Gesundheitsökonomische Perspektiven unter Berücksichtigung der Gesundheits- reform 2000

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P.C.Scriba Gesundheitsökonomische Perspektiven unter Berücksichtigung der Gesundheits- reform 2000 re der Leistungsbereiche ambulante- stationäre-rehabilitative und pflege- rische Versorgung diskutiert werden. Dieser heutige Beitrag muß sowohl Gedanken zu diesem Sondergutachten- auftrag als auch zur Reform 2000 brin- gen. Dabei äußere ich selbstverständ- lich meine rein persönliche Ansicht und nicht etwa eine irgendwie abge- stimmte Meinung des Sachverständi- genrates. Die Konsensbildung ist bei uns noch nicht abgeschlossen und kann es auch wirklich noch nicht sein. Zielorientierung. Ein erstes Thema des Gutachtenauftrages ist die Frage der Zielorientierung der Gesundheitspoli- tik. Diese Fragestellung hat in den 90er Jahren eine erhebliche Rolle gespielt, insbesondere auch im internationalen Vergleich. Wer sich genauer informie- ren möchte, dem sei empfohlen, den Informationsdienst Nr. 268 der GVG (Gesellschaft für Versicherungswissen- schaft und -Gestaltung in Köln) zu stu- dieren. Ich möchte hier nur auf die Auf- listung der 40 Gesundheitsziele durch die WHO verweisen, die der Sachver- ständigenrat in seinem Gutachten von 1994 wiedergegeben hat. Eine Umgruppierung dieser WHO Ge- sundheitsziele läßt folgende Grup- pen zusammenfassen: Chancen- gleichheit, Lebensqualität, verbesser- ter Gesundheitszustand – das wären die Endziele, gesundheitsförderliche Lebensweise, gesunde Umwelt, be- darfsgerechte Versorgung – das wä- ren die Strategien und unterstützen- de Entwicklungsstrategien „Gesund- heit für alle“. Die Durchsetzung solcher Gesund- heitsziele verlangt den Konsens aller auf die endgültige Form des Gesetzes haben werden, kann zur Zeit noch nicht beurteilt werden. Es ist ja eine Er- schwernis in der aktuellen politischen Diskussion zu sehen. Denn: 1. Wir befinden uns in der Phase der Anhörung der Betroffenen durch die Abgeordneten. 2. Man kann nur schwer beurteilen, auf welche Gesetzesversion sich die jetzi- ge Koalition schließlich verständigen wird. Und 3. es ist gänzlich unmöglich abzusehen, wie die Kompromisse in der Bund/ Länder-Vermittlung aussehen wer- den. Die Problemlage erfordert meines Er- achtens eine parteiübergreifende Kon- sensbildung. Sondergutachten. Der Sachverständigen- rat hat im Mai 1999 den Auftrag für ein Sondergutachten mit folgender Frage- stellung bekommen: Welche Möglich- keiten sieht der Sachverständigenrat, die Leistungssteuerung im Gesund- heitswesen insbesondere unter den Aspekten der Qualitätssicherung, sind neue Vergütungsformen zu verbessern, wenn die gegebenen einnahmeseitigen Finanzierungsstrukturen der gesetzli- chen Krankenversicherung im Kern er- halten bleiben? Insbesondere sollen bei der Beant- wortung dieser Frage die Rolle von Gesundheitszielen, die Rolle qualitäts- und leistungsorien- tierter Anreiz-/Vergütungsstrukturen, die Rolle der Stärkung von Präventi- on/Gesundheitsförderung und Versi- cherten-/Patientenkompetenz- im Versorgungssystem und die Rolle des Hausarztes mit Blick auf eine bessere Verzahnung insbesonde- | Der Internist 12·99 M 354 Der Sachverständigenrat für die Konzer- tierte Aktion im Gesundheitswesen hat sieben Mitglieder,die auf Vorschlag der Konzertierten Aktion für das Gesundheits- wesen durch den Bundesminister für Gesundheit berufen werden. Zu dem jetzi- gen Sachverständigenrat gehören ein Sozialmediziner als Vorsitzender,ein Me- dizinökonom, eine Allgemedizinerin, ein Kliniker, ein Volkswirt, eine Soziologin und ein Ökonom/Sozialwissenschaftler. Dieser Sachverständigenrat war nicht beteiligt an dem GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz von 1998. Das ist schon allein daran zu er- kennen, daß der alte Sachverständigenrat im Dezember 1998 entlassen und der alte, gesetzlich fixierte Gutachtenauftrag auf- gehoben wurde; der neue Sachverständi- genrat wurde im März 1999 berufen. Da manche Leser vielleicht nicht genau wis- sen, wie der Sachverständigenrat arbei- tet, will ich das hier kurz skizzieren. Die gesetzlich festgeschriebene Auf- gabe des Sachverständigenrats besteht in der Erstellung von Jahres- oder Son- dergutachten für die Konzertierte Akti- on. Es handelt sich also um wissen- schaftliche Politikberatung und keines- wegs um eine Beteiligung bei der Ge- setzgebung. Daher pflegt der Sachver- ständigenrat vor allem, Lösungsoptio- nen für die verschiedenen Probleme zu diskutieren und gibt mehr oder weni- ger eindeutige Empfehlungen ab. Der Sachverständigenrat war auch nicht beteiligt beim Gesetzesentwurf für die GKV-Gesundheitsreform 2000. Es hat aber anschließend Gespräche von der Spitze des BMG mit dem Sach- verständigenrat gegeben. Ob Vorschläge und Kommentare des Sachverständigenrates einen Einfluß

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P.C. Scriba

Gesundheitsökonomische Perspektiven unter Berücksichtigung der Gesundheits-reform 2000

re der Leistungsbereiche ambulante-stationäre-rehabilitative und pflege-rische Versorgung

diskutiert werden.Dieser heutige Beitrag muß sowohl

Gedanken zu diesem Sondergutachten-auftrag als auch zur Reform 2000 brin-gen. Dabei äußere ich selbstverständ-lich meine rein persönliche Ansichtund nicht etwa eine irgendwie abge-stimmte Meinung des Sachverständi-genrates. Die Konsensbildung ist beiuns noch nicht abgeschlossen und kannes auch wirklich noch nicht sein.

Zielorientierung. Ein erstes Thema desGutachtenauftrages ist die Frage derZielorientierung der Gesundheitspoli-tik. Diese Fragestellung hat in den 90erJahren eine erhebliche Rolle gespielt,insbesondere auch im internationalenVergleich. Wer sich genauer informie-ren möchte, dem sei empfohlen, denInformationsdienst Nr. 268 der GVG(Gesellschaft für Versicherungswissen-schaft und -Gestaltung in Köln) zu stu-dieren. Ich möchte hier nur auf die Auf-listung der 40 Gesundheitsziele durchdie WHO verweisen, die der Sachver-ständigenrat in seinem Gutachten von1994 wiedergegeben hat.

Eine Umgruppierung dieser WHO Ge-sundheitsziele läßt folgende Grup-pen zusammenfassen: Chancen-gleichheit, Lebensqualität, verbesser-ter Gesundheitszustand – das wärendie Endziele, gesundheitsförderlicheLebensweise, gesunde Umwelt, be-darfsgerechte Versorgung – das wä-ren die Strategien und unterstützen-de Entwicklungsstrategien „Gesund-heit für alle“.

Die Durchsetzung solcher Gesund-heitsziele verlangt den Konsens aller

auf die endgültige Form des Gesetzeshaben werden, kann zur Zeit noch nichtbeurteilt werden. Es ist ja eine Er-schwernis in der aktuellen politischenDiskussion zu sehen. Denn:

1. Wir befinden uns in der Phase derAnhörung der Betroffenen durch dieAbgeordneten.

2. Man kann nur schwer beurteilen, aufwelche Gesetzesversion sich die jetzi-ge Koalition schließlich verständigenwird. Und

3. es ist gänzlich unmöglich abzusehen,wie die Kompromisse in der Bund/Länder-Vermittlung aussehen wer-den.

Die Problemlage erfordert meines Er-achtens eine parteiübergreifende Kon-sensbildung.

Sondergutachten. Der Sachverständigen-rat hat im Mai 1999 den Auftrag für einSondergutachten mit folgender Frage-stellung bekommen: Welche Möglich-keiten sieht der Sachverständigenrat,die Leistungssteuerung im Gesund-heitswesen insbesondere unter denAspekten der Qualitätssicherung, sindneue Vergütungsformen zu verbessern,wenn die gegebenen einnahmeseitigenFinanzierungsstrukturen der gesetzli-chen Krankenversicherung im Kern er-halten bleiben?

Insbesondere sollen bei der Beant-wortung dieser Frage

● die Rolle von Gesundheitszielen,● die Rolle qualitäts- und leistungsorien-

tierter Anreiz-/Vergütungsstrukturen,● die Rolle der Stärkung von Präventi-

on/Gesundheitsförderung und Versi-cherten-/Patientenkompetenz- imVersorgungssystem und

● die Rolle des Hausarztes mit Blick aufeine bessere Verzahnung insbesonde-

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Der Sachverständigenrat für die Konzer-tierte Aktion im Gesundheitswesen hatsieben Mitglieder, die auf Vorschlag derKonzertierten Aktion für das Gesundheits-wesen durch den Bundesminister fürGesundheit berufen werden. Zu dem jetzi-gen Sachverständigenrat gehören einSozialmediziner als Vorsitzender, ein Me-dizinökonom, eine Allgemedizinerin, einKliniker, ein Volkswirt, eine Soziologin undein Ökonom/Sozialwissenschaftler. DieserSachverständigenrat war nicht beteiligtan dem GKV-Solidaritätsstärkungsgesetzvon 1998. Das ist schon allein daran zu er-kennen, daß der alte Sachverständigenratim Dezember 1998 entlassen und der alte,gesetzlich fixierte Gutachtenauftrag auf-gehoben wurde; der neue Sachverständi-genrat wurde im März 1999 berufen. Damanche Leser vielleicht nicht genau wis-sen, wie der Sachverständigenrat arbei-tet, will ich das hier kurz skizzieren.

Die gesetzlich festgeschriebene Auf-gabe des Sachverständigenrats bestehtin der Erstellung von Jahres- oder Son-dergutachten für die Konzertierte Akti-on. Es handelt sich also um wissen-schaftliche Politikberatung und keines-wegs um eine Beteiligung bei der Ge-setzgebung. Daher pflegt der Sachver-ständigenrat vor allem, Lösungsoptio-nen für die verschiedenen Probleme zudiskutieren und gibt mehr oder weni-ger eindeutige Empfehlungen ab.

Der Sachverständigenrat war auchnicht beteiligt beim Gesetzesentwurffür die GKV-Gesundheitsreform 2000.Es hat aber anschließend Gesprächevon der Spitze des BMG mit dem Sach-verständigenrat gegeben.

Ob Vorschläge und Kommentare desSachverständigenrates einen Einfluß

Beteiligten. Kommt ein solcher Kon-sens zustande, so dürfte er in der Tat ei-ne Basis für einen sinnvolleren Res-sourceneinsatz sein.

Ich möchte dem bislang Zugängi-gen noch den Punkt Forschungszielehinzufügen. Anläßlich der Eröffnungdes Internistenkongresses in Wiesba-den 1995 habe ich drei Wünsche an eineFortschrittsfee formuliert, die ich hierwiederhole, um deutlich zu machen.daß auch in der Forschung Ziele erklärtwerden können:

1. Den Krebs im Stadium der genomi-schen Disposition zu verhindern undauch bei Metastasierung erfolgreichbehandeln zu können,

2. die Atherosklerose z.B. vor demlnfarkt oder vor dem Apoplex frühdiagnostizieren und im Sinne einerSekundärprävention behandeln zukönnen und

3. organspezifische und systemischeAutoimmunerkrankungen früh dia-gnostizieren und behandeln zu kön-nen, also vor der Manifestation desDiabetes mellitus Typ 1, vor der de-struktiven Phase der chronischen Po-lyarthritis, vor dem Defektstadiumeiner multiplen Sklerose und vor derManifestation einer endokrinen Or-bitopathie bei Morbus Basedow.

Gesundheitsförderung und Prävention. Daszweite Thema aus dem Gutachtenauf-trag, das ich aufgreife, ist das der Ge-sundheitsförderung bzw. das der Prä-vention. Auch dieses Thema spielt inder gesundheitsökonomischen Debatteseit vielen Jahren eine große Rolle. InTeilbereichen ist man weitergekom-men, in anderen Bereichen ist trotz gro-ßer Anstrengungen der Erfolg stagnie-rend oder rückläufig. Leider werden dieBegriffe Gesundheitsförderung undPrävention nicht einheitlich benutzt.Ich selbst halte mich an die Definition,nach welcher Gesundheitsförderungallgemeine Maßnahmen umfaßt, dienicht der Interaktion zwischen einemindividuellen Arzt und einer individu-ellen Person bedürfen. Ein eindeutigesBeispiel wäre der Schulsport.

Primär- und Sekundärpräventiondienen dagegen der individuellen Ver-hinderung von Krankheiten bzw. derVerhinderung der Progression einesSchadens.Tertiäre Prävention wäre danndie wirksame Behandlung einer sym-

Arbeitskreis Jodmangel hat mit Unter-stützung vieler Gremien nicht zuletztder Bundeszentrale für die gesundheitli-che Aufklärung folgendes erreicht: Diefreiwillige Benutzung des jodiertenSpeisesalzes durch die Bevölkerung istausgehend von wenigen Prozenten inden 80er Jahren jetzt bei rund 70% derBevölkerung angekommen. Im glei-chen Zeitraum wurde die Jodaufnahmeder Bevölkerung etwa verdoppelt. Esfehlt heute noch etwa ein Drittel des in-ternational akzeptierten Optimums.Hier muß vor allem noch daran gear-beitet werden, daß die Hersteller vonFertignahrungsmitteln, vor allemBäcker und Schlachter, immer wenn sieSalz zusetzen, jodiertes Speisesalz be-nützen. Das tun bisher nur knapp 40%der Hersteller. Die Begründung liegtdarin, daß ein wichtiger Teil der Ge-samt-Kochsalzzufuhr des Menschenmit Brot- und Fleischwaren erfolgt. Beierwiesenem großen Nutzen dieser Prä-ventionsmaßnahme sind weder demStaat noch den Kassen bisher nennens-werte Kosten entstanden. Es wäre vorallem psychologisch wichtig, daß eineauch nur überwiegend symbolischeFörderung der Jodprophylaxe durchden Staat für die Nahrungsmittelher-steller sichtbar wäre.

Andere aus meiner Sicht wichtigeMaßnahmen der Gesundheitsförde-rung/Prävention müßten auf Überge-wicht, Alkoholmißbrauch und Rauchenzielen. Der Sachverständigenrat hat infrüheren Gutachten folgende Maßnah-men diskutiert:

● Prämienreduktion für Normalge-wichtige in der GKV,

● Alkohol- und Tabaksteuer, die bei-spielsweise direkt der später noch zubesprechenden monistischen Finan-zierung des Krankenhausbaus zugutekommen könnten.

◗ Koronare Herzkrankheit

Lassen Sie mich noch kurz auf ein weite-res konkretes Präventionsproblem ein-gehen, nämlich auf die koronare Herz-krankheit, die ja auch von größter ge-sundheitsökonomischer Bedeutung ist.Eine Reduktion der kardiovaskulärenMortalität ist mit Minderungen um biszu 70% durch das Aufgeben von Rau-chen und durch mediterrane Ernäh-rung sowohl bei der sekundären als

ptomatisch gewordenen Erkrankungmit dem Ziel, eine Verschlimmerung zuverhüten. Der Sachverständigenrat be-nützt diese Definition seit 1988 immerwieder in seinen Gutachten.

Zunächst möchte ich auf die 1994formulierten Voraussetzungen für eineder gesamten Bevölkerung oder einerRisikogruppe zu empfehlende Prophy-laxe eingehen. Diese sind

● daß die zu vermeidende Gesund-heitsstörung in einer auf die Bevölke-rungsgruppen und die Fragestellungbezogenen angemessenen Häufigkeitvorliegt,

● daß sie medizinisch relevant ist,● daß sie volkswirtschaftlich bedeut-

sam ist,● daß die vorliegenden prophylakti-

schen Maßnahmen der zu vermei-denden Krankheit zuverlässig vor-beugen,

● daß die Aufwendungen für die vorge-sehene Maßnahme angemessen sindund

● daß die Prophylaxe selbst kein unver-tretbares Risiko mit sich bringt.

Es fehlt in Deutschland nach wie vor ei-ne Zusammenstellung von Maßnah-men der Gesundheitsförderung/Päven-tion aus allen Gebieten. Ebenso fehlt ei-ne Konsensbildung, welche der Maß-nahmen die genannten Kriterien erfül-len und welche umgesetzt werden soll-ten einschließlich einer Zuordnung derZuständigkeit.

Ich möchte ausdrücklich darauf auf-merksam machen, daß auch für Prä-vention die Forderung des Wirksam-keitsnachweises gilt.

Neben der Frage der Wirksamkeit ver-dient die ökonomische Betrachtung derPrävention noch Ihre Aufmerksamkeit.Aus dem Sachstandsbericht 1994 desSVR ergibt sich, daß die Kosten für prä-ventive Maßnahmen vor den ange-strebten Erträgen anfallen können. In-sofern kann sich ein Zwischenfinanzie-rungsproblem ergeben.

◗ Jodprophylaxe

Konkrete Präventionsvorhaben hat derSachverständigenrat wiederholt ange-sprochen. Ich möchte hier ganz kurzauf die Jodprophylaxe eingehen. Der

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auch bei der primären Prävention mög-lich. Bei diesen Maßnahmen kostet dasgerettete Leben nichts. Medikamentesind deutlich weniger wirksam und ko-sten Tausende oder im Falle der StatineHunderttausende in fünf Jahren pro ge-rettetes Leben.

Kompetenz und Selbstverantwortung. DerGutachtenauftrag an den Sachverstän-digenrat soll zu Maßnahmen Stellungnehmen, die die Kompetenz und dieSelbstverantwortung von Versichertenund von Patienten stärken. Er soll fer-ner das gate-using, also den Zugang zumedizinischen Maßnahmen als einSteuerungselement erläutern. DerGrundsatz ambulant vor stationär istallgemein akzeptiert. Wie schwierigdieses Thema bei detaillierter Betrach-tung ist, zeigt die Notaufnahme unsererKlinik. 62% aller Patienten, die in dieNotaufnahme kommen, können nachUntersuchung und Behandlung wiederentlassen werden. Dieser Anteil ist un-abhängig davon, ob der Patient vomNotarzt oder vom Rettungssanitäter ge-bracht wird, oder ob er selbständigkommt. Es ist bei allen drei Zugangswe-gen offenbar schwierig, die Bedrohlich-keit einer Notfallsituation sofort zuver-lässig zu beurteilen. Andererseits bietetbeim frischen Myokardinfarkt die So-fortdilatation mittels Katheter offenbarVorteile. Für solche Patienten ist derUmweg über eine Notfallpraxis reineZeitverschwendung.

Meines Erachtens müssen integrativeModelle entwickelt werden, die demniedergelassenen Arzt die Versor-gung der ambulanten Fälle vor Ort,d.h. in den Kliniken ermöglicht, wäh-rend am besten im gleichen Raum dasKlinikpersonal die krankenhaus-pflichtigen Fälle versorgt. Solche Mo-delle werden nur sehr zögerlich er-probt und akzeptiert.

Gate-using als Instrument für die Steue-rung des Zugangs zum Krankenhauskönnte meines Erachtens sehr wohl be-deuten, daß außer im Notfall ein Fach-arzt den Patienten vor der Krankenhaus-aufnahme gesehen haben soll, und auchdas Instrument der „second opinion“kann ebenso wie die prästationäre Be-handlung zu einer sinnvolleren Kran-kenhausnutzung führen.

mer noch aus, die nur bei gleichzeitigerReduktion der Studentenzahlen und da-mit letztlich Arztzahlen möglich ist. EineVerbesserung der Weiterbildung mitstrengeren und detaillierteren Prüfun-gen und weiter differenzierten Zulas-sungen ist erforderlich. Schließlich ge-hört auch zur Fortbildung meines Er-achtens eine obligatorische Prüfung.

Qualitätsmanagement und Leitlinien. Gro-ße Erwartungen werden heute in denBereich Qualitätssicherung und Quali-tätsmanagement einschließlich derEntwicklung von Leitlinien gesetzt.Letztere sind ein Anliegen des Sachver-ständigenrates. Wir sehen mit Zufrie-denheit, daß gerade die Ärzte das The-ma der Generierung von Leitlinien auf-gegriffen haben, Allerdings bleibt hiernoch viel zu tun, insbesondere auch inder Frage der Umsetzung. Die Leitlinienbenötigen bei ihrer Erstellung einestandardisierte Methodik, die vonFachleuten geprüft und zertifiziert wer-den muß. Leitlinien entstehen zunächstin einer fachlichen Ebene, bei der es umdie Klärung der sachlichen Zusammen-hänge geht. Leitlinien haben gesund-heitsökonomische Folgen und müssendaher von allen Betroffenen, ich betoneallen Betroffenen, im Sinne des Kon-sensus getragen werden. Betroffen sindbekanntlich sowohl die Kostenträgerals auch die Verbände (Krankenhausund niedergelassene Ärzte) als auch dieBundesärztekammer. Leitlinien zu er-stellen und umzusetzen, das sind ko-stenträchtige Prozesse, die finanziertwerden müssen.

Es kommt noch etwas hinzu. Bishersind Leitlinien wohl vorwiegend unterdem Gesichtswinkel ihres möglichenBeitrages zur Kostenreduktion gesehenworden. In der Tat kann eine Leitlinieder der Einzelleistungsvergütung inne-wohnenden Verlockung zur Mengen-ausweitung entgegenwirken. Es liegtmir sehr daran, auf einen wahrscheinli-chen Paradigmenwechsel aufmerksamzu machen.

In dem Maße, in dem pauschalierteVergütungen für Leistungen bis hinzum DRG-System zukünftig zur An-wendung kommen, hat die Leitlinievor allem zu definieren, welche Min-destleistung erbracht werden muß,ehe eine Pauschale abgerechnet wer-den kann.

„Evidence based medicine“. In der gegen-wärtigen Diskussion spielt der Begriffder „evidence based medicine“ einegroße Rolle. Der ganze Komplex derZulassung von Arzneimitteln, einer Po-sitivliste, die Rolle von Ausschüssen fürLeistungskataloge in der GKV, bekanntals NUB-Ausschuß für die ambulanteMedizin und in analoger Weise vorge-schlagen für die stationäre Medizin,würde den Rahmen dieser kurzen Erör-terung zweifellos sprengen. Der Sach-verständigenrat befürwortet die Beto-nung des Wirksamkeitsnachweises un-ter Berücksichtigung der medizinöko-nomischen Konsequenzen und hat jaeine ganze Reihe von Vorschlägen indieser Richtung gemacht.

Hier möchte ich nur ein einziges,bisher zuwenig beachtetes Problem an-sprechen. Jenseits der Wirksamkeits-medizin gibt es einen Bereich, den icham liebsten „ut aliquid fiat“-Bereichnenne. Wohlgemerkt, es handelt sichnicht um Plazebomaßnahmen. Ein ty-pisches Beispiel wäre die fortgeschritte-ne Krebserkrankung, die im Sinne deskurativen Ansatzes und auch im Hin-blick auf eine mögliche Lebensverlän-gerung keine Möglichkeiten mehr bie-tet. Es gibt Patienten, denen man dieZytostatika nicht einfach wegnehmenkann, die vielmehr irgend eine wie auchimmer gestaltete Fortsetzung der Be-handlung brauchen. Diese kann inmanchen Fällen in einer niedrig dosier-ten, sicher nicht wirksamen Zytostati-ka-Therapie bestehen, sie ist häufig derNaturheilkunde oder der Erfahrungs-medizin zuzuordnen, und sie ist in je-dem Fall mehr als eine reine Schmerz-therapie. Dieser „ut aliquid fiat“-Be-reich ist nicht mehr mit den Kriteriender evidence based medicine zu über-ziehen. Worauf es ankommt, ist viel-mehr die Definition von Maßnahmen,die wirtschaftlich vertretbar und ohneunerwünschte Nebenwirkungen seinmüssen. Da der Suggestionsfaktor wohlhäufig eine große Rolle spielt, wird mannicht alles reglementieren können undsollte sich auf die Vermeidung merkan-tiler Mißbräuche konzentrieren.

Personale Optimierung. Handlungsbedarfbesteht nach der bereits publiziertenMeinung des Sachverständigenrates imSektor der personalen Optimierung. Da-zu nur wenige Worte. Die Verbesserungder Ausbildung des Mediziners steht im-

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Wahrscheinlich ist diese Funktion derLeitlinien in Zukunft noch wichtiger alsbisher. Qualitat heißt Vermeidung vonÜberflüssigem und Erfüllung von Not-wendigem.

Wenn der Sachverständigenrat inseinem letzten Gutachten 1997 die Er-gebnisorientierung der Vergütung ge-fordert hat, so geschah das in der Vor-stellung, daß die Einhaltung von Leitli-nien einen Anreiz erhalten könntedurch einen diesbezüglichen Bonus.Für Qualitätssicherung, Qualitätsma-nagement und Leitlinien gilt, daß sienur gemeinsam mit den Leistungser-bringern im Gesundheitssystem zurWirksamkeit gebracht werden können.Überall da, wo geeignete Ziele und gesi-cherter Handlungsbedarf erkannt wer-den, wird man über Anreiz- und Beloh-nungsmechanismen nachdenken müs-sen, die die Verbesserungen leichterdurchsetzen lassen.

Monistik und Globalbudget. Lassen Siemich zum Abschluß noch zwei in derletzten Zeit besonders kontroverse Be-griffe ansprechen, nämlich Monistikund Globalbudget.

Der Sachverständigenrat hat schonlange gefordert. daß die Finanzierungdes Krankenhausbaus an die Kostenträ-ger, also im wesentlichen an die GKVübertragen werden soll. Die GKV-Ge-sundheitsreforrn 2000 legt mit § 17cder Änderung des Krankenhausfinan-zierungsgesetzes fest, daß ab 2008sämtliche Investitionen von den Kassen

Krankenversorgung in den Universi-tätsklinika in die monistische Finanzie-rung durchaus befürwortet, sofern eintatsächlich leistungsgerechtes Vergü-tungssystem, also z.B. ein funktionie-rendes DRG-System zum Tragenkommt.

Zu guter Letzt noch ein paar Wortezum Globalbudget. Die Kritik am Para-graphen 142 stammt aus der einseitigökonomischen und zu geringen medi-zinischen Orientierung. Mittlerweilescheint die Erkenntnis um sich zu grei-fen, daß eine Korrekturmöglichkeiteingebaut werden muß. Es gilt, gegebe-nenfalls dramatische medizinischeFortschritte oder dramatische Verände-rungen des Leistungsgeschehens (Mor-bidität, Demographie) auffangen zukönnen. In der Diskussion ist eine Mit-wirkung des Sachverständigenrates fürdie Konzertierte Aktion im Gesund-heitswesen bei der Frage, wann das Glo-balbudget verändert worden muß. Ge-gebenenfalls muß Handlungsbedarf ge-meinsam mit allen Beteiligten (Kassen,BÄK, DKG, KBV) aufgezeigt und Mini-sterium und Parlament übermitteltwerden.

(Nach einem Vortrag für die Jahrestagungder ZMT (Zentralvereinigung Medizin-Technik und Sanitäts-Fachhandel), Mann-heim, 8.10.1999)Prof. Dr. med. h.c. Peter C. ScribaDirektor der Medizinischen Klinik Klinikum Innenstadt der Universität MünchenD-80336 München

getragen werden. Auch diesen Komplexkann ich hier nur streifen.

Persönlich habe ich Zweifel daran,daß bei der Verlagerung der Finanzie-rung der Investitionen von Steuermit-teln zu Beitragsmitteln Beitragserhö-hungen vermieden werden können.

Ich denke, daß in der Frage der Gegenfi-nanzierung noch verhandelt werdenmuß, z.B. über dedizierte Steuern aufAlkohol und Tabak wie bereits erwähnt.Aber auch rechtliche Bedenken schei-nen mir angemessen. Bei einem Über-gang des Sicherstellungsauftrages fürdie stationäre Versorgung vom Staat auf„die Kassen“, das müßten dann wohlGKV und PKV sein, muß geklärt wer-den, wie Streitfragen geschlichtet wer-den können. Wer haftet z.B., wenn einberechtigter Versorgungsanspruch ausKapazitätsgründen nicht befriedigtwerden kann?

Die dritte Sorge betrifft die Über-gangszeit. Es steht doch zu befürchten,daß bis zum Beginn der monistischenFinanzierung der bisherige Kranken-hausträger nur noch die allernotwen-digsten Investitionen tätigt, so daßStillstand und Verfall um sich greifen.

Nur damit keine Mißverständnisseauftreten: Eine verbesserte Mitwirkungder Kostenträger, d.h. der Kassen beider Krankenhausplanung ist meinesErachtens durchaus angemessen.

Übrigens hat der Wissenschaftsratden Einschluß der Investitionen für die

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H. Kues

Die Versorgung ist gefährdet

tragszahler auf Grund der Vereinbarungen,die Sie auch mit der Bundesärztekammer ge-troffen haben, ihren Gürtel enger schnallenmüssen, gilt das für die anderen nicht. Siesind nicht betroffen vom Globalbudget. Mitsolchen Regelungen, die nicht zu Ende ge-dacht sind, gefährden Sie nicht nur die Ver-sorgung mit dem medizinisch Notwendigen,sondern erschüttern auch das Vertrauen indie Funktionsfähigkeit dieses Systems, und

Die jetzt auftretenden Ungereimtheiten sinddie Folge einer unsteten Gesundheitspolitik,bei der der Eindruck entsteht, daß die zahlen-den Kassenpatienten im Endeffekt die Dum-men sind.Die Wut der Menschen ist zu verste-hen, die den Eindruck haben, daß neue Wi-dersprüchlichkeiten noch zu neuen Unge-rechtigkeiten führen – mit dem Ergebnis, daßes jetzt eine neue, ganz spezielle Form vonZweiklassenmedizin gibt: Während die Bei-

In den letzten Tagen hat es Meldungengegeben, dass auf Grund der Verände-rungen bei der Arzneimittelversorgungmittlerweile Kassenpatienten, die regel-mäßig ihre Beiträge zahlen, bei der Arz-nei-und Heilmittelversorgung schlech-ter behandelt werden als jene, die ledig-lich Krankenfürsorge bekommen, ob alsSozialhilfeempfänger, ob als Strafgefan-gener oder auch als Asylbewerber.