Gewalt und Islam - Serdargunes' Blog · PDF filenannte kleine Djihad, wird in der...

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  • sellschaftlichen Umstnden. Diese beidenEbenen zu unterscheiden, das ist die wich-tigste Aufgabe seriser Koranarbeit. Ein-zelne Zitate, aus dem Text gelst, verm-gen nichts und alles auszusagen.

    Es ist bemerkenswert, dass das arabi-sche Wort, das im Deutschen gewhnlichmit Gewalt wiedergegeben wird, in ers-ter Linie Strenge und Hrte bedeutet. DerKoran verwendet es nicht. Doch kndigtder Koran das Gericht Gottes an fr Ge-walttter und Kriminelle, die angreifen,morden und unterdrcken.

    Auf dem Hintergrund, dass diemenschliche Person grundstzlich unan-tastbar ist, verbietet der Koran insbe-sondere in der ersten Verkndigungspe-riode Muhammads von 610 bis 622 dieGewaltanwendung. Er nennt den Men-schen Stellvertreter Gottes auf Erden underinnert die Muslime an die Gesetze, dieGott schon dem Volk Israel gegeben hat:Aus diesem Grund haben wir den Kin-dern Israel vorgeschrieben, dass, wenn ei-ner jemanden ttet, und zwar nicht etwazur Rache fr jemand anderes, der vondiesem gettet worden ist, oder zur Strafefr Unheil, das er auf der Erde angerich-tet hat, es so sein soll, als ob er die Men-schen alle gettet htte (K 5,32). Die Ach-tung der Menschenwrde ist der islami-schen und der christlichen Anthropologiegemeinsam.

    Der Koran nennt jedoch zwei Ausnah-men vom absoluten Verbot der Ttung.Die erste Ausnahme betrifft die Bestra-fung des Mrders entweder durch Ver-geltung oder durch Verteidigung, und

    Nach den Terroranschlgen, die Attent-tern islamischer Religionszugehrigkeitzugeschrieben werden, kursieren Deu-tungen, die auf die spezifisch antiwestli-che Haltung der Muslime und auf dasvorherrschende politische, wirtschaftli-che und soziale Elend in der so genanntenislamischen Welt anspielen und vermu-ten lassen, die missionarisch-gewaltsameKomponente habe im radikalen Islameine strkere Ausprgung als in anderenReligionen. Dabei halten Besonnene fest,nicht der Islam an sich verbe Gewalt-akte, sondern militante Vertreter einervon islamischen Traditionen inspiriertenpolitischen Ideologie. Wie, das ist dieFrage, fhren die koranischen Inspiratio-nen in die Gewaltbereitschaft?

    Solide KoranexegeseMuslime mssen den Koran befragen,wenn sie die Grundlagen fr das gottge-fllige, ideale Leben erkennen wollen. Siedrfen allerdings nicht den Fehler bege-hen, den wir in der kurz gegriffenen Ar-gumentation dieser Tage beobachten, nureinzelne Verse des Korans zu analysierenund der eigenen Meinung widerspre-chende Verse zu ignorieren. Die Koran-exegese, die wissenschaftlichen Kriteriengengt, bezieht die historische Situation,in die die Verse gesprochen wurden, undden Kontext mit ein. Koranexegese nimmtden Koran in seiner Gnze wahr, das heit als das Wort gttlichen Ursprungs,ewige Wahrheiten verkndend und zu-gleichals berlegungen zur Beantwortungmenschlicher Fragen in bestimmten ge-

    Seite 53Nr. 385 Dezember 2001

    Zum Verstndnis der Menschenwrde

    im Koran

    Gewalt und IslamBarbara Huber-Rudolf

  • das ist, was der Koran als gerechte T-tung bezeichnet. Gerecht ist die Vergel-tung: Wenn nun einer gegen euch ber-griffe begeht, dann zahlt ihm mit gleicherMnze heim (K 2,194). Dazu ist dreierleizu sagen: Erstens befrchtet der Koran imFall der Duldung von bergriffen Anar-chie: Die Wiedervergeltung sichert euchdas Leben. Bedenkt dies, die ihr Verstandhabt (K 2,179). Zweitens darf eine Ag-gression nicht durch eine grere vergol-ten werden, und drittens verweist der Ko-ran immer darauf, dass man sich auf dieGerechtigkeit Gottes, seine Vergebungund Wiedergutmachung besinnen mge.

    Der DjihadDie zweite Ausnahme vom Ttungsver-bot ist der Djihad. Eine bersetzung desarabischen Wortes mit Heiliger Kriegist nicht angemessen. Vielmehr meint derBegriff die Anstrengung, sich gegen deninneren und ueren Feind zur Wehr zusetzen. Das Streben auf dem Wege Gottesin spirituellem und ethischem Sinne kanngnzlich unkriegerisch aufgefasst wer-den. Es wird als der groe Djihad bezeich-net. Insbesondere in der schiitischenLehr- und Rechtstradition, in der der Dji-had die so genannten Fnf Sulen umeine weitere ergnzt, greifen die Denkerauf diese geistliche Interpretation zurckund beziehen sich auf eine Spruchweis-heit Muhammads, die lautet: In jeder Re-ligion gibt es eine Art Askese. Die Askesemeiner Religion ist der Djihad. Der Ein-satz der Glubigen zur berwindungjeglicher Ungerechtigkeit und Unter-drckung und zur Selbstberwindung,auch zur Leidensfhigkeit und zum Er-dulden von Entbehrungen und Gefahrenkann darunter verstanden werden. UnterBezugnahme auf diese Bedeutung vonDjihad riefen die Mullahs im Iran nachder islamischen Revolution zum Djihaddes Wiederaufbaus durch Verbesserun-gen in der Landwirtschafts- und Bil-dungspolitik auf.

    Die heute oft zitierten Verse des Ko-rans sprechen nicht die Sprache des Frie-dens und der Askese, verdienen aber einedahingehende Relativierung. Wir hieltenfest, dass der Koran in der Situation derersten islamischen Gemeinde verortetwerden muss. Da Muhammad wegen derAuseinandersetzungen mit den Mekka-nern aus seiner Heimatstadt auswandernmusste, erfhrt er schlielich in Medinadie Offenbarung: Denjenigen, die gegendie Unglubigen kmpfen, ist die Erlaub-nis zum Kmpfen erteilt worden, weil ih-nen vorher Unrecht geschehen ist. Da-mit ist ein Element in den Islam einge-fhrt, das fr seine Ausbreitung von Be-deutung bleiben sollte. Als sich seineAnhnger zurckhaltend zeigten, dieehemaligen Stammesbrder zu bekmp-fen, und ngstlich reagierten, drohte derKoran mit dem Gericht beziehungsweisesagte paradiesische Entlohnung zu:Hast du nicht jene gesehen, zu denenman anfnglich sagte: Haltet eure Hndevom Kampf zurck und verrichtet dasGebet und gebt die Almosensteuer? Alsihnen dann vorgeschrieben wurde zukmpfen, frchtete auf einmal ein Teilvon ihnen die Menschen. [. . .] Sag: DieNutznieung des Diesseits ist kurz be-messen. Und das Jenseits ist fr die, diegottesfrchtig sind, besser (K 4,77). DieAufforderung des Korans wird immerdringlicher, sich gegen die Unglubigen,speziell in Mekka, auf der ArabischenHalbinsel im Allgemeinen, zur Wehr zusetzen: Wenn ihr auf einem Feldzug mitden Unglubigen zusammentrefft, dannhaut (ihnen mit dem Schwert) auf denNacken! Wenn ihr sie schlielich nieder-gekmpft habt, dann legt sie in Fesseln[. . .] (K 47,4). Von der Mehrzahl derMuslime werden diese Verse nicht als ge-nerelle Aufforderung begriffen, sondernals Kommentar zu einer bestimmtenSchlacht.

    Die Bedeutung des Djihad als bewaff-neter Glaubenskampf, das ist der so ge-

    Seite 54 Die politische Meinung

    Barbara Huber-Rudolf

  • nannte kleine Djihad, wird in der spterenEntwicklung der juristischen und theolo-gischen Interpretation durch das islami-sche Recht erweitert. Folgende Themen-bereiche stehen im Mittelpunkt der Dis-kussion: Vertrge mit Christen und Ju-den im islamischen Staat, deren Steuer-verpflichtungen, die Berechtigung, Kir-chen und Synagogen zu erhalten, dieAufteilung der Welt nach islamischemVlkerrecht und die Bedingungen desDjihad. In den Erneuerungsbewegungendes neunzehnten und zwanzigsten Jahr-hunderts setzt sich die Meinung durch,der Islam msse von allen nichtislami-schen Elementen gereinigt werden undes msse eine Rckbesinnung auf dieQuellen des Islams und seine wahrenPrinzipien stattfinden. Nur so sei die

    Schaffung eines wirklich islamischen po-litischen und gesellschaftlichen Systemsmglich. Das Mittel der Reinigung seider Djihad. Der illegitimen Gewalt derzeitgenssischen Herrscher setzt er dielegitime Gewalt der muslimischen Ge-meinschaft entgegen. Die Idee des Djihadwurde in der Moderne als Reaktion aufdie dauernde Okkupation islamischerGebiete und Beeinflussung der Muslimedurch die Kolonialmchte wieder belebt.In den sechziger und siebziger Jahrenwurde bis in einige Verfassungen derStaaten mit berwiegend muslimischerBevlkerung hinein daher der Befrei-ungskampf als Djihad gesehen und ver-ankert. Auch die Kmpfe gegen Israelwerden bisweilen als Djihad gerechtfer-tigt. Diesen Staat empfinden Muslime als

    Seite 55Die politische Meinung

    Gewalt und Islam

    Gebetsstunde in einer Klner Moschee 1987.Eine solide Koranexegese macht deutlich, dass fundamentalistische Rezeptionen

    an wesentlichen Elementen des Islam vorbeigehen.Foto: O. Mack, Ausschnitt

  • Fremdkrper und Werkzeug der Impe-rialisten.

    Islamisches VlkerrechtNach der Lehre des klassischen islami-schen Vlkerrechts ist die Welt in einGebiet des Islams (dar al-islam) und einGebiet des Krieges (dar al-harb) unter-teilt. Das Gebiet des Krieges kann zu ei-nem Vertragsgebiet werden, wobei diemuslimische Regierung der nichtmusli-mischen Minderheit Sicherheit undSchutz von Leben und Besitz garantiert.In der Praxis zeigt die Geschichte durch-aus friedliche Phasen des Zusammenle-bens, in denen kein Druck auf die Nicht-muslime ausgebt wurde, zum Islamberzutreten. Bedingung allerdings ist,dass die Nichtmuslime demtig mit ih-rer Religionsausbung umgehen unddie ffentliche Ordnung nicht stren.Grundstzlich ist ihnen jede missionari-sche Aktivitt untersagt. Kommen keineVertrge mit den an das islamische Ge-biet grenzenden Nichtmuslimen zuStande, ist der Kalif im Falle eines An-griffes dazu berechtigt, den Verteidi-gungskampf auszurufen.

    Die Bedingungen fr den kleinen Dji-had sind also: Erstens: Es handelt sich um eine allge-meine Pflicht im Gegensatz zur individu-ellen Pflicht. Nur der Kalif kann zumKrieg seiner Gemeinschaft auffordern. Zweitens: Der Djihad wird nur gegenNichtmuslime gefhrt. Drittens: Er ist immer nur im Verteidi-gungsfall gerechtfertigt. Viertens: Die Nichtmuslime mssen zu-erst dazu aufgefordert werden, zum Is-lam berzutreten, dann ist ihnen einSchutzvertrag anzubieten, schlielichknnen sie bekmpft werden.

    Die Idee des kleinen Djihad als mi-litrischen Einsatzes zur Verteidigungdes Islams immer als Religionsgemein-schaft und gleichzeitig als Staatswesenverstanden begnstigt die Mobilisie-

    rung von Massen und einzelnen religi-sen Fanatikern.

    Ander