientierung im Raum konzentrieren kann.

• Um Aufgaben besser zu verstehen, müssen wichtige Hinweisreize besonders betont

werden.

2.3 Schulische Integration

Dieses Kapitel beinhaltet das Klären des Begriffes der schulischen Integration sowie Argu-

mente für eine Integration. Zusätzlich werden Punkte beschrieben, welche für eine gelingen-

de Integration beachtet werden müssen. Dabei wird der Fokus auf ein Kind im AS gelegt.

Unter schulischer Integration wird im Allgemeinen die Integration einer Schülerin oder eines

Schülers in eine Klasse verstanden. Kinder oder Jugendliche mit besonderem Bildungsbedarf,

insbesondere mit Behinderung, werden in die Regelschule integriert (Stiftung Schweizer

Zentrum für Heil- und Sonderpädagogik, 2019).

Die schulische Integration von Kindern und Jugendlichen ist gesetzlich verankert. Die Bun-

desversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (2002) hat ein Behindertengleich-

stellungsgesetz beschlossen. Die Kantone müssen dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche

eine an ihre besonderen Bedürfnisse angepasste Grundschulung erhalten. Als Grundsatz gilt:

Integration vor Separation, soweit dies möglich ist und dem Wohl des Kindes oder Jugendli-

chen dient (Art. 20 Abs. 1 & 2 BehiG).

2.3.1 Integration von einem Kind im Autismus-Spektrum

Mittels der Orientierung an Fähigkeiten und spezifischen Bedürfnissen wird entschieden,

welcher Lernort sich für ein Kind im AS am besten eignet (Schirmer 2016). Ein Kind separa-

tiv zu unterrichten, wird nicht ausgeschlossen. Dies steht nicht im Widerspruch zum Behin-

dertengleichstellungsgesetz, dass bei allen Massnahmen das Kindeswohl an die erste Stelle

Page 27: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

22  

stellt (vgl. Kap. 2.3). Girsberger (2016) betont, dass eine schulische Integration nicht bei je-

dem Kind im AS möglich und sinnvoll ist. Es gibt Kinder im AS, die in einer Sonderschule

besser aufgehoben und gefördert werden können. Er spricht jedoch auch in einer Sonderschu-

le von Integration: „In jeder Schule, unabhängig von ihrem Status, braucht es integrative

Bemühungen, damit das autistische Kind sich ... wohlfühlt. Etwas pointiert ausgedrückt,

möchte das Kind aus dem Autismus-Spektrum ... am liebsten gar nicht in die Schule gehen“

(S. 141). Auch Schirmer (2016) legt nahe, dass ein Kind im AS nicht automatisch Fortschritte

macht, nur weil es im selben Raum wie neurotypische Kinder ist.

Argumente für eine Integration

Folgende Gründe werden in der Fachliteratur für eine Integration von Kindern im AS darge-

legt:

• Fehlende Stigmatisierungsprozesse,

• die Möglichkeit der Begegnung zwischen Kindern mit und ohne sonderpädagogischen

Förderbedarf,

• positive Modelle von anderen Kindern und

• soziale Beziehungen zu Kindern mit neurotypischer Entwicklung (Schirmer, 2016, S.

111f).

Wichtige Punkte für eine gelingende Integration

Damit eine Integration von einem Kind im AS gelingt, müssen verschiedene Punkte beachtet

werden. Schirmer (2016) betont die Wichtigkeit eines Rückzugortes für ein Kind im AS und

bestätigt damit die Aussagen von Sprecher Mathieu (2010) und Forster (2010), die im Kapitel

2.2.1 erläutert werden.

Wenn ein Kind von sensorischen Reizen überflutet wird und von einer sozialen Situation

überfordert ist, sollte es die Möglichkeit haben, in einer Einzelsituation Ruhe zu finden. Girs-

berger (2016) beschreibt in seinem Werk die Probleme bei der sozialen Integration von Kin-

dern im AS. Oftmals sind sie zwar an sozialen Kontakten interessiert, gestalten diese jedoch

auf eine ungeschickte oder egozentrische Art. Dadurch werden sie oft Opfer von Mobbing.

Kinder im AS können, besonders wenn sie an Kraft und Grösse ihrem Gegenüber körperlich

überlegen sind, ein aggressives oder grobes Verhalten zeigen. Die Kinder im AS benötigen

ein von ausgebildeten Fachpersonen aus der Heil-, Sonder- oder Sozialpädagogik geleitetes

gezieltes Sozialtraining.

Page 28: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

23  

Ebenfalls müssen Lehrpersonen besondere Aufmerksamkeit auf unstrukturierte und unbeauf-

sichtigte Situationen und Orte legen (z.B. Pausen, Toiletten, Schulweg), da die Kinder im AS

oft in diesen Bereichen grosse Probleme haben.

Auf die geringe Frustrationstoleranz von Kindern im AS weist Girsberger (2016) hin. Die

soziale und emotionale Reife der Kinder im AS entspricht meist nicht dem Entwicklungs-

stand von Gleichaltrigen. Bei Schwierigkeiten und überfordernden Situationen neigen Be-

troffene dazu, schnell aufzugeben und Neues zu meiden. Häufig führt ihre Frustration zu

emotionalen Ausbrüchen.

Die Aufklärung der Personen im Umfeld über die Besonderheiten des Kindes im AS, erachtet

Girsberger (2016) als eine notwendige Massnahme für eine gelingende Integration. Dies setzt

fundiertes Wissen der schulischen Bezugspersonen im Bereich Autismus voraus.

Page 29: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

24  

3 Fragestellung und Hypothesen

Ausgehend von den bisherigen Erkenntnissen aus den theoretischen Vorüberlegungen wird in

diesem Kapitel die Fragestellung abgeleitet und präzisiert. Diese Arbeit sucht Antworten auf

folgende Forschungsfrage:

Wie muss ein Lernort gestaltet sein, damit die Integration eines Kindes im Autismus-

Spektrum gelingen kann?

Es ist zu erwähnen, dass aufgrund des beschränkten Umfangs der Arbeit, sowie weiteren

Rahmenbedingungen keine Prüfung der Nachhaltigkeit der Thesis angestrebt werden kann.

Verknüpft mit den theoretischen Grundlagen aus Kapitel 2 lassen sich zwei Unterfragen ab-

leiten.

3.1 Kind im Autismus-Spektrum in der Schule

Unterfrage 1: In welchen Bereichen des schulischen Lernens zeigen Kinder im Autismus-

Spektrum Auffälligkeiten?

Das Klassifikationssystem DSM-5 beschreibt Auffälligkeiten der Menschen im AS in den

Bereichen Kommunikation, soziale Interaktion und stereotype Verhaltensweisen und einge-

schränkte Interessen. Alle Experten der untersuchten Fachliteratur sind sich einig, dass Kin-

der im AS Auffälligkeiten in diesen Bereichen sowie zusätzlich Besonderheiten in der Wahr-

nehmung zeigen (vgl. Kap. 2.1.3 & 2.1.4).

Hypothese 1: Die Aussagen der befragten Fachpersonen zum schulischen Lernen von Kin-

dern im Autismus-Spektrum decken sich mit den theoretischen Ausführungen der Autoren

der untersuchten Fachliteratur, welche Auffälligkeiten in vier zentralen Bereichen beschrie-

ben: Kommunikation, soziale Interaktion, stereotype Verhaltensweise und eingeschränkte

Interessen sowie Besonderheiten in der Wahrnehmung.

3.2 Lernort

Zur Thematik Lernort wurden zwei Unterfragen mit jeweils einer Hypothese formuliert.  

Unterfrage 2: Inwiefern spielt ein strukturierter Lernort eine Rolle für ein Kind im Autismus-

Spektrum?

Page 30: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

25  

Das Klassenzimmer stellt für das Kind im AS eine Überfülle an Informationen dar (Schirmer,

2016). Gemäss den Autoren Herbrecht und Gwerder (o.J.), Bernard-Opitz und Häussler

(2013) und Schirmer (2016) bieten klare Strukturen und gleichbleibende räumliche Verhält-

nisse den Kindern im AS Orientierung und Sicherheit (vgl. Kap. 2.1.7 & 2.2.4)

Hypothese 2: Alle Kinder profitieren von einem strukturierten Lernort. Für Kinder im Au-

tismus-Spektrum ist ein auf die individuellen Bedürfnisse eingerichteter Lernort eine unab-

dingbare Voraussetzung für schulisches Lernen.

Unterfrage 3: Von welchen Massnahmen profitiert ein Kind im Autismus-Spektrum im Be-

reich Lernort?

Unter anderem beschreiben die Autoren Schirmer (2016) und Schuster (2016) einen festen

und blendungsarmen Arbeitsplatz und das Reduzieren von überflüssigen Reizen im Schul-

zimmer, als wichtige Punkte, die bei einem Lernort für ein Kind im AS beachtet werden müs-

sen (vgl. Kap. 2.2.4)

Hypothese 3: Ein Kind im Autismus-Spektrum braucht sowohl einen strukturierten und fes-

ten Arbeitsplatz als auch eine reizarme Lernumgebung.

3.3 Integration

Unterfrage 4: Welches sind die Erfolgsfaktoren für eine Integration von einem Kind im Au-

tismus-Spektrum?

Für eine gelingende Integration in die Regelschule braucht ein Kind im AS einen Ort, an dem

es sich bei einer Reizüberflutung zurückziehen kann (Schirmer, 2016). Zusätzlich muss ge-

mäss Girsberger (2016) das Sozialverhalten der Kinder im AS mit ausgebildeten Fachperso-

nen gezielt geübt werden. Unstrukturierte und unbeaufsichtigte Situationen müssen beauf-

sichtigt werden, da diese für Kinder im AS besonders herausfordernd sind.

Hypothese 4: Eine Integration gelingt, wenn alle beteiligten Kinder und Lehrpersonen über

die besonderen Bedürfnisse eines Kindes im Autismus-Spektrum aufgeklärt sind.

Page 31: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

26  

4 Methode

Um die ideale Gestaltung des Arbeitsplatzes für ein Kind im AS erheben zu können, wurde

auf die Erfahrung und auf das Expertenwissen von Fachpersonen zurückgegriffen. Die Auto-

rin führte teilstrukturierte Interviews mit bewusst ausgewählten Fachpersonen durch (Aeppli,

Gasser, Gutzwiller, Tettenborn, 2016). Die Befragten arbeiten in verschiedenen Settings und

verfügen über ein differenziertes Fachwissen. Im nachfolgenden Kapitel werden die objekti-

ven Merkmale der Fachpersonen näher beschrieben. Die Interviews werden mit einer qualita-

tiven Inhaltsanalyse erfasst mit dem Ziel, die aus den Interviews gewonnenen Daten systema-

tisch aufzuarbeiten (Aeppli et al., 2016). Diese Methode eignet sich gemäss Aeppli et al.

(2016) besonders zur Auswertung von transkribierten Interviews. Auch auf die Datenerhe-

bung und die Datenauswertung wird im folgenden Kapitel näher eingegangen.

4.1 Stichprobe

Um Antworten auf die Forschungsfrage zu erhalten, wurden fünf Interviews geführt. Gemäss

Aeppli et al. (2016) ist es sinnvoll, Männer und Frauen, jüngere und ältere, Fachpersonen aus

verschiedenen Fachbereichen mit einzubeziehen, um eine möglichst umfassende Bild der

Thematik zu erhalten. Daher wurden alle die Interviewpartner von der Autorin bewusst aus-

gewählt. Sie alle haben ein fundiertes Fachwissen zur Thematik Autismus und jahrelange

Erfahrung in der Arbeit mit Kindern aus dem Spektrum. Nachfolgend werden die objektiven

Merkmale der fünf Fachpersonen zusammengefasst.

Tabelle 1: Daten der Interviewpartner

Geschlecht Alter Beruf, Arbeitsort Bezug zu Autismus Abkürzung in

dieser Arbeit

Interview 1 weiblich 33 J. Schulische Heil-

pädagogin, Mari-

azell Sursee

Unterrichtet Kinder im AS

an Sonderschule

SHP 1, INT 1

Interview 2 männlich 51 J. Professor an der

Hochschule für

Heilpädagogik,

Zürich

Zehn Jahre Arbeit als

Therapeut, Beratung und

Begleitung von Familien

und Schulen, bildet schuli-

sche Heilpädagoginnen und

Heilpädagogen aus, leitet

Seminare zum Thema AS

PROF, INT 2

Page 32: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

27  

Interview 3 männlich 60 J. Kinder- und Ju-

gendpsychiater,

Liestal

Hilfs- und Therapieangebo-

te im AS, Spezialist für AS

KJP, INT 3

Interview 4 weiblich 39 J. Schulische Heil-

pädagogin, SWZ

Malters

Arbeitet an der AS-

Lernwerkstatt an einer Son-

derschule, Beratungen/ Be-

gleitungen von Kindern im

AS

SHP 2, INT 4

Interview 5 weiblich 35 J. Sozialpädagogin,

Klingnau

Interner AS-Dienst an einer

Sonderschule, unterstützt

Kinder im AS in der Schu-

le, Freizeit und über den

Mittag, Förderlektionen

Sozialverhalten von Kin-

dern im AS

SP, INT 5

Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, dass das Alter der interviewten Fachpersonen zwischen 33

und 60 Jahren liegt. Zwei Fachpersonen unterrichten Kinder im AS. Drei Fachpersonen ha-

ben durch Beratungen oder Begleitungen von Kindern im AS und ihren Familien Erfahrun-

gen im Bereich Autismus gemacht. Diese Vielfalt lässt einen breiten Einblick in die Thema-

tik zu.

4.2 Datenerhebung

Die Qualität der Planung und Durchführung der Interviews haben einen erheblichen Einfluss

auf die Qualität der erhobenen Daten. Die Ergebnisse beeinflussen die Verwendbarkeit und

die Aussagekraft und der daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen (Aeppli et al., 2016). Aus

diesem Grund wurde zur Datenerhebung ein geeignetes Erhebungsinstrument ausgewählt.

Die Autorin hat sich für ein teilstrukturiertes Interview entschieden. Dabei sind der Ge-

sprächsverlauf, die Themen und die Fragen bereits vorbereitet, diese können jedoch dem Ge-

sprächsverlauf angepasst werden (Aeppli et al., 2016). Es wurden zwei Interviewleitfäden

basierend auf die Erkenntnisse aus dem Theorieteil in Kapitel 2 entwickelt. Einen für Fach-

personen, welche Kinder im AS unterrichten und einen für Fachpersonen, welche nicht unter-

richten und in der Beratung tätig sind. Die beiden Interviewleitfäden unterscheiden sich nur

Page 33: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

28  

durch kleine Formulierungsunterschiede. Beide Interviewleitfäden sind im Anhang A zu fin-

den.

In einem nächsten Schritt wurden Termine, Orte und Räumlichkeiten mit den Fachpersonen

per Mail festgelegt. Um den zeitlichen Aufwand der Fachpersonen möglichst tief zu halten,

fanden die Interviews am Arbeitsplatz der Befragten statt und wurden zeitlich auf 30 Minuten

begrenzt. Die Interviews wurden von der Autorin persönlich durchgeführt. Der Interviewleit-

faden wurde den Fachpersonen im Voraus per Mail zugesendet. Dadurch hatten die Fachper-

sonen die Möglichkeit, sich auf die Fragen vorzubereiten. Die Interviews wurden mit dem

Smartphone aufgenommen. Aeppli et al. (2016) beschreiben wie wichtig es ist, technische

Geräte im Vorfeld zu testen, um allfällige Störungen zu entdecken. Dieser Ratschlag wurde

befolgt und die Aufnahme der Interviews gelang ohne Probleme. Des Weiteren wurden wich-

tige Aussagen der Befragten während des Interviews von der Fragestellerin stichwortartig

notiert. Dieses Vorgehen deckt sich mit den Empfehlungen von Aeppli et al. (2016). Ein wei-

terer wichtiger Aspekt der Datenerhebung ist das Gewähren der Anonymität (Aeppli et al.,

2016). Folglich wurden in dieser Arbeit Codes statt Namen für die Identifikation der Teil-

nehmenden verwendet (vgl. Tabelle 1, Kap. 4.1).

Aeppli et al. (2016) empfiehlt, nach der Datenerhebung die Untersuchungsteilnehmenden

über die Ziele der Studie zu informieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, Fragen zu stel-

len. Diese Vorgehensweise wurde von der Autorin umgesetzt. Neben dem Ausdrücken von

Wertschätzung, dass sich die Fachpersonen Zeit für diese Untersuchung genommen haben,

erhielten die Fachpersonen Raum, ihre Meinung über die gewählte Methode der Datenerhe-

bung kundzutun. Daraus ergaben sich wertvolle Es kam beispielsweise zum Ausdruck, dass

die Fachpersonen es schätzten, die Interviewfragen bereits im Voraus erhalten zu haben.

4.3 Datenauswertung

Aeppli et al. (2016) betonen, dass verlorenen Daten nicht mehr ersetzt werden können. Aus

diesem Grund wurden die mit dem Smartphone aufgenommenen Interviews auf einer exter-

nen Festplatte gesichert. Anschliessend wurden die Interviews mithilfe des Programmes F5

transkribiert. Es wurden nicht alle Transkripte vollständig ausgewertet, sondern nur die für

die Beantwortung der Forschungsfrage relevanten Ausschnitte verwendet (Aeppli et al.,

2016). Für die Auswertung wurde das Programm MAXQDA beigezogen. In einem ersten

Schritt wurde das Datenmaterial reduziert, damit die Datenmenge überschaubar wird. Dabei

wurden die Kategorien aus dem Datenmaterial induktiv gewonnen und mittels Textpassagen

aus den Interviews veranschaulicht. Dieses Vorgehen ist an die strukturierende Inhaltsanalyse

Page 34: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

29  

angelehnt (Aeppli et al., 2016). Die Kategorien wurden in einem weiteren Schritt erneut zu-

sammengefasst (vgl. Anhang D). Nach diesem Vorgehen wurden die Ergebnisse im nachfol-

genden Kapitel strukturiert.

5 Ergebnisse

Mithilfe der theoretischen Abhandlung im Kapitel 2, des Datenmaterials aus den Interviews

(vgl. Anhang B & C) sowie der tabellarischen Zusammenfassung (vgl. Anhang D) wurde ein

Kodierparadigma erstellt. Mit diesem wissenschaftlichen Instrument wurde das nachfolgende

Kapitel strukturiert. Dabei stellen die blauen Felder die zentralen Bereiche der Thematik dar.

Anhand von beschrifteten Pfeilen werden Zusammenhänge dargestellt. Aus Gründen der

Übersichtlichkeit werden nur die wichtigsten Zusammenhänge veranschaulicht.

Abbildung 2: Kodierschema

Lernort'

Erfahrungen*mit*Kindern*im*Au1smus3Spektrum*

Symptoma-k'Au-smus2Spektrum'

Wahrnehmung'

Soziale'Interak-on'

Stereotype'Verhaltensweisen'und'eingeschränkte'Interessen''

Kommunika-on'

Integra1on*von*Kindern*im*Au1smus3Spektrum*

Strukturierung'

Lernort*für*Kinder*im*Au1smus3Spektrum*

Lernort'Schule'

Wohlbefinden'

Reizüberflutung'vermindern'

Reizarme'Lernumgebung'

Schulisches'Lernen'von'Kindern'im'Au-smus2Spektrum'

Raum'

Zeit'

Visualisierung'

allg.'Wissen'über'

Spezialwissen''über'

berücksich-gen'

Wissen'über'

Voraussetzun

g''

für'

Empfehlungen''allg.'

Empfehlungen'konkret'

Auswirkungen'

'auf'Auffälligkeiten'in''

berücksich-gen,'mit'Fachperson'einüben'

berücksich-gen,'Im'Unterricht'mit'einbeziehen''

berücksich-gen,'eigene'Kommunika-on'reflek-eren''

unterteilt'in'

gefördert'durch'

Voraussetzu

ng'für'

Wissen'über'

unterstützt'

Page 35: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

30  

5.1 Erfahrungen mit Kindern im Autismus-Spektrum

In den nachfolgenden Kapiteln werden die Erfahrungen der interviewten Fachpersonen zu

den Bereichen schulisches Lernen und Symptomatik geschildert und daraus Empfehlungen

für den Umgang mit Kindern im AS abgeleitet. Aussagen der interviewten Fachpersonen

werden mit deren Codenamen (siehe Kapitel 4.1, Tabelle 1) aufgeführt.

Vorab ein wichtiger Hinweis von Seiten des KJP. Die Bezeichnung „Autist“ oder „Autistin“

sollte nicht verwendet werden. Durch den Ausdruck „Du bist Autist“ wird „ein Mensch auf

ein einzelnes Merkmal reduziert“ (KJP, INT 3, Z. 9). Der KJP erklärt, dass die Diagnose Au-

tismus nur ein Teil der Persönlichkeit ausmacht. Aus seiner praktischen Tätigkeit mit Men-

schen im AS führt er weiter aus, dass viele Betroffene den Begriff „Autist“, beziehungsweise

„Autistin“, abwertend finden. Diese Aussage verstärkt er in dem er sagt: „Niemand möchte

auf etwas reduziert werden, was auffällig ist“ (KJP, INT 3, Z.11). Viel mehr sollten die Be-

griffe „Mensch mit Autismus“, „Kind aus dem Autismus-Spektrum“ oder „Kind mit einer

Autismus-Diagnose“ verwendet werden (KJP, INT 3, Z.13). Um eine Stigmatisierung zu

vermeiden, ersetzte die Autorin aufgrund dieses wertvollen Hinweises die Bezeichnung „Au-

tist“ durch Menschen im Autismus-Spektrum (AS).

 

5.1.1 Schulisches Lernen

Im Bereich des schulischen Lernens haben die interviewten Fachpersonen von positiven so-

wie von negativen Erfahrungen berichtet. Der KJP beispielsweise erwähnt als positive Erfah-

rung den Austausch über die interessanten Hobbys der Kinder im AS. Die SHP 1 spricht von

ihren negativen Erfahrungen als Lehrperson: „Manchmal habe ich ... etwas von einem autis-

tischen Kind erwartet, dass eigentlich nicht möglich ist und dann muss ich mich ... selber

hinterfragen und meinen Unterricht anpassen ...“ (INT 1, Z. 7). Auch der PROF erzählt von

seinen Erfahrungen aus diversen Beratungen und dem direkten Kontakt mit Betroffenen.

Kinder im AS sind in verschiedenen Bereichen sehr herausfordernd. Der PROF beschreibt

folgende Situationen für Lehrpersonen als anspruchsvoll: „Wenn ein Kind nicht so reagiert,

wie ich es erwarte ..., ist das schon sehr schwierig und herausfordernd“ (INT 2, Z. 7). Im

Schulalltag gibt es viele Situationen, welche Kinder im AS überfordern können. Beispiels-

weise offen gestellte Aufgaben oder eine Reizüberflutung (PROF, INT 2). Wie ein Kind im

AS auf eine überfordernde Situation reagiert, ist gemäss Aussage des PROF sehr unterschied-

lich: „Eine klassische Reaktionsform ist wahrscheinlich die, in der einfach nichts passiert.

Das Kind sitzt einfach da und macht nichts mehr“ (PROF, INT 2, Z. 33). Der KJP geht in

seinen Aussagen ebenfalls auf das herausfordernde Verhalten der Kinder im AS ein. Er be-

Page 36: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

31  

schreibt aggressives und störendes Verhalten als eine mögliche Reaktion auf eine überfor-

dernde Situation (INT 3). Der PROF beschreibt eine externalisierende Reaktion auf eine

Überforderung als Extremfall (Z. 33). Auf diese Weise versucht das Kind im AS, aus der

Überforderung herauszukommen oder auf sich aufmerksam zu machen (PROF, INT 2).

Umgang mit herausforderndem Verhalten

Wie bereits erwähnt, kann ein Kind im AS für eine Lehrperson eine grosse Herausforderung

darstellen. Die SHP 2, die SP und der KJP sprechen dabei von einem Kompromiss, welchen

die Lehrperson eingehen muss. Es kann nicht nur vom Kind im AS eine Anpassung an das

Schulsystem erwartet werden. Die SHP 2 beschreibt diesen Ansatz mit folgenden Worten:

„Es braucht immer von beiden Seiten eine Annäherung. Nicht nur von ihnen, ... nein auch

wir ... müssen uns ... an sie anpassen“ (INT 4, Z. 30). Ein Kind muss nicht immer am Unter-

richt teilnehmen. Dieser Meinung sind der KJP und die SP. Die SP verdeutlicht dies anhand

einer Kreissituation, die für viele Kinder im AS sehr schwierig ist: „Ich versuche zu vermit-

teln, dass es ... auch ok ist, dass ein Kind [im Kreis] nur zuschaut und nicht aktiv teilnimmt“

(INT 5, Z. 43). Dieser Meinung ist auch der KJP. Die Lehrperson muss sich stets bemühen,

einen Mittelweg zwischen „am Unterricht teilnehmen wie alle anderen ... oder... die Mög-

lichkeit haben, an etwas Eigenem zu arbeiten, zu finden. Vorzugsweise [arbeitet das Kind an]

etwas, für das [es] sich ... besonders interessiert“ (KJP, INT 3, Z. 29). Die SP gibt offen zu,

dass sie und ihre Teamkolleginnen / Teamkollegen manchmal, obwohl sie sich bemühen, auf

jedes Kind einzeln einzugehen, an ihre Grenzen stossen. Es scheint, als ob sie sich damit ab-

finden muss, dass es Kinder gibt, „welche ausserhalb der Schule einfach mehr lernen als in

der Schule, auch wenn wir uns so Mühe geben“ (INT 5, Z. 15).

 

Zusammenfassend beschreibt die SHP zwei Kinder im AS als sehr „fröhliche und glückliche

Kinder“ (INT 4, Z. 11). Auch die SHP 1 hat Kinder im AS als zufrieden erfahren (INT 1).

Die SHP 1 und die SP heben in ihren Aussagen auch den Humor der Kinder im AS hervor.

Alle Fachpersonen, bis auf die SHP 1, betonen die ehrliche und direkte Art von Kindern im

AS.

5.1.2 Symptomatik

Zur Symptomatik von Kindern im AS geben alle Fachpersonen Auskunft. Der KJP und der

PROF fassen die Diagnosekriterien für eine Autismus-Spektrum-Störung wie folgt zusam-

men: Beeinträchtigung der Kommunikation, Beeinträchtigung der sozialen Interaktion, stere-

Page 37: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

32  

otype Verhaltensweisen und eingeschränkte Interessen (INT 2, Z. 5 & INT 3, Z. 7). Die Da-

tenerhebung legt nahe, sich bei der Strukturierung des Kapitels Symptomatik an der Gliede-

rung des theoretischen Hintergrunds zu orientieren. Zusätzlich wird auch auf die Besonder-

heiten der Wahrnehmung und auf die vielfältige Ausprägung innerhalb des Spektrums einge-

gangen, da auch diese Auffälligkeiten mehrmals erwähnt wurden.

Vielfältige Ausprägung innerhalb des Spektrums

Alle interviewten Fachpersonen bekräftigen mehrmals, dass ihre Aussagen nicht auf jedes

Kind im AS verallgemeinert und übertragen werden darf. Die SP begründet dies folgender-

massen: „Obwohl die Kinder eine ähnliche ... oder vielleicht sogar die gleiche Diagnose ha-

ben, sind sie trotzdem völlig verschieden und funktionieren völlig anders“ (INT 5, Z. 7).

Auch die SHP 1, welche jahrelang Erfahrungen mit Kindern im AS gemacht hat, berichtet:

„... jeder Autist oder [jedes] Kind mit Autismus, dass ich bis jetzt kennengelernt habe, ist

einfach anders“ (INT 1, Z. 5). Der KJP unterstreicht ebenfalls, dass man von einem Autis-

mus-Spektrum spricht. Des Weiteren sei es unmöglich eine Aussage zu machen, welche auf

alle Kinder im AS zutrifft (INT 3). Er stützt seine Aussage mit einem konkreten Beispiel aus

der Praxis: „Die Kinder, wenn sie zu mir in die Praxis kommen, sind meistens schüchtern,

zurückhaltend ..., begrüssen mich entweder gar nicht oder höchstens beiläufig. Es gibt auch

das Gegenteil. ... Kinder, welche die Distanz nicht einhalten und mich ... mit Fragen bom-

bardieren“ (Z. 23). Auch in der Schule beobachtet er sehr unterschiedliches Verhalten. Eini-

ge Kinder verhalten sich in der Schule enorm angepasst oder gar „überangepasst“ (INT 3, Z.

25). Sie sind brav und hören gut auf die Lehrperson. Andere hingegen lassen sich von der

Lehrperson nichts sagen und stören den Unterricht durch auffälliges Verhalten (KJP, INT 3).

Kommunikation

Alle Fachpersonen, bis auf die SHP 1, heben die ehrliche und direkte Art von Kindern im AS

hervor. Gemäss PROF wird ihre Art der Kommunikation bei den Mitmenschen oft als „zu

direkt“ verstanden (INT 2, Z. 9). Zusätzlich beschreibt er die Schwierigkeit von Menschen

im AS, sich in andere Personen hineinzuversetzen (INT 2). Auch die SHP 1 erwähnt die

Schwierigkeiten in der Kommunikation von Menschen im AS. Oftmals verstehen sie Aussa-

gen wortwörtlich. Die SHP 1 verdeutlicht dies wie folgt: „... manchmal werde ich falsch ver-

standen von Autisten, ... weil ich ... zum Beispiel eine Redewendung sage und etwas im ...

Zusammenhang meine und sie nehmen einzelne Details daraus“ (INT 1, Z. 17). Der PROF

und die SHP 1 sehen die Kommunikation der Menschen im AS jedoch auch als Chance, die

Page 38: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

33  

eigene Kommunikation zu reflektieren. Im Kontakt mit Kindern im AS muss hinterfragt wer-

den: „Ist man klar genug und eindeutig in der Kommunikation?“ (PROF, INT 2, Z. 9).

Soziale Interaktion

In Bezug auf die Rolle eines Kindes im AS in der Klasse sind sich die Fachpersonen nicht

einig. Die SHP 1 beschreibt Kinder im AS als sehr beliebt bei ihren Mitschülerinnen und

Mitschülern und als sehr zufriedene Kinder: „Alle spielen ... gerne mit ihnen und ... es gibt

wenig Streit mit Kindern im AS“ (INT 1, Z. 9-13). Die anderen Fachpersonen schreiben den

Kindern im AS eine Sonderrolle im Klassenverband zu. Die SP geht einen Schritt weiter und

fügt an: „Im Bereich der sozialen Interaktion gibt es eigentlich immer Probleme, sonst wären

die Kinder nicht in diesem Spektrum“ (INT 5, Z. 19). Die Kinder im AS unterscheiden sich

von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern. Dies beschreibt der KJP so: „Meistens verhält

sich das Kind auf eine Art und Weise, die den anderen Kindern auffällt“ (INT 3, Z. 49). Der

PROF verdeutlicht dies am Beispiel, dass Kinder im AS häufig nicht auf Witze reagieren

oder soziale Signale nicht verstehen (PROF, INT 2). Oftmals haben sie „fast kein Verständ-

nis für unsere sozialen Regeln“ (SHP 2, INT 4, Z. 7). Durch ihre Andersartigkeit ist auch das

Risiko von Kindern im AS grösser, Opfer von Mobbing zu werden (SHP 2, INT 4 & PROF,

INT 2). Der KJP erwähnt, dass auch Kinder im AS einzelne Freunde in der Klasse haben

können (INT 3). In diesem Punkt stimmt seine Aussage teilweise mit der der SHP 1 überein,

welche die Kinder im AS als sehr beliebt beschreibt (Z. 9). Oft sind andere Kinder an der

Betreuung des Kindes im AS beteiligt. Dies schildert der KJP wie folgt: „Kinder, welche sich

auch um das Kind mit Autismus kümmern, wenn sie merken, dass es irgendeine Hilfestellung

brauchen könnte“ (INT 3, Z. 49).

Die SHP 2 beschreibt die Emotionsregelung der Kinder im AS als anders als die von neuro-

typischen Kindern. Dies verdeutlicht sie mit folgender Aussage: „Sie können zum Teil die

Emotionen gar nicht spüren und vor allem nicht reflektieren“ (INT 4, Z. 7).

Stereotype Verhaltensweisen und eingeschränkte Interessen

Die SHP 1, SHP 2 und der KJP betonen in ihren Aussagen die Schwierigkeit dieser Kinder

im Umgang mit Veränderungen. Die SHP 1 und der KJP bezeichnen die Betroffenen als un-

flexibel. Kinder im AS zeigen auffälliges Verhalten, wenn sie mit „Neuem oder Unbekann-

tem konfrontiert werden oder mit plötzlichen Veränderungen“, umgehen müssen (KJP, INT

3, Z. 7). Der KJP veranschaulicht seine Aussage mit einem konkreten Beispiel: „Es ist Som-

mer, Mittwochnachmittag frei und die Eltern haben zum Kind gesagt, dass sie am Nachmittag

Page 39: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

34  

ins Schwimmbad gehen. ... Jetzt ist es aber so, dass schon am Mittag Gewitterwolken aufzie-

hen und die Eltern sagen, das müssen wir auf Morgen verschieben. Das kann einen Wutaus-

bruch oder einen Trotzanfall auslösen.“ (INT 3, Z. 19). Unvorhersehbare Veränderungen

können bei Kindern im AS unterschiedliche Reaktionen auslösen. Die SHP 1 erzählt von

Kindern im AS, welche auf Veränderungen mit Aggressionen reagieren oder sich zurückzie-

hen (INT 1). Der KJP nennt ebenfalls Aggressionen in Form von Wutausbrüchen als eine

mögliche Reaktionsform (INT 3). Um solche „Krisen“, wie der KJP sie nennt, zu vermeiden,

helfen immer gleichbleibende Abläufe und Rituale (SHP 1 & SHP 2). Die SHP 1 betont je-

doch in ihren Aussagen die Wichtigkeit, dass Abläufe hin und wieder aufgebrochen werden

sollen. Dies begründet sie so: „... ich will die Kinder nicht unflexibler machen als sie schon

sind“ (INT 1, Z. 47).

Neben der Schwierigkeit von Kindern im AS im Umgang mit Veränderungen, heben die SHP

2, der PROF und der KJP das Wissen dieser Kinder in gewissen Themen als einzigartig her-

vor. Die SHP 2 spricht gar von einer „Inselbegabung“ (INT 3, Z. 30). Der KJP beschreibt

Kinder im AS als „spannende Kinder“ (INT 3, Z. 23) und der PROF als „faszinierend“ (INT

2, Z. 7). Beide streichen die Stärke der Kinder im AS, sich intensiv auf ein Thema einlassen

zu können, heraus. Die SHP 2, der PROF und der KJP erwähnen wie wichtig es ist, diese

Fähigkeiten als Ressource zu nutzen. Gemäss PROF wird dies jedoch in der Praxis nicht im-

mer umgesetzt (INT 2). Er beschreibt schulische Fachpersonen, welche Kinder im AS mit

ihren besonderen Fähigkeiten als Ressource sehen und diese bewusst im Unterricht einsetzen

und wiederum andere, welche nicht damit umgehen können (INT 2). Der KJP erzählt ein

positives Beispiel von einem Jungen im AS. Dieser hat seinen Klassenkameraden ein selbst

programmiertes Spiel am Computer vorgestellt. Die Reaktionen darauf beschreibt er wie

folgt: „Und dann ist dieser Schüler, welcher vorher als komischer und unbeholfener Typ da-

hergekommen ist, ... plötzlich in einem anderen Licht erschienen. Man hat gesehen, was er

alles kann, was man ihm nicht ansieht“ (INT 3, Z. 33).

Besonderheiten in der Wahrnehmung

Alle befragten Fachpersonen sprechen von einer Überempfindlichkeit von Kindern im AS

gegenüber Reizen. Menschen im AS nehmen Sinnesinformationen anders auf und verarbeiten

diese anders als neurotypische Menschen (PROF, INT 2). Die Fachpersonen beschreiben

Bereiche, auf welchen Menschen im AS besonders empfindlich reagieren:

• Auditive Reize (z.B. Geräusche, SP & PROF)

• Sensorische Reize (z.B. Gerüche, SP & PROF)

Page 40: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

35  

• Visuelle Reize (z.B. Licht, SP & PROF & SHP 2)

• Taktile Reize (z.B. Berührungen, SHP 1)

Der PROF beschreibt die Herausforderung von Menschen im AS im Bereich Wahrnehmung

wie folgt: „Wenn wir Reize schlecht ausblenden können, kann das sehr anstrengend sein“

(INT 2, Z. 5). Dies kann den Alltag stark einschränken. Die SHP 1 verdeutlicht anhand eines

konkreten Beispiels aus ihrem Schulalltag die Überempfindlichkeit der Kinder im AS gegen-

über Reizen. Sie erzählt von einem Jungen, der sehr stark auf auditive Reize reagiert: „...

wenn er unter Druck ... und unter Stress steht, dann kann er es fast nicht aushalten, wenn er

ein Kind neben... [sich] atmen hört“ (SHP 1, INT 1, Z. 41). Die SP beschreibt eine konkrete

Strategie, die Reize für ein Kind im AS zu vermindern: „Wir haben einen Schüler, der trägt

fast immer eine Sonnenbrille und ein Cap und in der Pause Kopfhörer ...“ (INT 5, Z. 17).

Doch es gibt Grenzen. Reize können nicht komplett ausgeblendet werden, sondern nur mit

Hilfsmitteln und Strategien vermindert werden. Gelingt dies nicht, kann dies bei den Be-

troffenen zu einer Überforderung führen (SP, INT 5).

5.2 Lernort allgemein

Der PROF stellt fest, dass sich die Didaktik des Lernortes und der Lernangebote allgemein

weiterentwickelt hat. Kinder brauchen unterschiedliche Lernorte und Lernangebote. Dieser

Trend ist immer stärker in der Schule vertreten. Durch diese Annahme wird vieles in offenen

Lernformen organisiert und das Lernen spielt sich nicht mehr nur im Klassenzimmer ab. Of-

fene Lernformen sind häufig schwierig für Kinder im AS (PROF, INT 2).

Für den KJP spielt der Lernort keine entscheidende Rolle. Er begründet diese Aussage mit

der Fähigkeit, dass ein Kind anpassungsfähig ist und sich bis zu einem gewissen Grad mit der

Umgebung arrangieren kann (KJP, INT 3, Z. 35). Im Gegensatz zum KJP sind sich die ande-

ren Befragten einig, dass der Lernort für alle Kinder eine grosse Rolle spielt und einen Ein-

fluss auf das Wohlbefinden und auf den schulischen Erfolg hat. Die SHP 2 verstärkt ihre

Meinung mit folgendem Beispiel: „Jeder von uns hat schon ein Klassenzimmer gehabt, in

dem man sich nicht wohl fühlt, .... Dann ist ... die ganze Motivation ... nicht da“ (SHP 2, INT

4, Z. 39). Ein geeigneter Lernort ist laut vier Expertenmeinungen die Voraussetzung für schu-

lisches Lernen.

 

Page 41: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

36  

5.3 Lernort für ein Kind im Autismus-Spektrum

Wie im Kapitel 5.2 ausgeführt, sind alle bis auf den KJP der Meinung, dass der Lernort für

alle Kinder eine entscheidende Rolle spielt. Die SHP 1 und der PROF stimmen überein, dass

viele Massnahmen für die Gestaltung eines guten Lernortes für neurotypische Kinder auch

auf Kinder im AS übertragen werden können. Die SHP 1 geht noch einen Schritt weiter, in

dem sie die Grenze zwischen neurotypischen und autistischen Verhaltensweisen als fliessend

beschreibt (INT 1, Z. 25).

Die SHP 2 ergänzt: „Der Lernort ist vielleicht für ein Kind mit Autismus noch ein wenig

wichtiger“ (INT 4, Z. 45). Als Grund dafür beschreibt sie den Schulweg der Kinder im AS,

der für sie oft sehr anstrengend ist, da sie mit vielen unterschiedlichen Reizen konfrontiert

werden. Um eine strukturierte Lernumgebung für ein Kind im AS zu gestalten, müssen die

Besonderheiten in der Wahrnehmungsverarbeitung berücksichtigt werden (PROF, INT 2).

Nachfolgend werden die Auswirkungen des Lernortes auf das Wohlbefinden und auf das

schulische Lernen beleuchtet sowie die Wichtigkeit von Strukturierung betont. Zusätzlich

werden die wichtigsten Empfehlungen der Fachpersonen bezüglich der Gestaltung des Lern-

ortes für ein Kind im AS zusammengefasst.

 

5.3.1 Auswirkungen

Eine an die Bedürfnisse der Kinder im AS angepasste Lernumgebung wirkt sich positiv auf

den Lernerfolg und das Wohlbefinden aus. Dies betonen alle fünf interviewten Fachpersonen.

Die SHP 2 legt nahe, dass sich der Lernort stark auf die Motivation des Kindes im AS aus-

wirkt: „Für das Kind bedeutet das ... viel Stress, die Reize zu verarbeiten, dass es gar keine

Energie mehr hat, zum überhaupt etwas zu arbeiten, obwohl es eigentlich will“ (INT 4, Z.

47). Die Auswirkungen einer unruhigen Lernumgebung betont auch der KJP in seinen Aus-

sagen: „... wenn die Umgebung unruhig ist, kann das schnell dazu führen, dass das Kind gar

nicht mehr arbeiten kann“ (INT 3, Z.35). Ein Kind im AS, welches zu vielen Reizen ausge-

setzt ist, steht unter Stress. Dieser Stress drückt sich oftmals durch somatische Beschwerden

wie Bauchschmerzen oder Kopfschmerzen aus. Dies kann zu einer Schulverweigerung führen

(KJP, INT 3). Auch die SP hat Erfahrungen in diesem Bereich gemacht. In solchen Fällen

muss ein Kompromiss gefunden werden: „Wenn man den Stress und die Reizüberflutung

nicht aus der Welt schaffen kann, dann kann man sie wenigstens zeitlich ... begrenzen und ...

eine Erholungszeit ... einbauen“ (KJP, INT 3, Z. 37). Erfolgreiches Lernen in der Schule ist

abhängig von günstigen Rahmenbedingungen. Aus diesem Grund gilt folgendes Prinzip: „Je

Page 42: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

37  

mehr man so gestalten kann, damit man dem Kind gerecht wird, umso grösser ist der Lerner-

folg“ (KJP, INT 3, Z. 47).

5.3.2 Strukturierung

Alle interviewten Personen beschreiben unstrukturierte Situationen für Kinder im AS als sehr

schwierig. Eine Lehrperson muss sich stets Gedanken machen, wie ein Kind genug Klarheit,

Anleitung und Sicherheit erfahren kann. Eine strukturierte Lernumgebung ist laut PROF ein

Gelingensfaktor für eine schulische Förderung bei Kindern im AS (INT 2). Aus dem ausge-

werteten Datenmaterial empfiehlt es sich, zwischen der räumlichen, der zeitlichen und der

visuellen Strukturierung zu unterscheiden. Dabei muss erwähnt werden, dass die unterschied-

lichen Strukturierungsformen teilweise nicht klar abgegrenzt werden können.

Räumliche Strukturierung

Die SHP 1, SHP 2 und der PROF heben in ihren Aussagen die Wichtigkeit hervor, das

Schulzimmer in verschiede Bereiche zu strukturieren und Nischen zu schaffen. Der PROF

betont die Wichtigkeit von einem klar und gut strukturierten Arbeitsplatz. Das Kind im AS

sollte eine reizarme Umgebung haben, in welcher es sich auf die wichtigsten Informationen

konzentrieren kann (INT 2).

Zeitliche Strukturierung

Bei Kindern im AS können durch Unklarheiten im Ablauf Irritationen auftreten. Ihnen fehlt

das Wissen, was als nächstes folgt. Dies kann zu Überforderung führen (PROF, INT 2). Die

SHP 2, der KJP und die SP erwähnen den Time-Timer als ein sehr hilfreiches Hilfsmittel für

die zeitliche Strukturierung.

Visuelle Strukturierung

Gemäss PROF müssen die Besonderheiten in der Wahrnehmungsverarbeitung der Kinder im

AS beachtet werden. Wie im Kapitel 5.1.2 beschrieben, haben Kinder im AS Schwierigkei-

ten, mit Veränderungen umzugehen. Aus diesem Grund muss Vorhersehbarkeit geschaffen

werden (PROF, INT 2). Dabei helfen Visualisierungen in Form von Piktogrammen, mit de-

nen beispielsweise Checklisten oder Tagespläne erstellt werden. Die Wichtigkeit dieser visu-

ellen Unterstützung für Kinder im AS betonen die SHP 1, SHP 2 und der PROF gleichermas-

sen stark in ihren Aussagen. Die SHP 2 achtet in der Praxis stets darauf, dass der Auftrag

oder die Abfolge der Aufgaben für das Kind im AS visuell sichtbar ist. Die SHP 1 arbeitet

Page 43: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

38  

ebenfalls mit visuellen Unterstützungen. In ihrem Schulzimmer hängt eine Wochenübersicht

mit vielen Piktogrammen. Dies begründet sie so: „Das gibt den Kindern einfach Sicherheit

und sie wissen ..., was kommt nacheinander“ (SHP 1, INT 1, Z. 29).

Alle Befragten messen der Strukturierung im Alltag eines Kindes im AS grosse Wichtigkeit

zu. Die SHP 1 gibt zu bedenken, dass zu viel Strukturierung auch kontraproduktiv sein kann.

Sie spricht von einer Gradwanderung zwischen Strukturierung und einer Überflutung von

Reizen: „... man will möglichst viel strukturieren ... und dann muss man wieder anfangen zu

reduzieren, damit alles ... reizarm ist.“ (INT 1, Z. 45). Es ist nicht immer einfach, eine struk-

turierte Lernumgebung bereitzustellen. Dieser Meinung vertritt die SP: „... wenn man selber

nicht das Bedürfnis nach so einer engen Struktur hat, dann ist es manchmal auch schwierig

..., dass ich wirklich genügend strukturiert vorgehe ...“ (INT 5, Z. 19). Die SP vermutet, dass

ein Kind ohne Autismus möglicherweise weniger Struktur braucht als ein Kind im AS, je-

doch in einem gewissen Masse auch von der Struktur profitiert. Ihrer Meinung nach hilft eine

strukturierte Lernumgebung auch Kindern mit einer ADHS-Diagnose (INT 5). Die gleiche

Meinung teilt der PROF, mit der Aussage, dass Strukturierungsangebote nicht nur für Men-

schen im AS hilfreich sind (INT 2).

 

5.3.3 Empfehlungen Lernort für Kind im Autismus-Spektrum

Jedes Kind im AS hat individuelle Bedürfnisse auch in Bezug auf den Lernort (SHP 2, INT

4). Im folgenden Abschnitt werden die am meisten genannten Empfehlungen der interview-

ten Fachpersonen bezüglich dem Lernort für ein Kind im AS erläutert.

Reizarme Umgebung

Alle Befragten gehen in ihren Aussagen auf die Wichtigkeit einer reizarmen Lernumgebung

ein. Dabei sollten die sensorischen Reize so gering wie möglich gehalten werden, damit eine

Reizüberforderung vermieden werden kann. Dem Kind im AS sollte ermöglicht werden, sich

auf die wichtigen Informationen konzentrieren zu können (PROF, INT 2). Konkret kann eine

reizarme Lernumgebung durch folgende Massnahmen erreicht werden:

• Nicht zu viele Materialien im Raum (SHP 2)

• Ordnung und Struktur (SHP 1 & SHP 2 & PROF)

• Grelles Licht vermeiden (SHP 2 & SP)

• Visualisierungen (SHP 1 & SHP 2 & KJP &PROF)

• Neutrale Farben im Schulzimmer (SHP 2)

Page 44: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

39  

Empfehlungen für die Ausgestaltung des Arbeitsplatzes für ein Kind im AS:

• Ein eigenes Pult haben (SHP 2 & SP & KJP)

• Kind im AS sitzt neben einem Kind mit guter Sozialkompetenz (SHP 2, SP, PROF)

• Vorne und in der Nähe der Lehrperson sitzen (KJP)

• Das Pult gegen eine Wand richten (SP & KJP)

• Das Pult gegen das Fenster richten, dabei das Fenster abdecken (durch Folie oder

Sonnenstoren) (SHP 1 & SP)

• Arbeitsplatz durch Trennwände abschirmen (SP & PROF)

• Fixer Arbeitsplatz, kein Platzwechsel (SHP 1 & SHP 2)

• Kind in Platzwahl und Gestaltung des Arbeitsplatzes miteinbeziehen (SHP 1 & SP)

• Schulzimmer nach verschiedenen Sozialformen strukturieren (PROF)

Die SP erzählt von einem Schüler im AS, dem es sehr wichtig ist, die gleichen Bedingungen

wie seine Mitschüler zu haben: Alle Pulte sind in einem Halbkreis arrangiert (INT 5). Der

KJP findet diese Sitzordnung für Kinder im AS jedoch sehr ungünstig (INT 3).

Geräusche

• Dem Kind im AS einen Pamir (Gehörschutz) geben, um auditive Reize zu minimieren

(PROF & KJP & SHP 2)

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die interviewten Personen eine Vielfalt von

möglichen Massnahmen beschrieben haben. Vorgaben für die Gestaltung von einem Lernort

für ein Kind im AS gibt es nicht, da sind sich alle Fachpersonen einig. Der PROF und die

SHP 2 sprechen lediglich von Empfehlungen, nicht von engen Vorgaben. Der KJP geht noch

einen Schritt weiter: „Es wäre wünschenswert, dass es ... Checklisten gibt, die man immer

wieder zu Rate ziehen kann und schauen kann, was ist bezüglich Lernort möglich oder nicht

möglich“ (INT 3, Z. 57). Es gibt keinen fixen Budgetbetrag, der für die Gestaltung des Lern-

ortes für ein Kind im AS zur Verfügung steht (SHP 1 & SHP 2 & SP). Die vorhandenen fi-

nanziellen Ressourcen müssen für alle Kinder mit einem Förderbedarf eingesetzt werden

(SHP 2, INT 4).

Page 45: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

40  

Rückzugsort

Ausnahmslos alle der befragten Personen betonen, dass neben einem strukturierten Arbeits-

platz ein Rückzugsort für ein Kind im AS von grosser Bedeutsamkeit ist. Es werden folgende

Rückzugsorte genannt:

• Kleine Ecke oder Nische im Schulzimmer (SHP 2 & KJP)

• Nebenraum (z.B. Gruppenraum) (SHP 2 & SP & PROF)

• Bei einer anderen Fachperson im Zimmer (z.B. bei einer Sozialpädagogin oder bei der

pädagogischen Leitung) (SHP 1 & SP)

Der KJP gibt zu bedenken, dass es nicht in allen Schulzimmern möglich ist, Nischen einzu-

richten oder den Kindern im AS einen Gruppenraum zur Verfügung zu stellen. In diesen Fäl-

len ist Kreativität gefordert: „Da gibt es auch originelle Lösungen, dass man zum Beispiel im

Klassenzimmer ein kleines Zelt aufstellt, in das man hineinkriechen kann. ... Man ist ge-

schützt, wie in einer Höhle“ (KJP, INT 3, Z. 35). Neben dem Schutz ergeben sich aus den

erhobenen Daten zusätzliche Gründe für einen Rückzugsort für Kinder im AS:

• Ruhe finden und Gefühle verarbeiten, wie beispielsweise Stress, Wut und Trauer

(SHP 2 & SP)

• Reize verringern und verarbeiten (SHP 1 & SHP 2 & KJP)

• Kinder im AS nicht suchen müssen (SP)

• Sich auf eine Arbeit konzentrieren können (SHP 1& SHP 2)

5.4 Empfehlungen für eine gelingende Integration

Die SHP 2 berichtet von positiven Erfahrungen, bei denen eine Integration von einem Kind

im AS in die Regelschule gelungen ist (INT 4). Sie hat jedoch auch Integrationen erlebt, wel-

che gescheitert sind. Als Hauptgründe einer missglückten Integration nennt sie: „Sehr wenig

Zeit, ein sehr schnelles Tempo ...“ (INT 4, Z. 11). Damit eine Integration von einem Kind im

AS in die Regelschule gelingt, geben die Fachpersonen konkrete Ratschläge. Diese werden

nachfolgend genauer ausgeführt.

Sich Wissen zum AS aneignen

Alle bis auf die SHP 1 betonen die Wichtigkeit, dass sich Bezugspersonen von Menschen im

AS Wissen zum Thema Autismus aneignen. Für den KJP steht diese Empfehlung an erster

Stelle der Prioritäten für eine gelingende Integration (INT 3, Z. 63). Lehrpersonen sollen mit

gezielter Fachliteratur ihr Wissen zum Thema vertiefen. Diesen Anspruch stellt der PROF an

Page 46: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

41  

die Lehrpersonen (INT 2). Die SHP 2 geht noch einen Schritt weiter und führt aus, dass sich

nicht nur die Klassenlehrperson, sondern das ganze Schulhaus zum Thema Autismus infor-

mieren sollte. Dies begründet sie mit folgender Aussage: „Es betrifft ja nicht nur dich mit

dem Kind in deiner Klasse. Das Kind ist ja auch in der Pause mit den anderen Kindern von

anderen Klassen ... zusammen“ (INT 4, Z. 77).

Aufklärung der Klasse

Die SHP 2 spricht von einer Fehlvorstellung an Schulen: „Man sagt, die wollen ... allein sein.

Dabei wollen sie gar nicht allein sein. ... Sie wären gerne mit anderen zusammen“ (INT 4, Z.

30). Die SHP 2 und der KJP unterstreichen die Wichtigkeit, die Klasse, in der das Kind im

AS ist, über die Besonderheiten und Eigenheiten des Kindes aufzuklären. Dies ist gemäss

KJP „ein wichtiger Beitrag zu einer erfolgreichen Integration“ (INT 3, Z. 49).

Geduld haben

Die SP beschreibt Geduld als „eine enorm wichtige Kompetenz einer Lehrperson“ (INT 5,

Z.63). Die SHP 2 legt ebenfalls grossen Wert auf die Fähigkeit einer Lehrperson, geduldig

mit einem Kind im AS umgehen zu können. Eine Lehrperson sollte den Mut haben, auch mal

die Lernziele zu ignorieren und Prioritäten zu setzen (SHP 2, INT 4).

Unterstützung holen

Der PROF und der KJP erachten es als wichtig, dass Lehrpersonen bei Bedarf Unterstützung

in Anspruch nehmen, etwa von der Schulleitung, einer schulischen Heilpädagogin oder einem

schulischen Heilpädagogen (PROF, INT 2).

Empathie für das Kind im AS entwickeln

Empathie für ein Kind im AS zu zeigen, findet SP besonders wichtig: „Man sagt oft, Autisten

fällt es schwer, sich in andere hineinzudenken ... deshalb ist es wichtig, dass wir versuchen,

uns in die Autisten hineinzuversetzen“ (INT 5, Z. 63).

Der PROF und die SP erwähnen die Schwierigkeit von Kindern im AS, mit Fehlern umzuge-

hen. Der PROF verdeutlicht dies in einem Beispiel: „... dass Kinder ein gutes Wissen haben

und die Lehrer korrigieren, damit können nicht alle Lehrer gut umgehen“ (INT 2, Z. 46).

Lehrpersonen müssen lernen, diese Aussagen nicht persönlich zu nehmen (PROF, INT 2).

Page 47: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

42  

Spezialinteressen in Unterricht einbeziehen

Wie bereits erwähnt heben die Fachpersonen das einzigartige Wissen von Kindern im AS in

bestimmten Themengebieten hervor (vgl. Kap.5.1.2). Der KJP betont wie wichtig es ist, das

Fachwissen des Kindes im AS zu nutzen, um ihm Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Konkret

nennt er ein Kind, das ein grosses Fachwissen über Dinosaurier hat. Er schlägt vor, dem Kind

in der Schule genügend Zeit zu geben, um einen Vortrag über „... Sachen, die über den übli-

chen Schulstoff hinausgehen“ vorzubereiten (KJP, INT 3, Z. 31).

6 Diskussion

Vor dem Hintergrund der leitenden Fragestellung bezüglich der Gestaltung eines Lernortes

für ein Kind im AS, werden in diesem Bereich der Arbeit die eigenen Befunde mit wissen-

schaftlichen Studien in Beziehung gesetzt. Dazu werden die aus den Unterfragen abgeleiteten

Hypothesen zu den Bereichen schulischen Lernens, Lernort und Integration bestätigt oder

widerlegt.

6.1 Kind im Autismus-Spektrum in der Schule

Unterfrage 1: In welchen Bereichen des schulischen Lernens zeigen Kinder im Autismus-

Spektrum Auffälligkeiten?

Hypothese 1: Die Aussagen der befragten Fachpersonen zum schulischen Lernen von Kin-

dern im Autismus-Spektrum decken sich mit den theoretischen Ausführungen der Autoren

der untersuchten Fachliteratur, welche Auffälligkeiten in vier zentralen Bereichen beschrie-

ben: Kommunikation, soziale Interaktion, stereotype Verhaltensweise und eingeschränkte

Interessen sowie Besonderheiten in der Wahrnehmung.

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie lassen den Schluss zu, dass keine Aussagen der

Fachpersonen auf alle Kinder im AS übertragen werden dürfen. Dies stimmt mit den Ausfüh-

rungen von Schuster (2016) überein. Sie beschreibt die vielfältige Ausprägung der Symptome

bei Betroffenen (vgl. Kap. 2.1.2).

Zwei der fünf interviewten Fachpersonen sind durch Beratungen und Abklärungen in Kontakt

mit Kindern im AS. Sie haben keine persönliche Unterrichtserfahrung. Durch das Auswerten

der Ergebnisse hat sich das grosse Fachwissen dieser beiden Fachpersonen verdeutlicht. Sie

zählen die Bereiche auf, in denen Kindern im AS beeinträchtigt sind: Auffälligkeiten in der

Kommunikation, der sozialen Interaktion sowie stereotype Verhaltensweisen und einge-

Page 48: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

43  

schränkte Interessen. Diese Auflistung deckt sich mit den von zahlreichen Autoren beschrie-

benen Auffälligkeiten der Kinder im AS. Eckert (2015) und Theunissen (2018) beispielswei-

se definieren diese Beeinträchtigungen in ihren Werken (vgl. Kap. 2.1.2 und 2.1.3). Nachfol-

gend werden die Ergebnisse in den einzelnen Bereichen zusammengefasst und mit der aufge-

arbeiteten Theorie verknüpft. Zusätzlich wird auf den Bereich Besonderheiten in der Wahr-

nehmung eingegangen, zu dem alle Fachpersonen Aussagen machten.

Beeinträchtigung in der Kommunikation

Alle Befragten sind sich einig, dass Kinder im AS Beeinträchtigungen in der Kommunikation

zeigen. Sie heben in ihren Ausführungen jedoch unterschiedliche Bereiche der Kommunika-

tion hervor. Kinder im AS haben eine ehrliche und direkte Art, mit dem Gegenüber zu kom-

munizieren. Zusätzlich nehmen Kinder im AS Aussagen oft wortwörtlich und haben Mühe,

Redewendungen und Witze zu verstehen. Auch Schuster (2016) und Herbrecht und Gwerder

(o.J.) beschreiben diese Schwierigkeiten von Kindern im AS. Zusätzlich nennen diese Auto-

ren Probleme beim Verstehen von Ironie und Metaphern. Zu diesem Thema kann aus den

erhobenen Daten keine Aussage gemacht werden. Schwierigkeiten in der Kommunikation

können zu Missverständnissen und Problemen führen (Schuster, 2016). Zwei interviewte

Fachperson betonen, wie wichtig es ist, die Schwierigkeiten der Kinder im AS im Bereich

Kommunikation zu nutzen, um die eigene Kommunikation gezielt zu reflektieren. Diese An-

sicht stimmt mit der Forderung nach Selbstdisziplin, die eigenen sprachlichen Äusserungen

bewusst zu wählen und zu überprüfen, von Schirmer (2016) überein (vgl. Kap. 2.1.4).

Die Autoren Herbrecht und Gwerder (o.J.) beschreiben neben den Schwierigkeiten in der

verbalen Kommunikation auch Probleme in der nonverbalen Kommunikation. Gemäss diesen

Autoren fällt es Menschen im AS schwer, Bedürfnisse und Gemütszustände durch Augen-

kontakt, Gesten oder Gesichtsausdrücke mitzuteilen oder die Körpersprache ihrer Mitmen-

schen zu deuten und zu verstehen (vgl. Kap. 2.1.4). Über diese Schwierigkeiten der nonver-

balen Kommunikation können nur wenige Erkenntnisse aus den Interviews gewonnen und

abgeleitet werden. Dies erstaunt, da im Bereich Kommunikation nicht nur die verbale, son-

dern auch die nonverbale Ausdrucksweise teilweise massiv eingeschränkt ist.

Beeinträchtigung in der sozialen Interaktion

Die interviewten Fachpersonen sind unterschiedlicher Meinung, welche Rolle ein Kind im

AS in der Klasse hat. Die Mehrheit der Befragten schreibt den Kindern eine Sonderrolle im

Klassenverband zu. Zwei Personen sprechen gar von einem erhöhten Risiko für Mobbing.

Page 49: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

44  

Eine Fachperson stimmt zwar der Sonderrolle zu, schliesst jedoch nicht aus, dass diese Kin-

der auch Freunde haben können. Eine Fachperson gibt zu bedenken, dass es eine Fehlvorstel-

lung ist, dass Kinder im AS immer allein sein wollen. Manchmal wären sie gerne mit anderen

Kindern zusammen. In Bezug auf die Rolle des Kindes in der Klasse haben auch Schirmer

(2016) und Herbrecht und Gwerder (o.J.) unterschiedliche Ansichten. Gemäss Herbrecht und

Gwerder (o.J.) sehnen sich Menschen im AS nach Kontakt zu gleichaltrigen Kindern (vgl.

Kap. 2.1.4). Schirmer (2016) hingegen betont, wie unterschiedlich die Auffälligkeiten der

Kinder im AS im Sozialverhalten sind. Sie beschreibt Kinder im AS, die sich allein am

wohlsten fühlen und wiederum andere, die sich nach sozialen Kontakten sehnen. Die Umset-

zung gelingt jedoch nur teilweise oder gar nicht (vgl. Kap. 2.1.4). Aus den Ergebnissen wird

ein möglicher Grund für das Scheitern von sozialen Kontakten ersichtlich. Zwei Fachperso-

nen erwähnen die Schwierigkeit von Kindern im AS, soziale Signale zu verstehen. Dieser

Befund deckt sich mit den früheren Studien von Herbrecht und Gwerder (o.J.). Sie nennen

das fehlende Wissen über Verhaltensregeln in sozialen Situationen als eine Schwierigkeit von

Kindern im AS (vgl. Kap. 2.1.4). Zusammenfassend ergeben die Erkenntnisse der Theorie,

dass im Bereich der sozialen Interaktion von Kindern im AS unterschiedliche Standpunkte

bestehen. Bei den empirischen Befunden kommt die gleiche Vielfältigkeit zum Ausdruck.

Stereotype Verhaltensweisen und eingeschränkte Interessen

Drei von fünf Fachpersonen betonen in ihren Aussagen die Schwierigkeit von Kindern im AS

mit Veränderungen umzugehen. Zwei Fachpersonen bezeichnen die Betroffenen gar als un-

flexibel. Dies deckt sich mit den Aussagen der Autoren Herbrecht und Gwerder (o.J.) und

Schirmer (2016), welche ebenfalls die Schwierigkeit von Menschen im AS beschreiben, fle-

xibel auf kurzfristige Änderungen zu reagieren (vgl. Kap. 2.1.4). Unvorhersehbare Verände-

rungen können bei Kindern im AS unterschiedliche Reaktionen auslösen. Zwei Fachpersonen

beschreiben auffälliges Verhalten in Form von Aggressionen. Eine weitere Fachperson er-

zählt von Kindern, welche sich bei einer überfordernden Situation zurückziehen.

Schirmer (2016) und Schuster (2016) nennen motorische Stereotypien, wie beispielsweise

sich wiederholende Bewegungen, als weitere Besonderheiten der Kinder im AS. Diese Auf-

fälligkeit hat keine Fachperson erwähnt. Vermutlich kennen die Fachpersonen vor allem

Kinder im AS, bei denen keine ausgeprägten Stereotypien offensichtlich sind.

Drei von fünf Fachpersonen bezeichnen das Wissen von Kindern im AS in gewissen Themen

als einzigartig. Mehrmals wird die Stärke der Kinder im AS hervorgehoben, sich zeitintensiv

und begeistert einem Thema, ihrem Spezialinteresse, zu widmen. Diese Aussagen bestätigen

Page 50: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

45  

die Autoren Schirmer (2016), Schuster (2016) und Herbrecht und Gwerder (o.J.) in Kapitel

2.1.4. Drei Fachpersonen erwähnen wie wichtig es ist, diese Fähigkeiten als Ressource zu

nutzen. Dies deckt sich mit den Ausführungen von Schuster (2016), die Kinder auf diese

Weise in ihrer Entwicklung und in ihrem Lernstand weiterzubringen (vgl. Kap. 2.1.4). Die

Autorin ist überzeugt, dass das Wissen über die Spezialinteressen der Schlüssel für erfolgrei-

ches Lernen ist, da die Beschäftigung mit dem Lieblingsinteresse als Motivator eingesetzt

werden kann.

Besonderheiten in der Wahrnehmung

Alle Fachpersonen sprechen von einer Überempfindlichkeit von Kindern im AS gegenüber

Reizen. Gemäss Aussagen einer Fachperson nehmen Menschen im AS Sinnesinformationen

anders auf und verarbeiten diese anders als neurotypische Menschen. Dies stimmt mit den

Ausführungen von Schuster (2016) und Herbrecht und Gwerder (o.J.) überein. Während die

interviewten Fachpersonen besonders auf die verstärke Wahrnehmung von Sinneseindrücken

eingehen, spricht Schuster (2016) zusätzlich auch von einer verminderten Wahrnehmung

(vgl. Kap.2.1.4).

Gemäss den Aussagen der Fachpersonen reagieren Menschen im AS besonders empfindlich

auf visuelle, auditive, sensorische und taktile Reize. Auch Sprecher Mathieu (2010), die Er-

ziehungsdirektion Kanton Bern (2015) und Forster (2010) machen diese Unterscheidung. Die

Autoren Schuster (2016) und Herbrecht und Gwerder (o.J.) beschreiben eine Überforderung

als Reaktion auf zu viele Reize (vgl. Kap. 2.1.4). Dies deckt sich mit den Aussagen der Fach-

personen. Durch das Tragen einer Sonnenbrille, eines Caps und Kopfhörern kann sich ein

Kind vor einer Reizüberflutung schützen. Die Autorin wertet diese Massnahmen als einfach

und wirkungsvoll.

Herbrecht und Gwerder (o.J.) beschreiben das grosse Interesse an Details und Gegenständen

der Kinder im AS. Gemäss diesen Autoren sehen Kinder im AS Details scharf und haben

Schwierigkeiten, umfassende, beziehungsweise sinnvolle Zusammenhänge zu sehen. Girs-

berger (2016) bezeichnet dies als Schwierigkeit der zentralen Kohärenz (vgl. Kap. 2.1.4). Zur

Schwäche in der Zentralen Kohärenz findet sich keinen Hinweis in den untersuchten Daten-

quellen. Die Autorin legt Wert darauf, dass der Fokus auf Details nicht nur als Schwäche,

sondern auch als Stärke von Kindern im AS wahrgenommen wird (vgl. Kap. 2.1.5).

Die Autoren Eckert (2015), Schirmer (2016), Theunissen (2018), Schuster (2016), Herbrecht

und Gwerder (o.J.), Girsberger (2016) und Lucas (2014) beschreiben die Auffälligkeiten von

Page 51: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

46  

Kindern im AS in den vier zentralen Bereichen: Kommunikation, soziale Interaktion, stereo-

type Verhaltensweisen und eingeschränkte Interessen sowie Besonderheiten in der Wahr-

nehmung. Fasst man die Aussagen der befragten Fachpersonen zusammen, kann die Hypo-

these 1 bestätigt werden. Ihre Ausführungen decken sich mit den theoretischen Abhandlun-

gen der erwähnten Autoren.

6.2 Lernort

Unterfrage 2: Inwiefern spielt ein strukturierter Lernort eine Rolle für ein Kind im Autismus-

Spektrum?

Hypothese 2: Alle Kinder profitieren von einem strukturierten Lernort. Für Kinder im Au-

tismus-Spektrum ist ein auf die individuellen Bedürfnisse eingerichteter Lernort eine unab-

dingbare Voraussetzung für schulisches Lernen.

Vier von fünf Fachpersonen betonen, dass der Lernort nicht nur für ein Kind im AS eine

grosse Rolle spielt, sondern auch für alle neurotypischen Kinder. Lediglich der KJP ist der

Meinung, dass der Lernort keine entscheidende Rolle spielt, da ein Kind ohne Autismus an-

passungsfähiger ist (INT 3). Alle anderen Befragten heben den Einfluss des Lernortes auf das

Wohlbefinden und den schulischen Erfolg für ein Kind hervor. Dieser Befund deckt sich mit

den früheren Studien von Rittelmeyer (2010). Neben dem Wohlbefinden und dem Erfolg

erwähnt Rittelmeyer (2010) auch den erheblichen Einfluss des Lernortes auf die Gesundheit

und auf die Aggressionsbereitschaft eines Kindes (vgl. Kap. 2.2). Um die Hypothese 2 bestä-

tigen oder widerlegen zu können, werden die aus den Interviews gewonnenen Informationen

zur Thematik Strukturierung eines Lernortes der Theorie gegenübergestellt.

Strukturierung allgemein

Bezüglich des Lernortes bezeichnen alle Fachpersonen unstrukturierte Situationen als grosse

Herausforderung für Kinder im AS. Dies belegen auch wissenschaftliche Befunde von Lucas

(2014), Herbrecht und Gwerder (o.J.), Schuster (2016), Bernard-Opitz und Häussler (2013),

Schirmer (2016) und Meyer (2018). Diese Autoren unterstreichen die Wichtigkeit von klaren

Strukturen für Menschen im AS. Gemäss Herbrecht und Gwerder (o.J.) bieten klare Struktu-

ren im Unterricht und in der Lernumgebung den Kindern im AS Sicherheit und Orientierung

(vgl. Kap. 2.1.7). In den nachfolgenden Ausführungen wird zwischen der räumlichen, zeitli-

chen und visuellen Strukturierung unterschieden.

Page 52: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

47  

Räumliche Strukturierung

Alle Fachpersonen gehen in ihren Aussagen auf die Wichtigkeit einer reizarmen Lernumge-

bung ein. Die Fülle der Reize sollte dabei so gering wie möglich gehalten werden. Drei Fach-

personen nennen Ordnung und Struktur als eine Möglichkeit, einen reizarmen Lernort zu

gestalten. Schirmer (2016) und Schuster (2016) messen dem Vorhandensein von klaren

Strukturen ebenfalls grosse Bedeutung zu. Diese erleichtern den Kindern im AS die Orientie-

rung im Raum. Zusätzlich empfehlen beide Autorinnen sowie auch Braun et al. (2014), feste

Arbeitsplätze einzurichten (vgl. Kap. 2.2.5). Dies deckt sich mit den Aussagen von zwei

Fachpersonen, die Kinder im AS unterrichten. Sie unterstreichen die Wichtigkeit, dass Kin-

der im AS immer den gleichen Arbeitsplatz haben. Drei Fachpersonen empfehlen, das Schul-

zimmer in verschiedene Bereiche zu strukturieren und Nischen zu schaffen. Auch Forster

(2010) nennt in ihren Studien Nischen und Ecken als Teile eines intelligent strukturierten

Raumes. Diese dienen den Kindern im AS als Rückzugsmöglichkeiten (vgl. Kap. 2.2.1). Eine

Fachperson bestätigt die Empfehlung von Herbrecht und Gwerder (o.J.), Räume nicht zu

überladen (vgl. Kap. 2.1.7). Auf diese Thematik wird bei der Unterfrage 3 genauer eingegan-

gen.

Zeitliche Strukturierung

Herbrecht und Gwerder (o.J.) beschreiben die teilweise schlecht oder gar nicht entwickelte

Zeitvorstellung von Kindern im AS (vgl. Kap. 2.1.7). Nach der Meinung einer Fachperson

kann das fehlende Wissen, was als nächstes folgt, zu einer Überforderung führen. Sowohl

Bernard-Opitz und Häussler (2013), als auch Herbrecht und Gwerder (o.J.) empfehlen, Zeit-

spannen für Menschen im AS sichtbar zu machen. Sie werten es als sinnvoll, Zeit- oder Stun-

denpläne zu erstellen und Küchen- oder Sanduhren zu verwenden (vgl. Kap. 2.1.7). Dies

deckt sich mit den Erfahrungen von drei Fachpersonen, welche Time-Timer, Checklisten

oder Tagespläne als hilfreiche Hilfsmittel für die zeitliche Strukturierung einsetzen.

Visuelle Strukturierung

Schirmer (2016) gibt zu bedenken, dass ein Klassenzimmer für Kinder mit AS eine Fülle an

Informationen darstellt. Diese Flut von Reizen kann Kinder im AS überfordern (vgl. Kap.

2.2.4). Vier von fünf Fachpersonen nennen Visualisierungen als eine wichtige Massnahme,

um die Belastung durch Reize für Kinder im AS gering zu halten. Auch Bernard-Opitz und

Häussler (2013) sowie Herbrecht und Gwerder (o.J.) empfehlen Visualisierungen (vgl. Kap.

Page 53: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

48  

2.1). Herbrecht und Gwerder (o.J.) nennen Visualisierungen in Form von Symbolen, Tafeln

oder Hinweisen, was sich wo befindet, als wertvoll für Kinder im AS.

Nach der Aussage einer Fachperson kann mit diesen Massnahmen Vorhersehbarkeit geschaf-

fen werden. Dies ist sehr wichtig für Kinder im AS, da sie Schwierigkeiten haben, mit Ver-

änderungen umzugehen. Diese Äusserung teilt auch Schuster (2016). Sie beschreibt dieselben

Schwierigkeiten der Menschen im AS. Sie unterstreicht, dass Menschen im AS Regelmässig-

keit und Verlässlichkeit in ihrer Umwelt brauchen (vgl. Kap. 2.2.5).

Zusammenfassend lässt sich die Hypothese 2 bestätigen. Basierend auf den Ergebnissen und

der theoretischen Abhandlung zeigt sich, dass der Lernort auch für ein Kind ohne Autismus

wichtig ist. Eine strukturierte Lernumgebung ist nicht nur für Kinder im AS, sondern auch für

neurotypische Kinder von Bedeutung. Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass Strukturie-

rungen für Kinder im AS eine unabdingbare Voraussetzung für schulisches Lernen sind. Zum

einen helfen Strukturierungen den Kindern im AS, sich in einem Raum zu orientieren. Zum

anderen kann durch diese eine Reizüberforderung verhindert werden. Zusätzlich können Zeit-

spannen sichtbar gemacht und Vorhersehbarkeit geschaffen werden.

Unterfrage 3: Von welchen Massnahmen profitiert ein Kind im Autismus-Spektrum im Be-

reich Lernort?

Hypothese 3: Ein Kind im Autismus-Spektrum braucht sowohl einen strukturierten und fes-

ten Arbeitsplatz als auch eine reizarme Lernumgebung.

Die Hypothese 2, dass ein strukturierter Arbeitsplatz für ein Kind im AS eine unabdingbare

Voraussetzung für erfolgreiches Lernen darstellt, wurde bereits bestätigt. Damit ist der erste

Teil der Hypothese 3, in Bezug auf den Arbeitsplatz positiv beantwortet. Die Wichtigkeit von

Visualisierungen wird bereits bei der Beantwortung der 2. Unterfrage hervorgehoben. Wel-

che Massnahmen neben Visualisierungen und einer strukturierten Lernumgebung für ein

Kind im AS im Bereich Lernort weiter von Bedeutung sind, wird nachfolgend diskutiert und

mit der Theorie verglichen.

Reizarme Lernumgebung

Diese Thematik wurde bereits bei der Diskussion zur Unterfrage 2 erwähnt. Nachfolgend

wird nochmals auf die Wichtigkeit einer reizarmen Lernumgebung eingegangen, da alle

Page 54: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

49  

Fachpersonen diese als unabdingbare Voraussetzung für Kinder im AS betrachten. Gemäss

dem Kinder- und Jugendpsychiater steht ein Kind im AS unter Stress, wenn es zu vielen Rei-

zen ausgesetzt ist. Dieser Stress kann sich in somatischen Beschwerden wie Bauch- oder

Kopfschmerzen ausdrücken (KJP, INT 3). Dies bestätigt Walden (2008): Erlebt der Mensch

einen Kontrollverlust, beispielsweise durch zu viele Reize, können physische und psychische

Symptome auftreten (vgl. Kap. 2.1.6). Schuster (2016) und Schirmer (2016) beschreiben auf-

fälliges Verhalten als Reaktion der Kinder im AS auf eine sensorische Überforderung (vgl.

Kap. 2.2.4). Die Ergebnisse beleuchten einen weiteren Punkt, in dem sie die negative Aus-

wirkung auf die Motivation beschreiben.

Zusammenfassend sind sich alle Fachpersonen einig, dass der Lernort möglichst reizarm ge-

staltet werden muss. Die Autorin teilt die Meinung einer Fachperson, welche eine reizarme

Lernumgebung als unabdingbare Voraussetzung für die Konzentration auf den Lernstoff

nennt.

Arbeitsplatz

Die Befragten sind unterschiedlicher Meinung, wie der Arbeitsplatz von einem Kind im AS

aussehen soll. Dies lässt vermuten, dass es den optimalen Arbeitsplatz für Kinder im AS

nicht gibt. Diese Aussage deckt sich mit Schuster (2016). Sie beschreibt es als schwierig oder

gar unmöglich, den idealen Sitzplatz für ein Kind im AS zu finden (vgl. 2.2.5). Welcher Sitz-

platz sich für ein Kind im AS am besten eignet, kann in einem gemeinsamen Gespräch mit

dem Kind und der Lehrperson herausgefunden werden (Schuster, 2016). Dies deckt sich mit

den Aussagen von zwei Fachpersonen. Sie empfehlen, das Kind bei der Wahl des Lernortes

miteinzubeziehen.

Braun et al. (2014) heben hervor, dass ein Klassenzimmer für jedes Kind einen eigenen Ar-

beitsplatz beinhalten sollte (vgl. Kap. 2.2.5). Bezogen auf ein Kind im AS, erachten es drei

Fachpersonen als wichtig, dem Kind einen eigenen Arbeitsplatz bereitzustellen. Dies deckt

sich mit den Aussagen von Sprecher Mathieu (2010) im Kapitel 2.2.1. Das Kind im AS kann

gemäss drei Fachpersonen auch neben einem anderen Kind sitzen. Wird ein Kind ausgewählt,

welches mit den besonderen Bedürfnissen des Kindes im AS umgehen kann, hat dies mög-

licherweise einen positiven Einfluss auf das schulische Lernen. Die Autorin wagt zu behaup-

ten, dass ein Sitzplatz neben einem Kind mit hoher Sozialkompetenz, förderlich für das schu-

lische Lernen eines Kindes im AS sein kann. Dies wird in der untersuchten Fachliteratur

nicht bestätigt. Die Autorin vermutet, dass es durchaus wissenschaftliche Abhandlungen zu

dieser Thematik gibt.

Page 55: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

50  

Ebenfalls uneinig sind sich die Fachpersonen, an welchem Ort im Klassenzimmer der Ar-

beitsplatz von einem Kind im AS sein sollte. Der Arbeitsplatz kann sowohl vorne bei der

Lehrperson, als auch gegen eine Wand oder ein Fenster gerichtet sein. Während die befragten

Personen den Fokus auf die räumliche Lage des Lernortes im Klassenzimmer legen, be-

schreiben die Autoren der untersuchten Fachliteratur hauptsächlich die Rahmenbedingungen.

Mehrere Autoren nennen einen ruhigen Arbeitsplatz als wichtige Voraussetzung für schuli-

sches Lernen (Rittelmeyer, 2010; Erziehungsdirektion Kanton Bern, 2015; Forster, 2010).

Schuster (2016) geht einen Schritt weiter und empfiehlt neben einem ruhigen, auch einen

geschützten, sauberen und isolierten Lernort, mit freiem Blick nach vorne für ein Kind im AS

(vgl. Kap. 2.2.5). Fachpersonen empfehlen Trennwände zu verwenden, um den Arbeitsplatz

räumlich abzugrenzen. Diese Massnahme kann dazu beitragen, die Rahmenbedingungen von

Schuster (2016) zu erfüllen.

Eine Fachperson beschreibt ein Kind im AS, welches keine individuellen Anpassungen am

Lernort möchte. Die Autorin könnte sich zwei Erklärungen vorstellen. Zum einen ist es mög-

lich, dass das Kind nicht auf besondere Rahmenbedingungen bezüglich dem Arbeitsplatz

angewiesen ist. Zum andere möchte das Kind keine Sonderrolle im Klassenverband einneh-

men.

Kinder im AS haben Schwierigkeiten mit Veränderungen umzugehen (Walden, 2008; Schir-

mer, 2016; Lucas, 2014). Platzwechsel sind Veränderungen (vgl. Kap. 2.1.6). Fachpersonen

empfehlen, das Kind im AS immer am gleichen Ort sitzen zu lassen.

Rückzugsort

Im Gegensatz zu den unterschiedlichen Ansichten der Befragten, wie der Lernort für ein

Kind im AS aussehen soll, betonen vier von fünf Fachpersonen einen Rückzugsort als über-

aus wichtig für ein Kind im AS. Die Ergebnisse belegen, dass ein Rückzugsort essenziell für

die Verarbeitung und Verringerung von Reizen ist. Dieser Befund deckt sich mit den frühe-

ren Studien von Forster (2010), Sprecher Mathieu (2010), Rittelmeyer (2010) und der Erzie-

hungsdirektion Kanton Bern (2015). Fachpersonen bezeichnen Nischen und Ecken als geeig-

nete Rückzugsmöglichkeiten. Dies deckt sich mit den Befunden von Forster (2010) in Kapitel

2.2.1. Bietet sich nicht auf Anhieb ein Rückzugsort an, fordert eine befragte Person Mut zur

Kreativität und nennt ein Zelt im Klassenzimmer als originelles und zweckdienliches Beispiel

(vgl. Kap. 5.3.3).

Page 56: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

51  

Ordnung

Ein ordentliches und übersichtliches Klassenzimmer ist gemäss den Aussagen von drei Fach-

personen sehr wichtig für ein Kind im AS. Sprecher Mathieu (2010) bestätigt diese Aussage.

Sie bezeichnet eine übersichtliche und nachvollziehbare Ordnung von Unterrichtsmaterialien

und Lehrbüchern im Klassenzimmer als unabdingbare Voraussetzung für das Lernen (vgl.

Kap. 2.2.1). Zusätzlich empfiehlt eine Fachperson, nicht zu viele Materialien im Raum zu

haben. Dies deckt sich mit den wissenschaftlichen Befunden von Schirmer (2016). Sie spricht

bei zu vielen Dekorationen von einer sensorischen Überforderung und einer Beeinträchtigung

der Konzentration (vgl. Kap. 2.2.5). Es muss jedoch angemerkt werden, dass der moderne

Unterricht auf offenen Lern- und Arbeitsformen basiert. Dies hat zur Folge, dass im Klassen-

zimmer viele Materialien ausgelegt werden. Diese können möglicherweise eine zusätzliche

Reizüberflutung für Kinder im AS darstellen und den Fokus auf das Wesentliche erschweren

(vgl. Kap. 5.2).

Licht

Fachpersonen empfehlen, grelles Licht am Lernort zu vermeiden. Dies stimmt mit den Be-

funden von Herbrecht und Gwerder (o.J.) überein, welche grelles oder flackerndes Licht als

Überforderung für Kinder im AS beschreiben (vgl. Kap. 2.1.4). Auch Sprecher Mathieu

(2010) und Rittelmeyer (2010) betonen diese Thematik. Schirmer (2016) beschreibt Kinder

im AS gar als blendungsempfindlich (vgl. Kap. 2.2.5). Dies deckt sich mit den Aussagen von

zwei Fachpersonen, welche Sonnenstoren oder Fensterfolien empfehlen.

Geräusche

80% der Kinder im AS leiden an einer auditiven Hypersensibilität (Schirmer, 2016). Dies

bedeutet, dass die Betroffenen auch extrem leise Töne und Geräusche wahrnehmen und vor

dieser Geräuschbelastung beschützt werden müssen (vgl. Kap. 2.2.5). Dies deckt sich mit den

Empfehlungen von drei Fachpersonen, die den Kindern im AS einen Gehörschutz anbieten,

damit sie die auditiven Reize vermindern können.

Die Autorin ist der Meinung, dass sich nicht immer die neurotypischen Kinder dem Kind im

AS anpassen müssen. Es darf Situationen im Unterricht geben, in denen der Lärmpegel durch

Spiele, Lieder oder Tänze höher ist als normal. In diesen Fällen hat das Kind im AS ver-

schiedene Möglichkeiten. Entweder macht das Kind mit oder es vermindert die Reize durch

einen Gehörschutz oder durch den Rückzug an einen stillen Ort.

Page 57: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

52  

Farben

Nicht alle Menschen nehmen Farben auf die gleiche Weise wahr (Sprecher Mathieu, 2010).

Nur eine der befragten Personen geht auf die Farbgestaltung im Klassenzimmer ein. Sie emp-

fiehlt, neutrale Farben zu wählen. Diese Aussage deckt sich mit den Befunden von Sprecher

Mathieu (2010) und Rittelmeyer (2010) im Kapitel 2.2.3.

Wie bereits bei der Unterfrage 2 bestätigt wurde, ist das Kind im AS auf einen strukturierten

Arbeitsplatz angewiesen. Zusätzlich braucht das Kind im AS, gemäss aller Fachpersonen und

diversen wissenschaftlichen Befunden, eine reizarme Lernumgebung. Des Weiteren erwäh-

nen Fachpersonen einen eigenen und festen Arbeitsplatz als essenziell für Kinder im AS. In

diesem Sinne kann die Hypothese 3 verifiziert werden.

6.3 Integration

Unterfrage 4: Welches sind die Erfolgsfaktoren für eine Integration von einem Kind im Au-

tismus-Spektrum?

Hypothese 4: Eine Integration gelingt, wenn alle beteiligten Kinder und Lehrpersonen über

die besonderen Bedürfnisse eines Kindes im Autismus-Spektrum aufgeklärt sind.

Vorab muss erwähnt werden, dass das Behindertengleichstellungsgesetz die Integration von

Kindern und Jugendlichen in die Regelschule vorsieht (Art. 20 Abs. 1 & 2 BehiG). Es muss

anhand der individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen entschieden werden, ob ein Kind in

die Regelschule integriert werden kann (Schuster, 2016). Girsberger (2016) betont ebenfalls,

dass eine schulische Integration nicht bei jedem Kind möglich und sinnvoll ist. Zu dieser

Thematik wurden keine Ergebnisse aus den Interviews gewonnen. Die Autorin hat bewusst

keine spezifische Fragen zur Integration versus Seperation gestellt, da diese den Umfang der

Arbeit überschreiten würden. Die Autorin wagt die Behauptung, dass auch die Fachperson,

die dazu keine Aussage macht, dies als sehr wichtig erachten würde.

Eine Lehrperson, welche ein Kind im AS in ihrer Klasse integriert, muss sich Wissen zur

Thematik Autismus aneignen. Diesen Anspruch stellen vier von fünf Fachpersonen. Weitere

empirische Befunde zeigen die Wichtigkeit auf, die Klasse über die Besonderheiten und Ei-

genheiten des Kindes aufzuklären. Für den KJP ist dies sogar der allerwichtigste Punkt für

eine gelingende Integration (INT 3). Zusätzlich wird von zwei Fachpersonen die Geduld als

eine überaus wichtige Kompetenz einer Lehrperson beschrieben. Darüber hinaus sollte die

Page 58: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

53  

Lehrperson Empathie für das Kind im AS zeigen. Die Befunde weisen darauf hin, dass das

Fachwissen sowie die Geduld und Empathie gegenüber dem Kind im AS wichtige Voraus-

setzungen sind, um das Kind schulisch zu fördern. Das Fachwissen der Bezugspersonen von

einem Kind im AS wird auch von Girsberger (2016) für eine gelingende Integration voraus-

gesetzt (vgl. Kap. 2.3.1). Inwiefern Empathie und Geduld zur Integration beitragen, wird in

der Theorie nicht beschrieben.

Zwei Befragte empfehlen, bei Bedarf Unterstützung durch die Schulleitung oder einer ausge-

bildeten Fachperson in Anspruch zu nehmen. Wie im Kapitel 2.3.1 beschrieben, muss ein

Kind im AS durch eine ausgebildete Fachperson aus der Heil- oder Sozialpädagogik begleitet

werden. Insbesondere muss das Sozialverhalten mit dem Kind im AS geübt werden (Girsber-

ger, 2016). Die Autorin nimmt an, dass die Lehrperson durch diese zusätzliche Unterstützung

entlastet werden kann.

Wie im Kapitel 2.1.7 dargelegt, sind Pausen für neurotypische Kinder der Höhepunkt des

Tages. Im Gegensatz dazu sind für Kinder im AS Pausen oft die schlimmste Zeit in der Schu-

le. Statt sich zu erholen, können Kinder im AS auf unstrukturierte Pausen mit herausfordern-

dem Verhalten reagieren. Rückzugsmöglichkeiten sollten zur Verfügung stehen (Schuster,

2016). Dies deckt sich mit den Aussagen einer Fachperson.

Die Hypothese 4, dass eine Integration gelingt, wenn alle beteiligten Personen über die be-

sonderen Bedürfnisse eines Kindes im AS aufgeklärt sind, kann teilweise bestätigt werden.

Dies ist gemäss den empirischen Befunden ein wichtiger Gelingensfaktor, jedoch nicht der

Einzige. Für eine gelingende Integration von einem Kind im AS in die Regelschule müssen

noch weitere Punkte beachtet werden. Besonders das Einrichten eines Rückzugsortes ist sehr

wichtig für Kinder im AS. Die empirischen und wissenschaftlichen Befunde setzen voraus,

dass die Lehrperson sich Wissen zur Thematik Autismus aneignet. Sie begegnet den Kindern

im AS mit Empathie und Geduld und nimmt bei Bedarf Unterstützung von ausgebildeten

Fachpersonen in Anspruch.

Page 59: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

54  

7 Zusammenfassende Schlussfolgerung

Nachfolgend werden die gewonnenen Befunde zusammengefasst sowie mit der anfangs ge-

stellten Fragestellung in Beziehung gesetzt. Diese lautet:

Wie muss ein Lernort gestaltet sein, damit die Integration eines Kindes im Autismus-

Spektrum gelingen kann?

Die Forschung im Bereich Autismus hat sich in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt.

Während früher von einer klar abgrenzbaren Krankheit die Rede war, wird heute von einem

Autismus-Spektrum gesprochen. Menschen im AS zeigen Auffälligkeiten in den Bereichen

Kommunikation, soziale Interaktion, stereotype Verhaltensweisen und eingeschränkte Inte-

ressen sowie Besonderheiten in der Wahrnehmung. Die Symptome können sehr vielfältig

ausgeprägt sein. Innerhalb des Spektrums zeigen Menschen im AS ein heterogenes Stärken-

und Schwächenprofil. Die Häufigkeit einer Autismus-Diagnose beträgt 1:100. Folglich ist die

Wahrscheinlichkeit gross, als Lehrperson ein Kind im AS in der Klasse zu integrieren.

Faszinierend ist das grosse Fachwissen der Kinder in ihren jeweiligen Spezialgebieten. Die-

ses Wissen sollte in der Schule als Ressource genutzt werden, um sie in ihrem Lern- und

Entwicklungsstand weiterzubringen.

Kinder im AS haben Schwierigkeiten im Umgang mit ihren Mitmenschen. Wie neurotypi-

sche Menschen haben auch sie das Bedürfnis nach sozialen Kontakten. Jedoch gelingt ihnen

die Umsetzung nur teilweise oder gar nicht. Das Risiko eine Sonderrolle in der Klasse einzu-

nehmen ist erhöht.

Die vorliegende Arbeit stellt eine fundierte wissenschaftliche Abhandlung zur Gestaltung des

Lernortes für Kinder im AS dar. Durch eine qualitative Datenerhebung konnten konkrete

Gestaltungsideen in Bezug auf den Lernort für Kinder im AS ermittelt werden. Zu beachten

ist, dass die Befunde nicht auf alle Kinder im AS übertragen werden können, da Kinder im

AS innerhalb des Spektrums unterschiedliche Bedürfnisse bezüglich des Lernortes haben.

Kinder im AS zeigen Schwierigkeiten in unstrukturierten Situationen und im Umgang mit

Veränderungen. Sie sind auf Vorhersehbarkeit in Form von gleichbleibenden Abläufen und

Ritualen angewiesen. Räumliche, zeitliche und visuelle Strukturierungen bieten den Kindern

im AS Sicherheit und Orientierung und können den Schulalltag dieser Kinder stressfreier

gestalten.

Kinder im AS sind nicht nur auf Strukturierung, sondern auch auf eine reizarme Lernumge-

bung angewiesen. Das Klassenzimmer bietet eine Fülle an Reizen, welche Kinder im AS

überfordern können. Eine sensorische Überbelastung kann zu einem unangemessenen Sozial-

Page 60: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

55  

verhalten führen und negative Auswirkungen auf die Motivation haben. Ein offener Unter-

richt, der immer häufiger praktiziert wird, entspricht nicht den Bedürfnissen der Kinder im

AS nach einer reizreduzierten Lernatmosphäre.

Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, welche die besonderen Bedürfnisse der

Kinder im AS berücksichtigen. Dabei muss der Baubiologie eines Klassenzimmers besondere

Beachtung geschenkt werden. Kinder im AS sind oft blendungsempfindlich. Daher sollte

grelles Licht vermieden werden. Eine neutrale Farbgestaltung trägt ebenfalls zum Wohlbe-

finden bei.

Bei zu vielen Materialien im Raum fällt es dem Kind im AS schwer, sich auf das Wesentliche

zu konzentrieren. Ein überladenes Schulzimmer sollte daher unterlassen werden.

Kinder im AS leiden an einer Hypersensibilität gegenüber Geräuschen. Einer Überforderung

durch auditive Reize kann durch die Benutzung von Kopfhörern oder dem Einrichten eines

Rückzugsortes entgegengewirkt werden.

Auf den Arbeitsplatz muss ebenso ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Er sollte be-

wusst nach den individuellen Anforderungen des Kindes im AS ausgewählt werden. Dabei

muss die sensorische Überempfindlichkeit des Kindes im AS berücksichtigt werden. Es emp-

fiehlt sich, den Arbeitsplatz räumlich abzugrenzen. In der Regel profitiert das Kind von ei-

nem eigenen Sitzplatz. Einzelne Kinder im AS reagieren positiv auf einen bewusst ausge-

wählten Sitznachbarn. Falls der Entwicklungsstand des Kindes es zulässt, sollte es in die

Wahl des Arbeitsplatzes miteinbezogen werden.

In der Schweiz wird aufgrund des Behindertengleichstellungsgesetzes der Integration Vor-

rang vor Separation gegeben. Insgesamt zeigen die Befunde der Studie, dass sich eine struk-

turierte und reizarme Lernumgebung positiv auf das schulische Lernen und das Wohlbefin-

den eines Kindes im AS auswirken kann. Dies wiederum begünstigt eine Integration in die

Regelschule.

Die Fragestellung lässt sich nicht abschliessend beantworten. Es gibt nicht den idealen Lern-

ort für ein Kind im AS. Autismus ist ein Spektrum. Kinder im AS haben in Bezug auf den

Lernort unterschiedliche Bedürfnisse.

Die beschriebenen Empfehlungen bezüglich des Lernortes können für alle Kinder hilfreich

sein. Besonders für Kinder mit einer Verhaltensauffälligkeit oder Wahrnehmungsbeeinträch-

tigung unterstützen sie das Lernen in der Schule.

Page 61: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

56  

8 Kritische Reflexion

Die vorliegende Arbeit hat sich kritisch mit den gewonnenen Erkenntnissen auseinanderge-

setzt und die Zielvorstellung erfüllt. Es konnten wichtige Informationen zur Gestaltung des

Lernortes für ein Kind im AS eruiert werden.

Als Forschungsmethode dienten qualitative Interviews mit Fachpersonen. Diese erwiesen

sich als geeignet, um die Fragestellung zu beantworten. Es hat sich gelohnt, Zeit in die Suche

der Personen zu investieren. Sie alle haben ein fundiertes Wissen zur Thematik. Es ist zum

Ausdruck gekommen, wie sehr ihnen Kinder im AS am Herzen liegen. Die Fachpersonen

arbeiten in unterschiedlichen Settings. Folglich ergaben sich differenzierte Schwerpunkte in

ihren Antworten. Zum einen trug dies zur Vielfältigkeit der Ergebnisse bei. Andererseits hat

dies durch die grosse Fülle an Informationen das Zusammenfassen der Daten erschwert.

Durch die inhaltlichen Vorgaben und das Festhalten an der zentralen Fragestellung, konnten

nicht alle Aussagen diskutiert werden.

Die Interviews waren zeitlich begrenzt und die Fragen den Fachpersonen im Voraus bekannt.

Dadurch mussten sie in ihren Antworten Prioritäten setzen und konnten nicht alle Aspekte

beleuchten. Es ist durchaus anzunehmen, dass eine Fachperson zu einem Aspekt ebenfalls

Auskunft gegeben hätte, wenn sie danach gefragt worden wäre.

Ein Kritikpunkt der untersuchten Studie stellt die geringe Anzahl der Stichprobe dar, welche

aufgrund von quantitativen Vorgaben nicht erhöht werden konnte.

Das Transkribieren der Interviews war sehr zeitaufwändig. Diese Arbeit hat sich jedoch ge-

lohnt. Durch das Transkribieren konnten Gemeinsamkeiten in den Antworten der Fachperso-

nen erkannt und erste Verknüpfungen mit den wissenschaftlichen Befunden hergestellt wer-

den.

In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff Kind oder Kinder im AS verwendet. In den meis-

ten Fällen können die Aussagen auch auf Jugendliche und Erwachsene im AS übertragen

werden. Diese Unterscheidung ist in der Arbeit nicht gemacht worden, um den Lesefluss

nicht zu erschweren.

Page 62: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

57  

9 Ausblick

Anhand der vorliegenden Untersuchung zur Gestaltung eines Lernortes für ein Kind im AS

haben sich weitere Forschungsfragen eröffnet.

In weiteren Forschungsarbeiten wäre es interessant, neben Fachpersonen auch selbstbetroffe-

ne Menschen zu interviewen. Inwiefern würden sich ihre Vorstellungen bezüglich eines

Lernortes unterscheiden? Welche Massnahmen würden sowohl neurotypische als auch Men-

schen im AS als wertvoll erachten?

In dieser Arbeit liegt der Fokus auf dem Lernort Schule. Spannend wäre es, Informationen

über Lernorte ausserhalb der Schule zu eruieren. Hierfür würde sich ein Interview mit Eltern

eines Kindes im AS eignen.

Für eine mögliche Weitergestaltung des Forschungsprozesses wäre eine Untersuchung auf

allfällige geschlechter- oder altersspezifische Unterschiede in Bezug auf den Lernort eines

Kindes im AS spannend.

Die Autorin möchte die neu gewonnenen Erkenntnisse zum Lernort in der Praxis anwenden

und deren Wirkung sowohl auf Kinder im AS, als auch auf neurotypische Kinder, überprü-

fen.

Page 63: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

58  

10 Literaturverzeichnis

Aeppli, J., Gasser, L., Gutzwiller, E. & Tettenborn, A., (2016). Empirisches wissenschaftli-

ches Arbeiten: Ein Studienbuch für die Bildungswissenschaften (4. Aufl.). Bad Heilbrunn:

Julius Klinkhardt.

 

Bernard-Opitz, V. & Häussler, A. (2013). Praktische Hilfen für Kinder mit Autismus-

Spektrum-Störungen (ASS): Fördermaterialien für visuell Lernende (2. Aufl.). Stuttgart:

Kohlhammer.

Braun, D., Bühlmann, M., Burri, L., Degenhardt, B., Neuhaus, F., Schumacher, C.,

Straumann, M. & Weinhardt, S. (2014). SchulUmbau diskutieren: Verhandlungsthemen aus

der Perspektive von Architektur, Pädagogik und Psychologie. Windisch: Fachhochschule

Nordwestschweiz.

Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen

(BehiG) vom 13. Dezember 2002 (Stand von 2017). Zugriff am 02.05.2019 unter:

https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20002658/index.html

Eckert, A. (2015). Autismus-Spektrum-Störungen in der Schweiz: Lebenssituation und fach-

lich Begleitung. Bern: Stiftung Schweizer Zentrum für Heil- und Sonderpädagogik.

Erziehungsdirektion Kanton Bern (2015). Schulraum gestalten: Planung und Weiterentwick-

lung von Anlagen der Volksschule. Bern: Erziehungsdirektion.

Forster, J. (2010). Kriterien schülergerechter Schulbauten: Befunde aus Verhaltensforschung

und Pädagogik. In Schulamt Stadt Zürich (2010): Gestaltung von Schulbauten: Ein Diskussi-

onsbeitrag aus erziehungswissenschaftlicher Sicht. Zürich: Schulamt.

Girsberger, T. (2016). Die vielen Farben des Autismus: Spektrum, Ursachen, Diagnose, The-

rapie und Beratung (3. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.

Herbrecht, E. & Gwerder, G. (o.J.). Besonders anders: Autismus-Spektrum-Störungen. Infor-

mationsbroschüre für Angehörige. Basel: Universitäre Psychiatrische Kliniken.

Page 64: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

59  

Krüger, A. (Hrsg.), Berndt, C. & Kalisch, C. (2016). Räume bilden – pädagogische Perspek-

tiven auf den Raum. Berlin: Julius Klinkhardt.

La Brie Norall, C. & Wagner Brust, B. (2012). Kinder mit Asperger einfühlsam erziehen: Wie

Sie Sozialverhalten und Kommunikation Ihres Kindes fördern (1. Aufl.). Stuttgart: TRIAS.

Lucas, B. (2014). „Ein Kind mit Asperger-Syndrom in meiner Klasse...“. Zürich: Autismus

Verlag.

Meyer, H. (2018). Was ist guter Unterricht? (13. Auflage). Berlin: Cornelson.

Rittelmeyer, Ch. (2010). Erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse zur Gestaltung von

Schulbauten. In Schulamt Stadt Zürich (2010): Gestaltung von Schulbauten: Ein Diskussi-

onsbeitrag aus erziehungswissenschaftlicher Sicht. Zürich: Schulamt.

Schirmer, B. (2016). Schulratgeber Autismus-Spektrum: Ein Leitfaden für LehrerInnen

(4.Aufl.). München: Ernst Reinhardt.

Schuster, N. (2016). Schüler mit Autismus-Spektrum-Störungen: Eine Innen- und Aussenan-

sicht mit praktischen Tipps für Lehrer, Psychologen und Eltern (4. Aufl.). Stuttgart: Kohl-

hammer.

Sprecher Mathieu, F. (2010). Moderne Schulanlagen: Umweltgerechte Bauplanung für eine

neue Lernkultur. ETH-Zürich: Hochschulverlag AG.

Stiftung Schweizer Zentrum für Heil- und Sonderpädagogik (2019). Was versteht man unter

schulischer Integration? Zugriff am 02.05.2019 unter https://www.szh.ch/themen/schule-

und-integration/schulische-integration/antwort-3

Strauss, A. & Corbin, J. (1996). Grounded Theory: Grundlagen qualitativer Sozialforschung.

Weinheim: Psychologie Verlags Union.

Theunissen, G. (2018). Autismus und herausforderndes Verhalten: Praxisleitfaden Positive

Verhaltensstützung (2. Aufl.). Freiburg im Breisgau: Lambertus

Page 65: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

60  

Walden, R. (2008). Architekturpsychologie: Schule, Hochschule und Bürogebäude der Zu-

kunft. Lengerich: Pabst Science Publishers.

11 Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Auffälligkeiten von Menschen im AS, aus Privatarchiv der Autorin

Abbildung 2: Kodierschema, in Anlehnung an Strauss & Corbin (1996, S. 78)

12 Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Daten der Interviewpartner, aus Privatarchiv der Autorin

Page 66: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

61  

13 Eigenständigkeitserklärung  

 

Page 67: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

62  

14 Anhang

14.1 Interviewleitfaden

14.1.1 Interviewleitfaden SHP 1/ 2 und SP

!Interviewleitfaden Bachelorarbeit

Allgemein Autismus

1. Was ist Ihr Bezug zum Autismus? 2. Was zeichnet ein Kind mit Autismus aus? 3. Was haben Sie für Erfahrungen mit Autismus gemacht? Waren diese positiv oder negativ? 4. Wie haben Sie Kinder mit Autismus im Bereich des schulischen Lernens erlebt? 5. Welche Schwierigkeiten treten in der Zusammenarbeit mit autistischen Kindern auf? Welche

Chancen treten auf? Rolle Lernort

6. Welche Rolle spielt der Lernort für ein Kind? 7. Welche Auswirkungen hat der Lernort auf das Wohlbefinden eines Kindes? 8. Wie unterscheidet sich der Lernort von einem Kind mit Autismus mit dem Lernort der anderen

Kinder? 9. Welche Rolle spielt der Lernort für ein Kind mit Autismus? 10. Wie wirkt sich der Lernort auf den schulischen Erfolg und auf das Wohlbefinden eines Kindes mit

Autismus aus? Gestaltung Lernort

11. Wie muss der Lernort gestaltet sein, damit sich ein Kind mit Autismus in der Schule wohlfühlt? 12. Welche Massnahmen sind nötig, um einen Lernort zu gestalten? Sind für alle Kinder die gleichen

Massnahmen nötig? 13. Welche Massnahmen haben Sie als Fachperson davon umgesetzt? Waren diese erfolgreich oder

warum nicht? 14. Wie wirkten sich diese Massnahmen auf das schulische Lernen aus? 15. Welche Massnahmen haben Sie nicht umgesetzt? Woran lag es? 16. Beschreiben Sie die konkrete Gestaltung des Lernortes von Ihrem Kind mit Autismus.

Vorgaben und Finanzierung

17. Gibt es Vorgaben zur Gestaltung des Lernortes (z.B. vom Kanton, der Schulleitung oder von Fachpersonen)?

18. Haben Sie für die Strukturierung des Lernrotes für ein Kind mit Autismus Geld zur Verfügung? 19. Wenn nein, wie finanzieren Sie Materialien?

Rolle des Autisten in der Klasse

20. Haben Kinder mit Autismus eine Sonderstellung im Klassenverband? Wenn ja, in welchen Bereichen des Schulalltags (z.B. Gruppenarbeit?). Wie reagieren die anderen Kinder darauf?

Unterstützung

21. Werden sie aktuell unterstützt? Wenn ja, mit wem tauschen sie sich aus? 22. Wenn ja, wie beurteilen Sie die Wirksamkeit dieser Unterstützung? 23. Wenn nein, wissen Sie, wo Sie sich Hilfe holen können ?

Abschlussfrage

24. Was könnten die zukünftigen Herausforderungen in Zusammenarbeit mit einem Kind mit Autismus sein?

25. Welche Tipps geben Sie einer Lehrperson, welche ein Kind mit Autismus unterrichtet? 26. Welche Tipps geben Sie einer Lehrperson in Bezug auf die Gestaltung des Lernortes?

!

Page 68: Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus …...Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp ! 1! 1 Einleitung Das Thema Autismus

Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp  

63  

14.1.2 Interviewleitfaden KJP und PROF

 

!Interviewleitfaden Bachelorarbeit

Allgemein Autismus

1. Was ist Ihr Bezug zum Autismus? 2. Was zeichnet ein Kind mit Autismus aus? 3. Was haben Sie für Erfahrungen mit Autismus gemacht? Waren diese positiv oder negativ? 4. Wie haben Sie Kinder mit Autismus im Bereich des schulischen Lernens erlebt? 5. Welche Schwierigkeiten treten in der Zusammenarbeit mit autistischen Kindern auf? Welche

Chancen treten auf? Rolle Lernort

6. Welche Rolle spielt der Lernort für ein Kind? 7. Welche Auswirkungen hat der Lernort auf das Wohlbefinden eines Kindes? 8. Wie unterscheidet sich der Lernort von einem Kind mit Autismus mit dem Lernort der anderen

Kinder? 9. Welche Rolle spielt der Lernort für ein Kind mit Autismus? 10. Wie wirkt sich der Lernort auf den schulischen Erfolg und auf das Wohlbefinden eines Kindes mit

Autismus aus? Gestaltung Lernort

11. Wie muss der Lernort gestaltet sein, damit sich ein Kind mit Autismus in der Schule wohlfühlt? 12. Welche Massnahmen empfehlen Sie Lehrpersonen, um einen Lernort zu gestalten? Sind für alle

Kinder die gleichen Massnahmen nötig? 13. Welche Massnahmen wurden von Lehrpersonen in der Praxis umgesetzt? Waren diese erfolgreich

oder warum nicht? 14. Wie können sich diese Massnahmen auf das schulische Lernen eines Kindes auswirken? 15. Beschreiben Sie die ideale Gestaltung des Lernortes von einem Kind mit Autismus.

Rolle des Autisten in der Klasse

16. Haben Kinder mit Autismus eine Sonderstellung im Klassenverband? Wenn ja, in welchen Bereichen des Schulalltags (z.B. Gruppenarbeit?). Wie erleben Sie in der Praxis, wie die anderen Kinder darauf reagieren?

Unterstützung

17. Wie erleben Sie in der Praxis die Unterstützung der Lehrpersonen von anderen Fachpersonen? 18. Wie beurteilen Sie die Wirksamkeit dieser Unterstützung?

Vorgaben und Finanzierung

19. Gibt es Vorgaben zur Gestaltung des Lernortes (z.B. vom Kanton, der Schulleitung oder von Fachpersonen)?

20. Haben Lehrpersonen für die Strukturierung des Lernrotes für ein Kind mit Autismus Geld zur Verfügung?

21. Wenn nein, wie können Lehrpersonen die Materialien finanzieren? Abschlussfrage

22. Was könnten die zukünftigen Herausforderungen in Zusammenarbeit mit einem Kind mit Autismus sein?

23. Welche Tipps geben Sie einer Lehrperson, welche ein Kind mit Autismus unterrichtet? 24. Welche Tipps geben Sie einer Lehrperson in Bezug auf die Gestaltung des Lernortes?

!!