glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer...

58
Ausgabe 2/2012 Nr. 10 5. Jahrgang … sodass ihr nicht tut, was ihr wollt! Evangelisation und Calvinismus F. Schaeffer Lehren aus seinem Denken und Leben Rezensionen Zeitschrift für Freunde des Martin Bucer Seminars glauben & denken heute

Transcript of glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer...

Page 1: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen

glauben amp denken heute 22012 1

Ausgabe 22012 Nr 105 Jahrgang

hellip sodass ihr nicht tut was ihr wolltEvangelisation und CalvinismusF Schaeffer Lehren aus seinem Denken und LebenRezensionen

Zeitschrift fuumlr Freunde des Martin Bucer Seminars

glauben amp denken heute

Inhalt

Zeitschrift fuumlr Freunde des Martin Bucer Seminars

Martin Bucer Seminar(Bonn Innsbruck Istanbul Prag Zuumlrich)

Traumlger bdquoMartin Bucer Seminarldquo eV Bleichstraszlige 59 75173 Pforzheim DeutschlandEingetragen beim Amtsregister Pforzheim unter der Nummer VR1495

GeschaumlftsfuumlhrerManfred Feldmann

HerausgeberProf Dr Thomas Schirrmacher (ts) (visdP)

Leitender RedakteurRon Kubsch (rk)

Weitere RedaktionsmitgliederTitus Vogt (tv) Johannes Otto (jo) Dr Daniel Facius (df)

Gestaltung Beate Hebold

ISSN 1867-5573

TextbeitraumlgeManuskripte sind ausschlieszliglich per E-Mail mit den zugehoumlrigen Dateien im RTF-Format an die Redaktion von glauben amp denken heute zu senden gudhbucereu

glauben amp denken heute

7 8 6 uuml

Jetzt Neu Uumlberarbeitete Fuszlignotenfuumlhrung ndash den Cursor auf die jeweilige Fuszlignotenziffer fuumlhren bis sich ein Pop-Up Fenster oumlffnet

bull Editorial 3 (Johannes Otto)

bull Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden 4

(Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher)

bull Evangelisation und Calvinismus 10 (Prof Dr Clair Davis)

bull Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben 12

(Prof Dr Stephen J Wellum)

Rezensionen

bull Die Araber und der Holocaust 34 (Carmen Matussek)

bull Warum Gerechtigkeit 37 (Dr Daniel Facius)

bull Christian Zionism Examined 39 (Dr Gerhard Gronauer)

bull Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit 41 (Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher)

bull Witness of the body 46 (Wolfgang Haumlde)

bull Falling wallsndash the year 198990 48 (Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher)

bull Neuere Buumlcher uumlber Konstantin den Groszligen 51 (Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher)

bull Novum Testamentum Graece x 28 55 (Carsten Friedrich)

glauben amp denken heute 22012 3

editorial

hellip sodass ihr nicht tut was ihr wollt

7 8 6 uuml

Liebe Freunde

der Bruch der ersten Menschen mit Gott war ein Vertrauensbruch Der Mensch dachte er koumlnne denkerisch die Wirklichkeit uumlberblicken und uumlber-sah die Grenzen seiner Erkenntnis Statt der liebevollen und bewahrenden Weisung Gottes zu gehorchen nahm der Mensch das Zepter selbst in die Hand und folgte einem verfuumlhrerischen Angebot Seither steht der Mensch in diesem Zwiespalt Kannte er bis dahin nur das Gute das Gott ihm unmit-telbar zugedachte ist er nun um die Erkenntnis des Boumlsen reicher und dem Tod verfallen

Dass das nicht wirklich ein Gewinn ist wie der Verfuumlhrer angepriesen hat-te liegt auf der Hand Bei genauer Betrachtung wird deutlich dass die scheinbar freie Entscheidung des Men-schen weder voumlllig frei war noch Frei-heit brachte Auf der einen Seite stand die goumlttliche Weisung auf der anderen

Seite kam die daumlmonische Versuchung die sich nicht als gleichwertige Alterna-tive darstellt sondern sich als besseres Angebot einschleicht den Menschen sinnlich lockt und ihn letztlich ver-fuumlhrt

Wie ein Nebel legen die Aussagen der Schlange sich nach und nach um das Denken des Menschen bis dieser schlieszliglich den klaren Blick fuumlr das goumlttliche Wort verliert Das geistliche Wort Gottes dass der an sich sehr gu-ten Schoumlpfung ihren Weg weist wird verdreht und verdunkelt Der Blick auf Gott wird versperrt Der Mensch bleibt bei sich selbst dem unterworfen was er sich eigentlich haumltte unterwerfen sol-len Freiheit Weit gefehlt Unweiger-lich draumlngt sich Luthers Aussage auf dass der Mensch entweder von Gott oder vom Teufel geritten wird bdquoDenn das Fleisch widerstrebt mit seinem Begehren dem Geist und ebenso der

Geist dem Fleisch denn diese beiden liegen im Streit miteinander (und dul-den nicht) dass ihr das tut was ihr tun moumlchtetldquo (Gal 517 MENGE) Freiheit verstanden als bdquodas tun was ich willldquo ist letztlich eine Illusion Offensichtlich sind nicht einmal die Gedanken frei ndash denn sie koumlnnen erraten werden Nicht ich kann mir Freiheit schaffen ndash weder durch mein Denken noch durch krea-tive und kuumlnstlerische Aktivitaumlt noch durch handfeste Taten Die Unfreiheit des Menschen hatte mit einem verfuumlh-rerischen Gedanken begonnen und en-dete in einer zerstoumlrerischen Tat die die gesamte Menschheit in einen undurch-sichtigen todbringenden Nebel versetzt hat der den Blick auf Gott versperrt

bdquoDer Geist des Herrn ruht auf mir denn der Herr hat mich gesalbt Er hat mich gesandt mit dem Auftrag den Armen gute Botschaft zu bringen den Gefangenen zu verkuumlnden dass sie frei

sein sollen und den Blinden dass sie sehen werden den Unterdruumlckten die Freiheit zu bringenldquo (Lk 418 NGUuml) Freiheit finden wir nur im Vertrauen auf die Wahrheit und das Handeln Gottes in Jesus Christus Wo wir sei-nem Wort glauben lichtet sich der Ne-bel und klaumlrt sich der Blick auf den hei-ligen ewigen Gott Der Glaube an die goumlttliche Wahrheit macht frei indem er unser Denken und Tun fuumlr Gott oumlff-net und sie zugleich in ihre Schranken verweist

Dem der noch im Nebel wandert bleibt dieser Glaube widersinnig und toumlricht wo aber allmaumlhlich die Son-nenstrahlen der goumlttlichen Wahrheit durchbrechen (Apg 2613 Offb 116 225) beginnt der Aufbruch in ein be-freites Leben vor Gott bdquoDein Wort ist meines Fuszliges Leuchte und ein Licht auf meinem Wegldquo (Ps 119105 LUTHER)

Johannes Otto

4 7 8 6 uuml

Ich finde es immer wieder neu verwun-derlich dass seit Jahren und Jahrzehn-ten zunehmend in christlichen Kirchen von den Geistesgaben die Rede ist dies aber das Pastorenamt oder die Ausbil-dung dazu kaum erreicht hat Dabei betreffen die im Neuen Testament ge-nannten Geistesgaben ganz wesentlich auch die Lehr- und Leitungsaufgaben Waumlhrend man fuumlr alle Gemeindemit-arbeiter darauf achtet dass sie ihren Gaben entsprechend eingesetzt wer-den ihre Gaben finden und entwi-ckeln thront der Pastor wie vor 400 Jahren vermeintlich universal begabt uumlber allem und praumlgt seine Gemein-de einseitig seiner Gabe entsprechend ndash viele vorbildliche Ausnahme bestauml-tigen trotzdem eine gar weltweite Re-gel Waumlhlen wir nur ein Beispiel die

Predigten Muumlssten die Predigenden nicht abwechseln da jeder Predigen-de mit seinen Gaben seine Gemeinde zu einseitig praumlgt wenn immer nur er predigt1 Wie bekommt eine Gemeinde auch einmal Lehrpredigten wenn der Pastor ein ausgesprochener Evangelist ist und umgekehrt

Wie bekommt eine Gemeinde glo-balen Welt- und Weitblick wenn der Pastor eher seelsorgerlich die Proble-me beim Einzelnen und vor Ort sieht wie werden diese Probleme ernst ge-nommen wenn der Pastor vor allem Weitblick hat Die wenigsten koumlnnen einen Fischteich und das groszlige Meer gleichzeitig kennen lieben und pfle-gen Nun mag der auszligergewoumlhnliche Pastor sogar zwei oder drei Gaben ab-decken koumlnnen aber alle Der Pastor

der gleichermaszligen in seinen Predigten Apostel Prophet Evangelist Hirte und Lehrer ist der Einzelseelsorge und gesellschaftlichen Weitblick Diakonie und Weltmission gleichmaumlszligig im Blick hat ndash den gibt es einfach nicht

Zum Gluumlck wird es in den Gemein-den immer normaler Vollzeitlichkeit (das heiszligt vor allem Bezahlung) nicht nur fuumlr den Pastor zu sehen sondern fuumlr jeden Mitarbeiter einer Gemeinde dessen Ausbildung Erfahrung Faumlhig-keiten und Gaben nicht nur nebenbei gebraucht werden sondern zeitlich in groszligem Umfang

Das Problem liegt natuumlrlich nicht nur bei den Pastoren Viele Gemeinden begehen immer noch den Fehler zu meinen sie wuumlrden ihren Pastor vor al-lem fuumlrs Predigen bezahlen statt etwa

fuumlr die Mitarbeiterfoumlrderung und wer-fen ihrem Pastor Faulheit vor wenn er nicht immer predigt (bdquoWofuumlr bezahlen wir Sie eigentlich wenn Sie sonntags wie alle nur in den Reihen sitzenldquo) Aber wenn die Gemeinde unbedingt nur ihre eigenen bezahlten Pastoren houmlren will dann muss sie eben zwei oder drei gabenmaumlszligig unterschiedlich ausgerichtete Pastoren anstellen

In meinen 21 Thesen zur alternativen theologischen Ausbildung schrieb ich

bdquo8 These Die Gaben des Schuumllers soll-ten ndash zumindest teilweise ndash starke Be-ruumlcksichtigung finden Es geht darum moumlglichst gut und intensiv zu lernen nicht darum bestimmten instituti-onellen Vorga ben zu genuumlgen Gilt etwa 1Petr 410 (bdquoSo wie jeder eine Gnadengabe empfangen hat so dient

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 57 8 6 uuml

da mit einan der als gute Ver walter der verschie denartigen Gnade Gottesldquo) fuumlr eine theologische Ausbildung nicht Wenn wir Menschen dafuumlr vorberei-ten wollen ihr Leben lang ihre Ga-ben sinnvoll und nutzbringend fuumlr das Reich Gottes einzuset zen muumlssen diese Gaben doch schon in der Ausbil-dung eine zentrale Rolle spielen Dabei bedingen auch die unterschiedlichen Geistesgaben recht unterschiedliche Lerntypen und insbesondere Interessen Deswegen sollte ein Studienprogramm neben dem fuumlr alle wichtigen gemein-samen Basiswissen die Moumlglichkeit bieten sich inhaltlich entsprechend der Gaben zu sbquospezialisierenlsquo Die Spezialisierungs moumlglichkeiten anhand der klassischen theologischen Faumlcher entsprechen zu wenig bestimmten Ga-ben und bieten nur teilweise die not-wendigen Entfaltungsmoumlglich keitenldquo

Und besteht nicht auch in der Gemein-deleitung die Gefahr dass die Gaben des Pastors (oder des Einflussreichsten) die Gemeinde entgegen dem Willen der neutestamentlichen Apostel einsei-tig praumlgen

Die Gemeindeleitung mit einem breiten Spektrum an Erfahrung Ga-ben Begabung und Faumlhigkeiten ist ndash unter Jesus als dem Haupt der Gemein-de und dem Heiligen Geist ndash sbquohoumlchste Instanzlsquo der Gemeinde nicht eine einzelne Gabe und nicht ein einzelner Gabentraumlger

Thesen zu den Geistesgaben2

Einheit und Vielfalt in Roumlm 121ndash8

Es ist bezeichnend dass Paulus unter dem bdquoWillen Gottesldquo (Roumlm 122) nicht nur die Gebote ver steht die fuumlr alle Men schen und Christen gleicherma-szligen ver bindlich sind (vgl z B Roumlm 138ndash10) son dern im ermahnenden Teil des Roumlmerbriefes (Roumlm 12ndash15) nach den allgemei nen Versen (Roumlm 121ndash2) als Erstes auf einen Bereich zu sprechen kommt in dem sich Chri sten nach dem Gebot und Wil len Gottes voneinander unterscheiden Die Bibel offenbart uns nicht nur wo Gott Ein-heit schafft und for dert sondern auch wo Gott Vielfalt schafft und fordert

So wie der dreieinige Gott selbst Einheit und Viel falt in einem ist so soll auch die Gemeinde Jesu einer-seits durch Einheit in Lehre Glauben Motivation und Hingabe andererseits durch die Vielfalt an Persoumln lichkeiten Gaben und Diensten gekennzeichnet sein

Schon bei der Schoumlpfung schuf Gott die Welt in Einheit und Vielfalt in Grenzen und in Freiheit Fuumlr Adam und Eva galt die Freiheit von jedem Baum des Gartens essen zu duumlrfen und zugleich die Grenze von einem be-stimmten Baum nicht essen zu duumlrfen

Nur die Schlange machte daraus dass die Menschen von gar keinem Baum essen duumlrften (1Mose 31+216ndash17)

Wir muumlssen in unseren Gemeinden dringend unterscheiden lernen wo Gott durch eindeutige Gebote von al-len Gemeindegliedern das gleiche er-wartet und wo Gott Frei heit gibt ja Vielfalt fordert und ihm jede Gleich-macherei zuwider ist

Gott fordert zum Beispiel nicht jeden auf so viel zu evangelisieren wie dies jemand mit der Gabe des Evangelis-ten tut oder soviel zu geben wie dies jemand mit der Gabe des Gebens tut Niemand muss acht Stun den am Tag beten obwohl Gott schon manchen mit der Gabe des Glaubens gebraucht hat der dies getan hat und dazu die nouml-tige Zeit erhielt (z B im Gefaumlngnis) Wie viel unnoumltiges schlechtes Gewis-sen wurde schon da durch erzeugt dass man eine Gabe oder einen bestimmten Dienst zum Maszligstab fuumlr alle Gemein-deglieder erhoben hat

Die Geistesgaben in Roumlm 123ndash8

bdquoDenn ich sage durch die Gnade die mir gegeben wurde jedem der unter euch ist nicht mehr von sich zu den-ken als es sich zu denken gebuumlhrt son-dern darauf bedacht zu sein dass er besonnen ist wie Gott einem jeden das Maszlig des Glaubens zugeteilt hat Denn wie wir in einem Leib viele Glieder ha-

ben aber die Glieder nicht alle dieselbe Taumltigkeit haben so sind wir vielen ein Leib in Christus einzeln aber Glieder voneinander und haben verschiedene Gnadenga ben nach der uns verliehe-nen Gnade sei es Weissagung so nach dem Maszligstab des Glaubens sei es Dienst so im Dienen sei es der Lehrer so in der Lehre sei es der Ermahnende so in der Ermah nung der Mitteilende in Einfalt der Vorstehende mit Fleiszlig der Barmherzigkeit Uumlbende mit Freu-digkeitldquo (Roumlm 123ndash8)Zum bdquoWillen Gottesldquo (Roumlm 122)

gehoumlrt es also dass der Christ die Ga-ben einsetzt die Gott ihm gegeben hat und demuumltig akzeptiert dass Gott die Gaben zuteilt und nicht der Mensch Die Unzufriedenheit damit dass Gott durch das Zuteilen der Gaben auch daruumlber bestimmt wo sich der einzel-ne Christ einsetzen soll kann sich auf zweierlei Weise aumluszligern 1 in der Uumlber-heblichkeit mehr zu koumlnnen und 2 in der scheinbaren Demut nichts oder kaum etwas zu koumlnnen

Deswegen ermahnt Paulus bdquonicht houmlher von sich zu denken als sich zu denken gebuumlhrtldquo (Roumlm 123) Die Ant-wort auf Selbstuumlberschaumltzung ist nicht die Selbstunterschaumltzung (Minderwer-tigkeitsgefuumlhl) sondern so zu denken bdquowie es sich zu denken gebuumlhrtldquo also bdquodarauf bedacht zu sein dass er be-sonnen ist wie Gott einem jeden das Maszlig des Glaubens zugeteilt hatldquo (Roumlm

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden

6 7 8 6 uuml

123) Wer denkt sbquoIch kann alleslsquo ist ebenso un geistlich wie der der denkt sbquoIch kann nichtslsquo Stolz und Minderwer-tigkeitskomplexe sind nur zwei Seiten einer Muumlnze Uumlber die falsche Demut kann Gott naumlmlich ndash wie das Beispiel des Mose zeigt der meinte nicht reden zu koumlnnen (2Mose 410ndash14) ndash ebenfalls zornig werden Richtig denkt nur wer sich gemaumlszlig seiner Ga ben einschaumltzt also weiszlig dass er das kann wozu ihn Gott besonders be faumlhigt hat Uumlbrigens gilt das nicht nur fuumlr die Geistesgaben sondern immer ndash etwa auch im Beruf Nur wer seine Grenzen kennt kennt auch seine Faumlhigkeiten wirklich und nur wer seine Fauml higkeiten kennt weiszlig auch was er nicht kann Ein Leiter oder Vorgesetzter der seine Staumlrken und Schwaumlchen nicht kennt undoder nicht offen dazu steht ist ein schlech-ter und unangenehmer Leiter Denn er wird seinen Mitarbeitern keinen Raum geben wo er eigentlich auf ihre Staumlrken angewiesen ist

Paulus bezeichnet in Roumlm 123 wie in Eph 47+16 die Gnadengaben mit dem Begriff bdquoMaszligldquo (= bdquoZugemesse-nesldquo) naumlmlich das bdquoMaszlig des Glau-bensldquo (Roumlm 123) bzw in Eph 47 das bdquoMaszlig der Gabe des Chri stusldquo Ist dem-nach einer sbquoglaumlubigerlsquo als der andere

Nein denn wir muumlssen zwischen der grundsaumltzlichen fuumlr alle Chri sten glei-chen Gabe des Glaubens die eben falls sbquoGnadengabelsquo (griech sbquocharismalsquo) hei-szligen kann und der persoumlnlichen Zutei-

lung von Ga ben und Diensten an den einzelnen Christen unterscheiden Die Uumlbersicht uumlber alle Vorkommen des Wortes sbquoCharismalsquo sbquoGnaden ga belsquo im Neuen Testament macht das deutlich

Alle Belege fuumlr bdquoGnadengabeldquo (griech sbquocharismalsquo) im Neuen Testa ment

A bdquoGnadengabeldquo als Kennzeichshynung von Din gen die alle Christen gemein sam haben 1 bdquoGnadengabeldquo = Verheiszligung GottesRoumlm 1129 (Uumlber Israel) bdquoDenn die Gnadengaben und die Beru fung Got-tes sind unbereubarldquo

2 bdquoGnadengabeldquo = das Heil oder das ewige Le benRoumlm 623 bdquoDenn der Lohn der Suumln-de ist der Tod die Gna dengabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus unse rem HerrnldquoRoumlm 515+16 Die bdquoGnadengabeldquo steht im Gegensatz zur bdquoUumlber tre tungldquo

B bdquoGnadengabeldquo als Kennzeichshynung von Din gen die Chri sten vonshyeinander un terscheiden1 bdquoGnadengabeldquo im Sinne von sbquoGeis-tesgabelsquo in den in dieser Lek tion be-sprochenen Texten uumlber die Geistesga-ben Roumlm 126 1Kor 124+9+28+30+31 1Petr 410 sowie in folgenden weiteren TextenRoumlm 111(ndash12) bdquoDenn mich verlangt sehr euch zu sehen damit ich euch

etwas geistliche Gnadengabe mitteile um euch zu befe stigen das heiszligt aber um bei euch miter mahnt [oder mit-getroumlstet] zu werden ein jeder durch den Glauben der in dem anderen ist sowohl euren als auch meinenldquo2Kor 111 bdquohellip wobei auch ihr durch das Gebet fuumlr uns mitwirkt damit von vielen Personen fuumlr die uns ver liehene Gnadengabe gedankt werde hellipldquo 1Kor 17 bdquoDaher habt ihr an keiner Gna-dengabe Mangel hellipldquo1Tim 414 bdquoVernachlaumlssige nicht die Gnadengabe die dir durch Weissa-gung mit Handauflegung der Aumlltesten gegeben worden istldquo2Tim 16 bdquoAus diesem Grund erin-nere ich dich daran die Gnaden gabe Gottes anzufa chen die durch die Auf-legung meiner Haumlnde in dir istldquo

2 bdquoGnadengabeldquo in Bezug auf Ehe und Le digsein1Kor 77 bdquoIch wuumlnsche aber dass alle Menschen wie ich waumlren doch jeder hat seine eigene Gnadengabe von Gott der eine so der andere soldquo

Der Unterschied zwischen der grundsaumltzli chen Zuteilung des Glau-bens und der persoumlnlichen Zuteilung des Glaubens in der Gnadengabe kommt auch in dem Gleichnis von den Pfunden und dem Gleichnis von den Ta lenten (Mt 2514ndash30 Lk 1912ndash27) zum Aus druck Im einen Fall erhal-ten alle das gleiche (Lk 1913 jeder 10 Talente) was dem allen gemeinsa-

men Glauben entspricht im anderen Fall erhalten alle gleich zu Be ginn unterschiedliche Gaben (Mt 2515 1 2 und 5 Pfunde) Petrus spricht des-wegen in Bezug auf den Gottesdienst davon dass wir bdquogute Verwalter der ver schiedenartigen Gnade Gottesldquo sein sollen (1Petr 410) In Roumlm 127ndash8 un-terstreicht Paulus an sieben konkreten Beispielen dass jeder bei dem blei-ben soll wozu Gott ihn befaumlhigt hat Der Lehrer soll lehren der Vorsteher soll eifrig vorstehen der Ermahnen-de soll ermah nen usw Ist das nicht selbstverstaumlnd lich Leider nicht Wie oft werden Menschen die nicht mit Geld umgehen koumlnnen Kassierer leh-ren Men schen Sonntag fuumlr Sonn tag auf der Kanzel die keine Lehrgabe besitzen und denen man deswegen nur muumlh sam zuhoumlren kann und wollen solche die gut organisieren (sbquovorstehenlsquo) koumlnnen dies nicht sbquoin Einfaltlsquo tun sondern ihre Autoritaumlt auch auf anderen Gebieten beweisen

Die Bedeutung der Geistesgaben (6 Thesen)

Die vier wichtigsten Texte uumlber die Gna den- bzw Geistesga ben im Neu-en Testament sind Eph 41ndash16 1Petr 410ndash11 Roumlm 123ndash8 und 1Kor 121ndash133 141ndash33 Texte uumlber Geistesgaben zum besseren Einprauml gen Eph 4 Roumlm 12 1Petr 4 1Kor 12ndash14

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 77 8 6 uuml

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden

In 1Kor 121 schreibt Paulus bdquoWas aber die geistlichen Gaben betrifft Ge-schwister will ich nicht dass ihr ohne Kenntnis seidldquo Sechs Kernaussagen sollen uns deswegen in die wich tige Thematik der Geistesgaben einfuumlh ren

1 These Nicht nur die Gaben sonshydern auch die Auf gaben und die Auswirkungen unseres Dienstes sind sehr unterschied lichIn 1Kor 123ndash6 stellt Paulus die Gna-dengaben in den groumlszligeren Zusam-menhang unseres Dienstes fuumlr Gott bdquoEs gibt aber Verschiedenheiten der Gnadengaben aber es ist derselbe Geist und es gibt Verschiedenheiten der Dienste und es ist derselbe Herr und es gibt Ver schiedenheiten der Wir-kungen aber es ist derselbe Gott der alles in allen wirktldquo Paulus stellt damit je dem Bereich die Person der Dreiei-nigkeit gegenuumlber die in besonde rer Weise dafuumlr zustaumlndig ist Wir koumln-nen uns 1Kor 123ndash6 fol gendermaszligen veranschau lichen

Die Dreieinigkeit und die Gaben in 1Kor 123ndash6

bdquoverschiedene Gnadengabenldquo bdquoein Geistldquo bdquoverschiedene Diensteldquo bdquoein Herrldquobdquoverschiedene Wirkungenldquo bdquoein Gottldquo

Der Heilige Geist schenkt die Geistes-gaben also die Voraussetzungen fuumlr den Dienst Jesus Christus ist das Vor-bild fuumlr den Dienst schlechthin und

Gott der Vater ist der der alles wirkt und damit auch uumlber die Auswirkun-gen des Dienstes entscheidet Wir koumln-nen das Schema von 1Kor 123ndash6 also mit eigenen Worten folgen dermaszligen wie dergeben

Die Dreieinigkeit und die Gaben in 1Kor 123ndash6

verschiedene Voraussetzungen zum Dienst

Heiliger Geist

verschiedene Dienste

Jesus der Herr

verschiedene Ausshywirkungen des Dienstes

Gott der Vater

Einmal angenommen zwei Christen haumltten zwei voumlllig gleiche Geistesga-ben dann hieszlige das noch lange nicht dass sie dieselbe Aufgabe also densel-ben Dienst haumltten Und angenommen zwei Christen haumltten zwei voumlllig gleiche Gaben und zwei voumlllig gleiche Diens-te koumlnnten sich die Ergebnisse dieser Dienste doch immer noch stark un-terscheiden Wenn also zwei Evange-listen theoretisch zur gleichen Zeit am gleichen Ort evangelisieren koumlnnten koumlnnte es immer noch sein dass der eine eine Erweckung ausloumlst waumlh rend der andere dem Herrn fuumlr ein einziges seelsor gerliches Gespraumlch als Er gebnis seiner Anspra che dankt

In diesem Zusammenhang ist auch wichtig dass dieselbe Gabe in unter-schiedlichem Maszlige verliehen werden kann Paulus bezeichnet in Roumlm 123 wie in Eph 47+16 die Gnadengaben mit dem Begriff bdquoMaszligldquo (= bdquoZuge-messenesldquo) naumlmlich das bdquoMaszlig des Glaubensldquo (Roumlm 123) bzw in Eph 47 das bdquoMaszlig der Gabe des Christusldquo Die Gabe des Evangelisten oder Leh-rers kann in unterschiedlichem Maszlige verliehen werden und wachsen was mit ein Grund dafuumlr ist weswegen der Einsatz derselben Gabe durch verschie-dene Christen ganz unter schiedlichen sbquoErfolglsquo hat

2 These Der Einsatz der Gnadengashyben ist selbstverstaumlndlicher Be standshyteil des Glaubenslebens da jeder Christ eine Gabe empfaumlngtbdquoSo wie jeder eine Gnadengabe emp-fangen hat so dient damit einander als gute Verwalter der verschiedenartigen Gnade Gottes Wenn jemand redet so als Ausspruumlche Gottes wenn jemand dient so aus der Kraft die Gott dar-reicht damit in allem Gott verherr-licht werde durch Jesus Christus dem die Herr lichkeit ist und die Macht in alle Ewigkeit Amenldquo (1Petr 410ndash11) Petrus fasst wieder einmal knapp zu-sammen was Paulus ausfuumlhr lich und teilweise schwerer ver staumlndlich behan-delt (vgl die Aussage von Petrus uumlber Paulus in 2Petr 315ndash16) Petrus lehrt

bullthinspthinspdassthinsp jederthinsp Christthinsp einethinsp Gnadengabethinsphat

bullthinspthinspdassthinsperthinspdemthinspHerrnthinspbdquosoldquothinspundthinspnichtthinspan-ders dienen soll

bullthinspthinspdassthinsp derthinsp Christthinsp nurthinsp bdquoVerwalterldquothinsp derthinspGnade Gottes ist (Verwalter legen Rechenschaft ab und sind nicht die Herren der Gabe)

bullthinspthinspdassthinspdiethinspGabenthinspzumthinspDienstthinspamthinspande-ren gedacht sind

bullthinspthinspdassthinsp diethinsp Gabenthinsp zurthinsp VerherrlichungthinspGottes nicht zur Selbstverherrli-chung gedacht sind

3 These Die Listen der Geistesgashyben im Neuen Testament sind nicht vollstaumlndig sondern nennen nur Beispiele Deswegen kann es durchshyaus Gaben geben die im Neuen Tesshytament nicht genannt werdenDa jede Gabenliste im Neuen Tes-tament nur eine Auswahl der Gaben darbietet und sich viele der genannten Gaben uumlberschneiden will keine eine vollstaumlndige Liste aller moumlglichen Ga-ben vorlegen sondern nur Beispiele nennen Auch wenn einige Gaben (z B sbquoLehrerlsquo und sbquoPro phetlsquo und die an-deren in Eph 411 genannten Gaben) sehr haumlufig genannt und offensichtlich immer benoumltigt werden gibt es keine Gabe die immer genannt wird Des-wegen ist es meines Erachtens berech-tigt auch solche Gaben festzustellen die namentlich nicht im Neuen Testa-ment genannt werden (z B die Gabe

8 7 8 6 uuml

der Gast freundschaft oder die Gabe des Troumlstens) Einige dieser nicht ge-nannten Gaben kommen uumlbrigens in der Bibel in der Praxis in anderen Zusammenhaumlngen oder im Alten Tes-tament vor etwa die Gabe Lieder zu dichten (z B Da vid) oder Sprichwor-te zu verfassen (z B Sa lomo) oder die Gabe der kuumlnstlerischen Gestaltung und der Schnitzkunst fuumlr das Haus des Herrn (2Mose 311ndash6 3530ndash35)

Die in den neutestamentlichen Listen erwaumlhn ten Geistesgaben

1Petr 411 Reden und Dienen [allge-meine Eintei lung]Eph 411 Apostel Propheten Evange-listen Hirten und LehrerRoumlm 126ndash8 Prophezeiender Dienen-der Lehrer Ermahnender Gebender Vorstehender Barmherzigkeit Uumlbender 1Kor 128ndash10 Wort der Weisheit Wort der Erkenntnis Glaube Heilun-gen Wunderwirkungen Prophetie Geistesunterscheidung Sprachenrede Uumlbersetzung der Spra chenrede1Kor 1228ndash30 Apostel Propheten Wundertaumlter Lehrer Heilungen Hil-feleistungen Leitung verschiedene Ar-ten der Sprachen rede Uumlbersetzung der Sprachenrede1Kor 131ndash3 Zungenrede Prophetie Geheimnisse und Erkenntnisse wissen Glauben Speise geben Marty rium

1Kor 1426 Psalm Lehre Sprachen-rede Offenbarung Uumlbersetzung der SprachenredeZusaumltzlich gibt es in der Praxis groszlige Unterschiede zwischen Christen die dieselbe Gabe haben also etwa zwi-schen den einzelnen sbquoEvangelistenlsquo Ei-nige Evangelisten sind fuumlr das persoumlnli-che Gespraumlch begabt andere fuumlr einen Vortrag vor groszligen Mengen wieder andere als Buchautoren Ich erinnere mich wie Billy Graham erzaumlhlte wie schwer es ihm fiele einzelne Menschen auf das Evangelium hin anzusprechen Deswegen genuumlgt es nicht sich einfach einer der im Neuen Testament genann-ten Gaben zuzuordnen Entscheidend ist die tatsaumlchliche Begabung wie sie sich in der Praxis des Glaubens und der Gemeinde erweist

4 These Jeder Gabe die nicht jeder ausuumlben soll und darf entspricht eine allgemeine Aufforderung an alle ChristenDie Gaben heben also nur aus dem Bereich der das Glaubensleben aller Christen ausmachen soll einzelne Be-reiche und Auf gaben besonders herausAlle sollen dieneneinige haben die Gabe des Dienstesalle sollen glaubeneinige haben die Gabe des Glaubensalle sollen barmherzig seineinige haben die Gabe der Barmher-zigkeit

alle sollen sich gegenseitig ermahneneinige haben die Gabe der Ermahnungalle duumlrfen um Heilung beteneinige haben die Gabe der Heilungalle sollen das Evangelium weitergebeneinige haben die Gabe des Evangelistenalle sollen Rechenschaft von ihrem Glauben ablegeneinige haben die Gabe der Lehrealle sollen Gott anbeteneinige haben die Gabe der Sprachen-redealle sollen die Geister unterscheideneinige haben die Gabe der Geistesun-terscheidung

5 These Deswegen bedeutet der Besitz einer Gabe nicht dass man etwas als einziger tun soll oder als einzi ger tun kann sondern dass man von Gott zu einer bestimmten Aufshygabe be sonders bevollmaumlchtigt istDiese Bevollmaumlchtigung zu erkennen ist die wesentliche Frage wenn man seine eigene Gabe oder die anderer erkennen und verstehen will Die Bevollmaumlchti gung kommt meines Er-achtens darin zum AusdruckbullthinspthinspdassthinspmanthinspanthinspeinerthinspAufgabethinspbesonderethinsp

Freude hat (ja Christsein darf auch einmal etwas sbquoSpaszliglsquo machen)

bullthinspthinspdassthinsp manthinsp dieserthinsp Aufgabethinsp wiethinsp vonthinspselbst nachgeht

bullthinspthinspdassthinsp manthinsp einethinsp Aufgabethinsp besondersthinspgut macht wobei jedoch sbquogutlsquo an der

Wirkung auf an dere bemessen wer-den muss

bullthinspthinspdassthinspmanthinspbeimthinspEinsetzenthinspdieserthinspGabethinspsbquoNutzenlsquo her vorbringt Gott also den Dienst segnet

Einige praktische Beispiele moumlgen dies erlaumlutern Ich bin gerne gastfreundlich Doch meine Gastfreundlichkeit ge-schieht so sbquogeraumluschvolllsquo dass es jeder bemerkt Wie gerne halte ich jedoch schwierige Besprechungen bei Christen ab die die Gabe der Gastfreundschaft haben Sie schaffen durch ihre Gast-freundschaft eine warme friedliche At-mosphaumlre wobei man ihre Gegenwart fast gar nicht wahrnimmt und schon gar nicht als stoumlrend empfindet

Wer die Gabe des Lehrens hat wird dies unter anderem daran merken dass er wie von selbst Stunden damit zubringt bestimmte Fragen anhand der Bibel zu beantworten oder Grund-satzfragen mit anderen zu diskutieren und dass wenn er seine sbquoLouml sungenlsquo vortraumlgt andere ploumltzlich feststellen dass sie endlich den Zusammenhang der Bibel erfasst haben denn bdquodie An-mut der Spra che foumlrdert das Lehrenldquo (Spr 1621) Hier macht die intensive Arbeit Freude und fuumlhrt zu dem sbquoEr-folglsquo dass Menschen die Bibel nicht nur verstehen sondern auch ausleben Wer da gegen keine Freude am intensi-ven Bibelstudium hat Menschen nur sbquoanpredigtlsquo und nie erlebt dass Men-schen sbquoverstehenlsquo und ihr Leben dar-

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 97 8 6 uuml

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden Werbung

aufhin entsprechend aumlndern duumlrfte wohl kaum die Gabe der Lehre haben und uumlber kurz oder lang zum reinen Theoretiker werden oder frustriert die bibli sche Lehre fuumlr nicht praktikabel halten

Wer sich immer zu seinen Diensten zwingen muss wer nie sbquoFruchtlsquo sieht wer sich im Dienst unerfuumlllt sieht oder sogar neidisch wird sollte sich nicht nur fragen ob ihm die Frucht des Geis-tes fehlt sondern auch ob er wirklich seine Gabe im Einsatz hat deren richti-ger Gebrauch zur Zufriedenheit uumlber die Herrschaft Gottes auch in der Zu-teilung der Gaben fuumlhrt

6 These Die Verschiedenartigkeit der Gaben bedroht die Einheit der Gemeinde sobald die Frucht des Geistes nicht die Ausuumlbung der Gashyben des Geistes bestimmtGott macht uns zu bdquoVerwalternldquo (1Petr 410) seiner Gaben und nimmt sie uns gnaumldigerweise nicht sofort weg wenn wir hochmuumltig eigensinnig oder lieb-los sind Die Gaben sind auch gerade deswegen sbquoGnadengabenlsquo weil Gott sie uns nicht sofort wegnimmt wenn wir sie missbrauchen oder wenn wir in Suumlnde leben

Daraus folgt aber auch dass der Be-sitz und der Einsatz von Gei stesgaben keine Garantie fuumlr ein geistliches Leben sind Der geistli che Stand eines Chris-ten kann nicht an den Geistesgaben sondern nur an den Geistes fruumlchten

(Gal 522) abgelesen werden Das ist das Thema von 1Kor 13 Paulus will dass die Korinther um die Geistesga-ben eifern (1Kor 1231 141) aber in der Liebe (1Kor 131ndash13) zeigt er ihnen bdquoeinen Weg noch weit daruumlber hinausldquo (1Kor 1231b vgl 141) also direkt vor und nach dem Kapitel uumlber die Liebe in 1Kor 13 Deswegen ermahnen Pau-lus und Petrus in allen Texten uumlber die Gei stesgaben zur Einheit zur Liebe aber auch dazu nicht so zu leben wie die Welt

Vergleich des Textzusammenhangs der wichtigsten Texte zu den GeisshytesgabenErmahnung zur LiebeRoumlm 129ndash21 Eph 41ndash3+15-16 1Petr 48ndash9 1Kor 12ndash14 131ndash141GnadengabenRoumlm 123ndash8 Eph 48+11 1Petr 410ndash11 1Kor 121ndash133Nicht wie die Welt lebenRoumlm 121ndash2 Eph 41+17ndash24 1Petr 4(7) 1Kor 121ndash3Einheit im LeibRoumlm 124ndash5 Eph 43ndash6+12ndash16 1Petr 4(8) 1Kor 1212ndash31 141ndash33

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

ist Rektor des Martin Bucer Seminars und lehrt dort Ethik und Missions- und Religionswissenschaften Er ist auszliger-dem Professor fuumlr Religionssoziologie an der Staatlichen Universitaumlt Ora-dea Rumaumlnien und hat einen Lehr-stuhl fuumlr Internationale Entwicklung an der ACTS University in Bangalore Indien

1 Vgl bdquoSchluss mit der gabenvernichtenden Pas-torenfalleldquo In Klaus Eickhoff Harmlos Kraft-los Ziellos Die Krise der Predigt ndash und wie wir sie uumlberwinden Witten Brockhaus 2009 S 267ndash276 insgesamt S 267ndash324 bes S 300ndash313 zu gabenspezifische Predigten mit fuumlnf Schwer-punkten nach Eph 4 12 apostolisch prophetisch evangelistisch seelsorgerlich lehrhaft2 Geglaumlttete und aktualisierte Fassung aus Thomas Schirrmacher Der Roumlmerbrief VTR 2001

Institut fuumlr Lebens- undFamilienwissenschaften

wwwbucereuilfwhtml

Anmerkungen

10 7 8 6 uuml

Evangelisation und Calvinismus

Prof Dr Clair Davis

Welche ist die beste Theologie fuumlr die Evangelisation Da der Missionsbefehl im Zentrum dessen steht was ein glaumlu-biger Christ tut muss die bdquobeste Theo-logie der Evangelisationldquo die richtige Theologie sein die einzig gute Theolo-gie Koumlnnte der Calvinismus die richtige Antwort sein Dieser glaubt die Bibel sage dass wir ohne Christus tief im In-neren Suumlnder seien und nichts mit Gott zu tun haben wollen Ebenso glaubt er dass jemand ausschlieszliglich durch den Heiligen Geist zu Christus gelangen koumlnne da es uns unmoumlglich sei irgend-etwas selber zu unserer Rettung beizu-steuern Wie koumlnnte dies im Rahmen der Evangelisation funktionieren Was koumlnnten Glaumlubige tun auszliger am Rand zu stehen und abzuwarten ob etwas pas-siert oder nicht Wie koumlnnen sie anders als gleichguumlltig sein da es nichts mit ihnen und Gottes Berufung fuumlr sie zu

tun hat Wenn sich alles darum dreht was Gott tut koumlnnte der Missionsbefehl nur eine Floskel sein

Koumlnnte man die Lage auch anders be-trachten Man koumlnnte doch sagen dass im Herzen eines Suumlnders immer noch etwas Goumlttliches ist das lebendig und gut erhalten ist etwas das willens und faumlhig ist gute Entscheidungen zu tref-fen Es kann ja auch gar nicht anders sein denn wie sonst koumlnnte sich irgend-jemand fuumlr Christus entscheiden Diese Denkweise der Pelagianismus hat viele attraktive Aspekte Pelagius kam vom ernsthaften und intensiv betenden kelti-schen Norden Groszligbritanniens und war erstaunt uumlber den faulen und nachlaumlssig gefuumlhrten christlichen Glauben den er in Italien kennenlernte Daher rief er die Menschen dazu auf ernsthaft und re-chenschaftspflichtig mit ihrem Glauben umzugehen Ergibt das keinen Sinn

Dennoch Verwirrung kommt auf so-bald das Wort bdquoUnfaumlhigkeitldquo auch fuumlr Christen als Ausrede fuumlr ihre Suumlndhaf-tigkeit verwendet wird Doch das kann nicht stimmen denn Glaumlubige haben die Kraft des auferstandenen Christus in ihren Herzen die ihnen vom Heili-gen Geist gegeben wurde das groszligarti-ge Geschenk das weiterhin ausgegeben wird Wenn man mit Christus vereint ist ist man faumlhig bdquodie Welt das Fleisch und den Teufelldquo (dieses Zitat stammt aus dem Book of Common Prayer der Anglikanischen Kirche) zu bekaumlmp-fen und zu besiegen denn Jesus ist der bdquovon der dunklen Staumltte auferstandene Siegerldquo (Vers eines amerikanischen Kir-chenliedes) Der Teufel ist immer noch am Leben aber besiegt und das Leben ist weiterhin voller Versuchungen ndash und Niederlagen Wenn man diese Nieder-lagen als gegeben hinnimmt und sich

an sie gewoumlhnt wird ein aumluszligerst faules Christentum entstehen Pelagius hat-te vollkommen recht uumlber einen solch bdquochristlichenldquo Unglauben geschockt zu sein

Augustinuslsquo Geschichte war eine an-dere Er war ein radikaler Nicht-Glaumlu-biger und er wusste alles daruumlber Er wusste deswegen alles uumlber konsequente Gottlosigkeit da er selber so gut darin war ndash auf viele raffinierten Arten Da-rum war es einfacher fuumlr ihn zu sehen was die Bibel uumlber Gottes Gnade sagt nur Gott konnte sein verdrehtes die Wahrheit negierendes Herz aumlndern

Hilft das nicht die Probleme zu er-kennen Wenn es um das Leben als Christ geht ist es vollkommen richtig dass man aufhoumlren muss die Schuld von sich zu weisen und anfangen muss Verantwortung zu uumlbernehmen ndash ob-wohl ein Groszligteil dieser Verantwortung

glauben amp denken heute 22012 117 8 6 uuml

Evangelisation und Calvinismus

darin besteht Gott anzurufen bdquoZeige mir meine Suumlnde Vergib mir meinen selbstgenuumlgsamen Stolz Zeige mir wie groszlig Jesus istldquo Der Geist veraumlndert un-ser Herz aber wir sind verantwortlich und rechenschaftspflichtig Das Leben ist ein Kampf voller Danksagungen Dies koumlnnte besser verstanden werden und dem wird so sein wenn Jesus wie-derkehrt

Doch wenn man dieses bdquoLeben eines Glaumlubigenldquo auf das Leben eines rebelli-schen Schuld von sich weisenden Un-glaumlubigen abfaumlrben laumlsst der Jesus mei-den will dann entsteht Verwirrung da dieser anders ist Er ist ohne Gott und ohne Hoffnung weil er so sein moumlch-te Um zu Jesus kommen zu koumlnnen muumlsste er zugeben dass er Jesus braucht ndash doch warum sollte er das zugeben Er ist selbstsicher er ist sich selbst genug und ein viel besserer Mensch als alle an-deren die er kennt

Wie koumlnnte sich das aumlndern Was koumlnnen wir tun um das zu aumlndern Was sollten wir sagen Das jedenfalls weiszlig ich Was auch immer wir solch einem Menschen sagen zuerst sollten wir un-seren Herrn bitten bdquoVater sende Deinen Geist um sein Herz zu erweichen um ihm seine Beduumlrftigkeit zu zeigen Lehre mich Vater nicht selbstgerecht zu sein sondern ein sbquoBettler [zu sein] der einem anderen Bettler mitteilt wo es Brot gibtlsquo (Zitat des Bischofs D T Niles) Hilf mir zuzuhoumlren Vaterldquo

Von Jay und Holly Eastman lerne ich seit einiger Zeit wie man zuhoumlrt Sie sind Missionare in Ostberlin und ha-ben dort 10 Jahre zugehoumlrt und nun gibt Gott die Ernte Wenn jemand nicht zuhoumlrt koumlnnte es sein dass er denkt er vertrete Gott der immer mit Voll-macht redet Das ist der Grund weswe-gen wir alle die Evangelien wieder lesen und sehen muumlssen wie Jesus zu Suumln-dern spricht Er warnt sie vor Stolz und Selbstgerechtigkeit und sagt ihnen dass er nicht gekommen ist die bdquoGerechtenldquo wie sie es sind zu retten sondern Suumln-der Er fragt die Frau am Brunnen nach Wasser wohl wissend dass sie dort zu einer ungewoumlhnlichen Zeit ist da sie von rechtschaffenen Leuten abgewiesen wurde Er tadelt Stolz und honoriert Demut und Beduumlrftigkeit In einem Evangelium sagt er bdquoSelig sind die da geistlich arm sindldquo in einem anderen nur bdquoSelig seid ihr Armenldquo Ich versu-che zu verstehen was das bedeutet Ich denke das ist das Wichtigste was wir lernen muumlssen

Wie koumlnnen wir zuhoumlren Wie koumlnnen wir Armut erkennen die offenkundige Armut und die andere Art von Armut Wie wuumlrden wir sie bei uns erkennen Setzen wir unser Vertrauen in Christus oder in uns selber ndash mit einer Jesus-Fassade Ich denke das stand immer im Zentrum der Erweckungsbewegung und wie koumlnnte es wahre Evangelisation geben ohne Erweckung

Ich ermutige Sie die zentralen Stellen von Jonathan Edwardslsquo bdquoTreatise on Religious Affectionsldquo (dt etwa bdquoAb-handlung uumlber glaumlubige Zuneigungldquo) zu lesen und uumlber sie zu beten Das hilft so sehr uns zu zeigen wo unser Herz wirklich steht Danach schauen Sie sich eine predigtartige Version dessel-ben Themas von George Whitefield an (siehe dazu URL httpwwwccelorgcceledwardsaffectionsviviiihtml und httpwwwccelorgccelwhitefieldser-monsxxvhtml)

Ich denke das ist die Antwort Wie kann man zuhoumlren wie kann man ein beduumlrftiges Herz zu Jesus fuumlhren wenn man es nicht selber regelmaumlszligig tut

Zuruumlck zum Calvinismus Ist dies nicht genau das was er im Innersten ist Er ist definitiv nicht akademische Arro-ganz die uns selber immer wieder ver-gewissert wie viel besser wir die Bibel lesen als all die bdquoUnreinenldquo Viel mehr ist er eine Einstellung des Herzens die Jesus in all seiner Herrlichkeit sieht staunend dass er uns liebt die Unreins-ten von allen die so viel verstehen und so wenig darauf reagieren Wenn wir uns Jesus und seiner Liebe und unserer eigenen Unliebenswuumlrdigkeit bewusst sind dann koumlnnen wir zuhoumlren Dann koumlnnen wir mit Guumlte und Demut die Liebe zu Gott teilen Dann werden wir gelernt haben dass es nicht darum geht wie erpicht wir darauf sind Jesus zu lie-ben und ihn bei uns zu haben sondern

vielmehr werden wir erkennen dass wir ein Haufen von fruumlhen bdquoAugustinu-senldquo sind erfinderisch in unserem Un-glauben und unserer Uumlberheblichkeit Demut gegenuumlber den Evangelien und der Calvinismus ndash das ist ein und die-selbe Sache Sie sind so uumlberwaumlltigend dieselbe Sache dass wir nur in dieser dunklen Welt das Wort bdquoCalvinismusldquo verwenden muumlssen um einfach sagen zu koumlnnen bdquoAmazing grace How sweet the soundldquo ndash bdquoErstaunliche Gnade wie suumlszlig ist der Klangldquo

Prof Dr Clair Davis

spielte bei Gruumlndung und Aufbau des Martin Bucer Seminars eine wichti-ge Rolle als Berater Mittler und Be-fuumlrworter Dazu hielt er auch etliche Gastvorlesungen in Deutschland In diesem Zusammenhang wurde sein Buch bdquoWenn der Glaube Gestalt ge-winnt Beitraumlge zur Praxis des Chris-tenlebensldquo (Bonn VKW 2004 112 Seiten Pb ISBN 978-3-932829-90-1 830 Euro) uumlbersetzt (erhaumlltlich hier httpwwwgenialebuecherdewenn-der-glaube-gestalt-gewinnthtml) Die Uumlbersetzung dieses Arti-kels stammt von Kathrin Bentley

12 7 8 6 uuml

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

Prof Dr Stephen J Wellum

Warum das Leben und Denken von Francis Schaeffer studieren1

Diese Frage kann auf zwei Arten gestellt werden Erstens Warum studieren wir uberhaupt eine historische Figur Und zweitens Warum reflektieren wir im Besonderen uber das Leben und Den-ken von Francis Schaeffer Was macht letzten Endes gerade ihn im Vergleich zu anderen so wichtig Die schlichte Antwort auf die erste Frage ist dass wir durch christliche Maumlnner und Frauen die uns vorangegangen sind lernen und herausgefordert werden Es ist uberaus klar dass in der Schrift Men-schen die uns als Vorbild dienen sei es positiv oder auch negativ ein Thema sind Paulus ermuntert Timotheus sei-nem Vorbild zu folgen wie er Christus

folgt (vgl 2Tim 310ndash13) Hebraumler 11 beschreibt uns die bdquoRuhmeshalleldquo des Glaubens um uns zu ermutigen in der Hingabe an den Herrn und im Dienst fur ihn fortzuschreiten Wenn wir das Leben gottesfurchtiger Maumlnner und Frauen untersuchen und zwar sowohl ihre Staumlrken als auch ihre Schwaumlchen dann lernen wir wie wir dem Herrn heute besser dienen koumlnnen Und oft werden wir dabei von auszligergewoumlhnli-chen Mitstreitern die danach strebten in ihrem Leben dem Herrn von ganzem Herzen zu dienen aus unserer geistli-chen Lethargie geweckt Auszligerdem ist es wichtig historische Gestalten unserer Zeit ebenso wie solche aus der ferneren Vergangenheit zu studieren Warum Aus dem einfachen Grund dass Men-schen unserer Zeit uns dabei helfen auf die speziellen Probleme und Her-ausforderungen unserer Tage und nicht

einfach auf die Probleme einer fruheren Aumlra angemessen zu reagieren In diesem Sinne besteht eine Parallele zum Betrei-ben von Theologie Denn genauso wie staumlndig Theologie geschrieben werden muss um das unwandelbare Wort auf eine sich wandelnde Welt anzuwenden so mussen wir Zeitgenossen studieren die uns helfen koumlnnen treu und kom-promisslos auf die Herausforderungen zu reagieren mit denen die Kirche ge-genwaumlrtig konfrontiert ist

Warum aber sollten wir gerade Fran-cis Schaeffer studieren Die Antwort auf diese zweite Frage ist dass es wahr-scheinlich keine Gestalt gibt die die evangelikale Bewegung in der zweiten Haumllfte des zwanzigsten Jahrhunderts staumlrker bewegt und beeinflusst hat als Francis Schaeffer Michael Hamilton kommentiert den Einfluss von Francis Schaeffer auf die evangelikale Bewe-

gung und sagt dabei Folgendes uber sein Leben und sein Werk

Als Francis Schaeffer im Jahr 1965 erst-mals auf der amerikanischen Buhne erschien wussten Evangelikale kaum was sie mit ihm anfangen sollten Sein christlicher Glaube war im Feuerofen der Kontroverse zwischen Fundamentalisten und Modernisten in den 1930er Jahren geformt worden und er war ein eingetra-genes Mitglied der absolut fundamenta-listischen Bible Presbyterian Church Er verteidigte leidenschaftlich die Idee der Irrtumslosigkeit der Schrift eine Lehre die in evangelikalen Kreisen schon etwas ins Rutschen geraten war Dennoch war er kein gewoumlhnlicher fundamentalisti-scher Prediger Er und seine Frau Edith lebten seit 10 Jahren in einer Studenten-gemeinschaft die sie in den Schweizer Alpen begonnen hatten Wenn er Vorle-sungen hielt trug er alpine Wanderklei-

Zum 100

Geburtstag von

Francis Schaeffer

glauben amp denken heute 22012 137 8 6 uuml

dung ndash Kniebundhosen Kniestrumpfe Wanderschuhe 1972 hatte er zu seiner schon vorher eigentumlichen Erschei-nung auch noch langes Haar und einen weiszligen buscheligen Ziegenbart am Kinn Das Sonderbarste war dass er selten die Bibel zitierte Er war eher geneigt uber die philosophische Bedeutung von Henry Miller zu reden (der damals als der por-nographischste Schriftsteller in der ame-rikanischen Literatur betrachtet wurde)

Waumlhrend der naumlchsten zwei Jahrzehnte organisierte das Ehepaar Schaeffer einen vielseitigen Dienst der den amerika-nischen Evangelikalismus neu formte Wahrscheinlich hat abgesehen von C S Lewis und Billy Graham kein Intellek-tueller das Denken der Evangelikalen tiefer gepraumlgt Zusammen brachten die Schaeffers die Idee des bewussten Lebens in christlicher Gemeinschaft in Umlauf Sie stieszligen die Evangelikalen aus ihrem kulturellen Ghetto inspirierten ein Heer Evangelikaler ernsthafte Wissenschaftler zu werden ermutigten Frauen ihre Rol-len als Mutter und Hausfrau anzuneh-men waren Mentoren fuhrender Koumlpfe der Neuen Christlichen Rechten und verliehen einer populaumlren evangelikalen Opposition gegen Abtreibung Stabilitaumlt2

Auf aumlhnliche Art und Weise fasst Ha-rold O J Brown die Wirkung und den Einfluss Francis Schaeffers zusammen indem er feststellt

Es gibt keinen anderen christlichen Denker unserer Zeit der so viele grund-

legende intellektuelle philosophische und theologische Fragen in Angriff ge-nommen hat wie Schaeffer es tat Er tat das jedoch nicht im Bemuhen eine um-fassende Philosophie der Geschichte zu konstruieren wie etwa Oswald Speng-ler (bdquoDer Untergang des Abendlandesldquo) oder Arnold Toynbee (bdquoDer Gang der Weltgeschichteldquo)

Selbst seine Spezialthemen behandelte Schaeffer nicht als theoretische Prob-leme die in ein umfassendes Weltbild zu passen hatten sondern als Fragen die jeder Mensch individuell beant-worten muss um Sinn fur sein Leben zu finden Es gibt nicht viele christliche Denker die sich mit so vielen groszligen Themen der Theologie und der Philo-sophie beschaumlftigt haben wie Schaeffer und niemand anders hat so sehr ihre Be-deutung fur uns aufgedeckt Schaeffer behandelte sie als entscheidend fur das Verstehen unseres eigenen Lebens und seiner Bedeutung und nicht nur als Abs-traktionen die einem Seminar fur Fort-geschrittene vorbehalten sind Schaeffer wollte und das war fur einen tiefen Denker ungewoumlhnlich einfache Leute mit den groszligen Fragen der Philosophie und Theologie und den entsprechenden Konsequenzen vertraut machen3

Zusaumltzlich koumlnnen wir unsere For-schung uber Francis Schaeffer noch staumlrker dadurch rechtfertigen dass wir seine Bedeutung und seinen Einfluss in drei wichtigen Bereichen feststellen

dem persoumlnlichen dem theologischen und dem sozialen Bereich4 Was den persoumlnlichen Bereich betrifft so erfolgte der Einfluss Schaeffers anfaumlnglich nicht durch akademische bildende Institutio-nen und auch nicht durch das Verlags-wesen Seinen groumlszligten Einfluss erlangte er durch den persoumlnlichen Kontakt mit Einzelnen die er kennenlernte und de-ren Leben er veraumlnderte Man kann also sagen dass sein Einfluss nicht darauf be-ruhte dass er zum evangelikalen Estab-lishment gehoumlrte sondern im Gegenteil vielmehr darauf dass er von diesem un-abhaumlngig war Fur Schaeffer waren per-soumlnliche Evangelisation und Jungerschaft keine Klischees

Durch sein Leben und seinen Dienst im Schweizer LrsquoAbri weit entfernt von Amerika beruhrten er und seine Frau Edith das Leben von zahllosen einzelnen Menschen Von ihnen sollten viele spaumlter evangelikale Leiter in Schlusselpositionen werden Fur diejenigen von uns die da-nach streben Maumlnner und Frauen fur das Evangelium zu gewinnen waumlre es sicher-lich weise aus dem Leben eines solchen Mannes Lehren zu ziehen und neu die Bedeutung des persoumlnlichen Kontaktes in unseren Begegnungen mit Menschen zu entdecken5 Aus einem theologischen Blickwinkel erkennen wir Schaeffers Bedeutung daran dass er maszliggeblich daran beteiligt war gerade die Evange-likalen aufzurufen zentrale Wahrheiten ernstzunehmen Bei ihnen bestand die

Tendenz diese Wahrheiten weniger zu betonen oder sogar zu verleugnen An-gesichts einer zunehmenden Neigung zu einem umfassenden Pluralismus und einer Verleugnung der Wahrheit in der akademischen Theologie in der Kirche und in der allgemeinen Kultur forderte Schaeffer die evangelikale Bewegung be-sonders dazu heraus ihre Hingabe an das Konzept der Wahrheit ndash oder wie er es nannte bdquowahre Wahrheitldquo ndash neu geltend zu machen Deshalb trat er im wahrsten Sinne des Wortes bis zu seinem Sterbe-bett eindeutig fur die volle Autoritaumlt und Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift ein Zu der Frage nach der bdquowahren Wahr-heitldquo gehoumlrten fur ihn auch solche ent-scheidenden Themen wie die Historizitaumlt von 1Mo 1ndash11 die Lehre von der Schoumlp-fung die zentrale Bedeutung der Lehre von Gott und die Ausschlieszliglichkeit von Jesus Christus als dem Weg der Wahr-heit und dem Leben6

Auch die Tatsache dass er sich gegen die Theologie der Neoorthodoxie7 wand-te die einige Evangelikale anzunehmen begonnen hatten hat etwas damit zu tun Er glaubte dass sie die Wahrheit und Wahrhaftigkeit des Evangeliums unterhoumlhlen wurde Heute mussen wir wahrscheinlich mehr als je zuvor die theologischen Herausforderungen durchdenken die uns Schaeffer hinter-lassen hat Hatte er Recht Falls ja gibt es Dinge die wir bei unserem Versuch fur die Wahrheit des Evangeliums einzuste-

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

14 7 8 6 uuml

hen heute von ihm lernen koumlnnen Auch fur unsere Uumlberlegungen im sozialen Be-reich ist Schaeffer eine wichtige Gestalt Als in den 70er Jahren Evangelikale an der sozialen Front wenig unternahmen forderte er Millionen Evangelikale fast im Alleingang dazu auf eine aktive Rol-le bei der Gestaltung ihrer Gesellschaft und deren Werte zu ubernehmen Er gab ihnen dazu auch eine theologische Begrundung8 Wie Brown beobachtet bdquowar die Entscheidung des Obersten Ge-richtshofes der USA zum Fall Roe gegen Wade 1973 die Abtreibung auf Verlan-gen erlaubt fur Schaeffer eine Art Funke im Pulverfassldquo9 Seit langem hatte Schaef-fer die Leute darauf verwiesen dass das Weltbild des nachchristlichen Westens auf eine Entwertung des menschlichen Lebens zusteuerte Die Roe gegen Wade-Entscheidung war daher fur ihn ein ent-scheidender Ruf zum Handeln

1979 produzierte er zusammen mit C Everett Koop und Franky Schaeffer die Filmreihe bdquoWhatever Happened to the Human Raceldquo die dabei half schlaumlfrige Evangelikale zum Handeln zu mobilisie-ren und sie dazu herauszufordern sich auf der politischen Buhne zu engagieren Es ist keine Uumlbertreibung zu sagen dass das Aufkommen von Schwangerschafts-konfliktberatungszentren die Entste-hung des Rates fur christliches Handeln (Christian Action Council) und der Moralischen Mehrheit (Moral Majori-ty) direkt mit dem Einfluss von Francis

Schaeffer in Verbindung stehen Doch was waren seine Grunde fur soziales Handeln Waren sie zulaumlssig Und was koumlnnen wir von ihm bei dem Versuch lernen heute unserem Herrn gehorsam zu sein Es gibt aber noch einen letzten Grund warum wir das Leben und Den-ken Francis Schaeffers studieren sollten

Die uneinheitlichen Reaktionen evan-gelikaler Gelehrter auf ihn oumlffnen ein Fenster durch das wir die zunehmend gespaltene evangelikale Bewegung se-hen koumlnnen Lane Dennis kommentiert verschiedene Kritiker die Schaeffers Denken bdquoanmaszligenden Schwulstldquo bdquosim-plistischldquo bdquoVerkummerungldquo und bdquokindi-sche Verknupfung unbestaumltigter Urteileldquo benannt haben und merkt an dass bdquoman gewoumlhnlicherweise diese Art von Adjek-tiven in houmlflicher oder gelehrter Kon-versation nicht houmlrt offensichtlich hat Schaeffer einen blanken Nerv beruhrtldquo10 Interessanterweise stellt Dennis fest dass diese Art von Reaktion meist von Aka-demikern in evangelikalen Colleges zu kommen scheint und weniger von evan-gelikalen Gelehrten aus saumlkularen Schu-len11 Warum Warum diese negativen Reaktionen aus gewissen Bereichen der evangelikalen Bewegung besonders von Akademikern Einige beantworten diese Frage mit der Feststellung dass Schaeffer kein richtiger bdquoGelehrterldquo war und dass dies der Grund fur manche der negati-ven Reaktionen gewesen sei Aus einer Vielzahl von Grunden genugt diese Ant-

wort jedoch nicht12 Es scheint vielmehr dass Michael Hamilton auf dem richti-gen Weg ist wenn er argumentiert dass die verschiedenartigen Reaktionen auf Schaeffer negativ und positiv eine be-achtliche Spaltung innerhalb der evange-likalen Bewegung widerspiegeln Scha-effer vertritt in den Worten Hamiltons bdquodie rauere Kanteldquo der evangelikalen Be-wegung im Gegensatz zu Billy Graham und anderen die die bdquoweichere Kanteldquo vertreten Die bdquoweichere Kanteldquo ist der Teil der evangelikalen Bewegung der die bdquogemaumlszligigte Mitteldquo vertritt ndash eine Mitte die versucht Kontroversen zu entschaumlr-fen und jedem wohlgesonnen ist der zur Zusammenarbeit mit allen denen bereit zu sein scheint die ihn das Evangelium predigen lassen13

Auf der anderen Seite vertritt Schaeffer die Seite der evangelikalen Bewegung die bereit ist mit anderen fur gemeinsame soziale Anliegen eine Allianz einzugehen nicht aber wenn es um die Verkundigung des Evangeliums geht Diese Seite orien-tiert sich so sehr an der Frage nach der Wahrheit dass sie erkennt dass schein-bar bdquogeringfugigeldquo Verschiebungen der Lehre bedeutsam sind und sehr ernst ge-nommen werden mussen Es ist eine Sei-te die zu einer bdquoliebevollen Konfrontati-onldquo in Fragen von Wahrheit und Leben aufruft weil es sonst zu Kompromissen in Bezug auf das Evangelium komme Aber ich bin davon uberzeugt dass wir uns heute mit ihr identifizieren mussen

Heute ist die evangelikale Bewegung in vielen Fragen darunter auch in einigen wichtigen Lehrfragen gespalten So ist es in dieser Zeit weise uber das Leben und Denken Francis Schaeffers nachzu-denken einem Diener des Herrn der in seiner Generation fest einstand fur das Evangelium damit wir lernen koumlnnen wie wir dies in unserer Generation ver-mehrt tun koumlnnen14 Ich schlage vor dass wir das Leben und Denken Schaeffers in folgender Weise betrachten Zunaumlchst werden wir mit einer kurzen Chronolo-gie seines Lebens beginnen um uns zu erinnern Fur manche Leser mag dies eine erste Einfuhrung in sein Leben sein Umfeld und seinen Dienst sein

Zum Zweiten werden wir vier Lehren die wir aus Schaeffers Denken ziehen koumlnnen hervorheben und ausfuhrlicher betrachten Schlieszliglich werden wir uns mit zwei Lehren beschaumlftigen die wir aus seinem Leben und seinem Dienst ziehen koumlnnen

Eine kurze Chronologie des Lebens Francis Schaeffers15

Die fruhen Jahre

bull Francis Schaeffer wurde am 30 Januar 1912 in Germantown in Pennsylvania geboren Er war das einzige Kind sei-ner Eltern die zur Arbeiterklasse ge-houmlrten Seine Vorfahren stammten aus

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 157 8 6 uuml

Deutschland Schaeffers Eltern legten ein Lippenbekenntnis zum Christen-tum ab Er selbst betrachtete sich je-doch nicht als jemand der in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen ist

bull Aus eigenem Antrieb besuchte er eine liberale presbyterianische Kirche Nach seinem Bekenntnis fand er je-doch im liberalen Christentum kei-nerlei befriedigende Antworten auf die grundlegenden Fragen des Lebens Das fuhrte dazu dass er waumlhrend sei-ner High-School-Jahre zum Agnos-tiker wurde Waumlhrend seiner spaumlten Jahre auf der High School begann er philosophische Literatur zu lesen um Antworten auf die Lebensfragen zu finden Aus Neugierde las er auch die Bibel Nachdem er beginnend mit dem 1 Buch Mose sechs Monate lang die Bibel gelesen hatte wurde er im Jahr 1930 Christ Er war uberzeugt dass die Bibel wahr ist und dass sie die einzigen angemessenen Antworten auf die grundlegenden philosophischen Fragen des Lebens bietet

bull Nach seiner Bekehrung verlieszlig er die Berufsschule um sich in Abendkur-sen auf das College vorzubereiten Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er in der Schule schwache Leistungen gezeigt Jetzt verbesserten sich seine Noten merklich Gegen den Wunsch seines Vaters begann er 1931 am Hampden-Sydney College in Virginia zu stu-

dieren Er absolvierte 1935 mit der Note magna cum laude Er wurde zum bdquoherausragenden Christenldquo seiner Klasse gewaumlhlt

bull Der geschichtliche und theologi-sche Hintergrund dieser Zeit waren die Auseinandersetzungen zwischen Fundamentalisten und Modernis-ten In den fruhen 1930er Jahren war Schaeffers eigene Denomination die Northern Presbyterian Church so-wohl in den Ausbildungsstaumltten als auch in den Gemeinden dabei ausei-nanderzubrechen Interessanterweise sprach bei einer Gelegenheit im Jahr 1932 ein bezahlter junger Redner daruber warum die Bibel nicht Gottes Wort und Jesus nicht Gottes Sohn sei Waumlhrend der nachfolgenden Diskus-sionszeit erhob sich Schaeffer als jun-ger Christ um das historische Chris-tentum so gut er es konnte zu vertei-digen Zu seiner Uumlberraschung gab es nur eine weitere Person die aufstand und sehr deutlich von der Bibel her und unter Benutzung von Werken J Gresham Machens seine Position ver-teidigte Ihr Name war Edith Seville Am 26 Juli 1935 heirateten Francis und Edith

Jahre auf dem Seminar

bull Im Herbst 1935 trat Francis Schaef-fer in das Westminster Theological Seminary ein Westminster war 1929

von J Gresham Machen und anderen fuhrenden Presbyterianern gegrundet worden die versuchten eine konserva-tive Alternative zum theologischen Li-beralismus zu bieten Waumlhrend seiner Zeit in Westminster wurde Schaeffer stark durch die Werke von Machen Cornelius Van Til und Allan Mac-Rae vom Biblical Theological Semi-nary gepraumlgt Interessanterweise sah Schaeff er sich selbst als jemand der in den Fuszligstapfen des auf Denkvor-aussetzungen aufbauenden apologe-tischen Programms Van Tils geht In spaumlteren Jahren gab es leider einen Riss zwischen den beiden Maumlnnern besonders von Van Tils Seite

bull 1936 enthob die Northern Presbyte-rian Church Machen wegen seines konservativen Standpunktes des Am-tes Das fuhrte zu konservativen Ab-spaltungen von der Denomination von denen auch Schaeffer betroffen war Leider wurde aufgrund mancher Konflikte innerhalb der konservati-ven Gruppen in Westminster im Jahr 1937 ein neues Seminar gegrundet das Faith Theological Seminary in Wilmington in Delaware unter der Leitung von Allan MacRae Scha-effer zog um zum Faith Theological Seminary um dort seine Studien im Jahre 1938 abzuschlieszligen Schaeffer hat spaumlter im Ruckblick auf diese Zeit manche der Zaumlnkereien und internen Streitigkeiten zu denen es unter den

Konservativen kam bedauert Spaumlter hat er zur Notwendigkeit einer bdquolie-bevolle Konfrontationldquo aufgerufen die gleichzeitig fur Wahrheit und fur sichtbare Liebe eintritt

Jahre als Pastor

bull Von 1938ndash1948 war Schaeffer Pastor verschiedener presbyterianischer Ge-meinden in Grove City und Chester Pennsylvania und ebenso in St Louis Missouri Waumlhrend ihrer Zeit in St Louis begannen er und Edith eine Or-ganisation mit dem Namen bdquoChild-ren for Christldquo (Kinder fur Christus) ndash ein evangelistischer Dienst unter Kindern der sich schlieszliglich auch in anderen Kirchen und Denominatio-nen ausbreitete

bull Im Jahr 1947 wurde Schaeffer vom Unabhaumlngigen Ausschuss fur Pres-byterianische Mission und von der Abteilung fur Auszligenbeziehungen des Amerikanischen Rates Christlicher Kirchen ausgesandt um die geistli-chen Bedurfnisse der Jugendlichen und die Konfrontation der Kirche mit dem theologischen Liberalismus im Nachkriegseuropa zu bewerten Als Ergebnis seiner drei Monate in Europa spurte Schaeffer dass Gott seine Fa-milie rief in Europa zu dienen

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

16 7 8 6 uuml

Der Umzug nach Europa

bull 1948 zogen die Schaeffers nach Lau-sanne in der Schweiz um als Missi-onare in Europa zu arbeiten Damals hatten die Schaeffers drei Toumlchter Priscilla Susan und Deborah Ihr Sohn Franky wurde 1952 geboren

bull Als sie nach Europa kamen grundeten sie zuerst bdquoChildren for Christldquo fur die Mission unter Kindern Schaeffer warnte auch weiter vor den Gefahren des theologischen Liberalismus und ebenso vor der raffinierten Bedrohung durch die Neoorthodoxie 1949 zogen die Schaeffers in das Bergdorf Cham-peacutery in der Schweiz

bull 1951 geriet Schaeffer aus mindestens zwei Grunden in eine tiefe geistli-che Lebenskrise Erstens sah er im Leben derer die fur das historische Christentum kaumlmpften nicht die Kraft des Evangeliums und das be-unruhigte ihn Zweitens erkannte er dass die Erfahrung des Herrn in seinem eigenen Leben nicht so pul-sierend war wie fruher Diese Krise brachte ihn dazu noch einmal alles zu uberdenken ndash sogar die Wahrheit des Christentums Aus diesem Erlebnis heraus kam Schaeffer zu dem festen Schluss dass es gute und ausreichende Grunde gab zu wissen dass der Gott der Bibel wirklich existiert und dass das Christentum wahr ist Er gelangte auch zu einem tieferen Verstaumlndnis fur

das vollbrachte Werk Christi und das Werk des Heiligen Geistes im Leben der Glaumlubigen Aus diesem Erlebnis heraus wurde spaumlter auch sein Buch bdquoTrue Spiritualityldquo geboren Mehr als das ndash aus dieser Krise heraus wurde LrsquoAbri geboren Schaeffer sagte immer dass ohne diese Zeit des Kampfes da-rum bdquoRealitaumlt im christlichen Leben zu findenldquo LrsquoAbri niemals entstanden waumlre

bull 1955 zogen die Schaeffers durch eine Reihe wunderbarer Umstaumlnde in das Chalet Les Meacutelegravezes in Hueacutemoz in der Schweiz Sie erhielten nicht nur die notwendigen Finanzen um das Cha-let zu kaufen Ihnen wurden auch die Visa bewilligt um in der Schweiz zu bleiben nachdem ihnen vorher von der Schweizer Regierung mitgeteilt worden war sie haumltten das Land dau-erhaft zu verlassen

LrsquoAbri (bdquoDie Zufluchtldquo)

bull Die LrsquoAbri-Gemeinschaft wurde of-fiziell im Jahr 1955 geboren Es be-gann mit Freunden Priscillas die aus der Universitaumlt in das Haus der Schaeffers kamen und Fragen uber das Christentum die Wahrheit und das Leben stellten LrsquoAbri arbeitete mit vier Grundprinzipien (1) Sie wurden nicht um Geld bitten sondern ihre Bedurfnisse Gott mitteilen (2) Sie wurden nicht um Mitarbeiter wer-

ben sondern abhaumlngig davon sein dass Gott die richtigen Leute senden wurde (3) Sie wurden nur kurzfris-tig planen um von Gottes Leitung abhaumlngig zu sein und (4) Sie wurden nicht sich selbst bekanntmachen son-dern Gott vertrauen dass er ihnen Menschen in Not senden wurde

bull Zuerst wurden Treffen und Gottes-dienste im Haus der Schaeffers abge-halten Dann wurden sie in eine ver-lassene protestantische Kirche verlegt Durch Mundpropaganda verbreitete sich die Nachricht unter Universitaumlts-studenten dass es einen Ort in den Schweizer Alpen gebe wo man ehrli-che Antworten auf die tiefsten Fragen des Lebens bekommen koumlnne Inner-halb kurzer Zeit kamen jedes Wo-chenende Studenten nach LrsquoAbri Es enstand eine Struktur von Mahlzei-ten Spaziergaumlngen Gespraumlchen und einem Sonntagsgottesdienst die alle darauf ausgerichtet waren eine Atmo-sphaumlre zu schaffen die das Gespraumlch uber philosophische und religioumlse Ge-danken anregen sollte

bull Am staumlrksten betonte LrsquoAbri ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen im Kontext von gastfreundlicher Um-gebung und sichtbarer Liebe In den fruhen Tagen dachte man nicht ein-mal an Bucher Filme und Tonbaumln-der Die Tonbaumlnder kamen zuerst nur durch ein zwischen einigen Blumen verstecktes Mikrofon zustande mit

dem die Gespraumlche jenes Abends auf-gezeichnet wurden Erst als Schaef-fer erkannte dass die Tonbaumlnder ge-braucht werden konnten um andere zu erreichen gab er zoumlgerlich seine Erlaubnis zum Beginn des Tonband-programms Schlieszliglich kamen Men-schen nach LrsquoAbri um zu studieren und zu arbeiten Schon 1957 kamen jedes Wochenende 25 Leute

bull LrsquoAbri dehnte sich uber die Schweiz hi-naus aus 1958 begann es in England Heute befinden sich LrsquoAbris uberall auf der Welt in Australien Holland Indien Sudkorea und Schweden und ebenso in den USA in Massachusetts und Minnesota16

bull Bis 1960 war LrsquoAbri in einem sol-chen Maszlige gewachsen dass es die Aufmerksamkeit des Time-Magazins auf sich zog Tonbaumlnder wurden nun weltweit verteilt und Schaeffer er-hielt Einladungen aus Europa und Nordamerika Das waren gleichzeitig schwierige Zeiten in LrsquoAbri Als mehr und mehr Studenten kamen wurden Geld und Lebensmittel knapp

bull 1965 reiste Schaeffer zuruck nach Nordamerika und hielt Vorlesungen in Boston Dann fuhr er zum Whea-ton College und hielt Vorlesungen die spaumlter die Grundlage fur sein Buch bdquoThe God Who is Thereldquo (dt bdquoGott ist keine Illusionldquo) wurden Damals schaumltzten ihn die Studenten unge-heuer die akademische Welt war je-

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 177 8 6 uuml

doch viel behutsamer darin ihn zu ak-zeptieren Am Wheaton College sprach er zum Beispiel uber Themen von de-nen die meisten Menschen in evange-likalen Kreisen niemals gehoumlrt hatten oder uber die sie nicht diskutieren durf-ten wie etwa die Filme von Ingmar Bergman und Fedrico Fellini und die Schriften von Albert Camus Jean-Paul Sartre und Martin Heidegger

bull Waumlhrend der naumlchsten zehn Jahren wurden die Schaeffers zu einer der be-kanntesten Familien in der evangelika-len Bewegung Francis veroumlffentlichte zahlreiche Bucher und Broschuren von denen die meisten aus Vorlesungen entstanden die er seit der Grundung von LrsquoAbri gehalten hatte Edith ver-oumlffentlichte eine Anzahl von Buchern uber Ehe Familie Theologie und die Geschichte von LrsquoAbri17

Die 70er Jahre

bull Im Jahr 1974 sprach Schaeffer auf der Internationalen Konferenz fur Welt-evangelisation in Lausanne Schweiz wo er stark die Bedeutung der Irrtums-losigkeit der Bibel betonte Spaumlter im Jahr 1977 half er den Internationalen Rat fur Biblische Irrtumslosigkeit zu grunden

bull Ebenfalls in den 70er Jahren begann er aufgrund der Roe gegen Wade-Ent-scheidung des Obersten Gerichtshofs der USA seine Stimme gegen Abtrei-

bung zu erheben 1977 startete er eine Tour durch 22 Staumldte mit Seminaren und Ansprachen zu der Filmreihe bdquoWie koumlnnen wir denn lebenldquo Er begann ebenfalls die Arbeit an der Filmreihe bdquoWhatever Happened to the Human Raceldquo zusammen mit C Everett Koop und Franky Schaeffer die zu einer Tour mit Ansprachen im Jahr 1979 fuhrte

bull Schaeffers Kulturkritik und seine Verteidigung des historischen Chris-tentums lieszligen ihn in seinen Werken auch zu Themen wie Reinheit in Lehre und Leben Abtreibung Euthanasie Oumlkologie Krieg und Frieden sowie Burgerrechte seine Stimme erheben Schaeffer sprach sich lange und hart gegen das Eintreten der Kirche fur den Status Quo aus Er richtete sich be-sonders gegen ihre Annahme der ame-rikanischen Lebensphilosophie die seit den 50er Jahren die Gesellschaft durchdrungen hatte naumlmlich die Phi-losophie dass man nur fur bdquopersoumln-lichen Frieden und Wohlstandldquo lebt Er rief nach einer neuen Generation von Christen die wirklich bdquorevolutio-naumlrldquo sein sollten in ihrem Eintreten fur Wahrheit sowohl in der Lehre als auch im Leben

Die 80er Jahre

bull In den 1980er Jahren wurde Schaeffer aufgrund von dem was als Verschie-bung zum bdquoKonservativismusldquo wahr-

genommen wurde zunehmend von evangelikalen Akademikern und poli-tisch liberalen Evangelikalen entfrem-det Das geschah besonders aufgrund seiner Veroumlffentlichung bdquoA Christian Manifestoldquo (1981) das nicht nur den Aufstieg der bdquoMoral Majorityldquo lobte sondern auch Christen dazu aufrief ge-gen Abtreibung einzustehen und falls noumltig zivilen Ungehorsam zu prakti-zieren Interessanterweise sah Schaeffer selbst keine Verschiebung in seinem Denken gegenuber den 70er Jahren Er sah vielmehr seine Arbeit in den 80er Jahren als die logische Fortsetzung seiner Entscheidung die Wahrheit zu praktizieren und die Herrschaft Christi uber das gesamte Leben herauszuarbei-ten sei es das Leben im Mutterleib in der Kirche oder im Houmlrsaal

bull Im Jahr 1984 als er immer noch ge-gen den 1978 bei ihm diagnostizier-ten Krebs kaumlmpfte unternahm er buchstaumlblich auf dem Sterbebett eine Rundreise durch 13 Staumldte bei der er zehn christliche Colleges besuchte Dies geschah in Zusammenhang mit seinem letzten Buch The Great Evan-gelical Disaster (dt Die groszlige Anpas-sung Der Zeitgeist und die Evange-likalen) Auf seiner letzten Rundreise sprach er leidenschaftlich im Namen des Evangeliums warnte dabei und flehte die evangelikale Gemeinde an weder in der Lehre noch in der Praxis Kompromisse in Bezug auf die Auto-

ritaumlt der Bibel einzugehen Er nannte dabei sogar Namen derer von denen er glaubte dass sie das getan haumltten Er rief eine neue Generation von Christen dazu auf fur die Wahrheit einzutreten in seinen Worten bdquoRadikale fur Chris-tusldquo zu sein

bull Am 15 Mai 1984 einen Monat nach-dem die Rundreise abgeschlossen war starb er in Rochester Minnesota

Lehren die wir aus dem Denken Francis Schaeffers ziehen koumlnnen

Ideen haben Konsequenzen

Eines der groszligen Vermaumlchtnisse des Werkes Francis Schaeffers war es uns zu zeigen dass bdquoIdeen Konsequenzen ha-benldquo18 Auch wenn seine Analyse nicht in allen Teilen vollstaumlndig korrekt war hatte Schaeffer doch ganz Recht darin dass die westliche Gesellschaft eine bdquoLi-nie der Verzweiflungldquo erlebt hatte ndash einen langsamen Prozess durch den Ideen hi-nuntersickerten von der Philosophie zur Kunst zur Musik zur allgemeinen Kul-tur und schlieszliglich zur Theologie19 Das kulturelle Durcheinander in dem wir le-ben kam nicht aus dem Nichts sondern hat eine lange Geschichte

Wie Schaeffer uns immer wieder erin-nert hat gibt es bei der Entfaltung von Ideen einen Einfluss in die Geschichte

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

18 7 8 6 uuml

ndash sei es zum Guten oder zum Schlech-ten Zusaumltzlich lehrte uns Schaeffer dass wir um unsere Gegenwart zu verstehen auch den Lauf der Geistesgeschichte er-fassen mussen die uns vorausging Dies betrifft auch die Auswirkungen die sie auf uns hat und haben wird wenn die Menschen schlieszliglich gemaumlszlig ihren Glaubensuberzeugungen handeln Ei-gentlich warnte uns Schaeffer dass wir wenn wir die Geistesgeschichte nicht durchdenken werden wir nicht nur un-sere eigene Zeit missverstehen sondern wir werden auch zu unserem gegen-waumlrtigen Zeitalter nichts Konstruktives zu sagen haben werden Wir werden unvermeidlich dem sprichwoumlrtlichen Frosch im Wassertopf gleichen der die Tatsache nicht wahrnimmt dass das Wasser langsam erhitzt wird und dass das Ergebnis wenn er nicht sofort aus dem Topf springt Zerstoumlrung sein wird

Fur christliche Leiter Pastoren und Lehrer ist diese Lehre von aumluszligerster Wichtigkeit Wenn wir unserem Herrn und seinem Volk treu bleiben wollen wenn wir unserer Generation etwas Loh-nendes sagen wollen wenn wir die sein wollen die wirklich ihre Zeit verstehen und zu den draumlngenden Fragen des Ta-ges Stellung nehmen wollen dann wird das nicht weniger erfordern als ein tief-gehendes Verstaumlndnis des Tages und des Zeitalters in dem wir zu dienen und zu arbeiten berufen sind Doch nicht nur das es erfordert ebenso eine ganze Hin-gabe an den Herrn und sein Wort In

diesem Zusammenhang zitierte Schaef-fer oft und gerne die beruhmte Aussage Martin Luthers

Wenn ich auch mit der lautesten Stimme und klarsten Darlegung jedes Stuck der Wahrheit Gottes bekenne mit Ausnahme genau jenes kleinen Punktes den die Welt und der Teufel im Mo-ment angreifen dann bezeuge ich nicht Christus wie lautstark auch immer ich mich zu ihm bekenne Die Treue eines Soldaten beweist sich da wo gerade der Kampf wutet Auszligerhalb des Kampfes an der Front standhaft zu sein ist nichts anderes als Flucht und Schande wenn man am entscheidenden Punkt zuruckweicht20

Das war fur Francis Schaeffer keine Theorie Fur ihn war das eine Sache auf Leben und Tod Wir mussen so warnte er die Wichtigkeit von bdquoIdeenldquo begrei-fen um unsere Zeiten recht zu verste-hen Wenn wir das nicht tun werden wir naumlmlich vom bdquoGeist unserer Zeitldquo hinweggefegt werden ohne auch nur zu merken was uns geschieht

Der Kampf des Tages Die Idee der Wahrheit

Was war demnach fur Schaeffer die bdquoSchlusselideeldquo die wir heute begreifen mussen Was sollte die Kirche aus ei-ner Analyse der Geistesgeschichte ler-nen um dem Herrn heute treu bleiben zu koumlnnen Was ist unser Kampf Fur

Schaeffer ist die Antwort unstrittig Un-ser Kampf heute ist ein Kampf fur die Idee und das Konzept von Wahrheit an sich

Die heute zwischen den Generationen aufgebrochene Kluft ist zum groumlszligten Teil durch einen Wandel im Wahr-heitsverstaumlndnis entstanden Wo immer wir hinschauen herrscht dieses neue Verstaumlndnis vor Es umgibt uns als ein nahezu fugenloser Meinungsblock auf allen Gebieten sei es in den Kunsten in der Literatur oder auch nur beim Lesen von Zeitungen und Wochenschriften wie Spiegel Weltwoche Welt am Sonn-tag Sunday Times LlsquoExpreszlig de Paris Elsevierlsquos Weekblad und anderen mehr Von allen Seiten her spuren wir den Wurgegriff einer neuen Methodologie ndash und mit Methodologie meinen wir die Art und Weise wie wir an Wahrheits-erkenntnis und Wissen herangehen Es ist erstickend wie der dichteste Londo-ner Nebel Und sowenig sich der Nebel durch Waumlnde und Turen abhalten laumlsst so wenig koumlnnen wir uns der vorherr-schenden Meinung entziehen Das geht so weit dass wir in unseren eigenen vier Waumlnden nicht mehr klar sehen und uns doch nicht erklaumlren koumlnnen was eigent-lich geschehen ist Die Tragik unserer heutigen Situation liegt darin dass die neue Einstellung zur Wahrheit Maumlnner und Frauen in ihren Lebensgrundlagen erschuttert hat ohne dass sie sich jemals Rechenschaft uber den neuen Kurs ge-geben haben Die jungen Menschen

werden zunaumlchst im Rahmen des alten Wahrheitsverstaumlndnisses erzogen Dann geraten sie unter den Einfluss der mo-dernen Auffassung Mit der Zeit wer-den sie unsicher weil sie die ihnen vor-gelegte Alternative nicht durchschauen Diese Unsicherheit fuhrt zu Verwirrung und bald zu einem inneren Zerbruch ndash unglucklicherweise nicht nur bei jun-gen Menschen sondern auch bei vielen Pfarrern Lehrern Evangelisten und Missionaren So ist wie ich meine die veraumlnderte Auffassung uber den Weg der zu Erkenntnis und Wahrheit fuhrt das entscheidende Problem das sich der Christenheit heute stellt21

In der Literatur der Gegenwart sei sie philosophisch wissenschaftlich litera-risch oder theologisch wird fur das auf was Schaffer sich bezieht oft der Begriff bdquoPostmodernismusldquo gebraucht Auch wenn Schaeffer selbst niemals den Be-griff benutzte sah er den Inhalt voraus und beschrieb ihn bevor der Gebrauch des Begriffs Mode wurde22 Schaeffer hatte eine Gabe das zu tun Oft konnte er bdquosehenldquo wohin Ideen gingen weil er die Maxime ernst nahm bdquoIdeen haben Konsequenzenldquo Im heutigen Gebrauch bezeichnet bdquoPostmodernismusldquo eine Denkweise die fest verknupft ist mit der Verleugnung von Wahrheit in jedem objektiven universalen Sinn Er wird oft dem bdquoModernismusldquo gegenubergestellt der viel vom Geist der Aufklaumlrung wi-derspiegelt einem Geist der interessan-

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 197 8 6 uuml

terweise viel vom Christentum entliehen hat Wie das Christentum so glaubte auch er dass Wahrheit objektiv und uni-versal sei und dass die Vernunft durch Forschung und Untersuchung Wahrheit erlangen koumlnne Anders als das Chris-tentum versuchte er jedoch Wahrheit ohne Abhaumlngigkeit von Gott und sei-nem gesprochenen Wort zu entdecken Statt dem christlichen Motto bdquoGlaube sucht zu verstehenldquo zu folgen und die Prioritaumlt der goumlttlichen Offenbarung zu unterstreichen versuchte der Modernis-mus dem Programm bdquoIch verstehe um zu glaubenldquo zu folgen In diesem Sinn versuchte der Modernismus dann alle Wahrheitsanspruche seien sie philoso-phischer oder theologischer Art unter der bdquoAutoritaumltldquo des menschlichen Ver-standes unabhaumlngig von Gottes Wort zusammenzufassen Der Postmodernis-mus auf der anderen Seite ist in Wirk-lichkeit logisch zu Ende gedachter Mo-dernismus und ist sich daher erkenntnis-theoretisch seines Ausgangs und seines Ergebnisses viel bewusster23 In diesem Sinn nimmt der Postmodernismus das Projekt der Aufklaumlrung ernst das sein Zentrum im autonomen Selbst hat Dann aber kommt er zu Recht und iro-nischerweise zu dem Schluss dass wenn die Sicht der Aufklaumlrung richtig ist die Wahrheit niemals universal sein koumlnne Warum Der einfache Grund ist dass endliche Menschen und Gemeinschaf-ten zu sehr historisch positioniert und

soziologisch abhaumlngig sind als dass sie jemals einen bdquoGesichtspunkt mit Gottes Augeldquo d h einen objektiven universa-len unbefangenen Gesichtspunkt liefern koumlnnten Wahrheit kann letztlich nicht das sein was der Modernismus von ihr zu sein erwartete sie muss vielmehr perspektivisch provisorisch und endlich sein Letztendlich ist sie das was die Ge-meinschaft am houmlchsten bewertet d h sie ist pragmatisch

Falls der Postmodernismus wahr ist sind naturlich alle Behauptungen von Einzelnen oder Gemeinschaften bdquodie Wahrheitldquo zu kennen notwendigerweise falsch ndash tatsaumlchlich eine interessante Iro-nie Postmodernismus ist im Tiefsten ein Misstrauen gegen jeden der sagt bdquoSo ist esldquo oder bdquoDas ist die Wahrheitldquo und als solcher neigt er zu einem umfassenden Pluralismus Relativismus und Skepti-zismus So erinnert uns D A Carson daran dass heute bdquoder einzige absolute Glaube der Glaube an den Pluralismusldquo ist24 ndash d h jedermanns Gesichtspunkt ist willkommen ob er nun philosophi-sche moralische oder religioumlse Themen betrifft Auch wenn Francis Schaeffer niemals das Wort bdquoPostmodernismusldquo gebrauchte warnte er uns vor der Idee und ihren Konsequenzen Eigentlich war es diese bdquoIdeeldquo die er kontinuier-lich in seinen Buchern und Vortraumlgen herausgearbeitet hat damit wir sie ver-stehen und begreifen Im Kern so vieler Themen mit denen die Kirche konfron-

tiert ist so argumentierte er liegt eine erkenntnistheoretische Verschiebung die im Denken und in der Kultur des Westens stattgefunden hat ndash eine Ver-schiebung die wir nun Postmodernis-mus nennen eine Verschiebung weg von der Wahrheit oder von dem was er bdquowahre Wahrheitldquo nannte25

Wenn wir diese Verschiebung nicht verstehen sie nicht ernst nehmen und ihr nicht entgegentreten so warnte er uns auch dann werden wir nicht den Kampf unserer Tage als gute Soldaten Jesu Christi kaumlmpfen Am Ende werden unser Lehren Predigen unsere Apologe-tik und unsere Evangelisation auf taube Ohren stoszligen weil sie nicht angemessen unsere Generation ansprechen

Unsere Generation wird die Darbie-tung des Evangeliums entweder als ein Relikt einer vergangenen Aumlra oder in den Kategorien einer postmodernen Gesellschaft houmlren und daher das Evan-gelium relativieren26 Was heute letzt-lich auf dem Spiel steht so behauptete Schaeffer ist ein Kampf um das gesamte Weltbild Nicht laumlnger geht es bei dem Kampf fur das Evangelium um diesen oder jenen Punkt sondern um die ge-samte Struktur und den Rahmen ndash ein Kampf bei dem es nach Ausmaszligen und Konsequenzen um Leben und Tod geht Es ist diese letzte Beobachtung die neu von Francis Schaeffer gelernt werden muss Schaeffers groszliges Anliegen war die Verkundigung des Evangeliums und

der Aufbau der Kirche Er wollte treu zu seiner Generation in solch einer Weise sprechen dass das Evangelium als das gehoumlrt wurde was es wirklich war Des-halb muhte er sich darum Menschen die Geistesgeschichte verstehen zu lassen ndash nicht um der Neugierde willen son-dern mit dem Ziel ihre Zeit besser zu verstehen Bei aller berechtigten Debat-te uber die Genauigkeit von Schaeffers Interpretation solcher Leute wie Thomas von Aquin Georg Friedrich Hegel Souml-ren Kierkegaard verschiedener Kunstler und Musiker und sogar Karl Barths er-kennen die meisten an dass Schaeffers Gesamtanalyse korrekt ist ndash eine Analy-se die zu oft sowohl in ihren theoreti-schen als auch praktischen Auswirkun-gen vergessen worden ist

Ohne Berucksichtigung aller Details lag Schaeffer darin richtig die erkennt-nistheoretischen Verschiebungen zu be-tonen die in der westlichen Gesellschaft stattgefunden hatten Verschiebungen die unglaubliche praktische Konsequen-zen haben Wir wollen kurz drei dieser praktischen Auswirkungen hervorhe-ben vor denen Schaeffer uns warnte und die fur die Kirche heute von besonderer Wichtigkeit sind

Die Verschiebung zur Erfahrung

Mit dem Verlust der Wahrheit geht eine zunehmende Verschiebung zur Erfah-rung einher zu einer Erfahrung aller-

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

20 7 8 6 uuml

dings die oft ohne Inhalt und Wahr-heit ist In seiner Analyse des westlichen Denkens vertritt Schaeffer die Auffas-sung dass der moderne Mensch zuneh-mend begann die Welt auf eine natu-ralistische Art zu betrachten27 In der Wissenschaft gab es eine Verschiebung von der Ansicht dass es eine Gleichfoumlr-migkeit naturlicher Ursachen in einem kontrollierten System gebe durch die Gott das System staumlndig erhaumllt und so-gar eingreifen kann wenn er sich dazu entscheidet hin zu der Sicht dass es ein geschlossenes System gebe dass Gott ausschlieszligt In der Philosophie beson-ders in der des Westens gab es einen wachsenden aufklaumlrerischen Impuls hin zum bdquoRationalismusldquo28 das heiszligt zu ei-ner Geisteshaltung die versuchte durch die menschliche Vernunft eine einheitli-che Sicht von Welt und Leben zu liefern

Dies geschah in einer solchen Wei-se dass die Vernunft zunehmend un-abhaumlngig von goumlttlicher Offenbarung funktionierte Diese Verschiebungen fuhrten jedoch wie Schaeffer behaup-tete schlieszliglich zu einer dichotomen Sicht der Wirklichkeit die er bdquodas Un-ter- und das Obergeschossldquo nannte Das laumlsst sich belegen durch Dialektiken wie die der Spaltung in bdquoNatur-Freiheit und bdquoPhaumlnomenon-Noumenonldquo bei Imma-nuel Kant29 Das Problem bei dieser dialektischen Sicht der Wirklichkeit so behauptet Schaeffer besteht darin dass sie uns mit einer schrecklich gespaltenen

Sicht von der Welt zurucklaumlsst Die un-abhaumlngig von der goumlttlichen Offenba-rung handelnde menschliche Vernunft hat keine Moumlglichkeit zu begrunden wie diese naturalistische determinierte auf Ursache und Wirkung aufbauende unpersoumlnliche Welt im bdquoUntergeschossldquo (d h im Bereich der bdquoNaturldquo) dem bdquoObergeschossldquo (d h dem Bereich der bdquoFreiheitldquo) in dem wir versuchen Sinn Werte Ziele und Freiheit zu finden eine vernunftgemaumlszlige Grundlage geben kann Was sollen also die Menschen tun Leben sie konsequent nach den Schlussfolgerungen zu denen sie ihre Vernunft im bdquoUntergeschossldquo gefuhrt hat ndash naumlmlich dass sie determiniert und ohne Bedeutung sind Nun man-che versuchen das Nach der Lehre der Schrift jedoch so beobachtet Schaeffer ist diese Sicht der Wirklichkeit falsch alle Menschen sind nach dem Bild Got-tes gemacht

Es ist daher nahezu unmoumlglich mit solch einer Sicht zu leben Die Men-schen geben daher in der Praxis die Moumlglichkeit einer Vereinigung dieser dichotomen Bereiche auf d h sie geben die Hoffnung auf Wahrheit im Sinne einer einheitlichen Weltsicht auf und bewegen sich dann auf Irrationalitaumlt zu Sie argumentieren fur Sinn Werte Ziele und Freiheit tun dies jedoch ohne eine vernunftgemaumlszlige Grundlage Sie le-ben im bdquoGlaubenldquo mit einem Glauben jedoch der wenig oder keinen Inhalt

und kein vernunftgemaumlszliges Fundament hat Sie setzen in das bdquoObergeschossldquo wie Schaeffer wiederholt betonte eine Konzentration auf Erfahrung eine Er-fahrung allerdings die fur alles offen ist eine Erfahrung die so verschiedenartig sein kann wie Drogen und Sex in den 1960er Jahren und New-Age- Spirituali-taumlt in den 1980ndash90er Jahren30 Fur Scha-effer ist daher die beste Charakterisie-rung bdquopost-modernerldquo Menschen (oder wie er es nannte bdquomoderner modernerldquo Menschen) dass sie mit der Dichotomie zwischen dem bdquoUnter- und dem Ober-geschossldquo leben Fur ihn war das nicht nur eine schlaue Feststellung es war das Herzstuck der Sache Welche prak-tischen Folgen hat das heute fur uns Eine massive Folgewirkung hat das so behauptet Schaeffer fur unsere Evange-lisation Bei unserer Verkundigung des Evangeliums mussen wir uns bestaumlndig daran erinnern dass wir zu Menschen predigen die mit dieser Dichotomie le-ben Und wenn wir nicht vorausahnen wie sie houmlren werden was wir sagen gehen wir das Risiko ein mit ihnen nicht auf geeignete Weise zu kommuni-zieren Wir riskieren es sogar Bekehrte zu machen die an Jesus bdquoglaubenldquo als lediglich eine weitere bdquoObergeschossldquo-Erfahrung losgeloumlst von Wahrheit Ver-nunftgemaumlszligheit und Wirklichkeit Und Schaeffers Kritik an der evangelikalen Bewegung konzentrierte sich genau auf diesen Punkt Auf der einen Seite war

er besorgt dass Evangelikale bei ihrer Evangelisation Lehre und Inhalt zu-gunsten von Erfahrung herunterspiel-ten Wenn wir Menschen zum retten-den Glauben rufen mussen wir ihnen klarmachen dass die Wirklichkeit des Evangeliums bdquowahre Wahrheitldquo weiter-gibt Wir mussen dabei Menschen mit dem bdquoGott der keine Illusion istldquo kon-frontieren

Die Menschen mussen begreifen dass Glaube kein blinder Sprung ist sondern verwurzelt und gegrundet ist in der Wahrheit Erfahrung ist wich-tig und Schaeffer betonte diese Tatsa-che stark Aber Erfahrung darf nicht losgeloumlst von der Wahrheit sein31 Auf der anderen Seite war er im Bereich der akademischen Theologie besorgt dass Evangelikale zu viel aus der Theologie der Neoorthodoxie ubernahmen Er glaubte es sei ein Fehler gigantischen Ausmaszliges mit Karl Barth eine Position zu vertreten die die Moumlglichkeit sol-cher Fehler in der Schrift einraumlumt die nicht unseren Glauben an den Herrn Jesus Christus negativ beeinflussen Er sah Barths Theologie als ein weiteres Beispiel dafur an wie das zeitgenoumlssi-sche Denken die Wirklichkeit dichoto-misiert und bdquoGlaubenldquo und Theologie von vernunftgemaumlszliger Begrundung und verifizierbarer Geschichte scheidet32 In diesen Punkten liegt Schaeffer richtig Die evangelikale Bewegung darf beson-ders heute die Themen Wahrheit Inhalt

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 217 8 6 uuml

und Lehre nicht vergessen Erfahrung ist wichtig Aber Erfahrung muss im-mer in der Wahrheit des Wortes Gottes begrundet sein Ausgehend von der Ten-denz unserer Generation sich auf Erfah-rung zu berufen mussen wir vorsichtig sein dass wir uns nicht an unsere Zeit anpassen Es ist sehr wichtig was wir glauben und letztendlich an wen wir glauben Nicht jeder bdquoGlaubeldquo oder jede bdquoGlaubensformldquo sind gleichwertig Das fuhrt mich zu einer zweiten praktischen Folge vor der uns Schaeffer warnte

Die Herausforderung des religioumlsen Pluralismus

Mit dem Verlust der Wahrheit werden eine zunehmende Betonung des religiouml-sen Pluralismus und ein Herunterspielen der Ausschlieszliglichkeit des Evangeliums einhergehen Wenn Schaeffer uber reli-gioumlsen Pluralismus sprach bezog er sich nicht auf die empirische Beobachtung dass es viele Religionen auf der Welt gibt und dass es sogar im Westen wo das Christentum einst vorherrschend war ein zunehmendes Wachstum von Religionen gibt Er bezog sich viel-mehr auf die Geisteshaltung die nicht zulaumlsst dass irgendeine Religion wahr oder besser als die andere ist Er sah dies als eine praktische Konsequenz aus der Verleugnung der Wahrheit an Wir die wir am Anfang des 21 Jahrhunderts le-ben werden mit dieser Haltung uberall

konfrontiert Wenn die Southern Bap-tist Vollversammlung Gebetsbriefe ver-sendet und darin sagt dass Juden und Hindus evangelisiert werden mussen weil sie verloren sind dann koumlnnen wir uns vorstellen welche Art von Reaktio-nen sie auszligerhalb der Kirche und leider auch bei denen die sich mit der Kirche identifizieren hervorrufen Bei Schaef-fer ist an diesem Punkt interessant dass er das bereits vor langer Zeit in den 1960er Jahren kommen sah33 Als eine wichtige Begleiterscheinung des Verlus-tes der Wahrheit sah er voraus dass ein umfassender Pluralismus an ihre Stelle gesetzt wurde Und Teil unserer Beru-fung in unserer Generation ist es an diesem Punkt fest zu stehen und einen ausschlieszliglichen Christus ohne Kom-promisse in einem inklusiven pluralis-tischen Zeitalter zu verkundigen

Die Entwertung des menschlichen Lebens

Mit dem Verlust der Wahrheit geht eine dritte praktische Folge einher naumlmlich die Entwertung des menschlichen Le-bens Ich habe das schon oben erwaumlhnt und werde unten darauf hinweisen Es ist jedoch wichtig aufzuzeigen dass Schaeffers Vorhersage der nachchrist-liche Westen werde beginnen das Le-ben zu entwerten eine Vorhersage war die in seiner Analyse der Verschiebung von Ideen weg vom einem christlichen

Verstaumlndnis der Welt zu einem mo-dernen und schlieszliglich postmodernen Verstaumlndnis der Wirklichkeit verwurzelt war Schaeffer hatte die Menschen seit Jahren gewarnt dass das Weltbild des Westens sich in Richtung auf eine In-terpretation der Wirklichkeit allein im Sinne eines unpersoumlnlichen geschlosse-nen Systems bewege Naturlich war die Folge davon nicht nur dass Chemie und Physik innerhalb eines bdquogeschlos-senen Systemsldquo interpretiert wurden sondern das gleiche geschah mit den Geisteswissenschaften der Psychologie Soziologie der Literaturwissenschaft und sogar der Theologie Darin lag eine massive Wende zum Unpersoumlnli-chen und das so sagte Schaeffer vo-raus wurde zu einer Entwertung des menschlichen Seins fuhren Naturlich lag Schaeffers Vorhersage genau richtig Ethische Fragen und heute ubliche De-batten (uber Abtreibung Kindestoumltung Euthanasie Klonen) sind saumlmtlich Be-lege fur den Ausverkauf des Wertes des menschlichen Lebens Aus diesem Grund nahm Schaeffer eben diesen Standpunkt an der sozialen Front ein Es war nicht ein Standpunkt fernab von seiner Theologie vielmehr unterstrich er ihn genau aus dem Grund weil er sah dass Ideen Konsequenzen haben und dass die Wahrheit zum Handeln ruft Wie ich festgestellt habe ist Schaeffers staumlndige Betonung dass bdquoIdeen Kon-sequenzen habenldquo eines seiner groszligen

Vermaumlchtnisse das zu vernachlaumlssigen eine groszlige Gefahr bedeutet Auszligerdem mussen wir von Schaeffer lernen heu-te unserem Herrn treu zu bleiben und das Evangelium in einer solchen Weise zu verkundigen dass es wirkungsvoll zu den Menschen spricht Wir mussen Christen dafur auszurusten ihre Welt zu verstehen und in ihr auf eine solche Weise zu leben dass sie nicht von ihr gepraumlgt werden Er lehrte uns dass dies nicht lediglich akademische Fragen sind sondern Fragen auf Leben und Tod

Die Wichtigkeit des Denkens in Weltbildern

Francis Schaeffer lehrte uns nicht nur dass bdquoIdeen Konsequenzen habenldquo Er erinnerte uns auch daran dass die ent-scheidenden bdquoIdeenldquo um die die Debatte geht letztlich eine Frage des Weltbildes sind Das ist zwar keine neue Beobach-tung aber eine die bis vor kurzem oft vernachlaumlssigt wurde34 Ausgehend von den ungeheuren Verschiebungen die in der Gesellschaft stattgefunden haben ist es wichtig zu erkennen dass wir in einem Kampf stehen bei dem es nicht nur um diesen oder jenen Punkt der christlichen Wahrheit geht Es geht um ganze Systeme von Weltbildern die im Widerstreit liegen Schaeffer sprach von diesen Unterschieden der Weltbilder als von Unterschieden der Denkvorausset-zungen35 Er vertrat die Auffassung dass

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

22 7 8 6 uuml

im Westen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts jeder ndash Christen und Nichtchristen gleicherweise ndash unter dem starken Einfluss einer christlichen Sicht der Wirklichkeit von den grundlegend selben Denkvoraussetzungen ausging Auch wenn man argumentieren koumlnn-te dass die Nichtchristen aufgrund ihrer Zuruckweisung des christlichen Weltbildes kein Recht haumltten von die-sen Denkvoraussetzungen auszugehen koumlnnte man doch sagen dass es eine Ge-meinsamkeit im Denken gab Als aber schlieszliglich die Menschen begannen in einer konsequenteren Weise nach ihren Denkvoraussetzungen zu handeln und sie das noch weiter von dem christli-chen Weltbild wegfuhrte merkten viele Christen nicht was geschehen war Und so passierte was Schaeffer folgenderma-szligen kommentiert

bdquoDie Fluten von saumlkularem Denken und liberaler Theologie uberschwemmten die Kirche weil die Leiter die Bedeutung des Kampfes gegen das Bundel falscher Denkvoraussetzungen nicht verstanden Sie kaumlmpften weitgehend auf dem fal-schen Territorium und hinkten daher elend hinterher statt in der Verteidi-gung und der Kommunikation vorne zu sein Dies ist eine wirkliche Schwaumlche die unter den Evangelikalen selbst heute schwierig zu korrigieren istldquo36

Der Mangel in Weltbildern zu denken ist auszligerdem so argumentiert Schaef-fer zuruckzufuhren auf die Art unserer

Ausbildung sei sie christlicher oder sauml-kularer Art Er beobachtete scharfsin-nig dass wir in unserer Ausbildung oft zu einer Spezialisierung neigen ohne die Wechselbeziehungen zwischen den Disziplinen zu sehen und einen Uumlber-blick zu gewinnen d h ohne das Welt-bild zu sehen Dadurch stehen wir in der Gefahr die Beziehungen verschiedener Ideen zueinander nicht zu sehen und so auch die Konsequenzen der Ideen nicht wahrzunehmen Schaeffer stellt fest

Eine groszlige Schwaumlche unseres heutigen Bildungssystems ist das mangelnde Ver-staumlndnis der naturlichen Beziehungen zwischen den Disziplinen Wir betrei-ben unsere Wissenschaften als waumlren sie beziehungslose parallel nebeneinander herlaufende Linien Diese Fachblind-heit begegnet uns sowohl im christlichen als auch im weltlichen Bildungswesen und deshalb wurden die christlichen Kreise von dem groszligen Erdrutsch in unserer Generation uberrascht Wir ha-ben unsere Exegese als Exegeten unsere Theologie als Theologen Philosophie als Philosophen betrieben Wir studierten Kunst als Kunst und Musik als Mu-sik ohne daran zu denken dass dies alles Lebensaumluszligerungen des Menschen sind und dass Lebensaumluszligerungen des Menschen niemals beziehungslos neben-einander herlaufende Parallelen sein koumlnnen37

Das ist eine wichtige Lektion die wir besonders in unseren Tagen lernen

mussen In vielerlei Hinsicht sind wir wieder dort wo Paulus in Athen zu ei-ner Zuhoumlrerschaft und einem Umfeld predigte das pluralistisch heidnisch und dem Christentum in Bezug auf sein Weltbild fremd war (Apostelgeschichte 17) Aus diesem Grund vertritt Schaef-fer unter Berufung auf Texte wie Apg 17 wiederholt die Auffassung dass wir bdquoPrauml-Evangelisationldquo betreiben mussen was er eng mit Apologetik verband Er vertrat die Auffassung dass es zwei Ziele der Apologetik gebe Erstens das christliche Weltbild gegen Angriffe zu verteidigen und Menschen Grunde zu nennen warum wir glauben das das Christentum wahr sei Es gibt aber noch ein zweites Ziel der Apologetik das eng mit Evangelisation verbunden ist Wir mussen naumlmlich das Evange-lium unserer Generation in Begriffen die sie verstehen kann weitergeben Teil unserer Aufgabe in Evangelisation und Apologetik ist es daher das Evangelium als das darzubieten was es wirklich ist innerhalb des Weltbildes der Menschen unserer Generation Nur dann werden Menschen die Anspruche und Forde-rungen die das Evangelium an sie stellt richtig houmlren38

Das wirkte sich im Leben Schaeffers praktisch so aus dass er in seiner Evan-gelisation und seiner Darbietung des christlichen Glaubens nicht mit bdquoNimm Jesus als Retter aufldquo begann Stattdes-sen pflegte er dort zu beginnen wo die Schrift beginnt Er fing mit der Lehre

von Gott an damit die Weltbildstruk-turen des christlichen Glaubens zu er-richten die in der Lehre von der Schoumlp-fung der Offenbarung und dem histo-rischen Sundenfall grunden und dann und wirklich erst dann ging er zur Erlouml-sung uber dazu die Menschen auf den Herrn Jesus Christus zu verweisen der allein ihre einzige Hoffnung ist39 Wa-rum Wie Paulus in Athen wusste er Wenn er nicht zuerst einen biblischen Bezugsrahmen d h ein Weltbild ent-wickelte wurde die Verkundigung des Evangeliums keinen Sinn ergeben und seine Zuhoumlrer wurden das Evangelium nicht als das houmlren was es wirklich ist in seinen eigenen Kategorien und in sei-nen eigenen Begriffen Schaeffer hatte wie Paulus das groszlige Anliegen dass das Evangelium nicht faumllschlich aufgegeben oder in einen anderen fremden Welt-bildrahmen umgedeutet werden wurde weil das nur zu einer Entstellung der Botschaft des Evangeliums fuhrt Um Jesus Christus nicht nur als einen wei-teren Gott oder Retter sondern als aus-schlieszliglichen Herrn Retter und Richter besonders in unserem pluralistischen postmodernen inklusiven Zeitalter dar-zubieten war es zwingend wie Schaef-fer sah ein biblisch-theologisches Rah-menwerk aufzubauen das in der Hand-lung der Schrift verwurzelt ist Er sah also dass es entscheidend war in einem Weltbild zu denken das in dem einen Gott der wirklich bdquoda istldquo verwurzelt und gegrundet ist In Wahrheit war das

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 237 8 6 uuml

wozu uns Schaeffer aufrief und was er in seinem eigenen Leben vorbildhaft dar-stellte das Treiben von Theologie Im weitesten Sinne ist es die Aufgabe der Theologie die ganze Schrift auf die Fra-gen des Lebens anzuwenden Sie muss innerhalb der Kategorien der Struk-turen und der Lehren der Schrift dem Handlungsablauf der Schrift folgen und ihn auf die Welt anwenden Sie muss aus dem Weltbild der Schrift heraus leben und dieses biblisch-theologische Rah-menwerk uber alle anderen Weltbilder stellen

Kurz gesagt muss sie neu lernen wie man bdquodie Gedanken Gottes ihm nach-denktldquo und bdquojeden Gedanken in den Gehorsam gegen Christus gefangen-nimmtldquo40 Das war Schaeffers Staumlrke und das ist eine andere entscheidende Lektion die wir von ihm lernen mussen Ich bin von Folgendem uberzeugt Die Tatsache dass Schaeffer staumlndig auf der Weltbildebene gedacht hat erklaumlrt wa-rum er so unerbittlich darauf bestand dass Evangelikale an gewissen Punkten der Lehre keine Kompromisse einge-hen durfen Weil er erkannte dass der christliche Glaube ein Weltbild war und dass seine Einzelteile als ein Gan-zes bdquozusammenhingenldquo war er sehr be-sorgt wenn evangelikale Gelehrte an einigen dieser scheinbar bdquounbedeuten-denldquo Punkten nagten So war es ihm zum Beispiel ein groszliges Anliegen dass Adam als eine historische Gestalt und

der Sundenfall als ein Ereignis in Raum und Zeit angesehen wurden und dass die ersten Kapitel des 1 Buches Mose nicht ihrer Geschichtlichkeit beraubt wurden Warum Weil er zu Recht sah dass wir die Bibel zu ihren eigenen Be-dingungen annehmen mussen dass wir diese entscheidenden Ausgangspunkte beibehalten mussen die die Bausteine fur den Rest der Geschichte sind

Denn sonst wurde nicht nur das Welt-bild des historischen Christentums zu-sammenbrechen sondern letzten Endes wurde der christliche Glaube selbst zu nicht mehr als einer weiteren Sache im bdquoObergeschossldquo werden fern von ver-nunftgemaumlszliger Begrundung von der Wahrheit und vom dem Gott der wirk-lich bdquoda istldquo41 Auf dem Spiel steht mit anderen Worten nicht nur ein Punkt der Lehre sondern der ganze Anspruch des Weltbildes und in Wirklichkeit das Evangelium Wenn wir von Schaeffer an diesem Punkt lernen wollen muss unser Denken Lehren Predigen und Leben viel mehr bdquoweltbildlichldquo sein In unse-rem Kampf heute geht es um ganze Sys-teme von Weltbildern Daher mussen wir in unserem Lehren und Predigen haumlrter daran arbeiten den Menschen zu zeigen wie die Teile der Schrift als ein schlussiges Ganzes zusammenhaumln-gen und wie diese Teile zur Bildung eines Weltbildes fuhren Es gilt aber noch mehr In unserer Evangelisation im Sprechen zu einer Kultur die zuneh-

mend mit fremden Weltbildern operiert und wenig uber den christlichen Glau-ben weiszlig mussen wir neu lernen das Evangelium innerhalb seines eigenen Weltbildes weiterzugeben indem wir mit dem Gott beginnen der bdquokeine Il-lusion istldquo

Die Zentralitaumlt der Lehre von Gott

Francis Schaeffer war ein wahrhaft gottzentrierter Mann Das galt nicht nur fur seine persoumlnliche Andacht und sein persoumlnliches Leben das galt auch in Bezug auf sein Denken42 Es ist auf-schlussreich dass schon die Titel seiner Bucher (z B bdquoGott ist keine Illusionldquo bdquoUnd er schweigt nichtldquo) die Tatsache illustrieren dass fur Schaeffer all die Antworten des Lebens Sinn Moral Bedeutung und Werte in dem persoumln-lich-unendlichen dreieinigen Gott der Schrift verwurzelt und gegrundet sind Interessanterweise gibt es ein logisches Fortschreiten in diesen Lektionen Sie sind nicht willkurlich oder planlos Was ist mit der westlichen Kultur geschehen Laut Schaeffer hat sich der moderne Mensch von dem Gott der Schrift ab-gewandt Weil er das tat hatten die fremden Weltbilder die wir in unserer postmodernen Kultur um uns herum sehen gewisse Folgen Was ist dann die Loumlsung fur unser Problem Wohin

sollen wir uns wenden um die Dichoto-mien in unserem Geistesleben die Ent-fremdung in unserem persoumlnlichen Le-ben und die Unpersoumlnlichkeit in unserer Gesellschaft zu uberwinden Zuruck zu dem dreieinigen Gott der Schrift Denn es ist nur er der persoumlnlich-unendliche Gott der der Schoumlpfer Erhalter und der vorhersehende Herr ist der Gott der spricht bei dem wir die Antworten auf die Fragen des Lebens finden koumlnnen In ihm allein gibt es intellektuelle Ant-worten weil er die Quelle der Wahrheit und der Maszligstab fur sie ist

Aber auch Vergebung Heilung Rechtfertigung und Erloumlsung gibt es nur in ihm Fur Schaeffer ist Gott nicht nur die transzendentale Notwendigkeit fur Sinn Wahrheit und Werte Er ist auch unser Teil Er ist der Gott der kei-ne Illusion ist der erkannt geliebt und angebetet werden kann

Genau an diesem Punkt mussen wir von Schaeffer lernen Erstens mussen wir neu lernen wie zentral die Lehre von Gott fur unser christliches Weltbild ist Wir mussen das besonders deshalb lernen weil wir in einer Zeit des religi-oumlsen Pluralismus leben in der das Wort bdquoGottldquo im Wesentlichen bedeutungs-los und inhaltslos geworden ist Wir mussen den Mut haben aufzustehen und den einen Gott und keinen ande-ren zu verkunden Wir brauchen sogar in der evangelikalen Welt Mut in der zurzeit eine Debatte uber die Lehre von

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

24 7 8 6 uuml

Gott tobt um zu sagen dass nicht alle Vorstellungen von Gott gleich sind43 Es ist nur der Gott der Schrift wie er im historischen Christentum dargeboten wird der keine Illusion ist

Zweitens jedoch mussen wir neu ler-nen dass unsere Lehre von Gott nicht nur theoretisch sein darf Dieser Gott muss auch unser Teil sein Er muss der eine sein der unser Denken und unser Leben in Beschlag nimmt In unserem Lehren Predigen und Leben muss der Gott der Schrift unsere Leidenschaft und unsere Freude sein

Die Notwendigkeit biblischer Autoritaumlt und Irrtumslosigkeit

Wahrscheinlich haben nur wenige Evangelikale leidenschaftlicher uber Irrtumslosigkeit die Autoritaumlt der Bi-bel und die Lehre von der Inspiration gesprochen als Francis Schaeffer Er hat nicht nur bei der Bildung des bdquoInternati-onalen Rates fur Biblische Irrtumslosig-keitldquo mitgewirkt sondern auch daruber gelehrt gepredigt und geschrieben wie sehr die Autoritaumlt der Bibel eine Frage mit Wasserscheiden-Charakter ist Er hatte keine Zeit fur Evangelikale die nur Lippenbekenntnisse zur Autoritaumlt der Bibel ablegten und gleichzeitig das neu definierten was Irrtumslosigkeit historisch gesehen fur die Kirche be-

deutete und sie dabei durch hermeneu-tische Fragestellungen vernebelten oder die Anspruche der Bibel bezuglich ih-rer selbst unterhoumlhlten Die interessante Frage die sich jetzt stellt ist Warum Warum war Schaeffer die Autoritaumlt der Bibel ein solches Anliegen

Die Antwort sollte uns nicht uberraschen Sie war ihm darum ein solches Anliegen weil die Lehre von der Schrift so grundlegend fur das christli-che Weltbild und den Gott der Schrift ist Fur Schaeffer ist es der Gott der Bi-bel ndash der persoumlnliche unendliche drei-einige Gott ndash der die transzendentale Notwendigkeit fur Sinn Bedeutung Werte und Wahrheit ist Wir lernen diesen Gott nicht nur kennen weil er da ist sondern auch weil er zu uns ge-sprochen hat ndash er schweigt nicht Und weil Gott so ist wie die Schrift ihn zeigt ndash der Schoumlpfer Erhalter und Herr des Universums ndash haben wir intellektuell kein Problem damit zu bekraumlftigen dass Gott absolut dazu in der Lage ist sich uns selbst zu offenbaren und zu garan-tieren dass das was die irdischen Ver-fasser der Schrift freimutig schreiben genau dem entspricht was er geschrie-ben haben wollte Auszligerdem scheint das der Anspruch der Schrift bezuglich ihrer selbst zu sein44 So ist die Autoritaumlt der Bibel exegetisch theologisch und phi-losophisch sinnvoll Sie ist intellektuell glaubhaft ein wesentlicher Bestandteil der gesamten Weltbildstruktur Und

sie ist theologisch notwendig wenn wir Wahrheit haben und theologische Leh-ren begrunden wollen45 Ohne eine hohe Meinung von der Schrift verleugnen wir was die Schrift uber sich selbst sagt und unterhoumlhlen die Grundlage auf der wir Theologie treiben und die Grundfra-gen des Lebens beantworten koumlnnen46 Das ist der Grund warum Schaeffer zunehmend mehr uber Evangelikale be-unruhigt war die von einer hohen Mei-nung uber die Schrift abruckten oder sie unterhoumlhlten Sein letztes Buch das er buchstaumlblich auf seinem Sterbebett geschrieben hat versuchte die evange-likale Gemeinde aufgrund einiger der gerade dargelegten Grunde vor Kom-promissen bezuglich der biblischen Au-toritaumlt zu warnen Er schreibt

Die Evangelikalen sehen sich in unseren Tagen einer Wasserscheide gegenuber die die Natur der biblischen Inspiration und Autoritaumlt betrifft hellip Innerhalb der evangelikalen Welt gibt es eine Anzahl von Menschen die ihre Ansichten uber die Unfehlbarkeit der Bibel abaumlndern so dass die unumschraumlnkte Autoritaumlt der Bibel vollstaumlndig untergraben wird Aber dies geschieht in einer sehr spitzfin-digen Art und Weise Wie der Schnee der Seite an Seite auf der Gebirgskette liegt scheinen die neuen Ansichten uber die Autoritaumlt der Bibel oft nicht so sehr weit von dem entfernt zu sein was die Evangelikalen bis vor kurzem immer noch glaubten Aber ebenso wie der

Schnee der Seite an Seite auf dem Ge-birgskamm liegt enden die neuen An-sichten schlieszliglich wenn man sie kon-sequent verfolgt Tausende von Meilen von den alten entfernt

Was auf den ersten Blick nur ein klei-ner Unterschied zu sein scheint wird zuletzt zu einem sehr bedeutenden Unterschied Es macht wie wir wohl erwarten werden einen groszligen Unter-schied aus was die Theologie die Lehre und die geistlichen Fragen angeht aber es entscheidet auch grundsaumltzlich uber die alltaumlglichen Dinge im Leben eines Christen und uber die Art wie wir uns als Christen unserer Umwelt gegenuber zu verhalten haben Mit an-deren Worten wenn wir in bezug auf die unumschraumlnkte Autoritaumlt der Bibel einen Kompromiss eingehen dann wird dies mit der Zeit einen Einfluss darauf haben was es im theologischen Sinne heiszligt ein Christ zu sein und dieser Kompromiss wird auch Auswirkungen darauf haben wie wir in dem gesamten Spektrum des menschlichen Lebens un-ser Leben fuhren47

Es sollte uns nicht uberraschen dass verschiedene Evangelikale Schaeffers Darstellung als bdquoEntweder-Oderldquo nicht akzeptiert haben Scott Burson und Jerry Walls denken zum Beispiel dass er seine Sache ubertrieben habe Sie fragen ob Irrtumslosigkeit wirklich fur die Evangelikalen die Frage mit Wasserscheiden-Charakter ist und sie

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 257 8 6 uuml

antworten negativ48 Sie vertreten die Auffassung dass Gott sich weniger um den genauen Wortlaut der Schrift gekummert habe und mehr um die bdquoVerlaumlsslichkeit im Wesentlichen ihrer Gesamtbotschaftldquo49 Sie haben Probleme mit zwei Praumlmissen der Schaefferschen Argumentation (1) Dass die Bibel bis in die einzelnen Woumlrter hinein genau das enthaumllt was Gott sich wunscht (2) dass Gott praumlzise kontrollieren kann was menschliche Verfasser schreiben ohne ihre Freiheit wegzunehmen Die-se Praumlmissen scheinen einen impliziten Determinismus einzuschlieszligen ver-bunden mit einer kompatibilistischen Sicht von der menschlichen Freiheit50 Hinter dieser Kritik lauert die implizite Annahme einer libertarianischen Sicht von menschlicher Freiheit die das Ver-staumlndnis einer Begrenzung der souverauml-nen Kontrolle Gottes uber die Welt mit sich bringt51

Wichtig an dieser Beobachtung ist dass Burson und Walls zu Recht feststellen dass Schaeffers hohe Meinung von der Schrift und seine Verteidigung der Irr-tumslosigkeit ein gewisses Konzept von der Souveraumlnitaumlt Gottes und seiner Be-ziehung zu seinen Geschoumlpfen beson-ders zu den Verfassern der Schrift erfor-dert Schaeffer wurde als einer der eine festen Standpunkt von der goumlttlichen Souveraumlnitaumlt und der Herrschaft und Regierung Gottes in dieser Welt vertrat daruber nicht uberrascht sein Weil er

von einer reformatorischen Theologie her argumentierte hatte er anerkannt dass die Lehre von der Irrtumslosigkeit eng verbunden ist mit unserer Sicht von Gott Wie wir oben bemerkt ha-ben als wir die Gottzentriertheit von Schaeffers Denken kommentierten war die Lehre von Gott der entscheidende Ausgangspunkt bei seinem Verstaumlndnis und seiner Verteidigung des christli-chen Glaubens Fur ihn war nicht ein-fach irgendein Gott gut genug Es war nur der persoumlnlich-unbegrenzte (d h souveraumlne) dreieinige Gott der Schrift der allein die Grundlage fur Wahrheit und Wissen ist und der allein wenn er es so erwaumlhlt sich selbst in einer Wei-se die gaumlnzlich verlaumlsslich wahr und vertrauenswurdig ist offenbaren kann52 Was jedoch Schaeffer gestoumlrt haumltte ist die Schwaumlchung der unbegrenzten oder souveraumlnen Natur Gottes die jetzt in einigen Bereichen der evangelikalen Be-wegung vertreten wird53 Gestoumlrt haumltte ihn dieser Trend weil er von ganzem Herzen der scharfsinnigen Beobach-tung J I Packers zugestimmt haumltte

Die gewoumlhnliche Apologetik fur die Au-toritaumlt der Bibel ist an einer zu engen Front taumltig Wie wir gesehen haben ist Glauben an den Gott der reformatori-schen Theologie die noumltige Denkvoraus-setzung des Glaubens an die Schrift als bdquogeschriebenes Wort Gottesldquo Und ohne diesen Glauben verliert das bdquosola scrip-turaldquo als das von Gott gelehrte Prinzip

der Autoritaumlt mehr oder weniger seine Bedeutung hellip wir durfen niemals die Tatsache aus dem Blick verlieren dass unsere Lehre von Gott entscheidend fur unser Konzept von der Schrift ist und dass es in unserer Kontroverse mit einem groszligen Teil der modernen Theologie ge-rade hier ist wo man sich der entschei-denden Schlacht stellen muss und we-niger in Beziehung zum Phaumlnomen der Schrift54

Zweifellos koumlnnte und musste viel mehr uber Schaeffers Darstellung und Verteidigung der Lehre von der Irr-tumslosigkeit gesagt werden55 Aber es soll genugen zu sagen dass fur ihn die Autoritaumlt der Bibel eine Frage von gigantischen Ausmaszligen mit Wasser-scheiden-Charakter war Das war eine Frage die eng mit seiner umfassenden Verteidigung des christlichen Welt-bildes verknupft war Er glaubte dass ohne sie das christliche Weltbild sich aufzuloumlsen beginnen wurde ausgehend von der Lehre von Gott56 Und darin so bin ich uberzeugt hatte er Recht Wir mussen heute neu lernen dass die Lehre von der Irrtumslosigkeit der Schrift fur Evangelikale nicht nur eine von mehre-ren Alternativen ist Sie ist ein wesentli-cher Bestandteil dessen was christlicher Glaube ist Das abzuschwaumlchen bedeu-tet das Ganze zu unterhoumlhlen

Lehren die wir aus dem Leben Francis Schaeffers ziehen

Am Ende seines Lebens schrieb Schaef-fer die folgenden Worte

bdquoWorauf kommt es wirklich anldquo Was ist es das fur mein Leben und fur Ihr Leben so wichtig ist daszlig es die Priori-taumlten fur alles bestimmt was wir tun Unserem Herrn Jesus wurde ebendiese Frage gestellt und er antwortete bdquoDu sollst den Herrn deinen Gott lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand Dies ist das erste Ge-bot Das zweite aber ist ihm gleich Du sollst deinen Naumlchsten lieben wie dich selbst An diesen zwei Geboten haumlngt das ganze Gesetz und die Propheten (Matthaumlus 2237ndash40)ldquo

Hier wird gesagt worauf es wirklich ankommt ndash den Herrn unseren Gott zu lieben seinen Sohn zu lieben und ihn als unseren Erloumlser persoumlnlich an-genommen zu haben Und wenn wir ihn lieben dann tun wir das was ihm gefaumlllt es bedeutet ebenfalls sein Wesen der Heiligkeit und Liebe in unserem Leben Gestalt annehmen zu lassen seiner Wahrheit treu zu bleiben jeden Tag mit dem lebendigen Christus zu leben ein Leben des Gebets zu fuhren Die andere Haumllfte dessen worauf es wirklich ankommt besteht darin un-seren Naumlchsten zu lieben Beides gehoumlrt

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

26 7 8 6 uuml

zusammen es kann nicht voneinander getrennt werden hellip Und wenn wir un-seren Naumlchsten so lieben wie Christus das moumlchte dann moumlchten wir unserem Naumlchsten sicherlich das Evangelium weitersagen daruber hinaus werden wir den Wunsch haben Gottes Liebe in allen unseren Beziehungen zu unserem Naumlchsten durchscheinen zu lassen

Aber hier houmlrt es nicht auf Evangeli-sation ist vorrangig aber sie stellt nicht die Grenze unserer Arbeit dar und kann in der Tat nicht vom Rest des christ-lichen Lebens getrennt werden Wir mussen zuerst anerkennen und dann nach der Tatsache handeln dass Chris-tus wenn er unser Erloumlser ist auch Herr in allen Lebensbereichen ist Er ist un-ser Herr nicht nur in religioumlsen Dingen oder in kulturellen Bereichen wie den bildenden Kunsten und der Musik son-dern auch Herr unseres intellektuellen Lebens unseres Geschaumlftslebens unserer Beziehung zur Gesellschaft und unserer Haltung zum moralischen Zusammen-bruch unserer Kultur hellip Christus die Herrschaft uber unser Leben zu geben bedeutet dass wir uns ganz direkt und praktisch gegen den Zeitgeist stellen der unsere Welt regiert der sich fort-waumlhrend ausbreitet und den Anspruch erhebt autonom zu sein indem er auf seinem Weg alles zerstoumlrt was uns lieb und teuer ist57

In diesem Zitat erhaschen wir einen Blick auf einen Teil vom Leben Francis

Schaeffers und auf Lehren die wir aus diesem Leben ziehen koumlnnen Zweifellos ist es wahr dass Schaeffer nicht vollkom-men war das ist niemand Wir sehen jedoch in seinem Leben eine Person mit Integritaumlt einen Mann der versuchte das zu leben und dem entsprechend zu handeln was er glaubte und lehrte Ins-besondere strebte er danach den Herrn und seinen Naumlchsten zu lieben und da-durch sein Leben bestaumlndig sowohl im Denken als auch im Handeln unter die Herrschaft Jesu Christi zu bringen Wir wollen der Reihe nach diese Gebiete be-trachten

Liebe den Herrn deinen Gott

Wie oben festgestellt war Schaeffer ein Mann fur den Gott im Zentrum stand Das war nicht nur wahr in Be-zug auf sein Denken sondern auch fur sein Leben Ob man nun seine Werke liest oder seine Bandaufzeichnungen houmlrt eine tiefe Hingabe an den Herrn ist ganz offenkundig Hier ist einer der nicht nur uber Gott redet sondern der ihn tief kennt Selbst der Anfang von LrsquoAbri wurde in einer geistlichen Krise geboren bei der es darum ging Gott auf eine tiefere Art kennenzulernen Schaeffer erzaumlhlt in bdquoGeistliches Leben ndash Was ist dasldquo noch einmal wie er sich selbst 1951ndash1952 in einer geistli-chen Krise befand und wie aus dieser Krise heraus LrsquoAbri geboren wurde Er

entdeckte waumlhrend dieser Zeit was es bedeutete sich in unserem gegenwaumlrti-gen Leben und in der staumlndigen Abhaumln-gigkeit vom Geist Gottes im Gebet auf das vollbrachte Werk Christi zu verlas-sen Und das war fur ihn keine bloszlige Rhetorik LrsquoAbri selbst war im Gebet verwurzelt und gegrundet ein sichtba-res Zeugnis fur die Existenz Kraft und Gnade Gottes58

Wir sehen in Schaeffer auch einen Mann der danach strebte gleichzei-tig die Heiligkeit Gottes und die Liebe Gottes darzustellen wenn das auch auf unvollkommene Weise geschah Er war im Denken und Leben ein Mann des Mutes und des Mitgefuhls Er sprach viel uber die Notwendigkeit von bdquoliebe-voller Konfrontationldquo und er zeigte das in seinem Leben Harold O J Brown berichtet zum Beispiel von wenigstens drei Bereichen in denen Schaeffer ent-gegen der aktuellen Stroumlmung Stellung bezog und zwar weitgehend aufgrund des Verlangens den Herrn zu ehren von ganzem Herzen mit ganzer Seele mit ganzem Verstand und aller Kraft

Erstens stellte er sich gegen die Theo-logie Karl Barths Wie oben bemerkt bekehrte sich Schaeffer in den 1930er Jahren und erhielt damals auch seine theologische Ausbildung Zu jener Zeit war evangelikale Theologie aus einer Vielzahl von Grunden die weitgehend aus den fundamentalistisch-modernis-tischen Kontroversen jener Zeit stamm-

ten fast nicht existent Nach dem Zwei-ten Weltkrieg erfreute sich die evangeli-kale Bewegung jedoch unter Gelehrten wie F F Bruce und Carl F H Henry sowie unter dem evangelistischen Dienst von Billy Graham einer Wiedergeburt

Brown berichtet dass Schaeffer ein Teil dieser Bewegung sein und einen Status der Beruhmtheit haumltte erlangen koumlnnen er entdeckte jedoch Maumlngel und Kompromisse die ernst genug wa-ren den Evangelikalismus als Bewegung zu untergraben Was sah er Er sah den wachsenden Einfluss der Neoorthodoxie auf die evangelikale Theologie Attrak-tiv an Barth war dass er ebenso wie die Evangelikalen viele von Akademikern aufgestellte liberale Thesen kritisierte Dadurch fuhlten sich manche Evange-likale zu den orthodoxen Elementen in Barths Theologie hingezogen nahmen aber nur langsam die negativen Punkte wahr Schaeffer bemerkte aber nicht nur dass Barths Einfluss in Europa zuzuneh-men begann sondern auch dass Barths Theologie wenn sie angenommen wurde die evangelikale Theologie un-tergraben wurde59 Wo lag Barth schief Schaeffer vertrat die Auffassung dass Barth eine unangemessene Sicht von der Autoritaumlt der Bibel hatte Er gestand die theoretische Moumlglichkeit von Fehlern in der Schrift zu und untergrub dadurch die Grundlagen evangelikaler Theolo-gie Barths Kritik am Liberalismus war hilfreich Seine Glaubensgrundlagen

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 277 8 6 uuml

waren aber wackelig und genau darauf wies Schaeffer hin Schaeffer sah wahr-scheinlich klarer als irgendjemand an-deres dass man Barths Theologie besser nicht ubernehmen sollte60 Brown fasst das auf diese Weise zusammen

Ohne Zweifel war Barth antiliberal und bekraumlftigte die zentralen Lehren des christlichen Glaubens Sein Versagen darin die Unfehlbarkeit der Bibel und die Historizitaumlt der Evangelienberichte geltend zu machen bedeutete jedoch dass seine Bekraumlftigungen auf seiner charismatischen Autoritaumlt und nicht auf der Schrift beruhten Aufgrund seines Versagens darin die Grundlagen der biblischen Autoritaumlt die von Generati-onen zerstoumlrerischer Kritik untergraben worden waren abzustutzen war Barth nicht in der Lage eine zweite Genera-tion von protestantischen Theologen in dem Glauben den er selbst lehrte zu begrunden sein groumlszligter Einfluss bleibt der unter Evangelikalen und Konserva-tiven die schon wissen was sie glauben Zweifellos sind Barths Bekraumlftigungen ermutigend aber seine Grundlagen sind unzureichend und es waumlre gefaumlhr-lich ihn als einen theologischen Fuhrer zu waumlhlen Es ist bemerkenswert dass Schaeffer das vor drei Jahrzehnten ent-deckte waumlhrend einige evangelikale Leiter heute Barth als Antwort auf den modernen Unglauben bdquoentdeckenldquo61

Zweitens und das war wahrscheinlich fur manche Evangelikale sogar stoumlren-

der als sein Standpunkt gegen Barth schaffte es Schaeffer nicht die evange-listischen Methoden Billy Grahams von ganzem Herzen zu begrussen Das lag nicht daran dass Schaeffer etwa gegen Evangelisation war oder dass Graham nicht genugend klar fur die Autoritaumlt der Bibel eintrat Er hatte vielmehr zweifache Bedenken Zum einen war es fur Schaeffer alarmierend dass Gra-ham nicht genugend zwischen denen unterschied die am historischen Chris-tentum festhielten und denen die sich zum Liberalismus oder der roumlmisch-katholischen Theologie hielten und zu schnell mit ihnen zusammenarbeitete62 Zum Zweiten hatte er die Sorge dass Grahams Evangelisation nicht die gan-ze Person beruhrte d h dass sie dazu neigte lediglich zu einer emotionalen Entscheidung aufzurufen ndash einer Erfah-rung des bdquoObergeschossesldquo ndash die letzten Endes nur Pseudobekehrte produzieren wurde63 Wie Brown feststellt wurde Schaeffers Kritik am Ansatz Grahams nicht der weiten Oumlffentlichkeit darge-boten sie wurde jedoch bald bekannt Er wurde von manchen Leitern in der evangelikalen Bewegung wie etwa Carl Henry und Harold Lindsell kritisiert und von anderen als zu separatistisch abgeschrieben64 Schaeffer aber erkann-te etwas was zu viele nicht zu sehen vermochten Was nutzt bdquoErfolgldquo in der Evangelisation wenn sie nicht wahre Be-kehrte hervorbringt Besonders in dieser

Zeit mit den massiven Verschiebungen die in der Gesellschaft stattgefunden haben muss die evangelikale Bewe-gung zu bdquosoliden Grundlagen und zu guten Gefuhlenldquo aufrufen65 Wie Brown scharfsinnig beobachtet hat der Evan-gelikalismus in jenen fruhen Jahren nur deshalb ein Gefuhl der Staumlrke und Stabilitaumlt erlangt weil bdquoviele von Gra-hams Bekehrten spaumlter durch die Schule des disziplinierten Denkens Schaeffers gingenldquo66 Drittens gab es sein mutiges Eintreten fur die Rechte der Ungebo-renen Es ist wichtig zu erkennen dass Schaeffers sozialer Aktivismus nicht unabhaumlngig von seiner Verteidigung der Wahrheit und des Evangeliums war Wie schon oben festgestellt war die Roe gegen Wade-Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA im Jahr 1973 ein Pulverfass fur Schaeffer Sie war ein alarmierender Beweis dafur dass die Ideen der Aufklaumlrung began-nen praktische Auswirkungen darauf zu haben wie Menschen sich gegensei-tig sahen Schaeffer hatte bereits eine geraume Zeit lang vorausgesagt dass bei dem Verlust der christlichen Sicht von Realitaumlt im Westen eine der mas-sivsten Folgewirkungen der Verlust der Achtung vor dem menschlichen Leben sein werde Und genau das symbolisierte Roe gegen Wade fur Schaeffer Wenn er also mit herzlich wenigen anderen dieses Problem auf die Straszlige trug dann tat er das aus einem tiefen Emp-

finden der Liebe zu Gott und zu seinem Wort und ebenso aus Liebe zu seinem Naumlchsten Wahrheit erfordert Handeln Anfaumlnglich begruszligten aber nicht alle Evangelikale besonders nicht solche in Leitungspositionen Schaeffers Stand-punkt Wie Brown bemerkt wurde er mit der Veroumlffentlichung von bdquoA Chris-tian Manifestoldquo zum ersten Mal als ein politisch Konservativer gebrandmarkt Und das brachte ihm Angriffe von ei-ner wachsenden Zahl politisch liberaler Evangelikaler ein67 Brown stellt fest

Schaeffers zunehmend unverblumtes Engagement fur speziell konservative Anliegen in den letzten zwei Jahren sei-nes Lebens stoumlrte die Evangelikalen die ihm nicht zustimmten weil sie seinen Einfluszlig in der allgemeinen christlichen Oumlffentlichkeit erkannten Zusaumltzlich veraumlrgerte es andere die ihm im All-gemeinen zustimmten weil sie Streit vermeiden und ihre eigene Akzeptanz in der allgemeinen Oumlffentlichkeit nicht gefaumlhrden wollten Als Folge davon be-fand sich Schaeffer am Ende seines Le-bens noch einmal in der Position die er in den 1960er Jahren eingenommen hatte bevor sein Name zum Gemeingut wurde der Stimme eines Rufers in der Wuste68

Hier koumlnnen wir wieder von Schaeffer ler-nen Auch wenn es ihn einen hohen Preis kostete stand er fur die Sache von Wahr-heit und Leben ein Sein praktisches so-ziales Handeln war nicht getrennt von

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

28 7 8 6 uuml

seinen Glaubensuberzeugungen und seiner Liebe zum Herrn vielmehr floss das eine aus dem anderen In einer Zeit wo es so leicht ist inmitten von Druck Kompromisse zu schlieszligen und einzu-knicken wenn das Laufen schwierig wird ist Schaeffer ein Vorbild Er war wie die Alten der Vergangenheit bereit Gott mit seinem ganzen Sein zu lie-ben in den Schwierigkeiten des Lebens Charakter zu zeigen und der Wahrheit Gottes gehorsam zu sein

Liebe deinen Naumlchsten wie dich selbst

Wie Schaeffer in dem obigen Zitat fest-stellt sind die Liebe zu Gott und die Liebe zum Naumlchsten eng ineinander verflochten

bdquoWenn wir unseren Naumlchsten lieben wie Christus will dass wir unseren Naumlchsten lieben dann werden wir mit Sicherheit auch das Evangelium unse-rem Naumlchsten weitergeben wollen und daruber hinaus werden wir das Gesetz Gottes in all unseren Beziehungen mit unserem Naumlchsten darstellen wollenldquo69

Naturlich wird niemand der diesseits der Vollendung lebt jemals dieses Ide-al erreichen In Francis (und in Edith) Schaeffer sehen wir jedoch einen Men-schen der wenigstens versuchte vor-bildhaft fur uns etwas von dem zu le-ben wonach wir streben Wir sehen dies besonders in drei Bereichen

Zum Ersten zeigte Schaeffer seine Liebe zum Naumlchsten darin dass er versuchte ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen zu geben In seiner Broschure bdquoTwo Con-tents Two Realitiesldquo behauptet Schaef-fer dass es vier Dinge gebe die absolut notwendig sind wenn Christen sich den Herausforderungen unserer Zeit stellen wollen (1) Gesunde Lehre (2) Ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen (3) Wah-re Geistlichkeit und (4) die Schoumlnheit menschlicher Beziehungen In der Be-sprechung von (1) und (2) betont er die Notwendigkeit in Bezug auf gesunde Lehre keine Kompromisse zu schlieszligen aber gleichzeitig Zeit mit Menschen zu verbringen und zu versuchen ihre Fragen zu beantworten Er beklagt die Haltung mancher in der Kirche die den Eindruck vermitteln dass wir keine Fragen stellen durfen und nur glauben mussen Das so sagt er ist immer falsch Es ist falsch weil es Menschen nicht als ganzheitliche Personen ansieht die sowohl intellektu-elle als auch geistliche Antworten brau-chen70 Es ist besonders falsch in einer Zeit die nicht an die Wahrheit glaubt zu sagen dass wir die Wahrheit haben sich dann aber nicht die Zeit zu neh-men wirkliche und schwierige Fragen zu beantworten Das beansprucht naturlich nicht nur eine Menge an Zeit und Bemuhung es erfordert auch Mitgefuhl Menschen dort zu treffen wo sie sind Fragen zu beantworten ist harte Arbeit Schaeffer sagt das so

Als Christen mussen wir genug Liebe und Mitgefuhl aufbringen um auf die Fragen unserer Zeitgenossen zu houmlren Zu viele von uns werden von dem fal-schen Ehrgeiz geplagt alle Fragen spon-tan zu beantworten ndash als koumlnne man ei-nen Trichter ans Ohr setzen alle Daten und Fakten einfuttern und dann loszie-hen und alle Diskussionen gewinnen So geht es aber nicht

Fragen zu beantworten ist harte Ar-beit Koumlnnen Sie alle Fragen beantwor-ten Nein aber Sie mussen sich darum bemuhen Houmlren Sie zunaumlchst einmal mit Anteilnahme zu welche Fragen Ihr Gegenuber bewegen und versuchen Sie dann Antworten zu geben Wissen Sie keine Antwort dann machen Sie sich auf die Suche Lesen Sie und uberlegen Sie so lange bis Sie moumlgliche Antworten gefunden haben

Nicht jeder ist berufen die Fragen von Intellektuellen zu beantworten Aber ob wir mit Akademikern oder mit Dockarbeitern sprechen die Aufgabe ist immer dieselbe Waumlhrend meines zwei-ten Pfarramtes gehoumlrten viele Hafenar-beiter zu meiner Gemeinde und seither weiszlig ich dass sie dieselben grundlegen-den Fragen haben wenn sie sie auch anders formulieren

Antworten sind nicht Erloumlsung Dazu kommt das Wirken des Heiligen Geistes Dennoch sind wir dafur verantwortlich ndash und darum geht es mir in diesem Zu-sammenhang ndash genug Mitgefuhl auf-

zubringen um zu beten und die harte Arbeit zu tun die notwendig ist um die aufrichtigen Fragen zu beantworten71

Das waren fur Schaeffer nicht nur leere Worte sie spiegelten sein Leben wider72 Fur unzaumlhlbare Menschen die nach LrsquoAbri kamen versuchte Schaeffer das in die Tat umzusetzen was er lehrte Staumlndig ist eine der Klagen die ich von Studenten am Seminar houmlre dass Pro-fessoren und sogar Pastoren keine Zeit fur sie haben Sie haben ehrliche Fragen die Zeit und Aufmerksamkeit erfordern aber oft sind wir zu beschaumlftigt um zu helfen Wie Schaeffer uns erinnerte sind wir jedoch berufen unseren Naumlchs-ten zu lieben Fur christliche Leiter Pastoren und Lehrer ist sicherlich ein Weg auf dem sich das zeigen muss die verbrachte Zeit die erwiesene Fursorge und die gegebenen ehrlichen Antwor-ten an echte Menschen die in einem postmodernen Zeitalter nicht weniger als dies verdienen

Eine zweite Art wie die Schaeffers ihre Liebe zu anderen zeigten geschah durch Gastfreundschaft In LrsquoAbri oumlffneten sie ihr Haus fur einzelne Menschen und das war sicher nicht einfach Als Schaef-fer spaumlter daruber nachdenkt stellt er fest dass bdquoungefaumlhr in den ersten drei Jahren von LrsquoAbri alle unsere Hochzeits-geschenke vernichtet wurden Unsere Laken wurden zerrissen Loumlcher wurden in unsere Teppiche gebrannt Einmal waumlre fast ein ganzer Vorhang verbrannt

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 297 8 6 uuml

weil jemand in unserem Wohnzimmer geraucht hatte hellip Drogen kamen in unser Haus Leute erbrachen sich in un-seren Raumlumenldquo73 Ich will damit nicht sagen dass jeder das tun muss was die Schaeffers taten Wir sehen jedoch in ih-rem Leben zwei Menschen die das Ge-bot ernst nahmen sowohl Gott als auch den Naumlchsten zu lieben Eine Geschich-te nach der anderen in LrsquoAbri dreht sich darum wie diese sichtbare Liebe entscheidend dafur war Menschen zu Christus zu bringen74 Evangelisation darf nicht davon getrennt werden wie wir den ganzen Menschen mit unseren Worten und unseren Taten behandeln

Zum Dritten strebte Schaeffers Le-ben danach ein wundervolles Gleich-gewicht zwischen Wahrheit und Lie-be darzustellen Er stand fest fur das Evangelium aber waumlhrend er das tat strebte er danach die Menschen denen er diente in Beziehungen von Mensch zu Mensch zu lieben und zu verstehen Brown vergleicht Francis Schaeffer mit Athanasius einem anderen Vorbild aus der Vergangenheit der wusste was es heiszligt fur die Wahrheit einzutreten Brown erzaumlhlt wie Schaeffer versuchte das Gleichgewicht zwischen Wahrheit und Liebe zu halten Er stellt fest

Wie Athanasius nahm Schaeffer ndash besonders in seinen letzten Jahren ndash Standpunkte ein die manche als unmaumlszligig und unflexibel bezeichnen wurden Wir wissen nicht wirklich wie

Athanasius mit Menschen auf einer per-soumlnlichen Ebene umging Es ist moumlglich dass er mit Einzelnen so streng war wie er es mit ihrer Theologie war In Schaeffers Fall wissen wir jedoch dass die Haumlrte seiner Uumlberzeugungen in Be-ziehungen von Mensch zu Mensch wie auch in der oumlffentlichen Debatte immer durch Liebe und Verstaumlndnis gemildert wurde Er behandelte die mit denen er zutiefst uneins war bestaumlndig mit Rucksicht und Liebe Francis Schaeffer hielt nicht nur die Stellung fur biblische Orthodoxie in seiner Generation wie Athanasius das getan hatte Vielleicht noch wichtiger ist dass Schaeffer der naumlchsten Generation nicht nur zeigte dass sie Stellung beziehen muss sondern wo sie sie beziehen muss und wie sie das tun kann naumlmlich in den Worten des Paulus bdquodie Liebe in Wahrheit zu re-denldquo (Eph 415) Er hat uns gezeigt dass bdquocontra mundumldquo (dt bdquogegen die Weltldquo) einzutreten ein wesentlicher Teil davon ist bdquopro Christoldquo (dt bdquofur Christusldquo) zu seinldquo75

Hier ist eine weitere Lehre die wir zie-hen mussen besonders wir die wir als Leiter in der Kirche dienen Jede Gene-ration muss fur die Wahrheit eintreten aber wir mussen das in Liebe tun Heute houmlren wir viel uber die Liebe eine harte und kompromisslose Stellungnahme fur die Wahrheit wird daruber oft vernach-laumlssigt In einer Zeit die es dringend nouml-tig hat die Wahrheit zu houmlren koumlnnen

wir an diesem Punkt nicht schwanken Wir durfen jedoch auch nicht ins ande-re Extrem fallen Sowohl Wahrheit als auch Liebe sind notwendig Und Francis Schaeffer ist an diesem Punkt ein hilf-reiches Vorbild Ein Mann mit Uumlber-zeugungen verwurzelt und gegrundet in Gottes Wort ein Mann der aus ers-ter Hand wusste was bdquoliebevolle Kon-frontationldquo bedeutet ein Mann der da-nach strebte den Herrn seinen Gott zu lieben und seinen Naumlchsten wie sich selbst und im Denken und Handeln die Herrschaft Jesu uber sein gesamtes Leben darzustellen Moumlgen wir lernen das gleiche zu tun

Letztendlich war Francis Schaeffer ein gefallener unvollkommener Mann gerettet durch die Gnade Gottes Er machte wie wir alle viele Fehler Aber er war eine einzigartige Einzelperson von Gott begabt fur seine Generation Er sagte oft dass Gott nicht jemanden mit auszligergewoumlhnlichen Gaben gebrau-chen muss Gott kann stattdessen einen toten Holzstock in der Hand des Mose gebrauchen wenn er das will In einer sehr denkwurdigen Predigt sagte er das so

Obwohl wir begrenzt und schwach an Begabung koumlrperlicher Energie und psychischer Staumlrke sind sind wir nicht weniger als ein Holzstock Aber wie der Stab des Mose der Stab Gottes werden musste muss das was ich bin zum ich Gottes werden Dann kann ich nutzlich

werden in den Haumlnden Gottes Die Schrift betont dass viel von wenig kom-men kann wenn das Wenige wahrhaft Gott geweiht ist Im wahren geistlichen Sinn gibt es keine kleinen Leute und groszlige Leute sondern nur geweihte und nicht geweihte Leute Das Problem fur jeden von uns ist es die Wahrheit auf uns selbst anzuwenden hellip Wer sich selbst fur eine kleine Person an einem kleinen Ort haumllt kann wenn er sich Christus hingibt und in seinem gesam-ten Leben unter Seiner Herrschaft lebt durch Gottes Gnade den Fluss unserer Generation aumlndern Und wenn wir aumllter werden und wissen wie schwach wir sind und dann zuruckschauen und sehen dass wir irgendwie von Gott ge-braucht wurden dann sollten wir der Stab sein der bdquovon Freude uberraschtldquo ist76

Aus dem Denken und Leben Francis Schaeffers gibt es viel zu erwaumlgen und zu lernen Nur papageienhaft alles nachzu-plappern was er sagte wurde ihn nicht ehren Er haumltte das nicht gewollt Wir mussen stattdessen von ihm lernen wie wir wirkungsvoller in unserer Zeit die-nen koumlnnen so wie er es in seiner tat Dabei mussen unser Verstand und un-ser Herz fest in der Schrift verwurzelt und gegrundet sein Wir mussen lei-denschaftlich fur das Evangelium sein bereit die Fragen unserer Zeit in Treue gegenuber unserem groszligen Gott anzu-gehen Das waumlre der houmlchste Tribut den

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

30 7 8 6 uuml

1 Wenn nicht anders vermerkt werden alle Zitate aus den Schriften Francis Schaeffers entnommen Francis A Schaeffer The Complete Works of Fran-cis A Schaeffer Crossway Books 19852 Michael S Hamilton bdquoThe Dissatis-faction of Francis Schaeffer thirteen years after his death Schaefferrsquos visi-on and frustrations continue to haunt Evangelicalismldquo In Christianity Today 1997 S 223 Harald O J Brown Standing Against the World Westchester Crossway 1986 S 15ndash164 Diese drei Bereiche des Einflusses Schaeffers sind entnommen aus Brown A a O S 19ndash255 Fur mehr Informationen uber den per-soumlnlichen Einfluss von Francis Schaeffer im Leben von verschiedenen Personen vgl die Kapitel in Teil 2 von Lane T Dennis Francis A Schaeffer Portraits of the Man and His Work Westchester Ill Crossway Books 1986 S 129ndash205 Vgl in diesem Zusammenhang auch ei-nige der persoumlnlichen Korrespondenzen zwischen Schaeffer und verschiedenen Leuten uber eine Vielzahl von Themen in Francis A Schaeffer und Lane T Dennis Letters of Francis A Schaeffer Spiritual Reality in the Personal Chris-tian Life Westchester Ill Crossway Books 19856 Francis Schaeffers letztes Werk The Great Evangelical Disaster (Die groszlige Anpassung Der Zeitgeist und die Evan-gelikalen) wurde nur Monate bevor er an Krebs starb veroumlffentlicht In diesem Werk versuchte er die Evangelikalen zu warnen und sie instaumlndig zu bitten in Bezug auf die Autoritaumlt der Bibel und die Ausschlieszliglichkeit des Evangeli-ums keine Kompromisse zu schlieszligen Er nannte sogar verschiedene Namen

derer von denen er glaubte sie haumltten an diesen Punkten Kompromisse ge-schlossen Gleichzeitig rief er eine neue Generation von Christen dazu auf als bdquoRadikale fur die Wahrheitldquo in unserer Zeit Stellung zu beziehen bdquoThe Great Evangelical Disasterldquo wurde neu ver-oumlffentlicht in Francis A Schaeffer The Complete Works of Francis A Schaef-fer Bd 4 A a O S 301ndash4117 bdquoNeoorthodoxieldquo ist eine theologische Bewegung die in den 1920er Jahren begann und bis heute weitergeht auch wenn ihr hauptsaumlchlicher Einfluss in der weiteren theologischen Welt von den 1920er bis zu den 1970er Jahren lag Sie ist verbunden mit einer Anzahl von Theologen wie Rudolf Bultmann Emil Brunner Reinhold Niebuhr und Paul Tillich Am bekanntesten ist je-doch die Verbindung zur Theologie des Schweizer Theologen Karl Barth Zu weiteren Informationen uber bdquoNeoor-thodoxieldquo s David F Ford (Hrsg) The Modern Theologians 2 Aufl Oxford Blackwell 1997 S 21ndash102 C A Bax-ter bdquoNeo-Orthodoxyldquo In Sinclair Fer-guson et al (Hrsg) New Dictionary of Theology Downers Grove InterVarsity Press 1988 S 456ndash4578 Zu diesem Thema siehe besonders Francis A Schaeffer Wie koumlnnen wir denn leben Aufstieg und Niedergang der westlichen Kultur 5 Aufl Holz-gerlingen Haumlnssler 2000 Francis A Schaeffer Bitte laszlig mich leben Fur Menschlichkeit in unmenschlicher Gesellschaft Telos-Bucher 1205 Neu-hausen-Stuttgart Haumlnssler 1981 Fran-cis A Schaeffer A Christian Manifesto 1st trade pbk Wheaton Ill Crossway Books Published in association with Nims Communications 20059 Brown Standing Against the World A a O S 2310 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 102 Die Kritiken die Dennis er-

waumlhnt sind die von Wells Ronald A Wells bdquoFrancis Schaefferrsquos Jeremiad A Review Articleldquo In The Reformed Journal Mai 198211 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 227 Fn 512 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 102ndash126 Dennisrsquo ausgezeichnete Diskussion dieser ganzen Frage ist sehr hilfreich weil er die Frage umfassend anspricht ob Schaeffer ein bdquoGelehrterldquo war und ob diese Frage der wirkliche Grund fur die negative Reaktion auf seine Gedanken ist13 Vgl Hamilton bdquoThe Dissatisfaction of Francis Schaefferldquo A a O S 3014 Es ist wohl bekannt dass der Evange-likalismus eine uber eine Anzahl wich-tiger Lehrfragen zerspaltene Bewegung ist Zur Diskussion uber einige dieser Lehrspaltungen aus einer Vielfalt von Blickwinkeln vergleiche bdquoEvangelical Megashiftldquo In Chritianity Today 19 Februar 1990 S 12ndash17 Kenneth S Kantzer und Carl F H Henry (Hrsg) Evangelical Affirmations Grand Ra-pids Zondervan 1990 Millard Erick-son The Evangelical Left Grand Ra-pids Baker 1997 Roger Olsson bdquoThe Future of Evangelical Theologyldquo In Christianity Today 9 Februar 1998 S 40ndash42 Elmer M Colyer (Hrsg) Evangelical Theology in Transition Downers Grove Inter-Varsity Press 1999 Stanley Grenz Renewing the Center Grand Rapids Baker 2000 John D Woodbridge et al This We Be-lieve Grand Rapids Zondervan 200015 Fur weitere Materialien die das Leben Francis Schaeffers sehr viel detaillierter skizzieren vgl David Porter bdquoFrancis Schaefferldquo In John D Woodbridge (Hrsg) Great Leaders of the Christian Church Chicago Moody Press 1988 S 362ndash366 Colin Duriez bdquoFrancis

Schaefferldquo In Walter A Elwell Hand-book of Evangelical Theologians Grand Rapids Baker 1993 S 245ndash259 und Dennis Portraits of the Man and His Work A a O S 207ndash211 Vgl auch die Lebensgeschichte der Schaeffers erzaumlhlt von Edith Schaeffer in Llsquo Abri Gottes Wirklichkeit heute erlebt 4 Aufl Wup-pertal Oncken Verlag 1975 und The Tapestry The life and times of Francis and Edith Schaeffer Waco Tex Word Books 198116 Zu weiteren Informationen uber den Dienst der LrsquoAbri Gemeinschaft heute vgl URL httpwwwlabriorg17 Fur eine vollstaumlndige Liste von Bu-chern Kassetten und Videos von Francis und Edith Schaeffer vgl URL httpwwwlabriorg18 Dieses Thema zieht sich durch Schaef-fers Bucher hindurch vgl aber beson-ders Francis A Schaeffer Gott ist keine Illusion 3 Aufl Wuppertal Brockhaus Verlag 1974 Francis A Schaeffer und er schweigt nicht Ist eine Philoso-phie ohne Gott realistisch 1 Taschen-buchausg Wuppertal Genf Zurich Basel Brockhaus Verlag 1975 Schaef-fer Wie koumlnnen wir denn leben A a O Schaeffer Bitte laszlig mich leben A a O19 Es ist viel debattiert worden uber die Genauigkeit von Schaeffers Analyse von Denken Kunst Musik und Kultur des Westens Auch wenn es zweifellos wahr ist dass er an einigen Punkten ein va-ges und stark verallgemeinertes Bild gemalt hat ist gleichzeitig anerkannt worden dass sich das bdquogroszlige Bildldquo das er gezeichnet hat als grundlegend richtig erwiesen hat Mehr zu diesen Aufsaumltzen findet sich bei Roland Nash The Life of the Mind and the Way of Life Westchester Ill Crossway Books 1986 S 53ndash69 bzw 101ndash126 Vgl auch einige der hilfreichen Kommentare von Duriez in Dennis Francis A Schaeffer Portraits of the Man and His Work A a O S 252ndash259

Prof Dr Stephen J Wellum

Anmerkungenman einem Mann zollen kann der in seinem Denken und Leben mehr als al-les danach strebte unter der Herrschaft Jesu Christi allein zur Ehre Gottes zu leben

Prof Dr Stephen J Wellum

ist auszligerordentlicher Professor am bdquoThe Southern Baptist Theological Seminaryldquo in Louisville Kentucky (USA) Er ist ein beliebter Redner auf Konferenzen Autor mehrerer Ar-tikel und Buchbeitraumlge und Mitver-fasser (gemeinsam mit Peter Gentry) von bdquoKingdom Through Covenant A Biblical-Theological Understanding of the Covenantsldquo (Crossway 2012) Sein Artikel erschien ursprunglich als Stephen J Wellum bdquoFrancis A Schaeffer (1912ndash1984) Lessons from His Thought and Lifeldquo In SBJT Vol 6 No 2 (2002) S 4ndash32 Die Uumlbersetzung erfolgte durch Wolfgang Haumlde Redaktionell bearbeitet wurde der Beitrag von Christian Pletsch und Deike Sumann

glauben amp denken heute 22012 317 8 6 uuml

20 Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 1421 Ebd S 822 Ebd S 8ndash923 Zu mehr uber Postmodernismus sei er populaumlr oder differenziert vgl die folgenden Werke Gene E Veith Jr Postmodern Times Wheaton Cross-way 1994 David Dockery (Hrsg) The Challenge of Postmodernism Grand Rapids Baker 1995 Stanley J Grenz A Primer on Postmodernism Grand Ra-pids Eerdmans 1996 D A Carson The Gagging of God Grand Rapids Zonder-van 1996 Kevin Vanhoozer Is There a Meaning in This Text Grand Rapids Zondervan 1998 und Millard Erickson Truth or Consequences The Promise and Perils of Postmodernism Downers Gro-ve InterVarsity Press 2001 sowie The Postmodern World Wheaton Crossway 200224 Carson The Gagging of God A a O S 1925 Schaeffers Gebrauch des Ausdrucks bdquowahre Wahrheitldquo veranschaulicht seine Besorgnis dass der Begriff bdquoWahrheitldquo nicht laumlnger das bedeutete was er immer bedeutet hatte Um also wirkungsvoll mit einer Generation zu kommunizieren die nicht an Wahrheit glaubt praumlgte er diesen Ausdruck um eine objektive uni-versale der Wirklichkeit entsprechende Sicht von Wahrheit zu kommunizieren26 Vgl dazu auch Carson The Gagging of God A a O S 13ndash54 u 419ndash51427 Zu dieser Analyse vgl besonders Fran-cis A Schaeffer Preisgabe der Vernunft Kurze Analyse der Ursprunge und Ten-denzen des modernen Denkens 5 Aufl GenfWuppertal Brockhaus Verlag 198528 Der Begriff bdquoRationalismusldquo kann fur verschiedene Leute verschiedene Dinge bedeuten Fur manche ist es ein Begriff der sich auf eine erkenntnistheoretische Schule bezieht die als bdquoKontinentaler

Rationalismusldquo bekannt ist im Gegen-satz zu anderen Schulen wie dem bdquoBri-tischen Empirismusldquo oder Immanuel Kants bdquoTranszendentalem Idealismusldquo Fur andere bezieht er sich einfach auf eine Person die den Gebrauch der Ver-nunft uberbetont Was jedoch Schaeffer betrifft so gebraucht er den Begriff in Bezug auf bdquojede Philosophie oder jedes Gedankensystem das vom Menschen alleine ausgeht beim Versuch einen ein-heitlichen Sinn des Lebens zu findenldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 200) Mit an-deren Worten bdquoRationalismusldquo bezieht sich auf eine Geisteshaltung auf einen philosophischen Ansatz der Menschen als die letzte Autoritaumlt in Fragen von Wahrheit und Wirklichkeit betrachtet und das dann gegen das Christentum setzt das Gott und sein Wort als die letz-te Autoritaumlt fur Fragen von Wahrheit und Wirklichkeit betrachtet29 Schaeffers Analyse des westlichen Den-kens als einer schrittweise Entwicklung einer Anzahl dialektischer Spannungen aumlhnelt sehr der Analyse von Herman Dooyewwerd A Critique of Theoretical Thought 4 Bde Philadelphia Presbyte-rian and Reformed 1953ndash58 Viel ver-dankt sie seinem ehemaligen Professor Cornelius Van Til dessen Gedanken sich in Werken befinden wie A Christian Theory of Knowledge Phillipsburg Pres-byterian and Reformed 1969 und A Sur-vey of Christian Epistemology Philadel-phia Presbyterian and Reformed 196930 Vgl Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 19ndash94 Fur Schaeffer war diese Analyse ein Herzstuck seiner Apologetik Immer wieder versuchte er den Men-schen zu helfen sich erkenntnistheore-tisch der Implikationen ihrer Denkvor-aussetzungen bewusster zu werden Da-bei versuchte er zu zeigen dass alle Welt-bilder auszliger dem Christentum letztlich in sich inkonsequent sind und es daher nahezu unmoumlglich ist sie in der Praxis

auszuleben Zu weiteren Informationen uber das Wesen und die Methodologie von Schaeffers Apologetik vgl Gott ist keine Illusion A a O S 132ndash18131 Dieses Thema zieht sich durch alle Schriften Schaeffers hindurch und eben-so durch seine auf Band aufgenommenen Vorlesungen Vgl besonders seine Ton-band-Vorlesung mit dem Titel bdquoGrund-legende Probleme denen wir gegenuber stehenldquo Teil 1 und 2 Alle Tonbaumlnder Schaeffers und die der LrsquoAbri Fellowship koumlnnen gekauft werden durch Sound Word Associates PO Box 2036 Ches-terton IN 46304 oder uber httpwwwsoundwordcom oder sind kostenlos im LlsquoAbri ideas library verfugbar URL httpwwwlabri-ideas-libraryorg 32 Es ist viel daruber diskutiert worden ob Schaeffer Barth richtig interpretiert und verstanden hat Ohne Zweifel gibt es bei Barth viel mehr Nuancen als Schaef-fer in seinen Buchern erwaumlhnt und uber Barths Theologie kann und muss viel mehr gesagt werden Ich wurde jedoch behaupten dass Schaeffers grundlegende Analyse richtig ist besonders an den von ihm betonten Punkten Fur eine tiefer ge-hende Behandlung von Barths Theologie die einer aumlhnlichen Beurteilung folgt vgl Cornelius Van Til Christianity and Barthianism Nutley Presbyterian and Reformed 197733 Vgl die auf Band aufgenommenen Vor-lesungen Schaeffers mit den Titeln bdquoBasic Problems We Faceldquo (Grundlegende Prob-leme denen wir gegenuberstehen) bdquoEx-clusive Christ in an Inclusive Ageldquo (Der ausschlieszligliche Christus in einem Zeit-alter das alles einschlieszligt) bdquoRelativism in the 20th Centuryldquo (Relativismus im 20 Jahrhundert) und bdquoVatican Council IIldquo (Das Zweite Vatikanische Konzil) In den Vorlesungen uber das Zweite Va-tikanische Konzil analysiert Schaeffer einfuhlsam die Verschiebungen die in der roumlmisch-katholischen Theologie vor sich gingen bis hin zu einem bdquoinklusive-

renldquo Verstaumlndnis von Heil zu Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils im Jahr 196234 Der Begriff bdquoWeltbildldquo ist heute mitt-lerweile dank des Einflusses von Men-schen wie Francis Schaeffer ublich Fur ein populaumlres Werk das uns hilft Ideen aus der Perspektive von Weltbildstruktu-ren zu sehen vgl James Sire The Univer-se Next Door 3 Aufl Downers Grove InterVarsity Press 199735 In der Apologetik wird das Wort bdquoDenkvoraussetzungldquo (Praumlsuppositi-on) nicht immer auf die gleiche Art ge-braucht Es ist wichtig sich daran zu erinnern und leider wird das oft verges-sen in Debatten uber methodologische Unterschiede zwischen verschiedenen apologetischen Ansaumltzen innerhalb der evangelikalen Apologetik Schaeffer zum Beispiel benutzte den Begriff mit Bezug auf bdquoeinen Glauben oder eine Theorie die angenommen wird bevor der naumlchs-te Schritt in der Logik entwickelt wirdldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 201 [Anm In der dt Ausgabe fehlt die Erklaumlrung]) In diesem Sinne dienen bdquoDenkvorausset-zungenldquo als Hypothesen die unabhaumlngig verifiziert werden mussen durch solche Dinge wie Logik historische Beweise pragmatische Eignung usw Gordon Clark Three Types of Religious Philoso-phy 2nd Jefferson Md Trinity Foun-dation 1989 S 121ndash123 gebrauchte den Begriff um sich auf bdquoAxiomeldquo des Gedankensystems einer Person zu bezie-hen die unbeweisbar sind weil sie dog-matisch postuliert werden als ein erstes Prinzip das zu demonstrieren es nichts Grundlegenderes gibt Andererseits ge-brauchte Cornelius Van Til den Begriff mit Bezug auf die letztgultigen Kriterien eines Weltbildes die nicht jenseits ver-nunftgemaumlszliger Beweisbarkeit liegen d h sie sind transzendentale Gegebenheiten uber die man streiten und sie verteidi-gen muss Wie Van Til feststellt bdquoEin

wahrhaft transzendentales Argument nimmt jede Erfahrungstatsache die es untersuchen moumlchte und versucht zu bestimmen was die Denkvoraussetzung dieser Tatsache sein muss um es zu dem zu machen was es istldquo (Cornelius Van Til A Survey of Christian Epistemology Philadelphia Presbyterian and Refor-med 1969 S 10 u vgl S 201) Zu ei-ner hilfreichen Diskussion daruber wie der Begriff Denkvoraussetzung in der christlichen Apologetik gebraucht wird vgl Greg L Bahnsen Van Tilrsquos Apologe-tic Readings and Analysis Phillipsburg N J PampR Pub 1998 S 461ndash69736 Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 1037 Schaeffer Preisgabe der Vernunft A a O S 11ndash1238 Schaeffer sprach davon mit dem Begriff bdquoPrauml-Evangelisationldquo Christliche Apolo-getik so argumentiert er hat zwei Ziele (1) das Evangelium zu verteidigen und (2) das Evangelium auf eine Art weiterzuge-ben dass die jeweilige Generation es ver-stehen kann Beim Gebrauch des Begriffs bdquoPraumlevangelisationldquo bezog er sich auf (2) Schaeffers Anliegen war es dass bei unse-rer Darbietung des Evangeliums beson-ders beim Leben in einer zunehmend bi-blisch analphabetischen und postchristli-chen Kultur die Menschen Wissen uber das Evangelium brauchen bevor sie zum Glauben kommen Daher ist Praumlevange-lisation noumltig Wie er feststellt bdquokommt die Einladung zu handeln [das heiszligt an Christus zu glauben] erst nachdem eine angemessene Wissensgrundlage gegeben wurde hellip Wissen geht dem Glauben vor-aus Das ist entscheidend fur das Verste-hen der Bibel bdquoZu sagen (und das sollten Christen) dass nur jener Glaube wahrer Glaube ist der an Gott auf der Grundlage von Wissen glaubt bedeutet etwas zu sa-gen das in der Welt des zwanzigsten Jahr-hunderts eine Explosion verursachtldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 153ndash154)

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

32 7 8 6 uuml

39 Vgl zum Beispiel Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 96ndash160 Francis A Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houmlren Genfer Bibelgesellschaft 2004 und verschiedene Bandaufnahmen wo er das diskutiert etwa in bdquoBasic Problems We Faceldquo und bdquoBefore the Beginningldquo40 Der Ausdruck bdquodie Gedanken Got-tes ihm nachdenkenldquo war ein starker Schwerpunkt im Denken Cornelius Van Tils dem Apologetiklehrer Schaeffers am Westminster Theological Seminary Zu einer hilfreichen Diskussion dieser Wen-dung bei Van Til auch mit Anwendung auf Schaeffers Denken vgl Bahnsen Van Tillsquos Apologetic A a O S 220ndash26041 Dieses Argument wird besonders entwickelt in Francis A Schaeffer Ge-nesis in Raum und Zeit Wuppertal Brockhaus Verlag 1976 und Francis A Schaeffer Die groszlige Anpassung Der Zeitgeist und die Evangelikalen Asslar Schulte u Gerth 198842 Fur die Zentralitaumlt der Lehre von Gott im Leben Schaeffers vgl solche Werke wie Francis A Schaeffer Geistliches Leben ndash Was ist das Wuppertal R Brockhaus Verlag 1975 Schaeffer Un-sere Welt soll sein Wort houmlren A a O Schaeffer Die grosse Anpassung A a O43 Man muss einfach an die tobende De-batte innerhalb der evangelikalen Theolo-gie uber bdquoOffenen Theismusldquo (engl Open Theism) denken und an den Versuch bdquoOffener Theistenldquo die Lehre von Gott neu zu definieren und zu revidieren Vgl dazu die verschiedenen Bucher von bdquoOf-fenen Theistenldquo wie etwa Clark Pinnock et al The Openness of God Downers Grove InterVarsity Press 1994 John Sanders The God Who Risks Dow-ners Grove InterVarsity Press 1998 und Gregory A Boyd God of the Possible Grand Rapids Baker 2000 Im Hinblick auf eine Antwort und kompetente Kritik vgl Bruce A Ware Godrsquos Lesser Glory

Wheaton Crossway 2000 und John M Frame No Other God Phillipsburg Presbyterian and Reformed 200144 Zu dem was die Schrift von sich selbst behauptet vgl Wayne Grudem bdquoScripturersquos Self-Attestation and the Problem of Formulating a Doctrine of Scriptureldquo In D A Carson und John D Woodbridge (Hrsg) Scripture and Truth Grand Rapids Zondervan 1983 S 19ndash59 John Frame bdquoScripture Speaks for Itselfldquo In John Warwick Mont-gomery (Hrsg) Godrsquos Inerrant Word Minneapolis Bethany 1974 S 178ndash200 Sinclair Ferguson bdquoHow Does The Bible Look at Itselfldquo In Harvie Conn (Hrsg) Inerrancy and Hermeneutic Grand Ra-pids Baker 1988 S 47ndash6645 Schaeffers Argument an diesem Punkt grundet sich auf die erkenntnistheoreti-sche Notwendigkeit der Irrtumslosigkeit d h ohne einen irrtumslosen Text gibt es keinen Weg theologische Lehren zu begrunden Was meint Schaeffer damit Schaeffers Argument ist nicht dass man der Bibel nirgendwo trauen koumlnne wenn sie an einem Punkt falsch laumlge Offen-sichtlich ist dieses Argument falsch Nur weil die Bibel moumlglicherweise an einem Punkt falsch liegt heiszligt das noch nicht dass sie nicht verlaumlsslich ist in vielem von dem was sie an anderen Stellen die be-staumltigt werden koumlnnen lehrt Er meinte vielmehr Folgendes Wenn die Schrift nicht in allem was sie bekraumlftigt irr-tumslos ist wie koumlnnen wir dann irgend-eine in der Schrift behauptete Wahrheit wissen Eine in der Schrift behauptete theologische Wahrheit koumlnnte geglaubt werden sie mag sogar wahr sein aber wie kann sie gewusst werden wenn die Schrift Irrtumer erhaumllt Letztendlich wird die Schrift nicht als unsere letzte Autoritaumlt dienen koumlnnen wenn sie nicht in allem was sie behauptet vertrauenswurdig und verlaumlsslich ist46 Schaeffer Die groszlige Anpassung A a O 149

47 Ebd S 60ndash6148 Vgl Scott R Burson und Jerry L Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer Lessons for A New Century From the Most Influential Apologists of Our Time Downers Grove Ill InterVarsity Press 1998 S 11449 Ebd S 135ndash13650 Ebd S 13551 Es gab zuletzt viele Diskussionen uber die Folgen einer libertarianischen Sicht von menschlicher Freiheit fur das Kon-zept von der goumlttlichen Souveraumlnitaumlt und daher uber die Beziehung zwischen Gott und der Schrift David Basinger und Randall Basinger brachten in bdquoInerran-cy Dictation and the Free Will Defen-seldquo (In Evangelical Quarterly 55 (1983) S 177ndash180) die Diskussion in Gang indem sie die Auffassung vertraten dass jemand nicht gleichzeitig am Libertaria-nismus und an der Irrtumslosigkeit fest-halten koumlnnte wenn man sich nicht auf eine Theorie von der Inspiration als Dik-tat berufen wolle Burson und Walls be-ziehen sich positiv auf das Argument der Basingers und versuchen dann Schaeffer ins Lager des Libertarianismus zu stecken und so eine Inkonsequenz in Schaef-fers Denken darzulegen Die Frage ob Schaeffer ein Libertarianer war ist sehr schwer zu beurteilen Schaeffer arbeitete nicht mit einer praumlzisen Definition von menschlicher Freiheit besonders nicht in der Art wie wir es heute in der phi-losophischen und theologischen Literatur finden Schaeffers Anliegen war vielmehr die Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen zu betonen im Kontrast zu dem Determinismus von Leuten wie B F Skinner Gleichzeitig behielt er aber eine starke Wahrnehmung der souveraumlnen Herrschaft und Regierung Gottes uber die Welt Ich bin sicher dass Schaeffer die Art wie Libertarianer ihre Auffas-sung heute darlegen und besonders wie sie diese auf die Lehre von der Schrift (vgl Basingers Auffassung) angewandt

haben ohne Umschweife abgelehnt haumlt-te Zu einer tiefer gehenden Diskussion uber die Beziehung zwischen goumlttlicher Souveraumlnitaumlt und menschlicher Freiheit in ihrer Anwendung auf die Schrift vgl meine Artikel bdquoThe Importance of the Nature of Divine Sovereignty for Our View of Scriptureldquo In The Southern Baptist Journal of Theology Vol 4 No 2 (2000) S 76ndash90 und bdquoDivine Sovereign-ty-Omniscience Inerrancy and Open Theism An Evaluationldquo In Journal of the Evangelical Theological Society (Juni 2002)52 Vgl Schaeffer Und er schweigt nicht A a O S 88ndash8953 Vgl Fn 5154 J I Packer bdquosbquoSola Scripturalsquo in History and Todayldquo In John Warwick Montgo-mery Godlsquos Inerrant Word An Interna-tional Symposium on the Trustworthi-ness of Scripture Minneapolis Bethany Fellowship 1974 S 6055 Einige aktuelle Werke die eine hohe Meinung von der Schrift verteidigen sind zum Beispiel D A Carson und John Woodbridge (Hrsg) Scripture and Truth and Hermeneutics Authority and Canon Grand Rapids Zondervan 1986 Norman Geisler (Hrsg) Inerran-cy Grand Rapids Zondervan 1980 J M Boice (Hrsg) The Foundation of Biblical Authority Grand Rapids Zon-dervan 1978 Harvie M Conn (Hrsg) Inerrancy und Hermeneutic A Tradi-tion a Challenge a Debate Michigan Baker Books 1988 Gordon Lewis und Bruce Demarest (Hrsg) Challenges to Inerrancy Chicago Moody 1984 Earl Radmacher und Robert Preus (Hrsg) Hermeneutics Inerrancy and the Bible Grand Rapids Zondervan 1984 Carl F H Henry God Revelation and Au-thority 6 Bde Waco Word 1976ndash8356 Vgl zu diesem Punkt Schaeffers Be-sprechung in Schaeffer Die groszlige An-passung A a O S 60ndash62

57 Ebd S 53ndash5458 Zu der Geschichte hinter LrsquoAbri und wie es geboren und mit Gebet aufrecht-erhalten wurde vgl Schaeffer Llsquo Abri A a O59 Damit will ich nicht sagen dass nicht manche Evangelikale Barths Theologie kritisierten Aber Schaeffer zusammen mit Van Til war es wichtig dass sich die evangelikale Theologie von Barth unterscheiden wurde selbst wenn Barth viele ausgezeichnete Einwaumlnde gegen den Liberalismus aussprach Sowohl Van Til als auch Schaeffer waren besorgt uber das Gesamtpaket von Barths Denken dass nach ihrer Uumlberzeugung das historische Christentum untergraben wurde Zu Van Tils harter Reaktion auf Barth vgl Christianity and Barthianism Nutley Presbyterian and Reformed 1977 Vgl auch John Frames praumlgnante Zusammen-fassung von Van Tils Problem und seine Ablehnung der Theologie Barths auch parallel zur Reaktion Schaeffers in John M Frame Cornelius Van Til An Analy-sis of His Thought Phillipsburg N J P amp R Publication 1995 S 353ndash36960 Das heiszligt nicht dass Schaeffer der Einzige war der Barth an diesem Punkt kritisierte Ich habe schon Van Til als ei-nen anderen entschlossenen Kritiker er-waumlhnt und es gab noch weitere61 Brown Standing Against the World A a O S 20ndash2162 Vgl Iain Hamish Murray Evangeli-calism Divided A Record of Crucial Change in The Years 1950 to 2000 Edin-burgh UKCarlisle Pa Banner of Truth Trust 2000 S 50 Fn 5 u S 76ndash77 Vgl auch die Stellen wo Schaeffer seine Sorge daruber formuliert dass die evangelikale Bewegung im Bereich der Evangelisation mit solchen zusammenarbeitet die in ih-rer Theologie nicht evangelikal sind in Francis A Schaeffer Kirche am Ende des 20 Jahrhunderts 2 Aufl Genf [u a] Haus der Bibel [u a] 1973 S 38ndash45

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 337 8 6 uuml

Die grosse Anpassung A a O S 86ndash87 und Schaeffer und Dennis Letters of Francis A Schaeffer A a O S 7263 Vgl Brown Standing Against the World A a O S 21ndash22 Viel von der Kritik Schaeffers an Graham in diesem Punkt ist nicht direkt aufgeschrieben worden Wir wissen es von denen die Schaeffer persoumlnlich kannten und eben-so aus Andeutungen daruber in Schaef-fers Schriften Vgl zu diesem Punkt Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houml-ren A a O und Die grosse Anpassung A a O S 85ndash8764 Brown Standing Against the World A a O S 21ndash2265 Brown Standing Against the World A a O S 21 Schaeffer stellt fest bdquoWas nutzt es daszlig der Protestantismus zah-lenmaumlszligig immer mehr zunimmt wenn aber eine so groszlige Zahl derer die den Namen sbquoevangelikallsquo tragen nicht mehr an dem festhalten was den Protestantis-mus evangelikal macht Wenn dem kein Einhalt geboten wird dann sind wir dem Anspruch der Bibel den sie in Bezug auf sich selbst erhebt nicht treu ergeben und wir sind auch nicht ehrlich gegenuber dem was Jesus Christus in Bezug auf die Bibel geltend macht Aber ebenso ndash und das durfen wir nie vergessen ndash werden wir und unsere Kinder nicht fur die vor uns liegenden schweren Zeiten gewappnet sein wenn dies so weitergehtldquo (Die groszlige Anpassung A a O S 85)66 Brown Standing Against the World A a O S 21ndash2267 Ebd S 2468 Ebd S 2569 Schaeffer Die grosse Anpassung A a O S 54ndash5570 Schaeffer betont stark dass die evange-likale Bewegung mit dem ganzen Men-schen umgehen muss ndash mit Verstand Wille Gefuhlen Herz und Seele Als er bei einer Gelegenheit gefragt wurde wie er sich selbst betrachte als Theologe

Philosoph oder als Apologet sagte er er sei ein Evangelist Er sah jedoch seine Evangelisation nicht als geschieden von den groszligen intellektuellen und kultu-rellen Fragen des Lebens an weil Men-schen ganzheitliche Wesen sind Er stellt fest bdquoMenschen sagen oft sbquoWas bist dulsquo Und manchmal sage ich sbquoNun ich bin ganz einfach ein Evangelistlsquo Manchmal denke ich jedoch nicht dass die Men-schen verstanden haben dass das nicht bedeutet dass ich an einen Evangelisten im Kontrast zum sorgfaumlltigen Umgang mit philosophischen intellektuellen oder kulturellen Fragen denke Ich bin kein professioneller akademischer Philosoph ndash das ist nicht meine Berufung und ich bin froh die Berufung zu haben die ich habe und bin genauso froh dass manche andere Leute andere Berufungen haben Aber wenn ich sage dass ich ein Evange-list bin heiszligt das nicht dass ich glaube meine Philosophie usw sei nicht gultig Ich glaube sie ist es hellip Ich sage aber dass sich all das kulturelle intellektuelle oder philosophische Material nicht davon trennen laumlsst Menschen zu Christus zu fuhren Ich denke mein Reden uber Me-taphysik Moral und Erkenntnistheorie zu gewissen Individuen ist genauso Teil meiner Evangelisation wie der Moment wo ich ihnen zeige dass sie moralisch schuldig sind und ihnen sage dass Chris-tus fur sie am Kreuz starb Ich sehe oder fuhle da keine Dichotomie Dies ist mei-ne Philosophie und jenes ist meine Evan-gelisation Die ganze Sache ist Evange-lisation an Menschen die gefangen sind in der zweiten Verlorenheit uber die wir sprachen Die zweite Verlorenheit ist die dass sie keine Antworten auf die Fragen nach Sinn Ziel und so weiter haben hellip Fur mich besteht eine Einheit aller Wirk-lichkeit und wir koumlnnen entweder sagen dass jeder Studienbereich ein Teil der Evangelisation ist hellip oder wir koumlnnen sagen dass es keine wahre Evangelisation gibt die nicht die gesamte Wirklichkeit und das ganze Leben betrifftldquo (The Com-

plete Works of Francis A Schaeffer Bd 1 A a O S 185ndash187)71 Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houmlren A a O S 23ndash2472 Vgl Schaeffer und Dennis Letters of Francis A Schaeffer A a O u Teil 2 von Burson und Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer A a O S 131ndash20573 Zitiert in Hamilton bdquoThe Dissatisfac-tion of Francis Schaefferldquo A a O S 2574 Ich moumlchte den Leser noch einmal ver-weisen auf Teil 2 von Burson und Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer A a O S 131ndash20575 Brown Standing Against the World A a O S 2676 Francis A Schaeffer Jeder ist von Be-deutung 16 Predigten fur das 20 Jahr-hundert Neuhausen Stuttgart Haumlnssler 1982 S 13 u 21

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben Werbung

bdquoldquoAusbildung und Theologie sind

fuumlr den Menschen da nicht der Mensch fuumlr Ausbildung und Theologie

MARTIN BUCER SEMINARMARTIN BUCER SEMINAR

Theologie studieren in Chemnitz

34 7 8 6 uuml

Gilbert Achcar Die Araber und der Ho-locaust Der arabisch-israelische Krieg der Geschichtsschreibungen Edition Nauti-lus 368 S ISBN 978-3-89401-758-3 2990 Euro

Irrefuumlhrende Verharmlosung

Gilbert Achcars Buch bdquoDie Araber und der Holocaustldquo das 2009 urspruumlng-lich auf Franzoumlsisch erschienen ist ist nach der arabischen und der englischen Uumlbersetzung nun auch auf Deutsch er-haumlltlich Achcar ist Professor fuumlr Ent-wicklungsstudien und internationale Beziehungen an der bdquoSchool of Oriental and African Studiesldquo in London Sein Buch ist der Versuch einer Ehrenrettung

der arabischen Nationen vor dem Vor-wurf des kollektiven Antisemitismus Die Pressestimmen dazu uumlberbieten sich gegenseitig in ihrem Lob Der Au-tor will einen differenzierten Blick auf die arabische Rezeption des Holocaust vermitteln Er behandelt dazu zwei gro-szlige Zeitabschnitte bdquoDie Zeit der Shoahldquo und bdquoDie Zeit der Nakbaldquo was sinnge-maumlszlig jeweils bdquoDie Zeit der Katastropheldquo bedeutet Damit deutet sich bereits eine Problematik an Die Verhaumlltnisbestim-mung von Holocaust und Staatsgruumln-dung Israels Im Holocaust sieht Achcar das einzige und obendrein heftig miss-brauchte Argument fuumlr die Staatsgruumln-dung (S 243 ua) sowie fuumlr den bdquodeut-schen Philosemitismusldquo (S 266) Dabei uumlbergeht er andere wichtige Gruumlnde fuumlr die Unterstuumltzung der israelischen

Anliegen Er geht davon aus dass die Staatsgruumlndung unrechtmaumlszligig erfolgt sei (S 138 153) Deswegen war aus sei-ner Sicht auch jeder Verteidigungskrieg dieses Staates illegitim (S 34f) Israel sei ein bdquokolonialer Siedlerstaat europauml-ischen Ursprungsldquo (S 32) Auszligerdem sieht Achcar in den Juden kein Volk sondern eine Religionsgemeinschaft Sie haumltten zwar eine Art nationale Identi-taumlt entwickelt koumlnnten aber aumlhnlich wie Christen und Muslime kein Land beanspruchen (S 265) Die Vorstellung von einer bdquoEinstaatenloumlsungldquo die der Autor zu praumlferieren scheint mit einer juumldischen Minderheit die unbehelligt unter arabischer Herrschaft lebt ist im besten Fall eine naive Utopie Achcar gibt an denjenigen zu widersprechen die aus der Geschichte einen immer da-

gewesenen unabaumlnderlichen arabischen beziehungsweise islamischen Antisemi-tismus konstruiert haumltten und die Ara-ber heute insgesamt als Antisemiten und Nazis abstempelten Er gibt eine Fuumllle von Quellen an und kann vielleicht je-nen den Wind aus den Segeln nehmen die alle Araber als praumldestinierte Nazi-kollaborateure darstellen Kritikwuumlrdig ist die geflissentliche Vernachlaumlssigung der Beschreibung der aktuellen Zu-staumlnde in der arabischen Welt bdquoHaupt-thema ist schlieszliglich die historische Beziehung der Araber zum Holocaust als er stattfand weniger ihre aktuelle Beziehung zur historischen Erinnerung an die Shoahldquo (S 169) Man kann aus der Lektuumlre die Erkenntnis mitnehmen dass zur Zeit des Zweiten Weltkrieges die meisten Araber nicht mit der na-

Die Araber und der HolocaustGilbert Achcar

Carmen Matussek

Rez

ensi

onen

glauben amp denken heute 22012 357 8 6 uuml

tionalsozialistischen Judenverfolgung einverstanden waren was aber kaum jemand angezweifelt hat Wer von der gleichzeitigen Zusammenarbeit einiger hochrangiger Araber mit dem Nazire-gime nichts wusste wird daruumlber eben-falls umfassend informiert selbst wenn Achcar viele Fakten nur nennt um sie anschlieszligend zu relativieren

Erschwerend fuumlr eine Kritik ist dass der Autor seine Meinung haumlufig nicht mit eigenen Worten kundtut sondern ganz im Sinne postmodernen Stils weit-gehend unkommentiert Zitate anein-anderreiht die Ruumlckschluumlsse auf seine Sicht zulassen Meint er tatsaumlchlich dass Palaumlstina als Ort fuumlr die Staats-gruumlndung Israels lediglich ein zufaumlllig da herumschwimmendes bdquoFloszligldquo war (S 26) und dass Israel vor dem Sechs-Tage-Krieg 1967 bdquokaum in ernster Gefahrldquo (S 219) war Zumindest behauptet er mit Nachdruck dass bdquomanche Judenldquo sich 1948 in Palaumlstina gaumlnzlich zu Unrecht bdquovon der Vernichtungldquo bedroht gefuumlhlt haumltten (S 178) und dass Israel damals bdquoalleinldquo fuumlr die bdquoGewalt verantwortlichldquo gewesen sei (S 234f) Auch hier han-delt es sich um ein Zitat das er aber aus-druumlcklich bejaht

Zudem formuliert Achcar seine Aussa-gen oft als Fragen und negativ wodurch ihre Essenz vernebelt wird bdquoWarum ist es weniger schockierend wenn man er-oberte Voumllker die besetzt entwurzelt und zu Fluumlchtlingen gemacht wurden

mit den Nazis vergleicht als wenn man eine Besatzungsarmee die Gebiete von vier Nachbarlaumlndern erobert hat mit diesem Vergleich belegtldquo (S 223) Man denke sich den Satz im Umkehrschluss bdquoOder was ist uumlber jene Araber zu sa-gen die den Holocaust aus lauter Wut oder einer Art hilfloser Aufschneiderei leugnen um so ihre innere Spannung loszuwerden erzeugt durch einen sbquojuumldi-schen Staatlsquo der sie aus einer uumlberwaumll-tigenden Uumlberlegenheitsposition heraus erdruumlcktldquo (S 262)

Vier Hauptgruppen bei Arabern

Achcars Forschungsgegenstand ist aber nicht die Holocaustleugnung des einen oder anderen Palaumlstinensers sondern bdquoder Araberldquo die es natuumlrlich bdquonicht gibtldquo (S 39) zumindest nicht als Antise-miten wohl aber als Betroffene des Ho-locaust und der juumldischen Immigration nach Palaumlstina (S 11) Die Araber will er in vier politische Hauptstroumlmungen unterteilt wissen Bei deren Aufzaumlhlung fragt man sich unwillkuumlrlich ob die Reihenfolge als Rangordnung gedacht ist 1 Westlich orientierte Liberale 2 Marxisten 3 Nationalisten 4 Reak-tionaumlre undoder fundamentalistische Panislamisten (S 40) Erst sehr viel spaumlter und in einem Nebensatz werden die Marxisten als das bezeichnet was sie

waren eine bdquowinzige Minderheitenstrouml-mungldquo (S 82) Wie selbstverstaumlndlich scheint Achcar davon auszugehen dass Antisemitismus in der ersten Gruppe keine groszlige Rolle spielte Dabei erwaumlhnt er nicht dass beispielsweise Al-Aqqad der zu den groszligen Liberalen zaumlhlt (S 103) und sich kritisch zum Hitlerregime geaumluszligert hatte ein wohlwollendes Vor-wort zu At-Tunisis arabischer Uumlberset-zung der bdquoProtokolle der Weisen von Zionldquo von 1951 geschrieben hat Bil-dung bdquoAufklaumlrungldquo und Antisemitis-mus schlieszligen sich damals wie heute nicht aus

Den flaumlchendeckenden Antisemitis-mus in der arabischen Welt verharmlost Achcar mal als Spannungsventil mal als Antiimperialismus (S 188f) dann als Provokation (S 254) als bloszlige Reaktion (S 255f) und als Bildungsluumlcke (S 247 261) Nassers Antisemitismus tut er als bdquoIgnoranzldquo ab (S 195f) dessen Holo-caustleugnung als ein Versehen (S 207) Ahmad Hussein Gruumlnder und Anfuumlh-rer der Bewegung bdquoJunges Aumlgyptenldquo disqualifiziert sich als ernstzunehmen-der Antisemit laut Achcars Darlegung durch seine politische Sprunghaftigkeit (S 81) Auch Al-Gaylani Premiermi-nister des Koumlnigreichs Irak und gluuml-hender Bewunderer der Nazis wird als Antisemit wider Willen vorgestellt Die bdquoArroganz Londonsldquo sei bdquofuumlr Gaylanis Radikalisierung verantwortlichldquo gewe-sen und somit waumlre er bdquoim eigentlichen

Sinne kein Anhaumlnger Hitlerdeutsch-landsldquo (S 90) Den Relativierungen und Verdrehungen scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein Die Ernennung von Hajj Amin al-Husseini der sich wie kein an-derer Araber aktiv in die bdquoEndloumlsung der Judenfrageldquo eingebracht hat zum Mufti Jerusalems sei fuumlr die zionistische Be-wegung ein bdquounschaumltzbarer Dienstldquo ge-wesen (S 129) Zudem habe er mit der Mobilisierung von 200000 Muslimen fuumlr den bdquoKampf der Achsenmaumlchteldquo und anderen Taumltigkeiten weit weniger erreicht als er sich vorgenommen hatte (S 144) Achcar bringt es fertig umfas-sendes Material uumlber die Machenschaf-ten des Muftis zusammenzutragen und ihn hernach als bdquounbedeutendldquo hinzu-stellen und das bdquoBeduumlrfnisldquo bdquozahlreicher Autorenldquo zu bemaumlngeln bdquoden Mufti (hellip) zu verunglimpfenldquo (S 148) Gleich-zeitig schreibt Achcar ihm aber selbst so viel Einfluss zu dass dieser als bdquoreligi-oumlse Autoritaumltldquo mit seinen Radioreden und seiner eigenwilligen Auslegung des Islam bdquoein jahrhundertealtes Erbe der Koexistenz zunichteldquo gemacht habe (S 150f) Als unbedeutend beschreibt Ach-car auch die zahlreichen deutschen Na-tionalsozialisten die nach 1945 in der arabischen Welt besonders in Aumlgypten ihre politischen Karrieren fortgesetzt haben (S 201)

Uumlberhaupt seien ndash das ist die Kern-these des Buches ndash am arabischen Anti-semitismus vor allem die Juden schuld

Die Araber und der Holocaust

36 7 8 6 uuml

bdquoIm Gegensatz dazu sind die antisemiti-schen Aumluszligerungen die heutzutage aus der arabischen Welt kommen meist kultureller Ruumlckstaumlndigkeit geschuldete Phantastereien in denen sich die tiefe Frustration einer unterdruumlckten Nation aumluszligert Die Verantwortung dafuumlr ist in der Tat der Mehrheit sbquoder Judenlsquo Palaumlsti-nas und spaumlter dem sbquojuumldischen Staatlsquo Is-rael zuzuschreiben den diese begruumlndet habenldquo (S 242)

Was bdquoAntisemitismusldquo versus bdquoAnti-zionismusldquo betrifft unterscheidet Ach-car sogar zwischen der antisemitischen und der antizionistischen (also legiti-mierenden weil bdquonichtrassistischenldquo) Lesart der bdquoProtokolle der Weisen von Zionldquo (S 197f) Nun ist aber die Pro-pagierung einer zionistischen Weltver-schwoumlrung nicht weniger antisemitisch als die einer juumldischen Der Antisemitis-mus von bdquokulturell ruumlckstaumlndigenldquo und bdquounterdruumlcktenldquo Menschen ist nicht weniger moumlrderisch als der von privile-gierten Und Achcar beantwortet nicht die Frage inwiefern antisemitische Propaganda in Algerien den Vereinig-ten Arabischen Emiraten oder bei ara-bischen Migranten in Europa ndash durch alle Bevoumllkerungsschichten hindurch ndash mit Ohnmachtsgefuumlhlen gegenuumlber den Israelis zusammenhaumlngen soll Dabei weiszlig er sehr wohl dass man unterschei-den kann zwischen einem Ressenti-ment das der Feindbildgenese in einem realen Konflikt entspringt und einem

das das Ergebnis gezielter Propaganda ist Obwohl bekanntlich in den arabi-schen nicht den israelischen Schulbuuml-chern offen Hetze betrieben wird legt der Autor die Betonung auf die israeli-sche Verantwortung

Beispiel fuumlr intellektuelle Verweigerung

Achcars Buch ist ungeeignet wenn man sich uumlber den Antisemitismus in der arabischen Welt und das dortige Phaumlnomen der Holocaustleugnung in-formieren moumlchte Es ist ein Beispiel fuumlr intellektuelle Verweigerung gegenuumlber den Gruumlnden fuumlr die eingefahrene Lage auch wenn er die Araber sehr wohl zur Selbstkritik mahnt (S 279) Auf dem Gipfel der Geschmacklosigkeit unter-stellt Achcar dem bdquoMiddle East Media Research Instituteldquo (MEMRI) das in einer Sammlung von Zitaten Kari-katuren und Videos das Ausmaszlig des arabischen Antisemitismus abzubilden versucht bdquoGenugtuungldquo bei der Arbeit Als weitere Beispiele fuumlr bdquoantiarabischeldquo Agitatoren nennt er Meir Litvak und Esther Webman Yehoshafat Harkabi und Matthias Kuumlntzel Sie alle sind Autoren die ganz sicher nicht zu den antiislamischen Polemikern zaumlhlen und hier waumlrmstens empfohlen seien Ein Leser der Harkabi Kuumlntzel und Achcar nebeneinander liest und sich ein biss-

chen bei MEMRI uumlber den alltaumlglichen Wahnsinn des arabischen Antisemitis-mus informiert kann sich selbst ein realistisches Bild machen Neben den Beispielen die hier exemplarisch vor-gestellt wurden finden sich bei Achcar durchaus auch lesenswerte Informati-onen in bekoumlmmlicher professioneller Aufbereitung Aufgrund dieser Zitate und der selektiven Wahrnehmung ist fuumlr mich das Buch einer fairen Beur-teilung des Konflikts abtraumlglichUumlber die Rezensentin Carmen Matussek ist Islamwissenschaftlerin Historikerin und freie Journalistin Sie publiziert und referiert zu den Schwerpunktthemen Is-rael Nahostkonflikt Islamismus Islam und Antisemitismus Ihre Abschlussarbeit hat sie uumlber antijuumldische Verschwoumlrungs-propaganda in den arabischen Medien geschrieben und sie 2012 veroumlffentlicht Kontakt carmenmatussekwebde

Carmen Matussek

Studienzentrum in Muumlnchen

mehr infos unterwwwbucerdemuenchenhtml

glauben amp denken heute 22012 377 8 6 uuml

Warum Gerechtigkeit Timothy Keller

Dr Daniel Facius

Timothy Keller Warum Gerechtigkeit Gottes Groszligzuumlgigkeit soziales Handeln und was ich tun kann Gieszligen Brun-nen-Verlag 2012 201 Seiten ISBN 978-3765511790 1499 Euro

Timothy Keller presbyterianischer Pastor und Professor fuumlr praktische Theologie am Westminster Semina-ry hierzulande vor allem durch sein apologetisches Werk bdquoWarum Gottldquo bekannt hat mit bdquoWarum Gerechtig-keitldquo nunmehr ein Werk vorgelegt das seinem Forschungsschwerpunkt der praktischen Theologie entspringt Der vom Brunnen-Verlag gewaumlhlte Titel ist dabei offenbar dem Versuch geschuldet einen Zusammenhang mit dem Vorgaumlnger herzustellen Der Originaltitel bdquoGenerous Justiceldquo (dt bdquoGroszligzuumlgige Gerechtigkeit Wie Got-tes Gnade uns gerecht machtldquo) trifft

den Inhalt etwas besser Als Zielgruppe nennt Keller (S 10ff) junge Christen mit diakonischem Anliegen skepti-sche Christen die mit dem Thema bdquoGerechtigkeit uumlbenldquo den Verlust ge-sunder Lehre und falsche Schwerpunk-te assoziieren Christen die sich dem Thema bdquoGesellschaftstransformationldquo verschrieben haben (der deutsche He-rausgeber nennt hier Theologen wie Tobias Faix und Johannes Reimer S 174) sowie Anhaumlnger der aggressiven Atheisten die der Meinung sind dass bdquoReligion die Welt vergiftetldquo Diesen Gruppen so Keller fehlt irgendwo der Blick dafuumlr dass die Botschaft der Bi-bel und das Eintreten fuumlr Gerechtigkeit zusammengehoumlren (S 13)

Keller beginnt sinnvollerweise mit einem theoretischen Teil in dem er definiert was bdquoGerechtigkeit uumlbenldquo

bedeutet und sich entsprechende Aus-sagen des Alten und Neuen Testa-ments vornimmt Dabei geraumlt Kellers Ausgangsthese etwas steil Micha 68 lautet bei Keller (in der fuumlr exegetische Feinheiten eher weniger sensiblen hier aber zumeist gebrauchten bdquoHoffnung fuumlr Alleldquo-Uumlbertragung) bdquoHaltet euch an das Recht begegnet anderen mit Guumlteldquo

Dies sehe aus wie zwei verschiedene Dinge bdquoaber sie sind nicht verschiedenldquo (S 24) Das ist durchaus hinterfrag-bar zumal nicht einmal die von Kel-ler angegebene Quelle diese Behaup-tung unterstuumltzt Das hebraumlische jPvm (mishpat) gibt Keller mit bdquoMenschen gerecht bzw fair behandelnldquo (S 25) wieder Dies mag zwar grundsaumltzlich zutreffend sein es ist aber wohl eher eine Aufforderung an die staatlichen

Autoritaumlten Gleichheit vor dem Ge-setz zu gewaumlhrleisten als ein Aufruf an die Gesellschaft zur Armenversorgung Abgeleitet von jpv (shapat) bdquorichten zum Recht verhelfenldquo hat es eindeutig einen justitiellen Hintergrund und be-schreibt das korrekte Verstaumlndnis von Regierung (vgl Theological Wordbook of the Old Testament S 948) ohne dass es auf den Akt der Rechtspre-chung verengt werden darf

Subjekte des Shapat-Handelns sind jedoch Koumlnige oder Richter es voll-zieht sich in dem die Ursache einer Stoumlrung zwischen zwei Gruppen durch einen bdquoRichtendenldquo beseitigt wird (vgl THAT Band 2 Sp 1001) Auch wenn jPvm tatsaumlchlich oft im Verbund mit dsx (chesedh Guumlte) erscheint sollten die verschiedenen Bedeutungsspektren gewahrt werden Wenn Keller bdquoGe-

38 7 8 6 uuml

rechtigkeit uumlbenldquo als bdquoVerteidigung der Menschen mit der geringsten oumlkonomi-schen und gesellschaftlichen Kraftldquo de-finiert (S 26) dann greift das zu kurz gibt aber den Teilaspekt von bdquoGerech-tigkeitldquo wieder um den es Keller nun hauptsaumlchlich gehen wird

Uumlberzeugend gelingt die Gruumlndung von gerechtem Handeln im Wesen Got-tes In der Tat ist es vielsagend dass Gott als bdquoVater der Waisen und Helfer der Witwenldquo (Psalm 686) vorgestellt wird Gerade im Kontrast zu antiken Goumlttern die sich mit Koumlnigen und Priestern und Helden identifizieren wird die Einma-ligkeit Jahwes deutlich der sich zu den Ausgestoszligenen und Machtlosen stellt Grundsaumltzlich richtig ist es auch auf den Gemeinschaftsaspekt von Gerech-tigkeit hinzuweisen der durch das heb-raumlische hqdc (tzedaqah) zum Ausdruck kommt (das sich fuumlr Kellers Argumen-tation besser eignet als jPvm) Werden beide Worte wie es oumlfter geschieht zu-sammen verwendet will Keller dies mit bdquosoziale Gerechtigkeitldquo wiedergeben Hier wird am Beispiel Hiobs erlaumlutert wie ein bdquorechtschaffenesldquo Leben aussieht ndash ein lohnenswerter und herausfordern-der Einblick

Ob aber privates groszligzuumlgiges Geben wirklich als zwingender Bestandteil von bdquoGerechtigkeitldquo qualifiziert werden soll-te Keller ist sich offenbar im Klaren daruumlber dass diese Behauptung sehr weit geht (S 34) tut aber exegetisch we-

nig um sie zu untermauern Dass ein froumlhliches Geben Gott gefaumlllt ist un-bestreitbar Aber ist es wirklich bdquounge-rechtldquo nicht bdquogroszligzuumlgigldquo zu sein Wel-che Eigenbedeutung kommt Begriffen wie Guumlte oder Barmherzigkeit noch zu wenn das was sie beschreiben notwen-diger Bestandteil von bdquoGerechtigkeitldquo ist Eine solche Abgrenzung leistet Kel-ler nicht Am Beispiel Israels im Alten Testament zeigt Keller wie Gott die Gerechtigkeitsfrage in einem theokra-tischen Nationalstaat loumlst Er zeigt auf dass die heutige Anwendung allgemein guumlltiger Prinzipien viel Raum fuumlr Inter-pretationen laumlsst und nicht ohne weite-res in die Form eines bestimmten poli-tischen Systems gegossen werden kann

Bedenkenswert sind auch die Aus-fuumlhrungen zu Ursachen von Armut die Keller teils in der Gesellschaft (Ras-sismus Korruption Wucher) teils in Schicksalsschlaumlgen (Unfaumllle Naturka-tastrophen) und teils in charakterlichen Defiziten (Faulheit Disziplinlosigkeit) verortet (S 47ff) Bei der Betrachtung des Neuen Testaments liegt sein Schwer-punkt auf der Art und Weise wie Jesus den Armen begegnet ndash und wie er priva-te Moral und soziale Gerechtigkeit zu-sammen denkt (S 64) Dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter wird ein eigenes Kapitel gewidmet (S 70ff)

Im zweiten Teil des Buches wird es praktisch Wieso sind Appelle an die Vernunft ja selbst an die Liebe nicht

in der Lage Menschen dauerhaft zu bdquoGerechtenldquo zu machen Dem Dilem-ma einer relativistischen Moderne eine Begruumlndung fuumlr die Notwendigkeit rechtschaffenen Verhaltens zu liefern stellt Keller zwei biblische Grundmoti-vationen gegenuumlber die freudige Ehr-furcht angesichts der Guumlte von Gottes Schoumlpfung und die Erfahrung der Gna-de Gottes in der Erloumlsung (S 85)

Hier kommt es zur Verknuumlpfung von Diakonie und Evangelium die in der Erfahrung Kellers gipfelt dass bdquoMen-schen die das Evangelium der Gnade ergriffen haben und geistlich arm ge-worden sind merken wie es ihre Her-zen zu den materiell Armen zu ziehen beginntldquo (S 101)

Die wuumlnschenswerte Folge bdquoGerech-tigkeit als Lebenselementldquo (S 106) Dies kann sich vielfaumlltig aumluszligern wobei Keller drei Stufen der Hilfe skizziert (S 109) Soforthilfe Hilfe zur Entwicklung und soziale Reformen Waumlhrend Soforthilfe noch grundsaumltzlich von jedem geleis-tet werden kann ist Hilfe zur Selbst-hilfe zeitraubender und komplizierter soziale Reformen durch Einzelne gar nicht umsetzbar Keller wird hier relativ praktisch wenn er etwa den Umgang mit ganzen Problemvierteln beschreibt (S 111ff) oder konkrete Fragen auf-wirft vor denen hilfswillige Gemein-den fruumlher oder spaumlter stehen werden (S 127ff) Wie viel sollten wir helfen Wem sollten wir helfen Unter welchen

Bedingungen Auf welche Weise Hier wird auch die Rolle der Evangelisation erlaumlutert (S 129) wobei Keller davor warnt Diakonie nur als Mittel zu de-ren Zweck zu betrachten Dabei wirbt er durchaus auch fuumlr die Zusammenarbeit mit Anhaumlngern anderer Religionen und Weltanschauungen in bdquounaufdringli-cher Kooperation und respektvoller Provokationldquo (S 145) Hier gluumlckt ein interessantes Kapitel das die Schwaumlchen einer rein saumlkularen Gerechtigkeitskon-zeption entlarvt

Insgesamt gelingt Keller ein starker Beitrag zum Thema bdquoSoziale Gerechtig-keitldquo das der gerade in Deutschland so omnipraumlsenten Debatte um diesen Be-griff wichtige Impulse zu geben vermag auch wenn nicht jedes der zahlreichen aus amerikanischem Kontext stammen-den Beispiele (etwa in Bezug auf die Rassenfrage) hierzulande von gleicher Brisanz ist

Zudem ist das Buch praktisch genug um auch persoumlnlich herausfordernd zu sein Auch wenn nicht jede theoretische Annahme oder jede konkrete Schluss-folgerung vollstaumlndig zu uumlberzeugen vermag ist Kellers Plaumldoyer fuumlr einen ausgewogenen Mittelweg zwischen Ruumlckzug aus der Welt und utopischen Traumlumen von einer erloumlsten Kultur mehr als beachtlich

Dr Daniel Facius

glauben amp denken heute 22012 397 8 6 uuml

Steven Paas Christian Zionism Exa-mined A Review of Ideas on Israel the Church and the Kingdom NuumlrnbergHamburg VTR PublicationsRVB 2012 135 Seiten ISBN 978-3941750869 1499 Euro

Gut ist an diesem Buch dass es genuuml-gend Stoff zu ernsthaften spannenden Diskussionen bietet Steven Paas fordert alle heraus die in der Gruumlndung des Staates Israel von 1948 ein Zeichen der Endzeit und eine Erfuumlllung der bibli-schen Verheiszligungen sehen Somit traumlgt das Buch zur eigenen selbstkritischen Urteilsfindung bei wenn es denn nicht nur von solchen gelesen wird die aus dem theologischen Lager von Steven Paas stammen Denn der Autor legt seiner Studie eine reformiert-konfessio-nelle Hermeneutik zugrunde Er legt die ganze Bibel aus der Sicht des einen Gna-denbundes aus der in Christus zentriert

ist Damit macht Steven Paas gegenuumlber dem Christlichen Zionismus klar dass es zum Beweis der eigenen Bibeltreue nicht nur darauf ankommt Bibelstellen zu zitieren Vielmehr muss jeder auch die von ihm benutzte Hermeneutik of-fen legen welche aufzeigt wie die dispa-raten Aussagen der Bibel in einen groumlszlige-ren Zusammenhang gebracht und erst dadurch auf redliche Weise verstanden werden koumlnnen Mit seiner Verortung in einer reformiert-konfessionellen Dog-matik wird Paas zu einem Opponenten des praumlmilleniaristischen Dispensati-onalismus dem er eine Aufloumlsung des einen Gnadenbundes in zahlreiche bdquodispensationsldquo vorwirft (S 61) Doch mit einer heilsgeschichtlich motivierten Wuumlrdigung des juumldischen Volkes nach dem Holocaust ist der Dispensationalis-mus fuumlr pietistisch-erweckliche Chris-ten derart plausibel geworden dass er fast schon als Synonym zum Begriff

sbquoEvangelikalismuslsquo gebraucht wird Die-se Plausibilitaumlt ist ja nicht unbegruumlndet Und damit kommen wir schon zu ei-ner Schwachstelle der Argumentation von Steven Paas Denn die historischen Ereignisse des Holocausts und der is-raelischen Staatsgruumlndung scheinen die Positionen des Christlichen Zionismus zu bestaumltigen Das muumlssen wir zunaumlchst einmal anerkennen Gerade als Chris-ten die aus Deutschland stammen haben wir schmerzvoll wahrzunehmen dass in der Zeit zwischen 1933 und 1945 keine Kirche Gemeinde christliche Be-wegung oder protestantische Gruppe geschlossen gegen den Nationalsozia-lismus opponiert hat Es waren immer nur Einzelne die die Ungeheuerlichkeit der Judenverfolgung erkannten und kri-tisierten Auch die klassische konfessio-nelle Dogmatik fuumlr die sich Steven Paas starkmacht hat den Holocaust nicht verhindern koumlnnen

Dem Niederlaumlnder Steven Paas der in Afrika lebt mag man verzeihen dass ihn die Ausmaszlige des Holocausts nicht besonders beschaumlftigen Als ein Christ der in Deutschland wohnt frage ich mich allerdings welche theologischen Entwicklungen die nationalsozialisti-sche Judenverfolgung beguumlnstigt haben und inwiefern sie deshalb Fehlentwick-lungen waren Und viele Christen fra-gen sich das Ergebnis dieses Fragens ist beispielsweise dass die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern der ich angehoumlre ihre Verfassung in diesem Jahr um diesen Satz ergaumlnzt hat bdquoDie Kirche ist aus dem biblischen Gottesvolk Israel hervorgegangen und bezeugt mit der Heiligen Schrift dessen bleibende Erwaumlh-lungldquo Der Hinweis auf die bdquobleibende Erwaumlhlungldquo fasst Aussagen des Paulus zusammen (wie Roumlm 111) und wehrt damit die klassische Enterbungstheorie ab wonach das juumldische Volk ndash wie man

Christian Zionism ExaminedSteven Paas

Dr Gerhard Gronauer

40 7 8 6 uuml

fruumlher sagte ndash unter dem Fluch des Got-tesmordes stehe und das Heil komplett auf die heidenchristliche Kirche uumlber-gegangen sei Diese Enterbungstheorie (bei Paas replacement theory) brachte den christlichen Antijudaismus hervor an welchem der moderne Antisemitismus anknuumlpfen konnte

Viele progressive Christen aus dem Umfeld des juumldisch-christlichen Dia-logs die Paas auch unter dem Begriff sbquoChristlicher Zionismuslsquo subsumiert schlieszligen nun aus der bdquobleibenden Er-waumlhlungldquo dass die Juden einen separa-ten Heilsweg haumltten und Jesus Christus nicht mehr braumluchten Das ist fuumlr mich die spannendste Stelle im Buch bdquoChris-tian Zionism Examinedldquo dass Paas sei-nen reformierten Ansatz von der klassi-schen replacement theory unterscheidet auch wenn er mit diesem Versuch bei progressiven Christen nicht durch-kommen wird Denn im Gegensatz zu jenen denkt der Autor nicht gleich an das sbquoheidenchristlichlsquo-antijuumldische Uumlberlegenheitsgefuumlhl der antiken und der mittelalterlichen Kirche bdquoKircheldquo ist fuumlr Paas ein rein innerbiblischer Be-griff den er auf die Urgeschichte im Buch Genesis zuruumlckdatiert und der somit alle Menschen umfasst die dem Gnadenbund Gottes angehoumlren Noah Abraham Israel und die christlichen Gemeinden des Neuen Testaments Im Fortlauf der biblischen Offenba-rung weitet sich der Bund Gottes von

einer Beziehung zu einzelnen Familien (Noah Abraham) uumlber das Volk Israel hin zur ganzen Welt Damit sind wir bei dem bdquouniversalenldquo Charakter der christlichen Botschaft welcher sich im christlich-juumldischen Gespraumlch stets den Vorwurf gefallen lassen muss die Juden zu bdquoenterbenldquo Diesen Vorwurf weist Paas zuruumlck denn mit der Uni-versalitaumlt des Gnadenangebots ist Isra-el keineswegs ausgeschlossen bdquofrom the covenantal salvation promises of Godldquo (S 23) Zu Paaslsquo Abwehr der klassischen replacement theory gehoumlrt auch dass er das traditionelle Diktum praumlzisiert alle biblischen Verheiszligungen seien in Chris-tus erfuumlllt Die Verheiszligungen sind nicht durch das Leben des irdischen Jesus oder mit dessen Auferstehung erfuumlllt sondern werden erst mit dem zweiten Kommen Jesu Christi erfuumlllt sein

Hier lohnt es sich jedenfalls theo-logisch weiterzuarbeiten Und solche Gedanken anzustoszligen gehoumlrt zu den Staumlrken von Paas genauso wie sein Hinweis auf die Uumlberpruumlfung der ei-genen Hermeneutik Auch legt er seine Finger in die Wunden des Christlichen Zionismus indem er dessen argumenta-tive Schwachstellen hervorhebt Die bi-blischen Landverheiszligungen werden im Neuen Testament nicht erwaumlhnt oder gar bestaumltigt der Fortlauf der biblischen Offenbarung laumluft bereits im Alten Testament auf eine Universalisierung und Spiritualisierung der Gottesverhei-

szligungen hinaus keine alttestamentliche Ruumlckkehrverheiszligung deckt sich mit der Gruumlndung des Staates Israel 1948

Gleichermaszligen weist die Studie bdquoChristian Zionism Examinedldquo selbst eine Reihe von Schwachstellen auf so-dass dieses Buch nicht nur Begeisterung ausloumlst Absolut irritierend ist dass Paas den Begriff sbquoChristlicher Zionismuslsquo nur scheinbar klar definiert (bdquoIt is an ideolo-gy of being fascinated in an extraordinary way by ethnic geographic and religious features of post-Biblical Israelldquo S 12) In Wirklichkeit wendet er den Begriff recht unterschiedslos auf alle Christen an die in seinen Augen ein bdquoheterodoxesldquo also wahrheitswidriges Verstaumlndnis von Ju-dentum Israel oder Palaumlstina haben Christliche Zionisten sind dann nicht nur zeitgenoumlssische Freunde des Staates Israel auf der Basis einer bestimmten heilsgeschichtlichen Theologie (so wie ich den Terminus definieren wuumlrde) sondern gleichermaszligen Philosemiten wie Antisemiten friedliche Palaumlstina-Pilger wie grausame Kreuzfahrer Mit dieser Ausdehnung des Begriffs wider-spricht Paas sich faktisch selber setzt er sich doch in seinen dogmatischen Kapi-teln vor allem mit der Heilsgeschichte des Dispensationalismus auseinander Nach Paaslsquo Logik muumlsste dann auch die palaumlstinensische Befreiungstheolo-gie zum Christlichen Zionismus gehouml-ren hat doch auch sie eine Auffassung von bdquoLandldquo und bdquoHeimatldquo die uumlber die

reformiert-orthodoxe Lehre hinausgeht Wenn uumlberhaupt dann nimmt Paas aber die arabischen Voumllker (wie die afri-kanischen) nur als Opfer des westlichen Imperialismus wahr und versteigt sich zu dem unseligen Vergleich dass Zio-nismus bdquoa system of racial favouritism or apartheidldquo (S 118) sei

Und wie bereits erwaumlhnt findet Paas kein Verstaumlndnis dafuumlr dass der Christ-liche Zionismus fuumlr manche Christen nach 1945 ein plausibles theologisches System geworden ist Weil er das nicht verstehen kann vermag er es auch nicht zu erklaumlren und muss deshalb zu dem abgedroschenen Argument des sbquoSchuld-komplexeslsquo greifen (S 118) Gut bleibt an diesem Buch dass es genuumlgend Stoff zu ernsthaften spannenden Diskussio-nen bietet Gerade innerhalb der evan-gelikalen Bewegung Bezeichnend ist dass Paas als Kronzeugen seiner eige-nen Position mehrfach den Rektor der Internationalen Hochschule Liebenzell Prof Dr Volker Gaumlckle zitiert und ihn sogar im Vorwort wuumlrdigt Nun gibt es im Liebenzeller Gemeinschaftsverband einen bdquoArbeitskreis Israelldquo der seiner Internetpraumlsenz nach ein bdquoBewusstsein schaffen (will) fuumlr die heilsgeschicht-liche Bedeutung Israelsldquo Wie gesagt Stoff fuumlr genuumlgend Diskussionen pro und contra Christlicher Zionismus selbst unter Freunden

Dr Gerhard Gronauer

glauben amp denken heute 22012 417 8 6 uuml

Fuumlr Froumlmmigkeit in FreiheitGerhard Lindemann

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Gerhard Lindemann Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit Die Geschichte der Evangeli-schen Allianz im Zeitalter des Liberalis-mus (1846ndash1879) Theologie Forschung und Wissenschaft Bd 24 Muumlnster Lit Verlag 2011 1064 Seiten 978-3825889203 12990 Euro

Seit meiner Dissertation zu Theodor Christlieb von 1985 und der kurz da-rauf erschienenen Arbeit von Hans Hauzenberger hat zwar der metho-distische Forscher Karl-Heinz Vogt zu Christlieb selbst und zum Thema Allianz und Religionsfreiheit einiges Neues beigetragen aber insgesamt fehlten die groszligen Fortschritte in der Forschungsgeschichte zur Allianz in Deutschland seit 25 Jahren ja fuumlr die Zeit vor dem 2 Weltkrieg weltweit Auch zur Fruumlhgeschichte der Welt-

weiten Evangelischen Allianz ist laumln-ger nichts substantiell Neues erforscht worden Und auch zur Geschichte der Religionsfreiheit im 19 Jahrhundert allgemein haben sich die Forscher nicht gerade uumlberschlagen Und nun dieses ausgezeichnete Mammutwerk

Ein groszligformatiges Buch mit 947 Seiten reinem Text mit groszligem Satz-spiegel und kleiner Schrift Die Heidel-berger Habilitationsschrift von 2004 wird dem Ruf das die Deutschen die dicksten aller Buumlcher schreiben ge-recht Bisweilen detailversessen alles minutioumls aus den Akten und zeitgenoumls-sischen Zeitungen belegend wird das Buch dadurch zu der gruumlndlichsten (und besten) Darstellung der Vor- und Fruumlhgeschichte der Evangelischen Al-lianz Die Weltweite Evangelische Al-

lianz vertritt heute 600 Mio Christen weltweit davon nur noch ein Bruchteil deutscher Zunge Schade dass dem groumlszligten Teil dieser Menschen deswe-gen dieser Schatz verborgen bleiben wird denn eine englische Uumlbersetzung dieser Textmenge waumlre zwar dringend erforderlich ist aber leider sehr un-wahrscheinlich

Das Werk behandelt soweit aus den Quellen rekonstruierbar 1 die eigent-liche Geschichte wie Versammlun-gen Kampagnen und internationale Ausbreitung die jeweils in die groszlige Zeitgeschichte eingeordnet werden 2 die Rolle der entscheidenden Persoumln-lichkeiten und 3 die Arbeitsschwer-punkte der Allianz (dabei vor allem Glaubens- und Gewissensfreiheit Ge-betswoche Mission Publikationen)

Wer dabei eine einzelne Thematik verfolgen moumlchte ndash etwa die Geschich-te der internationalen Allianzgebets-woche jeweils zu Beginn des Jahres ndash kann dies uumlber die uumlbersichtliche Gliederung und den Index sehr gut tun Auch wer die Geschichte der Al-lianz bis 1879 in solch unterschied-lichen Laumlndern wie Groszligbritannien Deutschland den skandinavischen Laumlndern Kanada Australien Suumldafri-ka der Tuumlrkei dem Iran Indien oder Japan verfolgen will wird hier fuumlndig Zu vielen Details findet sich hier erst-mals ein Beleg (z B Einsatz der fruumlhen Evangelischen Allianz fuumlr Tierschutz) und selbst zu Christlieb habe ich Neues gefunden dass meine Dissertation er-gaumlnzt (Christlieb und Versoumlhnung mit Frankreich in New York [S 747ndash752]

42 7 8 6 uuml

Christliebs Einsatz gegen Opium-handel [S 856ndash858] Geschichte der Westdeutschen Evangelische Allianz [S 921ndash922]) Lindemann sieht die Allianz gleich zu Beginn als erste orga-nisierte Form der Oumlkumene als einzig wirklich oumlkumenische Organisation die aus der Erweckungsbewegung des 19 Jahrhunderts entsprang (S 15) Er weist nach dass die Allianz selbst in ihren fruumlhen Dokumenten haumlufig das Wort bdquoecumenicalldquo verwendete (S 938 u ouml) bdquoSie schuf ein Klima das die Gruumlndung von Vorgaumlngerorgani-sationen des Oumlkumenischen Rates der Kirchen (OumlRK) ermoumlglichteldquo (S 945) Er kritisiert dass geschichtliche Dar-stellungen der modernen Oumlkumene oft sehr spaumlt einsetzen und sowohl die Allianz als auch einige ihrer fuumlhrenden Vertreter als Vorreiter der Einheit der Christen uumlbergehen (S 21)

Lindemann sieht die Allianz als Teil der transnationalen Froumlmmigkeitsbe-wegung der Erweckungen nach dem Pietismus (S 25) die man nicht ein-fach pauschal als bdquoantiaufklaumlrerischldquo oder bdquoantimodernldquo beurteilen darf (S 25) sondern die etwa in Fragen der Re-ligionsfreiheit oder des Antisklaverei-kampfes (S 28ndash29) auch ihrer Zeit voraus war Gespeist aus Erweckungen in ganz unterschiedlichen Sprach- und Kulturkreisen zeichnete sie sich wie der Pietismus bdquodurch ein weitverzweig-tes Netz internationaler Kontakte und Verbindungen ausldquo (S 33) Ob man die

Gruumlndung oumlkumenischer Strukturen unabhaumlngig von der Allianz wirklich allein auf die bdquozunehmende sbquoFunda-mentalisierunglsquo der Allianz 1880ldquo (S 945) in Form der Ablehnung der Bi-belkritik und der Zuwendung zur Hei-ligungsbewegung zuruumlckfuumlhren kann wie Lindemann ganz am Ende eher beilaumlufig sagt wage ich zu bezweifeln Ich vermute dass eine ebenso gruumlnd-liche Arbeit zur Zeit nach 1880 eben-falls eine andere sbquoAllianzlsquo hervortreten lieszlige wie die Allianz die Lindemann bis 1879 darstellt die ebenso dem gaumln-gigen Klischee nicht entspringt

Doch Lindemann hat Recht wenn er fortfaumlhrt bdquoDoch lebte das Gedan-kengut der Allianz in der Oumlkumene fortldquo (S 946) Uumlberhaupt passen die Schlussworte zur Evangelischen Alli-anz heute die eine gute fruumlhe und eine schlechtere spaumltere und heutige Allianz andeuten nicht so ganz zum Duktus des Buches Aber nach 945 uumlberaus fairen Seiten in der Darstellung der Al-lianz aus den Quellen sollte man diese verhaltene Kritik liebevoll beherzigen zumal die daraus gezogenen Empfeh-lungen schon teilweise umgesetzt wer-den

Insgesamt schreibt Lindemann aus freundlich-kritischer Distanz So kri-tisiert er etwa die groszlige Naumlhe vieler Evangelikaler zum herrschenden Adel in der Zeit der Revolutionen 184849 (S 152ndash158) worin die Evangelikalen sich nicht von den Kirchen ihrer Zeit

unterschieden Haumlufiger hilft er positi-ve Bilder zu differenzieren So bestand etwa schon bei Gruumlndung der Evange-lischen Allianz Einigkeit in der Verur-teilung der Sklaverei ndash der Kampf ge-gen die Sklaverei gehoumlrte unverruumlckbar zur Geschichte der sbquoEvangelicalslsquo aber inwiefern Sklaverei duldende Gruppen und Personen Mitglied werden durften war diesseits und jenseits des Atlanti-schen Ozeans umstritten (S 65ndash72 110ndash129 159) 1846 wurden sie alle ausgeladen spaumlter teilweise zugelassen dann mit der Abschaffung der Sklave-rei in den USA endguumlltig verbannt (S 693) Noch nie wurden diese kompli-zierten Details im Einzelnen belegt

Auch zur Entstehung der Glaubens-basis wird viel neues Material geliefert

bdquoMan verstand sich als eine Verbin-dung von Einzelpersonen und legte in diesem Zusammenhang auf die persoumln-liche Glaubensentscheidung des Ein-zelnen Wert und betonte das Recht auf individuelle Bibellektuumlre Mit diesem Grundaxiom hing auch die scharfe Abgrenzung vom Katholizismus so-wie hochkirchlichen Gruppierungen im Protestantismus zusammen die Sakramente und die Institution Kir-che als objektiv vorgegebene Groumlszligen betrachteten und der Entscheidung des Einzelnen voranstellten Hingegen galt fuumlr die Allianz in ihrer in London ver-abschiedeten sbquoGlaubensbasislsquo die goumltt-lich inspirierte Schrift als sakrosankt deren freie Pruumlfung dem Einzelnen

jedoch zugestanden wurdeldquo (S 205) Spannend ist die Entstehung der ers-ten Glaubensbasis (S 87ndash98) Meines Erachtens haumltte man noch deutlicher darauf hinweisen koumlnnen dass die bei-den ersten Saumltze eine bis heute zentrale Spannung bewirken bdquo1 The Divine Inspiration Authority and Sufficiency of the Holy Scriptures 2 The Right and Duty of Private Judgement in the Interpretation of the Holy Scripturesldquo (S 98)

Einerseits ist dies eine unverruumlckbare Festlegung andererseits ein extremer Pluralismus der jeden Glaumlubigen ver-pflichtet die Grundlage selbst auszu-legen

Exkurs Die Evangelikalen sind durch zwei Paare entgegengesetzter Pole gekennzeichnet und man wird ihnen nicht gerecht wenn man jeweils nur einen der Pole sieht Einerseits ist das die von den Evangelischen ererbte Zentralitaumlt der Heiligen Schrift Andererseits ist es der aus Luthers Frage sbquoWie bekomme ich einen gnauml-digen Gottlsquo hervorgegangene Heilsin-dividualismus Es geht darum dass jeder Mensch seine persoumlnliche Bezie-hung zu Gott hat und daraus ergibt sich als Korrektur zur Zentralitaumlt der Schrift die Berechtigung ja Verpflich-tung jedes Christen die Heilige Schrift selbst zu studieren und auszulegen womit er mit jedem noch so gebildeten evangelikalen Theologen auch seinem

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 437 8 6 uuml

Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit

Pastor gleichauf steht So vereint die evangelikale Welt die dogmatische Enge dank der Bibelfrage mit einer enor-men demokratischen Weite weil jeder theologisch mitreden darf Die zweite Spannung ist die zwischen Mission und Religionsfreiheit Aus der enormen Be-tonung der persoumlnlichen Beziehung zu Jesus entstand sowohl die starke Beto-nung der bdquoZeugnispflichtldquo als auch die starke Betonung der Religionsfreiheit Das Konzept der Freiwilligkeit praumlgte nicht nur die Freikirchen sondern auch den innerkirchlichen Pietismus fuumlr den Glaube nicht nur etwas Aumlu-szligerliches Ererbtes sein duumlrfte sondern etwas persoumlnlich Erfahrenes Dazu aber kann man niemand zwingen ja Zwang macht die Moumlglichkeit zunichte eine wirklich eigenstaumlndige persoumlnliche Um-kehr zu Gott zu vollziehen Also lieber eine kleinere Kirche mit uumlberzeugten Mitgliedern als eine groszlige mit vielen Mitgliedern die nur dank gesellschaftli-chem familiaumlrem oder sonstigem Druck dazugehoumlren

Neubestimmung des Verhaumllt-nisses der Evangelischen Alli-anz zur katholischen Kirche

Lindemann geht auf die antikatholi-schen Tendenzen und Aktivitaumlten in Groszligbritannien ein in denen die Alli-anz zum Teil wurzelt (S 45ndash50) Aller-

dings weist er schluumlssig nach was mein groumlszligtes Aha-Erlebnis beim Lesen des Buches war Es waren kaum die dog-matischen Unterschiede die im Mit-telpunkt standen sondern die Allianz repraumlsentierte mit ihrem Eintreten fuumlr Glaubens- und Gewissensfreiheit ih-rer teilweise radikalen teilweise noch verhaltenen Trennung von Kirche und Staat und ihrer Vorrangstellung der frei-willigen persoumlnlichen Bekehrung ndash was jeden Zwang in der Mission oder reli-gioumlsen Zwang seitens des Staates aus-schloss ndash das komplette Gegenteil zur ultramontanistischen katholischen Kir-che die Religionsfreiheit entschieden verwarf den Staat als Diener der Kirche zumindest in Fragen von Religion und Ethik sah und die oumlrtlichen Katholiken staumlrker denn je an die geistliche aber auch politische Fuumlhrung des Papstes band ndash alles Positionen die die katho-lische Kirche offiziell erst im 2 Vati-kanischen Konzil aufgab aber schon nach den beiden Weltkriegen jeweils immer mehr zuruumlckfahren musste So wie es im bismarckschen Kulturkampf in Deutschland weniger um Glaubens-inhalte als um die Machtfrage und den politischen Einfluss der Kirche(n) ging so stand im Zentrum der Allianz ndash so Lindemann ndash dass der Ultramontanis-mus bdquoals eine Verschwoumlrung gegen die geistige Entwicklung und geistige Frei-heit der Menschheitldquo (S 49) erachtet wurde (S 321ndash337)

Konsequenterweise setzte man sich vom Gruumlndungsjahr an auch fuumlr verfolgte Katholiken in protestantischen Laumln-dern ein und unterstuumltzte antikatholisch orientierte Regierungen nicht in ihrem Tun (S 205) Uumlbrigens wurde 1846 be-wusst bei der Gruumlndung keine Nichtzu-lassung von Katholiken formuliert (S 131) Als sich die Allianz 1858 mit einer Delegation gegen Schweden wandte dessen oberstes Gericht der Koumlnigliche Gerichtshof 6 Frauen die zum Katho-lizismus konvertiert waren des Landes verwiesen hatte und die Allianz Religi-onsfreiheit fuumlr diese Katholiken forder-te gab es europaweit einen Sturm der Entruumlstung auszligerhalb der Allianz (S 295ndash300) Die Allianz war wesentlich daran beteiligt dass der schwedische Reichstag die Strafen fuumlr das Verlassen der lutherischen Staatskirche 1860 ab-schaffte Lindemann schreibt

bdquoDurch ihre Konzentration auf dog-matische und geistliche Elemente un-terschied sich die Allianz von anderen anti-katholischen Gruppierungen Uumlberdies machte das Engagement fuumlr die waadtlaumlndische Freikirche deutlich dass die Vereinigung sich nicht von ei-nem blinden Katholikenhass leiten lieszlig sondern sich auch gegen eine diploma-tische und militaumlrische Unterstuumltzung von Regierungen aussprechen konnte die das Prinzip der Religionsfreiheit nicht achteten auch wenn sie sich mit dem Katholizismus im Konflikt be-

fanden Sir Culling Eardley stellte in diesem Zusammenhang klar dass po-litische Freiheit ohne Religionsfreiheit undenkbar und auch nicht unterstuumlt-zenswert sei ndash nach Auffassung des Lon-doner Allianzkomitees handelte es sich dabei um das sbquoheiligste unter den Men-schenrechtenlsquoldquo (S 205ndash206)

bdquoDie Evangelische Allianz erwies sich bereits in ihrer Gruumlndungsphase keines-wegs als eine rein antikatholische Bewe-gung Vorrangig war das Interesse an einer Einheit unter den Christen waumlh-rend aktuelle Ereignisse und Entwick-lungen eher als ausloumlsende Faktoren fuumlr den Schritt zu dem protestantischen Zu-sammenschluss anzusehen sind Als we-sentliche Ziele galten die Evangelisation der Welt sowie vor allem aus amerika-nischer Perspektive auch der Wunsch durch die grenzuumlberschreitende Zusam-menarbeit zum Frieden unter den Voumll-kern beizutragenldquo (S 205)

Neues zur Geschichte der Religionsfreiheit

Als das herausragende Thema der Alli-anz erweist Lindemann den Einsatz ge-gen Verfolgung aus religioumlsen Gruumlnden und fuumlr die Religionsfreiheit die noch nie so gruumlndlich dargestellt wurde (bes S 141ndash151 205ndash321 592ndash645 773ndash811 858 868ndash913) Besonders inter-essant sind auch die Erkenntnisse zum

44 7 8 6 uuml

Einsatz der Allianz fuumlr die Religions-freiheit die Lindemann aus den Akten des britischen bdquoForeign Officeldquo gewann

Am staumlrksten stand in den Jahren 1849 bis 1858 der Einsatz fuumlr aus religioumlsen Gruumlnden Verfolgte im Mittelpunkt (S 207) da die Allianz sich zunutze mach-te dass Auszligenpolitik Thema der Presse und der entstehenden Parlamente wur-de (S 207)

Waumlhlen wir als Beispiel den Einsatz fuumlr den vom Katholizismus zum Protes-tantismus konvertierten Italiener Signor Giacinto Achilli (1803ndash1893) der des-wegen lebenslaumlnglich von der roumlmischen Inquisition inhaftiert war und der in einem fast einjaumlhrigen diplomatischen Tauziehen unter Beteiligung des briti-schen und franzoumlsischen Auszligenminis-ters der Medien der eigenen Zeitung und zahlreicher Delegationen schlieszlig-lich durch einen Trick von den Franzo-sen aus Rom befreit und nach England uumlberstellt wurde (S 208ndash223)

Vorgaumlnge wie diese stellt Lindemann wiederholt minutioumls dar Sie wurden wenn sie uumlberhaupt bekannt waren bis-her noch nie in ihren einzelnen Schrit-ten nachvollzogen und belegen wie gut organisiert mit Regierungen und Medi-en vernetzt und ihrer Zeit voraus dieser Aspekt der Evangelischen Allianz war Lindemann schreibt

bdquoBei ihrem Einsatz fuumlr aus Glaubens-gruumlnden Benachteiligte profitierte die Allianz eindeutig von der zunehmenden

Pluralisierung vor allem der britischen Gesellschaft und der Entstehung einer breiteren Medienoumlffentlichkeit die die Einflussnahme von sbquoPressure Groupslsquo auf auszligenpolitische Entscheidungspro-zesse zulieszlig Man merkte bald dass in bestimmten Faumlllen das gemeinsame Agieren uumlber Laumlndergrenzen hinweg noch Erfolg versprechender zu sein schien und wie zum Beispiel erstmals im Fall des Italieners Achilli zu einem gemeinsamen Handeln von Regierun-gen fuumlhren konnte Zugleich konnte der Verweis auf die englische oumlffentliche Meinung Staaten von Repressionen auf Andersglaumlubige abhalten sie beenden oder zumindest abmildern Nicht nur durch den Gebrauch neuer Methoden in diesem Engagement hatte die Evan-gelische Allianz an einem Modernisie-rungsprozess des Protestantismus im 19 Jahrhundert einen Anteilldquo (S 943)

Die Britische Allianz erreichte etwa durch eine Denkschrift an den preu-szligischen Koumlnig gegen die Baptistenver-folung dass der aus Berlin vertriebene Fuumlhrer der Baptisten Johann Gerhard Oncken nach Berlin zuruumlckkehren konnte (S 235ndash237) Mit Schreiben der britischen Koumlnigin und des preuszligischen Koumlnigs setzte man 1852 dem toskani-schen Groszligherzog Leopold II in einer Audienz wegen der Inhaftierung eines Ehepaars namens Madiai zu bdquoDie De-putation stieszlig europaweit auf eine star-ke Resonanzldquo (S 254) Und selbst der

gestrenge Lutheraner Ernst-Wilhelm Hengstenberg wahrhaftig kein Freund der Allianz ruumlhmte das Vorgehen denn es habe den katholischen Vorwurf die Protestanten seien hoffnungslos zerspal-ten widerlegt Hier habe man mit einer Stimme gesprochen (S 254) Die Sache weitete sich bis in die USA aus andere italienische Fuumlrsten wurden ebenso ak-tiv wie der franzoumlsische Kaiser bis das Ehepaar Madiai schlieszliglich nach einem Jahr 1853 freigelassen wurde Besonders deutlich wird wie eng der Gedanke ei-ner Oumlkumene der Protestanten mit der Religionsfreiheit verbunden war Ge-meinsamkeit macht stark

Wie konfessionell groszligzuumlgig man war zeigt sich auch darin dass man sich beim Sultan nicht nur fuumlr Konvertiten vom Islam zum Protestantismus ein-setzte sondern auch fuumlr die griechisch-orthodoxe Kirche (S 300) Im Iran setzte man sich fuumlr Nestorianer ein (S 610ndash613) Nach der Hinrichtung eines Konvertiten 1853 aktivierte die Allianz in Zusammenarbeit mit der Tuumlrkischen Allianz ihre Kontakte in zahlreichen eu-ropaumlischen Regierungen bis schlieszliglich 1856 Sultan Abduumllmecid I ndash sicher in Zusammenhang mit der komplizier-ten Politik zwischen dem Osmaischen Reich und den Westmaumlchten ndash in einem Edikt den Protestanten groumlszligere Freihei-ten zugestand und die Todesstrafe fuumlr Konversion abschaffte (S 300ndash319) 1874ndash1875 fuumlhrte eine weitere groszlige Kampagne eine Allianzdelegation bis

zum tuumlrkischen Auszligenminister Dip-lomaten sogar bis zum Sultan deren Auswirkungen aber umstritten sind (S 879ndash902) Lindemann schreibt dass fuumlr die Niederschlagung der Prozesse gegen Pastoren im Baltikum durch den Za-ren bdquoder Londoner Vorstoszlig der Allianz verantwortlich gewesenldquo sei (S 800) Das Verwirrspiel um den Versuch eines Treffens mit dem Zaren der schlieszliglich seinen Auszligenminister vorschickte wird bei Lindemann aufgeloumlst (S 779ndash800)

Auch die Audienzen die die Allianz beim preuszligischen Koumlnig erhielt etwa 1855 in Koumlln oder 1857 im Rahmen der Berliner Allianzkonferenz bei Fried-rich Wilhelm IV (S 286f) drehten sich immer um die Religionsfreiheit in Deutschland Dasselbe gilt fuumlr Gesprauml-che des Allianzsekretaumlrs die er mit dem deutschen Kaiser Wilhelm I und dem Reichskanzler Otto v Bismarck 1875 fuumlhrte (S 919) Eine Allianzdeputation bei Kaiser Franz Joseph I in der Hof-burg und anschlieszligende Gespraumlche beim Ministerpraumlsidenten und beim Kultusminister im Jahr 1879 fuumlhrten zu spuumlrbaren Erleichterungen fuumlr Pro-testanten 1880 sogar zu deren rechtli-cher Anerkennung als Kirchen sowie fast nebenbei zu Erleichterungen fuumlr die Freikirchen in Wien (S 913)

Dasselbe gilt auch fuumlr den Besuch der gesamten Teilnehmerschaft der New Yorker Konferenz beim amerikani-schen Praumlsidenten Ulysses S Grant und seinem Kabinett 1873 (S 755ndash756)

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 457 8 6 uuml

nur dass die amerikanische Regierung nicht mehr von der Religionsfreiheit uumlberzeugt werden musste Man be-denke dass das alles zu einer Zeit ge-schah als die angestammten Kirchen alle noch weit davon entfernt waren ihren Staatskirchenstatus aufzugeben geschweige denn Religionsfreiheit fuumlr alle zu gestatten oder sie gar selbst zu fordern Wenn Religionsfreiheit damals gefordert wurde dann meist von Juden religioumlsen Minderheiten und Atheisten nicht aber von sehr religioumlsen Vertretern der vorherrschenden Religion Welchen Beitrag die Evangelische Allianz zur Re-ligionsfreiheit in Deutschland geleistet hat ist bisher noch nirgends gewuumlrdigt worden

Grundsaumltzliches

Die Homburger Konferenz fuumlr Religi-onsfreiheit von 1853 war ein Meilen-stein der Allianzgeschichte und der To-leranz in Deutschland und Europa (S 263ndash267) Zentrales Ergebnis war die Ablehnung jeder kirchlichen Gewalt gegen Separatisten und die Ablehnung jeglicher Inanspruchnahme staatlicher Gewalt durch Kirchen gegen andere (S 266) ndash ein Meilenstein der Entwicklung des Rechtes auf Religionsfreiheit Dies galt zudem bewusst nicht nur fuumlr Chris-ten sondern fuumlr alle Religionen was na-tuumlrlich zu internen Kontroversen und zu scharfer Kritik seitens protestantischer

Staatskirchen fuumlhrte (S 267ndash272) ohne dass die Allianz deswegen von dem Grundsatz abruumlckte

1861 stellt ein franzoumlsischer Pastor erstmals eine ganz neue These auf die sich mehr und mehr in der Allianz durchsetze dass naumlmlich bdquodie Religi-onsfreiheit staatliche Ordnung und den ihr innewohnenden Frieden garantiertldquo (S 592) Unterdruumlckung der individuel-len Religionsfreiheit dagegen Revoluti-on und Unfrieden naumlhre und dem Staat seine gottgegebene Grundlage entziehe

Interessanterweise bestaumltigt eine in-ternationale wissenschaftliche Unter-suchung genau dies Religionsfreiheit foumlrdert eine friedliche Gesellschaft deren Unterdruumlckung foumlrdert Unruhe und Gewalt und praktisch alle religioumls gefaumlrbten terroristischen Bewegungen der Welt kommen aus solchen Laumlndern [Brian J Grim Roger Finke The Price of Freedom Denied Religious Persecu-tion and Conflict in the Twenty-First Century Cambridge Cambridge Uni-versity Press 2010 und meinen Kom-mentar dazu unter httpwwwthomas-schirrmacherinfoarchives1792]

Lindemann schreibt bdquoMit ihrem Engagement fuumlr die Reli-gionsfreiheit leistete die Allianz deren angloamerikanischer Fluumlgel sich nicht mit bloszliger Toleranz zufriedengab sondern das oumlffentliche Bekennen des Glaubens als ein Grundrecht ansah auch der Durchsetzung der buumlrgerli-chen Freiheiten in den betreffenden

Laumlndern einen bemerkenswerten Dienst und trug zur Entstehung einer europauml-ischen Zivilgesellschaft nicht unwesent-lich bei Allerdings kam es in diesem Bereich auch zu Konflikten mit der britischen Regierung die im Blick auf Indien vorrangig an der Beherrschbar-keit des Landes interessiert war und im Falle des Osmanischen Staats insbeson-dere von globalstrategischen sowie von oumlkonomischen und Handelsinteressen geleitet war Letztere begannen seit der Mitte des 19 Jahrhunderts die britische Auszligenpolitik verstaumlrkt zu beeinflussen Zudem laumlsst sich auf der Regierungsseite eine deutliche Zuruumlckhaltung gegenuumlber dem evangelikalen Missionsverstaumlndnis nachweisen Das Gesamtengagement der Allianz erwies sich hingegen durch die Erweiterung seiner Bezugspunkte und -orte bis hin nach Russland und Japan als kongruent zur globalen Dau-erpraumlsenz Groszligbritanniens Im Un-terschied zur britischen Auszligenpolitik mischte man sich jedoch immer wieder auch in europaumlische Religionskonflikte ein waumlhrend man mit Ausnahme der italienischen Einigung hinsichtlich poli-tischer Spannungen wie den seit 1864 von Preuszligen gefuumlhrten Kriegen analog zur Haltung der britischen Regierung Zuruumlckhaltung uumlbte oder sie gar wie im Falle des polnischen Aufstandes von 186364 der keineswegs frei von reli-gioumlsen Komponenten war ignorierteldquo (S 943)

Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit

46 7 8 6 uuml

Witness of the bodyMichael L Budde amp Karen Scott (Hrsg)

Wolfgang Haumlde

Michael L Budde amp Karen Scott (Hrsg) Witness of the body The past present and future of Christian martyrdom Grand Rapids MI Eerdmans (The Eerdmans Ekklesia series) 2011 238 Seiten ISBN 978-0802862587 1799 Euro

Klar wird die Absicht dieser Samm-lung von Aufsaumltzen im Vorwort defi-niert naumlmlich bdquodas Maumlrtyrertum an einen zentraleren Ort im Selbstver-staumlndnis der Kirche zuruumlckzubringenldquo (S vii) sowie das Maumlrtyrertum nicht nur bdquoals ein Objekt von Faszination und Grauenldquo zu sehen sondern ihm bdquowieder seinen Platz in der taumlglichen Praxis der Kircheldquo (S viii) zu geben Ich kann diese Ziele von ganzem Her-zen bejahen

Geschrieben ist das Buch fuumlr eine westliche Leserschaft der der Gedan-ke an Martyrium zum groumlszligten Teil fremd ist Leider fehlen Autoren die in der Mehrheitswelt leben Sie haumlt-

ten aus ihrer anderen Perspektive zu-saumltzliche Einsichten beitragen koumlnnen Auszligerdem wird konfessionelle Breite von Meinungen zwar postuliert (bdquoGe-lehrte von jenseits der konfessionellen Scheiden der Christenheitldquo S ix) aber nach dem was ich uumlber den Hinter-grund der Autoren feststellen konnte nicht wirklich erreicht denn die groszlige Mehrheit der Verfasser wird von US-amerikanischen Katholiken gestellt

Nicht alle Artikel scheinen die glei-che Relevanz fuumlr das Thema zu haben Ich frage mich zum Beispiel ob der Ar-tikel bdquoDas Gerichtsurteil der Eucharis-tie im Prozess gegen Jean d Arcldquo (Ann W Astell S 82ndash106) von groumlszligerer Be-deutung dafuumlr ist dem Maumlrtyrertum den ihm angemessenen Platz in der heutigen Kirche zuruumlckzugeben

Es ist eine Staumlrke dieser Aufsatz-sammlung nicht nur die Maumlrtyrer der Fruumlhen Kirche zu behandeln sondern z B im Teil III (bdquoMaumlrtyrertum zerstoumlrt

die Kircheldquo) auch auf die Verfolgung von Christen durch Christen beson-ders im Zeitalter von Reformation und Gegenreformation einzugehen Brad S Gregory (bdquoVerfolgung oder Straf-verfolgung Maumlrtyrer oder Pseudomaumlr-tyrer Die Zeit der Reformation Ge-schichte und theologisches Nachden-kenldquo S 107ndash124) kritisiert zu Recht dass es von einem Standpunkt im 21 Jahrhundert mit seiner Konzentration auf die Menschenrechte allzu leicht sei die Strafverfolgung mutmaszliglicher Hauml-retiker im 16 Jahrhundert anzupran-gern ohne die Grundvoraussetzungen jener Zeit wirklich verstanden zu ha-ben Allerdings empfand ich in diesem Artikel manchmal zu viel Verstaumlndnis fuumlr die Verfolger Unter den elf Arti-keln uumlber Maumlrtyrertum ragen fuumlr mich zwei als Houmlhepunkte heraus Der Ar-tikel von Stephen Fowl Theologiepro-fessor am Loyola-College in Maryland bdquoDer Vorrang des Zeugnisses des Lei-

bes vor dem Maumlrtyrertum bei Paulusldquo (S 43ndash60) liefert das Stichwort fuumlr den Titel des ganzen Buches Fowl ist ein Vertreter der Schule der bdquotheologischen Auslegung der Schriftldquo Er versucht m E erfolgreich das Maumlrtyrertum in den breiteren Zusammenhang von Roumlmer 121ndash2 zu stellen wo Christen dazu aufgerufen werden ihre bdquoLeiber als ein lebendiges Opfer hinzugebenldquo Jeder Christusglaumlubige ist also zum bdquoZeugnis des Leibesldquo aufgerufen Dieses Zeugnis ist die Hingabe unseres ganzen Seins fuumlr Gottes Willen und Gottes Ehre Diese Hingabe mag zum Maumlrtyrer-tum fuumlhren oder auch nicht bdquoGlaumlubige koumlnnen und sollten immer am Zeugnis des Leibes teilhaben Ob die Autoritauml-ten sie dafuumlr toumlten werden oder nicht liegt weitgehend nicht in ihrer Handldquo (S 44) Der zweite Houmlhepunkt ist fuumlr mich bdquoLohnt es sich fuumlr irgendetwas zu sterben Maumlrtyrertum Exterioritaumlt und Politik nach dem bloszligen Lebenldquo

glauben amp denken heute 22012 477 8 6 uuml

(S 171ndash189) von D Stephen Long Theologieprofessor an der Marquette-Universitaumlt und Geoffrey Holdsclaw

Die Autoren stellen fest dass die west-lichen saumlkularen Gesellschaften aus ih-rer politischen Philosophie alle Ziele eli-miniert haben die houmlher als das Leben sind Es herrscht die Angst dass dann wenn man bdquoPolitik in irgendeinem tran-szendenten Zielldquo begruumlnden wuumlrde eine bdquomilitaristische Gesellschaft erzeugtldquo wuumlrde (S 171) Als Ergebnis dieser Sor-ge ist bdquohellip die einzige rationale dogma-tische Position von der politisches Den-ken seinen Ausgang nehmen sollte die Bewahrung des Lebensldquo (S 173)

Sehr tiefgehend zeigt der Aufsatz wie eine neue Hingabe an lehrmaumlszligige Wahr-heit d h daran Gottes Willen houmlher zu setzen als unser Leben die Grundlage unserer gegenwaumlrtigen politischen Phi-losophie in Frage stellen wuumlrde und da-her als Bedrohung aufgefasst wird

Deutlicher haumltten die Verfasser ma-chen muumlssen dass die Frage bdquoWofuumlr lohnt es sich zu sterbenldquo nicht unwei-gerlich zur Frage bdquoWofuumlr lohnt es sich zu toumltenldquo fuumlhrt (S 171) und dass es zwar eine Gemeinsamkeit zwischen radikalen Muslimen und hingegebenen Christen ist lehrmaumlszligige Wahrheit uumlber das Le-ben zu setzen dass es aber entscheiden-de Unterschiede darin gibt worin die jeweiligen Wahrheiten bestehen

Witness of the body Werbung

Pro Mundis

Geistliche Impulse

Theologische Akzente

Ergaumlnzungen zur Ethik

Philosophische Anstoumlszlige

und vieles mehr

wwwbucerde

Besuchen Sie einmal unsere Internetseite Das Martin Bucer Seminar bietet im Internet unter dem Hauptmenuuml bdquoRessourcenldquo eine Vielzahl von kostenlosen Materialien zum Herunterladen an Diese koumlnnen die per-soumlnliche Weiterbildung sehr bereichern und auch geistliche Impulse geben So finden Sie unter anderem die Zeittafel uumlber Zwingli und Bucer von Gerhard Gronauer (MBS Text 86) oder den Beitrag bdquoDie Hinwendung Oumlster-reichs zum Christentumldquo von Frank Hinkel-mann (MBS Text 87) Es erwarten Sie viele andere interessante und bibliografisch ver-wertbare Aufsaumltze in den Reihen Geistliche Impulse Theologische Akzente Pro Mundis und Ergaumlnzungen zur Ethik Reformiertes Fo-rum und Hope for Europe

Im Bereich Bonner Querschnitte den Sie auch unter dem Hauptmenuuml bdquoRessourcenldquo finden ist zudem ein Archiv der Pressein-formationen des Seminars und der mit ihm verbundenen Institute untergebracht

MARTIN BUCER SEMINAR onlineMBS-Texte

48 7 8 6 uuml

Falling wallsndash the year 198990 Einstuumlrzende Mauern ndash das Jahr 198990Klaus Koschorke

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Klaus Koschorke Falling walls ndash the year 198990 as a turning point in the histo-ry of world Christianity Einstuumlrzende Mauern ndash das Jahr 198990 als Epo-chenjahr in der Geschichte des Weltchris-tentums (Studien zur auszligereuropaumlischen Christentumsgeschichte 15) Wiesbaden Harrassowitz Verlag 2009 451 Seiten ISBN 978-3-447-05995-4 5400 Euro

Dass sbquodie Wendelsquo 198990 also der Fall der Berliner Mauer die Aufloumlsung des Sowjetimperiums das Ende der bipo-laren Weltordnung und das Ende der Apartheid in Suumldafrika auf allen Kon-tinenten tiefgreifende politische oder wirtschaftliche Folgen hatte ist unbe-stritten Doch wie sah die Rolle der Christenheit dabei aus und welche Fol-gen hatte sie fuumlr die Weltchristenheit Dass Christen und Kirchen in die Vor-

bereitung der Wende in Deutschland in-volviert waren ist gruumlndlich untersucht Bei der Welle der Demokratisierungen 1989ndash1993 spielten Kirchen eine fuumlh-rende Rolle (in Rumaumlnien etwa begann die Revolution mit dem Widerstand ge-gen die politisch motivierte Zwangsver-setzung des reformierten Pfarrers Laacuteszlo Toumlkes in Timisoara S 64) die Zahl der fuumlhrenden christlichen Persoumlnlichkeiten in der Politik nahm stark zu Zur Fra-ge nach der Weltchristenheit gehoumlrt in diesem Zusammenhang aber auch die Darstellung der neuen Religionsfreiheit in vielen Laumlndern und die Abloumlsung des Kommunismus als Hauptbeschraumlnker der Religionsfreiheit durch den Islam wobei es in islamischen ebenso wie in anderen Laumlndern haumlufig zu einer neuen gefaumlhrlichen Allianz von Religion und Nationalismus kam

Die 4 Internationale Muumlnchen-Frei-sing-Konferenz 2008 fuumlhrte zu diesem Zweck Forscher aus vier Kontinenten zahlreichen Fachrichtungen und Kon-fessionen zusammen Die 23 deutschen oder englischen Forschungsbeitraumlge (plus Einfuumlhrung durch den Heraus-geber und Zusammenfassung durch einen Konferenzbeobachter) die fast ausnahmslos regionale nationale und dabei oft konfessionelle Schwerpunkte setzen stellen derzeit die umfassendste Darstellung zum Thema dar Ihr Ni-veau ist uumlberwiegend sehr hoch meist mit einer Fuumllle von in deutschen Bib-liotheken schwer zugaumlnglichen Quel-len belegt Es gibt Ausnahmen so ist ausgerechnet der Beitrag zu Suumldafrika nur eine vierseitige Zusammenfassung (S 89ff) Etliche Beitraumlge leiden in ihrer Wissenschaftlichkeit unter der konfessi-

onellen Einseitigkeit der Autoren Es ist natuumlrlich unmoumlglich hier zu jedem der Beitraumlge einige Saumltze zu schreiben Fuumlr den Leser der wissen will ob seine Regi-on oder Thematik behandelt wird seien grob die Themen aufgelistet DDR Po-len Rumaumlnien Osteuropa Suumldafrika Aumlthiopien Afrika Suumldkorea China Vietnam Kuba Zentralamerika Ar-gentinienUruruguayChile Brasilien Lateinamerika USA allgemein Fun-damentalismus Befreiungstheologie Pfingstbewegung Lutherische Kirchen

Bedauerlich ist dass nicht alle Autoren das gesamte konfessionelle Spektrum ab-decken So mag man ja noch verstehen dass zu Polen der Protestantismus nicht dargestellt wird dass er zu China fehlt ist unverstaumlndlich so lesenswert der Bei-trag von Roman Malek ist Uumlberhaupt lassen die meisten katholischen Autoren

glauben amp denken heute 22012 497 8 6 uuml

andere Konfessionen uumlberwiegend links liegen waumlhrend die protestantischen Autoren die nichtprotestantischen Kir-chen wenigstens mit darstellen wenn auch selten angemessen Angesichts der Gesamtthematik des Buches ist die kon-fessionelle und theologische Einseitig-keit etlicher Einzelbeitraumlge erstaunlich Evangelikale und Pfingstler immerhin ein Drittel der Weltchristenheit erschei-nen uumlberwiegend als negative Klischees auch wenn die Spannbreite der Darstel-lungen von billiger Polemik bis hin zu gut belegten Fehlentwicklungen reicht Manche Kritik ist berechtigt ndash wenn auch oft weniger Ergebnis belegter For-schung als einfach Meinung des jeweili-gen Autors etwa dass in den charisma-tischen Bewegungen bdquoChristianity as a Shopping Mallldquo etabliert wurde (James R Cochrane S 109ndash110) oder pfingst-liche Politiker in Brasilien sich bdquonicht als kompetenter oder ethisch verlaumlsslicher erwiesen als andereldquo (Rudolf von Sinner S 330) Wenn auch nichtamerikanische Evangelikale vieles kritisch sehen was im evangelikalen Bereich in den USA geschieht so helfen Sammeltoumlpfe wie die bdquoRechtsevangelikalen Neofunda-mentalisten und Pfingstsektenldquo (S 21) bei der Aufarbeitung sicher nicht

Manchmal schlaumlgt eine westliche theologisch liberale Sichtweise verzer-rend durch etwa wenn es heiszligt dass konservative Anglikaner versuchten die afrikanischen Kirchen fuumlr ihre Zwecke

einzuspannen (S 17) Den Neuauf-bruch groszliger anglikanischer Kirchen in Afrika als amerikanisch zu erklaumlren ist schlicht falsch offenbart aber auch einen Patriarchalismus der der Realitaumlt nicht gerecht wird Es sind umgekehrt stark wachsende afrikanische anglika-nische Nationalkirchen wie in Uganda die den kleinen konservativen Fluumlgel der Anglikaner in den USA zum Wider-stand anstiften

Anselm K Min (S 195ndash214) schreibt den koreanischen Kirchen aller Konfes-sionen zwar berechtigte und gewichtige Anfragen ins Stammbuch ndash wenn auch von den USA aus ndash seine Leistung als Historiker ist aber schwach seine Kritik an allem was rechts von ihm steht ist heftig aber nicht belegt Er wird der Di-versitaumlt des konservativen Protestantis-mus und der evangelikalen Bewegung nicht gerecht und spiegelt eher seine eige-ne theologische Position als eine wissen-schaftliche Erforschung der Kirchenge-schichte wider Die stabilisierende Rolle nicht aller aber vieler evangelikaler Gruppen fuumlr die koreanische Demokra-tie und die vergleichsweise positive Rol-le eines evangelikalen Praumlsidenten wird gar nicht erwaumlhnt Typisch klischeehaft wird der Fundamentalismus mit Anti-Intellektualismus und dogmatischer Intoleranz gleichgesetzt (S 210) ndash das haben die groszligen reformierten Hoch-schulen Koreas sicher nicht alle verdient Und wer im wissenschaftlichen Kontext

von bdquoFundamentalismusldquo spricht moumlge bitte angesichts der ungezaumlhlten Defini-tionen und den meist emotionalen oder gar vernichtenden Bedeutungen erst einmal sagen was er eigentlich darunter versteht Das uumlberschwaumlngliche Lob des koreanischen Katholizismus im Gegen-satz zum Protestantismus der korrupt materialistisch individualistisch und der koreanischen Kultur nicht angepasst sei (S 212) wirkt in seiner schwarz-wei-szligen Pauschalisierung trotz des gewissen Wahrheitskerns fast schon komisch

Die groszlige Ausnahme ist hier ndash wie nicht anders aufgrund seiner Buumlcher zu erwarten ndash der unbedingt lesenswerte Beitrag von Michael Hochgeschwender zu den USA (S 351ndash371) eigentlich fuumlr das Thema bdquoEvangelikaleldquo ja das schwie-rigste Land Doch Hochgeschwender schreibt informiert belegt differenziert bei allen Vor- und Nachteile sehend uumlber alle Konfessionen und Richtungen gleichermaszligen fair Hochgeschwen-der sieht generell den Schwerpunkt der enormen Religiositaumlt und Spiritualitaumlt in den USA darin dass sie bdquomit einer radikalen Konsequenz die weltweit ih-resgleichen sucht zur Ware umfunktio-niertldquo (S 368) wurde und wird

Am anderen Ende des Spektrums zu Hochgeschwender steht der britische Theologe Kevin Ward der eigentlich bdquoPluralism and fundamentalism as challenges for the African Churchesldquo (S 157ndash176) aber uumlberwiegend nur die

Spaltung der anglikanischen Weltge-meinschaft darstellt das Thema seiner Uumlberschrift also verfehlt hat nicht nur weil er nirgends definiert was die bei-den Begriffe seines Themas eigentlich bedeuten sondern eigentlich immer nur zwei Lager beschreibt die man dann wohl den beiden Themen zuordnen soll was der enormen Vielfalt der afrikani-schen Christenheit kaum gerecht wird Auf welcher Seite Ward selbst steht zeigt seine Verteidigung der Forderung von Erzbischof Williams die Scharia in Teilen Groszligbritanniens zuzulassen Kommt die Kritik daran wirklich nur von Konservativen die sich nicht mit der Realitaumlt der multikulturellen Gesell-schaft abfinden wollen (S 173) Wards Kritik an der Kritik der nigerianischen Bischoumlfe an Williams geht voumlllig daran vorbei dass die Frage der Guumlltigkeit der Scharia fuumlr die anglikanische Kirche in Nigeria keine akademische sondern eine existentielle Frage ist kein den theologischen Stroumlmungen rechts oder links zuzuordnendes Thema

Sehr interessant sind die Beitraumlge die die Folgen der bdquoWendeldquo fuumlr die Befrei-ungstheologie und den Weltkirchenrat diskutieren Sergo Silva (S 335ndash350) haumllt die These die Befreiungstheologie habe ohne real existierende sozialistische Laumlnder stark an Bedeutung verloren fuumlr grundfalsch Seine Argumente sind aber fast ausschlieszliglich theologisch (sie ist weiter berechtigt und noumltig) nicht his-

Falling wallsndash the year 198990

50 7 8 6 uuml

torisch oder soziologisch (Auch hier ist uumlbrigens bedauerlich dass Evangelikale wie Rene Padilla oder Samuel Escobar und ihre juumlngeren Nachfolger uumlberhaupt nicht in den Blick kommen) Die Base-ler Missionswissenschaftlerin Christine Lienemann-Perrin (S 373ndash392) vertritt die entgegengesetzte These ndash und dies gut belegt ndash vor allem am Beispiel Ko-reas Suumldafrikas und Lateinamerikas Sie geht davon aus dass die groszligen be-freiungstheologischen Entwuumlrfe durch kontextuelle lokale Entwuumlrfe abgeloumlst wurden

Viggo Mortensen (S 429ndash441) be-schreibt ausgehend von den lutherischen Kirchen die tiefgreifende Veraumlnderung innerhalb der oumlkumenischen Bewegung nach 1989 Denn bdquoinnerhalb der oumlku-menischen Bewegung hingen viele am sozialistischen Traumldquo (S 440) Dieser sei laumlngst ausgetraumlumt (aumlhnlich Hart-mut Lehmann S 446)

Die Entwicklung ginge von der Be-tonung der sichtbaren Einheit hin zur versoumlhnten Vielfalt vom Konsens (fast um jeden Preis) hin zum sichtbaren Pro-fil und Bekenntnis Dass die Veraumlnde-rungen auch den Dauerstreit zwischen Evangelikalen und Weltkirchenrat be-endet haben und es heute eine gute Zu-sammenarbeit mit der weltweiten Evan-gelischen Allianz in vielen Fragen gibt wird nicht erwaumlhnt auch wenn dies ge-nau die These des Autors unterstreicht Kritisch angemerkt sei noch dass die in

der Einfuumlhrung gut angesprochene Fra-ge der Religionsfreiheit die durch die sbquoWendelsquo ein ganz neues Thema wurde aber sich auch international ganz an-ders ohne den kommunistischen Block darstellt (etwa durch die zunehmende Verquickung von Religion und Natio-nalismus ndash darunter auch Beispiele eines christlichen Nationalismus) im Buch fast voumlllig fehlt

Dabei haumltte das Thema mindestens ei-nen eigenen Beitrag verdient gehabt und haumltte alle anderen Beitraumlge durchziehen muumlssen Denn die praktische Lage der Religionsfreiheit weltweit als auch der internationale theoretische Diskurs zum Thema hat sich in den letzten drei Jahrzehnten von der sbquoWendelsquo ausgehend grundlegend gewandelt und christliche Kirchen sind unmittelbar von beidem uumlberall betroffen

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher Werbung

glauben amp denken heute ist eine Zeitschrift fuumlr Freunde des Martin Bu-cer Seminars und fuumlr alle Menschen die sich dem christlichen Glauben ver-bunden fuumlhlen 2 x im Jahr erscheint glauben amp denken heute online und kann unter wwwbucereu herun-tergeladen werden glauben amp denken heute veroumlffentlicht theologische Beitrauml-ge sowie diverse BuchrezensionenReservieren Sie sich noch heute eine Werbeflaumlche in glauben amp denken heute und Ihre Anzeige wird in der naumlchsten Ausgabe online freigeschaltet Ihre Bestellung und Anzeige senden Sie bitte per E-Mail an Manfred Feldmann ManfredFeldmannbucerde

Beispiel Hiermit bestelle ich die Werbeflaumlche A (AshyG) Die Anshyzeige (Anhang beigefuumlgt) soll 1x (2x) im Jahr erscheinen

Betriebssystem Apple Macintosh WindowsLinux uaDateiformat JPEG GIF bei einer Aufloumlsung von houmlchstens 150 dpi

Anzeige 257 x 170 mmSeite 1 SatzspiegelPreis 125 Euro

Anzeige 192 x 170 mmSeite 34 SpaltenPreis 100 Euro

Anzeige 125 x 170 mmSeite 24 SpaltenPreis 75 Euro

Anzeige 59 x 170 mmSeite 14 SpaltePreis 50 Euro

Anzeige 125 x 83 mmSeite 28 SpaltenPreis 35 Euro

Anzeige 59 x 83 mmSeite 18 SpaltePreis 20 Euro

Anzeige 297 x 210 mmSeite 1 ganze SeitePreis 150 EuroA

B

C

D

E

F

G

glauben amp denken heute 22012 517 8 6 uuml

Neuere Buumlcher uumlber Konstantin den GroszligenPeter Leithart Klaus M Girardet

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Peter Leithart Defending Constanti-ne The Twilight of an Empire and the Dawn of Christendom Downers Grove (IL) IVP Academic 2010 373 Seiten ISBN 978-0830827220 2199 Euro

Peter J Leithart hat ein Buch zur Ehrenrettung Kaiser Konstantins ge-schrieben das sich vor allem gegen die Thesen des amerikanischen Mennoni-ten John Howard Yoder (1927ndash1997) wendet fuumlr den Konstantin der In-begriff des Abfalls des Christentums von seinen pazifistischen Urspruumlngen und fuumlr das jahrhundertlange Uumlbel des Staatskirchentums und der Ketzerver-folgung stand

Leithart will dabei keinen originauml-ren Forschungsbeitrag liefern sondern die viel positivere Beschreibung in der Fachliteratur und den Wandel des

Konstantinbildes in der Wissenschaft den tief verwurzelten Vorurteilen vie-ler heutiger Christen entgegenhalten In einer enormen Vielfalt breitet er Forschungsliteratur der letzten hun-dert Jahre in den Fuszlignoten aus und zeigt dass der tatsaumlchliche Konstantin weder mit dem bejubelten christlichen Kaiser des Mittelalters noch mit dem Buhmann der Aufklaumlrung aber auch freikirchlicher Autoren etwas zu tun hat Konstantin ist nur aus der Reali-taumlt des 4 Jahrhunderts heraus zu ver-stehen und konnte nicht wissen was die Zukunft bringen wuumlrde Gemessen daran war er ndash so Leithart ndash uumlberzeug-ter Christ und fand einen Weg zwi-schen der Foumlrderung des christlichen Glaubens und der Religionsfreiheit der nichtchristlichen Bevoumllkerungsmehr-heit Dabei muumlsse man aber immer die

ganze Breite der erforschten Ereignisse beruumlcksichtigen So gibt es unuumlberseh-bare und nennenswerte Einfluumlsse des Christentums auf seine Gesetzgebung andererseits ebenso voumlllig davon unbe-einflusste Bereiche

Waumlhlen wir etwa die Architektur (S 112ndash125) als Beispiel fuumlr die bdquoKom-plexitaumltldquo (S 113) und bdquoMehrdeutig-keitldquo (S 114) des Wirkens Konstantins Einerseits baute der Kaiser jede Menge oumlffentlicher Bauten die durchaus mit roumlmischer und griechischer religioumlser Kunst geschmuumlckt waren Andererseits stand der Kirchenbau in Rom und dann in Byzanz im Zentrum seines persoumlnli-chen Interesses Ein typisches Beispiel ist der Konstantinbogen in Rom Ei-nerseits unterscheidet er sich im ersten Moment nicht von anderen derartigen Bauten Ein unmittelbarer christlicher

Bezug fehlt von den teilweise christli-chen Militaumlrzeichen der abgebildeten Offiziere abgesehen Andererseits wird nirgends den roumlmischen Goumlttern ge-dankt am auffaumllligsten nicht Jupiter wie bis dahin uumlblich Eine Jupiterfi-gur ist zwar zu sehen aber Konstantin wendet ihr den Ruumlcken zu Vielmehr wird dem groszligen Gott gedankt der sich Konstantin offenbart hat Das ver-standen die Christen christlich fuumlr die anderen war es nicht automatisch ein Affront

Auch christliche Symbole sind ein schoumlnes Beispiel So standen sie auf Muumlnzen oder Standarten nach 312 laumlnger neben aumllteren religioumlsen Symbo-len die sie erst allmaumlhlich abloumlsten bis schlieszliglich die menschlich dargestell-ten heidnischen Gottheiten aumlhnlich wie spaumlter im Mittelalter nur noch als

52 7 8 6 uuml

mythischer Schmuck dienten (S 71ndash79) War Konstantins Uumlbertritt zum Chris-tentum eine sbquoechtelsquo Bekehrung Leithart betont zu Recht dass die Frage ist was das damals bedeutete (S 79ndash80) Kons-tantin nahm etwa persoumlnlich die chris-tologische Entscheidung von Nizaumla an (S 89ndash90) was heute fuumlr uns bedeut-samer ist als damals Hier haumltte Leithart viel deutlicher ndash wie Girardet in den im Folgenden besprochenen Werken ndash da-rauf verweisen koumlnnen dass Bekehrung vor allem bedeutete den Goumltzendienst aufzugeben Viel staumlrker haumltte herausge-arbeitet werden muumlssen welche zentrale Rolle der Verzicht auf das Opfer zu Ju-piter nach dem Sieg uumlber die Mitkaiser spielt (S 66ndash67) Hier zitiert Leithart zwar eine deutsche Quelle von 1955 die er aber wohl nicht lesen konnte Die umfangreichen deutschen Studien dazu kennt er nicht (siehe unten)

Auch bei anderen Fragen ist Leithart auf der richtigen Spur haumltte aber mit deutschen Quellen bessere Belege an-fuumlhren und die Bedeutung der Ergeb-nisse staumlrker herausstellen koumlnnen So geht Leithart davon aus dass die eigent-liche Kreuzesvision Konstantins bereits 310 in Grand in den Vogesen (heute in Frankreich) stattfand wahrscheinlich als bdquoRinghaloldquo (S 77ndash78) die neuesten Belege dafuumlr fuumlhrt er aber nicht an

Erfreulicherweise bezeichnet Leithart das bdquoEdikt von Mailandldquo als bdquoFiktionldquo (S 98ndash99) Tatsaumlchlich vereinbarten die

beiden Kaiser Konstantin und Licinus nach einem Treffen in Mailand in ei-nem Brief vom Juni 313 aus Nikomedia die Ruumlckgabe von konfisziertem Kir-chengut und die Religionsfreiheit der Christen nicht aber deren Vorrangstel-lung geschweige denn eine Stellung als Staatsreligion (S 99ndash100) Tatsaumlchlich hat Konstantin die Freiheit der Nicht-christen nicht beschraumlnkt

Je laumlnger je mehr geht es Leithart aber nicht nur um eine Ehrenrettung Kons-tantins sondern darum ihn als Vorbild fuumlr christliche Politik hinzustellen Aus Leitharts Sicht gilt bdquoKonstantin liefert uns in vielerlei Hinsicht ein Modell fuumlr christliche politische Praxisldquo [bdquoConstan-tine provides in many respects a model for Christian political practiceldquo] (S 11) Die Aussage dass Konstantin in vie-ler Hinsicht fuumlr christliches politisches Handeln steht geht natuumlrlich weit uumlber das hinaus was Leithart belegt und be-sonders was er widerlegt Zwar ist zu wuumlrdigen dass Konstantin aus christ-licher Motivation auch Gesetze huma-nisiert und brutale Elemente der roumlmi-schen Kultur beendet hat Auch hat es Konstantin geschafft das Christentum zu foumlrdern ohne die Religionsfreiheit der anderen einzuschraumlnken Aber ob das fuumlr seine Vorbildfunktion reicht Und haumltte man dann nicht gruumlndlicher diskutieren muumlssen ob die Foumlrderung des Christentums als vom Staatsober-haupt gewuumlnschter Religion und Reli-

gionsfreiheit wirklich gleichzeitig moumlg-lich sind und inwiefern ein Christ als Staatslenker die Politik praumlgen sollte und kann

Ausfuumlhrlich belegt Leithart dass die Sicht von Yoder und anderen die Fruumlhe Kirche sei vollstaumlndig pazifistisch gewe-sen und habe erst durch oder nach Kon-stantin ihre Sicht geaumlndert dass man nicht in der roumlmischen Armee dienen koumlnne einseitig ist Tatsaumlchlich gab es um diese Fragen eine breite Diskussion in der Fruumlhen Kirche Schon vor Kon-stantin bis zuruumlck zur Zeit der Apos-tel dienten Christen als Soldaten und Offiziere in der roumlmischen Armee (S 255ndash278) die ja zugleich die Polizeige-walt innehatte Aber auch hier ist es ein weiter Weg zur Vorbildfunktion Kon-stantins die auch ohne Pazifismus die Frage klaumlren muumlsste wie das Verhaumlltnis der christlichen Kirche zu legalen Ins-titutionen des staatlichen Gewaltmono-pols sein sollte

Ich persoumlnlich haumltte mir eine klarere Trennung in einen historischen Teil zu Konstantin und einen ethischen Teil zum Verhaumlltnis von Kirche und Staat gewuumlnscht Da Yoder die beiden Fragen bis zur Unkenntlichkeit vermischt folgt ihm Leithart wenn es bei ihm auch viel einfacher ist die Gedanken zum einen oder anderen voneinander zu trennen

Eigentlich handelt es sich fuumlr mich sogar um vier Fragenkomplexe die hier verschwimmen 1 Was ist historisch

zur Konstantinbiografie zuverlaumlssig zu sagen 2 Wie viel des spaumlteren mittelal-terlichen christlichen Europas geht auf Konstantin zuruumlck und wie viel nicht heiszligt also das konstantinische Zeitalter zu Recht so oder nicht 3 Was ist gut und richtig ndash das heiszligt wie sollte es ide-alerweise biblisch-theologisch sein Und 4 Wie ist im Licht des Ideals Konstan-tin die spaumltere Entwicklung des Mittel-alters zu bewerten oder kann man eine solche Bewertung gar nicht vornehmen

Durch die starke Fixierung des Buches auf Yoder vor allem im hinteren Teil (S 254ndash342) und dem angekuumlndigten Wechsel von der Biografie zur Polemik im Laufe des Buches (S 10ndash11) wird das Buch leider auch sehr auf den ame-rikanischen Bereich zugeschnitten und ist gerade im hinteren Teil fuumlr Christen in Europa oder im globalen Suumlden nicht relevant

Drei Buumlcher von Girardet

Dem Buch von Leithart moumlchte ich drei Werke von Klaus M Girardet gegen-uumlberstellenA) Klaus M Girardet Der Kaiser und sein Gott Das Christentum im Denken und in der Religionspolitik Konstantins des Groszligen Millenium-Studien 27 Ber-lin de Gruyter 2010 212 Seiten ISBN 978-3110227888 7495 Euro

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 537 8 6 uuml

Neuere Buumlcher uumlber Konstantin den Groszligen

B) Klaus M Girardet (Hg) Kaiser Kon-stantin der Groszlige Historische Leistung und Rezeption in Europa Bonn Ru-dolf Habelt 2007 darin bes Klaus M Girardet bdquoDas Christentum in Denken und in der Politik Kaiser Konstantin d Grldquo S 29ndash54 208 Seiten ISBN 978-3774934740C) Klaus M Girardet Die konstantini-sche Wende Voraussetzungen und geistige Grundlagen der Religionspolitik Kons-tantins des Groszligen Darmstadt Wissen-schaftliche Buchgesellschaft 2006 2002 204 Seiten ISBN 978-3534191161 4990 Euro

Stellen wir dem Buch von Leithart die Buumlcher zu Konstantin des deutschen Forschers Klaus Girardet gegenuumlber Grund fuumlr die intensive Erforschung Konstantins auf deutscher Seite ist un-ter anderem dass Trier zeitweise dessen Hauptstadt war

Girardet unterscheidet drei For-schungsrichtungen (A S 22ndash24) 1 Auffassung dass Konstantin bereits von Haus aus Christ war oder sich 310 bis 312 oder uumlber einen noch laumlngeren Zeitraum dem Christentum zuwandte 2 Auffassungen dass sich Konstan-tin zwar dem Monotheismus undoder Sonnenkult mit gewissen christlichen Elementen zuwandte nicht aber Christ nach damaligen und heutigen Maszligstauml-ben wurde 3 Die Auffassung dass es weder fuumlr die erste noch fuumlr die zweite Auffassung Hinweise gibt

Girardet beantwortet in einem eigenen Beitrag die Frage bdquoChristliche Kaiser vor Konstantinldquo (C S 13ndash38) sehr uumlber-zeugend negativ anhand jedes einzelnen Kaisers und seiner Familien vor Kons-tantin

Girardet lehnt treffend moderne Maszligstaumlbe dafuumlr ab ob Konstantins Be-kehrung sbquoechtlsquo sbquoaufrichtiglsquo oder sbquorichtiglsquo war und Konstantin sbquorechtglaumlubiglsquo wur-de (C S 59) Er geht davon aus dass das herausragende Kennzeichen des Christ-seins und Christwerdens in der Antike und im 4 Jahrhundert die bdquoAbsage an den Goumltterkultldquo (C S 60) gewesen sei Also muumlsse vor allem gefragt werden ob Konstantin diese vollzogen habe bdquoDie Verweigerung des Goumltzenopfersldquo durch Konstantin sei gut belegt (C S 60ndash71 A S 78ndash88) ndash unter anderem direkt nach dem Sieg uumlber seine Mitkaiser da Kon-stantin am Ende des Triumphzuges (der streng genommen keiner war da keine Feinde sondern ein Mitkaiser besiegt wurde) in Rom am 2910312 fuumlr alle erkennbar nicht als Ende und Houmlhe-punkt das uumlbliche Dankopfer an Jupi-ter Optimus Maximus auf dem Kapitol darbrachte sondern direkt in seinen Pa-last zog

Dafuumlr findet Girardet viele Belege So sieht der heidnische Historiker Zosimos (II 72) in der Unterlassung des Dank-opfers an Jupiter den Grund fuumlr den Beginn des politischen Niedergangs von Rom (C S 70) Das Dankopfer an Ju-

piter fehlt auch auf dem 315 errichteten Konstantinbogen auf dem statt Jupiter der bdquoinstinctu divinitatisldquo der Einge-bung der Gottheit gedankt wird

Auffaumlllig ist ab 312 in Berichten oder eben auf dem Konstantinbogen das erstmals der Gott der den Sieg verur-sachte keinen Namen hat sondern all-gemein bdquosumma divitasldquo und aumlhnlich heiszligt (C S 68)

Kurz nach der Verweigerung des Dankopfers an Jupiter 312 erscheinen erste Muumlnzen mit dem Christogramm (B S 42) Alles spricht dafuumlr dass es bereits Christuszeichen auf dem Helm des Kaisers und den Feldzeichen gab (A S 64ndash67) wobei das Christuszeichen wohl nicht das heute vertraute Kreuz war sondern das Chi-Rho

Girardet geht ausfuumlhrlich auf die drei zentralen Texte zur Vision des Christus-zeichens an der Milvischen Bruumlcke ein (A S 30ndash40) Nirgends wird gesagt so Girardet dass die Vision erst an der Bruumlcke geschah (A S 49ndash51) Vielmehr duumlrfte Konstantin bereits 310 einen so-genannten bdquoRinghaloldquo in Grand in den (heute franzoumlsischen) Vogesen gesehen haben den dann sein militaumlrisches Be-gleitkommando auch sehen konnte Ein Halo ist ein atmosphaumlrischer Lichtef-fekt durch Brechung bzw Reflexion von Licht an Eiskristallen Er kann die Form einer inneren kleineren Sonne mit vier Strahlen in alle Richtungen wie ein Kreuz annehmen

Giradet liefert auszligerdem viele Belege aus Konstantins fruumlhen Reden ab 312 fuumlr seine Parteinahme fuumlr das Chris-tentum (A S 89ndash123) Die spaumlte Tau-fe Konstantins ist fuumlr ihn normal und damals uumlblich gewesen zumal Kon-stantin offensichtlich davon ausging dass er nach der Taufe nicht mehr das kaiserliche Purpur tragen koumlnne (A S 106ndash107)

Interessant ist auch Girardets Dar-stellung bdquoNichtchristen im Denken und Handeln Konstantinsldquo (C S 113ndash133 siehe auch A S 137ndash139) Konstantin hat das Christentum niemandem auf-gezwungen und lieszlig den Heiden ihre Freiheit Wie Leithart sieht er bei Kons-tantin das Element der Religionsfreiheit in einem Maszlige gegeben wie es dies bei den roumlmischen Kaisern vorher nicht gab

Aufsaumltze

Schauen wir noch auf einige der von Girardet herausgegebenen Aufsaumltze Ti-ziana J Chiusi (bdquoDer Einfluss des Chris-tentums auf die Gesetzgebung Konstan-tinsldquo S 55ndash64 in Klaus M Girardet [Hg] Kaiser Konstantin der Groszlige A a O) zeigt die Ambivalenz der Gesetz-gebung Konstantins Strengere Gesetze fuumlr die Flucht von Sklaven stehen ne-ben Gesetzen zur humanen Behandlung der Sklaven und der Beguumlnstigung ihrer Freilassung (B S 60) Deutlich christ-lich beeinflusst sind die Abschaffung

54 7 8 6 uuml

der Todesstrafe durch Kreuzigung das Verbot von Brandmalen im Gesicht das Verbot der Gladiatorenspiele (B S 61) oder die Einfuumlhrung des Sonntags als Ruhetag eine eindeutige Foumlrderung und Werbung fuumlr das Christentum (B S 63)

Wegweisend finde ich die drei grund-legenden Veraumlnderungen des Christen-tums die Konstantin bewirkt hat wie sie Karl-Heinz Ohlig (bdquoStrukturelle Aus-wirkungen der Konstantinischen Wende auf das Christentumldquo S 75ndash86 In Klaus M Girardet [Hg] Kaiser Kons-tantin der Groszlige A a O) benennt und erlaumlutert die Sakralisierung die Ver-rechtlichung und die Hellenisierung des Christentums

Die Sakralisierung des Christentums betraf vor allem die Rolle der Kirche ihre Aumlmter und die Sakramente da seit-dem die von sakralen Maumlnnern geleitete kultische Praxis im Mittelpunkt steht (B S 81) Die Verrechtlichung des Chris-tentums ist in der katholischen Kirche bis heute erhalten und grundlegend (B S 82) Die weitreichendsten Folgen hatte aber nach Ohlig die Hellenisierung des Christentums (B S 85) Auf alle diese Fragen etwa geht Leithart nicht ein

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher Werbung

Glaube braucht Wissen

Unser Konzept

Mit neuen Dienstleistungen und Zugangs-wegen zu biblischen und serioumlsen Inhalten verstehen wir uns als ein attraktives An-gebot fuumlr Menschen von heute die mehr uumlber Gott Ethik Naturwissenschaft fuumlrs alltaumlgliche Leben wissen wollen Denn Gottes Wort gehoumlrt in den Alltag Genau hier setzt GENiaLeBuecherde an

Unsere Ziele

Die gesellschaftliche Religiositaumlt hat in unserer Zeit neue individuelle Wege ge-funden Dafuumlr benoumltigen die Menschen all-tagstaugliche biblische verlaumlssliche Quel-len und Mittel GENiaLeBuecherde bietet Inhalte und Informationsquellen fuumlr das alltaumlgliche Leben von Einzelnen und Ge-meinschaften an Wir verbinden Internet und Gedrucktes

Unser Weg

GENiaLeBuecherde geht hierbei nicht nur den Weg des klassischen Handels son-dern unterstuumltzt bewusst christliche Ins-titutionen indem GENiaLeBuecherde fuumlr diese Partner neue Vertriebswege schafft bzw vorhandene ausweitet Diese Part-ner sind ua auch Institutionen (Werke Vereine) die von Zuwendungen (Spenden) getragen werden

Die Zeit ist reif fuumlr diese Kreativi-taumlt fuumlr diese neuen Zugangswege und Kommunikationsmittel

Viel Freude beim Stoumlbern auf unseren Seiten

wir praumlsentieren bull Buumlcher bull CDs amp DVDs bull Kalender amp Zeitplansysteme bull ein Antiquariat bull Sonderposten bull Message Shirts bull Tipps amp Downloads und vieles mehr

Wo und wie bekommt man einen leichtenZugang zu biblischem serioumlsem Wissen

glauben amp denken heute 22012 557 8 6 uuml

Novum Testamentum Graece x 28

Carsten Friedrich

Barbara Aland u a (Hrsg) Novum Tes-tamentum Graece 28 revidierte Aufla-ge Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 2012 1008 Seiten bzw 1219 Seiten (mit Woumlrterbuch) ISBN 978-3438051400 bzw 978-3438051592 28 bzw 35 Euro

Ein langes Warten fand im September ein Ende Die 28 Auflage des Nestle-Aland ist erschienen Das Novum Tes-tamentum Graece ist als wissenschaft-liche Ausgabe des Neuen Testaments in seiner griechischen Ursprache ein Standardwerk (neben dem UBS Greek New Testament) Es dient weltweit als Grundlage fuumlr Uumlbersetzungen und wis-senschaftliches Arbeiten Nach seinen fruumlheren Herausgebern Eberhart Nestle und Kurt Aland wird es bis heute oft-mals einfach bdquoNestle-Alandldquo genannt (abgekuumlrzt NA)

Revidierter Text in den Katholischen Briefen

Die bisherige 27 Auflage (NA27) war 1993 erschienen Ihr lag der unveraumln-derte Text der 26 Auflage von 1979 zugrunde Damals wurde nur der Ap-parat einer weitgehenden Revision un-terzogen Damit liegt nun mit der 28 Auflage (NA28) nach 33 Jahren erst-mals eine Ausgabe mit Textaumlnderungen vor Wer nun meint nach 33 Jahren ei-nen komplett revidierten Text des Neu-en Testaments erwarten zu duumlrfen der irrt Die Revision des Textes betrifft nur die bdquoKatholischen Briefeldquo also den Brief des Jakobus die beiden Petrus-Briefe die drei Briefe des Johannes und den Judas-Brief Fuumlr diesen Teil des Neuen Testaments liegt naumlmlich mittlerweile

die Editio Critica Maior (ECM) vor die bisher umfangreichste auf Vollstaumlndig-keit abzielende Aufarbeitung der textli-chen Bezeugung des NT1 Die Entschei-dungen der ECM (in der 2 Auflage) wurden fuumlr NA28 uumlbernommen womit sich der Text gegenuumlber NA27 an insge-samt 34 Stellen aumlndert Eine komplette Auflistung dieser Stellen findet sich in der Einfuumlhrung zu NA28 auf Seite 6 Drei dieser Aumlnderungen seien hier als Beispiele aufgefuumlhrt

1Petr 416

NA27 εἰ δὲ ὡς Χριστιανός μὴ αἰσχυνέσθω δοξαζέτω δὲ τὸν θεὸν ἐν τῷ ὀνόματι τούτῳ

Wenn aber jemand als Christ [leidet V15] so schaumlme er sich nicht son-

dern mache Gott durch diesen Namen [bdquoChristldquo] Ehre

NA28 ECM2 εἰ δὲ ὡς Χριστιανός μὴ αἰσχυνέσθω δοξαζέτω δὲ τὸν θεὸν ἐν τῷ μέρει τούτῳWenn aber jemand als Christ [leidet V15] so schaumlme er sich nicht sondern mache Gott in dieser Angelegenheit Ehre

2Petr 218

NA27 uperogka gar mataiothtoj fqeggomenoi deleazousin en epiqummiaij sarkoj aselgeiaij touj ovligwj avpofeugontaj touj evn planh| avnastrefomenouj

Denn indem sie hochfahrende Reden fuumlhren hinter denen nichts ist locken

56 7 8 6 uuml

sie im Taumel fleischlicher Begierden durch Ausschweifungen solche an sich die sich eben erst von den im Irrwahn Wandelnden abgekehrt hatten (Menge)

NA28 ECM ὑπέρογκα γὰρ μα-ταιότητος φθεγγόμενοι δελεάζουσιν ἐν ἐπιθυμίαις σαρκὸς ἀσελγείαις τοὺς ὄντως ἀποφεύγοντας τοὺς ἐν πλάνῃ ἀναστρεφομένους Denn indem sie hochfahrende Reden fuumlhren hinter denen nichts ist locken sie im Taumel fleischlicher Begierden durch Ausschweifungen solche an sich die sich wirklich von den im Irrwahn Wandelnden abgekehrt hatten (nach Menge abgewandelt)

Judas 5

NA27 Ὑπομνῆσαι δὲ ὑμᾶς βούλομαι εἰδότας [ὑμᾶς] πάντα ὅτι [ὁ] κύριος ἅπαξ λαὸν ἐκ γῆς Αἰγύπτου σώσας τὸ δεύτερον τοὺς μὴ πιστεύσαντας ἀπώλεσενIch will euch aber erinnern obwohl ihr dies alles schon wisst dass der Herr nachdem er dem Volk das eine Mal aus Aumlgypten geholfen hatte das andere Mal die umbrachte die nicht glaubten (Lu-ther 84)

NA28 ECM Ὑπομνῆσαι δὲ ὑμᾶς βούλομαι εἰδότας ὑμᾶς ἅπαξ πάντα ὅτι Ἰησοῦς λαὸν ἐκ γῆς Αἰγύπτου σώσας τὸ δεύτερον τοὺς μὴ πιστεύσαντας ἀπώλεσεν

Ich will euch aber erinnern obwohl ihr alles ein fuumlr allemal wisst dass Jesus nachdem er dem Volk das aus Aumlgypten geholfen hatte das andere Mal die um-brachte die nicht glaubten (nach Lu-ther 84 abgewandelt)

In den Katholischen Briefen wurde je-doch nicht nur der Text der ECM uumlber-nommen Auch der Apparat wurde auf der Basis der ECM grundlegend neu konstruiert So entfaumlllt bei den Katho-lischen Briefen beispielsweise das Sigel

fuumlr den Mehrheitstext zugunsten des Sigels bdquoByzldquo (Byzantischer Text)

Eine Uumlbergangsloumlsung

Dass sich die textlichen Aumlnderungen nur auf die Katholischen Briefe erstre-cken macht deutlich dass es sich bei NA28 um eine Uumlbergangsloumlsung han-delt Denn bdquoauf lange Sichtldquo soll das gesamte NT in dieser Weise uumlberarbei-tet werden so die Herausgeber die ihr Vorgehen als bdquozweigleisige Revisionldquo be-schreiben3 Aber schon die Herausgabe dieser Uumlbergangsloumlsung als 28 Auflage macht deutlich dass bis zum eigentli-chen Ziel noch viele Jahre vergehen wer-den und bis dahin eben diese Variante (bzw weitere Auflagen mit jeweils er-weiterten Textrevisionen) der Standard sein wird den keiner umgehen kann der sich mit dem griechischen Urtext des NT beschaumlftigen will

Revision des gesamten Apparats

Allerdings gibt es auch Neuerungen die sich nicht nur auf die Katholischen Brie-fe beschraumlnken sondern den gesamten NA28 betreffen So liegt der gesamten Ausgabe eine Revision des kritischen Apparats zugrunde die diesen uumlber-sichtlicher und einfacher nutzbar ma-chen soll Die wichtigsten Aumlnderungen diesbezuumlglich sind folgendebullthinspthinspErstmalsthinsp wurdenthinsp diethinsp Lesartenthinsp derthinsp

neu entdeckten Papyri 117ndash127 verzeichnet

bullthinspthinspDiethinsp Unterscheidungthinsp vonthinsp staumlndigenthinspZeugen erster und zweiter Ordnung wurde aufgegeben um bisher da-mit verbundene Unklarheiten zu beseitigen

bullthinspthinspImthinspApparatthinspwerdenthinspzudemthinspkeinethinspKon-jekturen (verbessernde Eingriffe in den Text) mehr zitiert Diese werden in Zukunft mit Quelle in einem ge-sonderten Verzeichnis fuumlr den Nestle Aland digital (siehe Abschnitt unten) zur Verfuumlgung gestellt

bullthinspthinspVariantenthinsp imthinsp textkritischenthinsp Apparatthinspwerden so weit moumlglich ausgeschrie-ben und ohne Einbettung von Subva-rianten dargestellt

bullthinspthinspWeilthinspbisherthinspoftthinspmissverstandenthinspwurdethinspauch auf die Abkuumlrzungen pc (pauci) und al (alii) verzichtet

bullthinspthinspDiethinsp Verknupfungthinsp vonthinsp Apparatnotie-rungen mit et und sed wurde aufge-loumlst Die Bezeugungen werden jetzt getrennt notiert

bullthinspthinspLateinischethinsp Abkurzungenthinsp undthinsp Zwi-schentexte wurden reduziert und im Abkuumlrzungsverzeichnis uumlbersetzt

bullthinspthinspDiethinsp Editionumthinsp differentiaethinsp (Appen-dix III in NA27) die einen Uumlber-blick uumlber die Textentscheidungen der wichtigsten neuzeitlichen Ausgaben des griechischen NT im Vergleich zu NA27 bot entfaumlllt bei NA28 weil eine Uumlberarbeitung unverhaumlltnismauml-szligig aufwendig gewesen waumlre

bullthinspthinspDiethinspVerweisstellenthinspamthinspaumluszligerenthinspRandthinspwurden auf ihre Aussagekraft hin uumlberpruumlft

Die hier aufgelisteten Aumlnderungen ma-chen deutlich dass es den Herausgebern mit ihrer Zielstellung durchaus ernst ist den NA28 benutzerfreundlicher zu machen Angaben die bisher in ihrer Art und Weise irritierend und unnouml-tig kompliziert waren wurden fuumlr den NA28 deutlich verbessert Dass natuumlr-lich auch der NA28 noch ein sehr kom-plexes Werk ist das den Benutzern eine intensive Beschaumlftigung abverlangt ist selbstverstaumlndlich4 Dies ist sowohl der Materie an sich als auch der Zielstel-lung der Autoren geschuldet bdquodie in der Ausgabe vorliegende Rekonstrukti-on des griechischen Ausgangstextes kri-tisch nachvollziehbar und uumlberpruumlfbar zu machenldquo5

Carsten Friedrich

glauben amp denken heute 22012 577 8 6 uuml

Nestle Aland digital

Viele Benutzer wird es erfreuen dass es den NA28 auch in digitaler Form ge-ben wird ndash und zwar samt Apparat Die Herausgeber verfolgen mit dem Nestle Aland digital hauptsaumlchlich zwei Ziel-stellungen6 zum einen im Hinblick auf die Aktualitaumlt der gebotenen Informati-onen Korrekturen und neue Notierun-gen sollen via Internet innerhalb kurzer Zeit zur Verfuumlgung gestellt werden zum anderen im Hinblick auf die Klarheit der Praumlsentation und die Verknuumlpfung mit weiteren Dokumenten und Daten So sollen beispielsweise Abkuumlrzungen und Sigel in eingeblendeten Fenstern erklaumlrt werden Daruumlber hinaus soll es eine Verknuumlpfung mit den vollstaumlndi-gen Transkripten und Fotos der ein-bezogenen Handschriften geben Wie oben schon erwaumlhnt soll auszligerdem ein Verzeichnis aller Konjekturen samt deren Quellen in der digitalen Variante enthalten sein

Das Erscheinen des Nestle Aland di-gital ist fuumlr 2013 angekuumlndigt Es soll ihn dann fuumlr PC Mac und Smartphone fuumlr ca 30 Euro geben Bis dahin darf man gespannt warten inwieweit sich die wirklich vielversprechenden Ankuumln-digungen der Herausgeber erfuumlllen

Novum Testamentum Graece x 28 Werbung

Struktur

14 selbstaumlndige Studienzentren in 6 Laumln-dern mit einheimischen Traumlgervereinen

5 uumlbergreifende Institute

Rektor Prof Dr Thomas Schirrmacher

Dekane Thomas Kinker ThD (USA) Titus Vogt lic theol

Mission durch Forschung

Internationales Institut fuumlr Religionsfreiheit (Partner Weltweite Ev Allianz)

Studienprogramm mit Schwerpunkt Islam zusammen mit dem Institut fuumlr Islamfragen

Institut fuumlr Lebens- und Familienwissenschaft

Institut fuumlr Notfallseelsorge Sterbebegleitung und Trauerseelsorge

Institut fuumlr Seelsorgeausbildung

Martin Bucer Seminar

infobucerdewwwbucerde

hellip damit die Heiligen zugeruumlstet werden zum Werk des Dienstes

Epheser 412

1 bdquoDie Editio Critica Maior dokumentiert die griechi-sche Textgeschichte des ersten Jahrtausends anhand der uumlberlieferungsgeschichtlich wichtigen griechi-schen Handschriften alten Uumlbersetzungen und neu-testamentlichen Zitate in der antiken christlichen Li-teratur Auf der Basis genealogischer Untersuchungen des erstmals mit dieser Vollstaumlndigkeit aufbereiteten Materials wird der Text neu rekonstruiert Die Aus-wahl der Handschriften beruht auf einer Auswertung der gesamten Primaumlruumlberlieferungldquo URL httpwwwuni-muensterdeNTTextforschungProjektehtml [Stand 23102012] Ausfuumlhrlichere Informati-onen zur ECM finden sich unter URL httpwwwuni-muensterdeNTTextforschungECMhtml2 Griechischer Bibeltext aus Barbara Aland u a (Hrsg) Novum Testamentum Graece 28 revidierte Auflage Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 20123 bdquohellip so muss fuumlr die uumlbrigen neutestamentlichen Schriften mit der Neukonstitution des Textes so lan-ge gewartet werden bis mit dem Fortschreiten der Ar-beit an der ECM die dafuumlr noumltigen Materialien und Erkenntnisse vorliegen Die sich daraus ergebende relative Uneinheitlichkeit der 28 Auflage ist unver-meidlich will man die neuen Erkenntnisse aus der Arbeit an der ECM in die Handausgaben einflieszligen lassen obwohl solche nur fuumlr einen Teilbereich des Neuen Testaments vorliegenldquo Holger Strutwolf im Vorwort zum NA284 Die Deutsche Bibelgesellschaft gibt deshalb eine gesonderte Einfuumlhrung zum NA28 heraus David Trobisch Die 28 Auflage des Nestle-Aland Eine Einfuumlhrung Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 2013 Leider ist es nicht gelungen diese Einfuumlhrung zeitgleich mit dem NA28 auf den Markt zu bringen Aus dem urspruumlnglich angekuumlndigten Veroumlffentli-chungstermin November 2012 ist mittlerweile Fruumlh-jahr 2013 geworden Weitere Informationen zu dieser Einfuumlhrung finden sich unter URL httpwwwbibelonlinedeproductsWissenschaftliche-Bibelaus-gabenUrtexte-Neues-TestamentDie-28-Auflage-des-Nestle-Aland-eine-Einfuehrunghtml 5 NA28 A a O S 2 6 NA28 A a O S 3f

Anmerkungen

Gemeinde- und berufsbegleitend

Studenten bleiben in ihren Gemeinden

Anleitung zum eigenstaumlndigen Denken

Vom Wachstum der weltweiten Gemeinde Jesu lernen

Lehre und Forschung Lernen und selbst entwickeln

Das heiszligt das Alte und Bewaumlhrte kennen lernen und voumlllig Neues erforschen

Fundierte Ausbildung fuumlr das Reich Gottes

Studenten werden an Forschung beteiligt die christ-liche Ethik in das Herz der Gesellschaft traumlgt z B durch unsere erfolgreichen Institute

Internationales Institut fuumlr Religionsfreiheit (Partner Weltweite Ev Allianz)

Institut fuumlr Islamfragen (Partner Deutschsprachige Evang Allianzen)

Eigenes Studienprogramm mit Schwerpunkt Islam

Eigenes Studienprogramm mit Schwerpunkt Seelsorge

Institut fuumlr Lebens- und Familienwissenschaft

Institut fuumlr christliche Weltanschauung (Apologetik)

Mission durch Forschung

Abwanderung von Mitarbeitern verhindern

Wir gruumlnden Studienzentren gern in Regionen mit wenig ausgepraumlgter christlicher Infra-struktur wo wir die Abwanderung wichtiger Mitarbeiter im Reich Gottes in sowieso gut versorgte Regionen verhindern wollen z B Studienzentren in Chemnitz und Berlin fuumlr die neuen Bundeslaumlnder (keine Abwanderung nach Westen)

Studienzentrum Innsbruck und Linz zusammen mit dem Evangelikalen Bildungswerk in Oumlster-reich (keine Abwanderung nach Deutschland)

Studienzentrum Istanbul (keine Abwanderung in die USA)

weitere Infolsquos unter wwwbucereu

  1. Schaltflaumlche1
  2. Schaltflaumlche2
  3. Schaltflaumlche3
  4. Schaltflaumlche4
  5. Schaltflaumlche5
  6. Schaltflaumlche6
  7. Schaltflaumlche7
  8. Schaltflaumlche8
  9. Schaltflaumlche9
  10. Schaltflaumlche10
  11. Schaltflaumlche11
  12. Schaltflaumlche12
  13. Schaltflaumlche13
  14. Schaltflaumlche14
  15. Schaltflaumlche15
  16. Schaltflaumlche16
  17. Schaltflaumlche17
  18. Schaltflaumlche18
  19. Schaltflaumlche19
  20. Schaltflaumlche20
  21. Schaltflaumlche21
  22. Schaltflaumlche22
  23. Schaltflaumlche23
  24. Schaltflaumlche24
  25. Schaltflaumlche25
  26. Schaltflaumlche26
  27. Schaltflaumlche27
  28. Schaltflaumlche28
  29. Schaltflaumlche29
  30. Schaltflaumlche30
  31. Schaltflaumlche31
  32. Schaltflaumlche32
  33. Schaltflaumlche33
  34. Schaltflaumlche34
  35. Schaltflaumlche35
  36. Schaltflaumlche36
  37. Schaltflaumlche38
  38. Schaltflaumlche39
  39. Schaltflaumlche40
  40. Schaltflaumlche41
  41. Schaltflaumlche42
  42. Schaltflaumlche43
  43. Schaltflaumlche44
  44. Schaltflaumlche45
  45. Schaltflaumlche46
  46. Schaltflaumlche47
  47. Schaltflaumlche48
  48. Schaltflaumlche49
  49. Schaltflaumlche50
  50. Schaltflaumlche51
  51. Schaltflaumlche52
  52. Schaltflaumlche53
  53. Schaltflaumlche54
  54. Schaltflaumlche55
  55. Schaltflaumlche56
  56. Schaltflaumlche57
  57. Schaltflaumlche58
  58. Schaltflaumlche59
  59. Schaltflaumlche60
  60. Schaltflaumlche61
  61. Schaltflaumlche62
  62. Schaltflaumlche63
  63. Schaltflaumlche64
  64. Schaltflaumlche65
  65. Schaltflaumlche66
  66. Schaltflaumlche67
  67. Schaltflaumlche68
  68. Schaltflaumlche69
  69. Schaltflaumlche70
  70. Schaltflaumlche71
  71. Schaltflaumlche72
  72. Schaltflaumlche73
  73. Schaltflaumlche74
  74. Schaltflaumlche75
  75. Schaltflaumlche76
  76. Schaltflaumlche77
  77. Schaltflaumlche78
  78. Schaltflaumlche79
  79. Schaltflaumlche80
  80. Schaltflaumlche81
  81. Schaltflaumlche82
  82. Schaltflaumlche83
  83. Schaltflaumlche84
  84. Schaltflaumlche37
Page 2: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen

Inhalt

Zeitschrift fuumlr Freunde des Martin Bucer Seminars

Martin Bucer Seminar(Bonn Innsbruck Istanbul Prag Zuumlrich)

Traumlger bdquoMartin Bucer Seminarldquo eV Bleichstraszlige 59 75173 Pforzheim DeutschlandEingetragen beim Amtsregister Pforzheim unter der Nummer VR1495

GeschaumlftsfuumlhrerManfred Feldmann

HerausgeberProf Dr Thomas Schirrmacher (ts) (visdP)

Leitender RedakteurRon Kubsch (rk)

Weitere RedaktionsmitgliederTitus Vogt (tv) Johannes Otto (jo) Dr Daniel Facius (df)

Gestaltung Beate Hebold

ISSN 1867-5573

TextbeitraumlgeManuskripte sind ausschlieszliglich per E-Mail mit den zugehoumlrigen Dateien im RTF-Format an die Redaktion von glauben amp denken heute zu senden gudhbucereu

glauben amp denken heute

7 8 6 uuml

Jetzt Neu Uumlberarbeitete Fuszlignotenfuumlhrung ndash den Cursor auf die jeweilige Fuszlignotenziffer fuumlhren bis sich ein Pop-Up Fenster oumlffnet

bull Editorial 3 (Johannes Otto)

bull Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden 4

(Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher)

bull Evangelisation und Calvinismus 10 (Prof Dr Clair Davis)

bull Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben 12

(Prof Dr Stephen J Wellum)

Rezensionen

bull Die Araber und der Holocaust 34 (Carmen Matussek)

bull Warum Gerechtigkeit 37 (Dr Daniel Facius)

bull Christian Zionism Examined 39 (Dr Gerhard Gronauer)

bull Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit 41 (Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher)

bull Witness of the body 46 (Wolfgang Haumlde)

bull Falling wallsndash the year 198990 48 (Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher)

bull Neuere Buumlcher uumlber Konstantin den Groszligen 51 (Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher)

bull Novum Testamentum Graece x 28 55 (Carsten Friedrich)

glauben amp denken heute 22012 3

editorial

hellip sodass ihr nicht tut was ihr wollt

7 8 6 uuml

Liebe Freunde

der Bruch der ersten Menschen mit Gott war ein Vertrauensbruch Der Mensch dachte er koumlnne denkerisch die Wirklichkeit uumlberblicken und uumlber-sah die Grenzen seiner Erkenntnis Statt der liebevollen und bewahrenden Weisung Gottes zu gehorchen nahm der Mensch das Zepter selbst in die Hand und folgte einem verfuumlhrerischen Angebot Seither steht der Mensch in diesem Zwiespalt Kannte er bis dahin nur das Gute das Gott ihm unmit-telbar zugedachte ist er nun um die Erkenntnis des Boumlsen reicher und dem Tod verfallen

Dass das nicht wirklich ein Gewinn ist wie der Verfuumlhrer angepriesen hat-te liegt auf der Hand Bei genauer Betrachtung wird deutlich dass die scheinbar freie Entscheidung des Men-schen weder voumlllig frei war noch Frei-heit brachte Auf der einen Seite stand die goumlttliche Weisung auf der anderen

Seite kam die daumlmonische Versuchung die sich nicht als gleichwertige Alterna-tive darstellt sondern sich als besseres Angebot einschleicht den Menschen sinnlich lockt und ihn letztlich ver-fuumlhrt

Wie ein Nebel legen die Aussagen der Schlange sich nach und nach um das Denken des Menschen bis dieser schlieszliglich den klaren Blick fuumlr das goumlttliche Wort verliert Das geistliche Wort Gottes dass der an sich sehr gu-ten Schoumlpfung ihren Weg weist wird verdreht und verdunkelt Der Blick auf Gott wird versperrt Der Mensch bleibt bei sich selbst dem unterworfen was er sich eigentlich haumltte unterwerfen sol-len Freiheit Weit gefehlt Unweiger-lich draumlngt sich Luthers Aussage auf dass der Mensch entweder von Gott oder vom Teufel geritten wird bdquoDenn das Fleisch widerstrebt mit seinem Begehren dem Geist und ebenso der

Geist dem Fleisch denn diese beiden liegen im Streit miteinander (und dul-den nicht) dass ihr das tut was ihr tun moumlchtetldquo (Gal 517 MENGE) Freiheit verstanden als bdquodas tun was ich willldquo ist letztlich eine Illusion Offensichtlich sind nicht einmal die Gedanken frei ndash denn sie koumlnnen erraten werden Nicht ich kann mir Freiheit schaffen ndash weder durch mein Denken noch durch krea-tive und kuumlnstlerische Aktivitaumlt noch durch handfeste Taten Die Unfreiheit des Menschen hatte mit einem verfuumlh-rerischen Gedanken begonnen und en-dete in einer zerstoumlrerischen Tat die die gesamte Menschheit in einen undurch-sichtigen todbringenden Nebel versetzt hat der den Blick auf Gott versperrt

bdquoDer Geist des Herrn ruht auf mir denn der Herr hat mich gesalbt Er hat mich gesandt mit dem Auftrag den Armen gute Botschaft zu bringen den Gefangenen zu verkuumlnden dass sie frei

sein sollen und den Blinden dass sie sehen werden den Unterdruumlckten die Freiheit zu bringenldquo (Lk 418 NGUuml) Freiheit finden wir nur im Vertrauen auf die Wahrheit und das Handeln Gottes in Jesus Christus Wo wir sei-nem Wort glauben lichtet sich der Ne-bel und klaumlrt sich der Blick auf den hei-ligen ewigen Gott Der Glaube an die goumlttliche Wahrheit macht frei indem er unser Denken und Tun fuumlr Gott oumlff-net und sie zugleich in ihre Schranken verweist

Dem der noch im Nebel wandert bleibt dieser Glaube widersinnig und toumlricht wo aber allmaumlhlich die Son-nenstrahlen der goumlttlichen Wahrheit durchbrechen (Apg 2613 Offb 116 225) beginnt der Aufbruch in ein be-freites Leben vor Gott bdquoDein Wort ist meines Fuszliges Leuchte und ein Licht auf meinem Wegldquo (Ps 119105 LUTHER)

Johannes Otto

4 7 8 6 uuml

Ich finde es immer wieder neu verwun-derlich dass seit Jahren und Jahrzehn-ten zunehmend in christlichen Kirchen von den Geistesgaben die Rede ist dies aber das Pastorenamt oder die Ausbil-dung dazu kaum erreicht hat Dabei betreffen die im Neuen Testament ge-nannten Geistesgaben ganz wesentlich auch die Lehr- und Leitungsaufgaben Waumlhrend man fuumlr alle Gemeindemit-arbeiter darauf achtet dass sie ihren Gaben entsprechend eingesetzt wer-den ihre Gaben finden und entwi-ckeln thront der Pastor wie vor 400 Jahren vermeintlich universal begabt uumlber allem und praumlgt seine Gemein-de einseitig seiner Gabe entsprechend ndash viele vorbildliche Ausnahme bestauml-tigen trotzdem eine gar weltweite Re-gel Waumlhlen wir nur ein Beispiel die

Predigten Muumlssten die Predigenden nicht abwechseln da jeder Predigen-de mit seinen Gaben seine Gemeinde zu einseitig praumlgt wenn immer nur er predigt1 Wie bekommt eine Gemeinde auch einmal Lehrpredigten wenn der Pastor ein ausgesprochener Evangelist ist und umgekehrt

Wie bekommt eine Gemeinde glo-balen Welt- und Weitblick wenn der Pastor eher seelsorgerlich die Proble-me beim Einzelnen und vor Ort sieht wie werden diese Probleme ernst ge-nommen wenn der Pastor vor allem Weitblick hat Die wenigsten koumlnnen einen Fischteich und das groszlige Meer gleichzeitig kennen lieben und pfle-gen Nun mag der auszligergewoumlhnliche Pastor sogar zwei oder drei Gaben ab-decken koumlnnen aber alle Der Pastor

der gleichermaszligen in seinen Predigten Apostel Prophet Evangelist Hirte und Lehrer ist der Einzelseelsorge und gesellschaftlichen Weitblick Diakonie und Weltmission gleichmaumlszligig im Blick hat ndash den gibt es einfach nicht

Zum Gluumlck wird es in den Gemein-den immer normaler Vollzeitlichkeit (das heiszligt vor allem Bezahlung) nicht nur fuumlr den Pastor zu sehen sondern fuumlr jeden Mitarbeiter einer Gemeinde dessen Ausbildung Erfahrung Faumlhig-keiten und Gaben nicht nur nebenbei gebraucht werden sondern zeitlich in groszligem Umfang

Das Problem liegt natuumlrlich nicht nur bei den Pastoren Viele Gemeinden begehen immer noch den Fehler zu meinen sie wuumlrden ihren Pastor vor al-lem fuumlrs Predigen bezahlen statt etwa

fuumlr die Mitarbeiterfoumlrderung und wer-fen ihrem Pastor Faulheit vor wenn er nicht immer predigt (bdquoWofuumlr bezahlen wir Sie eigentlich wenn Sie sonntags wie alle nur in den Reihen sitzenldquo) Aber wenn die Gemeinde unbedingt nur ihre eigenen bezahlten Pastoren houmlren will dann muss sie eben zwei oder drei gabenmaumlszligig unterschiedlich ausgerichtete Pastoren anstellen

In meinen 21 Thesen zur alternativen theologischen Ausbildung schrieb ich

bdquo8 These Die Gaben des Schuumllers soll-ten ndash zumindest teilweise ndash starke Be-ruumlcksichtigung finden Es geht darum moumlglichst gut und intensiv zu lernen nicht darum bestimmten instituti-onellen Vorga ben zu genuumlgen Gilt etwa 1Petr 410 (bdquoSo wie jeder eine Gnadengabe empfangen hat so dient

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 57 8 6 uuml

da mit einan der als gute Ver walter der verschie denartigen Gnade Gottesldquo) fuumlr eine theologische Ausbildung nicht Wenn wir Menschen dafuumlr vorberei-ten wollen ihr Leben lang ihre Ga-ben sinnvoll und nutzbringend fuumlr das Reich Gottes einzuset zen muumlssen diese Gaben doch schon in der Ausbil-dung eine zentrale Rolle spielen Dabei bedingen auch die unterschiedlichen Geistesgaben recht unterschiedliche Lerntypen und insbesondere Interessen Deswegen sollte ein Studienprogramm neben dem fuumlr alle wichtigen gemein-samen Basiswissen die Moumlglichkeit bieten sich inhaltlich entsprechend der Gaben zu sbquospezialisierenlsquo Die Spezialisierungs moumlglichkeiten anhand der klassischen theologischen Faumlcher entsprechen zu wenig bestimmten Ga-ben und bieten nur teilweise die not-wendigen Entfaltungsmoumlglich keitenldquo

Und besteht nicht auch in der Gemein-deleitung die Gefahr dass die Gaben des Pastors (oder des Einflussreichsten) die Gemeinde entgegen dem Willen der neutestamentlichen Apostel einsei-tig praumlgen

Die Gemeindeleitung mit einem breiten Spektrum an Erfahrung Ga-ben Begabung und Faumlhigkeiten ist ndash unter Jesus als dem Haupt der Gemein-de und dem Heiligen Geist ndash sbquohoumlchste Instanzlsquo der Gemeinde nicht eine einzelne Gabe und nicht ein einzelner Gabentraumlger

Thesen zu den Geistesgaben2

Einheit und Vielfalt in Roumlm 121ndash8

Es ist bezeichnend dass Paulus unter dem bdquoWillen Gottesldquo (Roumlm 122) nicht nur die Gebote ver steht die fuumlr alle Men schen und Christen gleicherma-szligen ver bindlich sind (vgl z B Roumlm 138ndash10) son dern im ermahnenden Teil des Roumlmerbriefes (Roumlm 12ndash15) nach den allgemei nen Versen (Roumlm 121ndash2) als Erstes auf einen Bereich zu sprechen kommt in dem sich Chri sten nach dem Gebot und Wil len Gottes voneinander unterscheiden Die Bibel offenbart uns nicht nur wo Gott Ein-heit schafft und for dert sondern auch wo Gott Vielfalt schafft und fordert

So wie der dreieinige Gott selbst Einheit und Viel falt in einem ist so soll auch die Gemeinde Jesu einer-seits durch Einheit in Lehre Glauben Motivation und Hingabe andererseits durch die Vielfalt an Persoumln lichkeiten Gaben und Diensten gekennzeichnet sein

Schon bei der Schoumlpfung schuf Gott die Welt in Einheit und Vielfalt in Grenzen und in Freiheit Fuumlr Adam und Eva galt die Freiheit von jedem Baum des Gartens essen zu duumlrfen und zugleich die Grenze von einem be-stimmten Baum nicht essen zu duumlrfen

Nur die Schlange machte daraus dass die Menschen von gar keinem Baum essen duumlrften (1Mose 31+216ndash17)

Wir muumlssen in unseren Gemeinden dringend unterscheiden lernen wo Gott durch eindeutige Gebote von al-len Gemeindegliedern das gleiche er-wartet und wo Gott Frei heit gibt ja Vielfalt fordert und ihm jede Gleich-macherei zuwider ist

Gott fordert zum Beispiel nicht jeden auf so viel zu evangelisieren wie dies jemand mit der Gabe des Evangelis-ten tut oder soviel zu geben wie dies jemand mit der Gabe des Gebens tut Niemand muss acht Stun den am Tag beten obwohl Gott schon manchen mit der Gabe des Glaubens gebraucht hat der dies getan hat und dazu die nouml-tige Zeit erhielt (z B im Gefaumlngnis) Wie viel unnoumltiges schlechtes Gewis-sen wurde schon da durch erzeugt dass man eine Gabe oder einen bestimmten Dienst zum Maszligstab fuumlr alle Gemein-deglieder erhoben hat

Die Geistesgaben in Roumlm 123ndash8

bdquoDenn ich sage durch die Gnade die mir gegeben wurde jedem der unter euch ist nicht mehr von sich zu den-ken als es sich zu denken gebuumlhrt son-dern darauf bedacht zu sein dass er besonnen ist wie Gott einem jeden das Maszlig des Glaubens zugeteilt hat Denn wie wir in einem Leib viele Glieder ha-

ben aber die Glieder nicht alle dieselbe Taumltigkeit haben so sind wir vielen ein Leib in Christus einzeln aber Glieder voneinander und haben verschiedene Gnadenga ben nach der uns verliehe-nen Gnade sei es Weissagung so nach dem Maszligstab des Glaubens sei es Dienst so im Dienen sei es der Lehrer so in der Lehre sei es der Ermahnende so in der Ermah nung der Mitteilende in Einfalt der Vorstehende mit Fleiszlig der Barmherzigkeit Uumlbende mit Freu-digkeitldquo (Roumlm 123ndash8)Zum bdquoWillen Gottesldquo (Roumlm 122)

gehoumlrt es also dass der Christ die Ga-ben einsetzt die Gott ihm gegeben hat und demuumltig akzeptiert dass Gott die Gaben zuteilt und nicht der Mensch Die Unzufriedenheit damit dass Gott durch das Zuteilen der Gaben auch daruumlber bestimmt wo sich der einzel-ne Christ einsetzen soll kann sich auf zweierlei Weise aumluszligern 1 in der Uumlber-heblichkeit mehr zu koumlnnen und 2 in der scheinbaren Demut nichts oder kaum etwas zu koumlnnen

Deswegen ermahnt Paulus bdquonicht houmlher von sich zu denken als sich zu denken gebuumlhrtldquo (Roumlm 123) Die Ant-wort auf Selbstuumlberschaumltzung ist nicht die Selbstunterschaumltzung (Minderwer-tigkeitsgefuumlhl) sondern so zu denken bdquowie es sich zu denken gebuumlhrtldquo also bdquodarauf bedacht zu sein dass er be-sonnen ist wie Gott einem jeden das Maszlig des Glaubens zugeteilt hatldquo (Roumlm

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden

6 7 8 6 uuml

123) Wer denkt sbquoIch kann alleslsquo ist ebenso un geistlich wie der der denkt sbquoIch kann nichtslsquo Stolz und Minderwer-tigkeitskomplexe sind nur zwei Seiten einer Muumlnze Uumlber die falsche Demut kann Gott naumlmlich ndash wie das Beispiel des Mose zeigt der meinte nicht reden zu koumlnnen (2Mose 410ndash14) ndash ebenfalls zornig werden Richtig denkt nur wer sich gemaumlszlig seiner Ga ben einschaumltzt also weiszlig dass er das kann wozu ihn Gott besonders be faumlhigt hat Uumlbrigens gilt das nicht nur fuumlr die Geistesgaben sondern immer ndash etwa auch im Beruf Nur wer seine Grenzen kennt kennt auch seine Faumlhigkeiten wirklich und nur wer seine Fauml higkeiten kennt weiszlig auch was er nicht kann Ein Leiter oder Vorgesetzter der seine Staumlrken und Schwaumlchen nicht kennt undoder nicht offen dazu steht ist ein schlech-ter und unangenehmer Leiter Denn er wird seinen Mitarbeitern keinen Raum geben wo er eigentlich auf ihre Staumlrken angewiesen ist

Paulus bezeichnet in Roumlm 123 wie in Eph 47+16 die Gnadengaben mit dem Begriff bdquoMaszligldquo (= bdquoZugemesse-nesldquo) naumlmlich das bdquoMaszlig des Glau-bensldquo (Roumlm 123) bzw in Eph 47 das bdquoMaszlig der Gabe des Chri stusldquo Ist dem-nach einer sbquoglaumlubigerlsquo als der andere

Nein denn wir muumlssen zwischen der grundsaumltzlichen fuumlr alle Chri sten glei-chen Gabe des Glaubens die eben falls sbquoGnadengabelsquo (griech sbquocharismalsquo) hei-szligen kann und der persoumlnlichen Zutei-

lung von Ga ben und Diensten an den einzelnen Christen unterscheiden Die Uumlbersicht uumlber alle Vorkommen des Wortes sbquoCharismalsquo sbquoGnaden ga belsquo im Neuen Testament macht das deutlich

Alle Belege fuumlr bdquoGnadengabeldquo (griech sbquocharismalsquo) im Neuen Testa ment

A bdquoGnadengabeldquo als Kennzeichshynung von Din gen die alle Christen gemein sam haben 1 bdquoGnadengabeldquo = Verheiszligung GottesRoumlm 1129 (Uumlber Israel) bdquoDenn die Gnadengaben und die Beru fung Got-tes sind unbereubarldquo

2 bdquoGnadengabeldquo = das Heil oder das ewige Le benRoumlm 623 bdquoDenn der Lohn der Suumln-de ist der Tod die Gna dengabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus unse rem HerrnldquoRoumlm 515+16 Die bdquoGnadengabeldquo steht im Gegensatz zur bdquoUumlber tre tungldquo

B bdquoGnadengabeldquo als Kennzeichshynung von Din gen die Chri sten vonshyeinander un terscheiden1 bdquoGnadengabeldquo im Sinne von sbquoGeis-tesgabelsquo in den in dieser Lek tion be-sprochenen Texten uumlber die Geistesga-ben Roumlm 126 1Kor 124+9+28+30+31 1Petr 410 sowie in folgenden weiteren TextenRoumlm 111(ndash12) bdquoDenn mich verlangt sehr euch zu sehen damit ich euch

etwas geistliche Gnadengabe mitteile um euch zu befe stigen das heiszligt aber um bei euch miter mahnt [oder mit-getroumlstet] zu werden ein jeder durch den Glauben der in dem anderen ist sowohl euren als auch meinenldquo2Kor 111 bdquohellip wobei auch ihr durch das Gebet fuumlr uns mitwirkt damit von vielen Personen fuumlr die uns ver liehene Gnadengabe gedankt werde hellipldquo 1Kor 17 bdquoDaher habt ihr an keiner Gna-dengabe Mangel hellipldquo1Tim 414 bdquoVernachlaumlssige nicht die Gnadengabe die dir durch Weissa-gung mit Handauflegung der Aumlltesten gegeben worden istldquo2Tim 16 bdquoAus diesem Grund erin-nere ich dich daran die Gnaden gabe Gottes anzufa chen die durch die Auf-legung meiner Haumlnde in dir istldquo

2 bdquoGnadengabeldquo in Bezug auf Ehe und Le digsein1Kor 77 bdquoIch wuumlnsche aber dass alle Menschen wie ich waumlren doch jeder hat seine eigene Gnadengabe von Gott der eine so der andere soldquo

Der Unterschied zwischen der grundsaumltzli chen Zuteilung des Glau-bens und der persoumlnlichen Zuteilung des Glaubens in der Gnadengabe kommt auch in dem Gleichnis von den Pfunden und dem Gleichnis von den Ta lenten (Mt 2514ndash30 Lk 1912ndash27) zum Aus druck Im einen Fall erhal-ten alle das gleiche (Lk 1913 jeder 10 Talente) was dem allen gemeinsa-

men Glauben entspricht im anderen Fall erhalten alle gleich zu Be ginn unterschiedliche Gaben (Mt 2515 1 2 und 5 Pfunde) Petrus spricht des-wegen in Bezug auf den Gottesdienst davon dass wir bdquogute Verwalter der ver schiedenartigen Gnade Gottesldquo sein sollen (1Petr 410) In Roumlm 127ndash8 un-terstreicht Paulus an sieben konkreten Beispielen dass jeder bei dem blei-ben soll wozu Gott ihn befaumlhigt hat Der Lehrer soll lehren der Vorsteher soll eifrig vorstehen der Ermahnen-de soll ermah nen usw Ist das nicht selbstverstaumlnd lich Leider nicht Wie oft werden Menschen die nicht mit Geld umgehen koumlnnen Kassierer leh-ren Men schen Sonntag fuumlr Sonn tag auf der Kanzel die keine Lehrgabe besitzen und denen man deswegen nur muumlh sam zuhoumlren kann und wollen solche die gut organisieren (sbquovorstehenlsquo) koumlnnen dies nicht sbquoin Einfaltlsquo tun sondern ihre Autoritaumlt auch auf anderen Gebieten beweisen

Die Bedeutung der Geistesgaben (6 Thesen)

Die vier wichtigsten Texte uumlber die Gna den- bzw Geistesga ben im Neu-en Testament sind Eph 41ndash16 1Petr 410ndash11 Roumlm 123ndash8 und 1Kor 121ndash133 141ndash33 Texte uumlber Geistesgaben zum besseren Einprauml gen Eph 4 Roumlm 12 1Petr 4 1Kor 12ndash14

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 77 8 6 uuml

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden

In 1Kor 121 schreibt Paulus bdquoWas aber die geistlichen Gaben betrifft Ge-schwister will ich nicht dass ihr ohne Kenntnis seidldquo Sechs Kernaussagen sollen uns deswegen in die wich tige Thematik der Geistesgaben einfuumlh ren

1 These Nicht nur die Gaben sonshydern auch die Auf gaben und die Auswirkungen unseres Dienstes sind sehr unterschied lichIn 1Kor 123ndash6 stellt Paulus die Gna-dengaben in den groumlszligeren Zusam-menhang unseres Dienstes fuumlr Gott bdquoEs gibt aber Verschiedenheiten der Gnadengaben aber es ist derselbe Geist und es gibt Verschiedenheiten der Dienste und es ist derselbe Herr und es gibt Ver schiedenheiten der Wir-kungen aber es ist derselbe Gott der alles in allen wirktldquo Paulus stellt damit je dem Bereich die Person der Dreiei-nigkeit gegenuumlber die in besonde rer Weise dafuumlr zustaumlndig ist Wir koumln-nen uns 1Kor 123ndash6 fol gendermaszligen veranschau lichen

Die Dreieinigkeit und die Gaben in 1Kor 123ndash6

bdquoverschiedene Gnadengabenldquo bdquoein Geistldquo bdquoverschiedene Diensteldquo bdquoein Herrldquobdquoverschiedene Wirkungenldquo bdquoein Gottldquo

Der Heilige Geist schenkt die Geistes-gaben also die Voraussetzungen fuumlr den Dienst Jesus Christus ist das Vor-bild fuumlr den Dienst schlechthin und

Gott der Vater ist der der alles wirkt und damit auch uumlber die Auswirkun-gen des Dienstes entscheidet Wir koumln-nen das Schema von 1Kor 123ndash6 also mit eigenen Worten folgen dermaszligen wie dergeben

Die Dreieinigkeit und die Gaben in 1Kor 123ndash6

verschiedene Voraussetzungen zum Dienst

Heiliger Geist

verschiedene Dienste

Jesus der Herr

verschiedene Ausshywirkungen des Dienstes

Gott der Vater

Einmal angenommen zwei Christen haumltten zwei voumlllig gleiche Geistesga-ben dann hieszlige das noch lange nicht dass sie dieselbe Aufgabe also densel-ben Dienst haumltten Und angenommen zwei Christen haumltten zwei voumlllig gleiche Gaben und zwei voumlllig gleiche Diens-te koumlnnten sich die Ergebnisse dieser Dienste doch immer noch stark un-terscheiden Wenn also zwei Evange-listen theoretisch zur gleichen Zeit am gleichen Ort evangelisieren koumlnnten koumlnnte es immer noch sein dass der eine eine Erweckung ausloumlst waumlh rend der andere dem Herrn fuumlr ein einziges seelsor gerliches Gespraumlch als Er gebnis seiner Anspra che dankt

In diesem Zusammenhang ist auch wichtig dass dieselbe Gabe in unter-schiedlichem Maszlige verliehen werden kann Paulus bezeichnet in Roumlm 123 wie in Eph 47+16 die Gnadengaben mit dem Begriff bdquoMaszligldquo (= bdquoZuge-messenesldquo) naumlmlich das bdquoMaszlig des Glaubensldquo (Roumlm 123) bzw in Eph 47 das bdquoMaszlig der Gabe des Christusldquo Die Gabe des Evangelisten oder Leh-rers kann in unterschiedlichem Maszlige verliehen werden und wachsen was mit ein Grund dafuumlr ist weswegen der Einsatz derselben Gabe durch verschie-dene Christen ganz unter schiedlichen sbquoErfolglsquo hat

2 These Der Einsatz der Gnadengashyben ist selbstverstaumlndlicher Be standshyteil des Glaubenslebens da jeder Christ eine Gabe empfaumlngtbdquoSo wie jeder eine Gnadengabe emp-fangen hat so dient damit einander als gute Verwalter der verschiedenartigen Gnade Gottes Wenn jemand redet so als Ausspruumlche Gottes wenn jemand dient so aus der Kraft die Gott dar-reicht damit in allem Gott verherr-licht werde durch Jesus Christus dem die Herr lichkeit ist und die Macht in alle Ewigkeit Amenldquo (1Petr 410ndash11) Petrus fasst wieder einmal knapp zu-sammen was Paulus ausfuumlhr lich und teilweise schwerer ver staumlndlich behan-delt (vgl die Aussage von Petrus uumlber Paulus in 2Petr 315ndash16) Petrus lehrt

bullthinspthinspdassthinsp jederthinsp Christthinsp einethinsp Gnadengabethinsphat

bullthinspthinspdassthinsperthinspdemthinspHerrnthinspbdquosoldquothinspundthinspnichtthinspan-ders dienen soll

bullthinspthinspdassthinsp derthinsp Christthinsp nurthinsp bdquoVerwalterldquothinsp derthinspGnade Gottes ist (Verwalter legen Rechenschaft ab und sind nicht die Herren der Gabe)

bullthinspthinspdassthinspdiethinspGabenthinspzumthinspDienstthinspamthinspande-ren gedacht sind

bullthinspthinspdassthinsp diethinsp Gabenthinsp zurthinsp VerherrlichungthinspGottes nicht zur Selbstverherrli-chung gedacht sind

3 These Die Listen der Geistesgashyben im Neuen Testament sind nicht vollstaumlndig sondern nennen nur Beispiele Deswegen kann es durchshyaus Gaben geben die im Neuen Tesshytament nicht genannt werdenDa jede Gabenliste im Neuen Tes-tament nur eine Auswahl der Gaben darbietet und sich viele der genannten Gaben uumlberschneiden will keine eine vollstaumlndige Liste aller moumlglichen Ga-ben vorlegen sondern nur Beispiele nennen Auch wenn einige Gaben (z B sbquoLehrerlsquo und sbquoPro phetlsquo und die an-deren in Eph 411 genannten Gaben) sehr haumlufig genannt und offensichtlich immer benoumltigt werden gibt es keine Gabe die immer genannt wird Des-wegen ist es meines Erachtens berech-tigt auch solche Gaben festzustellen die namentlich nicht im Neuen Testa-ment genannt werden (z B die Gabe

8 7 8 6 uuml

der Gast freundschaft oder die Gabe des Troumlstens) Einige dieser nicht ge-nannten Gaben kommen uumlbrigens in der Bibel in der Praxis in anderen Zusammenhaumlngen oder im Alten Tes-tament vor etwa die Gabe Lieder zu dichten (z B Da vid) oder Sprichwor-te zu verfassen (z B Sa lomo) oder die Gabe der kuumlnstlerischen Gestaltung und der Schnitzkunst fuumlr das Haus des Herrn (2Mose 311ndash6 3530ndash35)

Die in den neutestamentlichen Listen erwaumlhn ten Geistesgaben

1Petr 411 Reden und Dienen [allge-meine Eintei lung]Eph 411 Apostel Propheten Evange-listen Hirten und LehrerRoumlm 126ndash8 Prophezeiender Dienen-der Lehrer Ermahnender Gebender Vorstehender Barmherzigkeit Uumlbender 1Kor 128ndash10 Wort der Weisheit Wort der Erkenntnis Glaube Heilun-gen Wunderwirkungen Prophetie Geistesunterscheidung Sprachenrede Uumlbersetzung der Spra chenrede1Kor 1228ndash30 Apostel Propheten Wundertaumlter Lehrer Heilungen Hil-feleistungen Leitung verschiedene Ar-ten der Sprachen rede Uumlbersetzung der Sprachenrede1Kor 131ndash3 Zungenrede Prophetie Geheimnisse und Erkenntnisse wissen Glauben Speise geben Marty rium

1Kor 1426 Psalm Lehre Sprachen-rede Offenbarung Uumlbersetzung der SprachenredeZusaumltzlich gibt es in der Praxis groszlige Unterschiede zwischen Christen die dieselbe Gabe haben also etwa zwi-schen den einzelnen sbquoEvangelistenlsquo Ei-nige Evangelisten sind fuumlr das persoumlnli-che Gespraumlch begabt andere fuumlr einen Vortrag vor groszligen Mengen wieder andere als Buchautoren Ich erinnere mich wie Billy Graham erzaumlhlte wie schwer es ihm fiele einzelne Menschen auf das Evangelium hin anzusprechen Deswegen genuumlgt es nicht sich einfach einer der im Neuen Testament genann-ten Gaben zuzuordnen Entscheidend ist die tatsaumlchliche Begabung wie sie sich in der Praxis des Glaubens und der Gemeinde erweist

4 These Jeder Gabe die nicht jeder ausuumlben soll und darf entspricht eine allgemeine Aufforderung an alle ChristenDie Gaben heben also nur aus dem Bereich der das Glaubensleben aller Christen ausmachen soll einzelne Be-reiche und Auf gaben besonders herausAlle sollen dieneneinige haben die Gabe des Dienstesalle sollen glaubeneinige haben die Gabe des Glaubensalle sollen barmherzig seineinige haben die Gabe der Barmher-zigkeit

alle sollen sich gegenseitig ermahneneinige haben die Gabe der Ermahnungalle duumlrfen um Heilung beteneinige haben die Gabe der Heilungalle sollen das Evangelium weitergebeneinige haben die Gabe des Evangelistenalle sollen Rechenschaft von ihrem Glauben ablegeneinige haben die Gabe der Lehrealle sollen Gott anbeteneinige haben die Gabe der Sprachen-redealle sollen die Geister unterscheideneinige haben die Gabe der Geistesun-terscheidung

5 These Deswegen bedeutet der Besitz einer Gabe nicht dass man etwas als einziger tun soll oder als einzi ger tun kann sondern dass man von Gott zu einer bestimmten Aufshygabe be sonders bevollmaumlchtigt istDiese Bevollmaumlchtigung zu erkennen ist die wesentliche Frage wenn man seine eigene Gabe oder die anderer erkennen und verstehen will Die Bevollmaumlchti gung kommt meines Er-achtens darin zum AusdruckbullthinspthinspdassthinspmanthinspanthinspeinerthinspAufgabethinspbesonderethinsp

Freude hat (ja Christsein darf auch einmal etwas sbquoSpaszliglsquo machen)

bullthinspthinspdassthinsp manthinsp dieserthinsp Aufgabethinsp wiethinsp vonthinspselbst nachgeht

bullthinspthinspdassthinsp manthinsp einethinsp Aufgabethinsp besondersthinspgut macht wobei jedoch sbquogutlsquo an der

Wirkung auf an dere bemessen wer-den muss

bullthinspthinspdassthinspmanthinspbeimthinspEinsetzenthinspdieserthinspGabethinspsbquoNutzenlsquo her vorbringt Gott also den Dienst segnet

Einige praktische Beispiele moumlgen dies erlaumlutern Ich bin gerne gastfreundlich Doch meine Gastfreundlichkeit ge-schieht so sbquogeraumluschvolllsquo dass es jeder bemerkt Wie gerne halte ich jedoch schwierige Besprechungen bei Christen ab die die Gabe der Gastfreundschaft haben Sie schaffen durch ihre Gast-freundschaft eine warme friedliche At-mosphaumlre wobei man ihre Gegenwart fast gar nicht wahrnimmt und schon gar nicht als stoumlrend empfindet

Wer die Gabe des Lehrens hat wird dies unter anderem daran merken dass er wie von selbst Stunden damit zubringt bestimmte Fragen anhand der Bibel zu beantworten oder Grund-satzfragen mit anderen zu diskutieren und dass wenn er seine sbquoLouml sungenlsquo vortraumlgt andere ploumltzlich feststellen dass sie endlich den Zusammenhang der Bibel erfasst haben denn bdquodie An-mut der Spra che foumlrdert das Lehrenldquo (Spr 1621) Hier macht die intensive Arbeit Freude und fuumlhrt zu dem sbquoEr-folglsquo dass Menschen die Bibel nicht nur verstehen sondern auch ausleben Wer da gegen keine Freude am intensi-ven Bibelstudium hat Menschen nur sbquoanpredigtlsquo und nie erlebt dass Men-schen sbquoverstehenlsquo und ihr Leben dar-

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 97 8 6 uuml

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden Werbung

aufhin entsprechend aumlndern duumlrfte wohl kaum die Gabe der Lehre haben und uumlber kurz oder lang zum reinen Theoretiker werden oder frustriert die bibli sche Lehre fuumlr nicht praktikabel halten

Wer sich immer zu seinen Diensten zwingen muss wer nie sbquoFruchtlsquo sieht wer sich im Dienst unerfuumlllt sieht oder sogar neidisch wird sollte sich nicht nur fragen ob ihm die Frucht des Geis-tes fehlt sondern auch ob er wirklich seine Gabe im Einsatz hat deren richti-ger Gebrauch zur Zufriedenheit uumlber die Herrschaft Gottes auch in der Zu-teilung der Gaben fuumlhrt

6 These Die Verschiedenartigkeit der Gaben bedroht die Einheit der Gemeinde sobald die Frucht des Geistes nicht die Ausuumlbung der Gashyben des Geistes bestimmtGott macht uns zu bdquoVerwalternldquo (1Petr 410) seiner Gaben und nimmt sie uns gnaumldigerweise nicht sofort weg wenn wir hochmuumltig eigensinnig oder lieb-los sind Die Gaben sind auch gerade deswegen sbquoGnadengabenlsquo weil Gott sie uns nicht sofort wegnimmt wenn wir sie missbrauchen oder wenn wir in Suumlnde leben

Daraus folgt aber auch dass der Be-sitz und der Einsatz von Gei stesgaben keine Garantie fuumlr ein geistliches Leben sind Der geistli che Stand eines Chris-ten kann nicht an den Geistesgaben sondern nur an den Geistes fruumlchten

(Gal 522) abgelesen werden Das ist das Thema von 1Kor 13 Paulus will dass die Korinther um die Geistesga-ben eifern (1Kor 1231 141) aber in der Liebe (1Kor 131ndash13) zeigt er ihnen bdquoeinen Weg noch weit daruumlber hinausldquo (1Kor 1231b vgl 141) also direkt vor und nach dem Kapitel uumlber die Liebe in 1Kor 13 Deswegen ermahnen Pau-lus und Petrus in allen Texten uumlber die Gei stesgaben zur Einheit zur Liebe aber auch dazu nicht so zu leben wie die Welt

Vergleich des Textzusammenhangs der wichtigsten Texte zu den GeisshytesgabenErmahnung zur LiebeRoumlm 129ndash21 Eph 41ndash3+15-16 1Petr 48ndash9 1Kor 12ndash14 131ndash141GnadengabenRoumlm 123ndash8 Eph 48+11 1Petr 410ndash11 1Kor 121ndash133Nicht wie die Welt lebenRoumlm 121ndash2 Eph 41+17ndash24 1Petr 4(7) 1Kor 121ndash3Einheit im LeibRoumlm 124ndash5 Eph 43ndash6+12ndash16 1Petr 4(8) 1Kor 1212ndash31 141ndash33

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

ist Rektor des Martin Bucer Seminars und lehrt dort Ethik und Missions- und Religionswissenschaften Er ist auszliger-dem Professor fuumlr Religionssoziologie an der Staatlichen Universitaumlt Ora-dea Rumaumlnien und hat einen Lehr-stuhl fuumlr Internationale Entwicklung an der ACTS University in Bangalore Indien

1 Vgl bdquoSchluss mit der gabenvernichtenden Pas-torenfalleldquo In Klaus Eickhoff Harmlos Kraft-los Ziellos Die Krise der Predigt ndash und wie wir sie uumlberwinden Witten Brockhaus 2009 S 267ndash276 insgesamt S 267ndash324 bes S 300ndash313 zu gabenspezifische Predigten mit fuumlnf Schwer-punkten nach Eph 4 12 apostolisch prophetisch evangelistisch seelsorgerlich lehrhaft2 Geglaumlttete und aktualisierte Fassung aus Thomas Schirrmacher Der Roumlmerbrief VTR 2001

Institut fuumlr Lebens- undFamilienwissenschaften

wwwbucereuilfwhtml

Anmerkungen

10 7 8 6 uuml

Evangelisation und Calvinismus

Prof Dr Clair Davis

Welche ist die beste Theologie fuumlr die Evangelisation Da der Missionsbefehl im Zentrum dessen steht was ein glaumlu-biger Christ tut muss die bdquobeste Theo-logie der Evangelisationldquo die richtige Theologie sein die einzig gute Theolo-gie Koumlnnte der Calvinismus die richtige Antwort sein Dieser glaubt die Bibel sage dass wir ohne Christus tief im In-neren Suumlnder seien und nichts mit Gott zu tun haben wollen Ebenso glaubt er dass jemand ausschlieszliglich durch den Heiligen Geist zu Christus gelangen koumlnne da es uns unmoumlglich sei irgend-etwas selber zu unserer Rettung beizu-steuern Wie koumlnnte dies im Rahmen der Evangelisation funktionieren Was koumlnnten Glaumlubige tun auszliger am Rand zu stehen und abzuwarten ob etwas pas-siert oder nicht Wie koumlnnen sie anders als gleichguumlltig sein da es nichts mit ihnen und Gottes Berufung fuumlr sie zu

tun hat Wenn sich alles darum dreht was Gott tut koumlnnte der Missionsbefehl nur eine Floskel sein

Koumlnnte man die Lage auch anders be-trachten Man koumlnnte doch sagen dass im Herzen eines Suumlnders immer noch etwas Goumlttliches ist das lebendig und gut erhalten ist etwas das willens und faumlhig ist gute Entscheidungen zu tref-fen Es kann ja auch gar nicht anders sein denn wie sonst koumlnnte sich irgend-jemand fuumlr Christus entscheiden Diese Denkweise der Pelagianismus hat viele attraktive Aspekte Pelagius kam vom ernsthaften und intensiv betenden kelti-schen Norden Groszligbritanniens und war erstaunt uumlber den faulen und nachlaumlssig gefuumlhrten christlichen Glauben den er in Italien kennenlernte Daher rief er die Menschen dazu auf ernsthaft und re-chenschaftspflichtig mit ihrem Glauben umzugehen Ergibt das keinen Sinn

Dennoch Verwirrung kommt auf so-bald das Wort bdquoUnfaumlhigkeitldquo auch fuumlr Christen als Ausrede fuumlr ihre Suumlndhaf-tigkeit verwendet wird Doch das kann nicht stimmen denn Glaumlubige haben die Kraft des auferstandenen Christus in ihren Herzen die ihnen vom Heili-gen Geist gegeben wurde das groszligarti-ge Geschenk das weiterhin ausgegeben wird Wenn man mit Christus vereint ist ist man faumlhig bdquodie Welt das Fleisch und den Teufelldquo (dieses Zitat stammt aus dem Book of Common Prayer der Anglikanischen Kirche) zu bekaumlmp-fen und zu besiegen denn Jesus ist der bdquovon der dunklen Staumltte auferstandene Siegerldquo (Vers eines amerikanischen Kir-chenliedes) Der Teufel ist immer noch am Leben aber besiegt und das Leben ist weiterhin voller Versuchungen ndash und Niederlagen Wenn man diese Nieder-lagen als gegeben hinnimmt und sich

an sie gewoumlhnt wird ein aumluszligerst faules Christentum entstehen Pelagius hat-te vollkommen recht uumlber einen solch bdquochristlichenldquo Unglauben geschockt zu sein

Augustinuslsquo Geschichte war eine an-dere Er war ein radikaler Nicht-Glaumlu-biger und er wusste alles daruumlber Er wusste deswegen alles uumlber konsequente Gottlosigkeit da er selber so gut darin war ndash auf viele raffinierten Arten Da-rum war es einfacher fuumlr ihn zu sehen was die Bibel uumlber Gottes Gnade sagt nur Gott konnte sein verdrehtes die Wahrheit negierendes Herz aumlndern

Hilft das nicht die Probleme zu er-kennen Wenn es um das Leben als Christ geht ist es vollkommen richtig dass man aufhoumlren muss die Schuld von sich zu weisen und anfangen muss Verantwortung zu uumlbernehmen ndash ob-wohl ein Groszligteil dieser Verantwortung

glauben amp denken heute 22012 117 8 6 uuml

Evangelisation und Calvinismus

darin besteht Gott anzurufen bdquoZeige mir meine Suumlnde Vergib mir meinen selbstgenuumlgsamen Stolz Zeige mir wie groszlig Jesus istldquo Der Geist veraumlndert un-ser Herz aber wir sind verantwortlich und rechenschaftspflichtig Das Leben ist ein Kampf voller Danksagungen Dies koumlnnte besser verstanden werden und dem wird so sein wenn Jesus wie-derkehrt

Doch wenn man dieses bdquoLeben eines Glaumlubigenldquo auf das Leben eines rebelli-schen Schuld von sich weisenden Un-glaumlubigen abfaumlrben laumlsst der Jesus mei-den will dann entsteht Verwirrung da dieser anders ist Er ist ohne Gott und ohne Hoffnung weil er so sein moumlch-te Um zu Jesus kommen zu koumlnnen muumlsste er zugeben dass er Jesus braucht ndash doch warum sollte er das zugeben Er ist selbstsicher er ist sich selbst genug und ein viel besserer Mensch als alle an-deren die er kennt

Wie koumlnnte sich das aumlndern Was koumlnnen wir tun um das zu aumlndern Was sollten wir sagen Das jedenfalls weiszlig ich Was auch immer wir solch einem Menschen sagen zuerst sollten wir un-seren Herrn bitten bdquoVater sende Deinen Geist um sein Herz zu erweichen um ihm seine Beduumlrftigkeit zu zeigen Lehre mich Vater nicht selbstgerecht zu sein sondern ein sbquoBettler [zu sein] der einem anderen Bettler mitteilt wo es Brot gibtlsquo (Zitat des Bischofs D T Niles) Hilf mir zuzuhoumlren Vaterldquo

Von Jay und Holly Eastman lerne ich seit einiger Zeit wie man zuhoumlrt Sie sind Missionare in Ostberlin und ha-ben dort 10 Jahre zugehoumlrt und nun gibt Gott die Ernte Wenn jemand nicht zuhoumlrt koumlnnte es sein dass er denkt er vertrete Gott der immer mit Voll-macht redet Das ist der Grund weswe-gen wir alle die Evangelien wieder lesen und sehen muumlssen wie Jesus zu Suumln-dern spricht Er warnt sie vor Stolz und Selbstgerechtigkeit und sagt ihnen dass er nicht gekommen ist die bdquoGerechtenldquo wie sie es sind zu retten sondern Suumln-der Er fragt die Frau am Brunnen nach Wasser wohl wissend dass sie dort zu einer ungewoumlhnlichen Zeit ist da sie von rechtschaffenen Leuten abgewiesen wurde Er tadelt Stolz und honoriert Demut und Beduumlrftigkeit In einem Evangelium sagt er bdquoSelig sind die da geistlich arm sindldquo in einem anderen nur bdquoSelig seid ihr Armenldquo Ich versu-che zu verstehen was das bedeutet Ich denke das ist das Wichtigste was wir lernen muumlssen

Wie koumlnnen wir zuhoumlren Wie koumlnnen wir Armut erkennen die offenkundige Armut und die andere Art von Armut Wie wuumlrden wir sie bei uns erkennen Setzen wir unser Vertrauen in Christus oder in uns selber ndash mit einer Jesus-Fassade Ich denke das stand immer im Zentrum der Erweckungsbewegung und wie koumlnnte es wahre Evangelisation geben ohne Erweckung

Ich ermutige Sie die zentralen Stellen von Jonathan Edwardslsquo bdquoTreatise on Religious Affectionsldquo (dt etwa bdquoAb-handlung uumlber glaumlubige Zuneigungldquo) zu lesen und uumlber sie zu beten Das hilft so sehr uns zu zeigen wo unser Herz wirklich steht Danach schauen Sie sich eine predigtartige Version dessel-ben Themas von George Whitefield an (siehe dazu URL httpwwwccelorgcceledwardsaffectionsviviiihtml und httpwwwccelorgccelwhitefieldser-monsxxvhtml)

Ich denke das ist die Antwort Wie kann man zuhoumlren wie kann man ein beduumlrftiges Herz zu Jesus fuumlhren wenn man es nicht selber regelmaumlszligig tut

Zuruumlck zum Calvinismus Ist dies nicht genau das was er im Innersten ist Er ist definitiv nicht akademische Arro-ganz die uns selber immer wieder ver-gewissert wie viel besser wir die Bibel lesen als all die bdquoUnreinenldquo Viel mehr ist er eine Einstellung des Herzens die Jesus in all seiner Herrlichkeit sieht staunend dass er uns liebt die Unreins-ten von allen die so viel verstehen und so wenig darauf reagieren Wenn wir uns Jesus und seiner Liebe und unserer eigenen Unliebenswuumlrdigkeit bewusst sind dann koumlnnen wir zuhoumlren Dann koumlnnen wir mit Guumlte und Demut die Liebe zu Gott teilen Dann werden wir gelernt haben dass es nicht darum geht wie erpicht wir darauf sind Jesus zu lie-ben und ihn bei uns zu haben sondern

vielmehr werden wir erkennen dass wir ein Haufen von fruumlhen bdquoAugustinu-senldquo sind erfinderisch in unserem Un-glauben und unserer Uumlberheblichkeit Demut gegenuumlber den Evangelien und der Calvinismus ndash das ist ein und die-selbe Sache Sie sind so uumlberwaumlltigend dieselbe Sache dass wir nur in dieser dunklen Welt das Wort bdquoCalvinismusldquo verwenden muumlssen um einfach sagen zu koumlnnen bdquoAmazing grace How sweet the soundldquo ndash bdquoErstaunliche Gnade wie suumlszlig ist der Klangldquo

Prof Dr Clair Davis

spielte bei Gruumlndung und Aufbau des Martin Bucer Seminars eine wichti-ge Rolle als Berater Mittler und Be-fuumlrworter Dazu hielt er auch etliche Gastvorlesungen in Deutschland In diesem Zusammenhang wurde sein Buch bdquoWenn der Glaube Gestalt ge-winnt Beitraumlge zur Praxis des Chris-tenlebensldquo (Bonn VKW 2004 112 Seiten Pb ISBN 978-3-932829-90-1 830 Euro) uumlbersetzt (erhaumlltlich hier httpwwwgenialebuecherdewenn-der-glaube-gestalt-gewinnthtml) Die Uumlbersetzung dieses Arti-kels stammt von Kathrin Bentley

12 7 8 6 uuml

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

Prof Dr Stephen J Wellum

Warum das Leben und Denken von Francis Schaeffer studieren1

Diese Frage kann auf zwei Arten gestellt werden Erstens Warum studieren wir uberhaupt eine historische Figur Und zweitens Warum reflektieren wir im Besonderen uber das Leben und Den-ken von Francis Schaeffer Was macht letzten Endes gerade ihn im Vergleich zu anderen so wichtig Die schlichte Antwort auf die erste Frage ist dass wir durch christliche Maumlnner und Frauen die uns vorangegangen sind lernen und herausgefordert werden Es ist uberaus klar dass in der Schrift Men-schen die uns als Vorbild dienen sei es positiv oder auch negativ ein Thema sind Paulus ermuntert Timotheus sei-nem Vorbild zu folgen wie er Christus

folgt (vgl 2Tim 310ndash13) Hebraumler 11 beschreibt uns die bdquoRuhmeshalleldquo des Glaubens um uns zu ermutigen in der Hingabe an den Herrn und im Dienst fur ihn fortzuschreiten Wenn wir das Leben gottesfurchtiger Maumlnner und Frauen untersuchen und zwar sowohl ihre Staumlrken als auch ihre Schwaumlchen dann lernen wir wie wir dem Herrn heute besser dienen koumlnnen Und oft werden wir dabei von auszligergewoumlhnli-chen Mitstreitern die danach strebten in ihrem Leben dem Herrn von ganzem Herzen zu dienen aus unserer geistli-chen Lethargie geweckt Auszligerdem ist es wichtig historische Gestalten unserer Zeit ebenso wie solche aus der ferneren Vergangenheit zu studieren Warum Aus dem einfachen Grund dass Men-schen unserer Zeit uns dabei helfen auf die speziellen Probleme und Her-ausforderungen unserer Tage und nicht

einfach auf die Probleme einer fruheren Aumlra angemessen zu reagieren In diesem Sinne besteht eine Parallele zum Betrei-ben von Theologie Denn genauso wie staumlndig Theologie geschrieben werden muss um das unwandelbare Wort auf eine sich wandelnde Welt anzuwenden so mussen wir Zeitgenossen studieren die uns helfen koumlnnen treu und kom-promisslos auf die Herausforderungen zu reagieren mit denen die Kirche ge-genwaumlrtig konfrontiert ist

Warum aber sollten wir gerade Fran-cis Schaeffer studieren Die Antwort auf diese zweite Frage ist dass es wahr-scheinlich keine Gestalt gibt die die evangelikale Bewegung in der zweiten Haumllfte des zwanzigsten Jahrhunderts staumlrker bewegt und beeinflusst hat als Francis Schaeffer Michael Hamilton kommentiert den Einfluss von Francis Schaeffer auf die evangelikale Bewe-

gung und sagt dabei Folgendes uber sein Leben und sein Werk

Als Francis Schaeffer im Jahr 1965 erst-mals auf der amerikanischen Buhne erschien wussten Evangelikale kaum was sie mit ihm anfangen sollten Sein christlicher Glaube war im Feuerofen der Kontroverse zwischen Fundamentalisten und Modernisten in den 1930er Jahren geformt worden und er war ein eingetra-genes Mitglied der absolut fundamenta-listischen Bible Presbyterian Church Er verteidigte leidenschaftlich die Idee der Irrtumslosigkeit der Schrift eine Lehre die in evangelikalen Kreisen schon etwas ins Rutschen geraten war Dennoch war er kein gewoumlhnlicher fundamentalisti-scher Prediger Er und seine Frau Edith lebten seit 10 Jahren in einer Studenten-gemeinschaft die sie in den Schweizer Alpen begonnen hatten Wenn er Vorle-sungen hielt trug er alpine Wanderklei-

Zum 100

Geburtstag von

Francis Schaeffer

glauben amp denken heute 22012 137 8 6 uuml

dung ndash Kniebundhosen Kniestrumpfe Wanderschuhe 1972 hatte er zu seiner schon vorher eigentumlichen Erschei-nung auch noch langes Haar und einen weiszligen buscheligen Ziegenbart am Kinn Das Sonderbarste war dass er selten die Bibel zitierte Er war eher geneigt uber die philosophische Bedeutung von Henry Miller zu reden (der damals als der por-nographischste Schriftsteller in der ame-rikanischen Literatur betrachtet wurde)

Waumlhrend der naumlchsten zwei Jahrzehnte organisierte das Ehepaar Schaeffer einen vielseitigen Dienst der den amerika-nischen Evangelikalismus neu formte Wahrscheinlich hat abgesehen von C S Lewis und Billy Graham kein Intellek-tueller das Denken der Evangelikalen tiefer gepraumlgt Zusammen brachten die Schaeffers die Idee des bewussten Lebens in christlicher Gemeinschaft in Umlauf Sie stieszligen die Evangelikalen aus ihrem kulturellen Ghetto inspirierten ein Heer Evangelikaler ernsthafte Wissenschaftler zu werden ermutigten Frauen ihre Rol-len als Mutter und Hausfrau anzuneh-men waren Mentoren fuhrender Koumlpfe der Neuen Christlichen Rechten und verliehen einer populaumlren evangelikalen Opposition gegen Abtreibung Stabilitaumlt2

Auf aumlhnliche Art und Weise fasst Ha-rold O J Brown die Wirkung und den Einfluss Francis Schaeffers zusammen indem er feststellt

Es gibt keinen anderen christlichen Denker unserer Zeit der so viele grund-

legende intellektuelle philosophische und theologische Fragen in Angriff ge-nommen hat wie Schaeffer es tat Er tat das jedoch nicht im Bemuhen eine um-fassende Philosophie der Geschichte zu konstruieren wie etwa Oswald Speng-ler (bdquoDer Untergang des Abendlandesldquo) oder Arnold Toynbee (bdquoDer Gang der Weltgeschichteldquo)

Selbst seine Spezialthemen behandelte Schaeffer nicht als theoretische Prob-leme die in ein umfassendes Weltbild zu passen hatten sondern als Fragen die jeder Mensch individuell beant-worten muss um Sinn fur sein Leben zu finden Es gibt nicht viele christliche Denker die sich mit so vielen groszligen Themen der Theologie und der Philo-sophie beschaumlftigt haben wie Schaeffer und niemand anders hat so sehr ihre Be-deutung fur uns aufgedeckt Schaeffer behandelte sie als entscheidend fur das Verstehen unseres eigenen Lebens und seiner Bedeutung und nicht nur als Abs-traktionen die einem Seminar fur Fort-geschrittene vorbehalten sind Schaeffer wollte und das war fur einen tiefen Denker ungewoumlhnlich einfache Leute mit den groszligen Fragen der Philosophie und Theologie und den entsprechenden Konsequenzen vertraut machen3

Zusaumltzlich koumlnnen wir unsere For-schung uber Francis Schaeffer noch staumlrker dadurch rechtfertigen dass wir seine Bedeutung und seinen Einfluss in drei wichtigen Bereichen feststellen

dem persoumlnlichen dem theologischen und dem sozialen Bereich4 Was den persoumlnlichen Bereich betrifft so erfolgte der Einfluss Schaeffers anfaumlnglich nicht durch akademische bildende Institutio-nen und auch nicht durch das Verlags-wesen Seinen groumlszligten Einfluss erlangte er durch den persoumlnlichen Kontakt mit Einzelnen die er kennenlernte und de-ren Leben er veraumlnderte Man kann also sagen dass sein Einfluss nicht darauf be-ruhte dass er zum evangelikalen Estab-lishment gehoumlrte sondern im Gegenteil vielmehr darauf dass er von diesem un-abhaumlngig war Fur Schaeffer waren per-soumlnliche Evangelisation und Jungerschaft keine Klischees

Durch sein Leben und seinen Dienst im Schweizer LrsquoAbri weit entfernt von Amerika beruhrten er und seine Frau Edith das Leben von zahllosen einzelnen Menschen Von ihnen sollten viele spaumlter evangelikale Leiter in Schlusselpositionen werden Fur diejenigen von uns die da-nach streben Maumlnner und Frauen fur das Evangelium zu gewinnen waumlre es sicher-lich weise aus dem Leben eines solchen Mannes Lehren zu ziehen und neu die Bedeutung des persoumlnlichen Kontaktes in unseren Begegnungen mit Menschen zu entdecken5 Aus einem theologischen Blickwinkel erkennen wir Schaeffers Bedeutung daran dass er maszliggeblich daran beteiligt war gerade die Evange-likalen aufzurufen zentrale Wahrheiten ernstzunehmen Bei ihnen bestand die

Tendenz diese Wahrheiten weniger zu betonen oder sogar zu verleugnen An-gesichts einer zunehmenden Neigung zu einem umfassenden Pluralismus und einer Verleugnung der Wahrheit in der akademischen Theologie in der Kirche und in der allgemeinen Kultur forderte Schaeffer die evangelikale Bewegung be-sonders dazu heraus ihre Hingabe an das Konzept der Wahrheit ndash oder wie er es nannte bdquowahre Wahrheitldquo ndash neu geltend zu machen Deshalb trat er im wahrsten Sinne des Wortes bis zu seinem Sterbe-bett eindeutig fur die volle Autoritaumlt und Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift ein Zu der Frage nach der bdquowahren Wahr-heitldquo gehoumlrten fur ihn auch solche ent-scheidenden Themen wie die Historizitaumlt von 1Mo 1ndash11 die Lehre von der Schoumlp-fung die zentrale Bedeutung der Lehre von Gott und die Ausschlieszliglichkeit von Jesus Christus als dem Weg der Wahr-heit und dem Leben6

Auch die Tatsache dass er sich gegen die Theologie der Neoorthodoxie7 wand-te die einige Evangelikale anzunehmen begonnen hatten hat etwas damit zu tun Er glaubte dass sie die Wahrheit und Wahrhaftigkeit des Evangeliums unterhoumlhlen wurde Heute mussen wir wahrscheinlich mehr als je zuvor die theologischen Herausforderungen durchdenken die uns Schaeffer hinter-lassen hat Hatte er Recht Falls ja gibt es Dinge die wir bei unserem Versuch fur die Wahrheit des Evangeliums einzuste-

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

14 7 8 6 uuml

hen heute von ihm lernen koumlnnen Auch fur unsere Uumlberlegungen im sozialen Be-reich ist Schaeffer eine wichtige Gestalt Als in den 70er Jahren Evangelikale an der sozialen Front wenig unternahmen forderte er Millionen Evangelikale fast im Alleingang dazu auf eine aktive Rol-le bei der Gestaltung ihrer Gesellschaft und deren Werte zu ubernehmen Er gab ihnen dazu auch eine theologische Begrundung8 Wie Brown beobachtet bdquowar die Entscheidung des Obersten Ge-richtshofes der USA zum Fall Roe gegen Wade 1973 die Abtreibung auf Verlan-gen erlaubt fur Schaeffer eine Art Funke im Pulverfassldquo9 Seit langem hatte Schaef-fer die Leute darauf verwiesen dass das Weltbild des nachchristlichen Westens auf eine Entwertung des menschlichen Lebens zusteuerte Die Roe gegen Wade-Entscheidung war daher fur ihn ein ent-scheidender Ruf zum Handeln

1979 produzierte er zusammen mit C Everett Koop und Franky Schaeffer die Filmreihe bdquoWhatever Happened to the Human Raceldquo die dabei half schlaumlfrige Evangelikale zum Handeln zu mobilisie-ren und sie dazu herauszufordern sich auf der politischen Buhne zu engagieren Es ist keine Uumlbertreibung zu sagen dass das Aufkommen von Schwangerschafts-konfliktberatungszentren die Entste-hung des Rates fur christliches Handeln (Christian Action Council) und der Moralischen Mehrheit (Moral Majori-ty) direkt mit dem Einfluss von Francis

Schaeffer in Verbindung stehen Doch was waren seine Grunde fur soziales Handeln Waren sie zulaumlssig Und was koumlnnen wir von ihm bei dem Versuch lernen heute unserem Herrn gehorsam zu sein Es gibt aber noch einen letzten Grund warum wir das Leben und Den-ken Francis Schaeffers studieren sollten

Die uneinheitlichen Reaktionen evan-gelikaler Gelehrter auf ihn oumlffnen ein Fenster durch das wir die zunehmend gespaltene evangelikale Bewegung se-hen koumlnnen Lane Dennis kommentiert verschiedene Kritiker die Schaeffers Denken bdquoanmaszligenden Schwulstldquo bdquosim-plistischldquo bdquoVerkummerungldquo und bdquokindi-sche Verknupfung unbestaumltigter Urteileldquo benannt haben und merkt an dass bdquoman gewoumlhnlicherweise diese Art von Adjek-tiven in houmlflicher oder gelehrter Kon-versation nicht houmlrt offensichtlich hat Schaeffer einen blanken Nerv beruhrtldquo10 Interessanterweise stellt Dennis fest dass diese Art von Reaktion meist von Aka-demikern in evangelikalen Colleges zu kommen scheint und weniger von evan-gelikalen Gelehrten aus saumlkularen Schu-len11 Warum Warum diese negativen Reaktionen aus gewissen Bereichen der evangelikalen Bewegung besonders von Akademikern Einige beantworten diese Frage mit der Feststellung dass Schaeffer kein richtiger bdquoGelehrterldquo war und dass dies der Grund fur manche der negati-ven Reaktionen gewesen sei Aus einer Vielzahl von Grunden genugt diese Ant-

wort jedoch nicht12 Es scheint vielmehr dass Michael Hamilton auf dem richti-gen Weg ist wenn er argumentiert dass die verschiedenartigen Reaktionen auf Schaeffer negativ und positiv eine be-achtliche Spaltung innerhalb der evange-likalen Bewegung widerspiegeln Scha-effer vertritt in den Worten Hamiltons bdquodie rauere Kanteldquo der evangelikalen Be-wegung im Gegensatz zu Billy Graham und anderen die die bdquoweichere Kanteldquo vertreten Die bdquoweichere Kanteldquo ist der Teil der evangelikalen Bewegung der die bdquogemaumlszligigte Mitteldquo vertritt ndash eine Mitte die versucht Kontroversen zu entschaumlr-fen und jedem wohlgesonnen ist der zur Zusammenarbeit mit allen denen bereit zu sein scheint die ihn das Evangelium predigen lassen13

Auf der anderen Seite vertritt Schaeffer die Seite der evangelikalen Bewegung die bereit ist mit anderen fur gemeinsame soziale Anliegen eine Allianz einzugehen nicht aber wenn es um die Verkundigung des Evangeliums geht Diese Seite orien-tiert sich so sehr an der Frage nach der Wahrheit dass sie erkennt dass schein-bar bdquogeringfugigeldquo Verschiebungen der Lehre bedeutsam sind und sehr ernst ge-nommen werden mussen Es ist eine Sei-te die zu einer bdquoliebevollen Konfrontati-onldquo in Fragen von Wahrheit und Leben aufruft weil es sonst zu Kompromissen in Bezug auf das Evangelium komme Aber ich bin davon uberzeugt dass wir uns heute mit ihr identifizieren mussen

Heute ist die evangelikale Bewegung in vielen Fragen darunter auch in einigen wichtigen Lehrfragen gespalten So ist es in dieser Zeit weise uber das Leben und Denken Francis Schaeffers nachzu-denken einem Diener des Herrn der in seiner Generation fest einstand fur das Evangelium damit wir lernen koumlnnen wie wir dies in unserer Generation ver-mehrt tun koumlnnen14 Ich schlage vor dass wir das Leben und Denken Schaeffers in folgender Weise betrachten Zunaumlchst werden wir mit einer kurzen Chronolo-gie seines Lebens beginnen um uns zu erinnern Fur manche Leser mag dies eine erste Einfuhrung in sein Leben sein Umfeld und seinen Dienst sein

Zum Zweiten werden wir vier Lehren die wir aus Schaeffers Denken ziehen koumlnnen hervorheben und ausfuhrlicher betrachten Schlieszliglich werden wir uns mit zwei Lehren beschaumlftigen die wir aus seinem Leben und seinem Dienst ziehen koumlnnen

Eine kurze Chronologie des Lebens Francis Schaeffers15

Die fruhen Jahre

bull Francis Schaeffer wurde am 30 Januar 1912 in Germantown in Pennsylvania geboren Er war das einzige Kind sei-ner Eltern die zur Arbeiterklasse ge-houmlrten Seine Vorfahren stammten aus

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 157 8 6 uuml

Deutschland Schaeffers Eltern legten ein Lippenbekenntnis zum Christen-tum ab Er selbst betrachtete sich je-doch nicht als jemand der in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen ist

bull Aus eigenem Antrieb besuchte er eine liberale presbyterianische Kirche Nach seinem Bekenntnis fand er je-doch im liberalen Christentum kei-nerlei befriedigende Antworten auf die grundlegenden Fragen des Lebens Das fuhrte dazu dass er waumlhrend sei-ner High-School-Jahre zum Agnos-tiker wurde Waumlhrend seiner spaumlten Jahre auf der High School begann er philosophische Literatur zu lesen um Antworten auf die Lebensfragen zu finden Aus Neugierde las er auch die Bibel Nachdem er beginnend mit dem 1 Buch Mose sechs Monate lang die Bibel gelesen hatte wurde er im Jahr 1930 Christ Er war uberzeugt dass die Bibel wahr ist und dass sie die einzigen angemessenen Antworten auf die grundlegenden philosophischen Fragen des Lebens bietet

bull Nach seiner Bekehrung verlieszlig er die Berufsschule um sich in Abendkur-sen auf das College vorzubereiten Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er in der Schule schwache Leistungen gezeigt Jetzt verbesserten sich seine Noten merklich Gegen den Wunsch seines Vaters begann er 1931 am Hampden-Sydney College in Virginia zu stu-

dieren Er absolvierte 1935 mit der Note magna cum laude Er wurde zum bdquoherausragenden Christenldquo seiner Klasse gewaumlhlt

bull Der geschichtliche und theologi-sche Hintergrund dieser Zeit waren die Auseinandersetzungen zwischen Fundamentalisten und Modernis-ten In den fruhen 1930er Jahren war Schaeffers eigene Denomination die Northern Presbyterian Church so-wohl in den Ausbildungsstaumltten als auch in den Gemeinden dabei ausei-nanderzubrechen Interessanterweise sprach bei einer Gelegenheit im Jahr 1932 ein bezahlter junger Redner daruber warum die Bibel nicht Gottes Wort und Jesus nicht Gottes Sohn sei Waumlhrend der nachfolgenden Diskus-sionszeit erhob sich Schaeffer als jun-ger Christ um das historische Chris-tentum so gut er es konnte zu vertei-digen Zu seiner Uumlberraschung gab es nur eine weitere Person die aufstand und sehr deutlich von der Bibel her und unter Benutzung von Werken J Gresham Machens seine Position ver-teidigte Ihr Name war Edith Seville Am 26 Juli 1935 heirateten Francis und Edith

Jahre auf dem Seminar

bull Im Herbst 1935 trat Francis Schaef-fer in das Westminster Theological Seminary ein Westminster war 1929

von J Gresham Machen und anderen fuhrenden Presbyterianern gegrundet worden die versuchten eine konserva-tive Alternative zum theologischen Li-beralismus zu bieten Waumlhrend seiner Zeit in Westminster wurde Schaeffer stark durch die Werke von Machen Cornelius Van Til und Allan Mac-Rae vom Biblical Theological Semi-nary gepraumlgt Interessanterweise sah Schaeff er sich selbst als jemand der in den Fuszligstapfen des auf Denkvor-aussetzungen aufbauenden apologe-tischen Programms Van Tils geht In spaumlteren Jahren gab es leider einen Riss zwischen den beiden Maumlnnern besonders von Van Tils Seite

bull 1936 enthob die Northern Presbyte-rian Church Machen wegen seines konservativen Standpunktes des Am-tes Das fuhrte zu konservativen Ab-spaltungen von der Denomination von denen auch Schaeffer betroffen war Leider wurde aufgrund mancher Konflikte innerhalb der konservati-ven Gruppen in Westminster im Jahr 1937 ein neues Seminar gegrundet das Faith Theological Seminary in Wilmington in Delaware unter der Leitung von Allan MacRae Scha-effer zog um zum Faith Theological Seminary um dort seine Studien im Jahre 1938 abzuschlieszligen Schaeffer hat spaumlter im Ruckblick auf diese Zeit manche der Zaumlnkereien und internen Streitigkeiten zu denen es unter den

Konservativen kam bedauert Spaumlter hat er zur Notwendigkeit einer bdquolie-bevolle Konfrontationldquo aufgerufen die gleichzeitig fur Wahrheit und fur sichtbare Liebe eintritt

Jahre als Pastor

bull Von 1938ndash1948 war Schaeffer Pastor verschiedener presbyterianischer Ge-meinden in Grove City und Chester Pennsylvania und ebenso in St Louis Missouri Waumlhrend ihrer Zeit in St Louis begannen er und Edith eine Or-ganisation mit dem Namen bdquoChild-ren for Christldquo (Kinder fur Christus) ndash ein evangelistischer Dienst unter Kindern der sich schlieszliglich auch in anderen Kirchen und Denominatio-nen ausbreitete

bull Im Jahr 1947 wurde Schaeffer vom Unabhaumlngigen Ausschuss fur Pres-byterianische Mission und von der Abteilung fur Auszligenbeziehungen des Amerikanischen Rates Christlicher Kirchen ausgesandt um die geistli-chen Bedurfnisse der Jugendlichen und die Konfrontation der Kirche mit dem theologischen Liberalismus im Nachkriegseuropa zu bewerten Als Ergebnis seiner drei Monate in Europa spurte Schaeffer dass Gott seine Fa-milie rief in Europa zu dienen

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

16 7 8 6 uuml

Der Umzug nach Europa

bull 1948 zogen die Schaeffers nach Lau-sanne in der Schweiz um als Missi-onare in Europa zu arbeiten Damals hatten die Schaeffers drei Toumlchter Priscilla Susan und Deborah Ihr Sohn Franky wurde 1952 geboren

bull Als sie nach Europa kamen grundeten sie zuerst bdquoChildren for Christldquo fur die Mission unter Kindern Schaeffer warnte auch weiter vor den Gefahren des theologischen Liberalismus und ebenso vor der raffinierten Bedrohung durch die Neoorthodoxie 1949 zogen die Schaeffers in das Bergdorf Cham-peacutery in der Schweiz

bull 1951 geriet Schaeffer aus mindestens zwei Grunden in eine tiefe geistli-che Lebenskrise Erstens sah er im Leben derer die fur das historische Christentum kaumlmpften nicht die Kraft des Evangeliums und das be-unruhigte ihn Zweitens erkannte er dass die Erfahrung des Herrn in seinem eigenen Leben nicht so pul-sierend war wie fruher Diese Krise brachte ihn dazu noch einmal alles zu uberdenken ndash sogar die Wahrheit des Christentums Aus diesem Erlebnis heraus kam Schaeffer zu dem festen Schluss dass es gute und ausreichende Grunde gab zu wissen dass der Gott der Bibel wirklich existiert und dass das Christentum wahr ist Er gelangte auch zu einem tieferen Verstaumlndnis fur

das vollbrachte Werk Christi und das Werk des Heiligen Geistes im Leben der Glaumlubigen Aus diesem Erlebnis heraus wurde spaumlter auch sein Buch bdquoTrue Spiritualityldquo geboren Mehr als das ndash aus dieser Krise heraus wurde LrsquoAbri geboren Schaeffer sagte immer dass ohne diese Zeit des Kampfes da-rum bdquoRealitaumlt im christlichen Leben zu findenldquo LrsquoAbri niemals entstanden waumlre

bull 1955 zogen die Schaeffers durch eine Reihe wunderbarer Umstaumlnde in das Chalet Les Meacutelegravezes in Hueacutemoz in der Schweiz Sie erhielten nicht nur die notwendigen Finanzen um das Cha-let zu kaufen Ihnen wurden auch die Visa bewilligt um in der Schweiz zu bleiben nachdem ihnen vorher von der Schweizer Regierung mitgeteilt worden war sie haumltten das Land dau-erhaft zu verlassen

LrsquoAbri (bdquoDie Zufluchtldquo)

bull Die LrsquoAbri-Gemeinschaft wurde of-fiziell im Jahr 1955 geboren Es be-gann mit Freunden Priscillas die aus der Universitaumlt in das Haus der Schaeffers kamen und Fragen uber das Christentum die Wahrheit und das Leben stellten LrsquoAbri arbeitete mit vier Grundprinzipien (1) Sie wurden nicht um Geld bitten sondern ihre Bedurfnisse Gott mitteilen (2) Sie wurden nicht um Mitarbeiter wer-

ben sondern abhaumlngig davon sein dass Gott die richtigen Leute senden wurde (3) Sie wurden nur kurzfris-tig planen um von Gottes Leitung abhaumlngig zu sein und (4) Sie wurden nicht sich selbst bekanntmachen son-dern Gott vertrauen dass er ihnen Menschen in Not senden wurde

bull Zuerst wurden Treffen und Gottes-dienste im Haus der Schaeffers abge-halten Dann wurden sie in eine ver-lassene protestantische Kirche verlegt Durch Mundpropaganda verbreitete sich die Nachricht unter Universitaumlts-studenten dass es einen Ort in den Schweizer Alpen gebe wo man ehrli-che Antworten auf die tiefsten Fragen des Lebens bekommen koumlnne Inner-halb kurzer Zeit kamen jedes Wo-chenende Studenten nach LrsquoAbri Es enstand eine Struktur von Mahlzei-ten Spaziergaumlngen Gespraumlchen und einem Sonntagsgottesdienst die alle darauf ausgerichtet waren eine Atmo-sphaumlre zu schaffen die das Gespraumlch uber philosophische und religioumlse Ge-danken anregen sollte

bull Am staumlrksten betonte LrsquoAbri ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen im Kontext von gastfreundlicher Um-gebung und sichtbarer Liebe In den fruhen Tagen dachte man nicht ein-mal an Bucher Filme und Tonbaumln-der Die Tonbaumlnder kamen zuerst nur durch ein zwischen einigen Blumen verstecktes Mikrofon zustande mit

dem die Gespraumlche jenes Abends auf-gezeichnet wurden Erst als Schaef-fer erkannte dass die Tonbaumlnder ge-braucht werden konnten um andere zu erreichen gab er zoumlgerlich seine Erlaubnis zum Beginn des Tonband-programms Schlieszliglich kamen Men-schen nach LrsquoAbri um zu studieren und zu arbeiten Schon 1957 kamen jedes Wochenende 25 Leute

bull LrsquoAbri dehnte sich uber die Schweiz hi-naus aus 1958 begann es in England Heute befinden sich LrsquoAbris uberall auf der Welt in Australien Holland Indien Sudkorea und Schweden und ebenso in den USA in Massachusetts und Minnesota16

bull Bis 1960 war LrsquoAbri in einem sol-chen Maszlige gewachsen dass es die Aufmerksamkeit des Time-Magazins auf sich zog Tonbaumlnder wurden nun weltweit verteilt und Schaeffer er-hielt Einladungen aus Europa und Nordamerika Das waren gleichzeitig schwierige Zeiten in LrsquoAbri Als mehr und mehr Studenten kamen wurden Geld und Lebensmittel knapp

bull 1965 reiste Schaeffer zuruck nach Nordamerika und hielt Vorlesungen in Boston Dann fuhr er zum Whea-ton College und hielt Vorlesungen die spaumlter die Grundlage fur sein Buch bdquoThe God Who is Thereldquo (dt bdquoGott ist keine Illusionldquo) wurden Damals schaumltzten ihn die Studenten unge-heuer die akademische Welt war je-

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 177 8 6 uuml

doch viel behutsamer darin ihn zu ak-zeptieren Am Wheaton College sprach er zum Beispiel uber Themen von de-nen die meisten Menschen in evange-likalen Kreisen niemals gehoumlrt hatten oder uber die sie nicht diskutieren durf-ten wie etwa die Filme von Ingmar Bergman und Fedrico Fellini und die Schriften von Albert Camus Jean-Paul Sartre und Martin Heidegger

bull Waumlhrend der naumlchsten zehn Jahren wurden die Schaeffers zu einer der be-kanntesten Familien in der evangelika-len Bewegung Francis veroumlffentlichte zahlreiche Bucher und Broschuren von denen die meisten aus Vorlesungen entstanden die er seit der Grundung von LrsquoAbri gehalten hatte Edith ver-oumlffentlichte eine Anzahl von Buchern uber Ehe Familie Theologie und die Geschichte von LrsquoAbri17

Die 70er Jahre

bull Im Jahr 1974 sprach Schaeffer auf der Internationalen Konferenz fur Welt-evangelisation in Lausanne Schweiz wo er stark die Bedeutung der Irrtums-losigkeit der Bibel betonte Spaumlter im Jahr 1977 half er den Internationalen Rat fur Biblische Irrtumslosigkeit zu grunden

bull Ebenfalls in den 70er Jahren begann er aufgrund der Roe gegen Wade-Ent-scheidung des Obersten Gerichtshofs der USA seine Stimme gegen Abtrei-

bung zu erheben 1977 startete er eine Tour durch 22 Staumldte mit Seminaren und Ansprachen zu der Filmreihe bdquoWie koumlnnen wir denn lebenldquo Er begann ebenfalls die Arbeit an der Filmreihe bdquoWhatever Happened to the Human Raceldquo zusammen mit C Everett Koop und Franky Schaeffer die zu einer Tour mit Ansprachen im Jahr 1979 fuhrte

bull Schaeffers Kulturkritik und seine Verteidigung des historischen Chris-tentums lieszligen ihn in seinen Werken auch zu Themen wie Reinheit in Lehre und Leben Abtreibung Euthanasie Oumlkologie Krieg und Frieden sowie Burgerrechte seine Stimme erheben Schaeffer sprach sich lange und hart gegen das Eintreten der Kirche fur den Status Quo aus Er richtete sich be-sonders gegen ihre Annahme der ame-rikanischen Lebensphilosophie die seit den 50er Jahren die Gesellschaft durchdrungen hatte naumlmlich die Phi-losophie dass man nur fur bdquopersoumln-lichen Frieden und Wohlstandldquo lebt Er rief nach einer neuen Generation von Christen die wirklich bdquorevolutio-naumlrldquo sein sollten in ihrem Eintreten fur Wahrheit sowohl in der Lehre als auch im Leben

Die 80er Jahre

bull In den 1980er Jahren wurde Schaeffer aufgrund von dem was als Verschie-bung zum bdquoKonservativismusldquo wahr-

genommen wurde zunehmend von evangelikalen Akademikern und poli-tisch liberalen Evangelikalen entfrem-det Das geschah besonders aufgrund seiner Veroumlffentlichung bdquoA Christian Manifestoldquo (1981) das nicht nur den Aufstieg der bdquoMoral Majorityldquo lobte sondern auch Christen dazu aufrief ge-gen Abtreibung einzustehen und falls noumltig zivilen Ungehorsam zu prakti-zieren Interessanterweise sah Schaeffer selbst keine Verschiebung in seinem Denken gegenuber den 70er Jahren Er sah vielmehr seine Arbeit in den 80er Jahren als die logische Fortsetzung seiner Entscheidung die Wahrheit zu praktizieren und die Herrschaft Christi uber das gesamte Leben herauszuarbei-ten sei es das Leben im Mutterleib in der Kirche oder im Houmlrsaal

bull Im Jahr 1984 als er immer noch ge-gen den 1978 bei ihm diagnostizier-ten Krebs kaumlmpfte unternahm er buchstaumlblich auf dem Sterbebett eine Rundreise durch 13 Staumldte bei der er zehn christliche Colleges besuchte Dies geschah in Zusammenhang mit seinem letzten Buch The Great Evan-gelical Disaster (dt Die groszlige Anpas-sung Der Zeitgeist und die Evange-likalen) Auf seiner letzten Rundreise sprach er leidenschaftlich im Namen des Evangeliums warnte dabei und flehte die evangelikale Gemeinde an weder in der Lehre noch in der Praxis Kompromisse in Bezug auf die Auto-

ritaumlt der Bibel einzugehen Er nannte dabei sogar Namen derer von denen er glaubte dass sie das getan haumltten Er rief eine neue Generation von Christen dazu auf fur die Wahrheit einzutreten in seinen Worten bdquoRadikale fur Chris-tusldquo zu sein

bull Am 15 Mai 1984 einen Monat nach-dem die Rundreise abgeschlossen war starb er in Rochester Minnesota

Lehren die wir aus dem Denken Francis Schaeffers ziehen koumlnnen

Ideen haben Konsequenzen

Eines der groszligen Vermaumlchtnisse des Werkes Francis Schaeffers war es uns zu zeigen dass bdquoIdeen Konsequenzen ha-benldquo18 Auch wenn seine Analyse nicht in allen Teilen vollstaumlndig korrekt war hatte Schaeffer doch ganz Recht darin dass die westliche Gesellschaft eine bdquoLi-nie der Verzweiflungldquo erlebt hatte ndash einen langsamen Prozess durch den Ideen hi-nuntersickerten von der Philosophie zur Kunst zur Musik zur allgemeinen Kul-tur und schlieszliglich zur Theologie19 Das kulturelle Durcheinander in dem wir le-ben kam nicht aus dem Nichts sondern hat eine lange Geschichte

Wie Schaeffer uns immer wieder erin-nert hat gibt es bei der Entfaltung von Ideen einen Einfluss in die Geschichte

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

18 7 8 6 uuml

ndash sei es zum Guten oder zum Schlech-ten Zusaumltzlich lehrte uns Schaeffer dass wir um unsere Gegenwart zu verstehen auch den Lauf der Geistesgeschichte er-fassen mussen die uns vorausging Dies betrifft auch die Auswirkungen die sie auf uns hat und haben wird wenn die Menschen schlieszliglich gemaumlszlig ihren Glaubensuberzeugungen handeln Ei-gentlich warnte uns Schaeffer dass wir wenn wir die Geistesgeschichte nicht durchdenken werden wir nicht nur un-sere eigene Zeit missverstehen sondern wir werden auch zu unserem gegen-waumlrtigen Zeitalter nichts Konstruktives zu sagen haben werden Wir werden unvermeidlich dem sprichwoumlrtlichen Frosch im Wassertopf gleichen der die Tatsache nicht wahrnimmt dass das Wasser langsam erhitzt wird und dass das Ergebnis wenn er nicht sofort aus dem Topf springt Zerstoumlrung sein wird

Fur christliche Leiter Pastoren und Lehrer ist diese Lehre von aumluszligerster Wichtigkeit Wenn wir unserem Herrn und seinem Volk treu bleiben wollen wenn wir unserer Generation etwas Loh-nendes sagen wollen wenn wir die sein wollen die wirklich ihre Zeit verstehen und zu den draumlngenden Fragen des Ta-ges Stellung nehmen wollen dann wird das nicht weniger erfordern als ein tief-gehendes Verstaumlndnis des Tages und des Zeitalters in dem wir zu dienen und zu arbeiten berufen sind Doch nicht nur das es erfordert ebenso eine ganze Hin-gabe an den Herrn und sein Wort In

diesem Zusammenhang zitierte Schaef-fer oft und gerne die beruhmte Aussage Martin Luthers

Wenn ich auch mit der lautesten Stimme und klarsten Darlegung jedes Stuck der Wahrheit Gottes bekenne mit Ausnahme genau jenes kleinen Punktes den die Welt und der Teufel im Mo-ment angreifen dann bezeuge ich nicht Christus wie lautstark auch immer ich mich zu ihm bekenne Die Treue eines Soldaten beweist sich da wo gerade der Kampf wutet Auszligerhalb des Kampfes an der Front standhaft zu sein ist nichts anderes als Flucht und Schande wenn man am entscheidenden Punkt zuruckweicht20

Das war fur Francis Schaeffer keine Theorie Fur ihn war das eine Sache auf Leben und Tod Wir mussen so warnte er die Wichtigkeit von bdquoIdeenldquo begrei-fen um unsere Zeiten recht zu verste-hen Wenn wir das nicht tun werden wir naumlmlich vom bdquoGeist unserer Zeitldquo hinweggefegt werden ohne auch nur zu merken was uns geschieht

Der Kampf des Tages Die Idee der Wahrheit

Was war demnach fur Schaeffer die bdquoSchlusselideeldquo die wir heute begreifen mussen Was sollte die Kirche aus ei-ner Analyse der Geistesgeschichte ler-nen um dem Herrn heute treu bleiben zu koumlnnen Was ist unser Kampf Fur

Schaeffer ist die Antwort unstrittig Un-ser Kampf heute ist ein Kampf fur die Idee und das Konzept von Wahrheit an sich

Die heute zwischen den Generationen aufgebrochene Kluft ist zum groumlszligten Teil durch einen Wandel im Wahr-heitsverstaumlndnis entstanden Wo immer wir hinschauen herrscht dieses neue Verstaumlndnis vor Es umgibt uns als ein nahezu fugenloser Meinungsblock auf allen Gebieten sei es in den Kunsten in der Literatur oder auch nur beim Lesen von Zeitungen und Wochenschriften wie Spiegel Weltwoche Welt am Sonn-tag Sunday Times LlsquoExpreszlig de Paris Elsevierlsquos Weekblad und anderen mehr Von allen Seiten her spuren wir den Wurgegriff einer neuen Methodologie ndash und mit Methodologie meinen wir die Art und Weise wie wir an Wahrheits-erkenntnis und Wissen herangehen Es ist erstickend wie der dichteste Londo-ner Nebel Und sowenig sich der Nebel durch Waumlnde und Turen abhalten laumlsst so wenig koumlnnen wir uns der vorherr-schenden Meinung entziehen Das geht so weit dass wir in unseren eigenen vier Waumlnden nicht mehr klar sehen und uns doch nicht erklaumlren koumlnnen was eigent-lich geschehen ist Die Tragik unserer heutigen Situation liegt darin dass die neue Einstellung zur Wahrheit Maumlnner und Frauen in ihren Lebensgrundlagen erschuttert hat ohne dass sie sich jemals Rechenschaft uber den neuen Kurs ge-geben haben Die jungen Menschen

werden zunaumlchst im Rahmen des alten Wahrheitsverstaumlndnisses erzogen Dann geraten sie unter den Einfluss der mo-dernen Auffassung Mit der Zeit wer-den sie unsicher weil sie die ihnen vor-gelegte Alternative nicht durchschauen Diese Unsicherheit fuhrt zu Verwirrung und bald zu einem inneren Zerbruch ndash unglucklicherweise nicht nur bei jun-gen Menschen sondern auch bei vielen Pfarrern Lehrern Evangelisten und Missionaren So ist wie ich meine die veraumlnderte Auffassung uber den Weg der zu Erkenntnis und Wahrheit fuhrt das entscheidende Problem das sich der Christenheit heute stellt21

In der Literatur der Gegenwart sei sie philosophisch wissenschaftlich litera-risch oder theologisch wird fur das auf was Schaffer sich bezieht oft der Begriff bdquoPostmodernismusldquo gebraucht Auch wenn Schaeffer selbst niemals den Be-griff benutzte sah er den Inhalt voraus und beschrieb ihn bevor der Gebrauch des Begriffs Mode wurde22 Schaeffer hatte eine Gabe das zu tun Oft konnte er bdquosehenldquo wohin Ideen gingen weil er die Maxime ernst nahm bdquoIdeen haben Konsequenzenldquo Im heutigen Gebrauch bezeichnet bdquoPostmodernismusldquo eine Denkweise die fest verknupft ist mit der Verleugnung von Wahrheit in jedem objektiven universalen Sinn Er wird oft dem bdquoModernismusldquo gegenubergestellt der viel vom Geist der Aufklaumlrung wi-derspiegelt einem Geist der interessan-

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 197 8 6 uuml

terweise viel vom Christentum entliehen hat Wie das Christentum so glaubte auch er dass Wahrheit objektiv und uni-versal sei und dass die Vernunft durch Forschung und Untersuchung Wahrheit erlangen koumlnne Anders als das Chris-tentum versuchte er jedoch Wahrheit ohne Abhaumlngigkeit von Gott und sei-nem gesprochenen Wort zu entdecken Statt dem christlichen Motto bdquoGlaube sucht zu verstehenldquo zu folgen und die Prioritaumlt der goumlttlichen Offenbarung zu unterstreichen versuchte der Modernis-mus dem Programm bdquoIch verstehe um zu glaubenldquo zu folgen In diesem Sinn versuchte der Modernismus dann alle Wahrheitsanspruche seien sie philoso-phischer oder theologischer Art unter der bdquoAutoritaumltldquo des menschlichen Ver-standes unabhaumlngig von Gottes Wort zusammenzufassen Der Postmodernis-mus auf der anderen Seite ist in Wirk-lichkeit logisch zu Ende gedachter Mo-dernismus und ist sich daher erkenntnis-theoretisch seines Ausgangs und seines Ergebnisses viel bewusster23 In diesem Sinn nimmt der Postmodernismus das Projekt der Aufklaumlrung ernst das sein Zentrum im autonomen Selbst hat Dann aber kommt er zu Recht und iro-nischerweise zu dem Schluss dass wenn die Sicht der Aufklaumlrung richtig ist die Wahrheit niemals universal sein koumlnne Warum Der einfache Grund ist dass endliche Menschen und Gemeinschaf-ten zu sehr historisch positioniert und

soziologisch abhaumlngig sind als dass sie jemals einen bdquoGesichtspunkt mit Gottes Augeldquo d h einen objektiven universa-len unbefangenen Gesichtspunkt liefern koumlnnten Wahrheit kann letztlich nicht das sein was der Modernismus von ihr zu sein erwartete sie muss vielmehr perspektivisch provisorisch und endlich sein Letztendlich ist sie das was die Ge-meinschaft am houmlchsten bewertet d h sie ist pragmatisch

Falls der Postmodernismus wahr ist sind naturlich alle Behauptungen von Einzelnen oder Gemeinschaften bdquodie Wahrheitldquo zu kennen notwendigerweise falsch ndash tatsaumlchlich eine interessante Iro-nie Postmodernismus ist im Tiefsten ein Misstrauen gegen jeden der sagt bdquoSo ist esldquo oder bdquoDas ist die Wahrheitldquo und als solcher neigt er zu einem umfassenden Pluralismus Relativismus und Skepti-zismus So erinnert uns D A Carson daran dass heute bdquoder einzige absolute Glaube der Glaube an den Pluralismusldquo ist24 ndash d h jedermanns Gesichtspunkt ist willkommen ob er nun philosophi-sche moralische oder religioumlse Themen betrifft Auch wenn Francis Schaeffer niemals das Wort bdquoPostmodernismusldquo gebrauchte warnte er uns vor der Idee und ihren Konsequenzen Eigentlich war es diese bdquoIdeeldquo die er kontinuier-lich in seinen Buchern und Vortraumlgen herausgearbeitet hat damit wir sie ver-stehen und begreifen Im Kern so vieler Themen mit denen die Kirche konfron-

tiert ist so argumentierte er liegt eine erkenntnistheoretische Verschiebung die im Denken und in der Kultur des Westens stattgefunden hat ndash eine Ver-schiebung die wir nun Postmodernis-mus nennen eine Verschiebung weg von der Wahrheit oder von dem was er bdquowahre Wahrheitldquo nannte25

Wenn wir diese Verschiebung nicht verstehen sie nicht ernst nehmen und ihr nicht entgegentreten so warnte er uns auch dann werden wir nicht den Kampf unserer Tage als gute Soldaten Jesu Christi kaumlmpfen Am Ende werden unser Lehren Predigen unsere Apologe-tik und unsere Evangelisation auf taube Ohren stoszligen weil sie nicht angemessen unsere Generation ansprechen

Unsere Generation wird die Darbie-tung des Evangeliums entweder als ein Relikt einer vergangenen Aumlra oder in den Kategorien einer postmodernen Gesellschaft houmlren und daher das Evan-gelium relativieren26 Was heute letzt-lich auf dem Spiel steht so behauptete Schaeffer ist ein Kampf um das gesamte Weltbild Nicht laumlnger geht es bei dem Kampf fur das Evangelium um diesen oder jenen Punkt sondern um die ge-samte Struktur und den Rahmen ndash ein Kampf bei dem es nach Ausmaszligen und Konsequenzen um Leben und Tod geht Es ist diese letzte Beobachtung die neu von Francis Schaeffer gelernt werden muss Schaeffers groszliges Anliegen war die Verkundigung des Evangeliums und

der Aufbau der Kirche Er wollte treu zu seiner Generation in solch einer Weise sprechen dass das Evangelium als das gehoumlrt wurde was es wirklich war Des-halb muhte er sich darum Menschen die Geistesgeschichte verstehen zu lassen ndash nicht um der Neugierde willen son-dern mit dem Ziel ihre Zeit besser zu verstehen Bei aller berechtigten Debat-te uber die Genauigkeit von Schaeffers Interpretation solcher Leute wie Thomas von Aquin Georg Friedrich Hegel Souml-ren Kierkegaard verschiedener Kunstler und Musiker und sogar Karl Barths er-kennen die meisten an dass Schaeffers Gesamtanalyse korrekt ist ndash eine Analy-se die zu oft sowohl in ihren theoreti-schen als auch praktischen Auswirkun-gen vergessen worden ist

Ohne Berucksichtigung aller Details lag Schaeffer darin richtig die erkennt-nistheoretischen Verschiebungen zu be-tonen die in der westlichen Gesellschaft stattgefunden hatten Verschiebungen die unglaubliche praktische Konsequen-zen haben Wir wollen kurz drei dieser praktischen Auswirkungen hervorhe-ben vor denen Schaeffer uns warnte und die fur die Kirche heute von besonderer Wichtigkeit sind

Die Verschiebung zur Erfahrung

Mit dem Verlust der Wahrheit geht eine zunehmende Verschiebung zur Erfah-rung einher zu einer Erfahrung aller-

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

20 7 8 6 uuml

dings die oft ohne Inhalt und Wahr-heit ist In seiner Analyse des westlichen Denkens vertritt Schaeffer die Auffas-sung dass der moderne Mensch zuneh-mend begann die Welt auf eine natu-ralistische Art zu betrachten27 In der Wissenschaft gab es eine Verschiebung von der Ansicht dass es eine Gleichfoumlr-migkeit naturlicher Ursachen in einem kontrollierten System gebe durch die Gott das System staumlndig erhaumllt und so-gar eingreifen kann wenn er sich dazu entscheidet hin zu der Sicht dass es ein geschlossenes System gebe dass Gott ausschlieszligt In der Philosophie beson-ders in der des Westens gab es einen wachsenden aufklaumlrerischen Impuls hin zum bdquoRationalismusldquo28 das heiszligt zu ei-ner Geisteshaltung die versuchte durch die menschliche Vernunft eine einheitli-che Sicht von Welt und Leben zu liefern

Dies geschah in einer solchen Wei-se dass die Vernunft zunehmend un-abhaumlngig von goumlttlicher Offenbarung funktionierte Diese Verschiebungen fuhrten jedoch wie Schaeffer behaup-tete schlieszliglich zu einer dichotomen Sicht der Wirklichkeit die er bdquodas Un-ter- und das Obergeschossldquo nannte Das laumlsst sich belegen durch Dialektiken wie die der Spaltung in bdquoNatur-Freiheit und bdquoPhaumlnomenon-Noumenonldquo bei Imma-nuel Kant29 Das Problem bei dieser dialektischen Sicht der Wirklichkeit so behauptet Schaeffer besteht darin dass sie uns mit einer schrecklich gespaltenen

Sicht von der Welt zurucklaumlsst Die un-abhaumlngig von der goumlttlichen Offenba-rung handelnde menschliche Vernunft hat keine Moumlglichkeit zu begrunden wie diese naturalistische determinierte auf Ursache und Wirkung aufbauende unpersoumlnliche Welt im bdquoUntergeschossldquo (d h im Bereich der bdquoNaturldquo) dem bdquoObergeschossldquo (d h dem Bereich der bdquoFreiheitldquo) in dem wir versuchen Sinn Werte Ziele und Freiheit zu finden eine vernunftgemaumlszlige Grundlage geben kann Was sollen also die Menschen tun Leben sie konsequent nach den Schlussfolgerungen zu denen sie ihre Vernunft im bdquoUntergeschossldquo gefuhrt hat ndash naumlmlich dass sie determiniert und ohne Bedeutung sind Nun man-che versuchen das Nach der Lehre der Schrift jedoch so beobachtet Schaeffer ist diese Sicht der Wirklichkeit falsch alle Menschen sind nach dem Bild Got-tes gemacht

Es ist daher nahezu unmoumlglich mit solch einer Sicht zu leben Die Men-schen geben daher in der Praxis die Moumlglichkeit einer Vereinigung dieser dichotomen Bereiche auf d h sie geben die Hoffnung auf Wahrheit im Sinne einer einheitlichen Weltsicht auf und bewegen sich dann auf Irrationalitaumlt zu Sie argumentieren fur Sinn Werte Ziele und Freiheit tun dies jedoch ohne eine vernunftgemaumlszlige Grundlage Sie le-ben im bdquoGlaubenldquo mit einem Glauben jedoch der wenig oder keinen Inhalt

und kein vernunftgemaumlszliges Fundament hat Sie setzen in das bdquoObergeschossldquo wie Schaeffer wiederholt betonte eine Konzentration auf Erfahrung eine Er-fahrung allerdings die fur alles offen ist eine Erfahrung die so verschiedenartig sein kann wie Drogen und Sex in den 1960er Jahren und New-Age- Spirituali-taumlt in den 1980ndash90er Jahren30 Fur Scha-effer ist daher die beste Charakterisie-rung bdquopost-modernerldquo Menschen (oder wie er es nannte bdquomoderner modernerldquo Menschen) dass sie mit der Dichotomie zwischen dem bdquoUnter- und dem Ober-geschossldquo leben Fur ihn war das nicht nur eine schlaue Feststellung es war das Herzstuck der Sache Welche prak-tischen Folgen hat das heute fur uns Eine massive Folgewirkung hat das so behauptet Schaeffer fur unsere Evange-lisation Bei unserer Verkundigung des Evangeliums mussen wir uns bestaumlndig daran erinnern dass wir zu Menschen predigen die mit dieser Dichotomie le-ben Und wenn wir nicht vorausahnen wie sie houmlren werden was wir sagen gehen wir das Risiko ein mit ihnen nicht auf geeignete Weise zu kommuni-zieren Wir riskieren es sogar Bekehrte zu machen die an Jesus bdquoglaubenldquo als lediglich eine weitere bdquoObergeschossldquo-Erfahrung losgeloumlst von Wahrheit Ver-nunftgemaumlszligheit und Wirklichkeit Und Schaeffers Kritik an der evangelikalen Bewegung konzentrierte sich genau auf diesen Punkt Auf der einen Seite war

er besorgt dass Evangelikale bei ihrer Evangelisation Lehre und Inhalt zu-gunsten von Erfahrung herunterspiel-ten Wenn wir Menschen zum retten-den Glauben rufen mussen wir ihnen klarmachen dass die Wirklichkeit des Evangeliums bdquowahre Wahrheitldquo weiter-gibt Wir mussen dabei Menschen mit dem bdquoGott der keine Illusion istldquo kon-frontieren

Die Menschen mussen begreifen dass Glaube kein blinder Sprung ist sondern verwurzelt und gegrundet ist in der Wahrheit Erfahrung ist wich-tig und Schaeffer betonte diese Tatsa-che stark Aber Erfahrung darf nicht losgeloumlst von der Wahrheit sein31 Auf der anderen Seite war er im Bereich der akademischen Theologie besorgt dass Evangelikale zu viel aus der Theologie der Neoorthodoxie ubernahmen Er glaubte es sei ein Fehler gigantischen Ausmaszliges mit Karl Barth eine Position zu vertreten die die Moumlglichkeit sol-cher Fehler in der Schrift einraumlumt die nicht unseren Glauben an den Herrn Jesus Christus negativ beeinflussen Er sah Barths Theologie als ein weiteres Beispiel dafur an wie das zeitgenoumlssi-sche Denken die Wirklichkeit dichoto-misiert und bdquoGlaubenldquo und Theologie von vernunftgemaumlszliger Begrundung und verifizierbarer Geschichte scheidet32 In diesen Punkten liegt Schaeffer richtig Die evangelikale Bewegung darf beson-ders heute die Themen Wahrheit Inhalt

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 217 8 6 uuml

und Lehre nicht vergessen Erfahrung ist wichtig Aber Erfahrung muss im-mer in der Wahrheit des Wortes Gottes begrundet sein Ausgehend von der Ten-denz unserer Generation sich auf Erfah-rung zu berufen mussen wir vorsichtig sein dass wir uns nicht an unsere Zeit anpassen Es ist sehr wichtig was wir glauben und letztendlich an wen wir glauben Nicht jeder bdquoGlaubeldquo oder jede bdquoGlaubensformldquo sind gleichwertig Das fuhrt mich zu einer zweiten praktischen Folge vor der uns Schaeffer warnte

Die Herausforderung des religioumlsen Pluralismus

Mit dem Verlust der Wahrheit werden eine zunehmende Betonung des religiouml-sen Pluralismus und ein Herunterspielen der Ausschlieszliglichkeit des Evangeliums einhergehen Wenn Schaeffer uber reli-gioumlsen Pluralismus sprach bezog er sich nicht auf die empirische Beobachtung dass es viele Religionen auf der Welt gibt und dass es sogar im Westen wo das Christentum einst vorherrschend war ein zunehmendes Wachstum von Religionen gibt Er bezog sich viel-mehr auf die Geisteshaltung die nicht zulaumlsst dass irgendeine Religion wahr oder besser als die andere ist Er sah dies als eine praktische Konsequenz aus der Verleugnung der Wahrheit an Wir die wir am Anfang des 21 Jahrhunderts le-ben werden mit dieser Haltung uberall

konfrontiert Wenn die Southern Bap-tist Vollversammlung Gebetsbriefe ver-sendet und darin sagt dass Juden und Hindus evangelisiert werden mussen weil sie verloren sind dann koumlnnen wir uns vorstellen welche Art von Reaktio-nen sie auszligerhalb der Kirche und leider auch bei denen die sich mit der Kirche identifizieren hervorrufen Bei Schaef-fer ist an diesem Punkt interessant dass er das bereits vor langer Zeit in den 1960er Jahren kommen sah33 Als eine wichtige Begleiterscheinung des Verlus-tes der Wahrheit sah er voraus dass ein umfassender Pluralismus an ihre Stelle gesetzt wurde Und Teil unserer Beru-fung in unserer Generation ist es an diesem Punkt fest zu stehen und einen ausschlieszliglichen Christus ohne Kom-promisse in einem inklusiven pluralis-tischen Zeitalter zu verkundigen

Die Entwertung des menschlichen Lebens

Mit dem Verlust der Wahrheit geht eine dritte praktische Folge einher naumlmlich die Entwertung des menschlichen Le-bens Ich habe das schon oben erwaumlhnt und werde unten darauf hinweisen Es ist jedoch wichtig aufzuzeigen dass Schaeffers Vorhersage der nachchrist-liche Westen werde beginnen das Le-ben zu entwerten eine Vorhersage war die in seiner Analyse der Verschiebung von Ideen weg vom einem christlichen

Verstaumlndnis der Welt zu einem mo-dernen und schlieszliglich postmodernen Verstaumlndnis der Wirklichkeit verwurzelt war Schaeffer hatte die Menschen seit Jahren gewarnt dass das Weltbild des Westens sich in Richtung auf eine In-terpretation der Wirklichkeit allein im Sinne eines unpersoumlnlichen geschlosse-nen Systems bewege Naturlich war die Folge davon nicht nur dass Chemie und Physik innerhalb eines bdquogeschlos-senen Systemsldquo interpretiert wurden sondern das gleiche geschah mit den Geisteswissenschaften der Psychologie Soziologie der Literaturwissenschaft und sogar der Theologie Darin lag eine massive Wende zum Unpersoumlnli-chen und das so sagte Schaeffer vo-raus wurde zu einer Entwertung des menschlichen Seins fuhren Naturlich lag Schaeffers Vorhersage genau richtig Ethische Fragen und heute ubliche De-batten (uber Abtreibung Kindestoumltung Euthanasie Klonen) sind saumlmtlich Be-lege fur den Ausverkauf des Wertes des menschlichen Lebens Aus diesem Grund nahm Schaeffer eben diesen Standpunkt an der sozialen Front ein Es war nicht ein Standpunkt fernab von seiner Theologie vielmehr unterstrich er ihn genau aus dem Grund weil er sah dass Ideen Konsequenzen haben und dass die Wahrheit zum Handeln ruft Wie ich festgestellt habe ist Schaeffers staumlndige Betonung dass bdquoIdeen Kon-sequenzen habenldquo eines seiner groszligen

Vermaumlchtnisse das zu vernachlaumlssigen eine groszlige Gefahr bedeutet Auszligerdem mussen wir von Schaeffer lernen heu-te unserem Herrn treu zu bleiben und das Evangelium in einer solchen Weise zu verkundigen dass es wirkungsvoll zu den Menschen spricht Wir mussen Christen dafur auszurusten ihre Welt zu verstehen und in ihr auf eine solche Weise zu leben dass sie nicht von ihr gepraumlgt werden Er lehrte uns dass dies nicht lediglich akademische Fragen sind sondern Fragen auf Leben und Tod

Die Wichtigkeit des Denkens in Weltbildern

Francis Schaeffer lehrte uns nicht nur dass bdquoIdeen Konsequenzen habenldquo Er erinnerte uns auch daran dass die ent-scheidenden bdquoIdeenldquo um die die Debatte geht letztlich eine Frage des Weltbildes sind Das ist zwar keine neue Beobach-tung aber eine die bis vor kurzem oft vernachlaumlssigt wurde34 Ausgehend von den ungeheuren Verschiebungen die in der Gesellschaft stattgefunden haben ist es wichtig zu erkennen dass wir in einem Kampf stehen bei dem es nicht nur um diesen oder jenen Punkt der christlichen Wahrheit geht Es geht um ganze Systeme von Weltbildern die im Widerstreit liegen Schaeffer sprach von diesen Unterschieden der Weltbilder als von Unterschieden der Denkvorausset-zungen35 Er vertrat die Auffassung dass

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

22 7 8 6 uuml

im Westen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts jeder ndash Christen und Nichtchristen gleicherweise ndash unter dem starken Einfluss einer christlichen Sicht der Wirklichkeit von den grundlegend selben Denkvoraussetzungen ausging Auch wenn man argumentieren koumlnn-te dass die Nichtchristen aufgrund ihrer Zuruckweisung des christlichen Weltbildes kein Recht haumltten von die-sen Denkvoraussetzungen auszugehen koumlnnte man doch sagen dass es eine Ge-meinsamkeit im Denken gab Als aber schlieszliglich die Menschen begannen in einer konsequenteren Weise nach ihren Denkvoraussetzungen zu handeln und sie das noch weiter von dem christli-chen Weltbild wegfuhrte merkten viele Christen nicht was geschehen war Und so passierte was Schaeffer folgenderma-szligen kommentiert

bdquoDie Fluten von saumlkularem Denken und liberaler Theologie uberschwemmten die Kirche weil die Leiter die Bedeutung des Kampfes gegen das Bundel falscher Denkvoraussetzungen nicht verstanden Sie kaumlmpften weitgehend auf dem fal-schen Territorium und hinkten daher elend hinterher statt in der Verteidi-gung und der Kommunikation vorne zu sein Dies ist eine wirkliche Schwaumlche die unter den Evangelikalen selbst heute schwierig zu korrigieren istldquo36

Der Mangel in Weltbildern zu denken ist auszligerdem so argumentiert Schaef-fer zuruckzufuhren auf die Art unserer

Ausbildung sei sie christlicher oder sauml-kularer Art Er beobachtete scharfsin-nig dass wir in unserer Ausbildung oft zu einer Spezialisierung neigen ohne die Wechselbeziehungen zwischen den Disziplinen zu sehen und einen Uumlber-blick zu gewinnen d h ohne das Welt-bild zu sehen Dadurch stehen wir in der Gefahr die Beziehungen verschiedener Ideen zueinander nicht zu sehen und so auch die Konsequenzen der Ideen nicht wahrzunehmen Schaeffer stellt fest

Eine groszlige Schwaumlche unseres heutigen Bildungssystems ist das mangelnde Ver-staumlndnis der naturlichen Beziehungen zwischen den Disziplinen Wir betrei-ben unsere Wissenschaften als waumlren sie beziehungslose parallel nebeneinander herlaufende Linien Diese Fachblind-heit begegnet uns sowohl im christlichen als auch im weltlichen Bildungswesen und deshalb wurden die christlichen Kreise von dem groszligen Erdrutsch in unserer Generation uberrascht Wir ha-ben unsere Exegese als Exegeten unsere Theologie als Theologen Philosophie als Philosophen betrieben Wir studierten Kunst als Kunst und Musik als Mu-sik ohne daran zu denken dass dies alles Lebensaumluszligerungen des Menschen sind und dass Lebensaumluszligerungen des Menschen niemals beziehungslos neben-einander herlaufende Parallelen sein koumlnnen37

Das ist eine wichtige Lektion die wir besonders in unseren Tagen lernen

mussen In vielerlei Hinsicht sind wir wieder dort wo Paulus in Athen zu ei-ner Zuhoumlrerschaft und einem Umfeld predigte das pluralistisch heidnisch und dem Christentum in Bezug auf sein Weltbild fremd war (Apostelgeschichte 17) Aus diesem Grund vertritt Schaef-fer unter Berufung auf Texte wie Apg 17 wiederholt die Auffassung dass wir bdquoPrauml-Evangelisationldquo betreiben mussen was er eng mit Apologetik verband Er vertrat die Auffassung dass es zwei Ziele der Apologetik gebe Erstens das christliche Weltbild gegen Angriffe zu verteidigen und Menschen Grunde zu nennen warum wir glauben das das Christentum wahr sei Es gibt aber noch ein zweites Ziel der Apologetik das eng mit Evangelisation verbunden ist Wir mussen naumlmlich das Evange-lium unserer Generation in Begriffen die sie verstehen kann weitergeben Teil unserer Aufgabe in Evangelisation und Apologetik ist es daher das Evangelium als das darzubieten was es wirklich ist innerhalb des Weltbildes der Menschen unserer Generation Nur dann werden Menschen die Anspruche und Forde-rungen die das Evangelium an sie stellt richtig houmlren38

Das wirkte sich im Leben Schaeffers praktisch so aus dass er in seiner Evan-gelisation und seiner Darbietung des christlichen Glaubens nicht mit bdquoNimm Jesus als Retter aufldquo begann Stattdes-sen pflegte er dort zu beginnen wo die Schrift beginnt Er fing mit der Lehre

von Gott an damit die Weltbildstruk-turen des christlichen Glaubens zu er-richten die in der Lehre von der Schoumlp-fung der Offenbarung und dem histo-rischen Sundenfall grunden und dann und wirklich erst dann ging er zur Erlouml-sung uber dazu die Menschen auf den Herrn Jesus Christus zu verweisen der allein ihre einzige Hoffnung ist39 Wa-rum Wie Paulus in Athen wusste er Wenn er nicht zuerst einen biblischen Bezugsrahmen d h ein Weltbild ent-wickelte wurde die Verkundigung des Evangeliums keinen Sinn ergeben und seine Zuhoumlrer wurden das Evangelium nicht als das houmlren was es wirklich ist in seinen eigenen Kategorien und in sei-nen eigenen Begriffen Schaeffer hatte wie Paulus das groszlige Anliegen dass das Evangelium nicht faumllschlich aufgegeben oder in einen anderen fremden Welt-bildrahmen umgedeutet werden wurde weil das nur zu einer Entstellung der Botschaft des Evangeliums fuhrt Um Jesus Christus nicht nur als einen wei-teren Gott oder Retter sondern als aus-schlieszliglichen Herrn Retter und Richter besonders in unserem pluralistischen postmodernen inklusiven Zeitalter dar-zubieten war es zwingend wie Schaef-fer sah ein biblisch-theologisches Rah-menwerk aufzubauen das in der Hand-lung der Schrift verwurzelt ist Er sah also dass es entscheidend war in einem Weltbild zu denken das in dem einen Gott der wirklich bdquoda istldquo verwurzelt und gegrundet ist In Wahrheit war das

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 237 8 6 uuml

wozu uns Schaeffer aufrief und was er in seinem eigenen Leben vorbildhaft dar-stellte das Treiben von Theologie Im weitesten Sinne ist es die Aufgabe der Theologie die ganze Schrift auf die Fra-gen des Lebens anzuwenden Sie muss innerhalb der Kategorien der Struk-turen und der Lehren der Schrift dem Handlungsablauf der Schrift folgen und ihn auf die Welt anwenden Sie muss aus dem Weltbild der Schrift heraus leben und dieses biblisch-theologische Rah-menwerk uber alle anderen Weltbilder stellen

Kurz gesagt muss sie neu lernen wie man bdquodie Gedanken Gottes ihm nach-denktldquo und bdquojeden Gedanken in den Gehorsam gegen Christus gefangen-nimmtldquo40 Das war Schaeffers Staumlrke und das ist eine andere entscheidende Lektion die wir von ihm lernen mussen Ich bin von Folgendem uberzeugt Die Tatsache dass Schaeffer staumlndig auf der Weltbildebene gedacht hat erklaumlrt wa-rum er so unerbittlich darauf bestand dass Evangelikale an gewissen Punkten der Lehre keine Kompromisse einge-hen durfen Weil er erkannte dass der christliche Glaube ein Weltbild war und dass seine Einzelteile als ein Gan-zes bdquozusammenhingenldquo war er sehr be-sorgt wenn evangelikale Gelehrte an einigen dieser scheinbar bdquounbedeuten-denldquo Punkten nagten So war es ihm zum Beispiel ein groszliges Anliegen dass Adam als eine historische Gestalt und

der Sundenfall als ein Ereignis in Raum und Zeit angesehen wurden und dass die ersten Kapitel des 1 Buches Mose nicht ihrer Geschichtlichkeit beraubt wurden Warum Weil er zu Recht sah dass wir die Bibel zu ihren eigenen Be-dingungen annehmen mussen dass wir diese entscheidenden Ausgangspunkte beibehalten mussen die die Bausteine fur den Rest der Geschichte sind

Denn sonst wurde nicht nur das Welt-bild des historischen Christentums zu-sammenbrechen sondern letzten Endes wurde der christliche Glaube selbst zu nicht mehr als einer weiteren Sache im bdquoObergeschossldquo werden fern von ver-nunftgemaumlszliger Begrundung von der Wahrheit und vom dem Gott der wirk-lich bdquoda istldquo41 Auf dem Spiel steht mit anderen Worten nicht nur ein Punkt der Lehre sondern der ganze Anspruch des Weltbildes und in Wirklichkeit das Evangelium Wenn wir von Schaeffer an diesem Punkt lernen wollen muss unser Denken Lehren Predigen und Leben viel mehr bdquoweltbildlichldquo sein In unse-rem Kampf heute geht es um ganze Sys-teme von Weltbildern Daher mussen wir in unserem Lehren und Predigen haumlrter daran arbeiten den Menschen zu zeigen wie die Teile der Schrift als ein schlussiges Ganzes zusammenhaumln-gen und wie diese Teile zur Bildung eines Weltbildes fuhren Es gilt aber noch mehr In unserer Evangelisation im Sprechen zu einer Kultur die zuneh-

mend mit fremden Weltbildern operiert und wenig uber den christlichen Glau-ben weiszlig mussen wir neu lernen das Evangelium innerhalb seines eigenen Weltbildes weiterzugeben indem wir mit dem Gott beginnen der bdquokeine Il-lusion istldquo

Die Zentralitaumlt der Lehre von Gott

Francis Schaeffer war ein wahrhaft gottzentrierter Mann Das galt nicht nur fur seine persoumlnliche Andacht und sein persoumlnliches Leben das galt auch in Bezug auf sein Denken42 Es ist auf-schlussreich dass schon die Titel seiner Bucher (z B bdquoGott ist keine Illusionldquo bdquoUnd er schweigt nichtldquo) die Tatsache illustrieren dass fur Schaeffer all die Antworten des Lebens Sinn Moral Bedeutung und Werte in dem persoumln-lich-unendlichen dreieinigen Gott der Schrift verwurzelt und gegrundet sind Interessanterweise gibt es ein logisches Fortschreiten in diesen Lektionen Sie sind nicht willkurlich oder planlos Was ist mit der westlichen Kultur geschehen Laut Schaeffer hat sich der moderne Mensch von dem Gott der Schrift ab-gewandt Weil er das tat hatten die fremden Weltbilder die wir in unserer postmodernen Kultur um uns herum sehen gewisse Folgen Was ist dann die Loumlsung fur unser Problem Wohin

sollen wir uns wenden um die Dichoto-mien in unserem Geistesleben die Ent-fremdung in unserem persoumlnlichen Le-ben und die Unpersoumlnlichkeit in unserer Gesellschaft zu uberwinden Zuruck zu dem dreieinigen Gott der Schrift Denn es ist nur er der persoumlnlich-unendliche Gott der der Schoumlpfer Erhalter und der vorhersehende Herr ist der Gott der spricht bei dem wir die Antworten auf die Fragen des Lebens finden koumlnnen In ihm allein gibt es intellektuelle Ant-worten weil er die Quelle der Wahrheit und der Maszligstab fur sie ist

Aber auch Vergebung Heilung Rechtfertigung und Erloumlsung gibt es nur in ihm Fur Schaeffer ist Gott nicht nur die transzendentale Notwendigkeit fur Sinn Wahrheit und Werte Er ist auch unser Teil Er ist der Gott der kei-ne Illusion ist der erkannt geliebt und angebetet werden kann

Genau an diesem Punkt mussen wir von Schaeffer lernen Erstens mussen wir neu lernen wie zentral die Lehre von Gott fur unser christliches Weltbild ist Wir mussen das besonders deshalb lernen weil wir in einer Zeit des religi-oumlsen Pluralismus leben in der das Wort bdquoGottldquo im Wesentlichen bedeutungs-los und inhaltslos geworden ist Wir mussen den Mut haben aufzustehen und den einen Gott und keinen ande-ren zu verkunden Wir brauchen sogar in der evangelikalen Welt Mut in der zurzeit eine Debatte uber die Lehre von

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

24 7 8 6 uuml

Gott tobt um zu sagen dass nicht alle Vorstellungen von Gott gleich sind43 Es ist nur der Gott der Schrift wie er im historischen Christentum dargeboten wird der keine Illusion ist

Zweitens jedoch mussen wir neu ler-nen dass unsere Lehre von Gott nicht nur theoretisch sein darf Dieser Gott muss auch unser Teil sein Er muss der eine sein der unser Denken und unser Leben in Beschlag nimmt In unserem Lehren Predigen und Leben muss der Gott der Schrift unsere Leidenschaft und unsere Freude sein

Die Notwendigkeit biblischer Autoritaumlt und Irrtumslosigkeit

Wahrscheinlich haben nur wenige Evangelikale leidenschaftlicher uber Irrtumslosigkeit die Autoritaumlt der Bi-bel und die Lehre von der Inspiration gesprochen als Francis Schaeffer Er hat nicht nur bei der Bildung des bdquoInternati-onalen Rates fur Biblische Irrtumslosig-keitldquo mitgewirkt sondern auch daruber gelehrt gepredigt und geschrieben wie sehr die Autoritaumlt der Bibel eine Frage mit Wasserscheiden-Charakter ist Er hatte keine Zeit fur Evangelikale die nur Lippenbekenntnisse zur Autoritaumlt der Bibel ablegten und gleichzeitig das neu definierten was Irrtumslosigkeit historisch gesehen fur die Kirche be-

deutete und sie dabei durch hermeneu-tische Fragestellungen vernebelten oder die Anspruche der Bibel bezuglich ih-rer selbst unterhoumlhlten Die interessante Frage die sich jetzt stellt ist Warum Warum war Schaeffer die Autoritaumlt der Bibel ein solches Anliegen

Die Antwort sollte uns nicht uberraschen Sie war ihm darum ein solches Anliegen weil die Lehre von der Schrift so grundlegend fur das christli-che Weltbild und den Gott der Schrift ist Fur Schaeffer ist es der Gott der Bi-bel ndash der persoumlnliche unendliche drei-einige Gott ndash der die transzendentale Notwendigkeit fur Sinn Bedeutung Werte und Wahrheit ist Wir lernen diesen Gott nicht nur kennen weil er da ist sondern auch weil er zu uns ge-sprochen hat ndash er schweigt nicht Und weil Gott so ist wie die Schrift ihn zeigt ndash der Schoumlpfer Erhalter und Herr des Universums ndash haben wir intellektuell kein Problem damit zu bekraumlftigen dass Gott absolut dazu in der Lage ist sich uns selbst zu offenbaren und zu garan-tieren dass das was die irdischen Ver-fasser der Schrift freimutig schreiben genau dem entspricht was er geschrie-ben haben wollte Auszligerdem scheint das der Anspruch der Schrift bezuglich ihrer selbst zu sein44 So ist die Autoritaumlt der Bibel exegetisch theologisch und phi-losophisch sinnvoll Sie ist intellektuell glaubhaft ein wesentlicher Bestandteil der gesamten Weltbildstruktur Und

sie ist theologisch notwendig wenn wir Wahrheit haben und theologische Leh-ren begrunden wollen45 Ohne eine hohe Meinung von der Schrift verleugnen wir was die Schrift uber sich selbst sagt und unterhoumlhlen die Grundlage auf der wir Theologie treiben und die Grundfra-gen des Lebens beantworten koumlnnen46 Das ist der Grund warum Schaeffer zunehmend mehr uber Evangelikale be-unruhigt war die von einer hohen Mei-nung uber die Schrift abruckten oder sie unterhoumlhlten Sein letztes Buch das er buchstaumlblich auf seinem Sterbebett geschrieben hat versuchte die evange-likale Gemeinde aufgrund einiger der gerade dargelegten Grunde vor Kom-promissen bezuglich der biblischen Au-toritaumlt zu warnen Er schreibt

Die Evangelikalen sehen sich in unseren Tagen einer Wasserscheide gegenuber die die Natur der biblischen Inspiration und Autoritaumlt betrifft hellip Innerhalb der evangelikalen Welt gibt es eine Anzahl von Menschen die ihre Ansichten uber die Unfehlbarkeit der Bibel abaumlndern so dass die unumschraumlnkte Autoritaumlt der Bibel vollstaumlndig untergraben wird Aber dies geschieht in einer sehr spitzfin-digen Art und Weise Wie der Schnee der Seite an Seite auf der Gebirgskette liegt scheinen die neuen Ansichten uber die Autoritaumlt der Bibel oft nicht so sehr weit von dem entfernt zu sein was die Evangelikalen bis vor kurzem immer noch glaubten Aber ebenso wie der

Schnee der Seite an Seite auf dem Ge-birgskamm liegt enden die neuen An-sichten schlieszliglich wenn man sie kon-sequent verfolgt Tausende von Meilen von den alten entfernt

Was auf den ersten Blick nur ein klei-ner Unterschied zu sein scheint wird zuletzt zu einem sehr bedeutenden Unterschied Es macht wie wir wohl erwarten werden einen groszligen Unter-schied aus was die Theologie die Lehre und die geistlichen Fragen angeht aber es entscheidet auch grundsaumltzlich uber die alltaumlglichen Dinge im Leben eines Christen und uber die Art wie wir uns als Christen unserer Umwelt gegenuber zu verhalten haben Mit an-deren Worten wenn wir in bezug auf die unumschraumlnkte Autoritaumlt der Bibel einen Kompromiss eingehen dann wird dies mit der Zeit einen Einfluss darauf haben was es im theologischen Sinne heiszligt ein Christ zu sein und dieser Kompromiss wird auch Auswirkungen darauf haben wie wir in dem gesamten Spektrum des menschlichen Lebens un-ser Leben fuhren47

Es sollte uns nicht uberraschen dass verschiedene Evangelikale Schaeffers Darstellung als bdquoEntweder-Oderldquo nicht akzeptiert haben Scott Burson und Jerry Walls denken zum Beispiel dass er seine Sache ubertrieben habe Sie fragen ob Irrtumslosigkeit wirklich fur die Evangelikalen die Frage mit Wasserscheiden-Charakter ist und sie

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 257 8 6 uuml

antworten negativ48 Sie vertreten die Auffassung dass Gott sich weniger um den genauen Wortlaut der Schrift gekummert habe und mehr um die bdquoVerlaumlsslichkeit im Wesentlichen ihrer Gesamtbotschaftldquo49 Sie haben Probleme mit zwei Praumlmissen der Schaefferschen Argumentation (1) Dass die Bibel bis in die einzelnen Woumlrter hinein genau das enthaumllt was Gott sich wunscht (2) dass Gott praumlzise kontrollieren kann was menschliche Verfasser schreiben ohne ihre Freiheit wegzunehmen Die-se Praumlmissen scheinen einen impliziten Determinismus einzuschlieszligen ver-bunden mit einer kompatibilistischen Sicht von der menschlichen Freiheit50 Hinter dieser Kritik lauert die implizite Annahme einer libertarianischen Sicht von menschlicher Freiheit die das Ver-staumlndnis einer Begrenzung der souverauml-nen Kontrolle Gottes uber die Welt mit sich bringt51

Wichtig an dieser Beobachtung ist dass Burson und Walls zu Recht feststellen dass Schaeffers hohe Meinung von der Schrift und seine Verteidigung der Irr-tumslosigkeit ein gewisses Konzept von der Souveraumlnitaumlt Gottes und seiner Be-ziehung zu seinen Geschoumlpfen beson-ders zu den Verfassern der Schrift erfor-dert Schaeffer wurde als einer der eine festen Standpunkt von der goumlttlichen Souveraumlnitaumlt und der Herrschaft und Regierung Gottes in dieser Welt vertrat daruber nicht uberrascht sein Weil er

von einer reformatorischen Theologie her argumentierte hatte er anerkannt dass die Lehre von der Irrtumslosigkeit eng verbunden ist mit unserer Sicht von Gott Wie wir oben bemerkt ha-ben als wir die Gottzentriertheit von Schaeffers Denken kommentierten war die Lehre von Gott der entscheidende Ausgangspunkt bei seinem Verstaumlndnis und seiner Verteidigung des christli-chen Glaubens Fur ihn war nicht ein-fach irgendein Gott gut genug Es war nur der persoumlnlich-unbegrenzte (d h souveraumlne) dreieinige Gott der Schrift der allein die Grundlage fur Wahrheit und Wissen ist und der allein wenn er es so erwaumlhlt sich selbst in einer Wei-se die gaumlnzlich verlaumlsslich wahr und vertrauenswurdig ist offenbaren kann52 Was jedoch Schaeffer gestoumlrt haumltte ist die Schwaumlchung der unbegrenzten oder souveraumlnen Natur Gottes die jetzt in einigen Bereichen der evangelikalen Be-wegung vertreten wird53 Gestoumlrt haumltte ihn dieser Trend weil er von ganzem Herzen der scharfsinnigen Beobach-tung J I Packers zugestimmt haumltte

Die gewoumlhnliche Apologetik fur die Au-toritaumlt der Bibel ist an einer zu engen Front taumltig Wie wir gesehen haben ist Glauben an den Gott der reformatori-schen Theologie die noumltige Denkvoraus-setzung des Glaubens an die Schrift als bdquogeschriebenes Wort Gottesldquo Und ohne diesen Glauben verliert das bdquosola scrip-turaldquo als das von Gott gelehrte Prinzip

der Autoritaumlt mehr oder weniger seine Bedeutung hellip wir durfen niemals die Tatsache aus dem Blick verlieren dass unsere Lehre von Gott entscheidend fur unser Konzept von der Schrift ist und dass es in unserer Kontroverse mit einem groszligen Teil der modernen Theologie ge-rade hier ist wo man sich der entschei-denden Schlacht stellen muss und we-niger in Beziehung zum Phaumlnomen der Schrift54

Zweifellos koumlnnte und musste viel mehr uber Schaeffers Darstellung und Verteidigung der Lehre von der Irr-tumslosigkeit gesagt werden55 Aber es soll genugen zu sagen dass fur ihn die Autoritaumlt der Bibel eine Frage von gigantischen Ausmaszligen mit Wasser-scheiden-Charakter war Das war eine Frage die eng mit seiner umfassenden Verteidigung des christlichen Welt-bildes verknupft war Er glaubte dass ohne sie das christliche Weltbild sich aufzuloumlsen beginnen wurde ausgehend von der Lehre von Gott56 Und darin so bin ich uberzeugt hatte er Recht Wir mussen heute neu lernen dass die Lehre von der Irrtumslosigkeit der Schrift fur Evangelikale nicht nur eine von mehre-ren Alternativen ist Sie ist ein wesentli-cher Bestandteil dessen was christlicher Glaube ist Das abzuschwaumlchen bedeu-tet das Ganze zu unterhoumlhlen

Lehren die wir aus dem Leben Francis Schaeffers ziehen

Am Ende seines Lebens schrieb Schaef-fer die folgenden Worte

bdquoWorauf kommt es wirklich anldquo Was ist es das fur mein Leben und fur Ihr Leben so wichtig ist daszlig es die Priori-taumlten fur alles bestimmt was wir tun Unserem Herrn Jesus wurde ebendiese Frage gestellt und er antwortete bdquoDu sollst den Herrn deinen Gott lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand Dies ist das erste Ge-bot Das zweite aber ist ihm gleich Du sollst deinen Naumlchsten lieben wie dich selbst An diesen zwei Geboten haumlngt das ganze Gesetz und die Propheten (Matthaumlus 2237ndash40)ldquo

Hier wird gesagt worauf es wirklich ankommt ndash den Herrn unseren Gott zu lieben seinen Sohn zu lieben und ihn als unseren Erloumlser persoumlnlich an-genommen zu haben Und wenn wir ihn lieben dann tun wir das was ihm gefaumlllt es bedeutet ebenfalls sein Wesen der Heiligkeit und Liebe in unserem Leben Gestalt annehmen zu lassen seiner Wahrheit treu zu bleiben jeden Tag mit dem lebendigen Christus zu leben ein Leben des Gebets zu fuhren Die andere Haumllfte dessen worauf es wirklich ankommt besteht darin un-seren Naumlchsten zu lieben Beides gehoumlrt

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

26 7 8 6 uuml

zusammen es kann nicht voneinander getrennt werden hellip Und wenn wir un-seren Naumlchsten so lieben wie Christus das moumlchte dann moumlchten wir unserem Naumlchsten sicherlich das Evangelium weitersagen daruber hinaus werden wir den Wunsch haben Gottes Liebe in allen unseren Beziehungen zu unserem Naumlchsten durchscheinen zu lassen

Aber hier houmlrt es nicht auf Evangeli-sation ist vorrangig aber sie stellt nicht die Grenze unserer Arbeit dar und kann in der Tat nicht vom Rest des christ-lichen Lebens getrennt werden Wir mussen zuerst anerkennen und dann nach der Tatsache handeln dass Chris-tus wenn er unser Erloumlser ist auch Herr in allen Lebensbereichen ist Er ist un-ser Herr nicht nur in religioumlsen Dingen oder in kulturellen Bereichen wie den bildenden Kunsten und der Musik son-dern auch Herr unseres intellektuellen Lebens unseres Geschaumlftslebens unserer Beziehung zur Gesellschaft und unserer Haltung zum moralischen Zusammen-bruch unserer Kultur hellip Christus die Herrschaft uber unser Leben zu geben bedeutet dass wir uns ganz direkt und praktisch gegen den Zeitgeist stellen der unsere Welt regiert der sich fort-waumlhrend ausbreitet und den Anspruch erhebt autonom zu sein indem er auf seinem Weg alles zerstoumlrt was uns lieb und teuer ist57

In diesem Zitat erhaschen wir einen Blick auf einen Teil vom Leben Francis

Schaeffers und auf Lehren die wir aus diesem Leben ziehen koumlnnen Zweifellos ist es wahr dass Schaeffer nicht vollkom-men war das ist niemand Wir sehen jedoch in seinem Leben eine Person mit Integritaumlt einen Mann der versuchte das zu leben und dem entsprechend zu handeln was er glaubte und lehrte Ins-besondere strebte er danach den Herrn und seinen Naumlchsten zu lieben und da-durch sein Leben bestaumlndig sowohl im Denken als auch im Handeln unter die Herrschaft Jesu Christi zu bringen Wir wollen der Reihe nach diese Gebiete be-trachten

Liebe den Herrn deinen Gott

Wie oben festgestellt war Schaeffer ein Mann fur den Gott im Zentrum stand Das war nicht nur wahr in Be-zug auf sein Denken sondern auch fur sein Leben Ob man nun seine Werke liest oder seine Bandaufzeichnungen houmlrt eine tiefe Hingabe an den Herrn ist ganz offenkundig Hier ist einer der nicht nur uber Gott redet sondern der ihn tief kennt Selbst der Anfang von LrsquoAbri wurde in einer geistlichen Krise geboren bei der es darum ging Gott auf eine tiefere Art kennenzulernen Schaeffer erzaumlhlt in bdquoGeistliches Leben ndash Was ist dasldquo noch einmal wie er sich selbst 1951ndash1952 in einer geistli-chen Krise befand und wie aus dieser Krise heraus LrsquoAbri geboren wurde Er

entdeckte waumlhrend dieser Zeit was es bedeutete sich in unserem gegenwaumlrti-gen Leben und in der staumlndigen Abhaumln-gigkeit vom Geist Gottes im Gebet auf das vollbrachte Werk Christi zu verlas-sen Und das war fur ihn keine bloszlige Rhetorik LrsquoAbri selbst war im Gebet verwurzelt und gegrundet ein sichtba-res Zeugnis fur die Existenz Kraft und Gnade Gottes58

Wir sehen in Schaeffer auch einen Mann der danach strebte gleichzei-tig die Heiligkeit Gottes und die Liebe Gottes darzustellen wenn das auch auf unvollkommene Weise geschah Er war im Denken und Leben ein Mann des Mutes und des Mitgefuhls Er sprach viel uber die Notwendigkeit von bdquoliebe-voller Konfrontationldquo und er zeigte das in seinem Leben Harold O J Brown berichtet zum Beispiel von wenigstens drei Bereichen in denen Schaeffer ent-gegen der aktuellen Stroumlmung Stellung bezog und zwar weitgehend aufgrund des Verlangens den Herrn zu ehren von ganzem Herzen mit ganzer Seele mit ganzem Verstand und aller Kraft

Erstens stellte er sich gegen die Theo-logie Karl Barths Wie oben bemerkt bekehrte sich Schaeffer in den 1930er Jahren und erhielt damals auch seine theologische Ausbildung Zu jener Zeit war evangelikale Theologie aus einer Vielzahl von Grunden die weitgehend aus den fundamentalistisch-modernis-tischen Kontroversen jener Zeit stamm-

ten fast nicht existent Nach dem Zwei-ten Weltkrieg erfreute sich die evangeli-kale Bewegung jedoch unter Gelehrten wie F F Bruce und Carl F H Henry sowie unter dem evangelistischen Dienst von Billy Graham einer Wiedergeburt

Brown berichtet dass Schaeffer ein Teil dieser Bewegung sein und einen Status der Beruhmtheit haumltte erlangen koumlnnen er entdeckte jedoch Maumlngel und Kompromisse die ernst genug wa-ren den Evangelikalismus als Bewegung zu untergraben Was sah er Er sah den wachsenden Einfluss der Neoorthodoxie auf die evangelikale Theologie Attrak-tiv an Barth war dass er ebenso wie die Evangelikalen viele von Akademikern aufgestellte liberale Thesen kritisierte Dadurch fuhlten sich manche Evange-likale zu den orthodoxen Elementen in Barths Theologie hingezogen nahmen aber nur langsam die negativen Punkte wahr Schaeffer bemerkte aber nicht nur dass Barths Einfluss in Europa zuzuneh-men begann sondern auch dass Barths Theologie wenn sie angenommen wurde die evangelikale Theologie un-tergraben wurde59 Wo lag Barth schief Schaeffer vertrat die Auffassung dass Barth eine unangemessene Sicht von der Autoritaumlt der Bibel hatte Er gestand die theoretische Moumlglichkeit von Fehlern in der Schrift zu und untergrub dadurch die Grundlagen evangelikaler Theolo-gie Barths Kritik am Liberalismus war hilfreich Seine Glaubensgrundlagen

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 277 8 6 uuml

waren aber wackelig und genau darauf wies Schaeffer hin Schaeffer sah wahr-scheinlich klarer als irgendjemand an-deres dass man Barths Theologie besser nicht ubernehmen sollte60 Brown fasst das auf diese Weise zusammen

Ohne Zweifel war Barth antiliberal und bekraumlftigte die zentralen Lehren des christlichen Glaubens Sein Versagen darin die Unfehlbarkeit der Bibel und die Historizitaumlt der Evangelienberichte geltend zu machen bedeutete jedoch dass seine Bekraumlftigungen auf seiner charismatischen Autoritaumlt und nicht auf der Schrift beruhten Aufgrund seines Versagens darin die Grundlagen der biblischen Autoritaumlt die von Generati-onen zerstoumlrerischer Kritik untergraben worden waren abzustutzen war Barth nicht in der Lage eine zweite Genera-tion von protestantischen Theologen in dem Glauben den er selbst lehrte zu begrunden sein groumlszligter Einfluss bleibt der unter Evangelikalen und Konserva-tiven die schon wissen was sie glauben Zweifellos sind Barths Bekraumlftigungen ermutigend aber seine Grundlagen sind unzureichend und es waumlre gefaumlhr-lich ihn als einen theologischen Fuhrer zu waumlhlen Es ist bemerkenswert dass Schaeffer das vor drei Jahrzehnten ent-deckte waumlhrend einige evangelikale Leiter heute Barth als Antwort auf den modernen Unglauben bdquoentdeckenldquo61

Zweitens und das war wahrscheinlich fur manche Evangelikale sogar stoumlren-

der als sein Standpunkt gegen Barth schaffte es Schaeffer nicht die evange-listischen Methoden Billy Grahams von ganzem Herzen zu begrussen Das lag nicht daran dass Schaeffer etwa gegen Evangelisation war oder dass Graham nicht genugend klar fur die Autoritaumlt der Bibel eintrat Er hatte vielmehr zweifache Bedenken Zum einen war es fur Schaeffer alarmierend dass Gra-ham nicht genugend zwischen denen unterschied die am historischen Chris-tentum festhielten und denen die sich zum Liberalismus oder der roumlmisch-katholischen Theologie hielten und zu schnell mit ihnen zusammenarbeitete62 Zum Zweiten hatte er die Sorge dass Grahams Evangelisation nicht die gan-ze Person beruhrte d h dass sie dazu neigte lediglich zu einer emotionalen Entscheidung aufzurufen ndash einer Erfah-rung des bdquoObergeschossesldquo ndash die letzten Endes nur Pseudobekehrte produzieren wurde63 Wie Brown feststellt wurde Schaeffers Kritik am Ansatz Grahams nicht der weiten Oumlffentlichkeit darge-boten sie wurde jedoch bald bekannt Er wurde von manchen Leitern in der evangelikalen Bewegung wie etwa Carl Henry und Harold Lindsell kritisiert und von anderen als zu separatistisch abgeschrieben64 Schaeffer aber erkann-te etwas was zu viele nicht zu sehen vermochten Was nutzt bdquoErfolgldquo in der Evangelisation wenn sie nicht wahre Be-kehrte hervorbringt Besonders in dieser

Zeit mit den massiven Verschiebungen die in der Gesellschaft stattgefunden haben muss die evangelikale Bewe-gung zu bdquosoliden Grundlagen und zu guten Gefuhlenldquo aufrufen65 Wie Brown scharfsinnig beobachtet hat der Evan-gelikalismus in jenen fruhen Jahren nur deshalb ein Gefuhl der Staumlrke und Stabilitaumlt erlangt weil bdquoviele von Gra-hams Bekehrten spaumlter durch die Schule des disziplinierten Denkens Schaeffers gingenldquo66 Drittens gab es sein mutiges Eintreten fur die Rechte der Ungebo-renen Es ist wichtig zu erkennen dass Schaeffers sozialer Aktivismus nicht unabhaumlngig von seiner Verteidigung der Wahrheit und des Evangeliums war Wie schon oben festgestellt war die Roe gegen Wade-Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA im Jahr 1973 ein Pulverfass fur Schaeffer Sie war ein alarmierender Beweis dafur dass die Ideen der Aufklaumlrung began-nen praktische Auswirkungen darauf zu haben wie Menschen sich gegensei-tig sahen Schaeffer hatte bereits eine geraume Zeit lang vorausgesagt dass bei dem Verlust der christlichen Sicht von Realitaumlt im Westen eine der mas-sivsten Folgewirkungen der Verlust der Achtung vor dem menschlichen Leben sein werde Und genau das symbolisierte Roe gegen Wade fur Schaeffer Wenn er also mit herzlich wenigen anderen dieses Problem auf die Straszlige trug dann tat er das aus einem tiefen Emp-

finden der Liebe zu Gott und zu seinem Wort und ebenso aus Liebe zu seinem Naumlchsten Wahrheit erfordert Handeln Anfaumlnglich begruszligten aber nicht alle Evangelikale besonders nicht solche in Leitungspositionen Schaeffers Stand-punkt Wie Brown bemerkt wurde er mit der Veroumlffentlichung von bdquoA Chris-tian Manifestoldquo zum ersten Mal als ein politisch Konservativer gebrandmarkt Und das brachte ihm Angriffe von ei-ner wachsenden Zahl politisch liberaler Evangelikaler ein67 Brown stellt fest

Schaeffers zunehmend unverblumtes Engagement fur speziell konservative Anliegen in den letzten zwei Jahren sei-nes Lebens stoumlrte die Evangelikalen die ihm nicht zustimmten weil sie seinen Einfluszlig in der allgemeinen christlichen Oumlffentlichkeit erkannten Zusaumltzlich veraumlrgerte es andere die ihm im All-gemeinen zustimmten weil sie Streit vermeiden und ihre eigene Akzeptanz in der allgemeinen Oumlffentlichkeit nicht gefaumlhrden wollten Als Folge davon be-fand sich Schaeffer am Ende seines Le-bens noch einmal in der Position die er in den 1960er Jahren eingenommen hatte bevor sein Name zum Gemeingut wurde der Stimme eines Rufers in der Wuste68

Hier koumlnnen wir wieder von Schaeffer ler-nen Auch wenn es ihn einen hohen Preis kostete stand er fur die Sache von Wahr-heit und Leben ein Sein praktisches so-ziales Handeln war nicht getrennt von

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

28 7 8 6 uuml

seinen Glaubensuberzeugungen und seiner Liebe zum Herrn vielmehr floss das eine aus dem anderen In einer Zeit wo es so leicht ist inmitten von Druck Kompromisse zu schlieszligen und einzu-knicken wenn das Laufen schwierig wird ist Schaeffer ein Vorbild Er war wie die Alten der Vergangenheit bereit Gott mit seinem ganzen Sein zu lie-ben in den Schwierigkeiten des Lebens Charakter zu zeigen und der Wahrheit Gottes gehorsam zu sein

Liebe deinen Naumlchsten wie dich selbst

Wie Schaeffer in dem obigen Zitat fest-stellt sind die Liebe zu Gott und die Liebe zum Naumlchsten eng ineinander verflochten

bdquoWenn wir unseren Naumlchsten lieben wie Christus will dass wir unseren Naumlchsten lieben dann werden wir mit Sicherheit auch das Evangelium unse-rem Naumlchsten weitergeben wollen und daruber hinaus werden wir das Gesetz Gottes in all unseren Beziehungen mit unserem Naumlchsten darstellen wollenldquo69

Naturlich wird niemand der diesseits der Vollendung lebt jemals dieses Ide-al erreichen In Francis (und in Edith) Schaeffer sehen wir jedoch einen Men-schen der wenigstens versuchte vor-bildhaft fur uns etwas von dem zu le-ben wonach wir streben Wir sehen dies besonders in drei Bereichen

Zum Ersten zeigte Schaeffer seine Liebe zum Naumlchsten darin dass er versuchte ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen zu geben In seiner Broschure bdquoTwo Con-tents Two Realitiesldquo behauptet Schaef-fer dass es vier Dinge gebe die absolut notwendig sind wenn Christen sich den Herausforderungen unserer Zeit stellen wollen (1) Gesunde Lehre (2) Ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen (3) Wah-re Geistlichkeit und (4) die Schoumlnheit menschlicher Beziehungen In der Be-sprechung von (1) und (2) betont er die Notwendigkeit in Bezug auf gesunde Lehre keine Kompromisse zu schlieszligen aber gleichzeitig Zeit mit Menschen zu verbringen und zu versuchen ihre Fragen zu beantworten Er beklagt die Haltung mancher in der Kirche die den Eindruck vermitteln dass wir keine Fragen stellen durfen und nur glauben mussen Das so sagt er ist immer falsch Es ist falsch weil es Menschen nicht als ganzheitliche Personen ansieht die sowohl intellektu-elle als auch geistliche Antworten brau-chen70 Es ist besonders falsch in einer Zeit die nicht an die Wahrheit glaubt zu sagen dass wir die Wahrheit haben sich dann aber nicht die Zeit zu neh-men wirkliche und schwierige Fragen zu beantworten Das beansprucht naturlich nicht nur eine Menge an Zeit und Bemuhung es erfordert auch Mitgefuhl Menschen dort zu treffen wo sie sind Fragen zu beantworten ist harte Arbeit Schaeffer sagt das so

Als Christen mussen wir genug Liebe und Mitgefuhl aufbringen um auf die Fragen unserer Zeitgenossen zu houmlren Zu viele von uns werden von dem fal-schen Ehrgeiz geplagt alle Fragen spon-tan zu beantworten ndash als koumlnne man ei-nen Trichter ans Ohr setzen alle Daten und Fakten einfuttern und dann loszie-hen und alle Diskussionen gewinnen So geht es aber nicht

Fragen zu beantworten ist harte Ar-beit Koumlnnen Sie alle Fragen beantwor-ten Nein aber Sie mussen sich darum bemuhen Houmlren Sie zunaumlchst einmal mit Anteilnahme zu welche Fragen Ihr Gegenuber bewegen und versuchen Sie dann Antworten zu geben Wissen Sie keine Antwort dann machen Sie sich auf die Suche Lesen Sie und uberlegen Sie so lange bis Sie moumlgliche Antworten gefunden haben

Nicht jeder ist berufen die Fragen von Intellektuellen zu beantworten Aber ob wir mit Akademikern oder mit Dockarbeitern sprechen die Aufgabe ist immer dieselbe Waumlhrend meines zwei-ten Pfarramtes gehoumlrten viele Hafenar-beiter zu meiner Gemeinde und seither weiszlig ich dass sie dieselben grundlegen-den Fragen haben wenn sie sie auch anders formulieren

Antworten sind nicht Erloumlsung Dazu kommt das Wirken des Heiligen Geistes Dennoch sind wir dafur verantwortlich ndash und darum geht es mir in diesem Zu-sammenhang ndash genug Mitgefuhl auf-

zubringen um zu beten und die harte Arbeit zu tun die notwendig ist um die aufrichtigen Fragen zu beantworten71

Das waren fur Schaeffer nicht nur leere Worte sie spiegelten sein Leben wider72 Fur unzaumlhlbare Menschen die nach LrsquoAbri kamen versuchte Schaeffer das in die Tat umzusetzen was er lehrte Staumlndig ist eine der Klagen die ich von Studenten am Seminar houmlre dass Pro-fessoren und sogar Pastoren keine Zeit fur sie haben Sie haben ehrliche Fragen die Zeit und Aufmerksamkeit erfordern aber oft sind wir zu beschaumlftigt um zu helfen Wie Schaeffer uns erinnerte sind wir jedoch berufen unseren Naumlchs-ten zu lieben Fur christliche Leiter Pastoren und Lehrer ist sicherlich ein Weg auf dem sich das zeigen muss die verbrachte Zeit die erwiesene Fursorge und die gegebenen ehrlichen Antwor-ten an echte Menschen die in einem postmodernen Zeitalter nicht weniger als dies verdienen

Eine zweite Art wie die Schaeffers ihre Liebe zu anderen zeigten geschah durch Gastfreundschaft In LrsquoAbri oumlffneten sie ihr Haus fur einzelne Menschen und das war sicher nicht einfach Als Schaef-fer spaumlter daruber nachdenkt stellt er fest dass bdquoungefaumlhr in den ersten drei Jahren von LrsquoAbri alle unsere Hochzeits-geschenke vernichtet wurden Unsere Laken wurden zerrissen Loumlcher wurden in unsere Teppiche gebrannt Einmal waumlre fast ein ganzer Vorhang verbrannt

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 297 8 6 uuml

weil jemand in unserem Wohnzimmer geraucht hatte hellip Drogen kamen in unser Haus Leute erbrachen sich in un-seren Raumlumenldquo73 Ich will damit nicht sagen dass jeder das tun muss was die Schaeffers taten Wir sehen jedoch in ih-rem Leben zwei Menschen die das Ge-bot ernst nahmen sowohl Gott als auch den Naumlchsten zu lieben Eine Geschich-te nach der anderen in LrsquoAbri dreht sich darum wie diese sichtbare Liebe entscheidend dafur war Menschen zu Christus zu bringen74 Evangelisation darf nicht davon getrennt werden wie wir den ganzen Menschen mit unseren Worten und unseren Taten behandeln

Zum Dritten strebte Schaeffers Le-ben danach ein wundervolles Gleich-gewicht zwischen Wahrheit und Lie-be darzustellen Er stand fest fur das Evangelium aber waumlhrend er das tat strebte er danach die Menschen denen er diente in Beziehungen von Mensch zu Mensch zu lieben und zu verstehen Brown vergleicht Francis Schaeffer mit Athanasius einem anderen Vorbild aus der Vergangenheit der wusste was es heiszligt fur die Wahrheit einzutreten Brown erzaumlhlt wie Schaeffer versuchte das Gleichgewicht zwischen Wahrheit und Liebe zu halten Er stellt fest

Wie Athanasius nahm Schaeffer ndash besonders in seinen letzten Jahren ndash Standpunkte ein die manche als unmaumlszligig und unflexibel bezeichnen wurden Wir wissen nicht wirklich wie

Athanasius mit Menschen auf einer per-soumlnlichen Ebene umging Es ist moumlglich dass er mit Einzelnen so streng war wie er es mit ihrer Theologie war In Schaeffers Fall wissen wir jedoch dass die Haumlrte seiner Uumlberzeugungen in Be-ziehungen von Mensch zu Mensch wie auch in der oumlffentlichen Debatte immer durch Liebe und Verstaumlndnis gemildert wurde Er behandelte die mit denen er zutiefst uneins war bestaumlndig mit Rucksicht und Liebe Francis Schaeffer hielt nicht nur die Stellung fur biblische Orthodoxie in seiner Generation wie Athanasius das getan hatte Vielleicht noch wichtiger ist dass Schaeffer der naumlchsten Generation nicht nur zeigte dass sie Stellung beziehen muss sondern wo sie sie beziehen muss und wie sie das tun kann naumlmlich in den Worten des Paulus bdquodie Liebe in Wahrheit zu re-denldquo (Eph 415) Er hat uns gezeigt dass bdquocontra mundumldquo (dt bdquogegen die Weltldquo) einzutreten ein wesentlicher Teil davon ist bdquopro Christoldquo (dt bdquofur Christusldquo) zu seinldquo75

Hier ist eine weitere Lehre die wir zie-hen mussen besonders wir die wir als Leiter in der Kirche dienen Jede Gene-ration muss fur die Wahrheit eintreten aber wir mussen das in Liebe tun Heute houmlren wir viel uber die Liebe eine harte und kompromisslose Stellungnahme fur die Wahrheit wird daruber oft vernach-laumlssigt In einer Zeit die es dringend nouml-tig hat die Wahrheit zu houmlren koumlnnen

wir an diesem Punkt nicht schwanken Wir durfen jedoch auch nicht ins ande-re Extrem fallen Sowohl Wahrheit als auch Liebe sind notwendig Und Francis Schaeffer ist an diesem Punkt ein hilf-reiches Vorbild Ein Mann mit Uumlber-zeugungen verwurzelt und gegrundet in Gottes Wort ein Mann der aus ers-ter Hand wusste was bdquoliebevolle Kon-frontationldquo bedeutet ein Mann der da-nach strebte den Herrn seinen Gott zu lieben und seinen Naumlchsten wie sich selbst und im Denken und Handeln die Herrschaft Jesu uber sein gesamtes Leben darzustellen Moumlgen wir lernen das gleiche zu tun

Letztendlich war Francis Schaeffer ein gefallener unvollkommener Mann gerettet durch die Gnade Gottes Er machte wie wir alle viele Fehler Aber er war eine einzigartige Einzelperson von Gott begabt fur seine Generation Er sagte oft dass Gott nicht jemanden mit auszligergewoumlhnlichen Gaben gebrau-chen muss Gott kann stattdessen einen toten Holzstock in der Hand des Mose gebrauchen wenn er das will In einer sehr denkwurdigen Predigt sagte er das so

Obwohl wir begrenzt und schwach an Begabung koumlrperlicher Energie und psychischer Staumlrke sind sind wir nicht weniger als ein Holzstock Aber wie der Stab des Mose der Stab Gottes werden musste muss das was ich bin zum ich Gottes werden Dann kann ich nutzlich

werden in den Haumlnden Gottes Die Schrift betont dass viel von wenig kom-men kann wenn das Wenige wahrhaft Gott geweiht ist Im wahren geistlichen Sinn gibt es keine kleinen Leute und groszlige Leute sondern nur geweihte und nicht geweihte Leute Das Problem fur jeden von uns ist es die Wahrheit auf uns selbst anzuwenden hellip Wer sich selbst fur eine kleine Person an einem kleinen Ort haumllt kann wenn er sich Christus hingibt und in seinem gesam-ten Leben unter Seiner Herrschaft lebt durch Gottes Gnade den Fluss unserer Generation aumlndern Und wenn wir aumllter werden und wissen wie schwach wir sind und dann zuruckschauen und sehen dass wir irgendwie von Gott ge-braucht wurden dann sollten wir der Stab sein der bdquovon Freude uberraschtldquo ist76

Aus dem Denken und Leben Francis Schaeffers gibt es viel zu erwaumlgen und zu lernen Nur papageienhaft alles nachzu-plappern was er sagte wurde ihn nicht ehren Er haumltte das nicht gewollt Wir mussen stattdessen von ihm lernen wie wir wirkungsvoller in unserer Zeit die-nen koumlnnen so wie er es in seiner tat Dabei mussen unser Verstand und un-ser Herz fest in der Schrift verwurzelt und gegrundet sein Wir mussen lei-denschaftlich fur das Evangelium sein bereit die Fragen unserer Zeit in Treue gegenuber unserem groszligen Gott anzu-gehen Das waumlre der houmlchste Tribut den

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

30 7 8 6 uuml

1 Wenn nicht anders vermerkt werden alle Zitate aus den Schriften Francis Schaeffers entnommen Francis A Schaeffer The Complete Works of Fran-cis A Schaeffer Crossway Books 19852 Michael S Hamilton bdquoThe Dissatis-faction of Francis Schaeffer thirteen years after his death Schaefferrsquos visi-on and frustrations continue to haunt Evangelicalismldquo In Christianity Today 1997 S 223 Harald O J Brown Standing Against the World Westchester Crossway 1986 S 15ndash164 Diese drei Bereiche des Einflusses Schaeffers sind entnommen aus Brown A a O S 19ndash255 Fur mehr Informationen uber den per-soumlnlichen Einfluss von Francis Schaeffer im Leben von verschiedenen Personen vgl die Kapitel in Teil 2 von Lane T Dennis Francis A Schaeffer Portraits of the Man and His Work Westchester Ill Crossway Books 1986 S 129ndash205 Vgl in diesem Zusammenhang auch ei-nige der persoumlnlichen Korrespondenzen zwischen Schaeffer und verschiedenen Leuten uber eine Vielzahl von Themen in Francis A Schaeffer und Lane T Dennis Letters of Francis A Schaeffer Spiritual Reality in the Personal Chris-tian Life Westchester Ill Crossway Books 19856 Francis Schaeffers letztes Werk The Great Evangelical Disaster (Die groszlige Anpassung Der Zeitgeist und die Evan-gelikalen) wurde nur Monate bevor er an Krebs starb veroumlffentlicht In diesem Werk versuchte er die Evangelikalen zu warnen und sie instaumlndig zu bitten in Bezug auf die Autoritaumlt der Bibel und die Ausschlieszliglichkeit des Evangeli-ums keine Kompromisse zu schlieszligen Er nannte sogar verschiedene Namen

derer von denen er glaubte sie haumltten an diesen Punkten Kompromisse ge-schlossen Gleichzeitig rief er eine neue Generation von Christen dazu auf als bdquoRadikale fur die Wahrheitldquo in unserer Zeit Stellung zu beziehen bdquoThe Great Evangelical Disasterldquo wurde neu ver-oumlffentlicht in Francis A Schaeffer The Complete Works of Francis A Schaef-fer Bd 4 A a O S 301ndash4117 bdquoNeoorthodoxieldquo ist eine theologische Bewegung die in den 1920er Jahren begann und bis heute weitergeht auch wenn ihr hauptsaumlchlicher Einfluss in der weiteren theologischen Welt von den 1920er bis zu den 1970er Jahren lag Sie ist verbunden mit einer Anzahl von Theologen wie Rudolf Bultmann Emil Brunner Reinhold Niebuhr und Paul Tillich Am bekanntesten ist je-doch die Verbindung zur Theologie des Schweizer Theologen Karl Barth Zu weiteren Informationen uber bdquoNeoor-thodoxieldquo s David F Ford (Hrsg) The Modern Theologians 2 Aufl Oxford Blackwell 1997 S 21ndash102 C A Bax-ter bdquoNeo-Orthodoxyldquo In Sinclair Fer-guson et al (Hrsg) New Dictionary of Theology Downers Grove InterVarsity Press 1988 S 456ndash4578 Zu diesem Thema siehe besonders Francis A Schaeffer Wie koumlnnen wir denn leben Aufstieg und Niedergang der westlichen Kultur 5 Aufl Holz-gerlingen Haumlnssler 2000 Francis A Schaeffer Bitte laszlig mich leben Fur Menschlichkeit in unmenschlicher Gesellschaft Telos-Bucher 1205 Neu-hausen-Stuttgart Haumlnssler 1981 Fran-cis A Schaeffer A Christian Manifesto 1st trade pbk Wheaton Ill Crossway Books Published in association with Nims Communications 20059 Brown Standing Against the World A a O S 2310 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 102 Die Kritiken die Dennis er-

waumlhnt sind die von Wells Ronald A Wells bdquoFrancis Schaefferrsquos Jeremiad A Review Articleldquo In The Reformed Journal Mai 198211 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 227 Fn 512 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 102ndash126 Dennisrsquo ausgezeichnete Diskussion dieser ganzen Frage ist sehr hilfreich weil er die Frage umfassend anspricht ob Schaeffer ein bdquoGelehrterldquo war und ob diese Frage der wirkliche Grund fur die negative Reaktion auf seine Gedanken ist13 Vgl Hamilton bdquoThe Dissatisfaction of Francis Schaefferldquo A a O S 3014 Es ist wohl bekannt dass der Evange-likalismus eine uber eine Anzahl wich-tiger Lehrfragen zerspaltene Bewegung ist Zur Diskussion uber einige dieser Lehrspaltungen aus einer Vielfalt von Blickwinkeln vergleiche bdquoEvangelical Megashiftldquo In Chritianity Today 19 Februar 1990 S 12ndash17 Kenneth S Kantzer und Carl F H Henry (Hrsg) Evangelical Affirmations Grand Ra-pids Zondervan 1990 Millard Erick-son The Evangelical Left Grand Ra-pids Baker 1997 Roger Olsson bdquoThe Future of Evangelical Theologyldquo In Christianity Today 9 Februar 1998 S 40ndash42 Elmer M Colyer (Hrsg) Evangelical Theology in Transition Downers Grove Inter-Varsity Press 1999 Stanley Grenz Renewing the Center Grand Rapids Baker 2000 John D Woodbridge et al This We Be-lieve Grand Rapids Zondervan 200015 Fur weitere Materialien die das Leben Francis Schaeffers sehr viel detaillierter skizzieren vgl David Porter bdquoFrancis Schaefferldquo In John D Woodbridge (Hrsg) Great Leaders of the Christian Church Chicago Moody Press 1988 S 362ndash366 Colin Duriez bdquoFrancis

Schaefferldquo In Walter A Elwell Hand-book of Evangelical Theologians Grand Rapids Baker 1993 S 245ndash259 und Dennis Portraits of the Man and His Work A a O S 207ndash211 Vgl auch die Lebensgeschichte der Schaeffers erzaumlhlt von Edith Schaeffer in Llsquo Abri Gottes Wirklichkeit heute erlebt 4 Aufl Wup-pertal Oncken Verlag 1975 und The Tapestry The life and times of Francis and Edith Schaeffer Waco Tex Word Books 198116 Zu weiteren Informationen uber den Dienst der LrsquoAbri Gemeinschaft heute vgl URL httpwwwlabriorg17 Fur eine vollstaumlndige Liste von Bu-chern Kassetten und Videos von Francis und Edith Schaeffer vgl URL httpwwwlabriorg18 Dieses Thema zieht sich durch Schaef-fers Bucher hindurch vgl aber beson-ders Francis A Schaeffer Gott ist keine Illusion 3 Aufl Wuppertal Brockhaus Verlag 1974 Francis A Schaeffer und er schweigt nicht Ist eine Philoso-phie ohne Gott realistisch 1 Taschen-buchausg Wuppertal Genf Zurich Basel Brockhaus Verlag 1975 Schaef-fer Wie koumlnnen wir denn leben A a O Schaeffer Bitte laszlig mich leben A a O19 Es ist viel debattiert worden uber die Genauigkeit von Schaeffers Analyse von Denken Kunst Musik und Kultur des Westens Auch wenn es zweifellos wahr ist dass er an einigen Punkten ein va-ges und stark verallgemeinertes Bild gemalt hat ist gleichzeitig anerkannt worden dass sich das bdquogroszlige Bildldquo das er gezeichnet hat als grundlegend richtig erwiesen hat Mehr zu diesen Aufsaumltzen findet sich bei Roland Nash The Life of the Mind and the Way of Life Westchester Ill Crossway Books 1986 S 53ndash69 bzw 101ndash126 Vgl auch einige der hilfreichen Kommentare von Duriez in Dennis Francis A Schaeffer Portraits of the Man and His Work A a O S 252ndash259

Prof Dr Stephen J Wellum

Anmerkungenman einem Mann zollen kann der in seinem Denken und Leben mehr als al-les danach strebte unter der Herrschaft Jesu Christi allein zur Ehre Gottes zu leben

Prof Dr Stephen J Wellum

ist auszligerordentlicher Professor am bdquoThe Southern Baptist Theological Seminaryldquo in Louisville Kentucky (USA) Er ist ein beliebter Redner auf Konferenzen Autor mehrerer Ar-tikel und Buchbeitraumlge und Mitver-fasser (gemeinsam mit Peter Gentry) von bdquoKingdom Through Covenant A Biblical-Theological Understanding of the Covenantsldquo (Crossway 2012) Sein Artikel erschien ursprunglich als Stephen J Wellum bdquoFrancis A Schaeffer (1912ndash1984) Lessons from His Thought and Lifeldquo In SBJT Vol 6 No 2 (2002) S 4ndash32 Die Uumlbersetzung erfolgte durch Wolfgang Haumlde Redaktionell bearbeitet wurde der Beitrag von Christian Pletsch und Deike Sumann

glauben amp denken heute 22012 317 8 6 uuml

20 Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 1421 Ebd S 822 Ebd S 8ndash923 Zu mehr uber Postmodernismus sei er populaumlr oder differenziert vgl die folgenden Werke Gene E Veith Jr Postmodern Times Wheaton Cross-way 1994 David Dockery (Hrsg) The Challenge of Postmodernism Grand Rapids Baker 1995 Stanley J Grenz A Primer on Postmodernism Grand Ra-pids Eerdmans 1996 D A Carson The Gagging of God Grand Rapids Zonder-van 1996 Kevin Vanhoozer Is There a Meaning in This Text Grand Rapids Zondervan 1998 und Millard Erickson Truth or Consequences The Promise and Perils of Postmodernism Downers Gro-ve InterVarsity Press 2001 sowie The Postmodern World Wheaton Crossway 200224 Carson The Gagging of God A a O S 1925 Schaeffers Gebrauch des Ausdrucks bdquowahre Wahrheitldquo veranschaulicht seine Besorgnis dass der Begriff bdquoWahrheitldquo nicht laumlnger das bedeutete was er immer bedeutet hatte Um also wirkungsvoll mit einer Generation zu kommunizieren die nicht an Wahrheit glaubt praumlgte er diesen Ausdruck um eine objektive uni-versale der Wirklichkeit entsprechende Sicht von Wahrheit zu kommunizieren26 Vgl dazu auch Carson The Gagging of God A a O S 13ndash54 u 419ndash51427 Zu dieser Analyse vgl besonders Fran-cis A Schaeffer Preisgabe der Vernunft Kurze Analyse der Ursprunge und Ten-denzen des modernen Denkens 5 Aufl GenfWuppertal Brockhaus Verlag 198528 Der Begriff bdquoRationalismusldquo kann fur verschiedene Leute verschiedene Dinge bedeuten Fur manche ist es ein Begriff der sich auf eine erkenntnistheoretische Schule bezieht die als bdquoKontinentaler

Rationalismusldquo bekannt ist im Gegen-satz zu anderen Schulen wie dem bdquoBri-tischen Empirismusldquo oder Immanuel Kants bdquoTranszendentalem Idealismusldquo Fur andere bezieht er sich einfach auf eine Person die den Gebrauch der Ver-nunft uberbetont Was jedoch Schaeffer betrifft so gebraucht er den Begriff in Bezug auf bdquojede Philosophie oder jedes Gedankensystem das vom Menschen alleine ausgeht beim Versuch einen ein-heitlichen Sinn des Lebens zu findenldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 200) Mit an-deren Worten bdquoRationalismusldquo bezieht sich auf eine Geisteshaltung auf einen philosophischen Ansatz der Menschen als die letzte Autoritaumlt in Fragen von Wahrheit und Wirklichkeit betrachtet und das dann gegen das Christentum setzt das Gott und sein Wort als die letz-te Autoritaumlt fur Fragen von Wahrheit und Wirklichkeit betrachtet29 Schaeffers Analyse des westlichen Den-kens als einer schrittweise Entwicklung einer Anzahl dialektischer Spannungen aumlhnelt sehr der Analyse von Herman Dooyewwerd A Critique of Theoretical Thought 4 Bde Philadelphia Presbyte-rian and Reformed 1953ndash58 Viel ver-dankt sie seinem ehemaligen Professor Cornelius Van Til dessen Gedanken sich in Werken befinden wie A Christian Theory of Knowledge Phillipsburg Pres-byterian and Reformed 1969 und A Sur-vey of Christian Epistemology Philadel-phia Presbyterian and Reformed 196930 Vgl Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 19ndash94 Fur Schaeffer war diese Analyse ein Herzstuck seiner Apologetik Immer wieder versuchte er den Men-schen zu helfen sich erkenntnistheore-tisch der Implikationen ihrer Denkvor-aussetzungen bewusster zu werden Da-bei versuchte er zu zeigen dass alle Welt-bilder auszliger dem Christentum letztlich in sich inkonsequent sind und es daher nahezu unmoumlglich ist sie in der Praxis

auszuleben Zu weiteren Informationen uber das Wesen und die Methodologie von Schaeffers Apologetik vgl Gott ist keine Illusion A a O S 132ndash18131 Dieses Thema zieht sich durch alle Schriften Schaeffers hindurch und eben-so durch seine auf Band aufgenommenen Vorlesungen Vgl besonders seine Ton-band-Vorlesung mit dem Titel bdquoGrund-legende Probleme denen wir gegenuber stehenldquo Teil 1 und 2 Alle Tonbaumlnder Schaeffers und die der LrsquoAbri Fellowship koumlnnen gekauft werden durch Sound Word Associates PO Box 2036 Ches-terton IN 46304 oder uber httpwwwsoundwordcom oder sind kostenlos im LlsquoAbri ideas library verfugbar URL httpwwwlabri-ideas-libraryorg 32 Es ist viel daruber diskutiert worden ob Schaeffer Barth richtig interpretiert und verstanden hat Ohne Zweifel gibt es bei Barth viel mehr Nuancen als Schaef-fer in seinen Buchern erwaumlhnt und uber Barths Theologie kann und muss viel mehr gesagt werden Ich wurde jedoch behaupten dass Schaeffers grundlegende Analyse richtig ist besonders an den von ihm betonten Punkten Fur eine tiefer ge-hende Behandlung von Barths Theologie die einer aumlhnlichen Beurteilung folgt vgl Cornelius Van Til Christianity and Barthianism Nutley Presbyterian and Reformed 197733 Vgl die auf Band aufgenommenen Vor-lesungen Schaeffers mit den Titeln bdquoBasic Problems We Faceldquo (Grundlegende Prob-leme denen wir gegenuberstehen) bdquoEx-clusive Christ in an Inclusive Ageldquo (Der ausschlieszligliche Christus in einem Zeit-alter das alles einschlieszligt) bdquoRelativism in the 20th Centuryldquo (Relativismus im 20 Jahrhundert) und bdquoVatican Council IIldquo (Das Zweite Vatikanische Konzil) In den Vorlesungen uber das Zweite Va-tikanische Konzil analysiert Schaeffer einfuhlsam die Verschiebungen die in der roumlmisch-katholischen Theologie vor sich gingen bis hin zu einem bdquoinklusive-

renldquo Verstaumlndnis von Heil zu Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils im Jahr 196234 Der Begriff bdquoWeltbildldquo ist heute mitt-lerweile dank des Einflusses von Men-schen wie Francis Schaeffer ublich Fur ein populaumlres Werk das uns hilft Ideen aus der Perspektive von Weltbildstruktu-ren zu sehen vgl James Sire The Univer-se Next Door 3 Aufl Downers Grove InterVarsity Press 199735 In der Apologetik wird das Wort bdquoDenkvoraussetzungldquo (Praumlsuppositi-on) nicht immer auf die gleiche Art ge-braucht Es ist wichtig sich daran zu erinnern und leider wird das oft verges-sen in Debatten uber methodologische Unterschiede zwischen verschiedenen apologetischen Ansaumltzen innerhalb der evangelikalen Apologetik Schaeffer zum Beispiel benutzte den Begriff mit Bezug auf bdquoeinen Glauben oder eine Theorie die angenommen wird bevor der naumlchs-te Schritt in der Logik entwickelt wirdldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 201 [Anm In der dt Ausgabe fehlt die Erklaumlrung]) In diesem Sinne dienen bdquoDenkvorausset-zungenldquo als Hypothesen die unabhaumlngig verifiziert werden mussen durch solche Dinge wie Logik historische Beweise pragmatische Eignung usw Gordon Clark Three Types of Religious Philoso-phy 2nd Jefferson Md Trinity Foun-dation 1989 S 121ndash123 gebrauchte den Begriff um sich auf bdquoAxiomeldquo des Gedankensystems einer Person zu bezie-hen die unbeweisbar sind weil sie dog-matisch postuliert werden als ein erstes Prinzip das zu demonstrieren es nichts Grundlegenderes gibt Andererseits ge-brauchte Cornelius Van Til den Begriff mit Bezug auf die letztgultigen Kriterien eines Weltbildes die nicht jenseits ver-nunftgemaumlszliger Beweisbarkeit liegen d h sie sind transzendentale Gegebenheiten uber die man streiten und sie verteidi-gen muss Wie Van Til feststellt bdquoEin

wahrhaft transzendentales Argument nimmt jede Erfahrungstatsache die es untersuchen moumlchte und versucht zu bestimmen was die Denkvoraussetzung dieser Tatsache sein muss um es zu dem zu machen was es istldquo (Cornelius Van Til A Survey of Christian Epistemology Philadelphia Presbyterian and Refor-med 1969 S 10 u vgl S 201) Zu ei-ner hilfreichen Diskussion daruber wie der Begriff Denkvoraussetzung in der christlichen Apologetik gebraucht wird vgl Greg L Bahnsen Van Tilrsquos Apologe-tic Readings and Analysis Phillipsburg N J PampR Pub 1998 S 461ndash69736 Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 1037 Schaeffer Preisgabe der Vernunft A a O S 11ndash1238 Schaeffer sprach davon mit dem Begriff bdquoPrauml-Evangelisationldquo Christliche Apolo-getik so argumentiert er hat zwei Ziele (1) das Evangelium zu verteidigen und (2) das Evangelium auf eine Art weiterzuge-ben dass die jeweilige Generation es ver-stehen kann Beim Gebrauch des Begriffs bdquoPraumlevangelisationldquo bezog er sich auf (2) Schaeffers Anliegen war es dass bei unse-rer Darbietung des Evangeliums beson-ders beim Leben in einer zunehmend bi-blisch analphabetischen und postchristli-chen Kultur die Menschen Wissen uber das Evangelium brauchen bevor sie zum Glauben kommen Daher ist Praumlevange-lisation noumltig Wie er feststellt bdquokommt die Einladung zu handeln [das heiszligt an Christus zu glauben] erst nachdem eine angemessene Wissensgrundlage gegeben wurde hellip Wissen geht dem Glauben vor-aus Das ist entscheidend fur das Verste-hen der Bibel bdquoZu sagen (und das sollten Christen) dass nur jener Glaube wahrer Glaube ist der an Gott auf der Grundlage von Wissen glaubt bedeutet etwas zu sa-gen das in der Welt des zwanzigsten Jahr-hunderts eine Explosion verursachtldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 153ndash154)

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

32 7 8 6 uuml

39 Vgl zum Beispiel Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 96ndash160 Francis A Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houmlren Genfer Bibelgesellschaft 2004 und verschiedene Bandaufnahmen wo er das diskutiert etwa in bdquoBasic Problems We Faceldquo und bdquoBefore the Beginningldquo40 Der Ausdruck bdquodie Gedanken Got-tes ihm nachdenkenldquo war ein starker Schwerpunkt im Denken Cornelius Van Tils dem Apologetiklehrer Schaeffers am Westminster Theological Seminary Zu einer hilfreichen Diskussion dieser Wen-dung bei Van Til auch mit Anwendung auf Schaeffers Denken vgl Bahnsen Van Tillsquos Apologetic A a O S 220ndash26041 Dieses Argument wird besonders entwickelt in Francis A Schaeffer Ge-nesis in Raum und Zeit Wuppertal Brockhaus Verlag 1976 und Francis A Schaeffer Die groszlige Anpassung Der Zeitgeist und die Evangelikalen Asslar Schulte u Gerth 198842 Fur die Zentralitaumlt der Lehre von Gott im Leben Schaeffers vgl solche Werke wie Francis A Schaeffer Geistliches Leben ndash Was ist das Wuppertal R Brockhaus Verlag 1975 Schaeffer Un-sere Welt soll sein Wort houmlren A a O Schaeffer Die grosse Anpassung A a O43 Man muss einfach an die tobende De-batte innerhalb der evangelikalen Theolo-gie uber bdquoOffenen Theismusldquo (engl Open Theism) denken und an den Versuch bdquoOffener Theistenldquo die Lehre von Gott neu zu definieren und zu revidieren Vgl dazu die verschiedenen Bucher von bdquoOf-fenen Theistenldquo wie etwa Clark Pinnock et al The Openness of God Downers Grove InterVarsity Press 1994 John Sanders The God Who Risks Dow-ners Grove InterVarsity Press 1998 und Gregory A Boyd God of the Possible Grand Rapids Baker 2000 Im Hinblick auf eine Antwort und kompetente Kritik vgl Bruce A Ware Godrsquos Lesser Glory

Wheaton Crossway 2000 und John M Frame No Other God Phillipsburg Presbyterian and Reformed 200144 Zu dem was die Schrift von sich selbst behauptet vgl Wayne Grudem bdquoScripturersquos Self-Attestation and the Problem of Formulating a Doctrine of Scriptureldquo In D A Carson und John D Woodbridge (Hrsg) Scripture and Truth Grand Rapids Zondervan 1983 S 19ndash59 John Frame bdquoScripture Speaks for Itselfldquo In John Warwick Mont-gomery (Hrsg) Godrsquos Inerrant Word Minneapolis Bethany 1974 S 178ndash200 Sinclair Ferguson bdquoHow Does The Bible Look at Itselfldquo In Harvie Conn (Hrsg) Inerrancy and Hermeneutic Grand Ra-pids Baker 1988 S 47ndash6645 Schaeffers Argument an diesem Punkt grundet sich auf die erkenntnistheoreti-sche Notwendigkeit der Irrtumslosigkeit d h ohne einen irrtumslosen Text gibt es keinen Weg theologische Lehren zu begrunden Was meint Schaeffer damit Schaeffers Argument ist nicht dass man der Bibel nirgendwo trauen koumlnne wenn sie an einem Punkt falsch laumlge Offen-sichtlich ist dieses Argument falsch Nur weil die Bibel moumlglicherweise an einem Punkt falsch liegt heiszligt das noch nicht dass sie nicht verlaumlsslich ist in vielem von dem was sie an anderen Stellen die be-staumltigt werden koumlnnen lehrt Er meinte vielmehr Folgendes Wenn die Schrift nicht in allem was sie bekraumlftigt irr-tumslos ist wie koumlnnen wir dann irgend-eine in der Schrift behauptete Wahrheit wissen Eine in der Schrift behauptete theologische Wahrheit koumlnnte geglaubt werden sie mag sogar wahr sein aber wie kann sie gewusst werden wenn die Schrift Irrtumer erhaumllt Letztendlich wird die Schrift nicht als unsere letzte Autoritaumlt dienen koumlnnen wenn sie nicht in allem was sie behauptet vertrauenswurdig und verlaumlsslich ist46 Schaeffer Die groszlige Anpassung A a O 149

47 Ebd S 60ndash6148 Vgl Scott R Burson und Jerry L Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer Lessons for A New Century From the Most Influential Apologists of Our Time Downers Grove Ill InterVarsity Press 1998 S 11449 Ebd S 135ndash13650 Ebd S 13551 Es gab zuletzt viele Diskussionen uber die Folgen einer libertarianischen Sicht von menschlicher Freiheit fur das Kon-zept von der goumlttlichen Souveraumlnitaumlt und daher uber die Beziehung zwischen Gott und der Schrift David Basinger und Randall Basinger brachten in bdquoInerran-cy Dictation and the Free Will Defen-seldquo (In Evangelical Quarterly 55 (1983) S 177ndash180) die Diskussion in Gang indem sie die Auffassung vertraten dass jemand nicht gleichzeitig am Libertaria-nismus und an der Irrtumslosigkeit fest-halten koumlnnte wenn man sich nicht auf eine Theorie von der Inspiration als Dik-tat berufen wolle Burson und Walls be-ziehen sich positiv auf das Argument der Basingers und versuchen dann Schaeffer ins Lager des Libertarianismus zu stecken und so eine Inkonsequenz in Schaef-fers Denken darzulegen Die Frage ob Schaeffer ein Libertarianer war ist sehr schwer zu beurteilen Schaeffer arbeitete nicht mit einer praumlzisen Definition von menschlicher Freiheit besonders nicht in der Art wie wir es heute in der phi-losophischen und theologischen Literatur finden Schaeffers Anliegen war vielmehr die Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen zu betonen im Kontrast zu dem Determinismus von Leuten wie B F Skinner Gleichzeitig behielt er aber eine starke Wahrnehmung der souveraumlnen Herrschaft und Regierung Gottes uber die Welt Ich bin sicher dass Schaeffer die Art wie Libertarianer ihre Auffas-sung heute darlegen und besonders wie sie diese auf die Lehre von der Schrift (vgl Basingers Auffassung) angewandt

haben ohne Umschweife abgelehnt haumlt-te Zu einer tiefer gehenden Diskussion uber die Beziehung zwischen goumlttlicher Souveraumlnitaumlt und menschlicher Freiheit in ihrer Anwendung auf die Schrift vgl meine Artikel bdquoThe Importance of the Nature of Divine Sovereignty for Our View of Scriptureldquo In The Southern Baptist Journal of Theology Vol 4 No 2 (2000) S 76ndash90 und bdquoDivine Sovereign-ty-Omniscience Inerrancy and Open Theism An Evaluationldquo In Journal of the Evangelical Theological Society (Juni 2002)52 Vgl Schaeffer Und er schweigt nicht A a O S 88ndash8953 Vgl Fn 5154 J I Packer bdquosbquoSola Scripturalsquo in History and Todayldquo In John Warwick Montgo-mery Godlsquos Inerrant Word An Interna-tional Symposium on the Trustworthi-ness of Scripture Minneapolis Bethany Fellowship 1974 S 6055 Einige aktuelle Werke die eine hohe Meinung von der Schrift verteidigen sind zum Beispiel D A Carson und John Woodbridge (Hrsg) Scripture and Truth and Hermeneutics Authority and Canon Grand Rapids Zondervan 1986 Norman Geisler (Hrsg) Inerran-cy Grand Rapids Zondervan 1980 J M Boice (Hrsg) The Foundation of Biblical Authority Grand Rapids Zon-dervan 1978 Harvie M Conn (Hrsg) Inerrancy und Hermeneutic A Tradi-tion a Challenge a Debate Michigan Baker Books 1988 Gordon Lewis und Bruce Demarest (Hrsg) Challenges to Inerrancy Chicago Moody 1984 Earl Radmacher und Robert Preus (Hrsg) Hermeneutics Inerrancy and the Bible Grand Rapids Zondervan 1984 Carl F H Henry God Revelation and Au-thority 6 Bde Waco Word 1976ndash8356 Vgl zu diesem Punkt Schaeffers Be-sprechung in Schaeffer Die groszlige An-passung A a O S 60ndash62

57 Ebd S 53ndash5458 Zu der Geschichte hinter LrsquoAbri und wie es geboren und mit Gebet aufrecht-erhalten wurde vgl Schaeffer Llsquo Abri A a O59 Damit will ich nicht sagen dass nicht manche Evangelikale Barths Theologie kritisierten Aber Schaeffer zusammen mit Van Til war es wichtig dass sich die evangelikale Theologie von Barth unterscheiden wurde selbst wenn Barth viele ausgezeichnete Einwaumlnde gegen den Liberalismus aussprach Sowohl Van Til als auch Schaeffer waren besorgt uber das Gesamtpaket von Barths Denken dass nach ihrer Uumlberzeugung das historische Christentum untergraben wurde Zu Van Tils harter Reaktion auf Barth vgl Christianity and Barthianism Nutley Presbyterian and Reformed 1977 Vgl auch John Frames praumlgnante Zusammen-fassung von Van Tils Problem und seine Ablehnung der Theologie Barths auch parallel zur Reaktion Schaeffers in John M Frame Cornelius Van Til An Analy-sis of His Thought Phillipsburg N J P amp R Publication 1995 S 353ndash36960 Das heiszligt nicht dass Schaeffer der Einzige war der Barth an diesem Punkt kritisierte Ich habe schon Van Til als ei-nen anderen entschlossenen Kritiker er-waumlhnt und es gab noch weitere61 Brown Standing Against the World A a O S 20ndash2162 Vgl Iain Hamish Murray Evangeli-calism Divided A Record of Crucial Change in The Years 1950 to 2000 Edin-burgh UKCarlisle Pa Banner of Truth Trust 2000 S 50 Fn 5 u S 76ndash77 Vgl auch die Stellen wo Schaeffer seine Sorge daruber formuliert dass die evangelikale Bewegung im Bereich der Evangelisation mit solchen zusammenarbeitet die in ih-rer Theologie nicht evangelikal sind in Francis A Schaeffer Kirche am Ende des 20 Jahrhunderts 2 Aufl Genf [u a] Haus der Bibel [u a] 1973 S 38ndash45

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 337 8 6 uuml

Die grosse Anpassung A a O S 86ndash87 und Schaeffer und Dennis Letters of Francis A Schaeffer A a O S 7263 Vgl Brown Standing Against the World A a O S 21ndash22 Viel von der Kritik Schaeffers an Graham in diesem Punkt ist nicht direkt aufgeschrieben worden Wir wissen es von denen die Schaeffer persoumlnlich kannten und eben-so aus Andeutungen daruber in Schaef-fers Schriften Vgl zu diesem Punkt Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houml-ren A a O und Die grosse Anpassung A a O S 85ndash8764 Brown Standing Against the World A a O S 21ndash2265 Brown Standing Against the World A a O S 21 Schaeffer stellt fest bdquoWas nutzt es daszlig der Protestantismus zah-lenmaumlszligig immer mehr zunimmt wenn aber eine so groszlige Zahl derer die den Namen sbquoevangelikallsquo tragen nicht mehr an dem festhalten was den Protestantis-mus evangelikal macht Wenn dem kein Einhalt geboten wird dann sind wir dem Anspruch der Bibel den sie in Bezug auf sich selbst erhebt nicht treu ergeben und wir sind auch nicht ehrlich gegenuber dem was Jesus Christus in Bezug auf die Bibel geltend macht Aber ebenso ndash und das durfen wir nie vergessen ndash werden wir und unsere Kinder nicht fur die vor uns liegenden schweren Zeiten gewappnet sein wenn dies so weitergehtldquo (Die groszlige Anpassung A a O S 85)66 Brown Standing Against the World A a O S 21ndash2267 Ebd S 2468 Ebd S 2569 Schaeffer Die grosse Anpassung A a O S 54ndash5570 Schaeffer betont stark dass die evange-likale Bewegung mit dem ganzen Men-schen umgehen muss ndash mit Verstand Wille Gefuhlen Herz und Seele Als er bei einer Gelegenheit gefragt wurde wie er sich selbst betrachte als Theologe

Philosoph oder als Apologet sagte er er sei ein Evangelist Er sah jedoch seine Evangelisation nicht als geschieden von den groszligen intellektuellen und kultu-rellen Fragen des Lebens an weil Men-schen ganzheitliche Wesen sind Er stellt fest bdquoMenschen sagen oft sbquoWas bist dulsquo Und manchmal sage ich sbquoNun ich bin ganz einfach ein Evangelistlsquo Manchmal denke ich jedoch nicht dass die Men-schen verstanden haben dass das nicht bedeutet dass ich an einen Evangelisten im Kontrast zum sorgfaumlltigen Umgang mit philosophischen intellektuellen oder kulturellen Fragen denke Ich bin kein professioneller akademischer Philosoph ndash das ist nicht meine Berufung und ich bin froh die Berufung zu haben die ich habe und bin genauso froh dass manche andere Leute andere Berufungen haben Aber wenn ich sage dass ich ein Evange-list bin heiszligt das nicht dass ich glaube meine Philosophie usw sei nicht gultig Ich glaube sie ist es hellip Ich sage aber dass sich all das kulturelle intellektuelle oder philosophische Material nicht davon trennen laumlsst Menschen zu Christus zu fuhren Ich denke mein Reden uber Me-taphysik Moral und Erkenntnistheorie zu gewissen Individuen ist genauso Teil meiner Evangelisation wie der Moment wo ich ihnen zeige dass sie moralisch schuldig sind und ihnen sage dass Chris-tus fur sie am Kreuz starb Ich sehe oder fuhle da keine Dichotomie Dies ist mei-ne Philosophie und jenes ist meine Evan-gelisation Die ganze Sache ist Evange-lisation an Menschen die gefangen sind in der zweiten Verlorenheit uber die wir sprachen Die zweite Verlorenheit ist die dass sie keine Antworten auf die Fragen nach Sinn Ziel und so weiter haben hellip Fur mich besteht eine Einheit aller Wirk-lichkeit und wir koumlnnen entweder sagen dass jeder Studienbereich ein Teil der Evangelisation ist hellip oder wir koumlnnen sagen dass es keine wahre Evangelisation gibt die nicht die gesamte Wirklichkeit und das ganze Leben betrifftldquo (The Com-

plete Works of Francis A Schaeffer Bd 1 A a O S 185ndash187)71 Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houmlren A a O S 23ndash2472 Vgl Schaeffer und Dennis Letters of Francis A Schaeffer A a O u Teil 2 von Burson und Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer A a O S 131ndash20573 Zitiert in Hamilton bdquoThe Dissatisfac-tion of Francis Schaefferldquo A a O S 2574 Ich moumlchte den Leser noch einmal ver-weisen auf Teil 2 von Burson und Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer A a O S 131ndash20575 Brown Standing Against the World A a O S 2676 Francis A Schaeffer Jeder ist von Be-deutung 16 Predigten fur das 20 Jahr-hundert Neuhausen Stuttgart Haumlnssler 1982 S 13 u 21

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben Werbung

bdquoldquoAusbildung und Theologie sind

fuumlr den Menschen da nicht der Mensch fuumlr Ausbildung und Theologie

MARTIN BUCER SEMINARMARTIN BUCER SEMINAR

Theologie studieren in Chemnitz

34 7 8 6 uuml

Gilbert Achcar Die Araber und der Ho-locaust Der arabisch-israelische Krieg der Geschichtsschreibungen Edition Nauti-lus 368 S ISBN 978-3-89401-758-3 2990 Euro

Irrefuumlhrende Verharmlosung

Gilbert Achcars Buch bdquoDie Araber und der Holocaustldquo das 2009 urspruumlng-lich auf Franzoumlsisch erschienen ist ist nach der arabischen und der englischen Uumlbersetzung nun auch auf Deutsch er-haumlltlich Achcar ist Professor fuumlr Ent-wicklungsstudien und internationale Beziehungen an der bdquoSchool of Oriental and African Studiesldquo in London Sein Buch ist der Versuch einer Ehrenrettung

der arabischen Nationen vor dem Vor-wurf des kollektiven Antisemitismus Die Pressestimmen dazu uumlberbieten sich gegenseitig in ihrem Lob Der Au-tor will einen differenzierten Blick auf die arabische Rezeption des Holocaust vermitteln Er behandelt dazu zwei gro-szlige Zeitabschnitte bdquoDie Zeit der Shoahldquo und bdquoDie Zeit der Nakbaldquo was sinnge-maumlszlig jeweils bdquoDie Zeit der Katastropheldquo bedeutet Damit deutet sich bereits eine Problematik an Die Verhaumlltnisbestim-mung von Holocaust und Staatsgruumln-dung Israels Im Holocaust sieht Achcar das einzige und obendrein heftig miss-brauchte Argument fuumlr die Staatsgruumln-dung (S 243 ua) sowie fuumlr den bdquodeut-schen Philosemitismusldquo (S 266) Dabei uumlbergeht er andere wichtige Gruumlnde fuumlr die Unterstuumltzung der israelischen

Anliegen Er geht davon aus dass die Staatsgruumlndung unrechtmaumlszligig erfolgt sei (S 138 153) Deswegen war aus sei-ner Sicht auch jeder Verteidigungskrieg dieses Staates illegitim (S 34f) Israel sei ein bdquokolonialer Siedlerstaat europauml-ischen Ursprungsldquo (S 32) Auszligerdem sieht Achcar in den Juden kein Volk sondern eine Religionsgemeinschaft Sie haumltten zwar eine Art nationale Identi-taumlt entwickelt koumlnnten aber aumlhnlich wie Christen und Muslime kein Land beanspruchen (S 265) Die Vorstellung von einer bdquoEinstaatenloumlsungldquo die der Autor zu praumlferieren scheint mit einer juumldischen Minderheit die unbehelligt unter arabischer Herrschaft lebt ist im besten Fall eine naive Utopie Achcar gibt an denjenigen zu widersprechen die aus der Geschichte einen immer da-

gewesenen unabaumlnderlichen arabischen beziehungsweise islamischen Antisemi-tismus konstruiert haumltten und die Ara-ber heute insgesamt als Antisemiten und Nazis abstempelten Er gibt eine Fuumllle von Quellen an und kann vielleicht je-nen den Wind aus den Segeln nehmen die alle Araber als praumldestinierte Nazi-kollaborateure darstellen Kritikwuumlrdig ist die geflissentliche Vernachlaumlssigung der Beschreibung der aktuellen Zu-staumlnde in der arabischen Welt bdquoHaupt-thema ist schlieszliglich die historische Beziehung der Araber zum Holocaust als er stattfand weniger ihre aktuelle Beziehung zur historischen Erinnerung an die Shoahldquo (S 169) Man kann aus der Lektuumlre die Erkenntnis mitnehmen dass zur Zeit des Zweiten Weltkrieges die meisten Araber nicht mit der na-

Die Araber und der HolocaustGilbert Achcar

Carmen Matussek

Rez

ensi

onen

glauben amp denken heute 22012 357 8 6 uuml

tionalsozialistischen Judenverfolgung einverstanden waren was aber kaum jemand angezweifelt hat Wer von der gleichzeitigen Zusammenarbeit einiger hochrangiger Araber mit dem Nazire-gime nichts wusste wird daruumlber eben-falls umfassend informiert selbst wenn Achcar viele Fakten nur nennt um sie anschlieszligend zu relativieren

Erschwerend fuumlr eine Kritik ist dass der Autor seine Meinung haumlufig nicht mit eigenen Worten kundtut sondern ganz im Sinne postmodernen Stils weit-gehend unkommentiert Zitate anein-anderreiht die Ruumlckschluumlsse auf seine Sicht zulassen Meint er tatsaumlchlich dass Palaumlstina als Ort fuumlr die Staats-gruumlndung Israels lediglich ein zufaumlllig da herumschwimmendes bdquoFloszligldquo war (S 26) und dass Israel vor dem Sechs-Tage-Krieg 1967 bdquokaum in ernster Gefahrldquo (S 219) war Zumindest behauptet er mit Nachdruck dass bdquomanche Judenldquo sich 1948 in Palaumlstina gaumlnzlich zu Unrecht bdquovon der Vernichtungldquo bedroht gefuumlhlt haumltten (S 178) und dass Israel damals bdquoalleinldquo fuumlr die bdquoGewalt verantwortlichldquo gewesen sei (S 234f) Auch hier han-delt es sich um ein Zitat das er aber aus-druumlcklich bejaht

Zudem formuliert Achcar seine Aussa-gen oft als Fragen und negativ wodurch ihre Essenz vernebelt wird bdquoWarum ist es weniger schockierend wenn man er-oberte Voumllker die besetzt entwurzelt und zu Fluumlchtlingen gemacht wurden

mit den Nazis vergleicht als wenn man eine Besatzungsarmee die Gebiete von vier Nachbarlaumlndern erobert hat mit diesem Vergleich belegtldquo (S 223) Man denke sich den Satz im Umkehrschluss bdquoOder was ist uumlber jene Araber zu sa-gen die den Holocaust aus lauter Wut oder einer Art hilfloser Aufschneiderei leugnen um so ihre innere Spannung loszuwerden erzeugt durch einen sbquojuumldi-schen Staatlsquo der sie aus einer uumlberwaumll-tigenden Uumlberlegenheitsposition heraus erdruumlcktldquo (S 262)

Vier Hauptgruppen bei Arabern

Achcars Forschungsgegenstand ist aber nicht die Holocaustleugnung des einen oder anderen Palaumlstinensers sondern bdquoder Araberldquo die es natuumlrlich bdquonicht gibtldquo (S 39) zumindest nicht als Antise-miten wohl aber als Betroffene des Ho-locaust und der juumldischen Immigration nach Palaumlstina (S 11) Die Araber will er in vier politische Hauptstroumlmungen unterteilt wissen Bei deren Aufzaumlhlung fragt man sich unwillkuumlrlich ob die Reihenfolge als Rangordnung gedacht ist 1 Westlich orientierte Liberale 2 Marxisten 3 Nationalisten 4 Reak-tionaumlre undoder fundamentalistische Panislamisten (S 40) Erst sehr viel spaumlter und in einem Nebensatz werden die Marxisten als das bezeichnet was sie

waren eine bdquowinzige Minderheitenstrouml-mungldquo (S 82) Wie selbstverstaumlndlich scheint Achcar davon auszugehen dass Antisemitismus in der ersten Gruppe keine groszlige Rolle spielte Dabei erwaumlhnt er nicht dass beispielsweise Al-Aqqad der zu den groszligen Liberalen zaumlhlt (S 103) und sich kritisch zum Hitlerregime geaumluszligert hatte ein wohlwollendes Vor-wort zu At-Tunisis arabischer Uumlberset-zung der bdquoProtokolle der Weisen von Zionldquo von 1951 geschrieben hat Bil-dung bdquoAufklaumlrungldquo und Antisemitis-mus schlieszligen sich damals wie heute nicht aus

Den flaumlchendeckenden Antisemitis-mus in der arabischen Welt verharmlost Achcar mal als Spannungsventil mal als Antiimperialismus (S 188f) dann als Provokation (S 254) als bloszlige Reaktion (S 255f) und als Bildungsluumlcke (S 247 261) Nassers Antisemitismus tut er als bdquoIgnoranzldquo ab (S 195f) dessen Holo-caustleugnung als ein Versehen (S 207) Ahmad Hussein Gruumlnder und Anfuumlh-rer der Bewegung bdquoJunges Aumlgyptenldquo disqualifiziert sich als ernstzunehmen-der Antisemit laut Achcars Darlegung durch seine politische Sprunghaftigkeit (S 81) Auch Al-Gaylani Premiermi-nister des Koumlnigreichs Irak und gluuml-hender Bewunderer der Nazis wird als Antisemit wider Willen vorgestellt Die bdquoArroganz Londonsldquo sei bdquofuumlr Gaylanis Radikalisierung verantwortlichldquo gewe-sen und somit waumlre er bdquoim eigentlichen

Sinne kein Anhaumlnger Hitlerdeutsch-landsldquo (S 90) Den Relativierungen und Verdrehungen scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein Die Ernennung von Hajj Amin al-Husseini der sich wie kein an-derer Araber aktiv in die bdquoEndloumlsung der Judenfrageldquo eingebracht hat zum Mufti Jerusalems sei fuumlr die zionistische Be-wegung ein bdquounschaumltzbarer Dienstldquo ge-wesen (S 129) Zudem habe er mit der Mobilisierung von 200000 Muslimen fuumlr den bdquoKampf der Achsenmaumlchteldquo und anderen Taumltigkeiten weit weniger erreicht als er sich vorgenommen hatte (S 144) Achcar bringt es fertig umfas-sendes Material uumlber die Machenschaf-ten des Muftis zusammenzutragen und ihn hernach als bdquounbedeutendldquo hinzu-stellen und das bdquoBeduumlrfnisldquo bdquozahlreicher Autorenldquo zu bemaumlngeln bdquoden Mufti (hellip) zu verunglimpfenldquo (S 148) Gleich-zeitig schreibt Achcar ihm aber selbst so viel Einfluss zu dass dieser als bdquoreligi-oumlse Autoritaumltldquo mit seinen Radioreden und seiner eigenwilligen Auslegung des Islam bdquoein jahrhundertealtes Erbe der Koexistenz zunichteldquo gemacht habe (S 150f) Als unbedeutend beschreibt Ach-car auch die zahlreichen deutschen Na-tionalsozialisten die nach 1945 in der arabischen Welt besonders in Aumlgypten ihre politischen Karrieren fortgesetzt haben (S 201)

Uumlberhaupt seien ndash das ist die Kern-these des Buches ndash am arabischen Anti-semitismus vor allem die Juden schuld

Die Araber und der Holocaust

36 7 8 6 uuml

bdquoIm Gegensatz dazu sind die antisemiti-schen Aumluszligerungen die heutzutage aus der arabischen Welt kommen meist kultureller Ruumlckstaumlndigkeit geschuldete Phantastereien in denen sich die tiefe Frustration einer unterdruumlckten Nation aumluszligert Die Verantwortung dafuumlr ist in der Tat der Mehrheit sbquoder Judenlsquo Palaumlsti-nas und spaumlter dem sbquojuumldischen Staatlsquo Is-rael zuzuschreiben den diese begruumlndet habenldquo (S 242)

Was bdquoAntisemitismusldquo versus bdquoAnti-zionismusldquo betrifft unterscheidet Ach-car sogar zwischen der antisemitischen und der antizionistischen (also legiti-mierenden weil bdquonichtrassistischenldquo) Lesart der bdquoProtokolle der Weisen von Zionldquo (S 197f) Nun ist aber die Pro-pagierung einer zionistischen Weltver-schwoumlrung nicht weniger antisemitisch als die einer juumldischen Der Antisemitis-mus von bdquokulturell ruumlckstaumlndigenldquo und bdquounterdruumlcktenldquo Menschen ist nicht weniger moumlrderisch als der von privile-gierten Und Achcar beantwortet nicht die Frage inwiefern antisemitische Propaganda in Algerien den Vereinig-ten Arabischen Emiraten oder bei ara-bischen Migranten in Europa ndash durch alle Bevoumllkerungsschichten hindurch ndash mit Ohnmachtsgefuumlhlen gegenuumlber den Israelis zusammenhaumlngen soll Dabei weiszlig er sehr wohl dass man unterschei-den kann zwischen einem Ressenti-ment das der Feindbildgenese in einem realen Konflikt entspringt und einem

das das Ergebnis gezielter Propaganda ist Obwohl bekanntlich in den arabi-schen nicht den israelischen Schulbuuml-chern offen Hetze betrieben wird legt der Autor die Betonung auf die israeli-sche Verantwortung

Beispiel fuumlr intellektuelle Verweigerung

Achcars Buch ist ungeeignet wenn man sich uumlber den Antisemitismus in der arabischen Welt und das dortige Phaumlnomen der Holocaustleugnung in-formieren moumlchte Es ist ein Beispiel fuumlr intellektuelle Verweigerung gegenuumlber den Gruumlnden fuumlr die eingefahrene Lage auch wenn er die Araber sehr wohl zur Selbstkritik mahnt (S 279) Auf dem Gipfel der Geschmacklosigkeit unter-stellt Achcar dem bdquoMiddle East Media Research Instituteldquo (MEMRI) das in einer Sammlung von Zitaten Kari-katuren und Videos das Ausmaszlig des arabischen Antisemitismus abzubilden versucht bdquoGenugtuungldquo bei der Arbeit Als weitere Beispiele fuumlr bdquoantiarabischeldquo Agitatoren nennt er Meir Litvak und Esther Webman Yehoshafat Harkabi und Matthias Kuumlntzel Sie alle sind Autoren die ganz sicher nicht zu den antiislamischen Polemikern zaumlhlen und hier waumlrmstens empfohlen seien Ein Leser der Harkabi Kuumlntzel und Achcar nebeneinander liest und sich ein biss-

chen bei MEMRI uumlber den alltaumlglichen Wahnsinn des arabischen Antisemitis-mus informiert kann sich selbst ein realistisches Bild machen Neben den Beispielen die hier exemplarisch vor-gestellt wurden finden sich bei Achcar durchaus auch lesenswerte Informati-onen in bekoumlmmlicher professioneller Aufbereitung Aufgrund dieser Zitate und der selektiven Wahrnehmung ist fuumlr mich das Buch einer fairen Beur-teilung des Konflikts abtraumlglichUumlber die Rezensentin Carmen Matussek ist Islamwissenschaftlerin Historikerin und freie Journalistin Sie publiziert und referiert zu den Schwerpunktthemen Is-rael Nahostkonflikt Islamismus Islam und Antisemitismus Ihre Abschlussarbeit hat sie uumlber antijuumldische Verschwoumlrungs-propaganda in den arabischen Medien geschrieben und sie 2012 veroumlffentlicht Kontakt carmenmatussekwebde

Carmen Matussek

Studienzentrum in Muumlnchen

mehr infos unterwwwbucerdemuenchenhtml

glauben amp denken heute 22012 377 8 6 uuml

Warum Gerechtigkeit Timothy Keller

Dr Daniel Facius

Timothy Keller Warum Gerechtigkeit Gottes Groszligzuumlgigkeit soziales Handeln und was ich tun kann Gieszligen Brun-nen-Verlag 2012 201 Seiten ISBN 978-3765511790 1499 Euro

Timothy Keller presbyterianischer Pastor und Professor fuumlr praktische Theologie am Westminster Semina-ry hierzulande vor allem durch sein apologetisches Werk bdquoWarum Gottldquo bekannt hat mit bdquoWarum Gerechtig-keitldquo nunmehr ein Werk vorgelegt das seinem Forschungsschwerpunkt der praktischen Theologie entspringt Der vom Brunnen-Verlag gewaumlhlte Titel ist dabei offenbar dem Versuch geschuldet einen Zusammenhang mit dem Vorgaumlnger herzustellen Der Originaltitel bdquoGenerous Justiceldquo (dt bdquoGroszligzuumlgige Gerechtigkeit Wie Got-tes Gnade uns gerecht machtldquo) trifft

den Inhalt etwas besser Als Zielgruppe nennt Keller (S 10ff) junge Christen mit diakonischem Anliegen skepti-sche Christen die mit dem Thema bdquoGerechtigkeit uumlbenldquo den Verlust ge-sunder Lehre und falsche Schwerpunk-te assoziieren Christen die sich dem Thema bdquoGesellschaftstransformationldquo verschrieben haben (der deutsche He-rausgeber nennt hier Theologen wie Tobias Faix und Johannes Reimer S 174) sowie Anhaumlnger der aggressiven Atheisten die der Meinung sind dass bdquoReligion die Welt vergiftetldquo Diesen Gruppen so Keller fehlt irgendwo der Blick dafuumlr dass die Botschaft der Bi-bel und das Eintreten fuumlr Gerechtigkeit zusammengehoumlren (S 13)

Keller beginnt sinnvollerweise mit einem theoretischen Teil in dem er definiert was bdquoGerechtigkeit uumlbenldquo

bedeutet und sich entsprechende Aus-sagen des Alten und Neuen Testa-ments vornimmt Dabei geraumlt Kellers Ausgangsthese etwas steil Micha 68 lautet bei Keller (in der fuumlr exegetische Feinheiten eher weniger sensiblen hier aber zumeist gebrauchten bdquoHoffnung fuumlr Alleldquo-Uumlbertragung) bdquoHaltet euch an das Recht begegnet anderen mit Guumlteldquo

Dies sehe aus wie zwei verschiedene Dinge bdquoaber sie sind nicht verschiedenldquo (S 24) Das ist durchaus hinterfrag-bar zumal nicht einmal die von Kel-ler angegebene Quelle diese Behaup-tung unterstuumltzt Das hebraumlische jPvm (mishpat) gibt Keller mit bdquoMenschen gerecht bzw fair behandelnldquo (S 25) wieder Dies mag zwar grundsaumltzlich zutreffend sein es ist aber wohl eher eine Aufforderung an die staatlichen

Autoritaumlten Gleichheit vor dem Ge-setz zu gewaumlhrleisten als ein Aufruf an die Gesellschaft zur Armenversorgung Abgeleitet von jpv (shapat) bdquorichten zum Recht verhelfenldquo hat es eindeutig einen justitiellen Hintergrund und be-schreibt das korrekte Verstaumlndnis von Regierung (vgl Theological Wordbook of the Old Testament S 948) ohne dass es auf den Akt der Rechtspre-chung verengt werden darf

Subjekte des Shapat-Handelns sind jedoch Koumlnige oder Richter es voll-zieht sich in dem die Ursache einer Stoumlrung zwischen zwei Gruppen durch einen bdquoRichtendenldquo beseitigt wird (vgl THAT Band 2 Sp 1001) Auch wenn jPvm tatsaumlchlich oft im Verbund mit dsx (chesedh Guumlte) erscheint sollten die verschiedenen Bedeutungsspektren gewahrt werden Wenn Keller bdquoGe-

38 7 8 6 uuml

rechtigkeit uumlbenldquo als bdquoVerteidigung der Menschen mit der geringsten oumlkonomi-schen und gesellschaftlichen Kraftldquo de-finiert (S 26) dann greift das zu kurz gibt aber den Teilaspekt von bdquoGerech-tigkeitldquo wieder um den es Keller nun hauptsaumlchlich gehen wird

Uumlberzeugend gelingt die Gruumlndung von gerechtem Handeln im Wesen Got-tes In der Tat ist es vielsagend dass Gott als bdquoVater der Waisen und Helfer der Witwenldquo (Psalm 686) vorgestellt wird Gerade im Kontrast zu antiken Goumlttern die sich mit Koumlnigen und Priestern und Helden identifizieren wird die Einma-ligkeit Jahwes deutlich der sich zu den Ausgestoszligenen und Machtlosen stellt Grundsaumltzlich richtig ist es auch auf den Gemeinschaftsaspekt von Gerech-tigkeit hinzuweisen der durch das heb-raumlische hqdc (tzedaqah) zum Ausdruck kommt (das sich fuumlr Kellers Argumen-tation besser eignet als jPvm) Werden beide Worte wie es oumlfter geschieht zu-sammen verwendet will Keller dies mit bdquosoziale Gerechtigkeitldquo wiedergeben Hier wird am Beispiel Hiobs erlaumlutert wie ein bdquorechtschaffenesldquo Leben aussieht ndash ein lohnenswerter und herausfordern-der Einblick

Ob aber privates groszligzuumlgiges Geben wirklich als zwingender Bestandteil von bdquoGerechtigkeitldquo qualifiziert werden soll-te Keller ist sich offenbar im Klaren daruumlber dass diese Behauptung sehr weit geht (S 34) tut aber exegetisch we-

nig um sie zu untermauern Dass ein froumlhliches Geben Gott gefaumlllt ist un-bestreitbar Aber ist es wirklich bdquounge-rechtldquo nicht bdquogroszligzuumlgigldquo zu sein Wel-che Eigenbedeutung kommt Begriffen wie Guumlte oder Barmherzigkeit noch zu wenn das was sie beschreiben notwen-diger Bestandteil von bdquoGerechtigkeitldquo ist Eine solche Abgrenzung leistet Kel-ler nicht Am Beispiel Israels im Alten Testament zeigt Keller wie Gott die Gerechtigkeitsfrage in einem theokra-tischen Nationalstaat loumlst Er zeigt auf dass die heutige Anwendung allgemein guumlltiger Prinzipien viel Raum fuumlr Inter-pretationen laumlsst und nicht ohne weite-res in die Form eines bestimmten poli-tischen Systems gegossen werden kann

Bedenkenswert sind auch die Aus-fuumlhrungen zu Ursachen von Armut die Keller teils in der Gesellschaft (Ras-sismus Korruption Wucher) teils in Schicksalsschlaumlgen (Unfaumllle Naturka-tastrophen) und teils in charakterlichen Defiziten (Faulheit Disziplinlosigkeit) verortet (S 47ff) Bei der Betrachtung des Neuen Testaments liegt sein Schwer-punkt auf der Art und Weise wie Jesus den Armen begegnet ndash und wie er priva-te Moral und soziale Gerechtigkeit zu-sammen denkt (S 64) Dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter wird ein eigenes Kapitel gewidmet (S 70ff)

Im zweiten Teil des Buches wird es praktisch Wieso sind Appelle an die Vernunft ja selbst an die Liebe nicht

in der Lage Menschen dauerhaft zu bdquoGerechtenldquo zu machen Dem Dilem-ma einer relativistischen Moderne eine Begruumlndung fuumlr die Notwendigkeit rechtschaffenen Verhaltens zu liefern stellt Keller zwei biblische Grundmoti-vationen gegenuumlber die freudige Ehr-furcht angesichts der Guumlte von Gottes Schoumlpfung und die Erfahrung der Gna-de Gottes in der Erloumlsung (S 85)

Hier kommt es zur Verknuumlpfung von Diakonie und Evangelium die in der Erfahrung Kellers gipfelt dass bdquoMen-schen die das Evangelium der Gnade ergriffen haben und geistlich arm ge-worden sind merken wie es ihre Her-zen zu den materiell Armen zu ziehen beginntldquo (S 101)

Die wuumlnschenswerte Folge bdquoGerech-tigkeit als Lebenselementldquo (S 106) Dies kann sich vielfaumlltig aumluszligern wobei Keller drei Stufen der Hilfe skizziert (S 109) Soforthilfe Hilfe zur Entwicklung und soziale Reformen Waumlhrend Soforthilfe noch grundsaumltzlich von jedem geleis-tet werden kann ist Hilfe zur Selbst-hilfe zeitraubender und komplizierter soziale Reformen durch Einzelne gar nicht umsetzbar Keller wird hier relativ praktisch wenn er etwa den Umgang mit ganzen Problemvierteln beschreibt (S 111ff) oder konkrete Fragen auf-wirft vor denen hilfswillige Gemein-den fruumlher oder spaumlter stehen werden (S 127ff) Wie viel sollten wir helfen Wem sollten wir helfen Unter welchen

Bedingungen Auf welche Weise Hier wird auch die Rolle der Evangelisation erlaumlutert (S 129) wobei Keller davor warnt Diakonie nur als Mittel zu de-ren Zweck zu betrachten Dabei wirbt er durchaus auch fuumlr die Zusammenarbeit mit Anhaumlngern anderer Religionen und Weltanschauungen in bdquounaufdringli-cher Kooperation und respektvoller Provokationldquo (S 145) Hier gluumlckt ein interessantes Kapitel das die Schwaumlchen einer rein saumlkularen Gerechtigkeitskon-zeption entlarvt

Insgesamt gelingt Keller ein starker Beitrag zum Thema bdquoSoziale Gerechtig-keitldquo das der gerade in Deutschland so omnipraumlsenten Debatte um diesen Be-griff wichtige Impulse zu geben vermag auch wenn nicht jedes der zahlreichen aus amerikanischem Kontext stammen-den Beispiele (etwa in Bezug auf die Rassenfrage) hierzulande von gleicher Brisanz ist

Zudem ist das Buch praktisch genug um auch persoumlnlich herausfordernd zu sein Auch wenn nicht jede theoretische Annahme oder jede konkrete Schluss-folgerung vollstaumlndig zu uumlberzeugen vermag ist Kellers Plaumldoyer fuumlr einen ausgewogenen Mittelweg zwischen Ruumlckzug aus der Welt und utopischen Traumlumen von einer erloumlsten Kultur mehr als beachtlich

Dr Daniel Facius

glauben amp denken heute 22012 397 8 6 uuml

Steven Paas Christian Zionism Exa-mined A Review of Ideas on Israel the Church and the Kingdom NuumlrnbergHamburg VTR PublicationsRVB 2012 135 Seiten ISBN 978-3941750869 1499 Euro

Gut ist an diesem Buch dass es genuuml-gend Stoff zu ernsthaften spannenden Diskussionen bietet Steven Paas fordert alle heraus die in der Gruumlndung des Staates Israel von 1948 ein Zeichen der Endzeit und eine Erfuumlllung der bibli-schen Verheiszligungen sehen Somit traumlgt das Buch zur eigenen selbstkritischen Urteilsfindung bei wenn es denn nicht nur von solchen gelesen wird die aus dem theologischen Lager von Steven Paas stammen Denn der Autor legt seiner Studie eine reformiert-konfessio-nelle Hermeneutik zugrunde Er legt die ganze Bibel aus der Sicht des einen Gna-denbundes aus der in Christus zentriert

ist Damit macht Steven Paas gegenuumlber dem Christlichen Zionismus klar dass es zum Beweis der eigenen Bibeltreue nicht nur darauf ankommt Bibelstellen zu zitieren Vielmehr muss jeder auch die von ihm benutzte Hermeneutik of-fen legen welche aufzeigt wie die dispa-raten Aussagen der Bibel in einen groumlszlige-ren Zusammenhang gebracht und erst dadurch auf redliche Weise verstanden werden koumlnnen Mit seiner Verortung in einer reformiert-konfessionellen Dog-matik wird Paas zu einem Opponenten des praumlmilleniaristischen Dispensati-onalismus dem er eine Aufloumlsung des einen Gnadenbundes in zahlreiche bdquodispensationsldquo vorwirft (S 61) Doch mit einer heilsgeschichtlich motivierten Wuumlrdigung des juumldischen Volkes nach dem Holocaust ist der Dispensationalis-mus fuumlr pietistisch-erweckliche Chris-ten derart plausibel geworden dass er fast schon als Synonym zum Begriff

sbquoEvangelikalismuslsquo gebraucht wird Die-se Plausibilitaumlt ist ja nicht unbegruumlndet Und damit kommen wir schon zu ei-ner Schwachstelle der Argumentation von Steven Paas Denn die historischen Ereignisse des Holocausts und der is-raelischen Staatsgruumlndung scheinen die Positionen des Christlichen Zionismus zu bestaumltigen Das muumlssen wir zunaumlchst einmal anerkennen Gerade als Chris-ten die aus Deutschland stammen haben wir schmerzvoll wahrzunehmen dass in der Zeit zwischen 1933 und 1945 keine Kirche Gemeinde christliche Be-wegung oder protestantische Gruppe geschlossen gegen den Nationalsozia-lismus opponiert hat Es waren immer nur Einzelne die die Ungeheuerlichkeit der Judenverfolgung erkannten und kri-tisierten Auch die klassische konfessio-nelle Dogmatik fuumlr die sich Steven Paas starkmacht hat den Holocaust nicht verhindern koumlnnen

Dem Niederlaumlnder Steven Paas der in Afrika lebt mag man verzeihen dass ihn die Ausmaszlige des Holocausts nicht besonders beschaumlftigen Als ein Christ der in Deutschland wohnt frage ich mich allerdings welche theologischen Entwicklungen die nationalsozialisti-sche Judenverfolgung beguumlnstigt haben und inwiefern sie deshalb Fehlentwick-lungen waren Und viele Christen fra-gen sich das Ergebnis dieses Fragens ist beispielsweise dass die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern der ich angehoumlre ihre Verfassung in diesem Jahr um diesen Satz ergaumlnzt hat bdquoDie Kirche ist aus dem biblischen Gottesvolk Israel hervorgegangen und bezeugt mit der Heiligen Schrift dessen bleibende Erwaumlh-lungldquo Der Hinweis auf die bdquobleibende Erwaumlhlungldquo fasst Aussagen des Paulus zusammen (wie Roumlm 111) und wehrt damit die klassische Enterbungstheorie ab wonach das juumldische Volk ndash wie man

Christian Zionism ExaminedSteven Paas

Dr Gerhard Gronauer

40 7 8 6 uuml

fruumlher sagte ndash unter dem Fluch des Got-tesmordes stehe und das Heil komplett auf die heidenchristliche Kirche uumlber-gegangen sei Diese Enterbungstheorie (bei Paas replacement theory) brachte den christlichen Antijudaismus hervor an welchem der moderne Antisemitismus anknuumlpfen konnte

Viele progressive Christen aus dem Umfeld des juumldisch-christlichen Dia-logs die Paas auch unter dem Begriff sbquoChristlicher Zionismuslsquo subsumiert schlieszligen nun aus der bdquobleibenden Er-waumlhlungldquo dass die Juden einen separa-ten Heilsweg haumltten und Jesus Christus nicht mehr braumluchten Das ist fuumlr mich die spannendste Stelle im Buch bdquoChris-tian Zionism Examinedldquo dass Paas sei-nen reformierten Ansatz von der klassi-schen replacement theory unterscheidet auch wenn er mit diesem Versuch bei progressiven Christen nicht durch-kommen wird Denn im Gegensatz zu jenen denkt der Autor nicht gleich an das sbquoheidenchristlichlsquo-antijuumldische Uumlberlegenheitsgefuumlhl der antiken und der mittelalterlichen Kirche bdquoKircheldquo ist fuumlr Paas ein rein innerbiblischer Be-griff den er auf die Urgeschichte im Buch Genesis zuruumlckdatiert und der somit alle Menschen umfasst die dem Gnadenbund Gottes angehoumlren Noah Abraham Israel und die christlichen Gemeinden des Neuen Testaments Im Fortlauf der biblischen Offenba-rung weitet sich der Bund Gottes von

einer Beziehung zu einzelnen Familien (Noah Abraham) uumlber das Volk Israel hin zur ganzen Welt Damit sind wir bei dem bdquouniversalenldquo Charakter der christlichen Botschaft welcher sich im christlich-juumldischen Gespraumlch stets den Vorwurf gefallen lassen muss die Juden zu bdquoenterbenldquo Diesen Vorwurf weist Paas zuruumlck denn mit der Uni-versalitaumlt des Gnadenangebots ist Isra-el keineswegs ausgeschlossen bdquofrom the covenantal salvation promises of Godldquo (S 23) Zu Paaslsquo Abwehr der klassischen replacement theory gehoumlrt auch dass er das traditionelle Diktum praumlzisiert alle biblischen Verheiszligungen seien in Chris-tus erfuumlllt Die Verheiszligungen sind nicht durch das Leben des irdischen Jesus oder mit dessen Auferstehung erfuumlllt sondern werden erst mit dem zweiten Kommen Jesu Christi erfuumlllt sein

Hier lohnt es sich jedenfalls theo-logisch weiterzuarbeiten Und solche Gedanken anzustoszligen gehoumlrt zu den Staumlrken von Paas genauso wie sein Hinweis auf die Uumlberpruumlfung der ei-genen Hermeneutik Auch legt er seine Finger in die Wunden des Christlichen Zionismus indem er dessen argumenta-tive Schwachstellen hervorhebt Die bi-blischen Landverheiszligungen werden im Neuen Testament nicht erwaumlhnt oder gar bestaumltigt der Fortlauf der biblischen Offenbarung laumluft bereits im Alten Testament auf eine Universalisierung und Spiritualisierung der Gottesverhei-

szligungen hinaus keine alttestamentliche Ruumlckkehrverheiszligung deckt sich mit der Gruumlndung des Staates Israel 1948

Gleichermaszligen weist die Studie bdquoChristian Zionism Examinedldquo selbst eine Reihe von Schwachstellen auf so-dass dieses Buch nicht nur Begeisterung ausloumlst Absolut irritierend ist dass Paas den Begriff sbquoChristlicher Zionismuslsquo nur scheinbar klar definiert (bdquoIt is an ideolo-gy of being fascinated in an extraordinary way by ethnic geographic and religious features of post-Biblical Israelldquo S 12) In Wirklichkeit wendet er den Begriff recht unterschiedslos auf alle Christen an die in seinen Augen ein bdquoheterodoxesldquo also wahrheitswidriges Verstaumlndnis von Ju-dentum Israel oder Palaumlstina haben Christliche Zionisten sind dann nicht nur zeitgenoumlssische Freunde des Staates Israel auf der Basis einer bestimmten heilsgeschichtlichen Theologie (so wie ich den Terminus definieren wuumlrde) sondern gleichermaszligen Philosemiten wie Antisemiten friedliche Palaumlstina-Pilger wie grausame Kreuzfahrer Mit dieser Ausdehnung des Begriffs wider-spricht Paas sich faktisch selber setzt er sich doch in seinen dogmatischen Kapi-teln vor allem mit der Heilsgeschichte des Dispensationalismus auseinander Nach Paaslsquo Logik muumlsste dann auch die palaumlstinensische Befreiungstheolo-gie zum Christlichen Zionismus gehouml-ren hat doch auch sie eine Auffassung von bdquoLandldquo und bdquoHeimatldquo die uumlber die

reformiert-orthodoxe Lehre hinausgeht Wenn uumlberhaupt dann nimmt Paas aber die arabischen Voumllker (wie die afri-kanischen) nur als Opfer des westlichen Imperialismus wahr und versteigt sich zu dem unseligen Vergleich dass Zio-nismus bdquoa system of racial favouritism or apartheidldquo (S 118) sei

Und wie bereits erwaumlhnt findet Paas kein Verstaumlndnis dafuumlr dass der Christ-liche Zionismus fuumlr manche Christen nach 1945 ein plausibles theologisches System geworden ist Weil er das nicht verstehen kann vermag er es auch nicht zu erklaumlren und muss deshalb zu dem abgedroschenen Argument des sbquoSchuld-komplexeslsquo greifen (S 118) Gut bleibt an diesem Buch dass es genuumlgend Stoff zu ernsthaften spannenden Diskussio-nen bietet Gerade innerhalb der evan-gelikalen Bewegung Bezeichnend ist dass Paas als Kronzeugen seiner eige-nen Position mehrfach den Rektor der Internationalen Hochschule Liebenzell Prof Dr Volker Gaumlckle zitiert und ihn sogar im Vorwort wuumlrdigt Nun gibt es im Liebenzeller Gemeinschaftsverband einen bdquoArbeitskreis Israelldquo der seiner Internetpraumlsenz nach ein bdquoBewusstsein schaffen (will) fuumlr die heilsgeschicht-liche Bedeutung Israelsldquo Wie gesagt Stoff fuumlr genuumlgend Diskussionen pro und contra Christlicher Zionismus selbst unter Freunden

Dr Gerhard Gronauer

glauben amp denken heute 22012 417 8 6 uuml

Fuumlr Froumlmmigkeit in FreiheitGerhard Lindemann

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Gerhard Lindemann Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit Die Geschichte der Evangeli-schen Allianz im Zeitalter des Liberalis-mus (1846ndash1879) Theologie Forschung und Wissenschaft Bd 24 Muumlnster Lit Verlag 2011 1064 Seiten 978-3825889203 12990 Euro

Seit meiner Dissertation zu Theodor Christlieb von 1985 und der kurz da-rauf erschienenen Arbeit von Hans Hauzenberger hat zwar der metho-distische Forscher Karl-Heinz Vogt zu Christlieb selbst und zum Thema Allianz und Religionsfreiheit einiges Neues beigetragen aber insgesamt fehlten die groszligen Fortschritte in der Forschungsgeschichte zur Allianz in Deutschland seit 25 Jahren ja fuumlr die Zeit vor dem 2 Weltkrieg weltweit Auch zur Fruumlhgeschichte der Welt-

weiten Evangelischen Allianz ist laumln-ger nichts substantiell Neues erforscht worden Und auch zur Geschichte der Religionsfreiheit im 19 Jahrhundert allgemein haben sich die Forscher nicht gerade uumlberschlagen Und nun dieses ausgezeichnete Mammutwerk

Ein groszligformatiges Buch mit 947 Seiten reinem Text mit groszligem Satz-spiegel und kleiner Schrift Die Heidel-berger Habilitationsschrift von 2004 wird dem Ruf das die Deutschen die dicksten aller Buumlcher schreiben ge-recht Bisweilen detailversessen alles minutioumls aus den Akten und zeitgenoumls-sischen Zeitungen belegend wird das Buch dadurch zu der gruumlndlichsten (und besten) Darstellung der Vor- und Fruumlhgeschichte der Evangelischen Al-lianz Die Weltweite Evangelische Al-

lianz vertritt heute 600 Mio Christen weltweit davon nur noch ein Bruchteil deutscher Zunge Schade dass dem groumlszligten Teil dieser Menschen deswe-gen dieser Schatz verborgen bleiben wird denn eine englische Uumlbersetzung dieser Textmenge waumlre zwar dringend erforderlich ist aber leider sehr un-wahrscheinlich

Das Werk behandelt soweit aus den Quellen rekonstruierbar 1 die eigent-liche Geschichte wie Versammlun-gen Kampagnen und internationale Ausbreitung die jeweils in die groszlige Zeitgeschichte eingeordnet werden 2 die Rolle der entscheidenden Persoumln-lichkeiten und 3 die Arbeitsschwer-punkte der Allianz (dabei vor allem Glaubens- und Gewissensfreiheit Ge-betswoche Mission Publikationen)

Wer dabei eine einzelne Thematik verfolgen moumlchte ndash etwa die Geschich-te der internationalen Allianzgebets-woche jeweils zu Beginn des Jahres ndash kann dies uumlber die uumlbersichtliche Gliederung und den Index sehr gut tun Auch wer die Geschichte der Al-lianz bis 1879 in solch unterschied-lichen Laumlndern wie Groszligbritannien Deutschland den skandinavischen Laumlndern Kanada Australien Suumldafri-ka der Tuumlrkei dem Iran Indien oder Japan verfolgen will wird hier fuumlndig Zu vielen Details findet sich hier erst-mals ein Beleg (z B Einsatz der fruumlhen Evangelischen Allianz fuumlr Tierschutz) und selbst zu Christlieb habe ich Neues gefunden dass meine Dissertation er-gaumlnzt (Christlieb und Versoumlhnung mit Frankreich in New York [S 747ndash752]

42 7 8 6 uuml

Christliebs Einsatz gegen Opium-handel [S 856ndash858] Geschichte der Westdeutschen Evangelische Allianz [S 921ndash922]) Lindemann sieht die Allianz gleich zu Beginn als erste orga-nisierte Form der Oumlkumene als einzig wirklich oumlkumenische Organisation die aus der Erweckungsbewegung des 19 Jahrhunderts entsprang (S 15) Er weist nach dass die Allianz selbst in ihren fruumlhen Dokumenten haumlufig das Wort bdquoecumenicalldquo verwendete (S 938 u ouml) bdquoSie schuf ein Klima das die Gruumlndung von Vorgaumlngerorgani-sationen des Oumlkumenischen Rates der Kirchen (OumlRK) ermoumlglichteldquo (S 945) Er kritisiert dass geschichtliche Dar-stellungen der modernen Oumlkumene oft sehr spaumlt einsetzen und sowohl die Allianz als auch einige ihrer fuumlhrenden Vertreter als Vorreiter der Einheit der Christen uumlbergehen (S 21)

Lindemann sieht die Allianz als Teil der transnationalen Froumlmmigkeitsbe-wegung der Erweckungen nach dem Pietismus (S 25) die man nicht ein-fach pauschal als bdquoantiaufklaumlrerischldquo oder bdquoantimodernldquo beurteilen darf (S 25) sondern die etwa in Fragen der Re-ligionsfreiheit oder des Antisklaverei-kampfes (S 28ndash29) auch ihrer Zeit voraus war Gespeist aus Erweckungen in ganz unterschiedlichen Sprach- und Kulturkreisen zeichnete sie sich wie der Pietismus bdquodurch ein weitverzweig-tes Netz internationaler Kontakte und Verbindungen ausldquo (S 33) Ob man die

Gruumlndung oumlkumenischer Strukturen unabhaumlngig von der Allianz wirklich allein auf die bdquozunehmende sbquoFunda-mentalisierunglsquo der Allianz 1880ldquo (S 945) in Form der Ablehnung der Bi-belkritik und der Zuwendung zur Hei-ligungsbewegung zuruumlckfuumlhren kann wie Lindemann ganz am Ende eher beilaumlufig sagt wage ich zu bezweifeln Ich vermute dass eine ebenso gruumlnd-liche Arbeit zur Zeit nach 1880 eben-falls eine andere sbquoAllianzlsquo hervortreten lieszlige wie die Allianz die Lindemann bis 1879 darstellt die ebenso dem gaumln-gigen Klischee nicht entspringt

Doch Lindemann hat Recht wenn er fortfaumlhrt bdquoDoch lebte das Gedan-kengut der Allianz in der Oumlkumene fortldquo (S 946) Uumlberhaupt passen die Schlussworte zur Evangelischen Alli-anz heute die eine gute fruumlhe und eine schlechtere spaumltere und heutige Allianz andeuten nicht so ganz zum Duktus des Buches Aber nach 945 uumlberaus fairen Seiten in der Darstellung der Al-lianz aus den Quellen sollte man diese verhaltene Kritik liebevoll beherzigen zumal die daraus gezogenen Empfeh-lungen schon teilweise umgesetzt wer-den

Insgesamt schreibt Lindemann aus freundlich-kritischer Distanz So kri-tisiert er etwa die groszlige Naumlhe vieler Evangelikaler zum herrschenden Adel in der Zeit der Revolutionen 184849 (S 152ndash158) worin die Evangelikalen sich nicht von den Kirchen ihrer Zeit

unterschieden Haumlufiger hilft er positi-ve Bilder zu differenzieren So bestand etwa schon bei Gruumlndung der Evange-lischen Allianz Einigkeit in der Verur-teilung der Sklaverei ndash der Kampf ge-gen die Sklaverei gehoumlrte unverruumlckbar zur Geschichte der sbquoEvangelicalslsquo aber inwiefern Sklaverei duldende Gruppen und Personen Mitglied werden durften war diesseits und jenseits des Atlanti-schen Ozeans umstritten (S 65ndash72 110ndash129 159) 1846 wurden sie alle ausgeladen spaumlter teilweise zugelassen dann mit der Abschaffung der Sklave-rei in den USA endguumlltig verbannt (S 693) Noch nie wurden diese kompli-zierten Details im Einzelnen belegt

Auch zur Entstehung der Glaubens-basis wird viel neues Material geliefert

bdquoMan verstand sich als eine Verbin-dung von Einzelpersonen und legte in diesem Zusammenhang auf die persoumln-liche Glaubensentscheidung des Ein-zelnen Wert und betonte das Recht auf individuelle Bibellektuumlre Mit diesem Grundaxiom hing auch die scharfe Abgrenzung vom Katholizismus so-wie hochkirchlichen Gruppierungen im Protestantismus zusammen die Sakramente und die Institution Kir-che als objektiv vorgegebene Groumlszligen betrachteten und der Entscheidung des Einzelnen voranstellten Hingegen galt fuumlr die Allianz in ihrer in London ver-abschiedeten sbquoGlaubensbasislsquo die goumltt-lich inspirierte Schrift als sakrosankt deren freie Pruumlfung dem Einzelnen

jedoch zugestanden wurdeldquo (S 205) Spannend ist die Entstehung der ers-ten Glaubensbasis (S 87ndash98) Meines Erachtens haumltte man noch deutlicher darauf hinweisen koumlnnen dass die bei-den ersten Saumltze eine bis heute zentrale Spannung bewirken bdquo1 The Divine Inspiration Authority and Sufficiency of the Holy Scriptures 2 The Right and Duty of Private Judgement in the Interpretation of the Holy Scripturesldquo (S 98)

Einerseits ist dies eine unverruumlckbare Festlegung andererseits ein extremer Pluralismus der jeden Glaumlubigen ver-pflichtet die Grundlage selbst auszu-legen

Exkurs Die Evangelikalen sind durch zwei Paare entgegengesetzter Pole gekennzeichnet und man wird ihnen nicht gerecht wenn man jeweils nur einen der Pole sieht Einerseits ist das die von den Evangelischen ererbte Zentralitaumlt der Heiligen Schrift Andererseits ist es der aus Luthers Frage sbquoWie bekomme ich einen gnauml-digen Gottlsquo hervorgegangene Heilsin-dividualismus Es geht darum dass jeder Mensch seine persoumlnliche Bezie-hung zu Gott hat und daraus ergibt sich als Korrektur zur Zentralitaumlt der Schrift die Berechtigung ja Verpflich-tung jedes Christen die Heilige Schrift selbst zu studieren und auszulegen womit er mit jedem noch so gebildeten evangelikalen Theologen auch seinem

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 437 8 6 uuml

Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit

Pastor gleichauf steht So vereint die evangelikale Welt die dogmatische Enge dank der Bibelfrage mit einer enor-men demokratischen Weite weil jeder theologisch mitreden darf Die zweite Spannung ist die zwischen Mission und Religionsfreiheit Aus der enormen Be-tonung der persoumlnlichen Beziehung zu Jesus entstand sowohl die starke Beto-nung der bdquoZeugnispflichtldquo als auch die starke Betonung der Religionsfreiheit Das Konzept der Freiwilligkeit praumlgte nicht nur die Freikirchen sondern auch den innerkirchlichen Pietismus fuumlr den Glaube nicht nur etwas Aumlu-szligerliches Ererbtes sein duumlrfte sondern etwas persoumlnlich Erfahrenes Dazu aber kann man niemand zwingen ja Zwang macht die Moumlglichkeit zunichte eine wirklich eigenstaumlndige persoumlnliche Um-kehr zu Gott zu vollziehen Also lieber eine kleinere Kirche mit uumlberzeugten Mitgliedern als eine groszlige mit vielen Mitgliedern die nur dank gesellschaftli-chem familiaumlrem oder sonstigem Druck dazugehoumlren

Neubestimmung des Verhaumllt-nisses der Evangelischen Alli-anz zur katholischen Kirche

Lindemann geht auf die antikatholi-schen Tendenzen und Aktivitaumlten in Groszligbritannien ein in denen die Alli-anz zum Teil wurzelt (S 45ndash50) Aller-

dings weist er schluumlssig nach was mein groumlszligtes Aha-Erlebnis beim Lesen des Buches war Es waren kaum die dog-matischen Unterschiede die im Mit-telpunkt standen sondern die Allianz repraumlsentierte mit ihrem Eintreten fuumlr Glaubens- und Gewissensfreiheit ih-rer teilweise radikalen teilweise noch verhaltenen Trennung von Kirche und Staat und ihrer Vorrangstellung der frei-willigen persoumlnlichen Bekehrung ndash was jeden Zwang in der Mission oder reli-gioumlsen Zwang seitens des Staates aus-schloss ndash das komplette Gegenteil zur ultramontanistischen katholischen Kir-che die Religionsfreiheit entschieden verwarf den Staat als Diener der Kirche zumindest in Fragen von Religion und Ethik sah und die oumlrtlichen Katholiken staumlrker denn je an die geistliche aber auch politische Fuumlhrung des Papstes band ndash alles Positionen die die katho-lische Kirche offiziell erst im 2 Vati-kanischen Konzil aufgab aber schon nach den beiden Weltkriegen jeweils immer mehr zuruumlckfahren musste So wie es im bismarckschen Kulturkampf in Deutschland weniger um Glaubens-inhalte als um die Machtfrage und den politischen Einfluss der Kirche(n) ging so stand im Zentrum der Allianz ndash so Lindemann ndash dass der Ultramontanis-mus bdquoals eine Verschwoumlrung gegen die geistige Entwicklung und geistige Frei-heit der Menschheitldquo (S 49) erachtet wurde (S 321ndash337)

Konsequenterweise setzte man sich vom Gruumlndungsjahr an auch fuumlr verfolgte Katholiken in protestantischen Laumln-dern ein und unterstuumltzte antikatholisch orientierte Regierungen nicht in ihrem Tun (S 205) Uumlbrigens wurde 1846 be-wusst bei der Gruumlndung keine Nichtzu-lassung von Katholiken formuliert (S 131) Als sich die Allianz 1858 mit einer Delegation gegen Schweden wandte dessen oberstes Gericht der Koumlnigliche Gerichtshof 6 Frauen die zum Katho-lizismus konvertiert waren des Landes verwiesen hatte und die Allianz Religi-onsfreiheit fuumlr diese Katholiken forder-te gab es europaweit einen Sturm der Entruumlstung auszligerhalb der Allianz (S 295ndash300) Die Allianz war wesentlich daran beteiligt dass der schwedische Reichstag die Strafen fuumlr das Verlassen der lutherischen Staatskirche 1860 ab-schaffte Lindemann schreibt

bdquoDurch ihre Konzentration auf dog-matische und geistliche Elemente un-terschied sich die Allianz von anderen anti-katholischen Gruppierungen Uumlberdies machte das Engagement fuumlr die waadtlaumlndische Freikirche deutlich dass die Vereinigung sich nicht von ei-nem blinden Katholikenhass leiten lieszlig sondern sich auch gegen eine diploma-tische und militaumlrische Unterstuumltzung von Regierungen aussprechen konnte die das Prinzip der Religionsfreiheit nicht achteten auch wenn sie sich mit dem Katholizismus im Konflikt be-

fanden Sir Culling Eardley stellte in diesem Zusammenhang klar dass po-litische Freiheit ohne Religionsfreiheit undenkbar und auch nicht unterstuumlt-zenswert sei ndash nach Auffassung des Lon-doner Allianzkomitees handelte es sich dabei um das sbquoheiligste unter den Men-schenrechtenlsquoldquo (S 205ndash206)

bdquoDie Evangelische Allianz erwies sich bereits in ihrer Gruumlndungsphase keines-wegs als eine rein antikatholische Bewe-gung Vorrangig war das Interesse an einer Einheit unter den Christen waumlh-rend aktuelle Ereignisse und Entwick-lungen eher als ausloumlsende Faktoren fuumlr den Schritt zu dem protestantischen Zu-sammenschluss anzusehen sind Als we-sentliche Ziele galten die Evangelisation der Welt sowie vor allem aus amerika-nischer Perspektive auch der Wunsch durch die grenzuumlberschreitende Zusam-menarbeit zum Frieden unter den Voumll-kern beizutragenldquo (S 205)

Neues zur Geschichte der Religionsfreiheit

Als das herausragende Thema der Alli-anz erweist Lindemann den Einsatz ge-gen Verfolgung aus religioumlsen Gruumlnden und fuumlr die Religionsfreiheit die noch nie so gruumlndlich dargestellt wurde (bes S 141ndash151 205ndash321 592ndash645 773ndash811 858 868ndash913) Besonders inter-essant sind auch die Erkenntnisse zum

44 7 8 6 uuml

Einsatz der Allianz fuumlr die Religions-freiheit die Lindemann aus den Akten des britischen bdquoForeign Officeldquo gewann

Am staumlrksten stand in den Jahren 1849 bis 1858 der Einsatz fuumlr aus religioumlsen Gruumlnden Verfolgte im Mittelpunkt (S 207) da die Allianz sich zunutze mach-te dass Auszligenpolitik Thema der Presse und der entstehenden Parlamente wur-de (S 207)

Waumlhlen wir als Beispiel den Einsatz fuumlr den vom Katholizismus zum Protes-tantismus konvertierten Italiener Signor Giacinto Achilli (1803ndash1893) der des-wegen lebenslaumlnglich von der roumlmischen Inquisition inhaftiert war und der in einem fast einjaumlhrigen diplomatischen Tauziehen unter Beteiligung des briti-schen und franzoumlsischen Auszligenminis-ters der Medien der eigenen Zeitung und zahlreicher Delegationen schlieszlig-lich durch einen Trick von den Franzo-sen aus Rom befreit und nach England uumlberstellt wurde (S 208ndash223)

Vorgaumlnge wie diese stellt Lindemann wiederholt minutioumls dar Sie wurden wenn sie uumlberhaupt bekannt waren bis-her noch nie in ihren einzelnen Schrit-ten nachvollzogen und belegen wie gut organisiert mit Regierungen und Medi-en vernetzt und ihrer Zeit voraus dieser Aspekt der Evangelischen Allianz war Lindemann schreibt

bdquoBei ihrem Einsatz fuumlr aus Glaubens-gruumlnden Benachteiligte profitierte die Allianz eindeutig von der zunehmenden

Pluralisierung vor allem der britischen Gesellschaft und der Entstehung einer breiteren Medienoumlffentlichkeit die die Einflussnahme von sbquoPressure Groupslsquo auf auszligenpolitische Entscheidungspro-zesse zulieszlig Man merkte bald dass in bestimmten Faumlllen das gemeinsame Agieren uumlber Laumlndergrenzen hinweg noch Erfolg versprechender zu sein schien und wie zum Beispiel erstmals im Fall des Italieners Achilli zu einem gemeinsamen Handeln von Regierun-gen fuumlhren konnte Zugleich konnte der Verweis auf die englische oumlffentliche Meinung Staaten von Repressionen auf Andersglaumlubige abhalten sie beenden oder zumindest abmildern Nicht nur durch den Gebrauch neuer Methoden in diesem Engagement hatte die Evan-gelische Allianz an einem Modernisie-rungsprozess des Protestantismus im 19 Jahrhundert einen Anteilldquo (S 943)

Die Britische Allianz erreichte etwa durch eine Denkschrift an den preu-szligischen Koumlnig gegen die Baptistenver-folung dass der aus Berlin vertriebene Fuumlhrer der Baptisten Johann Gerhard Oncken nach Berlin zuruumlckkehren konnte (S 235ndash237) Mit Schreiben der britischen Koumlnigin und des preuszligischen Koumlnigs setzte man 1852 dem toskani-schen Groszligherzog Leopold II in einer Audienz wegen der Inhaftierung eines Ehepaars namens Madiai zu bdquoDie De-putation stieszlig europaweit auf eine star-ke Resonanzldquo (S 254) Und selbst der

gestrenge Lutheraner Ernst-Wilhelm Hengstenberg wahrhaftig kein Freund der Allianz ruumlhmte das Vorgehen denn es habe den katholischen Vorwurf die Protestanten seien hoffnungslos zerspal-ten widerlegt Hier habe man mit einer Stimme gesprochen (S 254) Die Sache weitete sich bis in die USA aus andere italienische Fuumlrsten wurden ebenso ak-tiv wie der franzoumlsische Kaiser bis das Ehepaar Madiai schlieszliglich nach einem Jahr 1853 freigelassen wurde Besonders deutlich wird wie eng der Gedanke ei-ner Oumlkumene der Protestanten mit der Religionsfreiheit verbunden war Ge-meinsamkeit macht stark

Wie konfessionell groszligzuumlgig man war zeigt sich auch darin dass man sich beim Sultan nicht nur fuumlr Konvertiten vom Islam zum Protestantismus ein-setzte sondern auch fuumlr die griechisch-orthodoxe Kirche (S 300) Im Iran setzte man sich fuumlr Nestorianer ein (S 610ndash613) Nach der Hinrichtung eines Konvertiten 1853 aktivierte die Allianz in Zusammenarbeit mit der Tuumlrkischen Allianz ihre Kontakte in zahlreichen eu-ropaumlischen Regierungen bis schlieszliglich 1856 Sultan Abduumllmecid I ndash sicher in Zusammenhang mit der komplizier-ten Politik zwischen dem Osmaischen Reich und den Westmaumlchten ndash in einem Edikt den Protestanten groumlszligere Freihei-ten zugestand und die Todesstrafe fuumlr Konversion abschaffte (S 300ndash319) 1874ndash1875 fuumlhrte eine weitere groszlige Kampagne eine Allianzdelegation bis

zum tuumlrkischen Auszligenminister Dip-lomaten sogar bis zum Sultan deren Auswirkungen aber umstritten sind (S 879ndash902) Lindemann schreibt dass fuumlr die Niederschlagung der Prozesse gegen Pastoren im Baltikum durch den Za-ren bdquoder Londoner Vorstoszlig der Allianz verantwortlich gewesenldquo sei (S 800) Das Verwirrspiel um den Versuch eines Treffens mit dem Zaren der schlieszliglich seinen Auszligenminister vorschickte wird bei Lindemann aufgeloumlst (S 779ndash800)

Auch die Audienzen die die Allianz beim preuszligischen Koumlnig erhielt etwa 1855 in Koumlln oder 1857 im Rahmen der Berliner Allianzkonferenz bei Fried-rich Wilhelm IV (S 286f) drehten sich immer um die Religionsfreiheit in Deutschland Dasselbe gilt fuumlr Gesprauml-che des Allianzsekretaumlrs die er mit dem deutschen Kaiser Wilhelm I und dem Reichskanzler Otto v Bismarck 1875 fuumlhrte (S 919) Eine Allianzdeputation bei Kaiser Franz Joseph I in der Hof-burg und anschlieszligende Gespraumlche beim Ministerpraumlsidenten und beim Kultusminister im Jahr 1879 fuumlhrten zu spuumlrbaren Erleichterungen fuumlr Pro-testanten 1880 sogar zu deren rechtli-cher Anerkennung als Kirchen sowie fast nebenbei zu Erleichterungen fuumlr die Freikirchen in Wien (S 913)

Dasselbe gilt auch fuumlr den Besuch der gesamten Teilnehmerschaft der New Yorker Konferenz beim amerikani-schen Praumlsidenten Ulysses S Grant und seinem Kabinett 1873 (S 755ndash756)

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 457 8 6 uuml

nur dass die amerikanische Regierung nicht mehr von der Religionsfreiheit uumlberzeugt werden musste Man be-denke dass das alles zu einer Zeit ge-schah als die angestammten Kirchen alle noch weit davon entfernt waren ihren Staatskirchenstatus aufzugeben geschweige denn Religionsfreiheit fuumlr alle zu gestatten oder sie gar selbst zu fordern Wenn Religionsfreiheit damals gefordert wurde dann meist von Juden religioumlsen Minderheiten und Atheisten nicht aber von sehr religioumlsen Vertretern der vorherrschenden Religion Welchen Beitrag die Evangelische Allianz zur Re-ligionsfreiheit in Deutschland geleistet hat ist bisher noch nirgends gewuumlrdigt worden

Grundsaumltzliches

Die Homburger Konferenz fuumlr Religi-onsfreiheit von 1853 war ein Meilen-stein der Allianzgeschichte und der To-leranz in Deutschland und Europa (S 263ndash267) Zentrales Ergebnis war die Ablehnung jeder kirchlichen Gewalt gegen Separatisten und die Ablehnung jeglicher Inanspruchnahme staatlicher Gewalt durch Kirchen gegen andere (S 266) ndash ein Meilenstein der Entwicklung des Rechtes auf Religionsfreiheit Dies galt zudem bewusst nicht nur fuumlr Chris-ten sondern fuumlr alle Religionen was na-tuumlrlich zu internen Kontroversen und zu scharfer Kritik seitens protestantischer

Staatskirchen fuumlhrte (S 267ndash272) ohne dass die Allianz deswegen von dem Grundsatz abruumlckte

1861 stellt ein franzoumlsischer Pastor erstmals eine ganz neue These auf die sich mehr und mehr in der Allianz durchsetze dass naumlmlich bdquodie Religi-onsfreiheit staatliche Ordnung und den ihr innewohnenden Frieden garantiertldquo (S 592) Unterdruumlckung der individuel-len Religionsfreiheit dagegen Revoluti-on und Unfrieden naumlhre und dem Staat seine gottgegebene Grundlage entziehe

Interessanterweise bestaumltigt eine in-ternationale wissenschaftliche Unter-suchung genau dies Religionsfreiheit foumlrdert eine friedliche Gesellschaft deren Unterdruumlckung foumlrdert Unruhe und Gewalt und praktisch alle religioumls gefaumlrbten terroristischen Bewegungen der Welt kommen aus solchen Laumlndern [Brian J Grim Roger Finke The Price of Freedom Denied Religious Persecu-tion and Conflict in the Twenty-First Century Cambridge Cambridge Uni-versity Press 2010 und meinen Kom-mentar dazu unter httpwwwthomas-schirrmacherinfoarchives1792]

Lindemann schreibt bdquoMit ihrem Engagement fuumlr die Reli-gionsfreiheit leistete die Allianz deren angloamerikanischer Fluumlgel sich nicht mit bloszliger Toleranz zufriedengab sondern das oumlffentliche Bekennen des Glaubens als ein Grundrecht ansah auch der Durchsetzung der buumlrgerli-chen Freiheiten in den betreffenden

Laumlndern einen bemerkenswerten Dienst und trug zur Entstehung einer europauml-ischen Zivilgesellschaft nicht unwesent-lich bei Allerdings kam es in diesem Bereich auch zu Konflikten mit der britischen Regierung die im Blick auf Indien vorrangig an der Beherrschbar-keit des Landes interessiert war und im Falle des Osmanischen Staats insbeson-dere von globalstrategischen sowie von oumlkonomischen und Handelsinteressen geleitet war Letztere begannen seit der Mitte des 19 Jahrhunderts die britische Auszligenpolitik verstaumlrkt zu beeinflussen Zudem laumlsst sich auf der Regierungsseite eine deutliche Zuruumlckhaltung gegenuumlber dem evangelikalen Missionsverstaumlndnis nachweisen Das Gesamtengagement der Allianz erwies sich hingegen durch die Erweiterung seiner Bezugspunkte und -orte bis hin nach Russland und Japan als kongruent zur globalen Dau-erpraumlsenz Groszligbritanniens Im Un-terschied zur britischen Auszligenpolitik mischte man sich jedoch immer wieder auch in europaumlische Religionskonflikte ein waumlhrend man mit Ausnahme der italienischen Einigung hinsichtlich poli-tischer Spannungen wie den seit 1864 von Preuszligen gefuumlhrten Kriegen analog zur Haltung der britischen Regierung Zuruumlckhaltung uumlbte oder sie gar wie im Falle des polnischen Aufstandes von 186364 der keineswegs frei von reli-gioumlsen Komponenten war ignorierteldquo (S 943)

Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit

46 7 8 6 uuml

Witness of the bodyMichael L Budde amp Karen Scott (Hrsg)

Wolfgang Haumlde

Michael L Budde amp Karen Scott (Hrsg) Witness of the body The past present and future of Christian martyrdom Grand Rapids MI Eerdmans (The Eerdmans Ekklesia series) 2011 238 Seiten ISBN 978-0802862587 1799 Euro

Klar wird die Absicht dieser Samm-lung von Aufsaumltzen im Vorwort defi-niert naumlmlich bdquodas Maumlrtyrertum an einen zentraleren Ort im Selbstver-staumlndnis der Kirche zuruumlckzubringenldquo (S vii) sowie das Maumlrtyrertum nicht nur bdquoals ein Objekt von Faszination und Grauenldquo zu sehen sondern ihm bdquowieder seinen Platz in der taumlglichen Praxis der Kircheldquo (S viii) zu geben Ich kann diese Ziele von ganzem Her-zen bejahen

Geschrieben ist das Buch fuumlr eine westliche Leserschaft der der Gedan-ke an Martyrium zum groumlszligten Teil fremd ist Leider fehlen Autoren die in der Mehrheitswelt leben Sie haumlt-

ten aus ihrer anderen Perspektive zu-saumltzliche Einsichten beitragen koumlnnen Auszligerdem wird konfessionelle Breite von Meinungen zwar postuliert (bdquoGe-lehrte von jenseits der konfessionellen Scheiden der Christenheitldquo S ix) aber nach dem was ich uumlber den Hinter-grund der Autoren feststellen konnte nicht wirklich erreicht denn die groszlige Mehrheit der Verfasser wird von US-amerikanischen Katholiken gestellt

Nicht alle Artikel scheinen die glei-che Relevanz fuumlr das Thema zu haben Ich frage mich zum Beispiel ob der Ar-tikel bdquoDas Gerichtsurteil der Eucharis-tie im Prozess gegen Jean d Arcldquo (Ann W Astell S 82ndash106) von groumlszligerer Be-deutung dafuumlr ist dem Maumlrtyrertum den ihm angemessenen Platz in der heutigen Kirche zuruumlckzugeben

Es ist eine Staumlrke dieser Aufsatz-sammlung nicht nur die Maumlrtyrer der Fruumlhen Kirche zu behandeln sondern z B im Teil III (bdquoMaumlrtyrertum zerstoumlrt

die Kircheldquo) auch auf die Verfolgung von Christen durch Christen beson-ders im Zeitalter von Reformation und Gegenreformation einzugehen Brad S Gregory (bdquoVerfolgung oder Straf-verfolgung Maumlrtyrer oder Pseudomaumlr-tyrer Die Zeit der Reformation Ge-schichte und theologisches Nachden-kenldquo S 107ndash124) kritisiert zu Recht dass es von einem Standpunkt im 21 Jahrhundert mit seiner Konzentration auf die Menschenrechte allzu leicht sei die Strafverfolgung mutmaszliglicher Hauml-retiker im 16 Jahrhundert anzupran-gern ohne die Grundvoraussetzungen jener Zeit wirklich verstanden zu ha-ben Allerdings empfand ich in diesem Artikel manchmal zu viel Verstaumlndnis fuumlr die Verfolger Unter den elf Arti-keln uumlber Maumlrtyrertum ragen fuumlr mich zwei als Houmlhepunkte heraus Der Ar-tikel von Stephen Fowl Theologiepro-fessor am Loyola-College in Maryland bdquoDer Vorrang des Zeugnisses des Lei-

bes vor dem Maumlrtyrertum bei Paulusldquo (S 43ndash60) liefert das Stichwort fuumlr den Titel des ganzen Buches Fowl ist ein Vertreter der Schule der bdquotheologischen Auslegung der Schriftldquo Er versucht m E erfolgreich das Maumlrtyrertum in den breiteren Zusammenhang von Roumlmer 121ndash2 zu stellen wo Christen dazu aufgerufen werden ihre bdquoLeiber als ein lebendiges Opfer hinzugebenldquo Jeder Christusglaumlubige ist also zum bdquoZeugnis des Leibesldquo aufgerufen Dieses Zeugnis ist die Hingabe unseres ganzen Seins fuumlr Gottes Willen und Gottes Ehre Diese Hingabe mag zum Maumlrtyrer-tum fuumlhren oder auch nicht bdquoGlaumlubige koumlnnen und sollten immer am Zeugnis des Leibes teilhaben Ob die Autoritauml-ten sie dafuumlr toumlten werden oder nicht liegt weitgehend nicht in ihrer Handldquo (S 44) Der zweite Houmlhepunkt ist fuumlr mich bdquoLohnt es sich fuumlr irgendetwas zu sterben Maumlrtyrertum Exterioritaumlt und Politik nach dem bloszligen Lebenldquo

glauben amp denken heute 22012 477 8 6 uuml

(S 171ndash189) von D Stephen Long Theologieprofessor an der Marquette-Universitaumlt und Geoffrey Holdsclaw

Die Autoren stellen fest dass die west-lichen saumlkularen Gesellschaften aus ih-rer politischen Philosophie alle Ziele eli-miniert haben die houmlher als das Leben sind Es herrscht die Angst dass dann wenn man bdquoPolitik in irgendeinem tran-szendenten Zielldquo begruumlnden wuumlrde eine bdquomilitaristische Gesellschaft erzeugtldquo wuumlrde (S 171) Als Ergebnis dieser Sor-ge ist bdquohellip die einzige rationale dogma-tische Position von der politisches Den-ken seinen Ausgang nehmen sollte die Bewahrung des Lebensldquo (S 173)

Sehr tiefgehend zeigt der Aufsatz wie eine neue Hingabe an lehrmaumlszligige Wahr-heit d h daran Gottes Willen houmlher zu setzen als unser Leben die Grundlage unserer gegenwaumlrtigen politischen Phi-losophie in Frage stellen wuumlrde und da-her als Bedrohung aufgefasst wird

Deutlicher haumltten die Verfasser ma-chen muumlssen dass die Frage bdquoWofuumlr lohnt es sich zu sterbenldquo nicht unwei-gerlich zur Frage bdquoWofuumlr lohnt es sich zu toumltenldquo fuumlhrt (S 171) und dass es zwar eine Gemeinsamkeit zwischen radikalen Muslimen und hingegebenen Christen ist lehrmaumlszligige Wahrheit uumlber das Le-ben zu setzen dass es aber entscheiden-de Unterschiede darin gibt worin die jeweiligen Wahrheiten bestehen

Witness of the body Werbung

Pro Mundis

Geistliche Impulse

Theologische Akzente

Ergaumlnzungen zur Ethik

Philosophische Anstoumlszlige

und vieles mehr

wwwbucerde

Besuchen Sie einmal unsere Internetseite Das Martin Bucer Seminar bietet im Internet unter dem Hauptmenuuml bdquoRessourcenldquo eine Vielzahl von kostenlosen Materialien zum Herunterladen an Diese koumlnnen die per-soumlnliche Weiterbildung sehr bereichern und auch geistliche Impulse geben So finden Sie unter anderem die Zeittafel uumlber Zwingli und Bucer von Gerhard Gronauer (MBS Text 86) oder den Beitrag bdquoDie Hinwendung Oumlster-reichs zum Christentumldquo von Frank Hinkel-mann (MBS Text 87) Es erwarten Sie viele andere interessante und bibliografisch ver-wertbare Aufsaumltze in den Reihen Geistliche Impulse Theologische Akzente Pro Mundis und Ergaumlnzungen zur Ethik Reformiertes Fo-rum und Hope for Europe

Im Bereich Bonner Querschnitte den Sie auch unter dem Hauptmenuuml bdquoRessourcenldquo finden ist zudem ein Archiv der Pressein-formationen des Seminars und der mit ihm verbundenen Institute untergebracht

MARTIN BUCER SEMINAR onlineMBS-Texte

48 7 8 6 uuml

Falling wallsndash the year 198990 Einstuumlrzende Mauern ndash das Jahr 198990Klaus Koschorke

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Klaus Koschorke Falling walls ndash the year 198990 as a turning point in the histo-ry of world Christianity Einstuumlrzende Mauern ndash das Jahr 198990 als Epo-chenjahr in der Geschichte des Weltchris-tentums (Studien zur auszligereuropaumlischen Christentumsgeschichte 15) Wiesbaden Harrassowitz Verlag 2009 451 Seiten ISBN 978-3-447-05995-4 5400 Euro

Dass sbquodie Wendelsquo 198990 also der Fall der Berliner Mauer die Aufloumlsung des Sowjetimperiums das Ende der bipo-laren Weltordnung und das Ende der Apartheid in Suumldafrika auf allen Kon-tinenten tiefgreifende politische oder wirtschaftliche Folgen hatte ist unbe-stritten Doch wie sah die Rolle der Christenheit dabei aus und welche Fol-gen hatte sie fuumlr die Weltchristenheit Dass Christen und Kirchen in die Vor-

bereitung der Wende in Deutschland in-volviert waren ist gruumlndlich untersucht Bei der Welle der Demokratisierungen 1989ndash1993 spielten Kirchen eine fuumlh-rende Rolle (in Rumaumlnien etwa begann die Revolution mit dem Widerstand ge-gen die politisch motivierte Zwangsver-setzung des reformierten Pfarrers Laacuteszlo Toumlkes in Timisoara S 64) die Zahl der fuumlhrenden christlichen Persoumlnlichkeiten in der Politik nahm stark zu Zur Fra-ge nach der Weltchristenheit gehoumlrt in diesem Zusammenhang aber auch die Darstellung der neuen Religionsfreiheit in vielen Laumlndern und die Abloumlsung des Kommunismus als Hauptbeschraumlnker der Religionsfreiheit durch den Islam wobei es in islamischen ebenso wie in anderen Laumlndern haumlufig zu einer neuen gefaumlhrlichen Allianz von Religion und Nationalismus kam

Die 4 Internationale Muumlnchen-Frei-sing-Konferenz 2008 fuumlhrte zu diesem Zweck Forscher aus vier Kontinenten zahlreichen Fachrichtungen und Kon-fessionen zusammen Die 23 deutschen oder englischen Forschungsbeitraumlge (plus Einfuumlhrung durch den Heraus-geber und Zusammenfassung durch einen Konferenzbeobachter) die fast ausnahmslos regionale nationale und dabei oft konfessionelle Schwerpunkte setzen stellen derzeit die umfassendste Darstellung zum Thema dar Ihr Ni-veau ist uumlberwiegend sehr hoch meist mit einer Fuumllle von in deutschen Bib-liotheken schwer zugaumlnglichen Quel-len belegt Es gibt Ausnahmen so ist ausgerechnet der Beitrag zu Suumldafrika nur eine vierseitige Zusammenfassung (S 89ff) Etliche Beitraumlge leiden in ihrer Wissenschaftlichkeit unter der konfessi-

onellen Einseitigkeit der Autoren Es ist natuumlrlich unmoumlglich hier zu jedem der Beitraumlge einige Saumltze zu schreiben Fuumlr den Leser der wissen will ob seine Regi-on oder Thematik behandelt wird seien grob die Themen aufgelistet DDR Po-len Rumaumlnien Osteuropa Suumldafrika Aumlthiopien Afrika Suumldkorea China Vietnam Kuba Zentralamerika Ar-gentinienUruruguayChile Brasilien Lateinamerika USA allgemein Fun-damentalismus Befreiungstheologie Pfingstbewegung Lutherische Kirchen

Bedauerlich ist dass nicht alle Autoren das gesamte konfessionelle Spektrum ab-decken So mag man ja noch verstehen dass zu Polen der Protestantismus nicht dargestellt wird dass er zu China fehlt ist unverstaumlndlich so lesenswert der Bei-trag von Roman Malek ist Uumlberhaupt lassen die meisten katholischen Autoren

glauben amp denken heute 22012 497 8 6 uuml

andere Konfessionen uumlberwiegend links liegen waumlhrend die protestantischen Autoren die nichtprotestantischen Kir-chen wenigstens mit darstellen wenn auch selten angemessen Angesichts der Gesamtthematik des Buches ist die kon-fessionelle und theologische Einseitig-keit etlicher Einzelbeitraumlge erstaunlich Evangelikale und Pfingstler immerhin ein Drittel der Weltchristenheit erschei-nen uumlberwiegend als negative Klischees auch wenn die Spannbreite der Darstel-lungen von billiger Polemik bis hin zu gut belegten Fehlentwicklungen reicht Manche Kritik ist berechtigt ndash wenn auch oft weniger Ergebnis belegter For-schung als einfach Meinung des jeweili-gen Autors etwa dass in den charisma-tischen Bewegungen bdquoChristianity as a Shopping Mallldquo etabliert wurde (James R Cochrane S 109ndash110) oder pfingst-liche Politiker in Brasilien sich bdquonicht als kompetenter oder ethisch verlaumlsslicher erwiesen als andereldquo (Rudolf von Sinner S 330) Wenn auch nichtamerikanische Evangelikale vieles kritisch sehen was im evangelikalen Bereich in den USA geschieht so helfen Sammeltoumlpfe wie die bdquoRechtsevangelikalen Neofunda-mentalisten und Pfingstsektenldquo (S 21) bei der Aufarbeitung sicher nicht

Manchmal schlaumlgt eine westliche theologisch liberale Sichtweise verzer-rend durch etwa wenn es heiszligt dass konservative Anglikaner versuchten die afrikanischen Kirchen fuumlr ihre Zwecke

einzuspannen (S 17) Den Neuauf-bruch groszliger anglikanischer Kirchen in Afrika als amerikanisch zu erklaumlren ist schlicht falsch offenbart aber auch einen Patriarchalismus der der Realitaumlt nicht gerecht wird Es sind umgekehrt stark wachsende afrikanische anglika-nische Nationalkirchen wie in Uganda die den kleinen konservativen Fluumlgel der Anglikaner in den USA zum Wider-stand anstiften

Anselm K Min (S 195ndash214) schreibt den koreanischen Kirchen aller Konfes-sionen zwar berechtigte und gewichtige Anfragen ins Stammbuch ndash wenn auch von den USA aus ndash seine Leistung als Historiker ist aber schwach seine Kritik an allem was rechts von ihm steht ist heftig aber nicht belegt Er wird der Di-versitaumlt des konservativen Protestantis-mus und der evangelikalen Bewegung nicht gerecht und spiegelt eher seine eige-ne theologische Position als eine wissen-schaftliche Erforschung der Kirchenge-schichte wider Die stabilisierende Rolle nicht aller aber vieler evangelikaler Gruppen fuumlr die koreanische Demokra-tie und die vergleichsweise positive Rol-le eines evangelikalen Praumlsidenten wird gar nicht erwaumlhnt Typisch klischeehaft wird der Fundamentalismus mit Anti-Intellektualismus und dogmatischer Intoleranz gleichgesetzt (S 210) ndash das haben die groszligen reformierten Hoch-schulen Koreas sicher nicht alle verdient Und wer im wissenschaftlichen Kontext

von bdquoFundamentalismusldquo spricht moumlge bitte angesichts der ungezaumlhlten Defini-tionen und den meist emotionalen oder gar vernichtenden Bedeutungen erst einmal sagen was er eigentlich darunter versteht Das uumlberschwaumlngliche Lob des koreanischen Katholizismus im Gegen-satz zum Protestantismus der korrupt materialistisch individualistisch und der koreanischen Kultur nicht angepasst sei (S 212) wirkt in seiner schwarz-wei-szligen Pauschalisierung trotz des gewissen Wahrheitskerns fast schon komisch

Die groszlige Ausnahme ist hier ndash wie nicht anders aufgrund seiner Buumlcher zu erwarten ndash der unbedingt lesenswerte Beitrag von Michael Hochgeschwender zu den USA (S 351ndash371) eigentlich fuumlr das Thema bdquoEvangelikaleldquo ja das schwie-rigste Land Doch Hochgeschwender schreibt informiert belegt differenziert bei allen Vor- und Nachteile sehend uumlber alle Konfessionen und Richtungen gleichermaszligen fair Hochgeschwen-der sieht generell den Schwerpunkt der enormen Religiositaumlt und Spiritualitaumlt in den USA darin dass sie bdquomit einer radikalen Konsequenz die weltweit ih-resgleichen sucht zur Ware umfunktio-niertldquo (S 368) wurde und wird

Am anderen Ende des Spektrums zu Hochgeschwender steht der britische Theologe Kevin Ward der eigentlich bdquoPluralism and fundamentalism as challenges for the African Churchesldquo (S 157ndash176) aber uumlberwiegend nur die

Spaltung der anglikanischen Weltge-meinschaft darstellt das Thema seiner Uumlberschrift also verfehlt hat nicht nur weil er nirgends definiert was die bei-den Begriffe seines Themas eigentlich bedeuten sondern eigentlich immer nur zwei Lager beschreibt die man dann wohl den beiden Themen zuordnen soll was der enormen Vielfalt der afrikani-schen Christenheit kaum gerecht wird Auf welcher Seite Ward selbst steht zeigt seine Verteidigung der Forderung von Erzbischof Williams die Scharia in Teilen Groszligbritanniens zuzulassen Kommt die Kritik daran wirklich nur von Konservativen die sich nicht mit der Realitaumlt der multikulturellen Gesell-schaft abfinden wollen (S 173) Wards Kritik an der Kritik der nigerianischen Bischoumlfe an Williams geht voumlllig daran vorbei dass die Frage der Guumlltigkeit der Scharia fuumlr die anglikanische Kirche in Nigeria keine akademische sondern eine existentielle Frage ist kein den theologischen Stroumlmungen rechts oder links zuzuordnendes Thema

Sehr interessant sind die Beitraumlge die die Folgen der bdquoWendeldquo fuumlr die Befrei-ungstheologie und den Weltkirchenrat diskutieren Sergo Silva (S 335ndash350) haumllt die These die Befreiungstheologie habe ohne real existierende sozialistische Laumlnder stark an Bedeutung verloren fuumlr grundfalsch Seine Argumente sind aber fast ausschlieszliglich theologisch (sie ist weiter berechtigt und noumltig) nicht his-

Falling wallsndash the year 198990

50 7 8 6 uuml

torisch oder soziologisch (Auch hier ist uumlbrigens bedauerlich dass Evangelikale wie Rene Padilla oder Samuel Escobar und ihre juumlngeren Nachfolger uumlberhaupt nicht in den Blick kommen) Die Base-ler Missionswissenschaftlerin Christine Lienemann-Perrin (S 373ndash392) vertritt die entgegengesetzte These ndash und dies gut belegt ndash vor allem am Beispiel Ko-reas Suumldafrikas und Lateinamerikas Sie geht davon aus dass die groszligen be-freiungstheologischen Entwuumlrfe durch kontextuelle lokale Entwuumlrfe abgeloumlst wurden

Viggo Mortensen (S 429ndash441) be-schreibt ausgehend von den lutherischen Kirchen die tiefgreifende Veraumlnderung innerhalb der oumlkumenischen Bewegung nach 1989 Denn bdquoinnerhalb der oumlku-menischen Bewegung hingen viele am sozialistischen Traumldquo (S 440) Dieser sei laumlngst ausgetraumlumt (aumlhnlich Hart-mut Lehmann S 446)

Die Entwicklung ginge von der Be-tonung der sichtbaren Einheit hin zur versoumlhnten Vielfalt vom Konsens (fast um jeden Preis) hin zum sichtbaren Pro-fil und Bekenntnis Dass die Veraumlnde-rungen auch den Dauerstreit zwischen Evangelikalen und Weltkirchenrat be-endet haben und es heute eine gute Zu-sammenarbeit mit der weltweiten Evan-gelischen Allianz in vielen Fragen gibt wird nicht erwaumlhnt auch wenn dies ge-nau die These des Autors unterstreicht Kritisch angemerkt sei noch dass die in

der Einfuumlhrung gut angesprochene Fra-ge der Religionsfreiheit die durch die sbquoWendelsquo ein ganz neues Thema wurde aber sich auch international ganz an-ders ohne den kommunistischen Block darstellt (etwa durch die zunehmende Verquickung von Religion und Natio-nalismus ndash darunter auch Beispiele eines christlichen Nationalismus) im Buch fast voumlllig fehlt

Dabei haumltte das Thema mindestens ei-nen eigenen Beitrag verdient gehabt und haumltte alle anderen Beitraumlge durchziehen muumlssen Denn die praktische Lage der Religionsfreiheit weltweit als auch der internationale theoretische Diskurs zum Thema hat sich in den letzten drei Jahrzehnten von der sbquoWendelsquo ausgehend grundlegend gewandelt und christliche Kirchen sind unmittelbar von beidem uumlberall betroffen

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher Werbung

glauben amp denken heute ist eine Zeitschrift fuumlr Freunde des Martin Bu-cer Seminars und fuumlr alle Menschen die sich dem christlichen Glauben ver-bunden fuumlhlen 2 x im Jahr erscheint glauben amp denken heute online und kann unter wwwbucereu herun-tergeladen werden glauben amp denken heute veroumlffentlicht theologische Beitrauml-ge sowie diverse BuchrezensionenReservieren Sie sich noch heute eine Werbeflaumlche in glauben amp denken heute und Ihre Anzeige wird in der naumlchsten Ausgabe online freigeschaltet Ihre Bestellung und Anzeige senden Sie bitte per E-Mail an Manfred Feldmann ManfredFeldmannbucerde

Beispiel Hiermit bestelle ich die Werbeflaumlche A (AshyG) Die Anshyzeige (Anhang beigefuumlgt) soll 1x (2x) im Jahr erscheinen

Betriebssystem Apple Macintosh WindowsLinux uaDateiformat JPEG GIF bei einer Aufloumlsung von houmlchstens 150 dpi

Anzeige 257 x 170 mmSeite 1 SatzspiegelPreis 125 Euro

Anzeige 192 x 170 mmSeite 34 SpaltenPreis 100 Euro

Anzeige 125 x 170 mmSeite 24 SpaltenPreis 75 Euro

Anzeige 59 x 170 mmSeite 14 SpaltePreis 50 Euro

Anzeige 125 x 83 mmSeite 28 SpaltenPreis 35 Euro

Anzeige 59 x 83 mmSeite 18 SpaltePreis 20 Euro

Anzeige 297 x 210 mmSeite 1 ganze SeitePreis 150 EuroA

B

C

D

E

F

G

glauben amp denken heute 22012 517 8 6 uuml

Neuere Buumlcher uumlber Konstantin den GroszligenPeter Leithart Klaus M Girardet

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Peter Leithart Defending Constanti-ne The Twilight of an Empire and the Dawn of Christendom Downers Grove (IL) IVP Academic 2010 373 Seiten ISBN 978-0830827220 2199 Euro

Peter J Leithart hat ein Buch zur Ehrenrettung Kaiser Konstantins ge-schrieben das sich vor allem gegen die Thesen des amerikanischen Mennoni-ten John Howard Yoder (1927ndash1997) wendet fuumlr den Konstantin der In-begriff des Abfalls des Christentums von seinen pazifistischen Urspruumlngen und fuumlr das jahrhundertlange Uumlbel des Staatskirchentums und der Ketzerver-folgung stand

Leithart will dabei keinen originauml-ren Forschungsbeitrag liefern sondern die viel positivere Beschreibung in der Fachliteratur und den Wandel des

Konstantinbildes in der Wissenschaft den tief verwurzelten Vorurteilen vie-ler heutiger Christen entgegenhalten In einer enormen Vielfalt breitet er Forschungsliteratur der letzten hun-dert Jahre in den Fuszlignoten aus und zeigt dass der tatsaumlchliche Konstantin weder mit dem bejubelten christlichen Kaiser des Mittelalters noch mit dem Buhmann der Aufklaumlrung aber auch freikirchlicher Autoren etwas zu tun hat Konstantin ist nur aus der Reali-taumlt des 4 Jahrhunderts heraus zu ver-stehen und konnte nicht wissen was die Zukunft bringen wuumlrde Gemessen daran war er ndash so Leithart ndash uumlberzeug-ter Christ und fand einen Weg zwi-schen der Foumlrderung des christlichen Glaubens und der Religionsfreiheit der nichtchristlichen Bevoumllkerungsmehr-heit Dabei muumlsse man aber immer die

ganze Breite der erforschten Ereignisse beruumlcksichtigen So gibt es unuumlberseh-bare und nennenswerte Einfluumlsse des Christentums auf seine Gesetzgebung andererseits ebenso voumlllig davon unbe-einflusste Bereiche

Waumlhlen wir etwa die Architektur (S 112ndash125) als Beispiel fuumlr die bdquoKom-plexitaumltldquo (S 113) und bdquoMehrdeutig-keitldquo (S 114) des Wirkens Konstantins Einerseits baute der Kaiser jede Menge oumlffentlicher Bauten die durchaus mit roumlmischer und griechischer religioumlser Kunst geschmuumlckt waren Andererseits stand der Kirchenbau in Rom und dann in Byzanz im Zentrum seines persoumlnli-chen Interesses Ein typisches Beispiel ist der Konstantinbogen in Rom Ei-nerseits unterscheidet er sich im ersten Moment nicht von anderen derartigen Bauten Ein unmittelbarer christlicher

Bezug fehlt von den teilweise christli-chen Militaumlrzeichen der abgebildeten Offiziere abgesehen Andererseits wird nirgends den roumlmischen Goumlttern ge-dankt am auffaumllligsten nicht Jupiter wie bis dahin uumlblich Eine Jupiterfi-gur ist zwar zu sehen aber Konstantin wendet ihr den Ruumlcken zu Vielmehr wird dem groszligen Gott gedankt der sich Konstantin offenbart hat Das ver-standen die Christen christlich fuumlr die anderen war es nicht automatisch ein Affront

Auch christliche Symbole sind ein schoumlnes Beispiel So standen sie auf Muumlnzen oder Standarten nach 312 laumlnger neben aumllteren religioumlsen Symbo-len die sie erst allmaumlhlich abloumlsten bis schlieszliglich die menschlich dargestell-ten heidnischen Gottheiten aumlhnlich wie spaumlter im Mittelalter nur noch als

52 7 8 6 uuml

mythischer Schmuck dienten (S 71ndash79) War Konstantins Uumlbertritt zum Chris-tentum eine sbquoechtelsquo Bekehrung Leithart betont zu Recht dass die Frage ist was das damals bedeutete (S 79ndash80) Kons-tantin nahm etwa persoumlnlich die chris-tologische Entscheidung von Nizaumla an (S 89ndash90) was heute fuumlr uns bedeut-samer ist als damals Hier haumltte Leithart viel deutlicher ndash wie Girardet in den im Folgenden besprochenen Werken ndash da-rauf verweisen koumlnnen dass Bekehrung vor allem bedeutete den Goumltzendienst aufzugeben Viel staumlrker haumltte herausge-arbeitet werden muumlssen welche zentrale Rolle der Verzicht auf das Opfer zu Ju-piter nach dem Sieg uumlber die Mitkaiser spielt (S 66ndash67) Hier zitiert Leithart zwar eine deutsche Quelle von 1955 die er aber wohl nicht lesen konnte Die umfangreichen deutschen Studien dazu kennt er nicht (siehe unten)

Auch bei anderen Fragen ist Leithart auf der richtigen Spur haumltte aber mit deutschen Quellen bessere Belege an-fuumlhren und die Bedeutung der Ergeb-nisse staumlrker herausstellen koumlnnen So geht Leithart davon aus dass die eigent-liche Kreuzesvision Konstantins bereits 310 in Grand in den Vogesen (heute in Frankreich) stattfand wahrscheinlich als bdquoRinghaloldquo (S 77ndash78) die neuesten Belege dafuumlr fuumlhrt er aber nicht an

Erfreulicherweise bezeichnet Leithart das bdquoEdikt von Mailandldquo als bdquoFiktionldquo (S 98ndash99) Tatsaumlchlich vereinbarten die

beiden Kaiser Konstantin und Licinus nach einem Treffen in Mailand in ei-nem Brief vom Juni 313 aus Nikomedia die Ruumlckgabe von konfisziertem Kir-chengut und die Religionsfreiheit der Christen nicht aber deren Vorrangstel-lung geschweige denn eine Stellung als Staatsreligion (S 99ndash100) Tatsaumlchlich hat Konstantin die Freiheit der Nicht-christen nicht beschraumlnkt

Je laumlnger je mehr geht es Leithart aber nicht nur um eine Ehrenrettung Kons-tantins sondern darum ihn als Vorbild fuumlr christliche Politik hinzustellen Aus Leitharts Sicht gilt bdquoKonstantin liefert uns in vielerlei Hinsicht ein Modell fuumlr christliche politische Praxisldquo [bdquoConstan-tine provides in many respects a model for Christian political practiceldquo] (S 11) Die Aussage dass Konstantin in vie-ler Hinsicht fuumlr christliches politisches Handeln steht geht natuumlrlich weit uumlber das hinaus was Leithart belegt und be-sonders was er widerlegt Zwar ist zu wuumlrdigen dass Konstantin aus christ-licher Motivation auch Gesetze huma-nisiert und brutale Elemente der roumlmi-schen Kultur beendet hat Auch hat es Konstantin geschafft das Christentum zu foumlrdern ohne die Religionsfreiheit der anderen einzuschraumlnken Aber ob das fuumlr seine Vorbildfunktion reicht Und haumltte man dann nicht gruumlndlicher diskutieren muumlssen ob die Foumlrderung des Christentums als vom Staatsober-haupt gewuumlnschter Religion und Reli-

gionsfreiheit wirklich gleichzeitig moumlg-lich sind und inwiefern ein Christ als Staatslenker die Politik praumlgen sollte und kann

Ausfuumlhrlich belegt Leithart dass die Sicht von Yoder und anderen die Fruumlhe Kirche sei vollstaumlndig pazifistisch gewe-sen und habe erst durch oder nach Kon-stantin ihre Sicht geaumlndert dass man nicht in der roumlmischen Armee dienen koumlnne einseitig ist Tatsaumlchlich gab es um diese Fragen eine breite Diskussion in der Fruumlhen Kirche Schon vor Kon-stantin bis zuruumlck zur Zeit der Apos-tel dienten Christen als Soldaten und Offiziere in der roumlmischen Armee (S 255ndash278) die ja zugleich die Polizeige-walt innehatte Aber auch hier ist es ein weiter Weg zur Vorbildfunktion Kon-stantins die auch ohne Pazifismus die Frage klaumlren muumlsste wie das Verhaumlltnis der christlichen Kirche zu legalen Ins-titutionen des staatlichen Gewaltmono-pols sein sollte

Ich persoumlnlich haumltte mir eine klarere Trennung in einen historischen Teil zu Konstantin und einen ethischen Teil zum Verhaumlltnis von Kirche und Staat gewuumlnscht Da Yoder die beiden Fragen bis zur Unkenntlichkeit vermischt folgt ihm Leithart wenn es bei ihm auch viel einfacher ist die Gedanken zum einen oder anderen voneinander zu trennen

Eigentlich handelt es sich fuumlr mich sogar um vier Fragenkomplexe die hier verschwimmen 1 Was ist historisch

zur Konstantinbiografie zuverlaumlssig zu sagen 2 Wie viel des spaumlteren mittelal-terlichen christlichen Europas geht auf Konstantin zuruumlck und wie viel nicht heiszligt also das konstantinische Zeitalter zu Recht so oder nicht 3 Was ist gut und richtig ndash das heiszligt wie sollte es ide-alerweise biblisch-theologisch sein Und 4 Wie ist im Licht des Ideals Konstan-tin die spaumltere Entwicklung des Mittel-alters zu bewerten oder kann man eine solche Bewertung gar nicht vornehmen

Durch die starke Fixierung des Buches auf Yoder vor allem im hinteren Teil (S 254ndash342) und dem angekuumlndigten Wechsel von der Biografie zur Polemik im Laufe des Buches (S 10ndash11) wird das Buch leider auch sehr auf den ame-rikanischen Bereich zugeschnitten und ist gerade im hinteren Teil fuumlr Christen in Europa oder im globalen Suumlden nicht relevant

Drei Buumlcher von Girardet

Dem Buch von Leithart moumlchte ich drei Werke von Klaus M Girardet gegen-uumlberstellenA) Klaus M Girardet Der Kaiser und sein Gott Das Christentum im Denken und in der Religionspolitik Konstantins des Groszligen Millenium-Studien 27 Ber-lin de Gruyter 2010 212 Seiten ISBN 978-3110227888 7495 Euro

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 537 8 6 uuml

Neuere Buumlcher uumlber Konstantin den Groszligen

B) Klaus M Girardet (Hg) Kaiser Kon-stantin der Groszlige Historische Leistung und Rezeption in Europa Bonn Ru-dolf Habelt 2007 darin bes Klaus M Girardet bdquoDas Christentum in Denken und in der Politik Kaiser Konstantin d Grldquo S 29ndash54 208 Seiten ISBN 978-3774934740C) Klaus M Girardet Die konstantini-sche Wende Voraussetzungen und geistige Grundlagen der Religionspolitik Kons-tantins des Groszligen Darmstadt Wissen-schaftliche Buchgesellschaft 2006 2002 204 Seiten ISBN 978-3534191161 4990 Euro

Stellen wir dem Buch von Leithart die Buumlcher zu Konstantin des deutschen Forschers Klaus Girardet gegenuumlber Grund fuumlr die intensive Erforschung Konstantins auf deutscher Seite ist un-ter anderem dass Trier zeitweise dessen Hauptstadt war

Girardet unterscheidet drei For-schungsrichtungen (A S 22ndash24) 1 Auffassung dass Konstantin bereits von Haus aus Christ war oder sich 310 bis 312 oder uumlber einen noch laumlngeren Zeitraum dem Christentum zuwandte 2 Auffassungen dass sich Konstan-tin zwar dem Monotheismus undoder Sonnenkult mit gewissen christlichen Elementen zuwandte nicht aber Christ nach damaligen und heutigen Maszligstauml-ben wurde 3 Die Auffassung dass es weder fuumlr die erste noch fuumlr die zweite Auffassung Hinweise gibt

Girardet beantwortet in einem eigenen Beitrag die Frage bdquoChristliche Kaiser vor Konstantinldquo (C S 13ndash38) sehr uumlber-zeugend negativ anhand jedes einzelnen Kaisers und seiner Familien vor Kons-tantin

Girardet lehnt treffend moderne Maszligstaumlbe dafuumlr ab ob Konstantins Be-kehrung sbquoechtlsquo sbquoaufrichtiglsquo oder sbquorichtiglsquo war und Konstantin sbquorechtglaumlubiglsquo wur-de (C S 59) Er geht davon aus dass das herausragende Kennzeichen des Christ-seins und Christwerdens in der Antike und im 4 Jahrhundert die bdquoAbsage an den Goumltterkultldquo (C S 60) gewesen sei Also muumlsse vor allem gefragt werden ob Konstantin diese vollzogen habe bdquoDie Verweigerung des Goumltzenopfersldquo durch Konstantin sei gut belegt (C S 60ndash71 A S 78ndash88) ndash unter anderem direkt nach dem Sieg uumlber seine Mitkaiser da Kon-stantin am Ende des Triumphzuges (der streng genommen keiner war da keine Feinde sondern ein Mitkaiser besiegt wurde) in Rom am 2910312 fuumlr alle erkennbar nicht als Ende und Houmlhe-punkt das uumlbliche Dankopfer an Jupi-ter Optimus Maximus auf dem Kapitol darbrachte sondern direkt in seinen Pa-last zog

Dafuumlr findet Girardet viele Belege So sieht der heidnische Historiker Zosimos (II 72) in der Unterlassung des Dank-opfers an Jupiter den Grund fuumlr den Beginn des politischen Niedergangs von Rom (C S 70) Das Dankopfer an Ju-

piter fehlt auch auf dem 315 errichteten Konstantinbogen auf dem statt Jupiter der bdquoinstinctu divinitatisldquo der Einge-bung der Gottheit gedankt wird

Auffaumlllig ist ab 312 in Berichten oder eben auf dem Konstantinbogen das erstmals der Gott der den Sieg verur-sachte keinen Namen hat sondern all-gemein bdquosumma divitasldquo und aumlhnlich heiszligt (C S 68)

Kurz nach der Verweigerung des Dankopfers an Jupiter 312 erscheinen erste Muumlnzen mit dem Christogramm (B S 42) Alles spricht dafuumlr dass es bereits Christuszeichen auf dem Helm des Kaisers und den Feldzeichen gab (A S 64ndash67) wobei das Christuszeichen wohl nicht das heute vertraute Kreuz war sondern das Chi-Rho

Girardet geht ausfuumlhrlich auf die drei zentralen Texte zur Vision des Christus-zeichens an der Milvischen Bruumlcke ein (A S 30ndash40) Nirgends wird gesagt so Girardet dass die Vision erst an der Bruumlcke geschah (A S 49ndash51) Vielmehr duumlrfte Konstantin bereits 310 einen so-genannten bdquoRinghaloldquo in Grand in den (heute franzoumlsischen) Vogesen gesehen haben den dann sein militaumlrisches Be-gleitkommando auch sehen konnte Ein Halo ist ein atmosphaumlrischer Lichtef-fekt durch Brechung bzw Reflexion von Licht an Eiskristallen Er kann die Form einer inneren kleineren Sonne mit vier Strahlen in alle Richtungen wie ein Kreuz annehmen

Giradet liefert auszligerdem viele Belege aus Konstantins fruumlhen Reden ab 312 fuumlr seine Parteinahme fuumlr das Chris-tentum (A S 89ndash123) Die spaumlte Tau-fe Konstantins ist fuumlr ihn normal und damals uumlblich gewesen zumal Kon-stantin offensichtlich davon ausging dass er nach der Taufe nicht mehr das kaiserliche Purpur tragen koumlnne (A S 106ndash107)

Interessant ist auch Girardets Dar-stellung bdquoNichtchristen im Denken und Handeln Konstantinsldquo (C S 113ndash133 siehe auch A S 137ndash139) Konstantin hat das Christentum niemandem auf-gezwungen und lieszlig den Heiden ihre Freiheit Wie Leithart sieht er bei Kons-tantin das Element der Religionsfreiheit in einem Maszlige gegeben wie es dies bei den roumlmischen Kaisern vorher nicht gab

Aufsaumltze

Schauen wir noch auf einige der von Girardet herausgegebenen Aufsaumltze Ti-ziana J Chiusi (bdquoDer Einfluss des Chris-tentums auf die Gesetzgebung Konstan-tinsldquo S 55ndash64 in Klaus M Girardet [Hg] Kaiser Konstantin der Groszlige A a O) zeigt die Ambivalenz der Gesetz-gebung Konstantins Strengere Gesetze fuumlr die Flucht von Sklaven stehen ne-ben Gesetzen zur humanen Behandlung der Sklaven und der Beguumlnstigung ihrer Freilassung (B S 60) Deutlich christ-lich beeinflusst sind die Abschaffung

54 7 8 6 uuml

der Todesstrafe durch Kreuzigung das Verbot von Brandmalen im Gesicht das Verbot der Gladiatorenspiele (B S 61) oder die Einfuumlhrung des Sonntags als Ruhetag eine eindeutige Foumlrderung und Werbung fuumlr das Christentum (B S 63)

Wegweisend finde ich die drei grund-legenden Veraumlnderungen des Christen-tums die Konstantin bewirkt hat wie sie Karl-Heinz Ohlig (bdquoStrukturelle Aus-wirkungen der Konstantinischen Wende auf das Christentumldquo S 75ndash86 In Klaus M Girardet [Hg] Kaiser Kons-tantin der Groszlige A a O) benennt und erlaumlutert die Sakralisierung die Ver-rechtlichung und die Hellenisierung des Christentums

Die Sakralisierung des Christentums betraf vor allem die Rolle der Kirche ihre Aumlmter und die Sakramente da seit-dem die von sakralen Maumlnnern geleitete kultische Praxis im Mittelpunkt steht (B S 81) Die Verrechtlichung des Chris-tentums ist in der katholischen Kirche bis heute erhalten und grundlegend (B S 82) Die weitreichendsten Folgen hatte aber nach Ohlig die Hellenisierung des Christentums (B S 85) Auf alle diese Fragen etwa geht Leithart nicht ein

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher Werbung

Glaube braucht Wissen

Unser Konzept

Mit neuen Dienstleistungen und Zugangs-wegen zu biblischen und serioumlsen Inhalten verstehen wir uns als ein attraktives An-gebot fuumlr Menschen von heute die mehr uumlber Gott Ethik Naturwissenschaft fuumlrs alltaumlgliche Leben wissen wollen Denn Gottes Wort gehoumlrt in den Alltag Genau hier setzt GENiaLeBuecherde an

Unsere Ziele

Die gesellschaftliche Religiositaumlt hat in unserer Zeit neue individuelle Wege ge-funden Dafuumlr benoumltigen die Menschen all-tagstaugliche biblische verlaumlssliche Quel-len und Mittel GENiaLeBuecherde bietet Inhalte und Informationsquellen fuumlr das alltaumlgliche Leben von Einzelnen und Ge-meinschaften an Wir verbinden Internet und Gedrucktes

Unser Weg

GENiaLeBuecherde geht hierbei nicht nur den Weg des klassischen Handels son-dern unterstuumltzt bewusst christliche Ins-titutionen indem GENiaLeBuecherde fuumlr diese Partner neue Vertriebswege schafft bzw vorhandene ausweitet Diese Part-ner sind ua auch Institutionen (Werke Vereine) die von Zuwendungen (Spenden) getragen werden

Die Zeit ist reif fuumlr diese Kreativi-taumlt fuumlr diese neuen Zugangswege und Kommunikationsmittel

Viel Freude beim Stoumlbern auf unseren Seiten

wir praumlsentieren bull Buumlcher bull CDs amp DVDs bull Kalender amp Zeitplansysteme bull ein Antiquariat bull Sonderposten bull Message Shirts bull Tipps amp Downloads und vieles mehr

Wo und wie bekommt man einen leichtenZugang zu biblischem serioumlsem Wissen

glauben amp denken heute 22012 557 8 6 uuml

Novum Testamentum Graece x 28

Carsten Friedrich

Barbara Aland u a (Hrsg) Novum Tes-tamentum Graece 28 revidierte Aufla-ge Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 2012 1008 Seiten bzw 1219 Seiten (mit Woumlrterbuch) ISBN 978-3438051400 bzw 978-3438051592 28 bzw 35 Euro

Ein langes Warten fand im September ein Ende Die 28 Auflage des Nestle-Aland ist erschienen Das Novum Tes-tamentum Graece ist als wissenschaft-liche Ausgabe des Neuen Testaments in seiner griechischen Ursprache ein Standardwerk (neben dem UBS Greek New Testament) Es dient weltweit als Grundlage fuumlr Uumlbersetzungen und wis-senschaftliches Arbeiten Nach seinen fruumlheren Herausgebern Eberhart Nestle und Kurt Aland wird es bis heute oft-mals einfach bdquoNestle-Alandldquo genannt (abgekuumlrzt NA)

Revidierter Text in den Katholischen Briefen

Die bisherige 27 Auflage (NA27) war 1993 erschienen Ihr lag der unveraumln-derte Text der 26 Auflage von 1979 zugrunde Damals wurde nur der Ap-parat einer weitgehenden Revision un-terzogen Damit liegt nun mit der 28 Auflage (NA28) nach 33 Jahren erst-mals eine Ausgabe mit Textaumlnderungen vor Wer nun meint nach 33 Jahren ei-nen komplett revidierten Text des Neu-en Testaments erwarten zu duumlrfen der irrt Die Revision des Textes betrifft nur die bdquoKatholischen Briefeldquo also den Brief des Jakobus die beiden Petrus-Briefe die drei Briefe des Johannes und den Judas-Brief Fuumlr diesen Teil des Neuen Testaments liegt naumlmlich mittlerweile

die Editio Critica Maior (ECM) vor die bisher umfangreichste auf Vollstaumlndig-keit abzielende Aufarbeitung der textli-chen Bezeugung des NT1 Die Entschei-dungen der ECM (in der 2 Auflage) wurden fuumlr NA28 uumlbernommen womit sich der Text gegenuumlber NA27 an insge-samt 34 Stellen aumlndert Eine komplette Auflistung dieser Stellen findet sich in der Einfuumlhrung zu NA28 auf Seite 6 Drei dieser Aumlnderungen seien hier als Beispiele aufgefuumlhrt

1Petr 416

NA27 εἰ δὲ ὡς Χριστιανός μὴ αἰσχυνέσθω δοξαζέτω δὲ τὸν θεὸν ἐν τῷ ὀνόματι τούτῳ

Wenn aber jemand als Christ [leidet V15] so schaumlme er sich nicht son-

dern mache Gott durch diesen Namen [bdquoChristldquo] Ehre

NA28 ECM2 εἰ δὲ ὡς Χριστιανός μὴ αἰσχυνέσθω δοξαζέτω δὲ τὸν θεὸν ἐν τῷ μέρει τούτῳWenn aber jemand als Christ [leidet V15] so schaumlme er sich nicht sondern mache Gott in dieser Angelegenheit Ehre

2Petr 218

NA27 uperogka gar mataiothtoj fqeggomenoi deleazousin en epiqummiaij sarkoj aselgeiaij touj ovligwj avpofeugontaj touj evn planh| avnastrefomenouj

Denn indem sie hochfahrende Reden fuumlhren hinter denen nichts ist locken

56 7 8 6 uuml

sie im Taumel fleischlicher Begierden durch Ausschweifungen solche an sich die sich eben erst von den im Irrwahn Wandelnden abgekehrt hatten (Menge)

NA28 ECM ὑπέρογκα γὰρ μα-ταιότητος φθεγγόμενοι δελεάζουσιν ἐν ἐπιθυμίαις σαρκὸς ἀσελγείαις τοὺς ὄντως ἀποφεύγοντας τοὺς ἐν πλάνῃ ἀναστρεφομένους Denn indem sie hochfahrende Reden fuumlhren hinter denen nichts ist locken sie im Taumel fleischlicher Begierden durch Ausschweifungen solche an sich die sich wirklich von den im Irrwahn Wandelnden abgekehrt hatten (nach Menge abgewandelt)

Judas 5

NA27 Ὑπομνῆσαι δὲ ὑμᾶς βούλομαι εἰδότας [ὑμᾶς] πάντα ὅτι [ὁ] κύριος ἅπαξ λαὸν ἐκ γῆς Αἰγύπτου σώσας τὸ δεύτερον τοὺς μὴ πιστεύσαντας ἀπώλεσενIch will euch aber erinnern obwohl ihr dies alles schon wisst dass der Herr nachdem er dem Volk das eine Mal aus Aumlgypten geholfen hatte das andere Mal die umbrachte die nicht glaubten (Lu-ther 84)

NA28 ECM Ὑπομνῆσαι δὲ ὑμᾶς βούλομαι εἰδότας ὑμᾶς ἅπαξ πάντα ὅτι Ἰησοῦς λαὸν ἐκ γῆς Αἰγύπτου σώσας τὸ δεύτερον τοὺς μὴ πιστεύσαντας ἀπώλεσεν

Ich will euch aber erinnern obwohl ihr alles ein fuumlr allemal wisst dass Jesus nachdem er dem Volk das aus Aumlgypten geholfen hatte das andere Mal die um-brachte die nicht glaubten (nach Lu-ther 84 abgewandelt)

In den Katholischen Briefen wurde je-doch nicht nur der Text der ECM uumlber-nommen Auch der Apparat wurde auf der Basis der ECM grundlegend neu konstruiert So entfaumlllt bei den Katho-lischen Briefen beispielsweise das Sigel

fuumlr den Mehrheitstext zugunsten des Sigels bdquoByzldquo (Byzantischer Text)

Eine Uumlbergangsloumlsung

Dass sich die textlichen Aumlnderungen nur auf die Katholischen Briefe erstre-cken macht deutlich dass es sich bei NA28 um eine Uumlbergangsloumlsung han-delt Denn bdquoauf lange Sichtldquo soll das gesamte NT in dieser Weise uumlberarbei-tet werden so die Herausgeber die ihr Vorgehen als bdquozweigleisige Revisionldquo be-schreiben3 Aber schon die Herausgabe dieser Uumlbergangsloumlsung als 28 Auflage macht deutlich dass bis zum eigentli-chen Ziel noch viele Jahre vergehen wer-den und bis dahin eben diese Variante (bzw weitere Auflagen mit jeweils er-weiterten Textrevisionen) der Standard sein wird den keiner umgehen kann der sich mit dem griechischen Urtext des NT beschaumlftigen will

Revision des gesamten Apparats

Allerdings gibt es auch Neuerungen die sich nicht nur auf die Katholischen Brie-fe beschraumlnken sondern den gesamten NA28 betreffen So liegt der gesamten Ausgabe eine Revision des kritischen Apparats zugrunde die diesen uumlber-sichtlicher und einfacher nutzbar ma-chen soll Die wichtigsten Aumlnderungen diesbezuumlglich sind folgendebullthinspthinspErstmalsthinsp wurdenthinsp diethinsp Lesartenthinsp derthinsp

neu entdeckten Papyri 117ndash127 verzeichnet

bullthinspthinspDiethinsp Unterscheidungthinsp vonthinsp staumlndigenthinspZeugen erster und zweiter Ordnung wurde aufgegeben um bisher da-mit verbundene Unklarheiten zu beseitigen

bullthinspthinspImthinspApparatthinspwerdenthinspzudemthinspkeinethinspKon-jekturen (verbessernde Eingriffe in den Text) mehr zitiert Diese werden in Zukunft mit Quelle in einem ge-sonderten Verzeichnis fuumlr den Nestle Aland digital (siehe Abschnitt unten) zur Verfuumlgung gestellt

bullthinspthinspVariantenthinsp imthinsp textkritischenthinsp Apparatthinspwerden so weit moumlglich ausgeschrie-ben und ohne Einbettung von Subva-rianten dargestellt

bullthinspthinspWeilthinspbisherthinspoftthinspmissverstandenthinspwurdethinspauch auf die Abkuumlrzungen pc (pauci) und al (alii) verzichtet

bullthinspthinspDiethinsp Verknupfungthinsp vonthinsp Apparatnotie-rungen mit et und sed wurde aufge-loumlst Die Bezeugungen werden jetzt getrennt notiert

bullthinspthinspLateinischethinsp Abkurzungenthinsp undthinsp Zwi-schentexte wurden reduziert und im Abkuumlrzungsverzeichnis uumlbersetzt

bullthinspthinspDiethinsp Editionumthinsp differentiaethinsp (Appen-dix III in NA27) die einen Uumlber-blick uumlber die Textentscheidungen der wichtigsten neuzeitlichen Ausgaben des griechischen NT im Vergleich zu NA27 bot entfaumlllt bei NA28 weil eine Uumlberarbeitung unverhaumlltnismauml-szligig aufwendig gewesen waumlre

bullthinspthinspDiethinspVerweisstellenthinspamthinspaumluszligerenthinspRandthinspwurden auf ihre Aussagekraft hin uumlberpruumlft

Die hier aufgelisteten Aumlnderungen ma-chen deutlich dass es den Herausgebern mit ihrer Zielstellung durchaus ernst ist den NA28 benutzerfreundlicher zu machen Angaben die bisher in ihrer Art und Weise irritierend und unnouml-tig kompliziert waren wurden fuumlr den NA28 deutlich verbessert Dass natuumlr-lich auch der NA28 noch ein sehr kom-plexes Werk ist das den Benutzern eine intensive Beschaumlftigung abverlangt ist selbstverstaumlndlich4 Dies ist sowohl der Materie an sich als auch der Zielstel-lung der Autoren geschuldet bdquodie in der Ausgabe vorliegende Rekonstrukti-on des griechischen Ausgangstextes kri-tisch nachvollziehbar und uumlberpruumlfbar zu machenldquo5

Carsten Friedrich

glauben amp denken heute 22012 577 8 6 uuml

Nestle Aland digital

Viele Benutzer wird es erfreuen dass es den NA28 auch in digitaler Form ge-ben wird ndash und zwar samt Apparat Die Herausgeber verfolgen mit dem Nestle Aland digital hauptsaumlchlich zwei Ziel-stellungen6 zum einen im Hinblick auf die Aktualitaumlt der gebotenen Informati-onen Korrekturen und neue Notierun-gen sollen via Internet innerhalb kurzer Zeit zur Verfuumlgung gestellt werden zum anderen im Hinblick auf die Klarheit der Praumlsentation und die Verknuumlpfung mit weiteren Dokumenten und Daten So sollen beispielsweise Abkuumlrzungen und Sigel in eingeblendeten Fenstern erklaumlrt werden Daruumlber hinaus soll es eine Verknuumlpfung mit den vollstaumlndi-gen Transkripten und Fotos der ein-bezogenen Handschriften geben Wie oben schon erwaumlhnt soll auszligerdem ein Verzeichnis aller Konjekturen samt deren Quellen in der digitalen Variante enthalten sein

Das Erscheinen des Nestle Aland di-gital ist fuumlr 2013 angekuumlndigt Es soll ihn dann fuumlr PC Mac und Smartphone fuumlr ca 30 Euro geben Bis dahin darf man gespannt warten inwieweit sich die wirklich vielversprechenden Ankuumln-digungen der Herausgeber erfuumlllen

Novum Testamentum Graece x 28 Werbung

Struktur

14 selbstaumlndige Studienzentren in 6 Laumln-dern mit einheimischen Traumlgervereinen

5 uumlbergreifende Institute

Rektor Prof Dr Thomas Schirrmacher

Dekane Thomas Kinker ThD (USA) Titus Vogt lic theol

Mission durch Forschung

Internationales Institut fuumlr Religionsfreiheit (Partner Weltweite Ev Allianz)

Studienprogramm mit Schwerpunkt Islam zusammen mit dem Institut fuumlr Islamfragen

Institut fuumlr Lebens- und Familienwissenschaft

Institut fuumlr Notfallseelsorge Sterbebegleitung und Trauerseelsorge

Institut fuumlr Seelsorgeausbildung

Martin Bucer Seminar

infobucerdewwwbucerde

hellip damit die Heiligen zugeruumlstet werden zum Werk des Dienstes

Epheser 412

1 bdquoDie Editio Critica Maior dokumentiert die griechi-sche Textgeschichte des ersten Jahrtausends anhand der uumlberlieferungsgeschichtlich wichtigen griechi-schen Handschriften alten Uumlbersetzungen und neu-testamentlichen Zitate in der antiken christlichen Li-teratur Auf der Basis genealogischer Untersuchungen des erstmals mit dieser Vollstaumlndigkeit aufbereiteten Materials wird der Text neu rekonstruiert Die Aus-wahl der Handschriften beruht auf einer Auswertung der gesamten Primaumlruumlberlieferungldquo URL httpwwwuni-muensterdeNTTextforschungProjektehtml [Stand 23102012] Ausfuumlhrlichere Informati-onen zur ECM finden sich unter URL httpwwwuni-muensterdeNTTextforschungECMhtml2 Griechischer Bibeltext aus Barbara Aland u a (Hrsg) Novum Testamentum Graece 28 revidierte Auflage Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 20123 bdquohellip so muss fuumlr die uumlbrigen neutestamentlichen Schriften mit der Neukonstitution des Textes so lan-ge gewartet werden bis mit dem Fortschreiten der Ar-beit an der ECM die dafuumlr noumltigen Materialien und Erkenntnisse vorliegen Die sich daraus ergebende relative Uneinheitlichkeit der 28 Auflage ist unver-meidlich will man die neuen Erkenntnisse aus der Arbeit an der ECM in die Handausgaben einflieszligen lassen obwohl solche nur fuumlr einen Teilbereich des Neuen Testaments vorliegenldquo Holger Strutwolf im Vorwort zum NA284 Die Deutsche Bibelgesellschaft gibt deshalb eine gesonderte Einfuumlhrung zum NA28 heraus David Trobisch Die 28 Auflage des Nestle-Aland Eine Einfuumlhrung Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 2013 Leider ist es nicht gelungen diese Einfuumlhrung zeitgleich mit dem NA28 auf den Markt zu bringen Aus dem urspruumlnglich angekuumlndigten Veroumlffentli-chungstermin November 2012 ist mittlerweile Fruumlh-jahr 2013 geworden Weitere Informationen zu dieser Einfuumlhrung finden sich unter URL httpwwwbibelonlinedeproductsWissenschaftliche-Bibelaus-gabenUrtexte-Neues-TestamentDie-28-Auflage-des-Nestle-Aland-eine-Einfuehrunghtml 5 NA28 A a O S 2 6 NA28 A a O S 3f

Anmerkungen

Gemeinde- und berufsbegleitend

Studenten bleiben in ihren Gemeinden

Anleitung zum eigenstaumlndigen Denken

Vom Wachstum der weltweiten Gemeinde Jesu lernen

Lehre und Forschung Lernen und selbst entwickeln

Das heiszligt das Alte und Bewaumlhrte kennen lernen und voumlllig Neues erforschen

Fundierte Ausbildung fuumlr das Reich Gottes

Studenten werden an Forschung beteiligt die christ-liche Ethik in das Herz der Gesellschaft traumlgt z B durch unsere erfolgreichen Institute

Internationales Institut fuumlr Religionsfreiheit (Partner Weltweite Ev Allianz)

Institut fuumlr Islamfragen (Partner Deutschsprachige Evang Allianzen)

Eigenes Studienprogramm mit Schwerpunkt Islam

Eigenes Studienprogramm mit Schwerpunkt Seelsorge

Institut fuumlr Lebens- und Familienwissenschaft

Institut fuumlr christliche Weltanschauung (Apologetik)

Mission durch Forschung

Abwanderung von Mitarbeitern verhindern

Wir gruumlnden Studienzentren gern in Regionen mit wenig ausgepraumlgter christlicher Infra-struktur wo wir die Abwanderung wichtiger Mitarbeiter im Reich Gottes in sowieso gut versorgte Regionen verhindern wollen z B Studienzentren in Chemnitz und Berlin fuumlr die neuen Bundeslaumlnder (keine Abwanderung nach Westen)

Studienzentrum Innsbruck und Linz zusammen mit dem Evangelikalen Bildungswerk in Oumlster-reich (keine Abwanderung nach Deutschland)

Studienzentrum Istanbul (keine Abwanderung in die USA)

weitere Infolsquos unter wwwbucereu

  1. Schaltflaumlche1
  2. Schaltflaumlche2
  3. Schaltflaumlche3
  4. Schaltflaumlche4
  5. Schaltflaumlche5
  6. Schaltflaumlche6
  7. Schaltflaumlche7
  8. Schaltflaumlche8
  9. Schaltflaumlche9
  10. Schaltflaumlche10
  11. Schaltflaumlche11
  12. Schaltflaumlche12
  13. Schaltflaumlche13
  14. Schaltflaumlche14
  15. Schaltflaumlche15
  16. Schaltflaumlche16
  17. Schaltflaumlche17
  18. Schaltflaumlche18
  19. Schaltflaumlche19
  20. Schaltflaumlche20
  21. Schaltflaumlche21
  22. Schaltflaumlche22
  23. Schaltflaumlche23
  24. Schaltflaumlche24
  25. Schaltflaumlche25
  26. Schaltflaumlche26
  27. Schaltflaumlche27
  28. Schaltflaumlche28
  29. Schaltflaumlche29
  30. Schaltflaumlche30
  31. Schaltflaumlche31
  32. Schaltflaumlche32
  33. Schaltflaumlche33
  34. Schaltflaumlche34
  35. Schaltflaumlche35
  36. Schaltflaumlche36
  37. Schaltflaumlche38
  38. Schaltflaumlche39
  39. Schaltflaumlche40
  40. Schaltflaumlche41
  41. Schaltflaumlche42
  42. Schaltflaumlche43
  43. Schaltflaumlche44
  44. Schaltflaumlche45
  45. Schaltflaumlche46
  46. Schaltflaumlche47
  47. Schaltflaumlche48
  48. Schaltflaumlche49
  49. Schaltflaumlche50
  50. Schaltflaumlche51
  51. Schaltflaumlche52
  52. Schaltflaumlche53
  53. Schaltflaumlche54
  54. Schaltflaumlche55
  55. Schaltflaumlche56
  56. Schaltflaumlche57
  57. Schaltflaumlche58
  58. Schaltflaumlche59
  59. Schaltflaumlche60
  60. Schaltflaumlche61
  61. Schaltflaumlche62
  62. Schaltflaumlche63
  63. Schaltflaumlche64
  64. Schaltflaumlche65
  65. Schaltflaumlche66
  66. Schaltflaumlche67
  67. Schaltflaumlche68
  68. Schaltflaumlche69
  69. Schaltflaumlche70
  70. Schaltflaumlche71
  71. Schaltflaumlche72
  72. Schaltflaumlche73
  73. Schaltflaumlche74
  74. Schaltflaumlche75
  75. Schaltflaumlche76
  76. Schaltflaumlche77
  77. Schaltflaumlche78
  78. Schaltflaumlche79
  79. Schaltflaumlche80
  80. Schaltflaumlche81
  81. Schaltflaumlche82
  82. Schaltflaumlche83
  83. Schaltflaumlche84
  84. Schaltflaumlche37
Page 3: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen

glauben amp denken heute 22012 3

editorial

hellip sodass ihr nicht tut was ihr wollt

7 8 6 uuml

Liebe Freunde

der Bruch der ersten Menschen mit Gott war ein Vertrauensbruch Der Mensch dachte er koumlnne denkerisch die Wirklichkeit uumlberblicken und uumlber-sah die Grenzen seiner Erkenntnis Statt der liebevollen und bewahrenden Weisung Gottes zu gehorchen nahm der Mensch das Zepter selbst in die Hand und folgte einem verfuumlhrerischen Angebot Seither steht der Mensch in diesem Zwiespalt Kannte er bis dahin nur das Gute das Gott ihm unmit-telbar zugedachte ist er nun um die Erkenntnis des Boumlsen reicher und dem Tod verfallen

Dass das nicht wirklich ein Gewinn ist wie der Verfuumlhrer angepriesen hat-te liegt auf der Hand Bei genauer Betrachtung wird deutlich dass die scheinbar freie Entscheidung des Men-schen weder voumlllig frei war noch Frei-heit brachte Auf der einen Seite stand die goumlttliche Weisung auf der anderen

Seite kam die daumlmonische Versuchung die sich nicht als gleichwertige Alterna-tive darstellt sondern sich als besseres Angebot einschleicht den Menschen sinnlich lockt und ihn letztlich ver-fuumlhrt

Wie ein Nebel legen die Aussagen der Schlange sich nach und nach um das Denken des Menschen bis dieser schlieszliglich den klaren Blick fuumlr das goumlttliche Wort verliert Das geistliche Wort Gottes dass der an sich sehr gu-ten Schoumlpfung ihren Weg weist wird verdreht und verdunkelt Der Blick auf Gott wird versperrt Der Mensch bleibt bei sich selbst dem unterworfen was er sich eigentlich haumltte unterwerfen sol-len Freiheit Weit gefehlt Unweiger-lich draumlngt sich Luthers Aussage auf dass der Mensch entweder von Gott oder vom Teufel geritten wird bdquoDenn das Fleisch widerstrebt mit seinem Begehren dem Geist und ebenso der

Geist dem Fleisch denn diese beiden liegen im Streit miteinander (und dul-den nicht) dass ihr das tut was ihr tun moumlchtetldquo (Gal 517 MENGE) Freiheit verstanden als bdquodas tun was ich willldquo ist letztlich eine Illusion Offensichtlich sind nicht einmal die Gedanken frei ndash denn sie koumlnnen erraten werden Nicht ich kann mir Freiheit schaffen ndash weder durch mein Denken noch durch krea-tive und kuumlnstlerische Aktivitaumlt noch durch handfeste Taten Die Unfreiheit des Menschen hatte mit einem verfuumlh-rerischen Gedanken begonnen und en-dete in einer zerstoumlrerischen Tat die die gesamte Menschheit in einen undurch-sichtigen todbringenden Nebel versetzt hat der den Blick auf Gott versperrt

bdquoDer Geist des Herrn ruht auf mir denn der Herr hat mich gesalbt Er hat mich gesandt mit dem Auftrag den Armen gute Botschaft zu bringen den Gefangenen zu verkuumlnden dass sie frei

sein sollen und den Blinden dass sie sehen werden den Unterdruumlckten die Freiheit zu bringenldquo (Lk 418 NGUuml) Freiheit finden wir nur im Vertrauen auf die Wahrheit und das Handeln Gottes in Jesus Christus Wo wir sei-nem Wort glauben lichtet sich der Ne-bel und klaumlrt sich der Blick auf den hei-ligen ewigen Gott Der Glaube an die goumlttliche Wahrheit macht frei indem er unser Denken und Tun fuumlr Gott oumlff-net und sie zugleich in ihre Schranken verweist

Dem der noch im Nebel wandert bleibt dieser Glaube widersinnig und toumlricht wo aber allmaumlhlich die Son-nenstrahlen der goumlttlichen Wahrheit durchbrechen (Apg 2613 Offb 116 225) beginnt der Aufbruch in ein be-freites Leben vor Gott bdquoDein Wort ist meines Fuszliges Leuchte und ein Licht auf meinem Wegldquo (Ps 119105 LUTHER)

Johannes Otto

4 7 8 6 uuml

Ich finde es immer wieder neu verwun-derlich dass seit Jahren und Jahrzehn-ten zunehmend in christlichen Kirchen von den Geistesgaben die Rede ist dies aber das Pastorenamt oder die Ausbil-dung dazu kaum erreicht hat Dabei betreffen die im Neuen Testament ge-nannten Geistesgaben ganz wesentlich auch die Lehr- und Leitungsaufgaben Waumlhrend man fuumlr alle Gemeindemit-arbeiter darauf achtet dass sie ihren Gaben entsprechend eingesetzt wer-den ihre Gaben finden und entwi-ckeln thront der Pastor wie vor 400 Jahren vermeintlich universal begabt uumlber allem und praumlgt seine Gemein-de einseitig seiner Gabe entsprechend ndash viele vorbildliche Ausnahme bestauml-tigen trotzdem eine gar weltweite Re-gel Waumlhlen wir nur ein Beispiel die

Predigten Muumlssten die Predigenden nicht abwechseln da jeder Predigen-de mit seinen Gaben seine Gemeinde zu einseitig praumlgt wenn immer nur er predigt1 Wie bekommt eine Gemeinde auch einmal Lehrpredigten wenn der Pastor ein ausgesprochener Evangelist ist und umgekehrt

Wie bekommt eine Gemeinde glo-balen Welt- und Weitblick wenn der Pastor eher seelsorgerlich die Proble-me beim Einzelnen und vor Ort sieht wie werden diese Probleme ernst ge-nommen wenn der Pastor vor allem Weitblick hat Die wenigsten koumlnnen einen Fischteich und das groszlige Meer gleichzeitig kennen lieben und pfle-gen Nun mag der auszligergewoumlhnliche Pastor sogar zwei oder drei Gaben ab-decken koumlnnen aber alle Der Pastor

der gleichermaszligen in seinen Predigten Apostel Prophet Evangelist Hirte und Lehrer ist der Einzelseelsorge und gesellschaftlichen Weitblick Diakonie und Weltmission gleichmaumlszligig im Blick hat ndash den gibt es einfach nicht

Zum Gluumlck wird es in den Gemein-den immer normaler Vollzeitlichkeit (das heiszligt vor allem Bezahlung) nicht nur fuumlr den Pastor zu sehen sondern fuumlr jeden Mitarbeiter einer Gemeinde dessen Ausbildung Erfahrung Faumlhig-keiten und Gaben nicht nur nebenbei gebraucht werden sondern zeitlich in groszligem Umfang

Das Problem liegt natuumlrlich nicht nur bei den Pastoren Viele Gemeinden begehen immer noch den Fehler zu meinen sie wuumlrden ihren Pastor vor al-lem fuumlrs Predigen bezahlen statt etwa

fuumlr die Mitarbeiterfoumlrderung und wer-fen ihrem Pastor Faulheit vor wenn er nicht immer predigt (bdquoWofuumlr bezahlen wir Sie eigentlich wenn Sie sonntags wie alle nur in den Reihen sitzenldquo) Aber wenn die Gemeinde unbedingt nur ihre eigenen bezahlten Pastoren houmlren will dann muss sie eben zwei oder drei gabenmaumlszligig unterschiedlich ausgerichtete Pastoren anstellen

In meinen 21 Thesen zur alternativen theologischen Ausbildung schrieb ich

bdquo8 These Die Gaben des Schuumllers soll-ten ndash zumindest teilweise ndash starke Be-ruumlcksichtigung finden Es geht darum moumlglichst gut und intensiv zu lernen nicht darum bestimmten instituti-onellen Vorga ben zu genuumlgen Gilt etwa 1Petr 410 (bdquoSo wie jeder eine Gnadengabe empfangen hat so dient

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 57 8 6 uuml

da mit einan der als gute Ver walter der verschie denartigen Gnade Gottesldquo) fuumlr eine theologische Ausbildung nicht Wenn wir Menschen dafuumlr vorberei-ten wollen ihr Leben lang ihre Ga-ben sinnvoll und nutzbringend fuumlr das Reich Gottes einzuset zen muumlssen diese Gaben doch schon in der Ausbil-dung eine zentrale Rolle spielen Dabei bedingen auch die unterschiedlichen Geistesgaben recht unterschiedliche Lerntypen und insbesondere Interessen Deswegen sollte ein Studienprogramm neben dem fuumlr alle wichtigen gemein-samen Basiswissen die Moumlglichkeit bieten sich inhaltlich entsprechend der Gaben zu sbquospezialisierenlsquo Die Spezialisierungs moumlglichkeiten anhand der klassischen theologischen Faumlcher entsprechen zu wenig bestimmten Ga-ben und bieten nur teilweise die not-wendigen Entfaltungsmoumlglich keitenldquo

Und besteht nicht auch in der Gemein-deleitung die Gefahr dass die Gaben des Pastors (oder des Einflussreichsten) die Gemeinde entgegen dem Willen der neutestamentlichen Apostel einsei-tig praumlgen

Die Gemeindeleitung mit einem breiten Spektrum an Erfahrung Ga-ben Begabung und Faumlhigkeiten ist ndash unter Jesus als dem Haupt der Gemein-de und dem Heiligen Geist ndash sbquohoumlchste Instanzlsquo der Gemeinde nicht eine einzelne Gabe und nicht ein einzelner Gabentraumlger

Thesen zu den Geistesgaben2

Einheit und Vielfalt in Roumlm 121ndash8

Es ist bezeichnend dass Paulus unter dem bdquoWillen Gottesldquo (Roumlm 122) nicht nur die Gebote ver steht die fuumlr alle Men schen und Christen gleicherma-szligen ver bindlich sind (vgl z B Roumlm 138ndash10) son dern im ermahnenden Teil des Roumlmerbriefes (Roumlm 12ndash15) nach den allgemei nen Versen (Roumlm 121ndash2) als Erstes auf einen Bereich zu sprechen kommt in dem sich Chri sten nach dem Gebot und Wil len Gottes voneinander unterscheiden Die Bibel offenbart uns nicht nur wo Gott Ein-heit schafft und for dert sondern auch wo Gott Vielfalt schafft und fordert

So wie der dreieinige Gott selbst Einheit und Viel falt in einem ist so soll auch die Gemeinde Jesu einer-seits durch Einheit in Lehre Glauben Motivation und Hingabe andererseits durch die Vielfalt an Persoumln lichkeiten Gaben und Diensten gekennzeichnet sein

Schon bei der Schoumlpfung schuf Gott die Welt in Einheit und Vielfalt in Grenzen und in Freiheit Fuumlr Adam und Eva galt die Freiheit von jedem Baum des Gartens essen zu duumlrfen und zugleich die Grenze von einem be-stimmten Baum nicht essen zu duumlrfen

Nur die Schlange machte daraus dass die Menschen von gar keinem Baum essen duumlrften (1Mose 31+216ndash17)

Wir muumlssen in unseren Gemeinden dringend unterscheiden lernen wo Gott durch eindeutige Gebote von al-len Gemeindegliedern das gleiche er-wartet und wo Gott Frei heit gibt ja Vielfalt fordert und ihm jede Gleich-macherei zuwider ist

Gott fordert zum Beispiel nicht jeden auf so viel zu evangelisieren wie dies jemand mit der Gabe des Evangelis-ten tut oder soviel zu geben wie dies jemand mit der Gabe des Gebens tut Niemand muss acht Stun den am Tag beten obwohl Gott schon manchen mit der Gabe des Glaubens gebraucht hat der dies getan hat und dazu die nouml-tige Zeit erhielt (z B im Gefaumlngnis) Wie viel unnoumltiges schlechtes Gewis-sen wurde schon da durch erzeugt dass man eine Gabe oder einen bestimmten Dienst zum Maszligstab fuumlr alle Gemein-deglieder erhoben hat

Die Geistesgaben in Roumlm 123ndash8

bdquoDenn ich sage durch die Gnade die mir gegeben wurde jedem der unter euch ist nicht mehr von sich zu den-ken als es sich zu denken gebuumlhrt son-dern darauf bedacht zu sein dass er besonnen ist wie Gott einem jeden das Maszlig des Glaubens zugeteilt hat Denn wie wir in einem Leib viele Glieder ha-

ben aber die Glieder nicht alle dieselbe Taumltigkeit haben so sind wir vielen ein Leib in Christus einzeln aber Glieder voneinander und haben verschiedene Gnadenga ben nach der uns verliehe-nen Gnade sei es Weissagung so nach dem Maszligstab des Glaubens sei es Dienst so im Dienen sei es der Lehrer so in der Lehre sei es der Ermahnende so in der Ermah nung der Mitteilende in Einfalt der Vorstehende mit Fleiszlig der Barmherzigkeit Uumlbende mit Freu-digkeitldquo (Roumlm 123ndash8)Zum bdquoWillen Gottesldquo (Roumlm 122)

gehoumlrt es also dass der Christ die Ga-ben einsetzt die Gott ihm gegeben hat und demuumltig akzeptiert dass Gott die Gaben zuteilt und nicht der Mensch Die Unzufriedenheit damit dass Gott durch das Zuteilen der Gaben auch daruumlber bestimmt wo sich der einzel-ne Christ einsetzen soll kann sich auf zweierlei Weise aumluszligern 1 in der Uumlber-heblichkeit mehr zu koumlnnen und 2 in der scheinbaren Demut nichts oder kaum etwas zu koumlnnen

Deswegen ermahnt Paulus bdquonicht houmlher von sich zu denken als sich zu denken gebuumlhrtldquo (Roumlm 123) Die Ant-wort auf Selbstuumlberschaumltzung ist nicht die Selbstunterschaumltzung (Minderwer-tigkeitsgefuumlhl) sondern so zu denken bdquowie es sich zu denken gebuumlhrtldquo also bdquodarauf bedacht zu sein dass er be-sonnen ist wie Gott einem jeden das Maszlig des Glaubens zugeteilt hatldquo (Roumlm

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden

6 7 8 6 uuml

123) Wer denkt sbquoIch kann alleslsquo ist ebenso un geistlich wie der der denkt sbquoIch kann nichtslsquo Stolz und Minderwer-tigkeitskomplexe sind nur zwei Seiten einer Muumlnze Uumlber die falsche Demut kann Gott naumlmlich ndash wie das Beispiel des Mose zeigt der meinte nicht reden zu koumlnnen (2Mose 410ndash14) ndash ebenfalls zornig werden Richtig denkt nur wer sich gemaumlszlig seiner Ga ben einschaumltzt also weiszlig dass er das kann wozu ihn Gott besonders be faumlhigt hat Uumlbrigens gilt das nicht nur fuumlr die Geistesgaben sondern immer ndash etwa auch im Beruf Nur wer seine Grenzen kennt kennt auch seine Faumlhigkeiten wirklich und nur wer seine Fauml higkeiten kennt weiszlig auch was er nicht kann Ein Leiter oder Vorgesetzter der seine Staumlrken und Schwaumlchen nicht kennt undoder nicht offen dazu steht ist ein schlech-ter und unangenehmer Leiter Denn er wird seinen Mitarbeitern keinen Raum geben wo er eigentlich auf ihre Staumlrken angewiesen ist

Paulus bezeichnet in Roumlm 123 wie in Eph 47+16 die Gnadengaben mit dem Begriff bdquoMaszligldquo (= bdquoZugemesse-nesldquo) naumlmlich das bdquoMaszlig des Glau-bensldquo (Roumlm 123) bzw in Eph 47 das bdquoMaszlig der Gabe des Chri stusldquo Ist dem-nach einer sbquoglaumlubigerlsquo als der andere

Nein denn wir muumlssen zwischen der grundsaumltzlichen fuumlr alle Chri sten glei-chen Gabe des Glaubens die eben falls sbquoGnadengabelsquo (griech sbquocharismalsquo) hei-szligen kann und der persoumlnlichen Zutei-

lung von Ga ben und Diensten an den einzelnen Christen unterscheiden Die Uumlbersicht uumlber alle Vorkommen des Wortes sbquoCharismalsquo sbquoGnaden ga belsquo im Neuen Testament macht das deutlich

Alle Belege fuumlr bdquoGnadengabeldquo (griech sbquocharismalsquo) im Neuen Testa ment

A bdquoGnadengabeldquo als Kennzeichshynung von Din gen die alle Christen gemein sam haben 1 bdquoGnadengabeldquo = Verheiszligung GottesRoumlm 1129 (Uumlber Israel) bdquoDenn die Gnadengaben und die Beru fung Got-tes sind unbereubarldquo

2 bdquoGnadengabeldquo = das Heil oder das ewige Le benRoumlm 623 bdquoDenn der Lohn der Suumln-de ist der Tod die Gna dengabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus unse rem HerrnldquoRoumlm 515+16 Die bdquoGnadengabeldquo steht im Gegensatz zur bdquoUumlber tre tungldquo

B bdquoGnadengabeldquo als Kennzeichshynung von Din gen die Chri sten vonshyeinander un terscheiden1 bdquoGnadengabeldquo im Sinne von sbquoGeis-tesgabelsquo in den in dieser Lek tion be-sprochenen Texten uumlber die Geistesga-ben Roumlm 126 1Kor 124+9+28+30+31 1Petr 410 sowie in folgenden weiteren TextenRoumlm 111(ndash12) bdquoDenn mich verlangt sehr euch zu sehen damit ich euch

etwas geistliche Gnadengabe mitteile um euch zu befe stigen das heiszligt aber um bei euch miter mahnt [oder mit-getroumlstet] zu werden ein jeder durch den Glauben der in dem anderen ist sowohl euren als auch meinenldquo2Kor 111 bdquohellip wobei auch ihr durch das Gebet fuumlr uns mitwirkt damit von vielen Personen fuumlr die uns ver liehene Gnadengabe gedankt werde hellipldquo 1Kor 17 bdquoDaher habt ihr an keiner Gna-dengabe Mangel hellipldquo1Tim 414 bdquoVernachlaumlssige nicht die Gnadengabe die dir durch Weissa-gung mit Handauflegung der Aumlltesten gegeben worden istldquo2Tim 16 bdquoAus diesem Grund erin-nere ich dich daran die Gnaden gabe Gottes anzufa chen die durch die Auf-legung meiner Haumlnde in dir istldquo

2 bdquoGnadengabeldquo in Bezug auf Ehe und Le digsein1Kor 77 bdquoIch wuumlnsche aber dass alle Menschen wie ich waumlren doch jeder hat seine eigene Gnadengabe von Gott der eine so der andere soldquo

Der Unterschied zwischen der grundsaumltzli chen Zuteilung des Glau-bens und der persoumlnlichen Zuteilung des Glaubens in der Gnadengabe kommt auch in dem Gleichnis von den Pfunden und dem Gleichnis von den Ta lenten (Mt 2514ndash30 Lk 1912ndash27) zum Aus druck Im einen Fall erhal-ten alle das gleiche (Lk 1913 jeder 10 Talente) was dem allen gemeinsa-

men Glauben entspricht im anderen Fall erhalten alle gleich zu Be ginn unterschiedliche Gaben (Mt 2515 1 2 und 5 Pfunde) Petrus spricht des-wegen in Bezug auf den Gottesdienst davon dass wir bdquogute Verwalter der ver schiedenartigen Gnade Gottesldquo sein sollen (1Petr 410) In Roumlm 127ndash8 un-terstreicht Paulus an sieben konkreten Beispielen dass jeder bei dem blei-ben soll wozu Gott ihn befaumlhigt hat Der Lehrer soll lehren der Vorsteher soll eifrig vorstehen der Ermahnen-de soll ermah nen usw Ist das nicht selbstverstaumlnd lich Leider nicht Wie oft werden Menschen die nicht mit Geld umgehen koumlnnen Kassierer leh-ren Men schen Sonntag fuumlr Sonn tag auf der Kanzel die keine Lehrgabe besitzen und denen man deswegen nur muumlh sam zuhoumlren kann und wollen solche die gut organisieren (sbquovorstehenlsquo) koumlnnen dies nicht sbquoin Einfaltlsquo tun sondern ihre Autoritaumlt auch auf anderen Gebieten beweisen

Die Bedeutung der Geistesgaben (6 Thesen)

Die vier wichtigsten Texte uumlber die Gna den- bzw Geistesga ben im Neu-en Testament sind Eph 41ndash16 1Petr 410ndash11 Roumlm 123ndash8 und 1Kor 121ndash133 141ndash33 Texte uumlber Geistesgaben zum besseren Einprauml gen Eph 4 Roumlm 12 1Petr 4 1Kor 12ndash14

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 77 8 6 uuml

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden

In 1Kor 121 schreibt Paulus bdquoWas aber die geistlichen Gaben betrifft Ge-schwister will ich nicht dass ihr ohne Kenntnis seidldquo Sechs Kernaussagen sollen uns deswegen in die wich tige Thematik der Geistesgaben einfuumlh ren

1 These Nicht nur die Gaben sonshydern auch die Auf gaben und die Auswirkungen unseres Dienstes sind sehr unterschied lichIn 1Kor 123ndash6 stellt Paulus die Gna-dengaben in den groumlszligeren Zusam-menhang unseres Dienstes fuumlr Gott bdquoEs gibt aber Verschiedenheiten der Gnadengaben aber es ist derselbe Geist und es gibt Verschiedenheiten der Dienste und es ist derselbe Herr und es gibt Ver schiedenheiten der Wir-kungen aber es ist derselbe Gott der alles in allen wirktldquo Paulus stellt damit je dem Bereich die Person der Dreiei-nigkeit gegenuumlber die in besonde rer Weise dafuumlr zustaumlndig ist Wir koumln-nen uns 1Kor 123ndash6 fol gendermaszligen veranschau lichen

Die Dreieinigkeit und die Gaben in 1Kor 123ndash6

bdquoverschiedene Gnadengabenldquo bdquoein Geistldquo bdquoverschiedene Diensteldquo bdquoein Herrldquobdquoverschiedene Wirkungenldquo bdquoein Gottldquo

Der Heilige Geist schenkt die Geistes-gaben also die Voraussetzungen fuumlr den Dienst Jesus Christus ist das Vor-bild fuumlr den Dienst schlechthin und

Gott der Vater ist der der alles wirkt und damit auch uumlber die Auswirkun-gen des Dienstes entscheidet Wir koumln-nen das Schema von 1Kor 123ndash6 also mit eigenen Worten folgen dermaszligen wie dergeben

Die Dreieinigkeit und die Gaben in 1Kor 123ndash6

verschiedene Voraussetzungen zum Dienst

Heiliger Geist

verschiedene Dienste

Jesus der Herr

verschiedene Ausshywirkungen des Dienstes

Gott der Vater

Einmal angenommen zwei Christen haumltten zwei voumlllig gleiche Geistesga-ben dann hieszlige das noch lange nicht dass sie dieselbe Aufgabe also densel-ben Dienst haumltten Und angenommen zwei Christen haumltten zwei voumlllig gleiche Gaben und zwei voumlllig gleiche Diens-te koumlnnten sich die Ergebnisse dieser Dienste doch immer noch stark un-terscheiden Wenn also zwei Evange-listen theoretisch zur gleichen Zeit am gleichen Ort evangelisieren koumlnnten koumlnnte es immer noch sein dass der eine eine Erweckung ausloumlst waumlh rend der andere dem Herrn fuumlr ein einziges seelsor gerliches Gespraumlch als Er gebnis seiner Anspra che dankt

In diesem Zusammenhang ist auch wichtig dass dieselbe Gabe in unter-schiedlichem Maszlige verliehen werden kann Paulus bezeichnet in Roumlm 123 wie in Eph 47+16 die Gnadengaben mit dem Begriff bdquoMaszligldquo (= bdquoZuge-messenesldquo) naumlmlich das bdquoMaszlig des Glaubensldquo (Roumlm 123) bzw in Eph 47 das bdquoMaszlig der Gabe des Christusldquo Die Gabe des Evangelisten oder Leh-rers kann in unterschiedlichem Maszlige verliehen werden und wachsen was mit ein Grund dafuumlr ist weswegen der Einsatz derselben Gabe durch verschie-dene Christen ganz unter schiedlichen sbquoErfolglsquo hat

2 These Der Einsatz der Gnadengashyben ist selbstverstaumlndlicher Be standshyteil des Glaubenslebens da jeder Christ eine Gabe empfaumlngtbdquoSo wie jeder eine Gnadengabe emp-fangen hat so dient damit einander als gute Verwalter der verschiedenartigen Gnade Gottes Wenn jemand redet so als Ausspruumlche Gottes wenn jemand dient so aus der Kraft die Gott dar-reicht damit in allem Gott verherr-licht werde durch Jesus Christus dem die Herr lichkeit ist und die Macht in alle Ewigkeit Amenldquo (1Petr 410ndash11) Petrus fasst wieder einmal knapp zu-sammen was Paulus ausfuumlhr lich und teilweise schwerer ver staumlndlich behan-delt (vgl die Aussage von Petrus uumlber Paulus in 2Petr 315ndash16) Petrus lehrt

bullthinspthinspdassthinsp jederthinsp Christthinsp einethinsp Gnadengabethinsphat

bullthinspthinspdassthinsperthinspdemthinspHerrnthinspbdquosoldquothinspundthinspnichtthinspan-ders dienen soll

bullthinspthinspdassthinsp derthinsp Christthinsp nurthinsp bdquoVerwalterldquothinsp derthinspGnade Gottes ist (Verwalter legen Rechenschaft ab und sind nicht die Herren der Gabe)

bullthinspthinspdassthinspdiethinspGabenthinspzumthinspDienstthinspamthinspande-ren gedacht sind

bullthinspthinspdassthinsp diethinsp Gabenthinsp zurthinsp VerherrlichungthinspGottes nicht zur Selbstverherrli-chung gedacht sind

3 These Die Listen der Geistesgashyben im Neuen Testament sind nicht vollstaumlndig sondern nennen nur Beispiele Deswegen kann es durchshyaus Gaben geben die im Neuen Tesshytament nicht genannt werdenDa jede Gabenliste im Neuen Tes-tament nur eine Auswahl der Gaben darbietet und sich viele der genannten Gaben uumlberschneiden will keine eine vollstaumlndige Liste aller moumlglichen Ga-ben vorlegen sondern nur Beispiele nennen Auch wenn einige Gaben (z B sbquoLehrerlsquo und sbquoPro phetlsquo und die an-deren in Eph 411 genannten Gaben) sehr haumlufig genannt und offensichtlich immer benoumltigt werden gibt es keine Gabe die immer genannt wird Des-wegen ist es meines Erachtens berech-tigt auch solche Gaben festzustellen die namentlich nicht im Neuen Testa-ment genannt werden (z B die Gabe

8 7 8 6 uuml

der Gast freundschaft oder die Gabe des Troumlstens) Einige dieser nicht ge-nannten Gaben kommen uumlbrigens in der Bibel in der Praxis in anderen Zusammenhaumlngen oder im Alten Tes-tament vor etwa die Gabe Lieder zu dichten (z B Da vid) oder Sprichwor-te zu verfassen (z B Sa lomo) oder die Gabe der kuumlnstlerischen Gestaltung und der Schnitzkunst fuumlr das Haus des Herrn (2Mose 311ndash6 3530ndash35)

Die in den neutestamentlichen Listen erwaumlhn ten Geistesgaben

1Petr 411 Reden und Dienen [allge-meine Eintei lung]Eph 411 Apostel Propheten Evange-listen Hirten und LehrerRoumlm 126ndash8 Prophezeiender Dienen-der Lehrer Ermahnender Gebender Vorstehender Barmherzigkeit Uumlbender 1Kor 128ndash10 Wort der Weisheit Wort der Erkenntnis Glaube Heilun-gen Wunderwirkungen Prophetie Geistesunterscheidung Sprachenrede Uumlbersetzung der Spra chenrede1Kor 1228ndash30 Apostel Propheten Wundertaumlter Lehrer Heilungen Hil-feleistungen Leitung verschiedene Ar-ten der Sprachen rede Uumlbersetzung der Sprachenrede1Kor 131ndash3 Zungenrede Prophetie Geheimnisse und Erkenntnisse wissen Glauben Speise geben Marty rium

1Kor 1426 Psalm Lehre Sprachen-rede Offenbarung Uumlbersetzung der SprachenredeZusaumltzlich gibt es in der Praxis groszlige Unterschiede zwischen Christen die dieselbe Gabe haben also etwa zwi-schen den einzelnen sbquoEvangelistenlsquo Ei-nige Evangelisten sind fuumlr das persoumlnli-che Gespraumlch begabt andere fuumlr einen Vortrag vor groszligen Mengen wieder andere als Buchautoren Ich erinnere mich wie Billy Graham erzaumlhlte wie schwer es ihm fiele einzelne Menschen auf das Evangelium hin anzusprechen Deswegen genuumlgt es nicht sich einfach einer der im Neuen Testament genann-ten Gaben zuzuordnen Entscheidend ist die tatsaumlchliche Begabung wie sie sich in der Praxis des Glaubens und der Gemeinde erweist

4 These Jeder Gabe die nicht jeder ausuumlben soll und darf entspricht eine allgemeine Aufforderung an alle ChristenDie Gaben heben also nur aus dem Bereich der das Glaubensleben aller Christen ausmachen soll einzelne Be-reiche und Auf gaben besonders herausAlle sollen dieneneinige haben die Gabe des Dienstesalle sollen glaubeneinige haben die Gabe des Glaubensalle sollen barmherzig seineinige haben die Gabe der Barmher-zigkeit

alle sollen sich gegenseitig ermahneneinige haben die Gabe der Ermahnungalle duumlrfen um Heilung beteneinige haben die Gabe der Heilungalle sollen das Evangelium weitergebeneinige haben die Gabe des Evangelistenalle sollen Rechenschaft von ihrem Glauben ablegeneinige haben die Gabe der Lehrealle sollen Gott anbeteneinige haben die Gabe der Sprachen-redealle sollen die Geister unterscheideneinige haben die Gabe der Geistesun-terscheidung

5 These Deswegen bedeutet der Besitz einer Gabe nicht dass man etwas als einziger tun soll oder als einzi ger tun kann sondern dass man von Gott zu einer bestimmten Aufshygabe be sonders bevollmaumlchtigt istDiese Bevollmaumlchtigung zu erkennen ist die wesentliche Frage wenn man seine eigene Gabe oder die anderer erkennen und verstehen will Die Bevollmaumlchti gung kommt meines Er-achtens darin zum AusdruckbullthinspthinspdassthinspmanthinspanthinspeinerthinspAufgabethinspbesonderethinsp

Freude hat (ja Christsein darf auch einmal etwas sbquoSpaszliglsquo machen)

bullthinspthinspdassthinsp manthinsp dieserthinsp Aufgabethinsp wiethinsp vonthinspselbst nachgeht

bullthinspthinspdassthinsp manthinsp einethinsp Aufgabethinsp besondersthinspgut macht wobei jedoch sbquogutlsquo an der

Wirkung auf an dere bemessen wer-den muss

bullthinspthinspdassthinspmanthinspbeimthinspEinsetzenthinspdieserthinspGabethinspsbquoNutzenlsquo her vorbringt Gott also den Dienst segnet

Einige praktische Beispiele moumlgen dies erlaumlutern Ich bin gerne gastfreundlich Doch meine Gastfreundlichkeit ge-schieht so sbquogeraumluschvolllsquo dass es jeder bemerkt Wie gerne halte ich jedoch schwierige Besprechungen bei Christen ab die die Gabe der Gastfreundschaft haben Sie schaffen durch ihre Gast-freundschaft eine warme friedliche At-mosphaumlre wobei man ihre Gegenwart fast gar nicht wahrnimmt und schon gar nicht als stoumlrend empfindet

Wer die Gabe des Lehrens hat wird dies unter anderem daran merken dass er wie von selbst Stunden damit zubringt bestimmte Fragen anhand der Bibel zu beantworten oder Grund-satzfragen mit anderen zu diskutieren und dass wenn er seine sbquoLouml sungenlsquo vortraumlgt andere ploumltzlich feststellen dass sie endlich den Zusammenhang der Bibel erfasst haben denn bdquodie An-mut der Spra che foumlrdert das Lehrenldquo (Spr 1621) Hier macht die intensive Arbeit Freude und fuumlhrt zu dem sbquoEr-folglsquo dass Menschen die Bibel nicht nur verstehen sondern auch ausleben Wer da gegen keine Freude am intensi-ven Bibelstudium hat Menschen nur sbquoanpredigtlsquo und nie erlebt dass Men-schen sbquoverstehenlsquo und ihr Leben dar-

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 97 8 6 uuml

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden Werbung

aufhin entsprechend aumlndern duumlrfte wohl kaum die Gabe der Lehre haben und uumlber kurz oder lang zum reinen Theoretiker werden oder frustriert die bibli sche Lehre fuumlr nicht praktikabel halten

Wer sich immer zu seinen Diensten zwingen muss wer nie sbquoFruchtlsquo sieht wer sich im Dienst unerfuumlllt sieht oder sogar neidisch wird sollte sich nicht nur fragen ob ihm die Frucht des Geis-tes fehlt sondern auch ob er wirklich seine Gabe im Einsatz hat deren richti-ger Gebrauch zur Zufriedenheit uumlber die Herrschaft Gottes auch in der Zu-teilung der Gaben fuumlhrt

6 These Die Verschiedenartigkeit der Gaben bedroht die Einheit der Gemeinde sobald die Frucht des Geistes nicht die Ausuumlbung der Gashyben des Geistes bestimmtGott macht uns zu bdquoVerwalternldquo (1Petr 410) seiner Gaben und nimmt sie uns gnaumldigerweise nicht sofort weg wenn wir hochmuumltig eigensinnig oder lieb-los sind Die Gaben sind auch gerade deswegen sbquoGnadengabenlsquo weil Gott sie uns nicht sofort wegnimmt wenn wir sie missbrauchen oder wenn wir in Suumlnde leben

Daraus folgt aber auch dass der Be-sitz und der Einsatz von Gei stesgaben keine Garantie fuumlr ein geistliches Leben sind Der geistli che Stand eines Chris-ten kann nicht an den Geistesgaben sondern nur an den Geistes fruumlchten

(Gal 522) abgelesen werden Das ist das Thema von 1Kor 13 Paulus will dass die Korinther um die Geistesga-ben eifern (1Kor 1231 141) aber in der Liebe (1Kor 131ndash13) zeigt er ihnen bdquoeinen Weg noch weit daruumlber hinausldquo (1Kor 1231b vgl 141) also direkt vor und nach dem Kapitel uumlber die Liebe in 1Kor 13 Deswegen ermahnen Pau-lus und Petrus in allen Texten uumlber die Gei stesgaben zur Einheit zur Liebe aber auch dazu nicht so zu leben wie die Welt

Vergleich des Textzusammenhangs der wichtigsten Texte zu den GeisshytesgabenErmahnung zur LiebeRoumlm 129ndash21 Eph 41ndash3+15-16 1Petr 48ndash9 1Kor 12ndash14 131ndash141GnadengabenRoumlm 123ndash8 Eph 48+11 1Petr 410ndash11 1Kor 121ndash133Nicht wie die Welt lebenRoumlm 121ndash2 Eph 41+17ndash24 1Petr 4(7) 1Kor 121ndash3Einheit im LeibRoumlm 124ndash5 Eph 43ndash6+12ndash16 1Petr 4(8) 1Kor 1212ndash31 141ndash33

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

ist Rektor des Martin Bucer Seminars und lehrt dort Ethik und Missions- und Religionswissenschaften Er ist auszliger-dem Professor fuumlr Religionssoziologie an der Staatlichen Universitaumlt Ora-dea Rumaumlnien und hat einen Lehr-stuhl fuumlr Internationale Entwicklung an der ACTS University in Bangalore Indien

1 Vgl bdquoSchluss mit der gabenvernichtenden Pas-torenfalleldquo In Klaus Eickhoff Harmlos Kraft-los Ziellos Die Krise der Predigt ndash und wie wir sie uumlberwinden Witten Brockhaus 2009 S 267ndash276 insgesamt S 267ndash324 bes S 300ndash313 zu gabenspezifische Predigten mit fuumlnf Schwer-punkten nach Eph 4 12 apostolisch prophetisch evangelistisch seelsorgerlich lehrhaft2 Geglaumlttete und aktualisierte Fassung aus Thomas Schirrmacher Der Roumlmerbrief VTR 2001

Institut fuumlr Lebens- undFamilienwissenschaften

wwwbucereuilfwhtml

Anmerkungen

10 7 8 6 uuml

Evangelisation und Calvinismus

Prof Dr Clair Davis

Welche ist die beste Theologie fuumlr die Evangelisation Da der Missionsbefehl im Zentrum dessen steht was ein glaumlu-biger Christ tut muss die bdquobeste Theo-logie der Evangelisationldquo die richtige Theologie sein die einzig gute Theolo-gie Koumlnnte der Calvinismus die richtige Antwort sein Dieser glaubt die Bibel sage dass wir ohne Christus tief im In-neren Suumlnder seien und nichts mit Gott zu tun haben wollen Ebenso glaubt er dass jemand ausschlieszliglich durch den Heiligen Geist zu Christus gelangen koumlnne da es uns unmoumlglich sei irgend-etwas selber zu unserer Rettung beizu-steuern Wie koumlnnte dies im Rahmen der Evangelisation funktionieren Was koumlnnten Glaumlubige tun auszliger am Rand zu stehen und abzuwarten ob etwas pas-siert oder nicht Wie koumlnnen sie anders als gleichguumlltig sein da es nichts mit ihnen und Gottes Berufung fuumlr sie zu

tun hat Wenn sich alles darum dreht was Gott tut koumlnnte der Missionsbefehl nur eine Floskel sein

Koumlnnte man die Lage auch anders be-trachten Man koumlnnte doch sagen dass im Herzen eines Suumlnders immer noch etwas Goumlttliches ist das lebendig und gut erhalten ist etwas das willens und faumlhig ist gute Entscheidungen zu tref-fen Es kann ja auch gar nicht anders sein denn wie sonst koumlnnte sich irgend-jemand fuumlr Christus entscheiden Diese Denkweise der Pelagianismus hat viele attraktive Aspekte Pelagius kam vom ernsthaften und intensiv betenden kelti-schen Norden Groszligbritanniens und war erstaunt uumlber den faulen und nachlaumlssig gefuumlhrten christlichen Glauben den er in Italien kennenlernte Daher rief er die Menschen dazu auf ernsthaft und re-chenschaftspflichtig mit ihrem Glauben umzugehen Ergibt das keinen Sinn

Dennoch Verwirrung kommt auf so-bald das Wort bdquoUnfaumlhigkeitldquo auch fuumlr Christen als Ausrede fuumlr ihre Suumlndhaf-tigkeit verwendet wird Doch das kann nicht stimmen denn Glaumlubige haben die Kraft des auferstandenen Christus in ihren Herzen die ihnen vom Heili-gen Geist gegeben wurde das groszligarti-ge Geschenk das weiterhin ausgegeben wird Wenn man mit Christus vereint ist ist man faumlhig bdquodie Welt das Fleisch und den Teufelldquo (dieses Zitat stammt aus dem Book of Common Prayer der Anglikanischen Kirche) zu bekaumlmp-fen und zu besiegen denn Jesus ist der bdquovon der dunklen Staumltte auferstandene Siegerldquo (Vers eines amerikanischen Kir-chenliedes) Der Teufel ist immer noch am Leben aber besiegt und das Leben ist weiterhin voller Versuchungen ndash und Niederlagen Wenn man diese Nieder-lagen als gegeben hinnimmt und sich

an sie gewoumlhnt wird ein aumluszligerst faules Christentum entstehen Pelagius hat-te vollkommen recht uumlber einen solch bdquochristlichenldquo Unglauben geschockt zu sein

Augustinuslsquo Geschichte war eine an-dere Er war ein radikaler Nicht-Glaumlu-biger und er wusste alles daruumlber Er wusste deswegen alles uumlber konsequente Gottlosigkeit da er selber so gut darin war ndash auf viele raffinierten Arten Da-rum war es einfacher fuumlr ihn zu sehen was die Bibel uumlber Gottes Gnade sagt nur Gott konnte sein verdrehtes die Wahrheit negierendes Herz aumlndern

Hilft das nicht die Probleme zu er-kennen Wenn es um das Leben als Christ geht ist es vollkommen richtig dass man aufhoumlren muss die Schuld von sich zu weisen und anfangen muss Verantwortung zu uumlbernehmen ndash ob-wohl ein Groszligteil dieser Verantwortung

glauben amp denken heute 22012 117 8 6 uuml

Evangelisation und Calvinismus

darin besteht Gott anzurufen bdquoZeige mir meine Suumlnde Vergib mir meinen selbstgenuumlgsamen Stolz Zeige mir wie groszlig Jesus istldquo Der Geist veraumlndert un-ser Herz aber wir sind verantwortlich und rechenschaftspflichtig Das Leben ist ein Kampf voller Danksagungen Dies koumlnnte besser verstanden werden und dem wird so sein wenn Jesus wie-derkehrt

Doch wenn man dieses bdquoLeben eines Glaumlubigenldquo auf das Leben eines rebelli-schen Schuld von sich weisenden Un-glaumlubigen abfaumlrben laumlsst der Jesus mei-den will dann entsteht Verwirrung da dieser anders ist Er ist ohne Gott und ohne Hoffnung weil er so sein moumlch-te Um zu Jesus kommen zu koumlnnen muumlsste er zugeben dass er Jesus braucht ndash doch warum sollte er das zugeben Er ist selbstsicher er ist sich selbst genug und ein viel besserer Mensch als alle an-deren die er kennt

Wie koumlnnte sich das aumlndern Was koumlnnen wir tun um das zu aumlndern Was sollten wir sagen Das jedenfalls weiszlig ich Was auch immer wir solch einem Menschen sagen zuerst sollten wir un-seren Herrn bitten bdquoVater sende Deinen Geist um sein Herz zu erweichen um ihm seine Beduumlrftigkeit zu zeigen Lehre mich Vater nicht selbstgerecht zu sein sondern ein sbquoBettler [zu sein] der einem anderen Bettler mitteilt wo es Brot gibtlsquo (Zitat des Bischofs D T Niles) Hilf mir zuzuhoumlren Vaterldquo

Von Jay und Holly Eastman lerne ich seit einiger Zeit wie man zuhoumlrt Sie sind Missionare in Ostberlin und ha-ben dort 10 Jahre zugehoumlrt und nun gibt Gott die Ernte Wenn jemand nicht zuhoumlrt koumlnnte es sein dass er denkt er vertrete Gott der immer mit Voll-macht redet Das ist der Grund weswe-gen wir alle die Evangelien wieder lesen und sehen muumlssen wie Jesus zu Suumln-dern spricht Er warnt sie vor Stolz und Selbstgerechtigkeit und sagt ihnen dass er nicht gekommen ist die bdquoGerechtenldquo wie sie es sind zu retten sondern Suumln-der Er fragt die Frau am Brunnen nach Wasser wohl wissend dass sie dort zu einer ungewoumlhnlichen Zeit ist da sie von rechtschaffenen Leuten abgewiesen wurde Er tadelt Stolz und honoriert Demut und Beduumlrftigkeit In einem Evangelium sagt er bdquoSelig sind die da geistlich arm sindldquo in einem anderen nur bdquoSelig seid ihr Armenldquo Ich versu-che zu verstehen was das bedeutet Ich denke das ist das Wichtigste was wir lernen muumlssen

Wie koumlnnen wir zuhoumlren Wie koumlnnen wir Armut erkennen die offenkundige Armut und die andere Art von Armut Wie wuumlrden wir sie bei uns erkennen Setzen wir unser Vertrauen in Christus oder in uns selber ndash mit einer Jesus-Fassade Ich denke das stand immer im Zentrum der Erweckungsbewegung und wie koumlnnte es wahre Evangelisation geben ohne Erweckung

Ich ermutige Sie die zentralen Stellen von Jonathan Edwardslsquo bdquoTreatise on Religious Affectionsldquo (dt etwa bdquoAb-handlung uumlber glaumlubige Zuneigungldquo) zu lesen und uumlber sie zu beten Das hilft so sehr uns zu zeigen wo unser Herz wirklich steht Danach schauen Sie sich eine predigtartige Version dessel-ben Themas von George Whitefield an (siehe dazu URL httpwwwccelorgcceledwardsaffectionsviviiihtml und httpwwwccelorgccelwhitefieldser-monsxxvhtml)

Ich denke das ist die Antwort Wie kann man zuhoumlren wie kann man ein beduumlrftiges Herz zu Jesus fuumlhren wenn man es nicht selber regelmaumlszligig tut

Zuruumlck zum Calvinismus Ist dies nicht genau das was er im Innersten ist Er ist definitiv nicht akademische Arro-ganz die uns selber immer wieder ver-gewissert wie viel besser wir die Bibel lesen als all die bdquoUnreinenldquo Viel mehr ist er eine Einstellung des Herzens die Jesus in all seiner Herrlichkeit sieht staunend dass er uns liebt die Unreins-ten von allen die so viel verstehen und so wenig darauf reagieren Wenn wir uns Jesus und seiner Liebe und unserer eigenen Unliebenswuumlrdigkeit bewusst sind dann koumlnnen wir zuhoumlren Dann koumlnnen wir mit Guumlte und Demut die Liebe zu Gott teilen Dann werden wir gelernt haben dass es nicht darum geht wie erpicht wir darauf sind Jesus zu lie-ben und ihn bei uns zu haben sondern

vielmehr werden wir erkennen dass wir ein Haufen von fruumlhen bdquoAugustinu-senldquo sind erfinderisch in unserem Un-glauben und unserer Uumlberheblichkeit Demut gegenuumlber den Evangelien und der Calvinismus ndash das ist ein und die-selbe Sache Sie sind so uumlberwaumlltigend dieselbe Sache dass wir nur in dieser dunklen Welt das Wort bdquoCalvinismusldquo verwenden muumlssen um einfach sagen zu koumlnnen bdquoAmazing grace How sweet the soundldquo ndash bdquoErstaunliche Gnade wie suumlszlig ist der Klangldquo

Prof Dr Clair Davis

spielte bei Gruumlndung und Aufbau des Martin Bucer Seminars eine wichti-ge Rolle als Berater Mittler und Be-fuumlrworter Dazu hielt er auch etliche Gastvorlesungen in Deutschland In diesem Zusammenhang wurde sein Buch bdquoWenn der Glaube Gestalt ge-winnt Beitraumlge zur Praxis des Chris-tenlebensldquo (Bonn VKW 2004 112 Seiten Pb ISBN 978-3-932829-90-1 830 Euro) uumlbersetzt (erhaumlltlich hier httpwwwgenialebuecherdewenn-der-glaube-gestalt-gewinnthtml) Die Uumlbersetzung dieses Arti-kels stammt von Kathrin Bentley

12 7 8 6 uuml

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

Prof Dr Stephen J Wellum

Warum das Leben und Denken von Francis Schaeffer studieren1

Diese Frage kann auf zwei Arten gestellt werden Erstens Warum studieren wir uberhaupt eine historische Figur Und zweitens Warum reflektieren wir im Besonderen uber das Leben und Den-ken von Francis Schaeffer Was macht letzten Endes gerade ihn im Vergleich zu anderen so wichtig Die schlichte Antwort auf die erste Frage ist dass wir durch christliche Maumlnner und Frauen die uns vorangegangen sind lernen und herausgefordert werden Es ist uberaus klar dass in der Schrift Men-schen die uns als Vorbild dienen sei es positiv oder auch negativ ein Thema sind Paulus ermuntert Timotheus sei-nem Vorbild zu folgen wie er Christus

folgt (vgl 2Tim 310ndash13) Hebraumler 11 beschreibt uns die bdquoRuhmeshalleldquo des Glaubens um uns zu ermutigen in der Hingabe an den Herrn und im Dienst fur ihn fortzuschreiten Wenn wir das Leben gottesfurchtiger Maumlnner und Frauen untersuchen und zwar sowohl ihre Staumlrken als auch ihre Schwaumlchen dann lernen wir wie wir dem Herrn heute besser dienen koumlnnen Und oft werden wir dabei von auszligergewoumlhnli-chen Mitstreitern die danach strebten in ihrem Leben dem Herrn von ganzem Herzen zu dienen aus unserer geistli-chen Lethargie geweckt Auszligerdem ist es wichtig historische Gestalten unserer Zeit ebenso wie solche aus der ferneren Vergangenheit zu studieren Warum Aus dem einfachen Grund dass Men-schen unserer Zeit uns dabei helfen auf die speziellen Probleme und Her-ausforderungen unserer Tage und nicht

einfach auf die Probleme einer fruheren Aumlra angemessen zu reagieren In diesem Sinne besteht eine Parallele zum Betrei-ben von Theologie Denn genauso wie staumlndig Theologie geschrieben werden muss um das unwandelbare Wort auf eine sich wandelnde Welt anzuwenden so mussen wir Zeitgenossen studieren die uns helfen koumlnnen treu und kom-promisslos auf die Herausforderungen zu reagieren mit denen die Kirche ge-genwaumlrtig konfrontiert ist

Warum aber sollten wir gerade Fran-cis Schaeffer studieren Die Antwort auf diese zweite Frage ist dass es wahr-scheinlich keine Gestalt gibt die die evangelikale Bewegung in der zweiten Haumllfte des zwanzigsten Jahrhunderts staumlrker bewegt und beeinflusst hat als Francis Schaeffer Michael Hamilton kommentiert den Einfluss von Francis Schaeffer auf die evangelikale Bewe-

gung und sagt dabei Folgendes uber sein Leben und sein Werk

Als Francis Schaeffer im Jahr 1965 erst-mals auf der amerikanischen Buhne erschien wussten Evangelikale kaum was sie mit ihm anfangen sollten Sein christlicher Glaube war im Feuerofen der Kontroverse zwischen Fundamentalisten und Modernisten in den 1930er Jahren geformt worden und er war ein eingetra-genes Mitglied der absolut fundamenta-listischen Bible Presbyterian Church Er verteidigte leidenschaftlich die Idee der Irrtumslosigkeit der Schrift eine Lehre die in evangelikalen Kreisen schon etwas ins Rutschen geraten war Dennoch war er kein gewoumlhnlicher fundamentalisti-scher Prediger Er und seine Frau Edith lebten seit 10 Jahren in einer Studenten-gemeinschaft die sie in den Schweizer Alpen begonnen hatten Wenn er Vorle-sungen hielt trug er alpine Wanderklei-

Zum 100

Geburtstag von

Francis Schaeffer

glauben amp denken heute 22012 137 8 6 uuml

dung ndash Kniebundhosen Kniestrumpfe Wanderschuhe 1972 hatte er zu seiner schon vorher eigentumlichen Erschei-nung auch noch langes Haar und einen weiszligen buscheligen Ziegenbart am Kinn Das Sonderbarste war dass er selten die Bibel zitierte Er war eher geneigt uber die philosophische Bedeutung von Henry Miller zu reden (der damals als der por-nographischste Schriftsteller in der ame-rikanischen Literatur betrachtet wurde)

Waumlhrend der naumlchsten zwei Jahrzehnte organisierte das Ehepaar Schaeffer einen vielseitigen Dienst der den amerika-nischen Evangelikalismus neu formte Wahrscheinlich hat abgesehen von C S Lewis und Billy Graham kein Intellek-tueller das Denken der Evangelikalen tiefer gepraumlgt Zusammen brachten die Schaeffers die Idee des bewussten Lebens in christlicher Gemeinschaft in Umlauf Sie stieszligen die Evangelikalen aus ihrem kulturellen Ghetto inspirierten ein Heer Evangelikaler ernsthafte Wissenschaftler zu werden ermutigten Frauen ihre Rol-len als Mutter und Hausfrau anzuneh-men waren Mentoren fuhrender Koumlpfe der Neuen Christlichen Rechten und verliehen einer populaumlren evangelikalen Opposition gegen Abtreibung Stabilitaumlt2

Auf aumlhnliche Art und Weise fasst Ha-rold O J Brown die Wirkung und den Einfluss Francis Schaeffers zusammen indem er feststellt

Es gibt keinen anderen christlichen Denker unserer Zeit der so viele grund-

legende intellektuelle philosophische und theologische Fragen in Angriff ge-nommen hat wie Schaeffer es tat Er tat das jedoch nicht im Bemuhen eine um-fassende Philosophie der Geschichte zu konstruieren wie etwa Oswald Speng-ler (bdquoDer Untergang des Abendlandesldquo) oder Arnold Toynbee (bdquoDer Gang der Weltgeschichteldquo)

Selbst seine Spezialthemen behandelte Schaeffer nicht als theoretische Prob-leme die in ein umfassendes Weltbild zu passen hatten sondern als Fragen die jeder Mensch individuell beant-worten muss um Sinn fur sein Leben zu finden Es gibt nicht viele christliche Denker die sich mit so vielen groszligen Themen der Theologie und der Philo-sophie beschaumlftigt haben wie Schaeffer und niemand anders hat so sehr ihre Be-deutung fur uns aufgedeckt Schaeffer behandelte sie als entscheidend fur das Verstehen unseres eigenen Lebens und seiner Bedeutung und nicht nur als Abs-traktionen die einem Seminar fur Fort-geschrittene vorbehalten sind Schaeffer wollte und das war fur einen tiefen Denker ungewoumlhnlich einfache Leute mit den groszligen Fragen der Philosophie und Theologie und den entsprechenden Konsequenzen vertraut machen3

Zusaumltzlich koumlnnen wir unsere For-schung uber Francis Schaeffer noch staumlrker dadurch rechtfertigen dass wir seine Bedeutung und seinen Einfluss in drei wichtigen Bereichen feststellen

dem persoumlnlichen dem theologischen und dem sozialen Bereich4 Was den persoumlnlichen Bereich betrifft so erfolgte der Einfluss Schaeffers anfaumlnglich nicht durch akademische bildende Institutio-nen und auch nicht durch das Verlags-wesen Seinen groumlszligten Einfluss erlangte er durch den persoumlnlichen Kontakt mit Einzelnen die er kennenlernte und de-ren Leben er veraumlnderte Man kann also sagen dass sein Einfluss nicht darauf be-ruhte dass er zum evangelikalen Estab-lishment gehoumlrte sondern im Gegenteil vielmehr darauf dass er von diesem un-abhaumlngig war Fur Schaeffer waren per-soumlnliche Evangelisation und Jungerschaft keine Klischees

Durch sein Leben und seinen Dienst im Schweizer LrsquoAbri weit entfernt von Amerika beruhrten er und seine Frau Edith das Leben von zahllosen einzelnen Menschen Von ihnen sollten viele spaumlter evangelikale Leiter in Schlusselpositionen werden Fur diejenigen von uns die da-nach streben Maumlnner und Frauen fur das Evangelium zu gewinnen waumlre es sicher-lich weise aus dem Leben eines solchen Mannes Lehren zu ziehen und neu die Bedeutung des persoumlnlichen Kontaktes in unseren Begegnungen mit Menschen zu entdecken5 Aus einem theologischen Blickwinkel erkennen wir Schaeffers Bedeutung daran dass er maszliggeblich daran beteiligt war gerade die Evange-likalen aufzurufen zentrale Wahrheiten ernstzunehmen Bei ihnen bestand die

Tendenz diese Wahrheiten weniger zu betonen oder sogar zu verleugnen An-gesichts einer zunehmenden Neigung zu einem umfassenden Pluralismus und einer Verleugnung der Wahrheit in der akademischen Theologie in der Kirche und in der allgemeinen Kultur forderte Schaeffer die evangelikale Bewegung be-sonders dazu heraus ihre Hingabe an das Konzept der Wahrheit ndash oder wie er es nannte bdquowahre Wahrheitldquo ndash neu geltend zu machen Deshalb trat er im wahrsten Sinne des Wortes bis zu seinem Sterbe-bett eindeutig fur die volle Autoritaumlt und Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift ein Zu der Frage nach der bdquowahren Wahr-heitldquo gehoumlrten fur ihn auch solche ent-scheidenden Themen wie die Historizitaumlt von 1Mo 1ndash11 die Lehre von der Schoumlp-fung die zentrale Bedeutung der Lehre von Gott und die Ausschlieszliglichkeit von Jesus Christus als dem Weg der Wahr-heit und dem Leben6

Auch die Tatsache dass er sich gegen die Theologie der Neoorthodoxie7 wand-te die einige Evangelikale anzunehmen begonnen hatten hat etwas damit zu tun Er glaubte dass sie die Wahrheit und Wahrhaftigkeit des Evangeliums unterhoumlhlen wurde Heute mussen wir wahrscheinlich mehr als je zuvor die theologischen Herausforderungen durchdenken die uns Schaeffer hinter-lassen hat Hatte er Recht Falls ja gibt es Dinge die wir bei unserem Versuch fur die Wahrheit des Evangeliums einzuste-

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

14 7 8 6 uuml

hen heute von ihm lernen koumlnnen Auch fur unsere Uumlberlegungen im sozialen Be-reich ist Schaeffer eine wichtige Gestalt Als in den 70er Jahren Evangelikale an der sozialen Front wenig unternahmen forderte er Millionen Evangelikale fast im Alleingang dazu auf eine aktive Rol-le bei der Gestaltung ihrer Gesellschaft und deren Werte zu ubernehmen Er gab ihnen dazu auch eine theologische Begrundung8 Wie Brown beobachtet bdquowar die Entscheidung des Obersten Ge-richtshofes der USA zum Fall Roe gegen Wade 1973 die Abtreibung auf Verlan-gen erlaubt fur Schaeffer eine Art Funke im Pulverfassldquo9 Seit langem hatte Schaef-fer die Leute darauf verwiesen dass das Weltbild des nachchristlichen Westens auf eine Entwertung des menschlichen Lebens zusteuerte Die Roe gegen Wade-Entscheidung war daher fur ihn ein ent-scheidender Ruf zum Handeln

1979 produzierte er zusammen mit C Everett Koop und Franky Schaeffer die Filmreihe bdquoWhatever Happened to the Human Raceldquo die dabei half schlaumlfrige Evangelikale zum Handeln zu mobilisie-ren und sie dazu herauszufordern sich auf der politischen Buhne zu engagieren Es ist keine Uumlbertreibung zu sagen dass das Aufkommen von Schwangerschafts-konfliktberatungszentren die Entste-hung des Rates fur christliches Handeln (Christian Action Council) und der Moralischen Mehrheit (Moral Majori-ty) direkt mit dem Einfluss von Francis

Schaeffer in Verbindung stehen Doch was waren seine Grunde fur soziales Handeln Waren sie zulaumlssig Und was koumlnnen wir von ihm bei dem Versuch lernen heute unserem Herrn gehorsam zu sein Es gibt aber noch einen letzten Grund warum wir das Leben und Den-ken Francis Schaeffers studieren sollten

Die uneinheitlichen Reaktionen evan-gelikaler Gelehrter auf ihn oumlffnen ein Fenster durch das wir die zunehmend gespaltene evangelikale Bewegung se-hen koumlnnen Lane Dennis kommentiert verschiedene Kritiker die Schaeffers Denken bdquoanmaszligenden Schwulstldquo bdquosim-plistischldquo bdquoVerkummerungldquo und bdquokindi-sche Verknupfung unbestaumltigter Urteileldquo benannt haben und merkt an dass bdquoman gewoumlhnlicherweise diese Art von Adjek-tiven in houmlflicher oder gelehrter Kon-versation nicht houmlrt offensichtlich hat Schaeffer einen blanken Nerv beruhrtldquo10 Interessanterweise stellt Dennis fest dass diese Art von Reaktion meist von Aka-demikern in evangelikalen Colleges zu kommen scheint und weniger von evan-gelikalen Gelehrten aus saumlkularen Schu-len11 Warum Warum diese negativen Reaktionen aus gewissen Bereichen der evangelikalen Bewegung besonders von Akademikern Einige beantworten diese Frage mit der Feststellung dass Schaeffer kein richtiger bdquoGelehrterldquo war und dass dies der Grund fur manche der negati-ven Reaktionen gewesen sei Aus einer Vielzahl von Grunden genugt diese Ant-

wort jedoch nicht12 Es scheint vielmehr dass Michael Hamilton auf dem richti-gen Weg ist wenn er argumentiert dass die verschiedenartigen Reaktionen auf Schaeffer negativ und positiv eine be-achtliche Spaltung innerhalb der evange-likalen Bewegung widerspiegeln Scha-effer vertritt in den Worten Hamiltons bdquodie rauere Kanteldquo der evangelikalen Be-wegung im Gegensatz zu Billy Graham und anderen die die bdquoweichere Kanteldquo vertreten Die bdquoweichere Kanteldquo ist der Teil der evangelikalen Bewegung der die bdquogemaumlszligigte Mitteldquo vertritt ndash eine Mitte die versucht Kontroversen zu entschaumlr-fen und jedem wohlgesonnen ist der zur Zusammenarbeit mit allen denen bereit zu sein scheint die ihn das Evangelium predigen lassen13

Auf der anderen Seite vertritt Schaeffer die Seite der evangelikalen Bewegung die bereit ist mit anderen fur gemeinsame soziale Anliegen eine Allianz einzugehen nicht aber wenn es um die Verkundigung des Evangeliums geht Diese Seite orien-tiert sich so sehr an der Frage nach der Wahrheit dass sie erkennt dass schein-bar bdquogeringfugigeldquo Verschiebungen der Lehre bedeutsam sind und sehr ernst ge-nommen werden mussen Es ist eine Sei-te die zu einer bdquoliebevollen Konfrontati-onldquo in Fragen von Wahrheit und Leben aufruft weil es sonst zu Kompromissen in Bezug auf das Evangelium komme Aber ich bin davon uberzeugt dass wir uns heute mit ihr identifizieren mussen

Heute ist die evangelikale Bewegung in vielen Fragen darunter auch in einigen wichtigen Lehrfragen gespalten So ist es in dieser Zeit weise uber das Leben und Denken Francis Schaeffers nachzu-denken einem Diener des Herrn der in seiner Generation fest einstand fur das Evangelium damit wir lernen koumlnnen wie wir dies in unserer Generation ver-mehrt tun koumlnnen14 Ich schlage vor dass wir das Leben und Denken Schaeffers in folgender Weise betrachten Zunaumlchst werden wir mit einer kurzen Chronolo-gie seines Lebens beginnen um uns zu erinnern Fur manche Leser mag dies eine erste Einfuhrung in sein Leben sein Umfeld und seinen Dienst sein

Zum Zweiten werden wir vier Lehren die wir aus Schaeffers Denken ziehen koumlnnen hervorheben und ausfuhrlicher betrachten Schlieszliglich werden wir uns mit zwei Lehren beschaumlftigen die wir aus seinem Leben und seinem Dienst ziehen koumlnnen

Eine kurze Chronologie des Lebens Francis Schaeffers15

Die fruhen Jahre

bull Francis Schaeffer wurde am 30 Januar 1912 in Germantown in Pennsylvania geboren Er war das einzige Kind sei-ner Eltern die zur Arbeiterklasse ge-houmlrten Seine Vorfahren stammten aus

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 157 8 6 uuml

Deutschland Schaeffers Eltern legten ein Lippenbekenntnis zum Christen-tum ab Er selbst betrachtete sich je-doch nicht als jemand der in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen ist

bull Aus eigenem Antrieb besuchte er eine liberale presbyterianische Kirche Nach seinem Bekenntnis fand er je-doch im liberalen Christentum kei-nerlei befriedigende Antworten auf die grundlegenden Fragen des Lebens Das fuhrte dazu dass er waumlhrend sei-ner High-School-Jahre zum Agnos-tiker wurde Waumlhrend seiner spaumlten Jahre auf der High School begann er philosophische Literatur zu lesen um Antworten auf die Lebensfragen zu finden Aus Neugierde las er auch die Bibel Nachdem er beginnend mit dem 1 Buch Mose sechs Monate lang die Bibel gelesen hatte wurde er im Jahr 1930 Christ Er war uberzeugt dass die Bibel wahr ist und dass sie die einzigen angemessenen Antworten auf die grundlegenden philosophischen Fragen des Lebens bietet

bull Nach seiner Bekehrung verlieszlig er die Berufsschule um sich in Abendkur-sen auf das College vorzubereiten Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er in der Schule schwache Leistungen gezeigt Jetzt verbesserten sich seine Noten merklich Gegen den Wunsch seines Vaters begann er 1931 am Hampden-Sydney College in Virginia zu stu-

dieren Er absolvierte 1935 mit der Note magna cum laude Er wurde zum bdquoherausragenden Christenldquo seiner Klasse gewaumlhlt

bull Der geschichtliche und theologi-sche Hintergrund dieser Zeit waren die Auseinandersetzungen zwischen Fundamentalisten und Modernis-ten In den fruhen 1930er Jahren war Schaeffers eigene Denomination die Northern Presbyterian Church so-wohl in den Ausbildungsstaumltten als auch in den Gemeinden dabei ausei-nanderzubrechen Interessanterweise sprach bei einer Gelegenheit im Jahr 1932 ein bezahlter junger Redner daruber warum die Bibel nicht Gottes Wort und Jesus nicht Gottes Sohn sei Waumlhrend der nachfolgenden Diskus-sionszeit erhob sich Schaeffer als jun-ger Christ um das historische Chris-tentum so gut er es konnte zu vertei-digen Zu seiner Uumlberraschung gab es nur eine weitere Person die aufstand und sehr deutlich von der Bibel her und unter Benutzung von Werken J Gresham Machens seine Position ver-teidigte Ihr Name war Edith Seville Am 26 Juli 1935 heirateten Francis und Edith

Jahre auf dem Seminar

bull Im Herbst 1935 trat Francis Schaef-fer in das Westminster Theological Seminary ein Westminster war 1929

von J Gresham Machen und anderen fuhrenden Presbyterianern gegrundet worden die versuchten eine konserva-tive Alternative zum theologischen Li-beralismus zu bieten Waumlhrend seiner Zeit in Westminster wurde Schaeffer stark durch die Werke von Machen Cornelius Van Til und Allan Mac-Rae vom Biblical Theological Semi-nary gepraumlgt Interessanterweise sah Schaeff er sich selbst als jemand der in den Fuszligstapfen des auf Denkvor-aussetzungen aufbauenden apologe-tischen Programms Van Tils geht In spaumlteren Jahren gab es leider einen Riss zwischen den beiden Maumlnnern besonders von Van Tils Seite

bull 1936 enthob die Northern Presbyte-rian Church Machen wegen seines konservativen Standpunktes des Am-tes Das fuhrte zu konservativen Ab-spaltungen von der Denomination von denen auch Schaeffer betroffen war Leider wurde aufgrund mancher Konflikte innerhalb der konservati-ven Gruppen in Westminster im Jahr 1937 ein neues Seminar gegrundet das Faith Theological Seminary in Wilmington in Delaware unter der Leitung von Allan MacRae Scha-effer zog um zum Faith Theological Seminary um dort seine Studien im Jahre 1938 abzuschlieszligen Schaeffer hat spaumlter im Ruckblick auf diese Zeit manche der Zaumlnkereien und internen Streitigkeiten zu denen es unter den

Konservativen kam bedauert Spaumlter hat er zur Notwendigkeit einer bdquolie-bevolle Konfrontationldquo aufgerufen die gleichzeitig fur Wahrheit und fur sichtbare Liebe eintritt

Jahre als Pastor

bull Von 1938ndash1948 war Schaeffer Pastor verschiedener presbyterianischer Ge-meinden in Grove City und Chester Pennsylvania und ebenso in St Louis Missouri Waumlhrend ihrer Zeit in St Louis begannen er und Edith eine Or-ganisation mit dem Namen bdquoChild-ren for Christldquo (Kinder fur Christus) ndash ein evangelistischer Dienst unter Kindern der sich schlieszliglich auch in anderen Kirchen und Denominatio-nen ausbreitete

bull Im Jahr 1947 wurde Schaeffer vom Unabhaumlngigen Ausschuss fur Pres-byterianische Mission und von der Abteilung fur Auszligenbeziehungen des Amerikanischen Rates Christlicher Kirchen ausgesandt um die geistli-chen Bedurfnisse der Jugendlichen und die Konfrontation der Kirche mit dem theologischen Liberalismus im Nachkriegseuropa zu bewerten Als Ergebnis seiner drei Monate in Europa spurte Schaeffer dass Gott seine Fa-milie rief in Europa zu dienen

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

16 7 8 6 uuml

Der Umzug nach Europa

bull 1948 zogen die Schaeffers nach Lau-sanne in der Schweiz um als Missi-onare in Europa zu arbeiten Damals hatten die Schaeffers drei Toumlchter Priscilla Susan und Deborah Ihr Sohn Franky wurde 1952 geboren

bull Als sie nach Europa kamen grundeten sie zuerst bdquoChildren for Christldquo fur die Mission unter Kindern Schaeffer warnte auch weiter vor den Gefahren des theologischen Liberalismus und ebenso vor der raffinierten Bedrohung durch die Neoorthodoxie 1949 zogen die Schaeffers in das Bergdorf Cham-peacutery in der Schweiz

bull 1951 geriet Schaeffer aus mindestens zwei Grunden in eine tiefe geistli-che Lebenskrise Erstens sah er im Leben derer die fur das historische Christentum kaumlmpften nicht die Kraft des Evangeliums und das be-unruhigte ihn Zweitens erkannte er dass die Erfahrung des Herrn in seinem eigenen Leben nicht so pul-sierend war wie fruher Diese Krise brachte ihn dazu noch einmal alles zu uberdenken ndash sogar die Wahrheit des Christentums Aus diesem Erlebnis heraus kam Schaeffer zu dem festen Schluss dass es gute und ausreichende Grunde gab zu wissen dass der Gott der Bibel wirklich existiert und dass das Christentum wahr ist Er gelangte auch zu einem tieferen Verstaumlndnis fur

das vollbrachte Werk Christi und das Werk des Heiligen Geistes im Leben der Glaumlubigen Aus diesem Erlebnis heraus wurde spaumlter auch sein Buch bdquoTrue Spiritualityldquo geboren Mehr als das ndash aus dieser Krise heraus wurde LrsquoAbri geboren Schaeffer sagte immer dass ohne diese Zeit des Kampfes da-rum bdquoRealitaumlt im christlichen Leben zu findenldquo LrsquoAbri niemals entstanden waumlre

bull 1955 zogen die Schaeffers durch eine Reihe wunderbarer Umstaumlnde in das Chalet Les Meacutelegravezes in Hueacutemoz in der Schweiz Sie erhielten nicht nur die notwendigen Finanzen um das Cha-let zu kaufen Ihnen wurden auch die Visa bewilligt um in der Schweiz zu bleiben nachdem ihnen vorher von der Schweizer Regierung mitgeteilt worden war sie haumltten das Land dau-erhaft zu verlassen

LrsquoAbri (bdquoDie Zufluchtldquo)

bull Die LrsquoAbri-Gemeinschaft wurde of-fiziell im Jahr 1955 geboren Es be-gann mit Freunden Priscillas die aus der Universitaumlt in das Haus der Schaeffers kamen und Fragen uber das Christentum die Wahrheit und das Leben stellten LrsquoAbri arbeitete mit vier Grundprinzipien (1) Sie wurden nicht um Geld bitten sondern ihre Bedurfnisse Gott mitteilen (2) Sie wurden nicht um Mitarbeiter wer-

ben sondern abhaumlngig davon sein dass Gott die richtigen Leute senden wurde (3) Sie wurden nur kurzfris-tig planen um von Gottes Leitung abhaumlngig zu sein und (4) Sie wurden nicht sich selbst bekanntmachen son-dern Gott vertrauen dass er ihnen Menschen in Not senden wurde

bull Zuerst wurden Treffen und Gottes-dienste im Haus der Schaeffers abge-halten Dann wurden sie in eine ver-lassene protestantische Kirche verlegt Durch Mundpropaganda verbreitete sich die Nachricht unter Universitaumlts-studenten dass es einen Ort in den Schweizer Alpen gebe wo man ehrli-che Antworten auf die tiefsten Fragen des Lebens bekommen koumlnne Inner-halb kurzer Zeit kamen jedes Wo-chenende Studenten nach LrsquoAbri Es enstand eine Struktur von Mahlzei-ten Spaziergaumlngen Gespraumlchen und einem Sonntagsgottesdienst die alle darauf ausgerichtet waren eine Atmo-sphaumlre zu schaffen die das Gespraumlch uber philosophische und religioumlse Ge-danken anregen sollte

bull Am staumlrksten betonte LrsquoAbri ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen im Kontext von gastfreundlicher Um-gebung und sichtbarer Liebe In den fruhen Tagen dachte man nicht ein-mal an Bucher Filme und Tonbaumln-der Die Tonbaumlnder kamen zuerst nur durch ein zwischen einigen Blumen verstecktes Mikrofon zustande mit

dem die Gespraumlche jenes Abends auf-gezeichnet wurden Erst als Schaef-fer erkannte dass die Tonbaumlnder ge-braucht werden konnten um andere zu erreichen gab er zoumlgerlich seine Erlaubnis zum Beginn des Tonband-programms Schlieszliglich kamen Men-schen nach LrsquoAbri um zu studieren und zu arbeiten Schon 1957 kamen jedes Wochenende 25 Leute

bull LrsquoAbri dehnte sich uber die Schweiz hi-naus aus 1958 begann es in England Heute befinden sich LrsquoAbris uberall auf der Welt in Australien Holland Indien Sudkorea und Schweden und ebenso in den USA in Massachusetts und Minnesota16

bull Bis 1960 war LrsquoAbri in einem sol-chen Maszlige gewachsen dass es die Aufmerksamkeit des Time-Magazins auf sich zog Tonbaumlnder wurden nun weltweit verteilt und Schaeffer er-hielt Einladungen aus Europa und Nordamerika Das waren gleichzeitig schwierige Zeiten in LrsquoAbri Als mehr und mehr Studenten kamen wurden Geld und Lebensmittel knapp

bull 1965 reiste Schaeffer zuruck nach Nordamerika und hielt Vorlesungen in Boston Dann fuhr er zum Whea-ton College und hielt Vorlesungen die spaumlter die Grundlage fur sein Buch bdquoThe God Who is Thereldquo (dt bdquoGott ist keine Illusionldquo) wurden Damals schaumltzten ihn die Studenten unge-heuer die akademische Welt war je-

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 177 8 6 uuml

doch viel behutsamer darin ihn zu ak-zeptieren Am Wheaton College sprach er zum Beispiel uber Themen von de-nen die meisten Menschen in evange-likalen Kreisen niemals gehoumlrt hatten oder uber die sie nicht diskutieren durf-ten wie etwa die Filme von Ingmar Bergman und Fedrico Fellini und die Schriften von Albert Camus Jean-Paul Sartre und Martin Heidegger

bull Waumlhrend der naumlchsten zehn Jahren wurden die Schaeffers zu einer der be-kanntesten Familien in der evangelika-len Bewegung Francis veroumlffentlichte zahlreiche Bucher und Broschuren von denen die meisten aus Vorlesungen entstanden die er seit der Grundung von LrsquoAbri gehalten hatte Edith ver-oumlffentlichte eine Anzahl von Buchern uber Ehe Familie Theologie und die Geschichte von LrsquoAbri17

Die 70er Jahre

bull Im Jahr 1974 sprach Schaeffer auf der Internationalen Konferenz fur Welt-evangelisation in Lausanne Schweiz wo er stark die Bedeutung der Irrtums-losigkeit der Bibel betonte Spaumlter im Jahr 1977 half er den Internationalen Rat fur Biblische Irrtumslosigkeit zu grunden

bull Ebenfalls in den 70er Jahren begann er aufgrund der Roe gegen Wade-Ent-scheidung des Obersten Gerichtshofs der USA seine Stimme gegen Abtrei-

bung zu erheben 1977 startete er eine Tour durch 22 Staumldte mit Seminaren und Ansprachen zu der Filmreihe bdquoWie koumlnnen wir denn lebenldquo Er begann ebenfalls die Arbeit an der Filmreihe bdquoWhatever Happened to the Human Raceldquo zusammen mit C Everett Koop und Franky Schaeffer die zu einer Tour mit Ansprachen im Jahr 1979 fuhrte

bull Schaeffers Kulturkritik und seine Verteidigung des historischen Chris-tentums lieszligen ihn in seinen Werken auch zu Themen wie Reinheit in Lehre und Leben Abtreibung Euthanasie Oumlkologie Krieg und Frieden sowie Burgerrechte seine Stimme erheben Schaeffer sprach sich lange und hart gegen das Eintreten der Kirche fur den Status Quo aus Er richtete sich be-sonders gegen ihre Annahme der ame-rikanischen Lebensphilosophie die seit den 50er Jahren die Gesellschaft durchdrungen hatte naumlmlich die Phi-losophie dass man nur fur bdquopersoumln-lichen Frieden und Wohlstandldquo lebt Er rief nach einer neuen Generation von Christen die wirklich bdquorevolutio-naumlrldquo sein sollten in ihrem Eintreten fur Wahrheit sowohl in der Lehre als auch im Leben

Die 80er Jahre

bull In den 1980er Jahren wurde Schaeffer aufgrund von dem was als Verschie-bung zum bdquoKonservativismusldquo wahr-

genommen wurde zunehmend von evangelikalen Akademikern und poli-tisch liberalen Evangelikalen entfrem-det Das geschah besonders aufgrund seiner Veroumlffentlichung bdquoA Christian Manifestoldquo (1981) das nicht nur den Aufstieg der bdquoMoral Majorityldquo lobte sondern auch Christen dazu aufrief ge-gen Abtreibung einzustehen und falls noumltig zivilen Ungehorsam zu prakti-zieren Interessanterweise sah Schaeffer selbst keine Verschiebung in seinem Denken gegenuber den 70er Jahren Er sah vielmehr seine Arbeit in den 80er Jahren als die logische Fortsetzung seiner Entscheidung die Wahrheit zu praktizieren und die Herrschaft Christi uber das gesamte Leben herauszuarbei-ten sei es das Leben im Mutterleib in der Kirche oder im Houmlrsaal

bull Im Jahr 1984 als er immer noch ge-gen den 1978 bei ihm diagnostizier-ten Krebs kaumlmpfte unternahm er buchstaumlblich auf dem Sterbebett eine Rundreise durch 13 Staumldte bei der er zehn christliche Colleges besuchte Dies geschah in Zusammenhang mit seinem letzten Buch The Great Evan-gelical Disaster (dt Die groszlige Anpas-sung Der Zeitgeist und die Evange-likalen) Auf seiner letzten Rundreise sprach er leidenschaftlich im Namen des Evangeliums warnte dabei und flehte die evangelikale Gemeinde an weder in der Lehre noch in der Praxis Kompromisse in Bezug auf die Auto-

ritaumlt der Bibel einzugehen Er nannte dabei sogar Namen derer von denen er glaubte dass sie das getan haumltten Er rief eine neue Generation von Christen dazu auf fur die Wahrheit einzutreten in seinen Worten bdquoRadikale fur Chris-tusldquo zu sein

bull Am 15 Mai 1984 einen Monat nach-dem die Rundreise abgeschlossen war starb er in Rochester Minnesota

Lehren die wir aus dem Denken Francis Schaeffers ziehen koumlnnen

Ideen haben Konsequenzen

Eines der groszligen Vermaumlchtnisse des Werkes Francis Schaeffers war es uns zu zeigen dass bdquoIdeen Konsequenzen ha-benldquo18 Auch wenn seine Analyse nicht in allen Teilen vollstaumlndig korrekt war hatte Schaeffer doch ganz Recht darin dass die westliche Gesellschaft eine bdquoLi-nie der Verzweiflungldquo erlebt hatte ndash einen langsamen Prozess durch den Ideen hi-nuntersickerten von der Philosophie zur Kunst zur Musik zur allgemeinen Kul-tur und schlieszliglich zur Theologie19 Das kulturelle Durcheinander in dem wir le-ben kam nicht aus dem Nichts sondern hat eine lange Geschichte

Wie Schaeffer uns immer wieder erin-nert hat gibt es bei der Entfaltung von Ideen einen Einfluss in die Geschichte

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

18 7 8 6 uuml

ndash sei es zum Guten oder zum Schlech-ten Zusaumltzlich lehrte uns Schaeffer dass wir um unsere Gegenwart zu verstehen auch den Lauf der Geistesgeschichte er-fassen mussen die uns vorausging Dies betrifft auch die Auswirkungen die sie auf uns hat und haben wird wenn die Menschen schlieszliglich gemaumlszlig ihren Glaubensuberzeugungen handeln Ei-gentlich warnte uns Schaeffer dass wir wenn wir die Geistesgeschichte nicht durchdenken werden wir nicht nur un-sere eigene Zeit missverstehen sondern wir werden auch zu unserem gegen-waumlrtigen Zeitalter nichts Konstruktives zu sagen haben werden Wir werden unvermeidlich dem sprichwoumlrtlichen Frosch im Wassertopf gleichen der die Tatsache nicht wahrnimmt dass das Wasser langsam erhitzt wird und dass das Ergebnis wenn er nicht sofort aus dem Topf springt Zerstoumlrung sein wird

Fur christliche Leiter Pastoren und Lehrer ist diese Lehre von aumluszligerster Wichtigkeit Wenn wir unserem Herrn und seinem Volk treu bleiben wollen wenn wir unserer Generation etwas Loh-nendes sagen wollen wenn wir die sein wollen die wirklich ihre Zeit verstehen und zu den draumlngenden Fragen des Ta-ges Stellung nehmen wollen dann wird das nicht weniger erfordern als ein tief-gehendes Verstaumlndnis des Tages und des Zeitalters in dem wir zu dienen und zu arbeiten berufen sind Doch nicht nur das es erfordert ebenso eine ganze Hin-gabe an den Herrn und sein Wort In

diesem Zusammenhang zitierte Schaef-fer oft und gerne die beruhmte Aussage Martin Luthers

Wenn ich auch mit der lautesten Stimme und klarsten Darlegung jedes Stuck der Wahrheit Gottes bekenne mit Ausnahme genau jenes kleinen Punktes den die Welt und der Teufel im Mo-ment angreifen dann bezeuge ich nicht Christus wie lautstark auch immer ich mich zu ihm bekenne Die Treue eines Soldaten beweist sich da wo gerade der Kampf wutet Auszligerhalb des Kampfes an der Front standhaft zu sein ist nichts anderes als Flucht und Schande wenn man am entscheidenden Punkt zuruckweicht20

Das war fur Francis Schaeffer keine Theorie Fur ihn war das eine Sache auf Leben und Tod Wir mussen so warnte er die Wichtigkeit von bdquoIdeenldquo begrei-fen um unsere Zeiten recht zu verste-hen Wenn wir das nicht tun werden wir naumlmlich vom bdquoGeist unserer Zeitldquo hinweggefegt werden ohne auch nur zu merken was uns geschieht

Der Kampf des Tages Die Idee der Wahrheit

Was war demnach fur Schaeffer die bdquoSchlusselideeldquo die wir heute begreifen mussen Was sollte die Kirche aus ei-ner Analyse der Geistesgeschichte ler-nen um dem Herrn heute treu bleiben zu koumlnnen Was ist unser Kampf Fur

Schaeffer ist die Antwort unstrittig Un-ser Kampf heute ist ein Kampf fur die Idee und das Konzept von Wahrheit an sich

Die heute zwischen den Generationen aufgebrochene Kluft ist zum groumlszligten Teil durch einen Wandel im Wahr-heitsverstaumlndnis entstanden Wo immer wir hinschauen herrscht dieses neue Verstaumlndnis vor Es umgibt uns als ein nahezu fugenloser Meinungsblock auf allen Gebieten sei es in den Kunsten in der Literatur oder auch nur beim Lesen von Zeitungen und Wochenschriften wie Spiegel Weltwoche Welt am Sonn-tag Sunday Times LlsquoExpreszlig de Paris Elsevierlsquos Weekblad und anderen mehr Von allen Seiten her spuren wir den Wurgegriff einer neuen Methodologie ndash und mit Methodologie meinen wir die Art und Weise wie wir an Wahrheits-erkenntnis und Wissen herangehen Es ist erstickend wie der dichteste Londo-ner Nebel Und sowenig sich der Nebel durch Waumlnde und Turen abhalten laumlsst so wenig koumlnnen wir uns der vorherr-schenden Meinung entziehen Das geht so weit dass wir in unseren eigenen vier Waumlnden nicht mehr klar sehen und uns doch nicht erklaumlren koumlnnen was eigent-lich geschehen ist Die Tragik unserer heutigen Situation liegt darin dass die neue Einstellung zur Wahrheit Maumlnner und Frauen in ihren Lebensgrundlagen erschuttert hat ohne dass sie sich jemals Rechenschaft uber den neuen Kurs ge-geben haben Die jungen Menschen

werden zunaumlchst im Rahmen des alten Wahrheitsverstaumlndnisses erzogen Dann geraten sie unter den Einfluss der mo-dernen Auffassung Mit der Zeit wer-den sie unsicher weil sie die ihnen vor-gelegte Alternative nicht durchschauen Diese Unsicherheit fuhrt zu Verwirrung und bald zu einem inneren Zerbruch ndash unglucklicherweise nicht nur bei jun-gen Menschen sondern auch bei vielen Pfarrern Lehrern Evangelisten und Missionaren So ist wie ich meine die veraumlnderte Auffassung uber den Weg der zu Erkenntnis und Wahrheit fuhrt das entscheidende Problem das sich der Christenheit heute stellt21

In der Literatur der Gegenwart sei sie philosophisch wissenschaftlich litera-risch oder theologisch wird fur das auf was Schaffer sich bezieht oft der Begriff bdquoPostmodernismusldquo gebraucht Auch wenn Schaeffer selbst niemals den Be-griff benutzte sah er den Inhalt voraus und beschrieb ihn bevor der Gebrauch des Begriffs Mode wurde22 Schaeffer hatte eine Gabe das zu tun Oft konnte er bdquosehenldquo wohin Ideen gingen weil er die Maxime ernst nahm bdquoIdeen haben Konsequenzenldquo Im heutigen Gebrauch bezeichnet bdquoPostmodernismusldquo eine Denkweise die fest verknupft ist mit der Verleugnung von Wahrheit in jedem objektiven universalen Sinn Er wird oft dem bdquoModernismusldquo gegenubergestellt der viel vom Geist der Aufklaumlrung wi-derspiegelt einem Geist der interessan-

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 197 8 6 uuml

terweise viel vom Christentum entliehen hat Wie das Christentum so glaubte auch er dass Wahrheit objektiv und uni-versal sei und dass die Vernunft durch Forschung und Untersuchung Wahrheit erlangen koumlnne Anders als das Chris-tentum versuchte er jedoch Wahrheit ohne Abhaumlngigkeit von Gott und sei-nem gesprochenen Wort zu entdecken Statt dem christlichen Motto bdquoGlaube sucht zu verstehenldquo zu folgen und die Prioritaumlt der goumlttlichen Offenbarung zu unterstreichen versuchte der Modernis-mus dem Programm bdquoIch verstehe um zu glaubenldquo zu folgen In diesem Sinn versuchte der Modernismus dann alle Wahrheitsanspruche seien sie philoso-phischer oder theologischer Art unter der bdquoAutoritaumltldquo des menschlichen Ver-standes unabhaumlngig von Gottes Wort zusammenzufassen Der Postmodernis-mus auf der anderen Seite ist in Wirk-lichkeit logisch zu Ende gedachter Mo-dernismus und ist sich daher erkenntnis-theoretisch seines Ausgangs und seines Ergebnisses viel bewusster23 In diesem Sinn nimmt der Postmodernismus das Projekt der Aufklaumlrung ernst das sein Zentrum im autonomen Selbst hat Dann aber kommt er zu Recht und iro-nischerweise zu dem Schluss dass wenn die Sicht der Aufklaumlrung richtig ist die Wahrheit niemals universal sein koumlnne Warum Der einfache Grund ist dass endliche Menschen und Gemeinschaf-ten zu sehr historisch positioniert und

soziologisch abhaumlngig sind als dass sie jemals einen bdquoGesichtspunkt mit Gottes Augeldquo d h einen objektiven universa-len unbefangenen Gesichtspunkt liefern koumlnnten Wahrheit kann letztlich nicht das sein was der Modernismus von ihr zu sein erwartete sie muss vielmehr perspektivisch provisorisch und endlich sein Letztendlich ist sie das was die Ge-meinschaft am houmlchsten bewertet d h sie ist pragmatisch

Falls der Postmodernismus wahr ist sind naturlich alle Behauptungen von Einzelnen oder Gemeinschaften bdquodie Wahrheitldquo zu kennen notwendigerweise falsch ndash tatsaumlchlich eine interessante Iro-nie Postmodernismus ist im Tiefsten ein Misstrauen gegen jeden der sagt bdquoSo ist esldquo oder bdquoDas ist die Wahrheitldquo und als solcher neigt er zu einem umfassenden Pluralismus Relativismus und Skepti-zismus So erinnert uns D A Carson daran dass heute bdquoder einzige absolute Glaube der Glaube an den Pluralismusldquo ist24 ndash d h jedermanns Gesichtspunkt ist willkommen ob er nun philosophi-sche moralische oder religioumlse Themen betrifft Auch wenn Francis Schaeffer niemals das Wort bdquoPostmodernismusldquo gebrauchte warnte er uns vor der Idee und ihren Konsequenzen Eigentlich war es diese bdquoIdeeldquo die er kontinuier-lich in seinen Buchern und Vortraumlgen herausgearbeitet hat damit wir sie ver-stehen und begreifen Im Kern so vieler Themen mit denen die Kirche konfron-

tiert ist so argumentierte er liegt eine erkenntnistheoretische Verschiebung die im Denken und in der Kultur des Westens stattgefunden hat ndash eine Ver-schiebung die wir nun Postmodernis-mus nennen eine Verschiebung weg von der Wahrheit oder von dem was er bdquowahre Wahrheitldquo nannte25

Wenn wir diese Verschiebung nicht verstehen sie nicht ernst nehmen und ihr nicht entgegentreten so warnte er uns auch dann werden wir nicht den Kampf unserer Tage als gute Soldaten Jesu Christi kaumlmpfen Am Ende werden unser Lehren Predigen unsere Apologe-tik und unsere Evangelisation auf taube Ohren stoszligen weil sie nicht angemessen unsere Generation ansprechen

Unsere Generation wird die Darbie-tung des Evangeliums entweder als ein Relikt einer vergangenen Aumlra oder in den Kategorien einer postmodernen Gesellschaft houmlren und daher das Evan-gelium relativieren26 Was heute letzt-lich auf dem Spiel steht so behauptete Schaeffer ist ein Kampf um das gesamte Weltbild Nicht laumlnger geht es bei dem Kampf fur das Evangelium um diesen oder jenen Punkt sondern um die ge-samte Struktur und den Rahmen ndash ein Kampf bei dem es nach Ausmaszligen und Konsequenzen um Leben und Tod geht Es ist diese letzte Beobachtung die neu von Francis Schaeffer gelernt werden muss Schaeffers groszliges Anliegen war die Verkundigung des Evangeliums und

der Aufbau der Kirche Er wollte treu zu seiner Generation in solch einer Weise sprechen dass das Evangelium als das gehoumlrt wurde was es wirklich war Des-halb muhte er sich darum Menschen die Geistesgeschichte verstehen zu lassen ndash nicht um der Neugierde willen son-dern mit dem Ziel ihre Zeit besser zu verstehen Bei aller berechtigten Debat-te uber die Genauigkeit von Schaeffers Interpretation solcher Leute wie Thomas von Aquin Georg Friedrich Hegel Souml-ren Kierkegaard verschiedener Kunstler und Musiker und sogar Karl Barths er-kennen die meisten an dass Schaeffers Gesamtanalyse korrekt ist ndash eine Analy-se die zu oft sowohl in ihren theoreti-schen als auch praktischen Auswirkun-gen vergessen worden ist

Ohne Berucksichtigung aller Details lag Schaeffer darin richtig die erkennt-nistheoretischen Verschiebungen zu be-tonen die in der westlichen Gesellschaft stattgefunden hatten Verschiebungen die unglaubliche praktische Konsequen-zen haben Wir wollen kurz drei dieser praktischen Auswirkungen hervorhe-ben vor denen Schaeffer uns warnte und die fur die Kirche heute von besonderer Wichtigkeit sind

Die Verschiebung zur Erfahrung

Mit dem Verlust der Wahrheit geht eine zunehmende Verschiebung zur Erfah-rung einher zu einer Erfahrung aller-

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

20 7 8 6 uuml

dings die oft ohne Inhalt und Wahr-heit ist In seiner Analyse des westlichen Denkens vertritt Schaeffer die Auffas-sung dass der moderne Mensch zuneh-mend begann die Welt auf eine natu-ralistische Art zu betrachten27 In der Wissenschaft gab es eine Verschiebung von der Ansicht dass es eine Gleichfoumlr-migkeit naturlicher Ursachen in einem kontrollierten System gebe durch die Gott das System staumlndig erhaumllt und so-gar eingreifen kann wenn er sich dazu entscheidet hin zu der Sicht dass es ein geschlossenes System gebe dass Gott ausschlieszligt In der Philosophie beson-ders in der des Westens gab es einen wachsenden aufklaumlrerischen Impuls hin zum bdquoRationalismusldquo28 das heiszligt zu ei-ner Geisteshaltung die versuchte durch die menschliche Vernunft eine einheitli-che Sicht von Welt und Leben zu liefern

Dies geschah in einer solchen Wei-se dass die Vernunft zunehmend un-abhaumlngig von goumlttlicher Offenbarung funktionierte Diese Verschiebungen fuhrten jedoch wie Schaeffer behaup-tete schlieszliglich zu einer dichotomen Sicht der Wirklichkeit die er bdquodas Un-ter- und das Obergeschossldquo nannte Das laumlsst sich belegen durch Dialektiken wie die der Spaltung in bdquoNatur-Freiheit und bdquoPhaumlnomenon-Noumenonldquo bei Imma-nuel Kant29 Das Problem bei dieser dialektischen Sicht der Wirklichkeit so behauptet Schaeffer besteht darin dass sie uns mit einer schrecklich gespaltenen

Sicht von der Welt zurucklaumlsst Die un-abhaumlngig von der goumlttlichen Offenba-rung handelnde menschliche Vernunft hat keine Moumlglichkeit zu begrunden wie diese naturalistische determinierte auf Ursache und Wirkung aufbauende unpersoumlnliche Welt im bdquoUntergeschossldquo (d h im Bereich der bdquoNaturldquo) dem bdquoObergeschossldquo (d h dem Bereich der bdquoFreiheitldquo) in dem wir versuchen Sinn Werte Ziele und Freiheit zu finden eine vernunftgemaumlszlige Grundlage geben kann Was sollen also die Menschen tun Leben sie konsequent nach den Schlussfolgerungen zu denen sie ihre Vernunft im bdquoUntergeschossldquo gefuhrt hat ndash naumlmlich dass sie determiniert und ohne Bedeutung sind Nun man-che versuchen das Nach der Lehre der Schrift jedoch so beobachtet Schaeffer ist diese Sicht der Wirklichkeit falsch alle Menschen sind nach dem Bild Got-tes gemacht

Es ist daher nahezu unmoumlglich mit solch einer Sicht zu leben Die Men-schen geben daher in der Praxis die Moumlglichkeit einer Vereinigung dieser dichotomen Bereiche auf d h sie geben die Hoffnung auf Wahrheit im Sinne einer einheitlichen Weltsicht auf und bewegen sich dann auf Irrationalitaumlt zu Sie argumentieren fur Sinn Werte Ziele und Freiheit tun dies jedoch ohne eine vernunftgemaumlszlige Grundlage Sie le-ben im bdquoGlaubenldquo mit einem Glauben jedoch der wenig oder keinen Inhalt

und kein vernunftgemaumlszliges Fundament hat Sie setzen in das bdquoObergeschossldquo wie Schaeffer wiederholt betonte eine Konzentration auf Erfahrung eine Er-fahrung allerdings die fur alles offen ist eine Erfahrung die so verschiedenartig sein kann wie Drogen und Sex in den 1960er Jahren und New-Age- Spirituali-taumlt in den 1980ndash90er Jahren30 Fur Scha-effer ist daher die beste Charakterisie-rung bdquopost-modernerldquo Menschen (oder wie er es nannte bdquomoderner modernerldquo Menschen) dass sie mit der Dichotomie zwischen dem bdquoUnter- und dem Ober-geschossldquo leben Fur ihn war das nicht nur eine schlaue Feststellung es war das Herzstuck der Sache Welche prak-tischen Folgen hat das heute fur uns Eine massive Folgewirkung hat das so behauptet Schaeffer fur unsere Evange-lisation Bei unserer Verkundigung des Evangeliums mussen wir uns bestaumlndig daran erinnern dass wir zu Menschen predigen die mit dieser Dichotomie le-ben Und wenn wir nicht vorausahnen wie sie houmlren werden was wir sagen gehen wir das Risiko ein mit ihnen nicht auf geeignete Weise zu kommuni-zieren Wir riskieren es sogar Bekehrte zu machen die an Jesus bdquoglaubenldquo als lediglich eine weitere bdquoObergeschossldquo-Erfahrung losgeloumlst von Wahrheit Ver-nunftgemaumlszligheit und Wirklichkeit Und Schaeffers Kritik an der evangelikalen Bewegung konzentrierte sich genau auf diesen Punkt Auf der einen Seite war

er besorgt dass Evangelikale bei ihrer Evangelisation Lehre und Inhalt zu-gunsten von Erfahrung herunterspiel-ten Wenn wir Menschen zum retten-den Glauben rufen mussen wir ihnen klarmachen dass die Wirklichkeit des Evangeliums bdquowahre Wahrheitldquo weiter-gibt Wir mussen dabei Menschen mit dem bdquoGott der keine Illusion istldquo kon-frontieren

Die Menschen mussen begreifen dass Glaube kein blinder Sprung ist sondern verwurzelt und gegrundet ist in der Wahrheit Erfahrung ist wich-tig und Schaeffer betonte diese Tatsa-che stark Aber Erfahrung darf nicht losgeloumlst von der Wahrheit sein31 Auf der anderen Seite war er im Bereich der akademischen Theologie besorgt dass Evangelikale zu viel aus der Theologie der Neoorthodoxie ubernahmen Er glaubte es sei ein Fehler gigantischen Ausmaszliges mit Karl Barth eine Position zu vertreten die die Moumlglichkeit sol-cher Fehler in der Schrift einraumlumt die nicht unseren Glauben an den Herrn Jesus Christus negativ beeinflussen Er sah Barths Theologie als ein weiteres Beispiel dafur an wie das zeitgenoumlssi-sche Denken die Wirklichkeit dichoto-misiert und bdquoGlaubenldquo und Theologie von vernunftgemaumlszliger Begrundung und verifizierbarer Geschichte scheidet32 In diesen Punkten liegt Schaeffer richtig Die evangelikale Bewegung darf beson-ders heute die Themen Wahrheit Inhalt

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 217 8 6 uuml

und Lehre nicht vergessen Erfahrung ist wichtig Aber Erfahrung muss im-mer in der Wahrheit des Wortes Gottes begrundet sein Ausgehend von der Ten-denz unserer Generation sich auf Erfah-rung zu berufen mussen wir vorsichtig sein dass wir uns nicht an unsere Zeit anpassen Es ist sehr wichtig was wir glauben und letztendlich an wen wir glauben Nicht jeder bdquoGlaubeldquo oder jede bdquoGlaubensformldquo sind gleichwertig Das fuhrt mich zu einer zweiten praktischen Folge vor der uns Schaeffer warnte

Die Herausforderung des religioumlsen Pluralismus

Mit dem Verlust der Wahrheit werden eine zunehmende Betonung des religiouml-sen Pluralismus und ein Herunterspielen der Ausschlieszliglichkeit des Evangeliums einhergehen Wenn Schaeffer uber reli-gioumlsen Pluralismus sprach bezog er sich nicht auf die empirische Beobachtung dass es viele Religionen auf der Welt gibt und dass es sogar im Westen wo das Christentum einst vorherrschend war ein zunehmendes Wachstum von Religionen gibt Er bezog sich viel-mehr auf die Geisteshaltung die nicht zulaumlsst dass irgendeine Religion wahr oder besser als die andere ist Er sah dies als eine praktische Konsequenz aus der Verleugnung der Wahrheit an Wir die wir am Anfang des 21 Jahrhunderts le-ben werden mit dieser Haltung uberall

konfrontiert Wenn die Southern Bap-tist Vollversammlung Gebetsbriefe ver-sendet und darin sagt dass Juden und Hindus evangelisiert werden mussen weil sie verloren sind dann koumlnnen wir uns vorstellen welche Art von Reaktio-nen sie auszligerhalb der Kirche und leider auch bei denen die sich mit der Kirche identifizieren hervorrufen Bei Schaef-fer ist an diesem Punkt interessant dass er das bereits vor langer Zeit in den 1960er Jahren kommen sah33 Als eine wichtige Begleiterscheinung des Verlus-tes der Wahrheit sah er voraus dass ein umfassender Pluralismus an ihre Stelle gesetzt wurde Und Teil unserer Beru-fung in unserer Generation ist es an diesem Punkt fest zu stehen und einen ausschlieszliglichen Christus ohne Kom-promisse in einem inklusiven pluralis-tischen Zeitalter zu verkundigen

Die Entwertung des menschlichen Lebens

Mit dem Verlust der Wahrheit geht eine dritte praktische Folge einher naumlmlich die Entwertung des menschlichen Le-bens Ich habe das schon oben erwaumlhnt und werde unten darauf hinweisen Es ist jedoch wichtig aufzuzeigen dass Schaeffers Vorhersage der nachchrist-liche Westen werde beginnen das Le-ben zu entwerten eine Vorhersage war die in seiner Analyse der Verschiebung von Ideen weg vom einem christlichen

Verstaumlndnis der Welt zu einem mo-dernen und schlieszliglich postmodernen Verstaumlndnis der Wirklichkeit verwurzelt war Schaeffer hatte die Menschen seit Jahren gewarnt dass das Weltbild des Westens sich in Richtung auf eine In-terpretation der Wirklichkeit allein im Sinne eines unpersoumlnlichen geschlosse-nen Systems bewege Naturlich war die Folge davon nicht nur dass Chemie und Physik innerhalb eines bdquogeschlos-senen Systemsldquo interpretiert wurden sondern das gleiche geschah mit den Geisteswissenschaften der Psychologie Soziologie der Literaturwissenschaft und sogar der Theologie Darin lag eine massive Wende zum Unpersoumlnli-chen und das so sagte Schaeffer vo-raus wurde zu einer Entwertung des menschlichen Seins fuhren Naturlich lag Schaeffers Vorhersage genau richtig Ethische Fragen und heute ubliche De-batten (uber Abtreibung Kindestoumltung Euthanasie Klonen) sind saumlmtlich Be-lege fur den Ausverkauf des Wertes des menschlichen Lebens Aus diesem Grund nahm Schaeffer eben diesen Standpunkt an der sozialen Front ein Es war nicht ein Standpunkt fernab von seiner Theologie vielmehr unterstrich er ihn genau aus dem Grund weil er sah dass Ideen Konsequenzen haben und dass die Wahrheit zum Handeln ruft Wie ich festgestellt habe ist Schaeffers staumlndige Betonung dass bdquoIdeen Kon-sequenzen habenldquo eines seiner groszligen

Vermaumlchtnisse das zu vernachlaumlssigen eine groszlige Gefahr bedeutet Auszligerdem mussen wir von Schaeffer lernen heu-te unserem Herrn treu zu bleiben und das Evangelium in einer solchen Weise zu verkundigen dass es wirkungsvoll zu den Menschen spricht Wir mussen Christen dafur auszurusten ihre Welt zu verstehen und in ihr auf eine solche Weise zu leben dass sie nicht von ihr gepraumlgt werden Er lehrte uns dass dies nicht lediglich akademische Fragen sind sondern Fragen auf Leben und Tod

Die Wichtigkeit des Denkens in Weltbildern

Francis Schaeffer lehrte uns nicht nur dass bdquoIdeen Konsequenzen habenldquo Er erinnerte uns auch daran dass die ent-scheidenden bdquoIdeenldquo um die die Debatte geht letztlich eine Frage des Weltbildes sind Das ist zwar keine neue Beobach-tung aber eine die bis vor kurzem oft vernachlaumlssigt wurde34 Ausgehend von den ungeheuren Verschiebungen die in der Gesellschaft stattgefunden haben ist es wichtig zu erkennen dass wir in einem Kampf stehen bei dem es nicht nur um diesen oder jenen Punkt der christlichen Wahrheit geht Es geht um ganze Systeme von Weltbildern die im Widerstreit liegen Schaeffer sprach von diesen Unterschieden der Weltbilder als von Unterschieden der Denkvorausset-zungen35 Er vertrat die Auffassung dass

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

22 7 8 6 uuml

im Westen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts jeder ndash Christen und Nichtchristen gleicherweise ndash unter dem starken Einfluss einer christlichen Sicht der Wirklichkeit von den grundlegend selben Denkvoraussetzungen ausging Auch wenn man argumentieren koumlnn-te dass die Nichtchristen aufgrund ihrer Zuruckweisung des christlichen Weltbildes kein Recht haumltten von die-sen Denkvoraussetzungen auszugehen koumlnnte man doch sagen dass es eine Ge-meinsamkeit im Denken gab Als aber schlieszliglich die Menschen begannen in einer konsequenteren Weise nach ihren Denkvoraussetzungen zu handeln und sie das noch weiter von dem christli-chen Weltbild wegfuhrte merkten viele Christen nicht was geschehen war Und so passierte was Schaeffer folgenderma-szligen kommentiert

bdquoDie Fluten von saumlkularem Denken und liberaler Theologie uberschwemmten die Kirche weil die Leiter die Bedeutung des Kampfes gegen das Bundel falscher Denkvoraussetzungen nicht verstanden Sie kaumlmpften weitgehend auf dem fal-schen Territorium und hinkten daher elend hinterher statt in der Verteidi-gung und der Kommunikation vorne zu sein Dies ist eine wirkliche Schwaumlche die unter den Evangelikalen selbst heute schwierig zu korrigieren istldquo36

Der Mangel in Weltbildern zu denken ist auszligerdem so argumentiert Schaef-fer zuruckzufuhren auf die Art unserer

Ausbildung sei sie christlicher oder sauml-kularer Art Er beobachtete scharfsin-nig dass wir in unserer Ausbildung oft zu einer Spezialisierung neigen ohne die Wechselbeziehungen zwischen den Disziplinen zu sehen und einen Uumlber-blick zu gewinnen d h ohne das Welt-bild zu sehen Dadurch stehen wir in der Gefahr die Beziehungen verschiedener Ideen zueinander nicht zu sehen und so auch die Konsequenzen der Ideen nicht wahrzunehmen Schaeffer stellt fest

Eine groszlige Schwaumlche unseres heutigen Bildungssystems ist das mangelnde Ver-staumlndnis der naturlichen Beziehungen zwischen den Disziplinen Wir betrei-ben unsere Wissenschaften als waumlren sie beziehungslose parallel nebeneinander herlaufende Linien Diese Fachblind-heit begegnet uns sowohl im christlichen als auch im weltlichen Bildungswesen und deshalb wurden die christlichen Kreise von dem groszligen Erdrutsch in unserer Generation uberrascht Wir ha-ben unsere Exegese als Exegeten unsere Theologie als Theologen Philosophie als Philosophen betrieben Wir studierten Kunst als Kunst und Musik als Mu-sik ohne daran zu denken dass dies alles Lebensaumluszligerungen des Menschen sind und dass Lebensaumluszligerungen des Menschen niemals beziehungslos neben-einander herlaufende Parallelen sein koumlnnen37

Das ist eine wichtige Lektion die wir besonders in unseren Tagen lernen

mussen In vielerlei Hinsicht sind wir wieder dort wo Paulus in Athen zu ei-ner Zuhoumlrerschaft und einem Umfeld predigte das pluralistisch heidnisch und dem Christentum in Bezug auf sein Weltbild fremd war (Apostelgeschichte 17) Aus diesem Grund vertritt Schaef-fer unter Berufung auf Texte wie Apg 17 wiederholt die Auffassung dass wir bdquoPrauml-Evangelisationldquo betreiben mussen was er eng mit Apologetik verband Er vertrat die Auffassung dass es zwei Ziele der Apologetik gebe Erstens das christliche Weltbild gegen Angriffe zu verteidigen und Menschen Grunde zu nennen warum wir glauben das das Christentum wahr sei Es gibt aber noch ein zweites Ziel der Apologetik das eng mit Evangelisation verbunden ist Wir mussen naumlmlich das Evange-lium unserer Generation in Begriffen die sie verstehen kann weitergeben Teil unserer Aufgabe in Evangelisation und Apologetik ist es daher das Evangelium als das darzubieten was es wirklich ist innerhalb des Weltbildes der Menschen unserer Generation Nur dann werden Menschen die Anspruche und Forde-rungen die das Evangelium an sie stellt richtig houmlren38

Das wirkte sich im Leben Schaeffers praktisch so aus dass er in seiner Evan-gelisation und seiner Darbietung des christlichen Glaubens nicht mit bdquoNimm Jesus als Retter aufldquo begann Stattdes-sen pflegte er dort zu beginnen wo die Schrift beginnt Er fing mit der Lehre

von Gott an damit die Weltbildstruk-turen des christlichen Glaubens zu er-richten die in der Lehre von der Schoumlp-fung der Offenbarung und dem histo-rischen Sundenfall grunden und dann und wirklich erst dann ging er zur Erlouml-sung uber dazu die Menschen auf den Herrn Jesus Christus zu verweisen der allein ihre einzige Hoffnung ist39 Wa-rum Wie Paulus in Athen wusste er Wenn er nicht zuerst einen biblischen Bezugsrahmen d h ein Weltbild ent-wickelte wurde die Verkundigung des Evangeliums keinen Sinn ergeben und seine Zuhoumlrer wurden das Evangelium nicht als das houmlren was es wirklich ist in seinen eigenen Kategorien und in sei-nen eigenen Begriffen Schaeffer hatte wie Paulus das groszlige Anliegen dass das Evangelium nicht faumllschlich aufgegeben oder in einen anderen fremden Welt-bildrahmen umgedeutet werden wurde weil das nur zu einer Entstellung der Botschaft des Evangeliums fuhrt Um Jesus Christus nicht nur als einen wei-teren Gott oder Retter sondern als aus-schlieszliglichen Herrn Retter und Richter besonders in unserem pluralistischen postmodernen inklusiven Zeitalter dar-zubieten war es zwingend wie Schaef-fer sah ein biblisch-theologisches Rah-menwerk aufzubauen das in der Hand-lung der Schrift verwurzelt ist Er sah also dass es entscheidend war in einem Weltbild zu denken das in dem einen Gott der wirklich bdquoda istldquo verwurzelt und gegrundet ist In Wahrheit war das

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 237 8 6 uuml

wozu uns Schaeffer aufrief und was er in seinem eigenen Leben vorbildhaft dar-stellte das Treiben von Theologie Im weitesten Sinne ist es die Aufgabe der Theologie die ganze Schrift auf die Fra-gen des Lebens anzuwenden Sie muss innerhalb der Kategorien der Struk-turen und der Lehren der Schrift dem Handlungsablauf der Schrift folgen und ihn auf die Welt anwenden Sie muss aus dem Weltbild der Schrift heraus leben und dieses biblisch-theologische Rah-menwerk uber alle anderen Weltbilder stellen

Kurz gesagt muss sie neu lernen wie man bdquodie Gedanken Gottes ihm nach-denktldquo und bdquojeden Gedanken in den Gehorsam gegen Christus gefangen-nimmtldquo40 Das war Schaeffers Staumlrke und das ist eine andere entscheidende Lektion die wir von ihm lernen mussen Ich bin von Folgendem uberzeugt Die Tatsache dass Schaeffer staumlndig auf der Weltbildebene gedacht hat erklaumlrt wa-rum er so unerbittlich darauf bestand dass Evangelikale an gewissen Punkten der Lehre keine Kompromisse einge-hen durfen Weil er erkannte dass der christliche Glaube ein Weltbild war und dass seine Einzelteile als ein Gan-zes bdquozusammenhingenldquo war er sehr be-sorgt wenn evangelikale Gelehrte an einigen dieser scheinbar bdquounbedeuten-denldquo Punkten nagten So war es ihm zum Beispiel ein groszliges Anliegen dass Adam als eine historische Gestalt und

der Sundenfall als ein Ereignis in Raum und Zeit angesehen wurden und dass die ersten Kapitel des 1 Buches Mose nicht ihrer Geschichtlichkeit beraubt wurden Warum Weil er zu Recht sah dass wir die Bibel zu ihren eigenen Be-dingungen annehmen mussen dass wir diese entscheidenden Ausgangspunkte beibehalten mussen die die Bausteine fur den Rest der Geschichte sind

Denn sonst wurde nicht nur das Welt-bild des historischen Christentums zu-sammenbrechen sondern letzten Endes wurde der christliche Glaube selbst zu nicht mehr als einer weiteren Sache im bdquoObergeschossldquo werden fern von ver-nunftgemaumlszliger Begrundung von der Wahrheit und vom dem Gott der wirk-lich bdquoda istldquo41 Auf dem Spiel steht mit anderen Worten nicht nur ein Punkt der Lehre sondern der ganze Anspruch des Weltbildes und in Wirklichkeit das Evangelium Wenn wir von Schaeffer an diesem Punkt lernen wollen muss unser Denken Lehren Predigen und Leben viel mehr bdquoweltbildlichldquo sein In unse-rem Kampf heute geht es um ganze Sys-teme von Weltbildern Daher mussen wir in unserem Lehren und Predigen haumlrter daran arbeiten den Menschen zu zeigen wie die Teile der Schrift als ein schlussiges Ganzes zusammenhaumln-gen und wie diese Teile zur Bildung eines Weltbildes fuhren Es gilt aber noch mehr In unserer Evangelisation im Sprechen zu einer Kultur die zuneh-

mend mit fremden Weltbildern operiert und wenig uber den christlichen Glau-ben weiszlig mussen wir neu lernen das Evangelium innerhalb seines eigenen Weltbildes weiterzugeben indem wir mit dem Gott beginnen der bdquokeine Il-lusion istldquo

Die Zentralitaumlt der Lehre von Gott

Francis Schaeffer war ein wahrhaft gottzentrierter Mann Das galt nicht nur fur seine persoumlnliche Andacht und sein persoumlnliches Leben das galt auch in Bezug auf sein Denken42 Es ist auf-schlussreich dass schon die Titel seiner Bucher (z B bdquoGott ist keine Illusionldquo bdquoUnd er schweigt nichtldquo) die Tatsache illustrieren dass fur Schaeffer all die Antworten des Lebens Sinn Moral Bedeutung und Werte in dem persoumln-lich-unendlichen dreieinigen Gott der Schrift verwurzelt und gegrundet sind Interessanterweise gibt es ein logisches Fortschreiten in diesen Lektionen Sie sind nicht willkurlich oder planlos Was ist mit der westlichen Kultur geschehen Laut Schaeffer hat sich der moderne Mensch von dem Gott der Schrift ab-gewandt Weil er das tat hatten die fremden Weltbilder die wir in unserer postmodernen Kultur um uns herum sehen gewisse Folgen Was ist dann die Loumlsung fur unser Problem Wohin

sollen wir uns wenden um die Dichoto-mien in unserem Geistesleben die Ent-fremdung in unserem persoumlnlichen Le-ben und die Unpersoumlnlichkeit in unserer Gesellschaft zu uberwinden Zuruck zu dem dreieinigen Gott der Schrift Denn es ist nur er der persoumlnlich-unendliche Gott der der Schoumlpfer Erhalter und der vorhersehende Herr ist der Gott der spricht bei dem wir die Antworten auf die Fragen des Lebens finden koumlnnen In ihm allein gibt es intellektuelle Ant-worten weil er die Quelle der Wahrheit und der Maszligstab fur sie ist

Aber auch Vergebung Heilung Rechtfertigung und Erloumlsung gibt es nur in ihm Fur Schaeffer ist Gott nicht nur die transzendentale Notwendigkeit fur Sinn Wahrheit und Werte Er ist auch unser Teil Er ist der Gott der kei-ne Illusion ist der erkannt geliebt und angebetet werden kann

Genau an diesem Punkt mussen wir von Schaeffer lernen Erstens mussen wir neu lernen wie zentral die Lehre von Gott fur unser christliches Weltbild ist Wir mussen das besonders deshalb lernen weil wir in einer Zeit des religi-oumlsen Pluralismus leben in der das Wort bdquoGottldquo im Wesentlichen bedeutungs-los und inhaltslos geworden ist Wir mussen den Mut haben aufzustehen und den einen Gott und keinen ande-ren zu verkunden Wir brauchen sogar in der evangelikalen Welt Mut in der zurzeit eine Debatte uber die Lehre von

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

24 7 8 6 uuml

Gott tobt um zu sagen dass nicht alle Vorstellungen von Gott gleich sind43 Es ist nur der Gott der Schrift wie er im historischen Christentum dargeboten wird der keine Illusion ist

Zweitens jedoch mussen wir neu ler-nen dass unsere Lehre von Gott nicht nur theoretisch sein darf Dieser Gott muss auch unser Teil sein Er muss der eine sein der unser Denken und unser Leben in Beschlag nimmt In unserem Lehren Predigen und Leben muss der Gott der Schrift unsere Leidenschaft und unsere Freude sein

Die Notwendigkeit biblischer Autoritaumlt und Irrtumslosigkeit

Wahrscheinlich haben nur wenige Evangelikale leidenschaftlicher uber Irrtumslosigkeit die Autoritaumlt der Bi-bel und die Lehre von der Inspiration gesprochen als Francis Schaeffer Er hat nicht nur bei der Bildung des bdquoInternati-onalen Rates fur Biblische Irrtumslosig-keitldquo mitgewirkt sondern auch daruber gelehrt gepredigt und geschrieben wie sehr die Autoritaumlt der Bibel eine Frage mit Wasserscheiden-Charakter ist Er hatte keine Zeit fur Evangelikale die nur Lippenbekenntnisse zur Autoritaumlt der Bibel ablegten und gleichzeitig das neu definierten was Irrtumslosigkeit historisch gesehen fur die Kirche be-

deutete und sie dabei durch hermeneu-tische Fragestellungen vernebelten oder die Anspruche der Bibel bezuglich ih-rer selbst unterhoumlhlten Die interessante Frage die sich jetzt stellt ist Warum Warum war Schaeffer die Autoritaumlt der Bibel ein solches Anliegen

Die Antwort sollte uns nicht uberraschen Sie war ihm darum ein solches Anliegen weil die Lehre von der Schrift so grundlegend fur das christli-che Weltbild und den Gott der Schrift ist Fur Schaeffer ist es der Gott der Bi-bel ndash der persoumlnliche unendliche drei-einige Gott ndash der die transzendentale Notwendigkeit fur Sinn Bedeutung Werte und Wahrheit ist Wir lernen diesen Gott nicht nur kennen weil er da ist sondern auch weil er zu uns ge-sprochen hat ndash er schweigt nicht Und weil Gott so ist wie die Schrift ihn zeigt ndash der Schoumlpfer Erhalter und Herr des Universums ndash haben wir intellektuell kein Problem damit zu bekraumlftigen dass Gott absolut dazu in der Lage ist sich uns selbst zu offenbaren und zu garan-tieren dass das was die irdischen Ver-fasser der Schrift freimutig schreiben genau dem entspricht was er geschrie-ben haben wollte Auszligerdem scheint das der Anspruch der Schrift bezuglich ihrer selbst zu sein44 So ist die Autoritaumlt der Bibel exegetisch theologisch und phi-losophisch sinnvoll Sie ist intellektuell glaubhaft ein wesentlicher Bestandteil der gesamten Weltbildstruktur Und

sie ist theologisch notwendig wenn wir Wahrheit haben und theologische Leh-ren begrunden wollen45 Ohne eine hohe Meinung von der Schrift verleugnen wir was die Schrift uber sich selbst sagt und unterhoumlhlen die Grundlage auf der wir Theologie treiben und die Grundfra-gen des Lebens beantworten koumlnnen46 Das ist der Grund warum Schaeffer zunehmend mehr uber Evangelikale be-unruhigt war die von einer hohen Mei-nung uber die Schrift abruckten oder sie unterhoumlhlten Sein letztes Buch das er buchstaumlblich auf seinem Sterbebett geschrieben hat versuchte die evange-likale Gemeinde aufgrund einiger der gerade dargelegten Grunde vor Kom-promissen bezuglich der biblischen Au-toritaumlt zu warnen Er schreibt

Die Evangelikalen sehen sich in unseren Tagen einer Wasserscheide gegenuber die die Natur der biblischen Inspiration und Autoritaumlt betrifft hellip Innerhalb der evangelikalen Welt gibt es eine Anzahl von Menschen die ihre Ansichten uber die Unfehlbarkeit der Bibel abaumlndern so dass die unumschraumlnkte Autoritaumlt der Bibel vollstaumlndig untergraben wird Aber dies geschieht in einer sehr spitzfin-digen Art und Weise Wie der Schnee der Seite an Seite auf der Gebirgskette liegt scheinen die neuen Ansichten uber die Autoritaumlt der Bibel oft nicht so sehr weit von dem entfernt zu sein was die Evangelikalen bis vor kurzem immer noch glaubten Aber ebenso wie der

Schnee der Seite an Seite auf dem Ge-birgskamm liegt enden die neuen An-sichten schlieszliglich wenn man sie kon-sequent verfolgt Tausende von Meilen von den alten entfernt

Was auf den ersten Blick nur ein klei-ner Unterschied zu sein scheint wird zuletzt zu einem sehr bedeutenden Unterschied Es macht wie wir wohl erwarten werden einen groszligen Unter-schied aus was die Theologie die Lehre und die geistlichen Fragen angeht aber es entscheidet auch grundsaumltzlich uber die alltaumlglichen Dinge im Leben eines Christen und uber die Art wie wir uns als Christen unserer Umwelt gegenuber zu verhalten haben Mit an-deren Worten wenn wir in bezug auf die unumschraumlnkte Autoritaumlt der Bibel einen Kompromiss eingehen dann wird dies mit der Zeit einen Einfluss darauf haben was es im theologischen Sinne heiszligt ein Christ zu sein und dieser Kompromiss wird auch Auswirkungen darauf haben wie wir in dem gesamten Spektrum des menschlichen Lebens un-ser Leben fuhren47

Es sollte uns nicht uberraschen dass verschiedene Evangelikale Schaeffers Darstellung als bdquoEntweder-Oderldquo nicht akzeptiert haben Scott Burson und Jerry Walls denken zum Beispiel dass er seine Sache ubertrieben habe Sie fragen ob Irrtumslosigkeit wirklich fur die Evangelikalen die Frage mit Wasserscheiden-Charakter ist und sie

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 257 8 6 uuml

antworten negativ48 Sie vertreten die Auffassung dass Gott sich weniger um den genauen Wortlaut der Schrift gekummert habe und mehr um die bdquoVerlaumlsslichkeit im Wesentlichen ihrer Gesamtbotschaftldquo49 Sie haben Probleme mit zwei Praumlmissen der Schaefferschen Argumentation (1) Dass die Bibel bis in die einzelnen Woumlrter hinein genau das enthaumllt was Gott sich wunscht (2) dass Gott praumlzise kontrollieren kann was menschliche Verfasser schreiben ohne ihre Freiheit wegzunehmen Die-se Praumlmissen scheinen einen impliziten Determinismus einzuschlieszligen ver-bunden mit einer kompatibilistischen Sicht von der menschlichen Freiheit50 Hinter dieser Kritik lauert die implizite Annahme einer libertarianischen Sicht von menschlicher Freiheit die das Ver-staumlndnis einer Begrenzung der souverauml-nen Kontrolle Gottes uber die Welt mit sich bringt51

Wichtig an dieser Beobachtung ist dass Burson und Walls zu Recht feststellen dass Schaeffers hohe Meinung von der Schrift und seine Verteidigung der Irr-tumslosigkeit ein gewisses Konzept von der Souveraumlnitaumlt Gottes und seiner Be-ziehung zu seinen Geschoumlpfen beson-ders zu den Verfassern der Schrift erfor-dert Schaeffer wurde als einer der eine festen Standpunkt von der goumlttlichen Souveraumlnitaumlt und der Herrschaft und Regierung Gottes in dieser Welt vertrat daruber nicht uberrascht sein Weil er

von einer reformatorischen Theologie her argumentierte hatte er anerkannt dass die Lehre von der Irrtumslosigkeit eng verbunden ist mit unserer Sicht von Gott Wie wir oben bemerkt ha-ben als wir die Gottzentriertheit von Schaeffers Denken kommentierten war die Lehre von Gott der entscheidende Ausgangspunkt bei seinem Verstaumlndnis und seiner Verteidigung des christli-chen Glaubens Fur ihn war nicht ein-fach irgendein Gott gut genug Es war nur der persoumlnlich-unbegrenzte (d h souveraumlne) dreieinige Gott der Schrift der allein die Grundlage fur Wahrheit und Wissen ist und der allein wenn er es so erwaumlhlt sich selbst in einer Wei-se die gaumlnzlich verlaumlsslich wahr und vertrauenswurdig ist offenbaren kann52 Was jedoch Schaeffer gestoumlrt haumltte ist die Schwaumlchung der unbegrenzten oder souveraumlnen Natur Gottes die jetzt in einigen Bereichen der evangelikalen Be-wegung vertreten wird53 Gestoumlrt haumltte ihn dieser Trend weil er von ganzem Herzen der scharfsinnigen Beobach-tung J I Packers zugestimmt haumltte

Die gewoumlhnliche Apologetik fur die Au-toritaumlt der Bibel ist an einer zu engen Front taumltig Wie wir gesehen haben ist Glauben an den Gott der reformatori-schen Theologie die noumltige Denkvoraus-setzung des Glaubens an die Schrift als bdquogeschriebenes Wort Gottesldquo Und ohne diesen Glauben verliert das bdquosola scrip-turaldquo als das von Gott gelehrte Prinzip

der Autoritaumlt mehr oder weniger seine Bedeutung hellip wir durfen niemals die Tatsache aus dem Blick verlieren dass unsere Lehre von Gott entscheidend fur unser Konzept von der Schrift ist und dass es in unserer Kontroverse mit einem groszligen Teil der modernen Theologie ge-rade hier ist wo man sich der entschei-denden Schlacht stellen muss und we-niger in Beziehung zum Phaumlnomen der Schrift54

Zweifellos koumlnnte und musste viel mehr uber Schaeffers Darstellung und Verteidigung der Lehre von der Irr-tumslosigkeit gesagt werden55 Aber es soll genugen zu sagen dass fur ihn die Autoritaumlt der Bibel eine Frage von gigantischen Ausmaszligen mit Wasser-scheiden-Charakter war Das war eine Frage die eng mit seiner umfassenden Verteidigung des christlichen Welt-bildes verknupft war Er glaubte dass ohne sie das christliche Weltbild sich aufzuloumlsen beginnen wurde ausgehend von der Lehre von Gott56 Und darin so bin ich uberzeugt hatte er Recht Wir mussen heute neu lernen dass die Lehre von der Irrtumslosigkeit der Schrift fur Evangelikale nicht nur eine von mehre-ren Alternativen ist Sie ist ein wesentli-cher Bestandteil dessen was christlicher Glaube ist Das abzuschwaumlchen bedeu-tet das Ganze zu unterhoumlhlen

Lehren die wir aus dem Leben Francis Schaeffers ziehen

Am Ende seines Lebens schrieb Schaef-fer die folgenden Worte

bdquoWorauf kommt es wirklich anldquo Was ist es das fur mein Leben und fur Ihr Leben so wichtig ist daszlig es die Priori-taumlten fur alles bestimmt was wir tun Unserem Herrn Jesus wurde ebendiese Frage gestellt und er antwortete bdquoDu sollst den Herrn deinen Gott lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand Dies ist das erste Ge-bot Das zweite aber ist ihm gleich Du sollst deinen Naumlchsten lieben wie dich selbst An diesen zwei Geboten haumlngt das ganze Gesetz und die Propheten (Matthaumlus 2237ndash40)ldquo

Hier wird gesagt worauf es wirklich ankommt ndash den Herrn unseren Gott zu lieben seinen Sohn zu lieben und ihn als unseren Erloumlser persoumlnlich an-genommen zu haben Und wenn wir ihn lieben dann tun wir das was ihm gefaumlllt es bedeutet ebenfalls sein Wesen der Heiligkeit und Liebe in unserem Leben Gestalt annehmen zu lassen seiner Wahrheit treu zu bleiben jeden Tag mit dem lebendigen Christus zu leben ein Leben des Gebets zu fuhren Die andere Haumllfte dessen worauf es wirklich ankommt besteht darin un-seren Naumlchsten zu lieben Beides gehoumlrt

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

26 7 8 6 uuml

zusammen es kann nicht voneinander getrennt werden hellip Und wenn wir un-seren Naumlchsten so lieben wie Christus das moumlchte dann moumlchten wir unserem Naumlchsten sicherlich das Evangelium weitersagen daruber hinaus werden wir den Wunsch haben Gottes Liebe in allen unseren Beziehungen zu unserem Naumlchsten durchscheinen zu lassen

Aber hier houmlrt es nicht auf Evangeli-sation ist vorrangig aber sie stellt nicht die Grenze unserer Arbeit dar und kann in der Tat nicht vom Rest des christ-lichen Lebens getrennt werden Wir mussen zuerst anerkennen und dann nach der Tatsache handeln dass Chris-tus wenn er unser Erloumlser ist auch Herr in allen Lebensbereichen ist Er ist un-ser Herr nicht nur in religioumlsen Dingen oder in kulturellen Bereichen wie den bildenden Kunsten und der Musik son-dern auch Herr unseres intellektuellen Lebens unseres Geschaumlftslebens unserer Beziehung zur Gesellschaft und unserer Haltung zum moralischen Zusammen-bruch unserer Kultur hellip Christus die Herrschaft uber unser Leben zu geben bedeutet dass wir uns ganz direkt und praktisch gegen den Zeitgeist stellen der unsere Welt regiert der sich fort-waumlhrend ausbreitet und den Anspruch erhebt autonom zu sein indem er auf seinem Weg alles zerstoumlrt was uns lieb und teuer ist57

In diesem Zitat erhaschen wir einen Blick auf einen Teil vom Leben Francis

Schaeffers und auf Lehren die wir aus diesem Leben ziehen koumlnnen Zweifellos ist es wahr dass Schaeffer nicht vollkom-men war das ist niemand Wir sehen jedoch in seinem Leben eine Person mit Integritaumlt einen Mann der versuchte das zu leben und dem entsprechend zu handeln was er glaubte und lehrte Ins-besondere strebte er danach den Herrn und seinen Naumlchsten zu lieben und da-durch sein Leben bestaumlndig sowohl im Denken als auch im Handeln unter die Herrschaft Jesu Christi zu bringen Wir wollen der Reihe nach diese Gebiete be-trachten

Liebe den Herrn deinen Gott

Wie oben festgestellt war Schaeffer ein Mann fur den Gott im Zentrum stand Das war nicht nur wahr in Be-zug auf sein Denken sondern auch fur sein Leben Ob man nun seine Werke liest oder seine Bandaufzeichnungen houmlrt eine tiefe Hingabe an den Herrn ist ganz offenkundig Hier ist einer der nicht nur uber Gott redet sondern der ihn tief kennt Selbst der Anfang von LrsquoAbri wurde in einer geistlichen Krise geboren bei der es darum ging Gott auf eine tiefere Art kennenzulernen Schaeffer erzaumlhlt in bdquoGeistliches Leben ndash Was ist dasldquo noch einmal wie er sich selbst 1951ndash1952 in einer geistli-chen Krise befand und wie aus dieser Krise heraus LrsquoAbri geboren wurde Er

entdeckte waumlhrend dieser Zeit was es bedeutete sich in unserem gegenwaumlrti-gen Leben und in der staumlndigen Abhaumln-gigkeit vom Geist Gottes im Gebet auf das vollbrachte Werk Christi zu verlas-sen Und das war fur ihn keine bloszlige Rhetorik LrsquoAbri selbst war im Gebet verwurzelt und gegrundet ein sichtba-res Zeugnis fur die Existenz Kraft und Gnade Gottes58

Wir sehen in Schaeffer auch einen Mann der danach strebte gleichzei-tig die Heiligkeit Gottes und die Liebe Gottes darzustellen wenn das auch auf unvollkommene Weise geschah Er war im Denken und Leben ein Mann des Mutes und des Mitgefuhls Er sprach viel uber die Notwendigkeit von bdquoliebe-voller Konfrontationldquo und er zeigte das in seinem Leben Harold O J Brown berichtet zum Beispiel von wenigstens drei Bereichen in denen Schaeffer ent-gegen der aktuellen Stroumlmung Stellung bezog und zwar weitgehend aufgrund des Verlangens den Herrn zu ehren von ganzem Herzen mit ganzer Seele mit ganzem Verstand und aller Kraft

Erstens stellte er sich gegen die Theo-logie Karl Barths Wie oben bemerkt bekehrte sich Schaeffer in den 1930er Jahren und erhielt damals auch seine theologische Ausbildung Zu jener Zeit war evangelikale Theologie aus einer Vielzahl von Grunden die weitgehend aus den fundamentalistisch-modernis-tischen Kontroversen jener Zeit stamm-

ten fast nicht existent Nach dem Zwei-ten Weltkrieg erfreute sich die evangeli-kale Bewegung jedoch unter Gelehrten wie F F Bruce und Carl F H Henry sowie unter dem evangelistischen Dienst von Billy Graham einer Wiedergeburt

Brown berichtet dass Schaeffer ein Teil dieser Bewegung sein und einen Status der Beruhmtheit haumltte erlangen koumlnnen er entdeckte jedoch Maumlngel und Kompromisse die ernst genug wa-ren den Evangelikalismus als Bewegung zu untergraben Was sah er Er sah den wachsenden Einfluss der Neoorthodoxie auf die evangelikale Theologie Attrak-tiv an Barth war dass er ebenso wie die Evangelikalen viele von Akademikern aufgestellte liberale Thesen kritisierte Dadurch fuhlten sich manche Evange-likale zu den orthodoxen Elementen in Barths Theologie hingezogen nahmen aber nur langsam die negativen Punkte wahr Schaeffer bemerkte aber nicht nur dass Barths Einfluss in Europa zuzuneh-men begann sondern auch dass Barths Theologie wenn sie angenommen wurde die evangelikale Theologie un-tergraben wurde59 Wo lag Barth schief Schaeffer vertrat die Auffassung dass Barth eine unangemessene Sicht von der Autoritaumlt der Bibel hatte Er gestand die theoretische Moumlglichkeit von Fehlern in der Schrift zu und untergrub dadurch die Grundlagen evangelikaler Theolo-gie Barths Kritik am Liberalismus war hilfreich Seine Glaubensgrundlagen

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 277 8 6 uuml

waren aber wackelig und genau darauf wies Schaeffer hin Schaeffer sah wahr-scheinlich klarer als irgendjemand an-deres dass man Barths Theologie besser nicht ubernehmen sollte60 Brown fasst das auf diese Weise zusammen

Ohne Zweifel war Barth antiliberal und bekraumlftigte die zentralen Lehren des christlichen Glaubens Sein Versagen darin die Unfehlbarkeit der Bibel und die Historizitaumlt der Evangelienberichte geltend zu machen bedeutete jedoch dass seine Bekraumlftigungen auf seiner charismatischen Autoritaumlt und nicht auf der Schrift beruhten Aufgrund seines Versagens darin die Grundlagen der biblischen Autoritaumlt die von Generati-onen zerstoumlrerischer Kritik untergraben worden waren abzustutzen war Barth nicht in der Lage eine zweite Genera-tion von protestantischen Theologen in dem Glauben den er selbst lehrte zu begrunden sein groumlszligter Einfluss bleibt der unter Evangelikalen und Konserva-tiven die schon wissen was sie glauben Zweifellos sind Barths Bekraumlftigungen ermutigend aber seine Grundlagen sind unzureichend und es waumlre gefaumlhr-lich ihn als einen theologischen Fuhrer zu waumlhlen Es ist bemerkenswert dass Schaeffer das vor drei Jahrzehnten ent-deckte waumlhrend einige evangelikale Leiter heute Barth als Antwort auf den modernen Unglauben bdquoentdeckenldquo61

Zweitens und das war wahrscheinlich fur manche Evangelikale sogar stoumlren-

der als sein Standpunkt gegen Barth schaffte es Schaeffer nicht die evange-listischen Methoden Billy Grahams von ganzem Herzen zu begrussen Das lag nicht daran dass Schaeffer etwa gegen Evangelisation war oder dass Graham nicht genugend klar fur die Autoritaumlt der Bibel eintrat Er hatte vielmehr zweifache Bedenken Zum einen war es fur Schaeffer alarmierend dass Gra-ham nicht genugend zwischen denen unterschied die am historischen Chris-tentum festhielten und denen die sich zum Liberalismus oder der roumlmisch-katholischen Theologie hielten und zu schnell mit ihnen zusammenarbeitete62 Zum Zweiten hatte er die Sorge dass Grahams Evangelisation nicht die gan-ze Person beruhrte d h dass sie dazu neigte lediglich zu einer emotionalen Entscheidung aufzurufen ndash einer Erfah-rung des bdquoObergeschossesldquo ndash die letzten Endes nur Pseudobekehrte produzieren wurde63 Wie Brown feststellt wurde Schaeffers Kritik am Ansatz Grahams nicht der weiten Oumlffentlichkeit darge-boten sie wurde jedoch bald bekannt Er wurde von manchen Leitern in der evangelikalen Bewegung wie etwa Carl Henry und Harold Lindsell kritisiert und von anderen als zu separatistisch abgeschrieben64 Schaeffer aber erkann-te etwas was zu viele nicht zu sehen vermochten Was nutzt bdquoErfolgldquo in der Evangelisation wenn sie nicht wahre Be-kehrte hervorbringt Besonders in dieser

Zeit mit den massiven Verschiebungen die in der Gesellschaft stattgefunden haben muss die evangelikale Bewe-gung zu bdquosoliden Grundlagen und zu guten Gefuhlenldquo aufrufen65 Wie Brown scharfsinnig beobachtet hat der Evan-gelikalismus in jenen fruhen Jahren nur deshalb ein Gefuhl der Staumlrke und Stabilitaumlt erlangt weil bdquoviele von Gra-hams Bekehrten spaumlter durch die Schule des disziplinierten Denkens Schaeffers gingenldquo66 Drittens gab es sein mutiges Eintreten fur die Rechte der Ungebo-renen Es ist wichtig zu erkennen dass Schaeffers sozialer Aktivismus nicht unabhaumlngig von seiner Verteidigung der Wahrheit und des Evangeliums war Wie schon oben festgestellt war die Roe gegen Wade-Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA im Jahr 1973 ein Pulverfass fur Schaeffer Sie war ein alarmierender Beweis dafur dass die Ideen der Aufklaumlrung began-nen praktische Auswirkungen darauf zu haben wie Menschen sich gegensei-tig sahen Schaeffer hatte bereits eine geraume Zeit lang vorausgesagt dass bei dem Verlust der christlichen Sicht von Realitaumlt im Westen eine der mas-sivsten Folgewirkungen der Verlust der Achtung vor dem menschlichen Leben sein werde Und genau das symbolisierte Roe gegen Wade fur Schaeffer Wenn er also mit herzlich wenigen anderen dieses Problem auf die Straszlige trug dann tat er das aus einem tiefen Emp-

finden der Liebe zu Gott und zu seinem Wort und ebenso aus Liebe zu seinem Naumlchsten Wahrheit erfordert Handeln Anfaumlnglich begruszligten aber nicht alle Evangelikale besonders nicht solche in Leitungspositionen Schaeffers Stand-punkt Wie Brown bemerkt wurde er mit der Veroumlffentlichung von bdquoA Chris-tian Manifestoldquo zum ersten Mal als ein politisch Konservativer gebrandmarkt Und das brachte ihm Angriffe von ei-ner wachsenden Zahl politisch liberaler Evangelikaler ein67 Brown stellt fest

Schaeffers zunehmend unverblumtes Engagement fur speziell konservative Anliegen in den letzten zwei Jahren sei-nes Lebens stoumlrte die Evangelikalen die ihm nicht zustimmten weil sie seinen Einfluszlig in der allgemeinen christlichen Oumlffentlichkeit erkannten Zusaumltzlich veraumlrgerte es andere die ihm im All-gemeinen zustimmten weil sie Streit vermeiden und ihre eigene Akzeptanz in der allgemeinen Oumlffentlichkeit nicht gefaumlhrden wollten Als Folge davon be-fand sich Schaeffer am Ende seines Le-bens noch einmal in der Position die er in den 1960er Jahren eingenommen hatte bevor sein Name zum Gemeingut wurde der Stimme eines Rufers in der Wuste68

Hier koumlnnen wir wieder von Schaeffer ler-nen Auch wenn es ihn einen hohen Preis kostete stand er fur die Sache von Wahr-heit und Leben ein Sein praktisches so-ziales Handeln war nicht getrennt von

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

28 7 8 6 uuml

seinen Glaubensuberzeugungen und seiner Liebe zum Herrn vielmehr floss das eine aus dem anderen In einer Zeit wo es so leicht ist inmitten von Druck Kompromisse zu schlieszligen und einzu-knicken wenn das Laufen schwierig wird ist Schaeffer ein Vorbild Er war wie die Alten der Vergangenheit bereit Gott mit seinem ganzen Sein zu lie-ben in den Schwierigkeiten des Lebens Charakter zu zeigen und der Wahrheit Gottes gehorsam zu sein

Liebe deinen Naumlchsten wie dich selbst

Wie Schaeffer in dem obigen Zitat fest-stellt sind die Liebe zu Gott und die Liebe zum Naumlchsten eng ineinander verflochten

bdquoWenn wir unseren Naumlchsten lieben wie Christus will dass wir unseren Naumlchsten lieben dann werden wir mit Sicherheit auch das Evangelium unse-rem Naumlchsten weitergeben wollen und daruber hinaus werden wir das Gesetz Gottes in all unseren Beziehungen mit unserem Naumlchsten darstellen wollenldquo69

Naturlich wird niemand der diesseits der Vollendung lebt jemals dieses Ide-al erreichen In Francis (und in Edith) Schaeffer sehen wir jedoch einen Men-schen der wenigstens versuchte vor-bildhaft fur uns etwas von dem zu le-ben wonach wir streben Wir sehen dies besonders in drei Bereichen

Zum Ersten zeigte Schaeffer seine Liebe zum Naumlchsten darin dass er versuchte ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen zu geben In seiner Broschure bdquoTwo Con-tents Two Realitiesldquo behauptet Schaef-fer dass es vier Dinge gebe die absolut notwendig sind wenn Christen sich den Herausforderungen unserer Zeit stellen wollen (1) Gesunde Lehre (2) Ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen (3) Wah-re Geistlichkeit und (4) die Schoumlnheit menschlicher Beziehungen In der Be-sprechung von (1) und (2) betont er die Notwendigkeit in Bezug auf gesunde Lehre keine Kompromisse zu schlieszligen aber gleichzeitig Zeit mit Menschen zu verbringen und zu versuchen ihre Fragen zu beantworten Er beklagt die Haltung mancher in der Kirche die den Eindruck vermitteln dass wir keine Fragen stellen durfen und nur glauben mussen Das so sagt er ist immer falsch Es ist falsch weil es Menschen nicht als ganzheitliche Personen ansieht die sowohl intellektu-elle als auch geistliche Antworten brau-chen70 Es ist besonders falsch in einer Zeit die nicht an die Wahrheit glaubt zu sagen dass wir die Wahrheit haben sich dann aber nicht die Zeit zu neh-men wirkliche und schwierige Fragen zu beantworten Das beansprucht naturlich nicht nur eine Menge an Zeit und Bemuhung es erfordert auch Mitgefuhl Menschen dort zu treffen wo sie sind Fragen zu beantworten ist harte Arbeit Schaeffer sagt das so

Als Christen mussen wir genug Liebe und Mitgefuhl aufbringen um auf die Fragen unserer Zeitgenossen zu houmlren Zu viele von uns werden von dem fal-schen Ehrgeiz geplagt alle Fragen spon-tan zu beantworten ndash als koumlnne man ei-nen Trichter ans Ohr setzen alle Daten und Fakten einfuttern und dann loszie-hen und alle Diskussionen gewinnen So geht es aber nicht

Fragen zu beantworten ist harte Ar-beit Koumlnnen Sie alle Fragen beantwor-ten Nein aber Sie mussen sich darum bemuhen Houmlren Sie zunaumlchst einmal mit Anteilnahme zu welche Fragen Ihr Gegenuber bewegen und versuchen Sie dann Antworten zu geben Wissen Sie keine Antwort dann machen Sie sich auf die Suche Lesen Sie und uberlegen Sie so lange bis Sie moumlgliche Antworten gefunden haben

Nicht jeder ist berufen die Fragen von Intellektuellen zu beantworten Aber ob wir mit Akademikern oder mit Dockarbeitern sprechen die Aufgabe ist immer dieselbe Waumlhrend meines zwei-ten Pfarramtes gehoumlrten viele Hafenar-beiter zu meiner Gemeinde und seither weiszlig ich dass sie dieselben grundlegen-den Fragen haben wenn sie sie auch anders formulieren

Antworten sind nicht Erloumlsung Dazu kommt das Wirken des Heiligen Geistes Dennoch sind wir dafur verantwortlich ndash und darum geht es mir in diesem Zu-sammenhang ndash genug Mitgefuhl auf-

zubringen um zu beten und die harte Arbeit zu tun die notwendig ist um die aufrichtigen Fragen zu beantworten71

Das waren fur Schaeffer nicht nur leere Worte sie spiegelten sein Leben wider72 Fur unzaumlhlbare Menschen die nach LrsquoAbri kamen versuchte Schaeffer das in die Tat umzusetzen was er lehrte Staumlndig ist eine der Klagen die ich von Studenten am Seminar houmlre dass Pro-fessoren und sogar Pastoren keine Zeit fur sie haben Sie haben ehrliche Fragen die Zeit und Aufmerksamkeit erfordern aber oft sind wir zu beschaumlftigt um zu helfen Wie Schaeffer uns erinnerte sind wir jedoch berufen unseren Naumlchs-ten zu lieben Fur christliche Leiter Pastoren und Lehrer ist sicherlich ein Weg auf dem sich das zeigen muss die verbrachte Zeit die erwiesene Fursorge und die gegebenen ehrlichen Antwor-ten an echte Menschen die in einem postmodernen Zeitalter nicht weniger als dies verdienen

Eine zweite Art wie die Schaeffers ihre Liebe zu anderen zeigten geschah durch Gastfreundschaft In LrsquoAbri oumlffneten sie ihr Haus fur einzelne Menschen und das war sicher nicht einfach Als Schaef-fer spaumlter daruber nachdenkt stellt er fest dass bdquoungefaumlhr in den ersten drei Jahren von LrsquoAbri alle unsere Hochzeits-geschenke vernichtet wurden Unsere Laken wurden zerrissen Loumlcher wurden in unsere Teppiche gebrannt Einmal waumlre fast ein ganzer Vorhang verbrannt

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 297 8 6 uuml

weil jemand in unserem Wohnzimmer geraucht hatte hellip Drogen kamen in unser Haus Leute erbrachen sich in un-seren Raumlumenldquo73 Ich will damit nicht sagen dass jeder das tun muss was die Schaeffers taten Wir sehen jedoch in ih-rem Leben zwei Menschen die das Ge-bot ernst nahmen sowohl Gott als auch den Naumlchsten zu lieben Eine Geschich-te nach der anderen in LrsquoAbri dreht sich darum wie diese sichtbare Liebe entscheidend dafur war Menschen zu Christus zu bringen74 Evangelisation darf nicht davon getrennt werden wie wir den ganzen Menschen mit unseren Worten und unseren Taten behandeln

Zum Dritten strebte Schaeffers Le-ben danach ein wundervolles Gleich-gewicht zwischen Wahrheit und Lie-be darzustellen Er stand fest fur das Evangelium aber waumlhrend er das tat strebte er danach die Menschen denen er diente in Beziehungen von Mensch zu Mensch zu lieben und zu verstehen Brown vergleicht Francis Schaeffer mit Athanasius einem anderen Vorbild aus der Vergangenheit der wusste was es heiszligt fur die Wahrheit einzutreten Brown erzaumlhlt wie Schaeffer versuchte das Gleichgewicht zwischen Wahrheit und Liebe zu halten Er stellt fest

Wie Athanasius nahm Schaeffer ndash besonders in seinen letzten Jahren ndash Standpunkte ein die manche als unmaumlszligig und unflexibel bezeichnen wurden Wir wissen nicht wirklich wie

Athanasius mit Menschen auf einer per-soumlnlichen Ebene umging Es ist moumlglich dass er mit Einzelnen so streng war wie er es mit ihrer Theologie war In Schaeffers Fall wissen wir jedoch dass die Haumlrte seiner Uumlberzeugungen in Be-ziehungen von Mensch zu Mensch wie auch in der oumlffentlichen Debatte immer durch Liebe und Verstaumlndnis gemildert wurde Er behandelte die mit denen er zutiefst uneins war bestaumlndig mit Rucksicht und Liebe Francis Schaeffer hielt nicht nur die Stellung fur biblische Orthodoxie in seiner Generation wie Athanasius das getan hatte Vielleicht noch wichtiger ist dass Schaeffer der naumlchsten Generation nicht nur zeigte dass sie Stellung beziehen muss sondern wo sie sie beziehen muss und wie sie das tun kann naumlmlich in den Worten des Paulus bdquodie Liebe in Wahrheit zu re-denldquo (Eph 415) Er hat uns gezeigt dass bdquocontra mundumldquo (dt bdquogegen die Weltldquo) einzutreten ein wesentlicher Teil davon ist bdquopro Christoldquo (dt bdquofur Christusldquo) zu seinldquo75

Hier ist eine weitere Lehre die wir zie-hen mussen besonders wir die wir als Leiter in der Kirche dienen Jede Gene-ration muss fur die Wahrheit eintreten aber wir mussen das in Liebe tun Heute houmlren wir viel uber die Liebe eine harte und kompromisslose Stellungnahme fur die Wahrheit wird daruber oft vernach-laumlssigt In einer Zeit die es dringend nouml-tig hat die Wahrheit zu houmlren koumlnnen

wir an diesem Punkt nicht schwanken Wir durfen jedoch auch nicht ins ande-re Extrem fallen Sowohl Wahrheit als auch Liebe sind notwendig Und Francis Schaeffer ist an diesem Punkt ein hilf-reiches Vorbild Ein Mann mit Uumlber-zeugungen verwurzelt und gegrundet in Gottes Wort ein Mann der aus ers-ter Hand wusste was bdquoliebevolle Kon-frontationldquo bedeutet ein Mann der da-nach strebte den Herrn seinen Gott zu lieben und seinen Naumlchsten wie sich selbst und im Denken und Handeln die Herrschaft Jesu uber sein gesamtes Leben darzustellen Moumlgen wir lernen das gleiche zu tun

Letztendlich war Francis Schaeffer ein gefallener unvollkommener Mann gerettet durch die Gnade Gottes Er machte wie wir alle viele Fehler Aber er war eine einzigartige Einzelperson von Gott begabt fur seine Generation Er sagte oft dass Gott nicht jemanden mit auszligergewoumlhnlichen Gaben gebrau-chen muss Gott kann stattdessen einen toten Holzstock in der Hand des Mose gebrauchen wenn er das will In einer sehr denkwurdigen Predigt sagte er das so

Obwohl wir begrenzt und schwach an Begabung koumlrperlicher Energie und psychischer Staumlrke sind sind wir nicht weniger als ein Holzstock Aber wie der Stab des Mose der Stab Gottes werden musste muss das was ich bin zum ich Gottes werden Dann kann ich nutzlich

werden in den Haumlnden Gottes Die Schrift betont dass viel von wenig kom-men kann wenn das Wenige wahrhaft Gott geweiht ist Im wahren geistlichen Sinn gibt es keine kleinen Leute und groszlige Leute sondern nur geweihte und nicht geweihte Leute Das Problem fur jeden von uns ist es die Wahrheit auf uns selbst anzuwenden hellip Wer sich selbst fur eine kleine Person an einem kleinen Ort haumllt kann wenn er sich Christus hingibt und in seinem gesam-ten Leben unter Seiner Herrschaft lebt durch Gottes Gnade den Fluss unserer Generation aumlndern Und wenn wir aumllter werden und wissen wie schwach wir sind und dann zuruckschauen und sehen dass wir irgendwie von Gott ge-braucht wurden dann sollten wir der Stab sein der bdquovon Freude uberraschtldquo ist76

Aus dem Denken und Leben Francis Schaeffers gibt es viel zu erwaumlgen und zu lernen Nur papageienhaft alles nachzu-plappern was er sagte wurde ihn nicht ehren Er haumltte das nicht gewollt Wir mussen stattdessen von ihm lernen wie wir wirkungsvoller in unserer Zeit die-nen koumlnnen so wie er es in seiner tat Dabei mussen unser Verstand und un-ser Herz fest in der Schrift verwurzelt und gegrundet sein Wir mussen lei-denschaftlich fur das Evangelium sein bereit die Fragen unserer Zeit in Treue gegenuber unserem groszligen Gott anzu-gehen Das waumlre der houmlchste Tribut den

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

30 7 8 6 uuml

1 Wenn nicht anders vermerkt werden alle Zitate aus den Schriften Francis Schaeffers entnommen Francis A Schaeffer The Complete Works of Fran-cis A Schaeffer Crossway Books 19852 Michael S Hamilton bdquoThe Dissatis-faction of Francis Schaeffer thirteen years after his death Schaefferrsquos visi-on and frustrations continue to haunt Evangelicalismldquo In Christianity Today 1997 S 223 Harald O J Brown Standing Against the World Westchester Crossway 1986 S 15ndash164 Diese drei Bereiche des Einflusses Schaeffers sind entnommen aus Brown A a O S 19ndash255 Fur mehr Informationen uber den per-soumlnlichen Einfluss von Francis Schaeffer im Leben von verschiedenen Personen vgl die Kapitel in Teil 2 von Lane T Dennis Francis A Schaeffer Portraits of the Man and His Work Westchester Ill Crossway Books 1986 S 129ndash205 Vgl in diesem Zusammenhang auch ei-nige der persoumlnlichen Korrespondenzen zwischen Schaeffer und verschiedenen Leuten uber eine Vielzahl von Themen in Francis A Schaeffer und Lane T Dennis Letters of Francis A Schaeffer Spiritual Reality in the Personal Chris-tian Life Westchester Ill Crossway Books 19856 Francis Schaeffers letztes Werk The Great Evangelical Disaster (Die groszlige Anpassung Der Zeitgeist und die Evan-gelikalen) wurde nur Monate bevor er an Krebs starb veroumlffentlicht In diesem Werk versuchte er die Evangelikalen zu warnen und sie instaumlndig zu bitten in Bezug auf die Autoritaumlt der Bibel und die Ausschlieszliglichkeit des Evangeli-ums keine Kompromisse zu schlieszligen Er nannte sogar verschiedene Namen

derer von denen er glaubte sie haumltten an diesen Punkten Kompromisse ge-schlossen Gleichzeitig rief er eine neue Generation von Christen dazu auf als bdquoRadikale fur die Wahrheitldquo in unserer Zeit Stellung zu beziehen bdquoThe Great Evangelical Disasterldquo wurde neu ver-oumlffentlicht in Francis A Schaeffer The Complete Works of Francis A Schaef-fer Bd 4 A a O S 301ndash4117 bdquoNeoorthodoxieldquo ist eine theologische Bewegung die in den 1920er Jahren begann und bis heute weitergeht auch wenn ihr hauptsaumlchlicher Einfluss in der weiteren theologischen Welt von den 1920er bis zu den 1970er Jahren lag Sie ist verbunden mit einer Anzahl von Theologen wie Rudolf Bultmann Emil Brunner Reinhold Niebuhr und Paul Tillich Am bekanntesten ist je-doch die Verbindung zur Theologie des Schweizer Theologen Karl Barth Zu weiteren Informationen uber bdquoNeoor-thodoxieldquo s David F Ford (Hrsg) The Modern Theologians 2 Aufl Oxford Blackwell 1997 S 21ndash102 C A Bax-ter bdquoNeo-Orthodoxyldquo In Sinclair Fer-guson et al (Hrsg) New Dictionary of Theology Downers Grove InterVarsity Press 1988 S 456ndash4578 Zu diesem Thema siehe besonders Francis A Schaeffer Wie koumlnnen wir denn leben Aufstieg und Niedergang der westlichen Kultur 5 Aufl Holz-gerlingen Haumlnssler 2000 Francis A Schaeffer Bitte laszlig mich leben Fur Menschlichkeit in unmenschlicher Gesellschaft Telos-Bucher 1205 Neu-hausen-Stuttgart Haumlnssler 1981 Fran-cis A Schaeffer A Christian Manifesto 1st trade pbk Wheaton Ill Crossway Books Published in association with Nims Communications 20059 Brown Standing Against the World A a O S 2310 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 102 Die Kritiken die Dennis er-

waumlhnt sind die von Wells Ronald A Wells bdquoFrancis Schaefferrsquos Jeremiad A Review Articleldquo In The Reformed Journal Mai 198211 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 227 Fn 512 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 102ndash126 Dennisrsquo ausgezeichnete Diskussion dieser ganzen Frage ist sehr hilfreich weil er die Frage umfassend anspricht ob Schaeffer ein bdquoGelehrterldquo war und ob diese Frage der wirkliche Grund fur die negative Reaktion auf seine Gedanken ist13 Vgl Hamilton bdquoThe Dissatisfaction of Francis Schaefferldquo A a O S 3014 Es ist wohl bekannt dass der Evange-likalismus eine uber eine Anzahl wich-tiger Lehrfragen zerspaltene Bewegung ist Zur Diskussion uber einige dieser Lehrspaltungen aus einer Vielfalt von Blickwinkeln vergleiche bdquoEvangelical Megashiftldquo In Chritianity Today 19 Februar 1990 S 12ndash17 Kenneth S Kantzer und Carl F H Henry (Hrsg) Evangelical Affirmations Grand Ra-pids Zondervan 1990 Millard Erick-son The Evangelical Left Grand Ra-pids Baker 1997 Roger Olsson bdquoThe Future of Evangelical Theologyldquo In Christianity Today 9 Februar 1998 S 40ndash42 Elmer M Colyer (Hrsg) Evangelical Theology in Transition Downers Grove Inter-Varsity Press 1999 Stanley Grenz Renewing the Center Grand Rapids Baker 2000 John D Woodbridge et al This We Be-lieve Grand Rapids Zondervan 200015 Fur weitere Materialien die das Leben Francis Schaeffers sehr viel detaillierter skizzieren vgl David Porter bdquoFrancis Schaefferldquo In John D Woodbridge (Hrsg) Great Leaders of the Christian Church Chicago Moody Press 1988 S 362ndash366 Colin Duriez bdquoFrancis

Schaefferldquo In Walter A Elwell Hand-book of Evangelical Theologians Grand Rapids Baker 1993 S 245ndash259 und Dennis Portraits of the Man and His Work A a O S 207ndash211 Vgl auch die Lebensgeschichte der Schaeffers erzaumlhlt von Edith Schaeffer in Llsquo Abri Gottes Wirklichkeit heute erlebt 4 Aufl Wup-pertal Oncken Verlag 1975 und The Tapestry The life and times of Francis and Edith Schaeffer Waco Tex Word Books 198116 Zu weiteren Informationen uber den Dienst der LrsquoAbri Gemeinschaft heute vgl URL httpwwwlabriorg17 Fur eine vollstaumlndige Liste von Bu-chern Kassetten und Videos von Francis und Edith Schaeffer vgl URL httpwwwlabriorg18 Dieses Thema zieht sich durch Schaef-fers Bucher hindurch vgl aber beson-ders Francis A Schaeffer Gott ist keine Illusion 3 Aufl Wuppertal Brockhaus Verlag 1974 Francis A Schaeffer und er schweigt nicht Ist eine Philoso-phie ohne Gott realistisch 1 Taschen-buchausg Wuppertal Genf Zurich Basel Brockhaus Verlag 1975 Schaef-fer Wie koumlnnen wir denn leben A a O Schaeffer Bitte laszlig mich leben A a O19 Es ist viel debattiert worden uber die Genauigkeit von Schaeffers Analyse von Denken Kunst Musik und Kultur des Westens Auch wenn es zweifellos wahr ist dass er an einigen Punkten ein va-ges und stark verallgemeinertes Bild gemalt hat ist gleichzeitig anerkannt worden dass sich das bdquogroszlige Bildldquo das er gezeichnet hat als grundlegend richtig erwiesen hat Mehr zu diesen Aufsaumltzen findet sich bei Roland Nash The Life of the Mind and the Way of Life Westchester Ill Crossway Books 1986 S 53ndash69 bzw 101ndash126 Vgl auch einige der hilfreichen Kommentare von Duriez in Dennis Francis A Schaeffer Portraits of the Man and His Work A a O S 252ndash259

Prof Dr Stephen J Wellum

Anmerkungenman einem Mann zollen kann der in seinem Denken und Leben mehr als al-les danach strebte unter der Herrschaft Jesu Christi allein zur Ehre Gottes zu leben

Prof Dr Stephen J Wellum

ist auszligerordentlicher Professor am bdquoThe Southern Baptist Theological Seminaryldquo in Louisville Kentucky (USA) Er ist ein beliebter Redner auf Konferenzen Autor mehrerer Ar-tikel und Buchbeitraumlge und Mitver-fasser (gemeinsam mit Peter Gentry) von bdquoKingdom Through Covenant A Biblical-Theological Understanding of the Covenantsldquo (Crossway 2012) Sein Artikel erschien ursprunglich als Stephen J Wellum bdquoFrancis A Schaeffer (1912ndash1984) Lessons from His Thought and Lifeldquo In SBJT Vol 6 No 2 (2002) S 4ndash32 Die Uumlbersetzung erfolgte durch Wolfgang Haumlde Redaktionell bearbeitet wurde der Beitrag von Christian Pletsch und Deike Sumann

glauben amp denken heute 22012 317 8 6 uuml

20 Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 1421 Ebd S 822 Ebd S 8ndash923 Zu mehr uber Postmodernismus sei er populaumlr oder differenziert vgl die folgenden Werke Gene E Veith Jr Postmodern Times Wheaton Cross-way 1994 David Dockery (Hrsg) The Challenge of Postmodernism Grand Rapids Baker 1995 Stanley J Grenz A Primer on Postmodernism Grand Ra-pids Eerdmans 1996 D A Carson The Gagging of God Grand Rapids Zonder-van 1996 Kevin Vanhoozer Is There a Meaning in This Text Grand Rapids Zondervan 1998 und Millard Erickson Truth or Consequences The Promise and Perils of Postmodernism Downers Gro-ve InterVarsity Press 2001 sowie The Postmodern World Wheaton Crossway 200224 Carson The Gagging of God A a O S 1925 Schaeffers Gebrauch des Ausdrucks bdquowahre Wahrheitldquo veranschaulicht seine Besorgnis dass der Begriff bdquoWahrheitldquo nicht laumlnger das bedeutete was er immer bedeutet hatte Um also wirkungsvoll mit einer Generation zu kommunizieren die nicht an Wahrheit glaubt praumlgte er diesen Ausdruck um eine objektive uni-versale der Wirklichkeit entsprechende Sicht von Wahrheit zu kommunizieren26 Vgl dazu auch Carson The Gagging of God A a O S 13ndash54 u 419ndash51427 Zu dieser Analyse vgl besonders Fran-cis A Schaeffer Preisgabe der Vernunft Kurze Analyse der Ursprunge und Ten-denzen des modernen Denkens 5 Aufl GenfWuppertal Brockhaus Verlag 198528 Der Begriff bdquoRationalismusldquo kann fur verschiedene Leute verschiedene Dinge bedeuten Fur manche ist es ein Begriff der sich auf eine erkenntnistheoretische Schule bezieht die als bdquoKontinentaler

Rationalismusldquo bekannt ist im Gegen-satz zu anderen Schulen wie dem bdquoBri-tischen Empirismusldquo oder Immanuel Kants bdquoTranszendentalem Idealismusldquo Fur andere bezieht er sich einfach auf eine Person die den Gebrauch der Ver-nunft uberbetont Was jedoch Schaeffer betrifft so gebraucht er den Begriff in Bezug auf bdquojede Philosophie oder jedes Gedankensystem das vom Menschen alleine ausgeht beim Versuch einen ein-heitlichen Sinn des Lebens zu findenldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 200) Mit an-deren Worten bdquoRationalismusldquo bezieht sich auf eine Geisteshaltung auf einen philosophischen Ansatz der Menschen als die letzte Autoritaumlt in Fragen von Wahrheit und Wirklichkeit betrachtet und das dann gegen das Christentum setzt das Gott und sein Wort als die letz-te Autoritaumlt fur Fragen von Wahrheit und Wirklichkeit betrachtet29 Schaeffers Analyse des westlichen Den-kens als einer schrittweise Entwicklung einer Anzahl dialektischer Spannungen aumlhnelt sehr der Analyse von Herman Dooyewwerd A Critique of Theoretical Thought 4 Bde Philadelphia Presbyte-rian and Reformed 1953ndash58 Viel ver-dankt sie seinem ehemaligen Professor Cornelius Van Til dessen Gedanken sich in Werken befinden wie A Christian Theory of Knowledge Phillipsburg Pres-byterian and Reformed 1969 und A Sur-vey of Christian Epistemology Philadel-phia Presbyterian and Reformed 196930 Vgl Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 19ndash94 Fur Schaeffer war diese Analyse ein Herzstuck seiner Apologetik Immer wieder versuchte er den Men-schen zu helfen sich erkenntnistheore-tisch der Implikationen ihrer Denkvor-aussetzungen bewusster zu werden Da-bei versuchte er zu zeigen dass alle Welt-bilder auszliger dem Christentum letztlich in sich inkonsequent sind und es daher nahezu unmoumlglich ist sie in der Praxis

auszuleben Zu weiteren Informationen uber das Wesen und die Methodologie von Schaeffers Apologetik vgl Gott ist keine Illusion A a O S 132ndash18131 Dieses Thema zieht sich durch alle Schriften Schaeffers hindurch und eben-so durch seine auf Band aufgenommenen Vorlesungen Vgl besonders seine Ton-band-Vorlesung mit dem Titel bdquoGrund-legende Probleme denen wir gegenuber stehenldquo Teil 1 und 2 Alle Tonbaumlnder Schaeffers und die der LrsquoAbri Fellowship koumlnnen gekauft werden durch Sound Word Associates PO Box 2036 Ches-terton IN 46304 oder uber httpwwwsoundwordcom oder sind kostenlos im LlsquoAbri ideas library verfugbar URL httpwwwlabri-ideas-libraryorg 32 Es ist viel daruber diskutiert worden ob Schaeffer Barth richtig interpretiert und verstanden hat Ohne Zweifel gibt es bei Barth viel mehr Nuancen als Schaef-fer in seinen Buchern erwaumlhnt und uber Barths Theologie kann und muss viel mehr gesagt werden Ich wurde jedoch behaupten dass Schaeffers grundlegende Analyse richtig ist besonders an den von ihm betonten Punkten Fur eine tiefer ge-hende Behandlung von Barths Theologie die einer aumlhnlichen Beurteilung folgt vgl Cornelius Van Til Christianity and Barthianism Nutley Presbyterian and Reformed 197733 Vgl die auf Band aufgenommenen Vor-lesungen Schaeffers mit den Titeln bdquoBasic Problems We Faceldquo (Grundlegende Prob-leme denen wir gegenuberstehen) bdquoEx-clusive Christ in an Inclusive Ageldquo (Der ausschlieszligliche Christus in einem Zeit-alter das alles einschlieszligt) bdquoRelativism in the 20th Centuryldquo (Relativismus im 20 Jahrhundert) und bdquoVatican Council IIldquo (Das Zweite Vatikanische Konzil) In den Vorlesungen uber das Zweite Va-tikanische Konzil analysiert Schaeffer einfuhlsam die Verschiebungen die in der roumlmisch-katholischen Theologie vor sich gingen bis hin zu einem bdquoinklusive-

renldquo Verstaumlndnis von Heil zu Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils im Jahr 196234 Der Begriff bdquoWeltbildldquo ist heute mitt-lerweile dank des Einflusses von Men-schen wie Francis Schaeffer ublich Fur ein populaumlres Werk das uns hilft Ideen aus der Perspektive von Weltbildstruktu-ren zu sehen vgl James Sire The Univer-se Next Door 3 Aufl Downers Grove InterVarsity Press 199735 In der Apologetik wird das Wort bdquoDenkvoraussetzungldquo (Praumlsuppositi-on) nicht immer auf die gleiche Art ge-braucht Es ist wichtig sich daran zu erinnern und leider wird das oft verges-sen in Debatten uber methodologische Unterschiede zwischen verschiedenen apologetischen Ansaumltzen innerhalb der evangelikalen Apologetik Schaeffer zum Beispiel benutzte den Begriff mit Bezug auf bdquoeinen Glauben oder eine Theorie die angenommen wird bevor der naumlchs-te Schritt in der Logik entwickelt wirdldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 201 [Anm In der dt Ausgabe fehlt die Erklaumlrung]) In diesem Sinne dienen bdquoDenkvorausset-zungenldquo als Hypothesen die unabhaumlngig verifiziert werden mussen durch solche Dinge wie Logik historische Beweise pragmatische Eignung usw Gordon Clark Three Types of Religious Philoso-phy 2nd Jefferson Md Trinity Foun-dation 1989 S 121ndash123 gebrauchte den Begriff um sich auf bdquoAxiomeldquo des Gedankensystems einer Person zu bezie-hen die unbeweisbar sind weil sie dog-matisch postuliert werden als ein erstes Prinzip das zu demonstrieren es nichts Grundlegenderes gibt Andererseits ge-brauchte Cornelius Van Til den Begriff mit Bezug auf die letztgultigen Kriterien eines Weltbildes die nicht jenseits ver-nunftgemaumlszliger Beweisbarkeit liegen d h sie sind transzendentale Gegebenheiten uber die man streiten und sie verteidi-gen muss Wie Van Til feststellt bdquoEin

wahrhaft transzendentales Argument nimmt jede Erfahrungstatsache die es untersuchen moumlchte und versucht zu bestimmen was die Denkvoraussetzung dieser Tatsache sein muss um es zu dem zu machen was es istldquo (Cornelius Van Til A Survey of Christian Epistemology Philadelphia Presbyterian and Refor-med 1969 S 10 u vgl S 201) Zu ei-ner hilfreichen Diskussion daruber wie der Begriff Denkvoraussetzung in der christlichen Apologetik gebraucht wird vgl Greg L Bahnsen Van Tilrsquos Apologe-tic Readings and Analysis Phillipsburg N J PampR Pub 1998 S 461ndash69736 Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 1037 Schaeffer Preisgabe der Vernunft A a O S 11ndash1238 Schaeffer sprach davon mit dem Begriff bdquoPrauml-Evangelisationldquo Christliche Apolo-getik so argumentiert er hat zwei Ziele (1) das Evangelium zu verteidigen und (2) das Evangelium auf eine Art weiterzuge-ben dass die jeweilige Generation es ver-stehen kann Beim Gebrauch des Begriffs bdquoPraumlevangelisationldquo bezog er sich auf (2) Schaeffers Anliegen war es dass bei unse-rer Darbietung des Evangeliums beson-ders beim Leben in einer zunehmend bi-blisch analphabetischen und postchristli-chen Kultur die Menschen Wissen uber das Evangelium brauchen bevor sie zum Glauben kommen Daher ist Praumlevange-lisation noumltig Wie er feststellt bdquokommt die Einladung zu handeln [das heiszligt an Christus zu glauben] erst nachdem eine angemessene Wissensgrundlage gegeben wurde hellip Wissen geht dem Glauben vor-aus Das ist entscheidend fur das Verste-hen der Bibel bdquoZu sagen (und das sollten Christen) dass nur jener Glaube wahrer Glaube ist der an Gott auf der Grundlage von Wissen glaubt bedeutet etwas zu sa-gen das in der Welt des zwanzigsten Jahr-hunderts eine Explosion verursachtldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 153ndash154)

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

32 7 8 6 uuml

39 Vgl zum Beispiel Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 96ndash160 Francis A Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houmlren Genfer Bibelgesellschaft 2004 und verschiedene Bandaufnahmen wo er das diskutiert etwa in bdquoBasic Problems We Faceldquo und bdquoBefore the Beginningldquo40 Der Ausdruck bdquodie Gedanken Got-tes ihm nachdenkenldquo war ein starker Schwerpunkt im Denken Cornelius Van Tils dem Apologetiklehrer Schaeffers am Westminster Theological Seminary Zu einer hilfreichen Diskussion dieser Wen-dung bei Van Til auch mit Anwendung auf Schaeffers Denken vgl Bahnsen Van Tillsquos Apologetic A a O S 220ndash26041 Dieses Argument wird besonders entwickelt in Francis A Schaeffer Ge-nesis in Raum und Zeit Wuppertal Brockhaus Verlag 1976 und Francis A Schaeffer Die groszlige Anpassung Der Zeitgeist und die Evangelikalen Asslar Schulte u Gerth 198842 Fur die Zentralitaumlt der Lehre von Gott im Leben Schaeffers vgl solche Werke wie Francis A Schaeffer Geistliches Leben ndash Was ist das Wuppertal R Brockhaus Verlag 1975 Schaeffer Un-sere Welt soll sein Wort houmlren A a O Schaeffer Die grosse Anpassung A a O43 Man muss einfach an die tobende De-batte innerhalb der evangelikalen Theolo-gie uber bdquoOffenen Theismusldquo (engl Open Theism) denken und an den Versuch bdquoOffener Theistenldquo die Lehre von Gott neu zu definieren und zu revidieren Vgl dazu die verschiedenen Bucher von bdquoOf-fenen Theistenldquo wie etwa Clark Pinnock et al The Openness of God Downers Grove InterVarsity Press 1994 John Sanders The God Who Risks Dow-ners Grove InterVarsity Press 1998 und Gregory A Boyd God of the Possible Grand Rapids Baker 2000 Im Hinblick auf eine Antwort und kompetente Kritik vgl Bruce A Ware Godrsquos Lesser Glory

Wheaton Crossway 2000 und John M Frame No Other God Phillipsburg Presbyterian and Reformed 200144 Zu dem was die Schrift von sich selbst behauptet vgl Wayne Grudem bdquoScripturersquos Self-Attestation and the Problem of Formulating a Doctrine of Scriptureldquo In D A Carson und John D Woodbridge (Hrsg) Scripture and Truth Grand Rapids Zondervan 1983 S 19ndash59 John Frame bdquoScripture Speaks for Itselfldquo In John Warwick Mont-gomery (Hrsg) Godrsquos Inerrant Word Minneapolis Bethany 1974 S 178ndash200 Sinclair Ferguson bdquoHow Does The Bible Look at Itselfldquo In Harvie Conn (Hrsg) Inerrancy and Hermeneutic Grand Ra-pids Baker 1988 S 47ndash6645 Schaeffers Argument an diesem Punkt grundet sich auf die erkenntnistheoreti-sche Notwendigkeit der Irrtumslosigkeit d h ohne einen irrtumslosen Text gibt es keinen Weg theologische Lehren zu begrunden Was meint Schaeffer damit Schaeffers Argument ist nicht dass man der Bibel nirgendwo trauen koumlnne wenn sie an einem Punkt falsch laumlge Offen-sichtlich ist dieses Argument falsch Nur weil die Bibel moumlglicherweise an einem Punkt falsch liegt heiszligt das noch nicht dass sie nicht verlaumlsslich ist in vielem von dem was sie an anderen Stellen die be-staumltigt werden koumlnnen lehrt Er meinte vielmehr Folgendes Wenn die Schrift nicht in allem was sie bekraumlftigt irr-tumslos ist wie koumlnnen wir dann irgend-eine in der Schrift behauptete Wahrheit wissen Eine in der Schrift behauptete theologische Wahrheit koumlnnte geglaubt werden sie mag sogar wahr sein aber wie kann sie gewusst werden wenn die Schrift Irrtumer erhaumllt Letztendlich wird die Schrift nicht als unsere letzte Autoritaumlt dienen koumlnnen wenn sie nicht in allem was sie behauptet vertrauenswurdig und verlaumlsslich ist46 Schaeffer Die groszlige Anpassung A a O 149

47 Ebd S 60ndash6148 Vgl Scott R Burson und Jerry L Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer Lessons for A New Century From the Most Influential Apologists of Our Time Downers Grove Ill InterVarsity Press 1998 S 11449 Ebd S 135ndash13650 Ebd S 13551 Es gab zuletzt viele Diskussionen uber die Folgen einer libertarianischen Sicht von menschlicher Freiheit fur das Kon-zept von der goumlttlichen Souveraumlnitaumlt und daher uber die Beziehung zwischen Gott und der Schrift David Basinger und Randall Basinger brachten in bdquoInerran-cy Dictation and the Free Will Defen-seldquo (In Evangelical Quarterly 55 (1983) S 177ndash180) die Diskussion in Gang indem sie die Auffassung vertraten dass jemand nicht gleichzeitig am Libertaria-nismus und an der Irrtumslosigkeit fest-halten koumlnnte wenn man sich nicht auf eine Theorie von der Inspiration als Dik-tat berufen wolle Burson und Walls be-ziehen sich positiv auf das Argument der Basingers und versuchen dann Schaeffer ins Lager des Libertarianismus zu stecken und so eine Inkonsequenz in Schaef-fers Denken darzulegen Die Frage ob Schaeffer ein Libertarianer war ist sehr schwer zu beurteilen Schaeffer arbeitete nicht mit einer praumlzisen Definition von menschlicher Freiheit besonders nicht in der Art wie wir es heute in der phi-losophischen und theologischen Literatur finden Schaeffers Anliegen war vielmehr die Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen zu betonen im Kontrast zu dem Determinismus von Leuten wie B F Skinner Gleichzeitig behielt er aber eine starke Wahrnehmung der souveraumlnen Herrschaft und Regierung Gottes uber die Welt Ich bin sicher dass Schaeffer die Art wie Libertarianer ihre Auffas-sung heute darlegen und besonders wie sie diese auf die Lehre von der Schrift (vgl Basingers Auffassung) angewandt

haben ohne Umschweife abgelehnt haumlt-te Zu einer tiefer gehenden Diskussion uber die Beziehung zwischen goumlttlicher Souveraumlnitaumlt und menschlicher Freiheit in ihrer Anwendung auf die Schrift vgl meine Artikel bdquoThe Importance of the Nature of Divine Sovereignty for Our View of Scriptureldquo In The Southern Baptist Journal of Theology Vol 4 No 2 (2000) S 76ndash90 und bdquoDivine Sovereign-ty-Omniscience Inerrancy and Open Theism An Evaluationldquo In Journal of the Evangelical Theological Society (Juni 2002)52 Vgl Schaeffer Und er schweigt nicht A a O S 88ndash8953 Vgl Fn 5154 J I Packer bdquosbquoSola Scripturalsquo in History and Todayldquo In John Warwick Montgo-mery Godlsquos Inerrant Word An Interna-tional Symposium on the Trustworthi-ness of Scripture Minneapolis Bethany Fellowship 1974 S 6055 Einige aktuelle Werke die eine hohe Meinung von der Schrift verteidigen sind zum Beispiel D A Carson und John Woodbridge (Hrsg) Scripture and Truth and Hermeneutics Authority and Canon Grand Rapids Zondervan 1986 Norman Geisler (Hrsg) Inerran-cy Grand Rapids Zondervan 1980 J M Boice (Hrsg) The Foundation of Biblical Authority Grand Rapids Zon-dervan 1978 Harvie M Conn (Hrsg) Inerrancy und Hermeneutic A Tradi-tion a Challenge a Debate Michigan Baker Books 1988 Gordon Lewis und Bruce Demarest (Hrsg) Challenges to Inerrancy Chicago Moody 1984 Earl Radmacher und Robert Preus (Hrsg) Hermeneutics Inerrancy and the Bible Grand Rapids Zondervan 1984 Carl F H Henry God Revelation and Au-thority 6 Bde Waco Word 1976ndash8356 Vgl zu diesem Punkt Schaeffers Be-sprechung in Schaeffer Die groszlige An-passung A a O S 60ndash62

57 Ebd S 53ndash5458 Zu der Geschichte hinter LrsquoAbri und wie es geboren und mit Gebet aufrecht-erhalten wurde vgl Schaeffer Llsquo Abri A a O59 Damit will ich nicht sagen dass nicht manche Evangelikale Barths Theologie kritisierten Aber Schaeffer zusammen mit Van Til war es wichtig dass sich die evangelikale Theologie von Barth unterscheiden wurde selbst wenn Barth viele ausgezeichnete Einwaumlnde gegen den Liberalismus aussprach Sowohl Van Til als auch Schaeffer waren besorgt uber das Gesamtpaket von Barths Denken dass nach ihrer Uumlberzeugung das historische Christentum untergraben wurde Zu Van Tils harter Reaktion auf Barth vgl Christianity and Barthianism Nutley Presbyterian and Reformed 1977 Vgl auch John Frames praumlgnante Zusammen-fassung von Van Tils Problem und seine Ablehnung der Theologie Barths auch parallel zur Reaktion Schaeffers in John M Frame Cornelius Van Til An Analy-sis of His Thought Phillipsburg N J P amp R Publication 1995 S 353ndash36960 Das heiszligt nicht dass Schaeffer der Einzige war der Barth an diesem Punkt kritisierte Ich habe schon Van Til als ei-nen anderen entschlossenen Kritiker er-waumlhnt und es gab noch weitere61 Brown Standing Against the World A a O S 20ndash2162 Vgl Iain Hamish Murray Evangeli-calism Divided A Record of Crucial Change in The Years 1950 to 2000 Edin-burgh UKCarlisle Pa Banner of Truth Trust 2000 S 50 Fn 5 u S 76ndash77 Vgl auch die Stellen wo Schaeffer seine Sorge daruber formuliert dass die evangelikale Bewegung im Bereich der Evangelisation mit solchen zusammenarbeitet die in ih-rer Theologie nicht evangelikal sind in Francis A Schaeffer Kirche am Ende des 20 Jahrhunderts 2 Aufl Genf [u a] Haus der Bibel [u a] 1973 S 38ndash45

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 337 8 6 uuml

Die grosse Anpassung A a O S 86ndash87 und Schaeffer und Dennis Letters of Francis A Schaeffer A a O S 7263 Vgl Brown Standing Against the World A a O S 21ndash22 Viel von der Kritik Schaeffers an Graham in diesem Punkt ist nicht direkt aufgeschrieben worden Wir wissen es von denen die Schaeffer persoumlnlich kannten und eben-so aus Andeutungen daruber in Schaef-fers Schriften Vgl zu diesem Punkt Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houml-ren A a O und Die grosse Anpassung A a O S 85ndash8764 Brown Standing Against the World A a O S 21ndash2265 Brown Standing Against the World A a O S 21 Schaeffer stellt fest bdquoWas nutzt es daszlig der Protestantismus zah-lenmaumlszligig immer mehr zunimmt wenn aber eine so groszlige Zahl derer die den Namen sbquoevangelikallsquo tragen nicht mehr an dem festhalten was den Protestantis-mus evangelikal macht Wenn dem kein Einhalt geboten wird dann sind wir dem Anspruch der Bibel den sie in Bezug auf sich selbst erhebt nicht treu ergeben und wir sind auch nicht ehrlich gegenuber dem was Jesus Christus in Bezug auf die Bibel geltend macht Aber ebenso ndash und das durfen wir nie vergessen ndash werden wir und unsere Kinder nicht fur die vor uns liegenden schweren Zeiten gewappnet sein wenn dies so weitergehtldquo (Die groszlige Anpassung A a O S 85)66 Brown Standing Against the World A a O S 21ndash2267 Ebd S 2468 Ebd S 2569 Schaeffer Die grosse Anpassung A a O S 54ndash5570 Schaeffer betont stark dass die evange-likale Bewegung mit dem ganzen Men-schen umgehen muss ndash mit Verstand Wille Gefuhlen Herz und Seele Als er bei einer Gelegenheit gefragt wurde wie er sich selbst betrachte als Theologe

Philosoph oder als Apologet sagte er er sei ein Evangelist Er sah jedoch seine Evangelisation nicht als geschieden von den groszligen intellektuellen und kultu-rellen Fragen des Lebens an weil Men-schen ganzheitliche Wesen sind Er stellt fest bdquoMenschen sagen oft sbquoWas bist dulsquo Und manchmal sage ich sbquoNun ich bin ganz einfach ein Evangelistlsquo Manchmal denke ich jedoch nicht dass die Men-schen verstanden haben dass das nicht bedeutet dass ich an einen Evangelisten im Kontrast zum sorgfaumlltigen Umgang mit philosophischen intellektuellen oder kulturellen Fragen denke Ich bin kein professioneller akademischer Philosoph ndash das ist nicht meine Berufung und ich bin froh die Berufung zu haben die ich habe und bin genauso froh dass manche andere Leute andere Berufungen haben Aber wenn ich sage dass ich ein Evange-list bin heiszligt das nicht dass ich glaube meine Philosophie usw sei nicht gultig Ich glaube sie ist es hellip Ich sage aber dass sich all das kulturelle intellektuelle oder philosophische Material nicht davon trennen laumlsst Menschen zu Christus zu fuhren Ich denke mein Reden uber Me-taphysik Moral und Erkenntnistheorie zu gewissen Individuen ist genauso Teil meiner Evangelisation wie der Moment wo ich ihnen zeige dass sie moralisch schuldig sind und ihnen sage dass Chris-tus fur sie am Kreuz starb Ich sehe oder fuhle da keine Dichotomie Dies ist mei-ne Philosophie und jenes ist meine Evan-gelisation Die ganze Sache ist Evange-lisation an Menschen die gefangen sind in der zweiten Verlorenheit uber die wir sprachen Die zweite Verlorenheit ist die dass sie keine Antworten auf die Fragen nach Sinn Ziel und so weiter haben hellip Fur mich besteht eine Einheit aller Wirk-lichkeit und wir koumlnnen entweder sagen dass jeder Studienbereich ein Teil der Evangelisation ist hellip oder wir koumlnnen sagen dass es keine wahre Evangelisation gibt die nicht die gesamte Wirklichkeit und das ganze Leben betrifftldquo (The Com-

plete Works of Francis A Schaeffer Bd 1 A a O S 185ndash187)71 Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houmlren A a O S 23ndash2472 Vgl Schaeffer und Dennis Letters of Francis A Schaeffer A a O u Teil 2 von Burson und Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer A a O S 131ndash20573 Zitiert in Hamilton bdquoThe Dissatisfac-tion of Francis Schaefferldquo A a O S 2574 Ich moumlchte den Leser noch einmal ver-weisen auf Teil 2 von Burson und Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer A a O S 131ndash20575 Brown Standing Against the World A a O S 2676 Francis A Schaeffer Jeder ist von Be-deutung 16 Predigten fur das 20 Jahr-hundert Neuhausen Stuttgart Haumlnssler 1982 S 13 u 21

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben Werbung

bdquoldquoAusbildung und Theologie sind

fuumlr den Menschen da nicht der Mensch fuumlr Ausbildung und Theologie

MARTIN BUCER SEMINARMARTIN BUCER SEMINAR

Theologie studieren in Chemnitz

34 7 8 6 uuml

Gilbert Achcar Die Araber und der Ho-locaust Der arabisch-israelische Krieg der Geschichtsschreibungen Edition Nauti-lus 368 S ISBN 978-3-89401-758-3 2990 Euro

Irrefuumlhrende Verharmlosung

Gilbert Achcars Buch bdquoDie Araber und der Holocaustldquo das 2009 urspruumlng-lich auf Franzoumlsisch erschienen ist ist nach der arabischen und der englischen Uumlbersetzung nun auch auf Deutsch er-haumlltlich Achcar ist Professor fuumlr Ent-wicklungsstudien und internationale Beziehungen an der bdquoSchool of Oriental and African Studiesldquo in London Sein Buch ist der Versuch einer Ehrenrettung

der arabischen Nationen vor dem Vor-wurf des kollektiven Antisemitismus Die Pressestimmen dazu uumlberbieten sich gegenseitig in ihrem Lob Der Au-tor will einen differenzierten Blick auf die arabische Rezeption des Holocaust vermitteln Er behandelt dazu zwei gro-szlige Zeitabschnitte bdquoDie Zeit der Shoahldquo und bdquoDie Zeit der Nakbaldquo was sinnge-maumlszlig jeweils bdquoDie Zeit der Katastropheldquo bedeutet Damit deutet sich bereits eine Problematik an Die Verhaumlltnisbestim-mung von Holocaust und Staatsgruumln-dung Israels Im Holocaust sieht Achcar das einzige und obendrein heftig miss-brauchte Argument fuumlr die Staatsgruumln-dung (S 243 ua) sowie fuumlr den bdquodeut-schen Philosemitismusldquo (S 266) Dabei uumlbergeht er andere wichtige Gruumlnde fuumlr die Unterstuumltzung der israelischen

Anliegen Er geht davon aus dass die Staatsgruumlndung unrechtmaumlszligig erfolgt sei (S 138 153) Deswegen war aus sei-ner Sicht auch jeder Verteidigungskrieg dieses Staates illegitim (S 34f) Israel sei ein bdquokolonialer Siedlerstaat europauml-ischen Ursprungsldquo (S 32) Auszligerdem sieht Achcar in den Juden kein Volk sondern eine Religionsgemeinschaft Sie haumltten zwar eine Art nationale Identi-taumlt entwickelt koumlnnten aber aumlhnlich wie Christen und Muslime kein Land beanspruchen (S 265) Die Vorstellung von einer bdquoEinstaatenloumlsungldquo die der Autor zu praumlferieren scheint mit einer juumldischen Minderheit die unbehelligt unter arabischer Herrschaft lebt ist im besten Fall eine naive Utopie Achcar gibt an denjenigen zu widersprechen die aus der Geschichte einen immer da-

gewesenen unabaumlnderlichen arabischen beziehungsweise islamischen Antisemi-tismus konstruiert haumltten und die Ara-ber heute insgesamt als Antisemiten und Nazis abstempelten Er gibt eine Fuumllle von Quellen an und kann vielleicht je-nen den Wind aus den Segeln nehmen die alle Araber als praumldestinierte Nazi-kollaborateure darstellen Kritikwuumlrdig ist die geflissentliche Vernachlaumlssigung der Beschreibung der aktuellen Zu-staumlnde in der arabischen Welt bdquoHaupt-thema ist schlieszliglich die historische Beziehung der Araber zum Holocaust als er stattfand weniger ihre aktuelle Beziehung zur historischen Erinnerung an die Shoahldquo (S 169) Man kann aus der Lektuumlre die Erkenntnis mitnehmen dass zur Zeit des Zweiten Weltkrieges die meisten Araber nicht mit der na-

Die Araber und der HolocaustGilbert Achcar

Carmen Matussek

Rez

ensi

onen

glauben amp denken heute 22012 357 8 6 uuml

tionalsozialistischen Judenverfolgung einverstanden waren was aber kaum jemand angezweifelt hat Wer von der gleichzeitigen Zusammenarbeit einiger hochrangiger Araber mit dem Nazire-gime nichts wusste wird daruumlber eben-falls umfassend informiert selbst wenn Achcar viele Fakten nur nennt um sie anschlieszligend zu relativieren

Erschwerend fuumlr eine Kritik ist dass der Autor seine Meinung haumlufig nicht mit eigenen Worten kundtut sondern ganz im Sinne postmodernen Stils weit-gehend unkommentiert Zitate anein-anderreiht die Ruumlckschluumlsse auf seine Sicht zulassen Meint er tatsaumlchlich dass Palaumlstina als Ort fuumlr die Staats-gruumlndung Israels lediglich ein zufaumlllig da herumschwimmendes bdquoFloszligldquo war (S 26) und dass Israel vor dem Sechs-Tage-Krieg 1967 bdquokaum in ernster Gefahrldquo (S 219) war Zumindest behauptet er mit Nachdruck dass bdquomanche Judenldquo sich 1948 in Palaumlstina gaumlnzlich zu Unrecht bdquovon der Vernichtungldquo bedroht gefuumlhlt haumltten (S 178) und dass Israel damals bdquoalleinldquo fuumlr die bdquoGewalt verantwortlichldquo gewesen sei (S 234f) Auch hier han-delt es sich um ein Zitat das er aber aus-druumlcklich bejaht

Zudem formuliert Achcar seine Aussa-gen oft als Fragen und negativ wodurch ihre Essenz vernebelt wird bdquoWarum ist es weniger schockierend wenn man er-oberte Voumllker die besetzt entwurzelt und zu Fluumlchtlingen gemacht wurden

mit den Nazis vergleicht als wenn man eine Besatzungsarmee die Gebiete von vier Nachbarlaumlndern erobert hat mit diesem Vergleich belegtldquo (S 223) Man denke sich den Satz im Umkehrschluss bdquoOder was ist uumlber jene Araber zu sa-gen die den Holocaust aus lauter Wut oder einer Art hilfloser Aufschneiderei leugnen um so ihre innere Spannung loszuwerden erzeugt durch einen sbquojuumldi-schen Staatlsquo der sie aus einer uumlberwaumll-tigenden Uumlberlegenheitsposition heraus erdruumlcktldquo (S 262)

Vier Hauptgruppen bei Arabern

Achcars Forschungsgegenstand ist aber nicht die Holocaustleugnung des einen oder anderen Palaumlstinensers sondern bdquoder Araberldquo die es natuumlrlich bdquonicht gibtldquo (S 39) zumindest nicht als Antise-miten wohl aber als Betroffene des Ho-locaust und der juumldischen Immigration nach Palaumlstina (S 11) Die Araber will er in vier politische Hauptstroumlmungen unterteilt wissen Bei deren Aufzaumlhlung fragt man sich unwillkuumlrlich ob die Reihenfolge als Rangordnung gedacht ist 1 Westlich orientierte Liberale 2 Marxisten 3 Nationalisten 4 Reak-tionaumlre undoder fundamentalistische Panislamisten (S 40) Erst sehr viel spaumlter und in einem Nebensatz werden die Marxisten als das bezeichnet was sie

waren eine bdquowinzige Minderheitenstrouml-mungldquo (S 82) Wie selbstverstaumlndlich scheint Achcar davon auszugehen dass Antisemitismus in der ersten Gruppe keine groszlige Rolle spielte Dabei erwaumlhnt er nicht dass beispielsweise Al-Aqqad der zu den groszligen Liberalen zaumlhlt (S 103) und sich kritisch zum Hitlerregime geaumluszligert hatte ein wohlwollendes Vor-wort zu At-Tunisis arabischer Uumlberset-zung der bdquoProtokolle der Weisen von Zionldquo von 1951 geschrieben hat Bil-dung bdquoAufklaumlrungldquo und Antisemitis-mus schlieszligen sich damals wie heute nicht aus

Den flaumlchendeckenden Antisemitis-mus in der arabischen Welt verharmlost Achcar mal als Spannungsventil mal als Antiimperialismus (S 188f) dann als Provokation (S 254) als bloszlige Reaktion (S 255f) und als Bildungsluumlcke (S 247 261) Nassers Antisemitismus tut er als bdquoIgnoranzldquo ab (S 195f) dessen Holo-caustleugnung als ein Versehen (S 207) Ahmad Hussein Gruumlnder und Anfuumlh-rer der Bewegung bdquoJunges Aumlgyptenldquo disqualifiziert sich als ernstzunehmen-der Antisemit laut Achcars Darlegung durch seine politische Sprunghaftigkeit (S 81) Auch Al-Gaylani Premiermi-nister des Koumlnigreichs Irak und gluuml-hender Bewunderer der Nazis wird als Antisemit wider Willen vorgestellt Die bdquoArroganz Londonsldquo sei bdquofuumlr Gaylanis Radikalisierung verantwortlichldquo gewe-sen und somit waumlre er bdquoim eigentlichen

Sinne kein Anhaumlnger Hitlerdeutsch-landsldquo (S 90) Den Relativierungen und Verdrehungen scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein Die Ernennung von Hajj Amin al-Husseini der sich wie kein an-derer Araber aktiv in die bdquoEndloumlsung der Judenfrageldquo eingebracht hat zum Mufti Jerusalems sei fuumlr die zionistische Be-wegung ein bdquounschaumltzbarer Dienstldquo ge-wesen (S 129) Zudem habe er mit der Mobilisierung von 200000 Muslimen fuumlr den bdquoKampf der Achsenmaumlchteldquo und anderen Taumltigkeiten weit weniger erreicht als er sich vorgenommen hatte (S 144) Achcar bringt es fertig umfas-sendes Material uumlber die Machenschaf-ten des Muftis zusammenzutragen und ihn hernach als bdquounbedeutendldquo hinzu-stellen und das bdquoBeduumlrfnisldquo bdquozahlreicher Autorenldquo zu bemaumlngeln bdquoden Mufti (hellip) zu verunglimpfenldquo (S 148) Gleich-zeitig schreibt Achcar ihm aber selbst so viel Einfluss zu dass dieser als bdquoreligi-oumlse Autoritaumltldquo mit seinen Radioreden und seiner eigenwilligen Auslegung des Islam bdquoein jahrhundertealtes Erbe der Koexistenz zunichteldquo gemacht habe (S 150f) Als unbedeutend beschreibt Ach-car auch die zahlreichen deutschen Na-tionalsozialisten die nach 1945 in der arabischen Welt besonders in Aumlgypten ihre politischen Karrieren fortgesetzt haben (S 201)

Uumlberhaupt seien ndash das ist die Kern-these des Buches ndash am arabischen Anti-semitismus vor allem die Juden schuld

Die Araber und der Holocaust

36 7 8 6 uuml

bdquoIm Gegensatz dazu sind die antisemiti-schen Aumluszligerungen die heutzutage aus der arabischen Welt kommen meist kultureller Ruumlckstaumlndigkeit geschuldete Phantastereien in denen sich die tiefe Frustration einer unterdruumlckten Nation aumluszligert Die Verantwortung dafuumlr ist in der Tat der Mehrheit sbquoder Judenlsquo Palaumlsti-nas und spaumlter dem sbquojuumldischen Staatlsquo Is-rael zuzuschreiben den diese begruumlndet habenldquo (S 242)

Was bdquoAntisemitismusldquo versus bdquoAnti-zionismusldquo betrifft unterscheidet Ach-car sogar zwischen der antisemitischen und der antizionistischen (also legiti-mierenden weil bdquonichtrassistischenldquo) Lesart der bdquoProtokolle der Weisen von Zionldquo (S 197f) Nun ist aber die Pro-pagierung einer zionistischen Weltver-schwoumlrung nicht weniger antisemitisch als die einer juumldischen Der Antisemitis-mus von bdquokulturell ruumlckstaumlndigenldquo und bdquounterdruumlcktenldquo Menschen ist nicht weniger moumlrderisch als der von privile-gierten Und Achcar beantwortet nicht die Frage inwiefern antisemitische Propaganda in Algerien den Vereinig-ten Arabischen Emiraten oder bei ara-bischen Migranten in Europa ndash durch alle Bevoumllkerungsschichten hindurch ndash mit Ohnmachtsgefuumlhlen gegenuumlber den Israelis zusammenhaumlngen soll Dabei weiszlig er sehr wohl dass man unterschei-den kann zwischen einem Ressenti-ment das der Feindbildgenese in einem realen Konflikt entspringt und einem

das das Ergebnis gezielter Propaganda ist Obwohl bekanntlich in den arabi-schen nicht den israelischen Schulbuuml-chern offen Hetze betrieben wird legt der Autor die Betonung auf die israeli-sche Verantwortung

Beispiel fuumlr intellektuelle Verweigerung

Achcars Buch ist ungeeignet wenn man sich uumlber den Antisemitismus in der arabischen Welt und das dortige Phaumlnomen der Holocaustleugnung in-formieren moumlchte Es ist ein Beispiel fuumlr intellektuelle Verweigerung gegenuumlber den Gruumlnden fuumlr die eingefahrene Lage auch wenn er die Araber sehr wohl zur Selbstkritik mahnt (S 279) Auf dem Gipfel der Geschmacklosigkeit unter-stellt Achcar dem bdquoMiddle East Media Research Instituteldquo (MEMRI) das in einer Sammlung von Zitaten Kari-katuren und Videos das Ausmaszlig des arabischen Antisemitismus abzubilden versucht bdquoGenugtuungldquo bei der Arbeit Als weitere Beispiele fuumlr bdquoantiarabischeldquo Agitatoren nennt er Meir Litvak und Esther Webman Yehoshafat Harkabi und Matthias Kuumlntzel Sie alle sind Autoren die ganz sicher nicht zu den antiislamischen Polemikern zaumlhlen und hier waumlrmstens empfohlen seien Ein Leser der Harkabi Kuumlntzel und Achcar nebeneinander liest und sich ein biss-

chen bei MEMRI uumlber den alltaumlglichen Wahnsinn des arabischen Antisemitis-mus informiert kann sich selbst ein realistisches Bild machen Neben den Beispielen die hier exemplarisch vor-gestellt wurden finden sich bei Achcar durchaus auch lesenswerte Informati-onen in bekoumlmmlicher professioneller Aufbereitung Aufgrund dieser Zitate und der selektiven Wahrnehmung ist fuumlr mich das Buch einer fairen Beur-teilung des Konflikts abtraumlglichUumlber die Rezensentin Carmen Matussek ist Islamwissenschaftlerin Historikerin und freie Journalistin Sie publiziert und referiert zu den Schwerpunktthemen Is-rael Nahostkonflikt Islamismus Islam und Antisemitismus Ihre Abschlussarbeit hat sie uumlber antijuumldische Verschwoumlrungs-propaganda in den arabischen Medien geschrieben und sie 2012 veroumlffentlicht Kontakt carmenmatussekwebde

Carmen Matussek

Studienzentrum in Muumlnchen

mehr infos unterwwwbucerdemuenchenhtml

glauben amp denken heute 22012 377 8 6 uuml

Warum Gerechtigkeit Timothy Keller

Dr Daniel Facius

Timothy Keller Warum Gerechtigkeit Gottes Groszligzuumlgigkeit soziales Handeln und was ich tun kann Gieszligen Brun-nen-Verlag 2012 201 Seiten ISBN 978-3765511790 1499 Euro

Timothy Keller presbyterianischer Pastor und Professor fuumlr praktische Theologie am Westminster Semina-ry hierzulande vor allem durch sein apologetisches Werk bdquoWarum Gottldquo bekannt hat mit bdquoWarum Gerechtig-keitldquo nunmehr ein Werk vorgelegt das seinem Forschungsschwerpunkt der praktischen Theologie entspringt Der vom Brunnen-Verlag gewaumlhlte Titel ist dabei offenbar dem Versuch geschuldet einen Zusammenhang mit dem Vorgaumlnger herzustellen Der Originaltitel bdquoGenerous Justiceldquo (dt bdquoGroszligzuumlgige Gerechtigkeit Wie Got-tes Gnade uns gerecht machtldquo) trifft

den Inhalt etwas besser Als Zielgruppe nennt Keller (S 10ff) junge Christen mit diakonischem Anliegen skepti-sche Christen die mit dem Thema bdquoGerechtigkeit uumlbenldquo den Verlust ge-sunder Lehre und falsche Schwerpunk-te assoziieren Christen die sich dem Thema bdquoGesellschaftstransformationldquo verschrieben haben (der deutsche He-rausgeber nennt hier Theologen wie Tobias Faix und Johannes Reimer S 174) sowie Anhaumlnger der aggressiven Atheisten die der Meinung sind dass bdquoReligion die Welt vergiftetldquo Diesen Gruppen so Keller fehlt irgendwo der Blick dafuumlr dass die Botschaft der Bi-bel und das Eintreten fuumlr Gerechtigkeit zusammengehoumlren (S 13)

Keller beginnt sinnvollerweise mit einem theoretischen Teil in dem er definiert was bdquoGerechtigkeit uumlbenldquo

bedeutet und sich entsprechende Aus-sagen des Alten und Neuen Testa-ments vornimmt Dabei geraumlt Kellers Ausgangsthese etwas steil Micha 68 lautet bei Keller (in der fuumlr exegetische Feinheiten eher weniger sensiblen hier aber zumeist gebrauchten bdquoHoffnung fuumlr Alleldquo-Uumlbertragung) bdquoHaltet euch an das Recht begegnet anderen mit Guumlteldquo

Dies sehe aus wie zwei verschiedene Dinge bdquoaber sie sind nicht verschiedenldquo (S 24) Das ist durchaus hinterfrag-bar zumal nicht einmal die von Kel-ler angegebene Quelle diese Behaup-tung unterstuumltzt Das hebraumlische jPvm (mishpat) gibt Keller mit bdquoMenschen gerecht bzw fair behandelnldquo (S 25) wieder Dies mag zwar grundsaumltzlich zutreffend sein es ist aber wohl eher eine Aufforderung an die staatlichen

Autoritaumlten Gleichheit vor dem Ge-setz zu gewaumlhrleisten als ein Aufruf an die Gesellschaft zur Armenversorgung Abgeleitet von jpv (shapat) bdquorichten zum Recht verhelfenldquo hat es eindeutig einen justitiellen Hintergrund und be-schreibt das korrekte Verstaumlndnis von Regierung (vgl Theological Wordbook of the Old Testament S 948) ohne dass es auf den Akt der Rechtspre-chung verengt werden darf

Subjekte des Shapat-Handelns sind jedoch Koumlnige oder Richter es voll-zieht sich in dem die Ursache einer Stoumlrung zwischen zwei Gruppen durch einen bdquoRichtendenldquo beseitigt wird (vgl THAT Band 2 Sp 1001) Auch wenn jPvm tatsaumlchlich oft im Verbund mit dsx (chesedh Guumlte) erscheint sollten die verschiedenen Bedeutungsspektren gewahrt werden Wenn Keller bdquoGe-

38 7 8 6 uuml

rechtigkeit uumlbenldquo als bdquoVerteidigung der Menschen mit der geringsten oumlkonomi-schen und gesellschaftlichen Kraftldquo de-finiert (S 26) dann greift das zu kurz gibt aber den Teilaspekt von bdquoGerech-tigkeitldquo wieder um den es Keller nun hauptsaumlchlich gehen wird

Uumlberzeugend gelingt die Gruumlndung von gerechtem Handeln im Wesen Got-tes In der Tat ist es vielsagend dass Gott als bdquoVater der Waisen und Helfer der Witwenldquo (Psalm 686) vorgestellt wird Gerade im Kontrast zu antiken Goumlttern die sich mit Koumlnigen und Priestern und Helden identifizieren wird die Einma-ligkeit Jahwes deutlich der sich zu den Ausgestoszligenen und Machtlosen stellt Grundsaumltzlich richtig ist es auch auf den Gemeinschaftsaspekt von Gerech-tigkeit hinzuweisen der durch das heb-raumlische hqdc (tzedaqah) zum Ausdruck kommt (das sich fuumlr Kellers Argumen-tation besser eignet als jPvm) Werden beide Worte wie es oumlfter geschieht zu-sammen verwendet will Keller dies mit bdquosoziale Gerechtigkeitldquo wiedergeben Hier wird am Beispiel Hiobs erlaumlutert wie ein bdquorechtschaffenesldquo Leben aussieht ndash ein lohnenswerter und herausfordern-der Einblick

Ob aber privates groszligzuumlgiges Geben wirklich als zwingender Bestandteil von bdquoGerechtigkeitldquo qualifiziert werden soll-te Keller ist sich offenbar im Klaren daruumlber dass diese Behauptung sehr weit geht (S 34) tut aber exegetisch we-

nig um sie zu untermauern Dass ein froumlhliches Geben Gott gefaumlllt ist un-bestreitbar Aber ist es wirklich bdquounge-rechtldquo nicht bdquogroszligzuumlgigldquo zu sein Wel-che Eigenbedeutung kommt Begriffen wie Guumlte oder Barmherzigkeit noch zu wenn das was sie beschreiben notwen-diger Bestandteil von bdquoGerechtigkeitldquo ist Eine solche Abgrenzung leistet Kel-ler nicht Am Beispiel Israels im Alten Testament zeigt Keller wie Gott die Gerechtigkeitsfrage in einem theokra-tischen Nationalstaat loumlst Er zeigt auf dass die heutige Anwendung allgemein guumlltiger Prinzipien viel Raum fuumlr Inter-pretationen laumlsst und nicht ohne weite-res in die Form eines bestimmten poli-tischen Systems gegossen werden kann

Bedenkenswert sind auch die Aus-fuumlhrungen zu Ursachen von Armut die Keller teils in der Gesellschaft (Ras-sismus Korruption Wucher) teils in Schicksalsschlaumlgen (Unfaumllle Naturka-tastrophen) und teils in charakterlichen Defiziten (Faulheit Disziplinlosigkeit) verortet (S 47ff) Bei der Betrachtung des Neuen Testaments liegt sein Schwer-punkt auf der Art und Weise wie Jesus den Armen begegnet ndash und wie er priva-te Moral und soziale Gerechtigkeit zu-sammen denkt (S 64) Dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter wird ein eigenes Kapitel gewidmet (S 70ff)

Im zweiten Teil des Buches wird es praktisch Wieso sind Appelle an die Vernunft ja selbst an die Liebe nicht

in der Lage Menschen dauerhaft zu bdquoGerechtenldquo zu machen Dem Dilem-ma einer relativistischen Moderne eine Begruumlndung fuumlr die Notwendigkeit rechtschaffenen Verhaltens zu liefern stellt Keller zwei biblische Grundmoti-vationen gegenuumlber die freudige Ehr-furcht angesichts der Guumlte von Gottes Schoumlpfung und die Erfahrung der Gna-de Gottes in der Erloumlsung (S 85)

Hier kommt es zur Verknuumlpfung von Diakonie und Evangelium die in der Erfahrung Kellers gipfelt dass bdquoMen-schen die das Evangelium der Gnade ergriffen haben und geistlich arm ge-worden sind merken wie es ihre Her-zen zu den materiell Armen zu ziehen beginntldquo (S 101)

Die wuumlnschenswerte Folge bdquoGerech-tigkeit als Lebenselementldquo (S 106) Dies kann sich vielfaumlltig aumluszligern wobei Keller drei Stufen der Hilfe skizziert (S 109) Soforthilfe Hilfe zur Entwicklung und soziale Reformen Waumlhrend Soforthilfe noch grundsaumltzlich von jedem geleis-tet werden kann ist Hilfe zur Selbst-hilfe zeitraubender und komplizierter soziale Reformen durch Einzelne gar nicht umsetzbar Keller wird hier relativ praktisch wenn er etwa den Umgang mit ganzen Problemvierteln beschreibt (S 111ff) oder konkrete Fragen auf-wirft vor denen hilfswillige Gemein-den fruumlher oder spaumlter stehen werden (S 127ff) Wie viel sollten wir helfen Wem sollten wir helfen Unter welchen

Bedingungen Auf welche Weise Hier wird auch die Rolle der Evangelisation erlaumlutert (S 129) wobei Keller davor warnt Diakonie nur als Mittel zu de-ren Zweck zu betrachten Dabei wirbt er durchaus auch fuumlr die Zusammenarbeit mit Anhaumlngern anderer Religionen und Weltanschauungen in bdquounaufdringli-cher Kooperation und respektvoller Provokationldquo (S 145) Hier gluumlckt ein interessantes Kapitel das die Schwaumlchen einer rein saumlkularen Gerechtigkeitskon-zeption entlarvt

Insgesamt gelingt Keller ein starker Beitrag zum Thema bdquoSoziale Gerechtig-keitldquo das der gerade in Deutschland so omnipraumlsenten Debatte um diesen Be-griff wichtige Impulse zu geben vermag auch wenn nicht jedes der zahlreichen aus amerikanischem Kontext stammen-den Beispiele (etwa in Bezug auf die Rassenfrage) hierzulande von gleicher Brisanz ist

Zudem ist das Buch praktisch genug um auch persoumlnlich herausfordernd zu sein Auch wenn nicht jede theoretische Annahme oder jede konkrete Schluss-folgerung vollstaumlndig zu uumlberzeugen vermag ist Kellers Plaumldoyer fuumlr einen ausgewogenen Mittelweg zwischen Ruumlckzug aus der Welt und utopischen Traumlumen von einer erloumlsten Kultur mehr als beachtlich

Dr Daniel Facius

glauben amp denken heute 22012 397 8 6 uuml

Steven Paas Christian Zionism Exa-mined A Review of Ideas on Israel the Church and the Kingdom NuumlrnbergHamburg VTR PublicationsRVB 2012 135 Seiten ISBN 978-3941750869 1499 Euro

Gut ist an diesem Buch dass es genuuml-gend Stoff zu ernsthaften spannenden Diskussionen bietet Steven Paas fordert alle heraus die in der Gruumlndung des Staates Israel von 1948 ein Zeichen der Endzeit und eine Erfuumlllung der bibli-schen Verheiszligungen sehen Somit traumlgt das Buch zur eigenen selbstkritischen Urteilsfindung bei wenn es denn nicht nur von solchen gelesen wird die aus dem theologischen Lager von Steven Paas stammen Denn der Autor legt seiner Studie eine reformiert-konfessio-nelle Hermeneutik zugrunde Er legt die ganze Bibel aus der Sicht des einen Gna-denbundes aus der in Christus zentriert

ist Damit macht Steven Paas gegenuumlber dem Christlichen Zionismus klar dass es zum Beweis der eigenen Bibeltreue nicht nur darauf ankommt Bibelstellen zu zitieren Vielmehr muss jeder auch die von ihm benutzte Hermeneutik of-fen legen welche aufzeigt wie die dispa-raten Aussagen der Bibel in einen groumlszlige-ren Zusammenhang gebracht und erst dadurch auf redliche Weise verstanden werden koumlnnen Mit seiner Verortung in einer reformiert-konfessionellen Dog-matik wird Paas zu einem Opponenten des praumlmilleniaristischen Dispensati-onalismus dem er eine Aufloumlsung des einen Gnadenbundes in zahlreiche bdquodispensationsldquo vorwirft (S 61) Doch mit einer heilsgeschichtlich motivierten Wuumlrdigung des juumldischen Volkes nach dem Holocaust ist der Dispensationalis-mus fuumlr pietistisch-erweckliche Chris-ten derart plausibel geworden dass er fast schon als Synonym zum Begriff

sbquoEvangelikalismuslsquo gebraucht wird Die-se Plausibilitaumlt ist ja nicht unbegruumlndet Und damit kommen wir schon zu ei-ner Schwachstelle der Argumentation von Steven Paas Denn die historischen Ereignisse des Holocausts und der is-raelischen Staatsgruumlndung scheinen die Positionen des Christlichen Zionismus zu bestaumltigen Das muumlssen wir zunaumlchst einmal anerkennen Gerade als Chris-ten die aus Deutschland stammen haben wir schmerzvoll wahrzunehmen dass in der Zeit zwischen 1933 und 1945 keine Kirche Gemeinde christliche Be-wegung oder protestantische Gruppe geschlossen gegen den Nationalsozia-lismus opponiert hat Es waren immer nur Einzelne die die Ungeheuerlichkeit der Judenverfolgung erkannten und kri-tisierten Auch die klassische konfessio-nelle Dogmatik fuumlr die sich Steven Paas starkmacht hat den Holocaust nicht verhindern koumlnnen

Dem Niederlaumlnder Steven Paas der in Afrika lebt mag man verzeihen dass ihn die Ausmaszlige des Holocausts nicht besonders beschaumlftigen Als ein Christ der in Deutschland wohnt frage ich mich allerdings welche theologischen Entwicklungen die nationalsozialisti-sche Judenverfolgung beguumlnstigt haben und inwiefern sie deshalb Fehlentwick-lungen waren Und viele Christen fra-gen sich das Ergebnis dieses Fragens ist beispielsweise dass die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern der ich angehoumlre ihre Verfassung in diesem Jahr um diesen Satz ergaumlnzt hat bdquoDie Kirche ist aus dem biblischen Gottesvolk Israel hervorgegangen und bezeugt mit der Heiligen Schrift dessen bleibende Erwaumlh-lungldquo Der Hinweis auf die bdquobleibende Erwaumlhlungldquo fasst Aussagen des Paulus zusammen (wie Roumlm 111) und wehrt damit die klassische Enterbungstheorie ab wonach das juumldische Volk ndash wie man

Christian Zionism ExaminedSteven Paas

Dr Gerhard Gronauer

40 7 8 6 uuml

fruumlher sagte ndash unter dem Fluch des Got-tesmordes stehe und das Heil komplett auf die heidenchristliche Kirche uumlber-gegangen sei Diese Enterbungstheorie (bei Paas replacement theory) brachte den christlichen Antijudaismus hervor an welchem der moderne Antisemitismus anknuumlpfen konnte

Viele progressive Christen aus dem Umfeld des juumldisch-christlichen Dia-logs die Paas auch unter dem Begriff sbquoChristlicher Zionismuslsquo subsumiert schlieszligen nun aus der bdquobleibenden Er-waumlhlungldquo dass die Juden einen separa-ten Heilsweg haumltten und Jesus Christus nicht mehr braumluchten Das ist fuumlr mich die spannendste Stelle im Buch bdquoChris-tian Zionism Examinedldquo dass Paas sei-nen reformierten Ansatz von der klassi-schen replacement theory unterscheidet auch wenn er mit diesem Versuch bei progressiven Christen nicht durch-kommen wird Denn im Gegensatz zu jenen denkt der Autor nicht gleich an das sbquoheidenchristlichlsquo-antijuumldische Uumlberlegenheitsgefuumlhl der antiken und der mittelalterlichen Kirche bdquoKircheldquo ist fuumlr Paas ein rein innerbiblischer Be-griff den er auf die Urgeschichte im Buch Genesis zuruumlckdatiert und der somit alle Menschen umfasst die dem Gnadenbund Gottes angehoumlren Noah Abraham Israel und die christlichen Gemeinden des Neuen Testaments Im Fortlauf der biblischen Offenba-rung weitet sich der Bund Gottes von

einer Beziehung zu einzelnen Familien (Noah Abraham) uumlber das Volk Israel hin zur ganzen Welt Damit sind wir bei dem bdquouniversalenldquo Charakter der christlichen Botschaft welcher sich im christlich-juumldischen Gespraumlch stets den Vorwurf gefallen lassen muss die Juden zu bdquoenterbenldquo Diesen Vorwurf weist Paas zuruumlck denn mit der Uni-versalitaumlt des Gnadenangebots ist Isra-el keineswegs ausgeschlossen bdquofrom the covenantal salvation promises of Godldquo (S 23) Zu Paaslsquo Abwehr der klassischen replacement theory gehoumlrt auch dass er das traditionelle Diktum praumlzisiert alle biblischen Verheiszligungen seien in Chris-tus erfuumlllt Die Verheiszligungen sind nicht durch das Leben des irdischen Jesus oder mit dessen Auferstehung erfuumlllt sondern werden erst mit dem zweiten Kommen Jesu Christi erfuumlllt sein

Hier lohnt es sich jedenfalls theo-logisch weiterzuarbeiten Und solche Gedanken anzustoszligen gehoumlrt zu den Staumlrken von Paas genauso wie sein Hinweis auf die Uumlberpruumlfung der ei-genen Hermeneutik Auch legt er seine Finger in die Wunden des Christlichen Zionismus indem er dessen argumenta-tive Schwachstellen hervorhebt Die bi-blischen Landverheiszligungen werden im Neuen Testament nicht erwaumlhnt oder gar bestaumltigt der Fortlauf der biblischen Offenbarung laumluft bereits im Alten Testament auf eine Universalisierung und Spiritualisierung der Gottesverhei-

szligungen hinaus keine alttestamentliche Ruumlckkehrverheiszligung deckt sich mit der Gruumlndung des Staates Israel 1948

Gleichermaszligen weist die Studie bdquoChristian Zionism Examinedldquo selbst eine Reihe von Schwachstellen auf so-dass dieses Buch nicht nur Begeisterung ausloumlst Absolut irritierend ist dass Paas den Begriff sbquoChristlicher Zionismuslsquo nur scheinbar klar definiert (bdquoIt is an ideolo-gy of being fascinated in an extraordinary way by ethnic geographic and religious features of post-Biblical Israelldquo S 12) In Wirklichkeit wendet er den Begriff recht unterschiedslos auf alle Christen an die in seinen Augen ein bdquoheterodoxesldquo also wahrheitswidriges Verstaumlndnis von Ju-dentum Israel oder Palaumlstina haben Christliche Zionisten sind dann nicht nur zeitgenoumlssische Freunde des Staates Israel auf der Basis einer bestimmten heilsgeschichtlichen Theologie (so wie ich den Terminus definieren wuumlrde) sondern gleichermaszligen Philosemiten wie Antisemiten friedliche Palaumlstina-Pilger wie grausame Kreuzfahrer Mit dieser Ausdehnung des Begriffs wider-spricht Paas sich faktisch selber setzt er sich doch in seinen dogmatischen Kapi-teln vor allem mit der Heilsgeschichte des Dispensationalismus auseinander Nach Paaslsquo Logik muumlsste dann auch die palaumlstinensische Befreiungstheolo-gie zum Christlichen Zionismus gehouml-ren hat doch auch sie eine Auffassung von bdquoLandldquo und bdquoHeimatldquo die uumlber die

reformiert-orthodoxe Lehre hinausgeht Wenn uumlberhaupt dann nimmt Paas aber die arabischen Voumllker (wie die afri-kanischen) nur als Opfer des westlichen Imperialismus wahr und versteigt sich zu dem unseligen Vergleich dass Zio-nismus bdquoa system of racial favouritism or apartheidldquo (S 118) sei

Und wie bereits erwaumlhnt findet Paas kein Verstaumlndnis dafuumlr dass der Christ-liche Zionismus fuumlr manche Christen nach 1945 ein plausibles theologisches System geworden ist Weil er das nicht verstehen kann vermag er es auch nicht zu erklaumlren und muss deshalb zu dem abgedroschenen Argument des sbquoSchuld-komplexeslsquo greifen (S 118) Gut bleibt an diesem Buch dass es genuumlgend Stoff zu ernsthaften spannenden Diskussio-nen bietet Gerade innerhalb der evan-gelikalen Bewegung Bezeichnend ist dass Paas als Kronzeugen seiner eige-nen Position mehrfach den Rektor der Internationalen Hochschule Liebenzell Prof Dr Volker Gaumlckle zitiert und ihn sogar im Vorwort wuumlrdigt Nun gibt es im Liebenzeller Gemeinschaftsverband einen bdquoArbeitskreis Israelldquo der seiner Internetpraumlsenz nach ein bdquoBewusstsein schaffen (will) fuumlr die heilsgeschicht-liche Bedeutung Israelsldquo Wie gesagt Stoff fuumlr genuumlgend Diskussionen pro und contra Christlicher Zionismus selbst unter Freunden

Dr Gerhard Gronauer

glauben amp denken heute 22012 417 8 6 uuml

Fuumlr Froumlmmigkeit in FreiheitGerhard Lindemann

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Gerhard Lindemann Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit Die Geschichte der Evangeli-schen Allianz im Zeitalter des Liberalis-mus (1846ndash1879) Theologie Forschung und Wissenschaft Bd 24 Muumlnster Lit Verlag 2011 1064 Seiten 978-3825889203 12990 Euro

Seit meiner Dissertation zu Theodor Christlieb von 1985 und der kurz da-rauf erschienenen Arbeit von Hans Hauzenberger hat zwar der metho-distische Forscher Karl-Heinz Vogt zu Christlieb selbst und zum Thema Allianz und Religionsfreiheit einiges Neues beigetragen aber insgesamt fehlten die groszligen Fortschritte in der Forschungsgeschichte zur Allianz in Deutschland seit 25 Jahren ja fuumlr die Zeit vor dem 2 Weltkrieg weltweit Auch zur Fruumlhgeschichte der Welt-

weiten Evangelischen Allianz ist laumln-ger nichts substantiell Neues erforscht worden Und auch zur Geschichte der Religionsfreiheit im 19 Jahrhundert allgemein haben sich die Forscher nicht gerade uumlberschlagen Und nun dieses ausgezeichnete Mammutwerk

Ein groszligformatiges Buch mit 947 Seiten reinem Text mit groszligem Satz-spiegel und kleiner Schrift Die Heidel-berger Habilitationsschrift von 2004 wird dem Ruf das die Deutschen die dicksten aller Buumlcher schreiben ge-recht Bisweilen detailversessen alles minutioumls aus den Akten und zeitgenoumls-sischen Zeitungen belegend wird das Buch dadurch zu der gruumlndlichsten (und besten) Darstellung der Vor- und Fruumlhgeschichte der Evangelischen Al-lianz Die Weltweite Evangelische Al-

lianz vertritt heute 600 Mio Christen weltweit davon nur noch ein Bruchteil deutscher Zunge Schade dass dem groumlszligten Teil dieser Menschen deswe-gen dieser Schatz verborgen bleiben wird denn eine englische Uumlbersetzung dieser Textmenge waumlre zwar dringend erforderlich ist aber leider sehr un-wahrscheinlich

Das Werk behandelt soweit aus den Quellen rekonstruierbar 1 die eigent-liche Geschichte wie Versammlun-gen Kampagnen und internationale Ausbreitung die jeweils in die groszlige Zeitgeschichte eingeordnet werden 2 die Rolle der entscheidenden Persoumln-lichkeiten und 3 die Arbeitsschwer-punkte der Allianz (dabei vor allem Glaubens- und Gewissensfreiheit Ge-betswoche Mission Publikationen)

Wer dabei eine einzelne Thematik verfolgen moumlchte ndash etwa die Geschich-te der internationalen Allianzgebets-woche jeweils zu Beginn des Jahres ndash kann dies uumlber die uumlbersichtliche Gliederung und den Index sehr gut tun Auch wer die Geschichte der Al-lianz bis 1879 in solch unterschied-lichen Laumlndern wie Groszligbritannien Deutschland den skandinavischen Laumlndern Kanada Australien Suumldafri-ka der Tuumlrkei dem Iran Indien oder Japan verfolgen will wird hier fuumlndig Zu vielen Details findet sich hier erst-mals ein Beleg (z B Einsatz der fruumlhen Evangelischen Allianz fuumlr Tierschutz) und selbst zu Christlieb habe ich Neues gefunden dass meine Dissertation er-gaumlnzt (Christlieb und Versoumlhnung mit Frankreich in New York [S 747ndash752]

42 7 8 6 uuml

Christliebs Einsatz gegen Opium-handel [S 856ndash858] Geschichte der Westdeutschen Evangelische Allianz [S 921ndash922]) Lindemann sieht die Allianz gleich zu Beginn als erste orga-nisierte Form der Oumlkumene als einzig wirklich oumlkumenische Organisation die aus der Erweckungsbewegung des 19 Jahrhunderts entsprang (S 15) Er weist nach dass die Allianz selbst in ihren fruumlhen Dokumenten haumlufig das Wort bdquoecumenicalldquo verwendete (S 938 u ouml) bdquoSie schuf ein Klima das die Gruumlndung von Vorgaumlngerorgani-sationen des Oumlkumenischen Rates der Kirchen (OumlRK) ermoumlglichteldquo (S 945) Er kritisiert dass geschichtliche Dar-stellungen der modernen Oumlkumene oft sehr spaumlt einsetzen und sowohl die Allianz als auch einige ihrer fuumlhrenden Vertreter als Vorreiter der Einheit der Christen uumlbergehen (S 21)

Lindemann sieht die Allianz als Teil der transnationalen Froumlmmigkeitsbe-wegung der Erweckungen nach dem Pietismus (S 25) die man nicht ein-fach pauschal als bdquoantiaufklaumlrerischldquo oder bdquoantimodernldquo beurteilen darf (S 25) sondern die etwa in Fragen der Re-ligionsfreiheit oder des Antisklaverei-kampfes (S 28ndash29) auch ihrer Zeit voraus war Gespeist aus Erweckungen in ganz unterschiedlichen Sprach- und Kulturkreisen zeichnete sie sich wie der Pietismus bdquodurch ein weitverzweig-tes Netz internationaler Kontakte und Verbindungen ausldquo (S 33) Ob man die

Gruumlndung oumlkumenischer Strukturen unabhaumlngig von der Allianz wirklich allein auf die bdquozunehmende sbquoFunda-mentalisierunglsquo der Allianz 1880ldquo (S 945) in Form der Ablehnung der Bi-belkritik und der Zuwendung zur Hei-ligungsbewegung zuruumlckfuumlhren kann wie Lindemann ganz am Ende eher beilaumlufig sagt wage ich zu bezweifeln Ich vermute dass eine ebenso gruumlnd-liche Arbeit zur Zeit nach 1880 eben-falls eine andere sbquoAllianzlsquo hervortreten lieszlige wie die Allianz die Lindemann bis 1879 darstellt die ebenso dem gaumln-gigen Klischee nicht entspringt

Doch Lindemann hat Recht wenn er fortfaumlhrt bdquoDoch lebte das Gedan-kengut der Allianz in der Oumlkumene fortldquo (S 946) Uumlberhaupt passen die Schlussworte zur Evangelischen Alli-anz heute die eine gute fruumlhe und eine schlechtere spaumltere und heutige Allianz andeuten nicht so ganz zum Duktus des Buches Aber nach 945 uumlberaus fairen Seiten in der Darstellung der Al-lianz aus den Quellen sollte man diese verhaltene Kritik liebevoll beherzigen zumal die daraus gezogenen Empfeh-lungen schon teilweise umgesetzt wer-den

Insgesamt schreibt Lindemann aus freundlich-kritischer Distanz So kri-tisiert er etwa die groszlige Naumlhe vieler Evangelikaler zum herrschenden Adel in der Zeit der Revolutionen 184849 (S 152ndash158) worin die Evangelikalen sich nicht von den Kirchen ihrer Zeit

unterschieden Haumlufiger hilft er positi-ve Bilder zu differenzieren So bestand etwa schon bei Gruumlndung der Evange-lischen Allianz Einigkeit in der Verur-teilung der Sklaverei ndash der Kampf ge-gen die Sklaverei gehoumlrte unverruumlckbar zur Geschichte der sbquoEvangelicalslsquo aber inwiefern Sklaverei duldende Gruppen und Personen Mitglied werden durften war diesseits und jenseits des Atlanti-schen Ozeans umstritten (S 65ndash72 110ndash129 159) 1846 wurden sie alle ausgeladen spaumlter teilweise zugelassen dann mit der Abschaffung der Sklave-rei in den USA endguumlltig verbannt (S 693) Noch nie wurden diese kompli-zierten Details im Einzelnen belegt

Auch zur Entstehung der Glaubens-basis wird viel neues Material geliefert

bdquoMan verstand sich als eine Verbin-dung von Einzelpersonen und legte in diesem Zusammenhang auf die persoumln-liche Glaubensentscheidung des Ein-zelnen Wert und betonte das Recht auf individuelle Bibellektuumlre Mit diesem Grundaxiom hing auch die scharfe Abgrenzung vom Katholizismus so-wie hochkirchlichen Gruppierungen im Protestantismus zusammen die Sakramente und die Institution Kir-che als objektiv vorgegebene Groumlszligen betrachteten und der Entscheidung des Einzelnen voranstellten Hingegen galt fuumlr die Allianz in ihrer in London ver-abschiedeten sbquoGlaubensbasislsquo die goumltt-lich inspirierte Schrift als sakrosankt deren freie Pruumlfung dem Einzelnen

jedoch zugestanden wurdeldquo (S 205) Spannend ist die Entstehung der ers-ten Glaubensbasis (S 87ndash98) Meines Erachtens haumltte man noch deutlicher darauf hinweisen koumlnnen dass die bei-den ersten Saumltze eine bis heute zentrale Spannung bewirken bdquo1 The Divine Inspiration Authority and Sufficiency of the Holy Scriptures 2 The Right and Duty of Private Judgement in the Interpretation of the Holy Scripturesldquo (S 98)

Einerseits ist dies eine unverruumlckbare Festlegung andererseits ein extremer Pluralismus der jeden Glaumlubigen ver-pflichtet die Grundlage selbst auszu-legen

Exkurs Die Evangelikalen sind durch zwei Paare entgegengesetzter Pole gekennzeichnet und man wird ihnen nicht gerecht wenn man jeweils nur einen der Pole sieht Einerseits ist das die von den Evangelischen ererbte Zentralitaumlt der Heiligen Schrift Andererseits ist es der aus Luthers Frage sbquoWie bekomme ich einen gnauml-digen Gottlsquo hervorgegangene Heilsin-dividualismus Es geht darum dass jeder Mensch seine persoumlnliche Bezie-hung zu Gott hat und daraus ergibt sich als Korrektur zur Zentralitaumlt der Schrift die Berechtigung ja Verpflich-tung jedes Christen die Heilige Schrift selbst zu studieren und auszulegen womit er mit jedem noch so gebildeten evangelikalen Theologen auch seinem

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 437 8 6 uuml

Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit

Pastor gleichauf steht So vereint die evangelikale Welt die dogmatische Enge dank der Bibelfrage mit einer enor-men demokratischen Weite weil jeder theologisch mitreden darf Die zweite Spannung ist die zwischen Mission und Religionsfreiheit Aus der enormen Be-tonung der persoumlnlichen Beziehung zu Jesus entstand sowohl die starke Beto-nung der bdquoZeugnispflichtldquo als auch die starke Betonung der Religionsfreiheit Das Konzept der Freiwilligkeit praumlgte nicht nur die Freikirchen sondern auch den innerkirchlichen Pietismus fuumlr den Glaube nicht nur etwas Aumlu-szligerliches Ererbtes sein duumlrfte sondern etwas persoumlnlich Erfahrenes Dazu aber kann man niemand zwingen ja Zwang macht die Moumlglichkeit zunichte eine wirklich eigenstaumlndige persoumlnliche Um-kehr zu Gott zu vollziehen Also lieber eine kleinere Kirche mit uumlberzeugten Mitgliedern als eine groszlige mit vielen Mitgliedern die nur dank gesellschaftli-chem familiaumlrem oder sonstigem Druck dazugehoumlren

Neubestimmung des Verhaumllt-nisses der Evangelischen Alli-anz zur katholischen Kirche

Lindemann geht auf die antikatholi-schen Tendenzen und Aktivitaumlten in Groszligbritannien ein in denen die Alli-anz zum Teil wurzelt (S 45ndash50) Aller-

dings weist er schluumlssig nach was mein groumlszligtes Aha-Erlebnis beim Lesen des Buches war Es waren kaum die dog-matischen Unterschiede die im Mit-telpunkt standen sondern die Allianz repraumlsentierte mit ihrem Eintreten fuumlr Glaubens- und Gewissensfreiheit ih-rer teilweise radikalen teilweise noch verhaltenen Trennung von Kirche und Staat und ihrer Vorrangstellung der frei-willigen persoumlnlichen Bekehrung ndash was jeden Zwang in der Mission oder reli-gioumlsen Zwang seitens des Staates aus-schloss ndash das komplette Gegenteil zur ultramontanistischen katholischen Kir-che die Religionsfreiheit entschieden verwarf den Staat als Diener der Kirche zumindest in Fragen von Religion und Ethik sah und die oumlrtlichen Katholiken staumlrker denn je an die geistliche aber auch politische Fuumlhrung des Papstes band ndash alles Positionen die die katho-lische Kirche offiziell erst im 2 Vati-kanischen Konzil aufgab aber schon nach den beiden Weltkriegen jeweils immer mehr zuruumlckfahren musste So wie es im bismarckschen Kulturkampf in Deutschland weniger um Glaubens-inhalte als um die Machtfrage und den politischen Einfluss der Kirche(n) ging so stand im Zentrum der Allianz ndash so Lindemann ndash dass der Ultramontanis-mus bdquoals eine Verschwoumlrung gegen die geistige Entwicklung und geistige Frei-heit der Menschheitldquo (S 49) erachtet wurde (S 321ndash337)

Konsequenterweise setzte man sich vom Gruumlndungsjahr an auch fuumlr verfolgte Katholiken in protestantischen Laumln-dern ein und unterstuumltzte antikatholisch orientierte Regierungen nicht in ihrem Tun (S 205) Uumlbrigens wurde 1846 be-wusst bei der Gruumlndung keine Nichtzu-lassung von Katholiken formuliert (S 131) Als sich die Allianz 1858 mit einer Delegation gegen Schweden wandte dessen oberstes Gericht der Koumlnigliche Gerichtshof 6 Frauen die zum Katho-lizismus konvertiert waren des Landes verwiesen hatte und die Allianz Religi-onsfreiheit fuumlr diese Katholiken forder-te gab es europaweit einen Sturm der Entruumlstung auszligerhalb der Allianz (S 295ndash300) Die Allianz war wesentlich daran beteiligt dass der schwedische Reichstag die Strafen fuumlr das Verlassen der lutherischen Staatskirche 1860 ab-schaffte Lindemann schreibt

bdquoDurch ihre Konzentration auf dog-matische und geistliche Elemente un-terschied sich die Allianz von anderen anti-katholischen Gruppierungen Uumlberdies machte das Engagement fuumlr die waadtlaumlndische Freikirche deutlich dass die Vereinigung sich nicht von ei-nem blinden Katholikenhass leiten lieszlig sondern sich auch gegen eine diploma-tische und militaumlrische Unterstuumltzung von Regierungen aussprechen konnte die das Prinzip der Religionsfreiheit nicht achteten auch wenn sie sich mit dem Katholizismus im Konflikt be-

fanden Sir Culling Eardley stellte in diesem Zusammenhang klar dass po-litische Freiheit ohne Religionsfreiheit undenkbar und auch nicht unterstuumlt-zenswert sei ndash nach Auffassung des Lon-doner Allianzkomitees handelte es sich dabei um das sbquoheiligste unter den Men-schenrechtenlsquoldquo (S 205ndash206)

bdquoDie Evangelische Allianz erwies sich bereits in ihrer Gruumlndungsphase keines-wegs als eine rein antikatholische Bewe-gung Vorrangig war das Interesse an einer Einheit unter den Christen waumlh-rend aktuelle Ereignisse und Entwick-lungen eher als ausloumlsende Faktoren fuumlr den Schritt zu dem protestantischen Zu-sammenschluss anzusehen sind Als we-sentliche Ziele galten die Evangelisation der Welt sowie vor allem aus amerika-nischer Perspektive auch der Wunsch durch die grenzuumlberschreitende Zusam-menarbeit zum Frieden unter den Voumll-kern beizutragenldquo (S 205)

Neues zur Geschichte der Religionsfreiheit

Als das herausragende Thema der Alli-anz erweist Lindemann den Einsatz ge-gen Verfolgung aus religioumlsen Gruumlnden und fuumlr die Religionsfreiheit die noch nie so gruumlndlich dargestellt wurde (bes S 141ndash151 205ndash321 592ndash645 773ndash811 858 868ndash913) Besonders inter-essant sind auch die Erkenntnisse zum

44 7 8 6 uuml

Einsatz der Allianz fuumlr die Religions-freiheit die Lindemann aus den Akten des britischen bdquoForeign Officeldquo gewann

Am staumlrksten stand in den Jahren 1849 bis 1858 der Einsatz fuumlr aus religioumlsen Gruumlnden Verfolgte im Mittelpunkt (S 207) da die Allianz sich zunutze mach-te dass Auszligenpolitik Thema der Presse und der entstehenden Parlamente wur-de (S 207)

Waumlhlen wir als Beispiel den Einsatz fuumlr den vom Katholizismus zum Protes-tantismus konvertierten Italiener Signor Giacinto Achilli (1803ndash1893) der des-wegen lebenslaumlnglich von der roumlmischen Inquisition inhaftiert war und der in einem fast einjaumlhrigen diplomatischen Tauziehen unter Beteiligung des briti-schen und franzoumlsischen Auszligenminis-ters der Medien der eigenen Zeitung und zahlreicher Delegationen schlieszlig-lich durch einen Trick von den Franzo-sen aus Rom befreit und nach England uumlberstellt wurde (S 208ndash223)

Vorgaumlnge wie diese stellt Lindemann wiederholt minutioumls dar Sie wurden wenn sie uumlberhaupt bekannt waren bis-her noch nie in ihren einzelnen Schrit-ten nachvollzogen und belegen wie gut organisiert mit Regierungen und Medi-en vernetzt und ihrer Zeit voraus dieser Aspekt der Evangelischen Allianz war Lindemann schreibt

bdquoBei ihrem Einsatz fuumlr aus Glaubens-gruumlnden Benachteiligte profitierte die Allianz eindeutig von der zunehmenden

Pluralisierung vor allem der britischen Gesellschaft und der Entstehung einer breiteren Medienoumlffentlichkeit die die Einflussnahme von sbquoPressure Groupslsquo auf auszligenpolitische Entscheidungspro-zesse zulieszlig Man merkte bald dass in bestimmten Faumlllen das gemeinsame Agieren uumlber Laumlndergrenzen hinweg noch Erfolg versprechender zu sein schien und wie zum Beispiel erstmals im Fall des Italieners Achilli zu einem gemeinsamen Handeln von Regierun-gen fuumlhren konnte Zugleich konnte der Verweis auf die englische oumlffentliche Meinung Staaten von Repressionen auf Andersglaumlubige abhalten sie beenden oder zumindest abmildern Nicht nur durch den Gebrauch neuer Methoden in diesem Engagement hatte die Evan-gelische Allianz an einem Modernisie-rungsprozess des Protestantismus im 19 Jahrhundert einen Anteilldquo (S 943)

Die Britische Allianz erreichte etwa durch eine Denkschrift an den preu-szligischen Koumlnig gegen die Baptistenver-folung dass der aus Berlin vertriebene Fuumlhrer der Baptisten Johann Gerhard Oncken nach Berlin zuruumlckkehren konnte (S 235ndash237) Mit Schreiben der britischen Koumlnigin und des preuszligischen Koumlnigs setzte man 1852 dem toskani-schen Groszligherzog Leopold II in einer Audienz wegen der Inhaftierung eines Ehepaars namens Madiai zu bdquoDie De-putation stieszlig europaweit auf eine star-ke Resonanzldquo (S 254) Und selbst der

gestrenge Lutheraner Ernst-Wilhelm Hengstenberg wahrhaftig kein Freund der Allianz ruumlhmte das Vorgehen denn es habe den katholischen Vorwurf die Protestanten seien hoffnungslos zerspal-ten widerlegt Hier habe man mit einer Stimme gesprochen (S 254) Die Sache weitete sich bis in die USA aus andere italienische Fuumlrsten wurden ebenso ak-tiv wie der franzoumlsische Kaiser bis das Ehepaar Madiai schlieszliglich nach einem Jahr 1853 freigelassen wurde Besonders deutlich wird wie eng der Gedanke ei-ner Oumlkumene der Protestanten mit der Religionsfreiheit verbunden war Ge-meinsamkeit macht stark

Wie konfessionell groszligzuumlgig man war zeigt sich auch darin dass man sich beim Sultan nicht nur fuumlr Konvertiten vom Islam zum Protestantismus ein-setzte sondern auch fuumlr die griechisch-orthodoxe Kirche (S 300) Im Iran setzte man sich fuumlr Nestorianer ein (S 610ndash613) Nach der Hinrichtung eines Konvertiten 1853 aktivierte die Allianz in Zusammenarbeit mit der Tuumlrkischen Allianz ihre Kontakte in zahlreichen eu-ropaumlischen Regierungen bis schlieszliglich 1856 Sultan Abduumllmecid I ndash sicher in Zusammenhang mit der komplizier-ten Politik zwischen dem Osmaischen Reich und den Westmaumlchten ndash in einem Edikt den Protestanten groumlszligere Freihei-ten zugestand und die Todesstrafe fuumlr Konversion abschaffte (S 300ndash319) 1874ndash1875 fuumlhrte eine weitere groszlige Kampagne eine Allianzdelegation bis

zum tuumlrkischen Auszligenminister Dip-lomaten sogar bis zum Sultan deren Auswirkungen aber umstritten sind (S 879ndash902) Lindemann schreibt dass fuumlr die Niederschlagung der Prozesse gegen Pastoren im Baltikum durch den Za-ren bdquoder Londoner Vorstoszlig der Allianz verantwortlich gewesenldquo sei (S 800) Das Verwirrspiel um den Versuch eines Treffens mit dem Zaren der schlieszliglich seinen Auszligenminister vorschickte wird bei Lindemann aufgeloumlst (S 779ndash800)

Auch die Audienzen die die Allianz beim preuszligischen Koumlnig erhielt etwa 1855 in Koumlln oder 1857 im Rahmen der Berliner Allianzkonferenz bei Fried-rich Wilhelm IV (S 286f) drehten sich immer um die Religionsfreiheit in Deutschland Dasselbe gilt fuumlr Gesprauml-che des Allianzsekretaumlrs die er mit dem deutschen Kaiser Wilhelm I und dem Reichskanzler Otto v Bismarck 1875 fuumlhrte (S 919) Eine Allianzdeputation bei Kaiser Franz Joseph I in der Hof-burg und anschlieszligende Gespraumlche beim Ministerpraumlsidenten und beim Kultusminister im Jahr 1879 fuumlhrten zu spuumlrbaren Erleichterungen fuumlr Pro-testanten 1880 sogar zu deren rechtli-cher Anerkennung als Kirchen sowie fast nebenbei zu Erleichterungen fuumlr die Freikirchen in Wien (S 913)

Dasselbe gilt auch fuumlr den Besuch der gesamten Teilnehmerschaft der New Yorker Konferenz beim amerikani-schen Praumlsidenten Ulysses S Grant und seinem Kabinett 1873 (S 755ndash756)

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 457 8 6 uuml

nur dass die amerikanische Regierung nicht mehr von der Religionsfreiheit uumlberzeugt werden musste Man be-denke dass das alles zu einer Zeit ge-schah als die angestammten Kirchen alle noch weit davon entfernt waren ihren Staatskirchenstatus aufzugeben geschweige denn Religionsfreiheit fuumlr alle zu gestatten oder sie gar selbst zu fordern Wenn Religionsfreiheit damals gefordert wurde dann meist von Juden religioumlsen Minderheiten und Atheisten nicht aber von sehr religioumlsen Vertretern der vorherrschenden Religion Welchen Beitrag die Evangelische Allianz zur Re-ligionsfreiheit in Deutschland geleistet hat ist bisher noch nirgends gewuumlrdigt worden

Grundsaumltzliches

Die Homburger Konferenz fuumlr Religi-onsfreiheit von 1853 war ein Meilen-stein der Allianzgeschichte und der To-leranz in Deutschland und Europa (S 263ndash267) Zentrales Ergebnis war die Ablehnung jeder kirchlichen Gewalt gegen Separatisten und die Ablehnung jeglicher Inanspruchnahme staatlicher Gewalt durch Kirchen gegen andere (S 266) ndash ein Meilenstein der Entwicklung des Rechtes auf Religionsfreiheit Dies galt zudem bewusst nicht nur fuumlr Chris-ten sondern fuumlr alle Religionen was na-tuumlrlich zu internen Kontroversen und zu scharfer Kritik seitens protestantischer

Staatskirchen fuumlhrte (S 267ndash272) ohne dass die Allianz deswegen von dem Grundsatz abruumlckte

1861 stellt ein franzoumlsischer Pastor erstmals eine ganz neue These auf die sich mehr und mehr in der Allianz durchsetze dass naumlmlich bdquodie Religi-onsfreiheit staatliche Ordnung und den ihr innewohnenden Frieden garantiertldquo (S 592) Unterdruumlckung der individuel-len Religionsfreiheit dagegen Revoluti-on und Unfrieden naumlhre und dem Staat seine gottgegebene Grundlage entziehe

Interessanterweise bestaumltigt eine in-ternationale wissenschaftliche Unter-suchung genau dies Religionsfreiheit foumlrdert eine friedliche Gesellschaft deren Unterdruumlckung foumlrdert Unruhe und Gewalt und praktisch alle religioumls gefaumlrbten terroristischen Bewegungen der Welt kommen aus solchen Laumlndern [Brian J Grim Roger Finke The Price of Freedom Denied Religious Persecu-tion and Conflict in the Twenty-First Century Cambridge Cambridge Uni-versity Press 2010 und meinen Kom-mentar dazu unter httpwwwthomas-schirrmacherinfoarchives1792]

Lindemann schreibt bdquoMit ihrem Engagement fuumlr die Reli-gionsfreiheit leistete die Allianz deren angloamerikanischer Fluumlgel sich nicht mit bloszliger Toleranz zufriedengab sondern das oumlffentliche Bekennen des Glaubens als ein Grundrecht ansah auch der Durchsetzung der buumlrgerli-chen Freiheiten in den betreffenden

Laumlndern einen bemerkenswerten Dienst und trug zur Entstehung einer europauml-ischen Zivilgesellschaft nicht unwesent-lich bei Allerdings kam es in diesem Bereich auch zu Konflikten mit der britischen Regierung die im Blick auf Indien vorrangig an der Beherrschbar-keit des Landes interessiert war und im Falle des Osmanischen Staats insbeson-dere von globalstrategischen sowie von oumlkonomischen und Handelsinteressen geleitet war Letztere begannen seit der Mitte des 19 Jahrhunderts die britische Auszligenpolitik verstaumlrkt zu beeinflussen Zudem laumlsst sich auf der Regierungsseite eine deutliche Zuruumlckhaltung gegenuumlber dem evangelikalen Missionsverstaumlndnis nachweisen Das Gesamtengagement der Allianz erwies sich hingegen durch die Erweiterung seiner Bezugspunkte und -orte bis hin nach Russland und Japan als kongruent zur globalen Dau-erpraumlsenz Groszligbritanniens Im Un-terschied zur britischen Auszligenpolitik mischte man sich jedoch immer wieder auch in europaumlische Religionskonflikte ein waumlhrend man mit Ausnahme der italienischen Einigung hinsichtlich poli-tischer Spannungen wie den seit 1864 von Preuszligen gefuumlhrten Kriegen analog zur Haltung der britischen Regierung Zuruumlckhaltung uumlbte oder sie gar wie im Falle des polnischen Aufstandes von 186364 der keineswegs frei von reli-gioumlsen Komponenten war ignorierteldquo (S 943)

Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit

46 7 8 6 uuml

Witness of the bodyMichael L Budde amp Karen Scott (Hrsg)

Wolfgang Haumlde

Michael L Budde amp Karen Scott (Hrsg) Witness of the body The past present and future of Christian martyrdom Grand Rapids MI Eerdmans (The Eerdmans Ekklesia series) 2011 238 Seiten ISBN 978-0802862587 1799 Euro

Klar wird die Absicht dieser Samm-lung von Aufsaumltzen im Vorwort defi-niert naumlmlich bdquodas Maumlrtyrertum an einen zentraleren Ort im Selbstver-staumlndnis der Kirche zuruumlckzubringenldquo (S vii) sowie das Maumlrtyrertum nicht nur bdquoals ein Objekt von Faszination und Grauenldquo zu sehen sondern ihm bdquowieder seinen Platz in der taumlglichen Praxis der Kircheldquo (S viii) zu geben Ich kann diese Ziele von ganzem Her-zen bejahen

Geschrieben ist das Buch fuumlr eine westliche Leserschaft der der Gedan-ke an Martyrium zum groumlszligten Teil fremd ist Leider fehlen Autoren die in der Mehrheitswelt leben Sie haumlt-

ten aus ihrer anderen Perspektive zu-saumltzliche Einsichten beitragen koumlnnen Auszligerdem wird konfessionelle Breite von Meinungen zwar postuliert (bdquoGe-lehrte von jenseits der konfessionellen Scheiden der Christenheitldquo S ix) aber nach dem was ich uumlber den Hinter-grund der Autoren feststellen konnte nicht wirklich erreicht denn die groszlige Mehrheit der Verfasser wird von US-amerikanischen Katholiken gestellt

Nicht alle Artikel scheinen die glei-che Relevanz fuumlr das Thema zu haben Ich frage mich zum Beispiel ob der Ar-tikel bdquoDas Gerichtsurteil der Eucharis-tie im Prozess gegen Jean d Arcldquo (Ann W Astell S 82ndash106) von groumlszligerer Be-deutung dafuumlr ist dem Maumlrtyrertum den ihm angemessenen Platz in der heutigen Kirche zuruumlckzugeben

Es ist eine Staumlrke dieser Aufsatz-sammlung nicht nur die Maumlrtyrer der Fruumlhen Kirche zu behandeln sondern z B im Teil III (bdquoMaumlrtyrertum zerstoumlrt

die Kircheldquo) auch auf die Verfolgung von Christen durch Christen beson-ders im Zeitalter von Reformation und Gegenreformation einzugehen Brad S Gregory (bdquoVerfolgung oder Straf-verfolgung Maumlrtyrer oder Pseudomaumlr-tyrer Die Zeit der Reformation Ge-schichte und theologisches Nachden-kenldquo S 107ndash124) kritisiert zu Recht dass es von einem Standpunkt im 21 Jahrhundert mit seiner Konzentration auf die Menschenrechte allzu leicht sei die Strafverfolgung mutmaszliglicher Hauml-retiker im 16 Jahrhundert anzupran-gern ohne die Grundvoraussetzungen jener Zeit wirklich verstanden zu ha-ben Allerdings empfand ich in diesem Artikel manchmal zu viel Verstaumlndnis fuumlr die Verfolger Unter den elf Arti-keln uumlber Maumlrtyrertum ragen fuumlr mich zwei als Houmlhepunkte heraus Der Ar-tikel von Stephen Fowl Theologiepro-fessor am Loyola-College in Maryland bdquoDer Vorrang des Zeugnisses des Lei-

bes vor dem Maumlrtyrertum bei Paulusldquo (S 43ndash60) liefert das Stichwort fuumlr den Titel des ganzen Buches Fowl ist ein Vertreter der Schule der bdquotheologischen Auslegung der Schriftldquo Er versucht m E erfolgreich das Maumlrtyrertum in den breiteren Zusammenhang von Roumlmer 121ndash2 zu stellen wo Christen dazu aufgerufen werden ihre bdquoLeiber als ein lebendiges Opfer hinzugebenldquo Jeder Christusglaumlubige ist also zum bdquoZeugnis des Leibesldquo aufgerufen Dieses Zeugnis ist die Hingabe unseres ganzen Seins fuumlr Gottes Willen und Gottes Ehre Diese Hingabe mag zum Maumlrtyrer-tum fuumlhren oder auch nicht bdquoGlaumlubige koumlnnen und sollten immer am Zeugnis des Leibes teilhaben Ob die Autoritauml-ten sie dafuumlr toumlten werden oder nicht liegt weitgehend nicht in ihrer Handldquo (S 44) Der zweite Houmlhepunkt ist fuumlr mich bdquoLohnt es sich fuumlr irgendetwas zu sterben Maumlrtyrertum Exterioritaumlt und Politik nach dem bloszligen Lebenldquo

glauben amp denken heute 22012 477 8 6 uuml

(S 171ndash189) von D Stephen Long Theologieprofessor an der Marquette-Universitaumlt und Geoffrey Holdsclaw

Die Autoren stellen fest dass die west-lichen saumlkularen Gesellschaften aus ih-rer politischen Philosophie alle Ziele eli-miniert haben die houmlher als das Leben sind Es herrscht die Angst dass dann wenn man bdquoPolitik in irgendeinem tran-szendenten Zielldquo begruumlnden wuumlrde eine bdquomilitaristische Gesellschaft erzeugtldquo wuumlrde (S 171) Als Ergebnis dieser Sor-ge ist bdquohellip die einzige rationale dogma-tische Position von der politisches Den-ken seinen Ausgang nehmen sollte die Bewahrung des Lebensldquo (S 173)

Sehr tiefgehend zeigt der Aufsatz wie eine neue Hingabe an lehrmaumlszligige Wahr-heit d h daran Gottes Willen houmlher zu setzen als unser Leben die Grundlage unserer gegenwaumlrtigen politischen Phi-losophie in Frage stellen wuumlrde und da-her als Bedrohung aufgefasst wird

Deutlicher haumltten die Verfasser ma-chen muumlssen dass die Frage bdquoWofuumlr lohnt es sich zu sterbenldquo nicht unwei-gerlich zur Frage bdquoWofuumlr lohnt es sich zu toumltenldquo fuumlhrt (S 171) und dass es zwar eine Gemeinsamkeit zwischen radikalen Muslimen und hingegebenen Christen ist lehrmaumlszligige Wahrheit uumlber das Le-ben zu setzen dass es aber entscheiden-de Unterschiede darin gibt worin die jeweiligen Wahrheiten bestehen

Witness of the body Werbung

Pro Mundis

Geistliche Impulse

Theologische Akzente

Ergaumlnzungen zur Ethik

Philosophische Anstoumlszlige

und vieles mehr

wwwbucerde

Besuchen Sie einmal unsere Internetseite Das Martin Bucer Seminar bietet im Internet unter dem Hauptmenuuml bdquoRessourcenldquo eine Vielzahl von kostenlosen Materialien zum Herunterladen an Diese koumlnnen die per-soumlnliche Weiterbildung sehr bereichern und auch geistliche Impulse geben So finden Sie unter anderem die Zeittafel uumlber Zwingli und Bucer von Gerhard Gronauer (MBS Text 86) oder den Beitrag bdquoDie Hinwendung Oumlster-reichs zum Christentumldquo von Frank Hinkel-mann (MBS Text 87) Es erwarten Sie viele andere interessante und bibliografisch ver-wertbare Aufsaumltze in den Reihen Geistliche Impulse Theologische Akzente Pro Mundis und Ergaumlnzungen zur Ethik Reformiertes Fo-rum und Hope for Europe

Im Bereich Bonner Querschnitte den Sie auch unter dem Hauptmenuuml bdquoRessourcenldquo finden ist zudem ein Archiv der Pressein-formationen des Seminars und der mit ihm verbundenen Institute untergebracht

MARTIN BUCER SEMINAR onlineMBS-Texte

48 7 8 6 uuml

Falling wallsndash the year 198990 Einstuumlrzende Mauern ndash das Jahr 198990Klaus Koschorke

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Klaus Koschorke Falling walls ndash the year 198990 as a turning point in the histo-ry of world Christianity Einstuumlrzende Mauern ndash das Jahr 198990 als Epo-chenjahr in der Geschichte des Weltchris-tentums (Studien zur auszligereuropaumlischen Christentumsgeschichte 15) Wiesbaden Harrassowitz Verlag 2009 451 Seiten ISBN 978-3-447-05995-4 5400 Euro

Dass sbquodie Wendelsquo 198990 also der Fall der Berliner Mauer die Aufloumlsung des Sowjetimperiums das Ende der bipo-laren Weltordnung und das Ende der Apartheid in Suumldafrika auf allen Kon-tinenten tiefgreifende politische oder wirtschaftliche Folgen hatte ist unbe-stritten Doch wie sah die Rolle der Christenheit dabei aus und welche Fol-gen hatte sie fuumlr die Weltchristenheit Dass Christen und Kirchen in die Vor-

bereitung der Wende in Deutschland in-volviert waren ist gruumlndlich untersucht Bei der Welle der Demokratisierungen 1989ndash1993 spielten Kirchen eine fuumlh-rende Rolle (in Rumaumlnien etwa begann die Revolution mit dem Widerstand ge-gen die politisch motivierte Zwangsver-setzung des reformierten Pfarrers Laacuteszlo Toumlkes in Timisoara S 64) die Zahl der fuumlhrenden christlichen Persoumlnlichkeiten in der Politik nahm stark zu Zur Fra-ge nach der Weltchristenheit gehoumlrt in diesem Zusammenhang aber auch die Darstellung der neuen Religionsfreiheit in vielen Laumlndern und die Abloumlsung des Kommunismus als Hauptbeschraumlnker der Religionsfreiheit durch den Islam wobei es in islamischen ebenso wie in anderen Laumlndern haumlufig zu einer neuen gefaumlhrlichen Allianz von Religion und Nationalismus kam

Die 4 Internationale Muumlnchen-Frei-sing-Konferenz 2008 fuumlhrte zu diesem Zweck Forscher aus vier Kontinenten zahlreichen Fachrichtungen und Kon-fessionen zusammen Die 23 deutschen oder englischen Forschungsbeitraumlge (plus Einfuumlhrung durch den Heraus-geber und Zusammenfassung durch einen Konferenzbeobachter) die fast ausnahmslos regionale nationale und dabei oft konfessionelle Schwerpunkte setzen stellen derzeit die umfassendste Darstellung zum Thema dar Ihr Ni-veau ist uumlberwiegend sehr hoch meist mit einer Fuumllle von in deutschen Bib-liotheken schwer zugaumlnglichen Quel-len belegt Es gibt Ausnahmen so ist ausgerechnet der Beitrag zu Suumldafrika nur eine vierseitige Zusammenfassung (S 89ff) Etliche Beitraumlge leiden in ihrer Wissenschaftlichkeit unter der konfessi-

onellen Einseitigkeit der Autoren Es ist natuumlrlich unmoumlglich hier zu jedem der Beitraumlge einige Saumltze zu schreiben Fuumlr den Leser der wissen will ob seine Regi-on oder Thematik behandelt wird seien grob die Themen aufgelistet DDR Po-len Rumaumlnien Osteuropa Suumldafrika Aumlthiopien Afrika Suumldkorea China Vietnam Kuba Zentralamerika Ar-gentinienUruruguayChile Brasilien Lateinamerika USA allgemein Fun-damentalismus Befreiungstheologie Pfingstbewegung Lutherische Kirchen

Bedauerlich ist dass nicht alle Autoren das gesamte konfessionelle Spektrum ab-decken So mag man ja noch verstehen dass zu Polen der Protestantismus nicht dargestellt wird dass er zu China fehlt ist unverstaumlndlich so lesenswert der Bei-trag von Roman Malek ist Uumlberhaupt lassen die meisten katholischen Autoren

glauben amp denken heute 22012 497 8 6 uuml

andere Konfessionen uumlberwiegend links liegen waumlhrend die protestantischen Autoren die nichtprotestantischen Kir-chen wenigstens mit darstellen wenn auch selten angemessen Angesichts der Gesamtthematik des Buches ist die kon-fessionelle und theologische Einseitig-keit etlicher Einzelbeitraumlge erstaunlich Evangelikale und Pfingstler immerhin ein Drittel der Weltchristenheit erschei-nen uumlberwiegend als negative Klischees auch wenn die Spannbreite der Darstel-lungen von billiger Polemik bis hin zu gut belegten Fehlentwicklungen reicht Manche Kritik ist berechtigt ndash wenn auch oft weniger Ergebnis belegter For-schung als einfach Meinung des jeweili-gen Autors etwa dass in den charisma-tischen Bewegungen bdquoChristianity as a Shopping Mallldquo etabliert wurde (James R Cochrane S 109ndash110) oder pfingst-liche Politiker in Brasilien sich bdquonicht als kompetenter oder ethisch verlaumlsslicher erwiesen als andereldquo (Rudolf von Sinner S 330) Wenn auch nichtamerikanische Evangelikale vieles kritisch sehen was im evangelikalen Bereich in den USA geschieht so helfen Sammeltoumlpfe wie die bdquoRechtsevangelikalen Neofunda-mentalisten und Pfingstsektenldquo (S 21) bei der Aufarbeitung sicher nicht

Manchmal schlaumlgt eine westliche theologisch liberale Sichtweise verzer-rend durch etwa wenn es heiszligt dass konservative Anglikaner versuchten die afrikanischen Kirchen fuumlr ihre Zwecke

einzuspannen (S 17) Den Neuauf-bruch groszliger anglikanischer Kirchen in Afrika als amerikanisch zu erklaumlren ist schlicht falsch offenbart aber auch einen Patriarchalismus der der Realitaumlt nicht gerecht wird Es sind umgekehrt stark wachsende afrikanische anglika-nische Nationalkirchen wie in Uganda die den kleinen konservativen Fluumlgel der Anglikaner in den USA zum Wider-stand anstiften

Anselm K Min (S 195ndash214) schreibt den koreanischen Kirchen aller Konfes-sionen zwar berechtigte und gewichtige Anfragen ins Stammbuch ndash wenn auch von den USA aus ndash seine Leistung als Historiker ist aber schwach seine Kritik an allem was rechts von ihm steht ist heftig aber nicht belegt Er wird der Di-versitaumlt des konservativen Protestantis-mus und der evangelikalen Bewegung nicht gerecht und spiegelt eher seine eige-ne theologische Position als eine wissen-schaftliche Erforschung der Kirchenge-schichte wider Die stabilisierende Rolle nicht aller aber vieler evangelikaler Gruppen fuumlr die koreanische Demokra-tie und die vergleichsweise positive Rol-le eines evangelikalen Praumlsidenten wird gar nicht erwaumlhnt Typisch klischeehaft wird der Fundamentalismus mit Anti-Intellektualismus und dogmatischer Intoleranz gleichgesetzt (S 210) ndash das haben die groszligen reformierten Hoch-schulen Koreas sicher nicht alle verdient Und wer im wissenschaftlichen Kontext

von bdquoFundamentalismusldquo spricht moumlge bitte angesichts der ungezaumlhlten Defini-tionen und den meist emotionalen oder gar vernichtenden Bedeutungen erst einmal sagen was er eigentlich darunter versteht Das uumlberschwaumlngliche Lob des koreanischen Katholizismus im Gegen-satz zum Protestantismus der korrupt materialistisch individualistisch und der koreanischen Kultur nicht angepasst sei (S 212) wirkt in seiner schwarz-wei-szligen Pauschalisierung trotz des gewissen Wahrheitskerns fast schon komisch

Die groszlige Ausnahme ist hier ndash wie nicht anders aufgrund seiner Buumlcher zu erwarten ndash der unbedingt lesenswerte Beitrag von Michael Hochgeschwender zu den USA (S 351ndash371) eigentlich fuumlr das Thema bdquoEvangelikaleldquo ja das schwie-rigste Land Doch Hochgeschwender schreibt informiert belegt differenziert bei allen Vor- und Nachteile sehend uumlber alle Konfessionen und Richtungen gleichermaszligen fair Hochgeschwen-der sieht generell den Schwerpunkt der enormen Religiositaumlt und Spiritualitaumlt in den USA darin dass sie bdquomit einer radikalen Konsequenz die weltweit ih-resgleichen sucht zur Ware umfunktio-niertldquo (S 368) wurde und wird

Am anderen Ende des Spektrums zu Hochgeschwender steht der britische Theologe Kevin Ward der eigentlich bdquoPluralism and fundamentalism as challenges for the African Churchesldquo (S 157ndash176) aber uumlberwiegend nur die

Spaltung der anglikanischen Weltge-meinschaft darstellt das Thema seiner Uumlberschrift also verfehlt hat nicht nur weil er nirgends definiert was die bei-den Begriffe seines Themas eigentlich bedeuten sondern eigentlich immer nur zwei Lager beschreibt die man dann wohl den beiden Themen zuordnen soll was der enormen Vielfalt der afrikani-schen Christenheit kaum gerecht wird Auf welcher Seite Ward selbst steht zeigt seine Verteidigung der Forderung von Erzbischof Williams die Scharia in Teilen Groszligbritanniens zuzulassen Kommt die Kritik daran wirklich nur von Konservativen die sich nicht mit der Realitaumlt der multikulturellen Gesell-schaft abfinden wollen (S 173) Wards Kritik an der Kritik der nigerianischen Bischoumlfe an Williams geht voumlllig daran vorbei dass die Frage der Guumlltigkeit der Scharia fuumlr die anglikanische Kirche in Nigeria keine akademische sondern eine existentielle Frage ist kein den theologischen Stroumlmungen rechts oder links zuzuordnendes Thema

Sehr interessant sind die Beitraumlge die die Folgen der bdquoWendeldquo fuumlr die Befrei-ungstheologie und den Weltkirchenrat diskutieren Sergo Silva (S 335ndash350) haumllt die These die Befreiungstheologie habe ohne real existierende sozialistische Laumlnder stark an Bedeutung verloren fuumlr grundfalsch Seine Argumente sind aber fast ausschlieszliglich theologisch (sie ist weiter berechtigt und noumltig) nicht his-

Falling wallsndash the year 198990

50 7 8 6 uuml

torisch oder soziologisch (Auch hier ist uumlbrigens bedauerlich dass Evangelikale wie Rene Padilla oder Samuel Escobar und ihre juumlngeren Nachfolger uumlberhaupt nicht in den Blick kommen) Die Base-ler Missionswissenschaftlerin Christine Lienemann-Perrin (S 373ndash392) vertritt die entgegengesetzte These ndash und dies gut belegt ndash vor allem am Beispiel Ko-reas Suumldafrikas und Lateinamerikas Sie geht davon aus dass die groszligen be-freiungstheologischen Entwuumlrfe durch kontextuelle lokale Entwuumlrfe abgeloumlst wurden

Viggo Mortensen (S 429ndash441) be-schreibt ausgehend von den lutherischen Kirchen die tiefgreifende Veraumlnderung innerhalb der oumlkumenischen Bewegung nach 1989 Denn bdquoinnerhalb der oumlku-menischen Bewegung hingen viele am sozialistischen Traumldquo (S 440) Dieser sei laumlngst ausgetraumlumt (aumlhnlich Hart-mut Lehmann S 446)

Die Entwicklung ginge von der Be-tonung der sichtbaren Einheit hin zur versoumlhnten Vielfalt vom Konsens (fast um jeden Preis) hin zum sichtbaren Pro-fil und Bekenntnis Dass die Veraumlnde-rungen auch den Dauerstreit zwischen Evangelikalen und Weltkirchenrat be-endet haben und es heute eine gute Zu-sammenarbeit mit der weltweiten Evan-gelischen Allianz in vielen Fragen gibt wird nicht erwaumlhnt auch wenn dies ge-nau die These des Autors unterstreicht Kritisch angemerkt sei noch dass die in

der Einfuumlhrung gut angesprochene Fra-ge der Religionsfreiheit die durch die sbquoWendelsquo ein ganz neues Thema wurde aber sich auch international ganz an-ders ohne den kommunistischen Block darstellt (etwa durch die zunehmende Verquickung von Religion und Natio-nalismus ndash darunter auch Beispiele eines christlichen Nationalismus) im Buch fast voumlllig fehlt

Dabei haumltte das Thema mindestens ei-nen eigenen Beitrag verdient gehabt und haumltte alle anderen Beitraumlge durchziehen muumlssen Denn die praktische Lage der Religionsfreiheit weltweit als auch der internationale theoretische Diskurs zum Thema hat sich in den letzten drei Jahrzehnten von der sbquoWendelsquo ausgehend grundlegend gewandelt und christliche Kirchen sind unmittelbar von beidem uumlberall betroffen

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher Werbung

glauben amp denken heute ist eine Zeitschrift fuumlr Freunde des Martin Bu-cer Seminars und fuumlr alle Menschen die sich dem christlichen Glauben ver-bunden fuumlhlen 2 x im Jahr erscheint glauben amp denken heute online und kann unter wwwbucereu herun-tergeladen werden glauben amp denken heute veroumlffentlicht theologische Beitrauml-ge sowie diverse BuchrezensionenReservieren Sie sich noch heute eine Werbeflaumlche in glauben amp denken heute und Ihre Anzeige wird in der naumlchsten Ausgabe online freigeschaltet Ihre Bestellung und Anzeige senden Sie bitte per E-Mail an Manfred Feldmann ManfredFeldmannbucerde

Beispiel Hiermit bestelle ich die Werbeflaumlche A (AshyG) Die Anshyzeige (Anhang beigefuumlgt) soll 1x (2x) im Jahr erscheinen

Betriebssystem Apple Macintosh WindowsLinux uaDateiformat JPEG GIF bei einer Aufloumlsung von houmlchstens 150 dpi

Anzeige 257 x 170 mmSeite 1 SatzspiegelPreis 125 Euro

Anzeige 192 x 170 mmSeite 34 SpaltenPreis 100 Euro

Anzeige 125 x 170 mmSeite 24 SpaltenPreis 75 Euro

Anzeige 59 x 170 mmSeite 14 SpaltePreis 50 Euro

Anzeige 125 x 83 mmSeite 28 SpaltenPreis 35 Euro

Anzeige 59 x 83 mmSeite 18 SpaltePreis 20 Euro

Anzeige 297 x 210 mmSeite 1 ganze SeitePreis 150 EuroA

B

C

D

E

F

G

glauben amp denken heute 22012 517 8 6 uuml

Neuere Buumlcher uumlber Konstantin den GroszligenPeter Leithart Klaus M Girardet

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Peter Leithart Defending Constanti-ne The Twilight of an Empire and the Dawn of Christendom Downers Grove (IL) IVP Academic 2010 373 Seiten ISBN 978-0830827220 2199 Euro

Peter J Leithart hat ein Buch zur Ehrenrettung Kaiser Konstantins ge-schrieben das sich vor allem gegen die Thesen des amerikanischen Mennoni-ten John Howard Yoder (1927ndash1997) wendet fuumlr den Konstantin der In-begriff des Abfalls des Christentums von seinen pazifistischen Urspruumlngen und fuumlr das jahrhundertlange Uumlbel des Staatskirchentums und der Ketzerver-folgung stand

Leithart will dabei keinen originauml-ren Forschungsbeitrag liefern sondern die viel positivere Beschreibung in der Fachliteratur und den Wandel des

Konstantinbildes in der Wissenschaft den tief verwurzelten Vorurteilen vie-ler heutiger Christen entgegenhalten In einer enormen Vielfalt breitet er Forschungsliteratur der letzten hun-dert Jahre in den Fuszlignoten aus und zeigt dass der tatsaumlchliche Konstantin weder mit dem bejubelten christlichen Kaiser des Mittelalters noch mit dem Buhmann der Aufklaumlrung aber auch freikirchlicher Autoren etwas zu tun hat Konstantin ist nur aus der Reali-taumlt des 4 Jahrhunderts heraus zu ver-stehen und konnte nicht wissen was die Zukunft bringen wuumlrde Gemessen daran war er ndash so Leithart ndash uumlberzeug-ter Christ und fand einen Weg zwi-schen der Foumlrderung des christlichen Glaubens und der Religionsfreiheit der nichtchristlichen Bevoumllkerungsmehr-heit Dabei muumlsse man aber immer die

ganze Breite der erforschten Ereignisse beruumlcksichtigen So gibt es unuumlberseh-bare und nennenswerte Einfluumlsse des Christentums auf seine Gesetzgebung andererseits ebenso voumlllig davon unbe-einflusste Bereiche

Waumlhlen wir etwa die Architektur (S 112ndash125) als Beispiel fuumlr die bdquoKom-plexitaumltldquo (S 113) und bdquoMehrdeutig-keitldquo (S 114) des Wirkens Konstantins Einerseits baute der Kaiser jede Menge oumlffentlicher Bauten die durchaus mit roumlmischer und griechischer religioumlser Kunst geschmuumlckt waren Andererseits stand der Kirchenbau in Rom und dann in Byzanz im Zentrum seines persoumlnli-chen Interesses Ein typisches Beispiel ist der Konstantinbogen in Rom Ei-nerseits unterscheidet er sich im ersten Moment nicht von anderen derartigen Bauten Ein unmittelbarer christlicher

Bezug fehlt von den teilweise christli-chen Militaumlrzeichen der abgebildeten Offiziere abgesehen Andererseits wird nirgends den roumlmischen Goumlttern ge-dankt am auffaumllligsten nicht Jupiter wie bis dahin uumlblich Eine Jupiterfi-gur ist zwar zu sehen aber Konstantin wendet ihr den Ruumlcken zu Vielmehr wird dem groszligen Gott gedankt der sich Konstantin offenbart hat Das ver-standen die Christen christlich fuumlr die anderen war es nicht automatisch ein Affront

Auch christliche Symbole sind ein schoumlnes Beispiel So standen sie auf Muumlnzen oder Standarten nach 312 laumlnger neben aumllteren religioumlsen Symbo-len die sie erst allmaumlhlich abloumlsten bis schlieszliglich die menschlich dargestell-ten heidnischen Gottheiten aumlhnlich wie spaumlter im Mittelalter nur noch als

52 7 8 6 uuml

mythischer Schmuck dienten (S 71ndash79) War Konstantins Uumlbertritt zum Chris-tentum eine sbquoechtelsquo Bekehrung Leithart betont zu Recht dass die Frage ist was das damals bedeutete (S 79ndash80) Kons-tantin nahm etwa persoumlnlich die chris-tologische Entscheidung von Nizaumla an (S 89ndash90) was heute fuumlr uns bedeut-samer ist als damals Hier haumltte Leithart viel deutlicher ndash wie Girardet in den im Folgenden besprochenen Werken ndash da-rauf verweisen koumlnnen dass Bekehrung vor allem bedeutete den Goumltzendienst aufzugeben Viel staumlrker haumltte herausge-arbeitet werden muumlssen welche zentrale Rolle der Verzicht auf das Opfer zu Ju-piter nach dem Sieg uumlber die Mitkaiser spielt (S 66ndash67) Hier zitiert Leithart zwar eine deutsche Quelle von 1955 die er aber wohl nicht lesen konnte Die umfangreichen deutschen Studien dazu kennt er nicht (siehe unten)

Auch bei anderen Fragen ist Leithart auf der richtigen Spur haumltte aber mit deutschen Quellen bessere Belege an-fuumlhren und die Bedeutung der Ergeb-nisse staumlrker herausstellen koumlnnen So geht Leithart davon aus dass die eigent-liche Kreuzesvision Konstantins bereits 310 in Grand in den Vogesen (heute in Frankreich) stattfand wahrscheinlich als bdquoRinghaloldquo (S 77ndash78) die neuesten Belege dafuumlr fuumlhrt er aber nicht an

Erfreulicherweise bezeichnet Leithart das bdquoEdikt von Mailandldquo als bdquoFiktionldquo (S 98ndash99) Tatsaumlchlich vereinbarten die

beiden Kaiser Konstantin und Licinus nach einem Treffen in Mailand in ei-nem Brief vom Juni 313 aus Nikomedia die Ruumlckgabe von konfisziertem Kir-chengut und die Religionsfreiheit der Christen nicht aber deren Vorrangstel-lung geschweige denn eine Stellung als Staatsreligion (S 99ndash100) Tatsaumlchlich hat Konstantin die Freiheit der Nicht-christen nicht beschraumlnkt

Je laumlnger je mehr geht es Leithart aber nicht nur um eine Ehrenrettung Kons-tantins sondern darum ihn als Vorbild fuumlr christliche Politik hinzustellen Aus Leitharts Sicht gilt bdquoKonstantin liefert uns in vielerlei Hinsicht ein Modell fuumlr christliche politische Praxisldquo [bdquoConstan-tine provides in many respects a model for Christian political practiceldquo] (S 11) Die Aussage dass Konstantin in vie-ler Hinsicht fuumlr christliches politisches Handeln steht geht natuumlrlich weit uumlber das hinaus was Leithart belegt und be-sonders was er widerlegt Zwar ist zu wuumlrdigen dass Konstantin aus christ-licher Motivation auch Gesetze huma-nisiert und brutale Elemente der roumlmi-schen Kultur beendet hat Auch hat es Konstantin geschafft das Christentum zu foumlrdern ohne die Religionsfreiheit der anderen einzuschraumlnken Aber ob das fuumlr seine Vorbildfunktion reicht Und haumltte man dann nicht gruumlndlicher diskutieren muumlssen ob die Foumlrderung des Christentums als vom Staatsober-haupt gewuumlnschter Religion und Reli-

gionsfreiheit wirklich gleichzeitig moumlg-lich sind und inwiefern ein Christ als Staatslenker die Politik praumlgen sollte und kann

Ausfuumlhrlich belegt Leithart dass die Sicht von Yoder und anderen die Fruumlhe Kirche sei vollstaumlndig pazifistisch gewe-sen und habe erst durch oder nach Kon-stantin ihre Sicht geaumlndert dass man nicht in der roumlmischen Armee dienen koumlnne einseitig ist Tatsaumlchlich gab es um diese Fragen eine breite Diskussion in der Fruumlhen Kirche Schon vor Kon-stantin bis zuruumlck zur Zeit der Apos-tel dienten Christen als Soldaten und Offiziere in der roumlmischen Armee (S 255ndash278) die ja zugleich die Polizeige-walt innehatte Aber auch hier ist es ein weiter Weg zur Vorbildfunktion Kon-stantins die auch ohne Pazifismus die Frage klaumlren muumlsste wie das Verhaumlltnis der christlichen Kirche zu legalen Ins-titutionen des staatlichen Gewaltmono-pols sein sollte

Ich persoumlnlich haumltte mir eine klarere Trennung in einen historischen Teil zu Konstantin und einen ethischen Teil zum Verhaumlltnis von Kirche und Staat gewuumlnscht Da Yoder die beiden Fragen bis zur Unkenntlichkeit vermischt folgt ihm Leithart wenn es bei ihm auch viel einfacher ist die Gedanken zum einen oder anderen voneinander zu trennen

Eigentlich handelt es sich fuumlr mich sogar um vier Fragenkomplexe die hier verschwimmen 1 Was ist historisch

zur Konstantinbiografie zuverlaumlssig zu sagen 2 Wie viel des spaumlteren mittelal-terlichen christlichen Europas geht auf Konstantin zuruumlck und wie viel nicht heiszligt also das konstantinische Zeitalter zu Recht so oder nicht 3 Was ist gut und richtig ndash das heiszligt wie sollte es ide-alerweise biblisch-theologisch sein Und 4 Wie ist im Licht des Ideals Konstan-tin die spaumltere Entwicklung des Mittel-alters zu bewerten oder kann man eine solche Bewertung gar nicht vornehmen

Durch die starke Fixierung des Buches auf Yoder vor allem im hinteren Teil (S 254ndash342) und dem angekuumlndigten Wechsel von der Biografie zur Polemik im Laufe des Buches (S 10ndash11) wird das Buch leider auch sehr auf den ame-rikanischen Bereich zugeschnitten und ist gerade im hinteren Teil fuumlr Christen in Europa oder im globalen Suumlden nicht relevant

Drei Buumlcher von Girardet

Dem Buch von Leithart moumlchte ich drei Werke von Klaus M Girardet gegen-uumlberstellenA) Klaus M Girardet Der Kaiser und sein Gott Das Christentum im Denken und in der Religionspolitik Konstantins des Groszligen Millenium-Studien 27 Ber-lin de Gruyter 2010 212 Seiten ISBN 978-3110227888 7495 Euro

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 537 8 6 uuml

Neuere Buumlcher uumlber Konstantin den Groszligen

B) Klaus M Girardet (Hg) Kaiser Kon-stantin der Groszlige Historische Leistung und Rezeption in Europa Bonn Ru-dolf Habelt 2007 darin bes Klaus M Girardet bdquoDas Christentum in Denken und in der Politik Kaiser Konstantin d Grldquo S 29ndash54 208 Seiten ISBN 978-3774934740C) Klaus M Girardet Die konstantini-sche Wende Voraussetzungen und geistige Grundlagen der Religionspolitik Kons-tantins des Groszligen Darmstadt Wissen-schaftliche Buchgesellschaft 2006 2002 204 Seiten ISBN 978-3534191161 4990 Euro

Stellen wir dem Buch von Leithart die Buumlcher zu Konstantin des deutschen Forschers Klaus Girardet gegenuumlber Grund fuumlr die intensive Erforschung Konstantins auf deutscher Seite ist un-ter anderem dass Trier zeitweise dessen Hauptstadt war

Girardet unterscheidet drei For-schungsrichtungen (A S 22ndash24) 1 Auffassung dass Konstantin bereits von Haus aus Christ war oder sich 310 bis 312 oder uumlber einen noch laumlngeren Zeitraum dem Christentum zuwandte 2 Auffassungen dass sich Konstan-tin zwar dem Monotheismus undoder Sonnenkult mit gewissen christlichen Elementen zuwandte nicht aber Christ nach damaligen und heutigen Maszligstauml-ben wurde 3 Die Auffassung dass es weder fuumlr die erste noch fuumlr die zweite Auffassung Hinweise gibt

Girardet beantwortet in einem eigenen Beitrag die Frage bdquoChristliche Kaiser vor Konstantinldquo (C S 13ndash38) sehr uumlber-zeugend negativ anhand jedes einzelnen Kaisers und seiner Familien vor Kons-tantin

Girardet lehnt treffend moderne Maszligstaumlbe dafuumlr ab ob Konstantins Be-kehrung sbquoechtlsquo sbquoaufrichtiglsquo oder sbquorichtiglsquo war und Konstantin sbquorechtglaumlubiglsquo wur-de (C S 59) Er geht davon aus dass das herausragende Kennzeichen des Christ-seins und Christwerdens in der Antike und im 4 Jahrhundert die bdquoAbsage an den Goumltterkultldquo (C S 60) gewesen sei Also muumlsse vor allem gefragt werden ob Konstantin diese vollzogen habe bdquoDie Verweigerung des Goumltzenopfersldquo durch Konstantin sei gut belegt (C S 60ndash71 A S 78ndash88) ndash unter anderem direkt nach dem Sieg uumlber seine Mitkaiser da Kon-stantin am Ende des Triumphzuges (der streng genommen keiner war da keine Feinde sondern ein Mitkaiser besiegt wurde) in Rom am 2910312 fuumlr alle erkennbar nicht als Ende und Houmlhe-punkt das uumlbliche Dankopfer an Jupi-ter Optimus Maximus auf dem Kapitol darbrachte sondern direkt in seinen Pa-last zog

Dafuumlr findet Girardet viele Belege So sieht der heidnische Historiker Zosimos (II 72) in der Unterlassung des Dank-opfers an Jupiter den Grund fuumlr den Beginn des politischen Niedergangs von Rom (C S 70) Das Dankopfer an Ju-

piter fehlt auch auf dem 315 errichteten Konstantinbogen auf dem statt Jupiter der bdquoinstinctu divinitatisldquo der Einge-bung der Gottheit gedankt wird

Auffaumlllig ist ab 312 in Berichten oder eben auf dem Konstantinbogen das erstmals der Gott der den Sieg verur-sachte keinen Namen hat sondern all-gemein bdquosumma divitasldquo und aumlhnlich heiszligt (C S 68)

Kurz nach der Verweigerung des Dankopfers an Jupiter 312 erscheinen erste Muumlnzen mit dem Christogramm (B S 42) Alles spricht dafuumlr dass es bereits Christuszeichen auf dem Helm des Kaisers und den Feldzeichen gab (A S 64ndash67) wobei das Christuszeichen wohl nicht das heute vertraute Kreuz war sondern das Chi-Rho

Girardet geht ausfuumlhrlich auf die drei zentralen Texte zur Vision des Christus-zeichens an der Milvischen Bruumlcke ein (A S 30ndash40) Nirgends wird gesagt so Girardet dass die Vision erst an der Bruumlcke geschah (A S 49ndash51) Vielmehr duumlrfte Konstantin bereits 310 einen so-genannten bdquoRinghaloldquo in Grand in den (heute franzoumlsischen) Vogesen gesehen haben den dann sein militaumlrisches Be-gleitkommando auch sehen konnte Ein Halo ist ein atmosphaumlrischer Lichtef-fekt durch Brechung bzw Reflexion von Licht an Eiskristallen Er kann die Form einer inneren kleineren Sonne mit vier Strahlen in alle Richtungen wie ein Kreuz annehmen

Giradet liefert auszligerdem viele Belege aus Konstantins fruumlhen Reden ab 312 fuumlr seine Parteinahme fuumlr das Chris-tentum (A S 89ndash123) Die spaumlte Tau-fe Konstantins ist fuumlr ihn normal und damals uumlblich gewesen zumal Kon-stantin offensichtlich davon ausging dass er nach der Taufe nicht mehr das kaiserliche Purpur tragen koumlnne (A S 106ndash107)

Interessant ist auch Girardets Dar-stellung bdquoNichtchristen im Denken und Handeln Konstantinsldquo (C S 113ndash133 siehe auch A S 137ndash139) Konstantin hat das Christentum niemandem auf-gezwungen und lieszlig den Heiden ihre Freiheit Wie Leithart sieht er bei Kons-tantin das Element der Religionsfreiheit in einem Maszlige gegeben wie es dies bei den roumlmischen Kaisern vorher nicht gab

Aufsaumltze

Schauen wir noch auf einige der von Girardet herausgegebenen Aufsaumltze Ti-ziana J Chiusi (bdquoDer Einfluss des Chris-tentums auf die Gesetzgebung Konstan-tinsldquo S 55ndash64 in Klaus M Girardet [Hg] Kaiser Konstantin der Groszlige A a O) zeigt die Ambivalenz der Gesetz-gebung Konstantins Strengere Gesetze fuumlr die Flucht von Sklaven stehen ne-ben Gesetzen zur humanen Behandlung der Sklaven und der Beguumlnstigung ihrer Freilassung (B S 60) Deutlich christ-lich beeinflusst sind die Abschaffung

54 7 8 6 uuml

der Todesstrafe durch Kreuzigung das Verbot von Brandmalen im Gesicht das Verbot der Gladiatorenspiele (B S 61) oder die Einfuumlhrung des Sonntags als Ruhetag eine eindeutige Foumlrderung und Werbung fuumlr das Christentum (B S 63)

Wegweisend finde ich die drei grund-legenden Veraumlnderungen des Christen-tums die Konstantin bewirkt hat wie sie Karl-Heinz Ohlig (bdquoStrukturelle Aus-wirkungen der Konstantinischen Wende auf das Christentumldquo S 75ndash86 In Klaus M Girardet [Hg] Kaiser Kons-tantin der Groszlige A a O) benennt und erlaumlutert die Sakralisierung die Ver-rechtlichung und die Hellenisierung des Christentums

Die Sakralisierung des Christentums betraf vor allem die Rolle der Kirche ihre Aumlmter und die Sakramente da seit-dem die von sakralen Maumlnnern geleitete kultische Praxis im Mittelpunkt steht (B S 81) Die Verrechtlichung des Chris-tentums ist in der katholischen Kirche bis heute erhalten und grundlegend (B S 82) Die weitreichendsten Folgen hatte aber nach Ohlig die Hellenisierung des Christentums (B S 85) Auf alle diese Fragen etwa geht Leithart nicht ein

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher Werbung

Glaube braucht Wissen

Unser Konzept

Mit neuen Dienstleistungen und Zugangs-wegen zu biblischen und serioumlsen Inhalten verstehen wir uns als ein attraktives An-gebot fuumlr Menschen von heute die mehr uumlber Gott Ethik Naturwissenschaft fuumlrs alltaumlgliche Leben wissen wollen Denn Gottes Wort gehoumlrt in den Alltag Genau hier setzt GENiaLeBuecherde an

Unsere Ziele

Die gesellschaftliche Religiositaumlt hat in unserer Zeit neue individuelle Wege ge-funden Dafuumlr benoumltigen die Menschen all-tagstaugliche biblische verlaumlssliche Quel-len und Mittel GENiaLeBuecherde bietet Inhalte und Informationsquellen fuumlr das alltaumlgliche Leben von Einzelnen und Ge-meinschaften an Wir verbinden Internet und Gedrucktes

Unser Weg

GENiaLeBuecherde geht hierbei nicht nur den Weg des klassischen Handels son-dern unterstuumltzt bewusst christliche Ins-titutionen indem GENiaLeBuecherde fuumlr diese Partner neue Vertriebswege schafft bzw vorhandene ausweitet Diese Part-ner sind ua auch Institutionen (Werke Vereine) die von Zuwendungen (Spenden) getragen werden

Die Zeit ist reif fuumlr diese Kreativi-taumlt fuumlr diese neuen Zugangswege und Kommunikationsmittel

Viel Freude beim Stoumlbern auf unseren Seiten

wir praumlsentieren bull Buumlcher bull CDs amp DVDs bull Kalender amp Zeitplansysteme bull ein Antiquariat bull Sonderposten bull Message Shirts bull Tipps amp Downloads und vieles mehr

Wo und wie bekommt man einen leichtenZugang zu biblischem serioumlsem Wissen

glauben amp denken heute 22012 557 8 6 uuml

Novum Testamentum Graece x 28

Carsten Friedrich

Barbara Aland u a (Hrsg) Novum Tes-tamentum Graece 28 revidierte Aufla-ge Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 2012 1008 Seiten bzw 1219 Seiten (mit Woumlrterbuch) ISBN 978-3438051400 bzw 978-3438051592 28 bzw 35 Euro

Ein langes Warten fand im September ein Ende Die 28 Auflage des Nestle-Aland ist erschienen Das Novum Tes-tamentum Graece ist als wissenschaft-liche Ausgabe des Neuen Testaments in seiner griechischen Ursprache ein Standardwerk (neben dem UBS Greek New Testament) Es dient weltweit als Grundlage fuumlr Uumlbersetzungen und wis-senschaftliches Arbeiten Nach seinen fruumlheren Herausgebern Eberhart Nestle und Kurt Aland wird es bis heute oft-mals einfach bdquoNestle-Alandldquo genannt (abgekuumlrzt NA)

Revidierter Text in den Katholischen Briefen

Die bisherige 27 Auflage (NA27) war 1993 erschienen Ihr lag der unveraumln-derte Text der 26 Auflage von 1979 zugrunde Damals wurde nur der Ap-parat einer weitgehenden Revision un-terzogen Damit liegt nun mit der 28 Auflage (NA28) nach 33 Jahren erst-mals eine Ausgabe mit Textaumlnderungen vor Wer nun meint nach 33 Jahren ei-nen komplett revidierten Text des Neu-en Testaments erwarten zu duumlrfen der irrt Die Revision des Textes betrifft nur die bdquoKatholischen Briefeldquo also den Brief des Jakobus die beiden Petrus-Briefe die drei Briefe des Johannes und den Judas-Brief Fuumlr diesen Teil des Neuen Testaments liegt naumlmlich mittlerweile

die Editio Critica Maior (ECM) vor die bisher umfangreichste auf Vollstaumlndig-keit abzielende Aufarbeitung der textli-chen Bezeugung des NT1 Die Entschei-dungen der ECM (in der 2 Auflage) wurden fuumlr NA28 uumlbernommen womit sich der Text gegenuumlber NA27 an insge-samt 34 Stellen aumlndert Eine komplette Auflistung dieser Stellen findet sich in der Einfuumlhrung zu NA28 auf Seite 6 Drei dieser Aumlnderungen seien hier als Beispiele aufgefuumlhrt

1Petr 416

NA27 εἰ δὲ ὡς Χριστιανός μὴ αἰσχυνέσθω δοξαζέτω δὲ τὸν θεὸν ἐν τῷ ὀνόματι τούτῳ

Wenn aber jemand als Christ [leidet V15] so schaumlme er sich nicht son-

dern mache Gott durch diesen Namen [bdquoChristldquo] Ehre

NA28 ECM2 εἰ δὲ ὡς Χριστιανός μὴ αἰσχυνέσθω δοξαζέτω δὲ τὸν θεὸν ἐν τῷ μέρει τούτῳWenn aber jemand als Christ [leidet V15] so schaumlme er sich nicht sondern mache Gott in dieser Angelegenheit Ehre

2Petr 218

NA27 uperogka gar mataiothtoj fqeggomenoi deleazousin en epiqummiaij sarkoj aselgeiaij touj ovligwj avpofeugontaj touj evn planh| avnastrefomenouj

Denn indem sie hochfahrende Reden fuumlhren hinter denen nichts ist locken

56 7 8 6 uuml

sie im Taumel fleischlicher Begierden durch Ausschweifungen solche an sich die sich eben erst von den im Irrwahn Wandelnden abgekehrt hatten (Menge)

NA28 ECM ὑπέρογκα γὰρ μα-ταιότητος φθεγγόμενοι δελεάζουσιν ἐν ἐπιθυμίαις σαρκὸς ἀσελγείαις τοὺς ὄντως ἀποφεύγοντας τοὺς ἐν πλάνῃ ἀναστρεφομένους Denn indem sie hochfahrende Reden fuumlhren hinter denen nichts ist locken sie im Taumel fleischlicher Begierden durch Ausschweifungen solche an sich die sich wirklich von den im Irrwahn Wandelnden abgekehrt hatten (nach Menge abgewandelt)

Judas 5

NA27 Ὑπομνῆσαι δὲ ὑμᾶς βούλομαι εἰδότας [ὑμᾶς] πάντα ὅτι [ὁ] κύριος ἅπαξ λαὸν ἐκ γῆς Αἰγύπτου σώσας τὸ δεύτερον τοὺς μὴ πιστεύσαντας ἀπώλεσενIch will euch aber erinnern obwohl ihr dies alles schon wisst dass der Herr nachdem er dem Volk das eine Mal aus Aumlgypten geholfen hatte das andere Mal die umbrachte die nicht glaubten (Lu-ther 84)

NA28 ECM Ὑπομνῆσαι δὲ ὑμᾶς βούλομαι εἰδότας ὑμᾶς ἅπαξ πάντα ὅτι Ἰησοῦς λαὸν ἐκ γῆς Αἰγύπτου σώσας τὸ δεύτερον τοὺς μὴ πιστεύσαντας ἀπώλεσεν

Ich will euch aber erinnern obwohl ihr alles ein fuumlr allemal wisst dass Jesus nachdem er dem Volk das aus Aumlgypten geholfen hatte das andere Mal die um-brachte die nicht glaubten (nach Lu-ther 84 abgewandelt)

In den Katholischen Briefen wurde je-doch nicht nur der Text der ECM uumlber-nommen Auch der Apparat wurde auf der Basis der ECM grundlegend neu konstruiert So entfaumlllt bei den Katho-lischen Briefen beispielsweise das Sigel

fuumlr den Mehrheitstext zugunsten des Sigels bdquoByzldquo (Byzantischer Text)

Eine Uumlbergangsloumlsung

Dass sich die textlichen Aumlnderungen nur auf die Katholischen Briefe erstre-cken macht deutlich dass es sich bei NA28 um eine Uumlbergangsloumlsung han-delt Denn bdquoauf lange Sichtldquo soll das gesamte NT in dieser Weise uumlberarbei-tet werden so die Herausgeber die ihr Vorgehen als bdquozweigleisige Revisionldquo be-schreiben3 Aber schon die Herausgabe dieser Uumlbergangsloumlsung als 28 Auflage macht deutlich dass bis zum eigentli-chen Ziel noch viele Jahre vergehen wer-den und bis dahin eben diese Variante (bzw weitere Auflagen mit jeweils er-weiterten Textrevisionen) der Standard sein wird den keiner umgehen kann der sich mit dem griechischen Urtext des NT beschaumlftigen will

Revision des gesamten Apparats

Allerdings gibt es auch Neuerungen die sich nicht nur auf die Katholischen Brie-fe beschraumlnken sondern den gesamten NA28 betreffen So liegt der gesamten Ausgabe eine Revision des kritischen Apparats zugrunde die diesen uumlber-sichtlicher und einfacher nutzbar ma-chen soll Die wichtigsten Aumlnderungen diesbezuumlglich sind folgendebullthinspthinspErstmalsthinsp wurdenthinsp diethinsp Lesartenthinsp derthinsp

neu entdeckten Papyri 117ndash127 verzeichnet

bullthinspthinspDiethinsp Unterscheidungthinsp vonthinsp staumlndigenthinspZeugen erster und zweiter Ordnung wurde aufgegeben um bisher da-mit verbundene Unklarheiten zu beseitigen

bullthinspthinspImthinspApparatthinspwerdenthinspzudemthinspkeinethinspKon-jekturen (verbessernde Eingriffe in den Text) mehr zitiert Diese werden in Zukunft mit Quelle in einem ge-sonderten Verzeichnis fuumlr den Nestle Aland digital (siehe Abschnitt unten) zur Verfuumlgung gestellt

bullthinspthinspVariantenthinsp imthinsp textkritischenthinsp Apparatthinspwerden so weit moumlglich ausgeschrie-ben und ohne Einbettung von Subva-rianten dargestellt

bullthinspthinspWeilthinspbisherthinspoftthinspmissverstandenthinspwurdethinspauch auf die Abkuumlrzungen pc (pauci) und al (alii) verzichtet

bullthinspthinspDiethinsp Verknupfungthinsp vonthinsp Apparatnotie-rungen mit et und sed wurde aufge-loumlst Die Bezeugungen werden jetzt getrennt notiert

bullthinspthinspLateinischethinsp Abkurzungenthinsp undthinsp Zwi-schentexte wurden reduziert und im Abkuumlrzungsverzeichnis uumlbersetzt

bullthinspthinspDiethinsp Editionumthinsp differentiaethinsp (Appen-dix III in NA27) die einen Uumlber-blick uumlber die Textentscheidungen der wichtigsten neuzeitlichen Ausgaben des griechischen NT im Vergleich zu NA27 bot entfaumlllt bei NA28 weil eine Uumlberarbeitung unverhaumlltnismauml-szligig aufwendig gewesen waumlre

bullthinspthinspDiethinspVerweisstellenthinspamthinspaumluszligerenthinspRandthinspwurden auf ihre Aussagekraft hin uumlberpruumlft

Die hier aufgelisteten Aumlnderungen ma-chen deutlich dass es den Herausgebern mit ihrer Zielstellung durchaus ernst ist den NA28 benutzerfreundlicher zu machen Angaben die bisher in ihrer Art und Weise irritierend und unnouml-tig kompliziert waren wurden fuumlr den NA28 deutlich verbessert Dass natuumlr-lich auch der NA28 noch ein sehr kom-plexes Werk ist das den Benutzern eine intensive Beschaumlftigung abverlangt ist selbstverstaumlndlich4 Dies ist sowohl der Materie an sich als auch der Zielstel-lung der Autoren geschuldet bdquodie in der Ausgabe vorliegende Rekonstrukti-on des griechischen Ausgangstextes kri-tisch nachvollziehbar und uumlberpruumlfbar zu machenldquo5

Carsten Friedrich

glauben amp denken heute 22012 577 8 6 uuml

Nestle Aland digital

Viele Benutzer wird es erfreuen dass es den NA28 auch in digitaler Form ge-ben wird ndash und zwar samt Apparat Die Herausgeber verfolgen mit dem Nestle Aland digital hauptsaumlchlich zwei Ziel-stellungen6 zum einen im Hinblick auf die Aktualitaumlt der gebotenen Informati-onen Korrekturen und neue Notierun-gen sollen via Internet innerhalb kurzer Zeit zur Verfuumlgung gestellt werden zum anderen im Hinblick auf die Klarheit der Praumlsentation und die Verknuumlpfung mit weiteren Dokumenten und Daten So sollen beispielsweise Abkuumlrzungen und Sigel in eingeblendeten Fenstern erklaumlrt werden Daruumlber hinaus soll es eine Verknuumlpfung mit den vollstaumlndi-gen Transkripten und Fotos der ein-bezogenen Handschriften geben Wie oben schon erwaumlhnt soll auszligerdem ein Verzeichnis aller Konjekturen samt deren Quellen in der digitalen Variante enthalten sein

Das Erscheinen des Nestle Aland di-gital ist fuumlr 2013 angekuumlndigt Es soll ihn dann fuumlr PC Mac und Smartphone fuumlr ca 30 Euro geben Bis dahin darf man gespannt warten inwieweit sich die wirklich vielversprechenden Ankuumln-digungen der Herausgeber erfuumlllen

Novum Testamentum Graece x 28 Werbung

Struktur

14 selbstaumlndige Studienzentren in 6 Laumln-dern mit einheimischen Traumlgervereinen

5 uumlbergreifende Institute

Rektor Prof Dr Thomas Schirrmacher

Dekane Thomas Kinker ThD (USA) Titus Vogt lic theol

Mission durch Forschung

Internationales Institut fuumlr Religionsfreiheit (Partner Weltweite Ev Allianz)

Studienprogramm mit Schwerpunkt Islam zusammen mit dem Institut fuumlr Islamfragen

Institut fuumlr Lebens- und Familienwissenschaft

Institut fuumlr Notfallseelsorge Sterbebegleitung und Trauerseelsorge

Institut fuumlr Seelsorgeausbildung

Martin Bucer Seminar

infobucerdewwwbucerde

hellip damit die Heiligen zugeruumlstet werden zum Werk des Dienstes

Epheser 412

1 bdquoDie Editio Critica Maior dokumentiert die griechi-sche Textgeschichte des ersten Jahrtausends anhand der uumlberlieferungsgeschichtlich wichtigen griechi-schen Handschriften alten Uumlbersetzungen und neu-testamentlichen Zitate in der antiken christlichen Li-teratur Auf der Basis genealogischer Untersuchungen des erstmals mit dieser Vollstaumlndigkeit aufbereiteten Materials wird der Text neu rekonstruiert Die Aus-wahl der Handschriften beruht auf einer Auswertung der gesamten Primaumlruumlberlieferungldquo URL httpwwwuni-muensterdeNTTextforschungProjektehtml [Stand 23102012] Ausfuumlhrlichere Informati-onen zur ECM finden sich unter URL httpwwwuni-muensterdeNTTextforschungECMhtml2 Griechischer Bibeltext aus Barbara Aland u a (Hrsg) Novum Testamentum Graece 28 revidierte Auflage Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 20123 bdquohellip so muss fuumlr die uumlbrigen neutestamentlichen Schriften mit der Neukonstitution des Textes so lan-ge gewartet werden bis mit dem Fortschreiten der Ar-beit an der ECM die dafuumlr noumltigen Materialien und Erkenntnisse vorliegen Die sich daraus ergebende relative Uneinheitlichkeit der 28 Auflage ist unver-meidlich will man die neuen Erkenntnisse aus der Arbeit an der ECM in die Handausgaben einflieszligen lassen obwohl solche nur fuumlr einen Teilbereich des Neuen Testaments vorliegenldquo Holger Strutwolf im Vorwort zum NA284 Die Deutsche Bibelgesellschaft gibt deshalb eine gesonderte Einfuumlhrung zum NA28 heraus David Trobisch Die 28 Auflage des Nestle-Aland Eine Einfuumlhrung Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 2013 Leider ist es nicht gelungen diese Einfuumlhrung zeitgleich mit dem NA28 auf den Markt zu bringen Aus dem urspruumlnglich angekuumlndigten Veroumlffentli-chungstermin November 2012 ist mittlerweile Fruumlh-jahr 2013 geworden Weitere Informationen zu dieser Einfuumlhrung finden sich unter URL httpwwwbibelonlinedeproductsWissenschaftliche-Bibelaus-gabenUrtexte-Neues-TestamentDie-28-Auflage-des-Nestle-Aland-eine-Einfuehrunghtml 5 NA28 A a O S 2 6 NA28 A a O S 3f

Anmerkungen

Gemeinde- und berufsbegleitend

Studenten bleiben in ihren Gemeinden

Anleitung zum eigenstaumlndigen Denken

Vom Wachstum der weltweiten Gemeinde Jesu lernen

Lehre und Forschung Lernen und selbst entwickeln

Das heiszligt das Alte und Bewaumlhrte kennen lernen und voumlllig Neues erforschen

Fundierte Ausbildung fuumlr das Reich Gottes

Studenten werden an Forschung beteiligt die christ-liche Ethik in das Herz der Gesellschaft traumlgt z B durch unsere erfolgreichen Institute

Internationales Institut fuumlr Religionsfreiheit (Partner Weltweite Ev Allianz)

Institut fuumlr Islamfragen (Partner Deutschsprachige Evang Allianzen)

Eigenes Studienprogramm mit Schwerpunkt Islam

Eigenes Studienprogramm mit Schwerpunkt Seelsorge

Institut fuumlr Lebens- und Familienwissenschaft

Institut fuumlr christliche Weltanschauung (Apologetik)

Mission durch Forschung

Abwanderung von Mitarbeitern verhindern

Wir gruumlnden Studienzentren gern in Regionen mit wenig ausgepraumlgter christlicher Infra-struktur wo wir die Abwanderung wichtiger Mitarbeiter im Reich Gottes in sowieso gut versorgte Regionen verhindern wollen z B Studienzentren in Chemnitz und Berlin fuumlr die neuen Bundeslaumlnder (keine Abwanderung nach Westen)

Studienzentrum Innsbruck und Linz zusammen mit dem Evangelikalen Bildungswerk in Oumlster-reich (keine Abwanderung nach Deutschland)

Studienzentrum Istanbul (keine Abwanderung in die USA)

weitere Infolsquos unter wwwbucereu

  1. Schaltflaumlche1
  2. Schaltflaumlche2
  3. Schaltflaumlche3
  4. Schaltflaumlche4
  5. Schaltflaumlche5
  6. Schaltflaumlche6
  7. Schaltflaumlche7
  8. Schaltflaumlche8
  9. Schaltflaumlche9
  10. Schaltflaumlche10
  11. Schaltflaumlche11
  12. Schaltflaumlche12
  13. Schaltflaumlche13
  14. Schaltflaumlche14
  15. Schaltflaumlche15
  16. Schaltflaumlche16
  17. Schaltflaumlche17
  18. Schaltflaumlche18
  19. Schaltflaumlche19
  20. Schaltflaumlche20
  21. Schaltflaumlche21
  22. Schaltflaumlche22
  23. Schaltflaumlche23
  24. Schaltflaumlche24
  25. Schaltflaumlche25
  26. Schaltflaumlche26
  27. Schaltflaumlche27
  28. Schaltflaumlche28
  29. Schaltflaumlche29
  30. Schaltflaumlche30
  31. Schaltflaumlche31
  32. Schaltflaumlche32
  33. Schaltflaumlche33
  34. Schaltflaumlche34
  35. Schaltflaumlche35
  36. Schaltflaumlche36
  37. Schaltflaumlche38
  38. Schaltflaumlche39
  39. Schaltflaumlche40
  40. Schaltflaumlche41
  41. Schaltflaumlche42
  42. Schaltflaumlche43
  43. Schaltflaumlche44
  44. Schaltflaumlche45
  45. Schaltflaumlche46
  46. Schaltflaumlche47
  47. Schaltflaumlche48
  48. Schaltflaumlche49
  49. Schaltflaumlche50
  50. Schaltflaumlche51
  51. Schaltflaumlche52
  52. Schaltflaumlche53
  53. Schaltflaumlche54
  54. Schaltflaumlche55
  55. Schaltflaumlche56
  56. Schaltflaumlche57
  57. Schaltflaumlche58
  58. Schaltflaumlche59
  59. Schaltflaumlche60
  60. Schaltflaumlche61
  61. Schaltflaumlche62
  62. Schaltflaumlche63
  63. Schaltflaumlche64
  64. Schaltflaumlche65
  65. Schaltflaumlche66
  66. Schaltflaumlche67
  67. Schaltflaumlche68
  68. Schaltflaumlche69
  69. Schaltflaumlche70
  70. Schaltflaumlche71
  71. Schaltflaumlche72
  72. Schaltflaumlche73
  73. Schaltflaumlche74
  74. Schaltflaumlche75
  75. Schaltflaumlche76
  76. Schaltflaumlche77
  77. Schaltflaumlche78
  78. Schaltflaumlche79
  79. Schaltflaumlche80
  80. Schaltflaumlche81
  81. Schaltflaumlche82
  82. Schaltflaumlche83
  83. Schaltflaumlche84
  84. Schaltflaumlche37
Page 4: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen

4 7 8 6 uuml

Ich finde es immer wieder neu verwun-derlich dass seit Jahren und Jahrzehn-ten zunehmend in christlichen Kirchen von den Geistesgaben die Rede ist dies aber das Pastorenamt oder die Ausbil-dung dazu kaum erreicht hat Dabei betreffen die im Neuen Testament ge-nannten Geistesgaben ganz wesentlich auch die Lehr- und Leitungsaufgaben Waumlhrend man fuumlr alle Gemeindemit-arbeiter darauf achtet dass sie ihren Gaben entsprechend eingesetzt wer-den ihre Gaben finden und entwi-ckeln thront der Pastor wie vor 400 Jahren vermeintlich universal begabt uumlber allem und praumlgt seine Gemein-de einseitig seiner Gabe entsprechend ndash viele vorbildliche Ausnahme bestauml-tigen trotzdem eine gar weltweite Re-gel Waumlhlen wir nur ein Beispiel die

Predigten Muumlssten die Predigenden nicht abwechseln da jeder Predigen-de mit seinen Gaben seine Gemeinde zu einseitig praumlgt wenn immer nur er predigt1 Wie bekommt eine Gemeinde auch einmal Lehrpredigten wenn der Pastor ein ausgesprochener Evangelist ist und umgekehrt

Wie bekommt eine Gemeinde glo-balen Welt- und Weitblick wenn der Pastor eher seelsorgerlich die Proble-me beim Einzelnen und vor Ort sieht wie werden diese Probleme ernst ge-nommen wenn der Pastor vor allem Weitblick hat Die wenigsten koumlnnen einen Fischteich und das groszlige Meer gleichzeitig kennen lieben und pfle-gen Nun mag der auszligergewoumlhnliche Pastor sogar zwei oder drei Gaben ab-decken koumlnnen aber alle Der Pastor

der gleichermaszligen in seinen Predigten Apostel Prophet Evangelist Hirte und Lehrer ist der Einzelseelsorge und gesellschaftlichen Weitblick Diakonie und Weltmission gleichmaumlszligig im Blick hat ndash den gibt es einfach nicht

Zum Gluumlck wird es in den Gemein-den immer normaler Vollzeitlichkeit (das heiszligt vor allem Bezahlung) nicht nur fuumlr den Pastor zu sehen sondern fuumlr jeden Mitarbeiter einer Gemeinde dessen Ausbildung Erfahrung Faumlhig-keiten und Gaben nicht nur nebenbei gebraucht werden sondern zeitlich in groszligem Umfang

Das Problem liegt natuumlrlich nicht nur bei den Pastoren Viele Gemeinden begehen immer noch den Fehler zu meinen sie wuumlrden ihren Pastor vor al-lem fuumlrs Predigen bezahlen statt etwa

fuumlr die Mitarbeiterfoumlrderung und wer-fen ihrem Pastor Faulheit vor wenn er nicht immer predigt (bdquoWofuumlr bezahlen wir Sie eigentlich wenn Sie sonntags wie alle nur in den Reihen sitzenldquo) Aber wenn die Gemeinde unbedingt nur ihre eigenen bezahlten Pastoren houmlren will dann muss sie eben zwei oder drei gabenmaumlszligig unterschiedlich ausgerichtete Pastoren anstellen

In meinen 21 Thesen zur alternativen theologischen Ausbildung schrieb ich

bdquo8 These Die Gaben des Schuumllers soll-ten ndash zumindest teilweise ndash starke Be-ruumlcksichtigung finden Es geht darum moumlglichst gut und intensiv zu lernen nicht darum bestimmten instituti-onellen Vorga ben zu genuumlgen Gilt etwa 1Petr 410 (bdquoSo wie jeder eine Gnadengabe empfangen hat so dient

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 57 8 6 uuml

da mit einan der als gute Ver walter der verschie denartigen Gnade Gottesldquo) fuumlr eine theologische Ausbildung nicht Wenn wir Menschen dafuumlr vorberei-ten wollen ihr Leben lang ihre Ga-ben sinnvoll und nutzbringend fuumlr das Reich Gottes einzuset zen muumlssen diese Gaben doch schon in der Ausbil-dung eine zentrale Rolle spielen Dabei bedingen auch die unterschiedlichen Geistesgaben recht unterschiedliche Lerntypen und insbesondere Interessen Deswegen sollte ein Studienprogramm neben dem fuumlr alle wichtigen gemein-samen Basiswissen die Moumlglichkeit bieten sich inhaltlich entsprechend der Gaben zu sbquospezialisierenlsquo Die Spezialisierungs moumlglichkeiten anhand der klassischen theologischen Faumlcher entsprechen zu wenig bestimmten Ga-ben und bieten nur teilweise die not-wendigen Entfaltungsmoumlglich keitenldquo

Und besteht nicht auch in der Gemein-deleitung die Gefahr dass die Gaben des Pastors (oder des Einflussreichsten) die Gemeinde entgegen dem Willen der neutestamentlichen Apostel einsei-tig praumlgen

Die Gemeindeleitung mit einem breiten Spektrum an Erfahrung Ga-ben Begabung und Faumlhigkeiten ist ndash unter Jesus als dem Haupt der Gemein-de und dem Heiligen Geist ndash sbquohoumlchste Instanzlsquo der Gemeinde nicht eine einzelne Gabe und nicht ein einzelner Gabentraumlger

Thesen zu den Geistesgaben2

Einheit und Vielfalt in Roumlm 121ndash8

Es ist bezeichnend dass Paulus unter dem bdquoWillen Gottesldquo (Roumlm 122) nicht nur die Gebote ver steht die fuumlr alle Men schen und Christen gleicherma-szligen ver bindlich sind (vgl z B Roumlm 138ndash10) son dern im ermahnenden Teil des Roumlmerbriefes (Roumlm 12ndash15) nach den allgemei nen Versen (Roumlm 121ndash2) als Erstes auf einen Bereich zu sprechen kommt in dem sich Chri sten nach dem Gebot und Wil len Gottes voneinander unterscheiden Die Bibel offenbart uns nicht nur wo Gott Ein-heit schafft und for dert sondern auch wo Gott Vielfalt schafft und fordert

So wie der dreieinige Gott selbst Einheit und Viel falt in einem ist so soll auch die Gemeinde Jesu einer-seits durch Einheit in Lehre Glauben Motivation und Hingabe andererseits durch die Vielfalt an Persoumln lichkeiten Gaben und Diensten gekennzeichnet sein

Schon bei der Schoumlpfung schuf Gott die Welt in Einheit und Vielfalt in Grenzen und in Freiheit Fuumlr Adam und Eva galt die Freiheit von jedem Baum des Gartens essen zu duumlrfen und zugleich die Grenze von einem be-stimmten Baum nicht essen zu duumlrfen

Nur die Schlange machte daraus dass die Menschen von gar keinem Baum essen duumlrften (1Mose 31+216ndash17)

Wir muumlssen in unseren Gemeinden dringend unterscheiden lernen wo Gott durch eindeutige Gebote von al-len Gemeindegliedern das gleiche er-wartet und wo Gott Frei heit gibt ja Vielfalt fordert und ihm jede Gleich-macherei zuwider ist

Gott fordert zum Beispiel nicht jeden auf so viel zu evangelisieren wie dies jemand mit der Gabe des Evangelis-ten tut oder soviel zu geben wie dies jemand mit der Gabe des Gebens tut Niemand muss acht Stun den am Tag beten obwohl Gott schon manchen mit der Gabe des Glaubens gebraucht hat der dies getan hat und dazu die nouml-tige Zeit erhielt (z B im Gefaumlngnis) Wie viel unnoumltiges schlechtes Gewis-sen wurde schon da durch erzeugt dass man eine Gabe oder einen bestimmten Dienst zum Maszligstab fuumlr alle Gemein-deglieder erhoben hat

Die Geistesgaben in Roumlm 123ndash8

bdquoDenn ich sage durch die Gnade die mir gegeben wurde jedem der unter euch ist nicht mehr von sich zu den-ken als es sich zu denken gebuumlhrt son-dern darauf bedacht zu sein dass er besonnen ist wie Gott einem jeden das Maszlig des Glaubens zugeteilt hat Denn wie wir in einem Leib viele Glieder ha-

ben aber die Glieder nicht alle dieselbe Taumltigkeit haben so sind wir vielen ein Leib in Christus einzeln aber Glieder voneinander und haben verschiedene Gnadenga ben nach der uns verliehe-nen Gnade sei es Weissagung so nach dem Maszligstab des Glaubens sei es Dienst so im Dienen sei es der Lehrer so in der Lehre sei es der Ermahnende so in der Ermah nung der Mitteilende in Einfalt der Vorstehende mit Fleiszlig der Barmherzigkeit Uumlbende mit Freu-digkeitldquo (Roumlm 123ndash8)Zum bdquoWillen Gottesldquo (Roumlm 122)

gehoumlrt es also dass der Christ die Ga-ben einsetzt die Gott ihm gegeben hat und demuumltig akzeptiert dass Gott die Gaben zuteilt und nicht der Mensch Die Unzufriedenheit damit dass Gott durch das Zuteilen der Gaben auch daruumlber bestimmt wo sich der einzel-ne Christ einsetzen soll kann sich auf zweierlei Weise aumluszligern 1 in der Uumlber-heblichkeit mehr zu koumlnnen und 2 in der scheinbaren Demut nichts oder kaum etwas zu koumlnnen

Deswegen ermahnt Paulus bdquonicht houmlher von sich zu denken als sich zu denken gebuumlhrtldquo (Roumlm 123) Die Ant-wort auf Selbstuumlberschaumltzung ist nicht die Selbstunterschaumltzung (Minderwer-tigkeitsgefuumlhl) sondern so zu denken bdquowie es sich zu denken gebuumlhrtldquo also bdquodarauf bedacht zu sein dass er be-sonnen ist wie Gott einem jeden das Maszlig des Glaubens zugeteilt hatldquo (Roumlm

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden

6 7 8 6 uuml

123) Wer denkt sbquoIch kann alleslsquo ist ebenso un geistlich wie der der denkt sbquoIch kann nichtslsquo Stolz und Minderwer-tigkeitskomplexe sind nur zwei Seiten einer Muumlnze Uumlber die falsche Demut kann Gott naumlmlich ndash wie das Beispiel des Mose zeigt der meinte nicht reden zu koumlnnen (2Mose 410ndash14) ndash ebenfalls zornig werden Richtig denkt nur wer sich gemaumlszlig seiner Ga ben einschaumltzt also weiszlig dass er das kann wozu ihn Gott besonders be faumlhigt hat Uumlbrigens gilt das nicht nur fuumlr die Geistesgaben sondern immer ndash etwa auch im Beruf Nur wer seine Grenzen kennt kennt auch seine Faumlhigkeiten wirklich und nur wer seine Fauml higkeiten kennt weiszlig auch was er nicht kann Ein Leiter oder Vorgesetzter der seine Staumlrken und Schwaumlchen nicht kennt undoder nicht offen dazu steht ist ein schlech-ter und unangenehmer Leiter Denn er wird seinen Mitarbeitern keinen Raum geben wo er eigentlich auf ihre Staumlrken angewiesen ist

Paulus bezeichnet in Roumlm 123 wie in Eph 47+16 die Gnadengaben mit dem Begriff bdquoMaszligldquo (= bdquoZugemesse-nesldquo) naumlmlich das bdquoMaszlig des Glau-bensldquo (Roumlm 123) bzw in Eph 47 das bdquoMaszlig der Gabe des Chri stusldquo Ist dem-nach einer sbquoglaumlubigerlsquo als der andere

Nein denn wir muumlssen zwischen der grundsaumltzlichen fuumlr alle Chri sten glei-chen Gabe des Glaubens die eben falls sbquoGnadengabelsquo (griech sbquocharismalsquo) hei-szligen kann und der persoumlnlichen Zutei-

lung von Ga ben und Diensten an den einzelnen Christen unterscheiden Die Uumlbersicht uumlber alle Vorkommen des Wortes sbquoCharismalsquo sbquoGnaden ga belsquo im Neuen Testament macht das deutlich

Alle Belege fuumlr bdquoGnadengabeldquo (griech sbquocharismalsquo) im Neuen Testa ment

A bdquoGnadengabeldquo als Kennzeichshynung von Din gen die alle Christen gemein sam haben 1 bdquoGnadengabeldquo = Verheiszligung GottesRoumlm 1129 (Uumlber Israel) bdquoDenn die Gnadengaben und die Beru fung Got-tes sind unbereubarldquo

2 bdquoGnadengabeldquo = das Heil oder das ewige Le benRoumlm 623 bdquoDenn der Lohn der Suumln-de ist der Tod die Gna dengabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus unse rem HerrnldquoRoumlm 515+16 Die bdquoGnadengabeldquo steht im Gegensatz zur bdquoUumlber tre tungldquo

B bdquoGnadengabeldquo als Kennzeichshynung von Din gen die Chri sten vonshyeinander un terscheiden1 bdquoGnadengabeldquo im Sinne von sbquoGeis-tesgabelsquo in den in dieser Lek tion be-sprochenen Texten uumlber die Geistesga-ben Roumlm 126 1Kor 124+9+28+30+31 1Petr 410 sowie in folgenden weiteren TextenRoumlm 111(ndash12) bdquoDenn mich verlangt sehr euch zu sehen damit ich euch

etwas geistliche Gnadengabe mitteile um euch zu befe stigen das heiszligt aber um bei euch miter mahnt [oder mit-getroumlstet] zu werden ein jeder durch den Glauben der in dem anderen ist sowohl euren als auch meinenldquo2Kor 111 bdquohellip wobei auch ihr durch das Gebet fuumlr uns mitwirkt damit von vielen Personen fuumlr die uns ver liehene Gnadengabe gedankt werde hellipldquo 1Kor 17 bdquoDaher habt ihr an keiner Gna-dengabe Mangel hellipldquo1Tim 414 bdquoVernachlaumlssige nicht die Gnadengabe die dir durch Weissa-gung mit Handauflegung der Aumlltesten gegeben worden istldquo2Tim 16 bdquoAus diesem Grund erin-nere ich dich daran die Gnaden gabe Gottes anzufa chen die durch die Auf-legung meiner Haumlnde in dir istldquo

2 bdquoGnadengabeldquo in Bezug auf Ehe und Le digsein1Kor 77 bdquoIch wuumlnsche aber dass alle Menschen wie ich waumlren doch jeder hat seine eigene Gnadengabe von Gott der eine so der andere soldquo

Der Unterschied zwischen der grundsaumltzli chen Zuteilung des Glau-bens und der persoumlnlichen Zuteilung des Glaubens in der Gnadengabe kommt auch in dem Gleichnis von den Pfunden und dem Gleichnis von den Ta lenten (Mt 2514ndash30 Lk 1912ndash27) zum Aus druck Im einen Fall erhal-ten alle das gleiche (Lk 1913 jeder 10 Talente) was dem allen gemeinsa-

men Glauben entspricht im anderen Fall erhalten alle gleich zu Be ginn unterschiedliche Gaben (Mt 2515 1 2 und 5 Pfunde) Petrus spricht des-wegen in Bezug auf den Gottesdienst davon dass wir bdquogute Verwalter der ver schiedenartigen Gnade Gottesldquo sein sollen (1Petr 410) In Roumlm 127ndash8 un-terstreicht Paulus an sieben konkreten Beispielen dass jeder bei dem blei-ben soll wozu Gott ihn befaumlhigt hat Der Lehrer soll lehren der Vorsteher soll eifrig vorstehen der Ermahnen-de soll ermah nen usw Ist das nicht selbstverstaumlnd lich Leider nicht Wie oft werden Menschen die nicht mit Geld umgehen koumlnnen Kassierer leh-ren Men schen Sonntag fuumlr Sonn tag auf der Kanzel die keine Lehrgabe besitzen und denen man deswegen nur muumlh sam zuhoumlren kann und wollen solche die gut organisieren (sbquovorstehenlsquo) koumlnnen dies nicht sbquoin Einfaltlsquo tun sondern ihre Autoritaumlt auch auf anderen Gebieten beweisen

Die Bedeutung der Geistesgaben (6 Thesen)

Die vier wichtigsten Texte uumlber die Gna den- bzw Geistesga ben im Neu-en Testament sind Eph 41ndash16 1Petr 410ndash11 Roumlm 123ndash8 und 1Kor 121ndash133 141ndash33 Texte uumlber Geistesgaben zum besseren Einprauml gen Eph 4 Roumlm 12 1Petr 4 1Kor 12ndash14

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 77 8 6 uuml

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden

In 1Kor 121 schreibt Paulus bdquoWas aber die geistlichen Gaben betrifft Ge-schwister will ich nicht dass ihr ohne Kenntnis seidldquo Sechs Kernaussagen sollen uns deswegen in die wich tige Thematik der Geistesgaben einfuumlh ren

1 These Nicht nur die Gaben sonshydern auch die Auf gaben und die Auswirkungen unseres Dienstes sind sehr unterschied lichIn 1Kor 123ndash6 stellt Paulus die Gna-dengaben in den groumlszligeren Zusam-menhang unseres Dienstes fuumlr Gott bdquoEs gibt aber Verschiedenheiten der Gnadengaben aber es ist derselbe Geist und es gibt Verschiedenheiten der Dienste und es ist derselbe Herr und es gibt Ver schiedenheiten der Wir-kungen aber es ist derselbe Gott der alles in allen wirktldquo Paulus stellt damit je dem Bereich die Person der Dreiei-nigkeit gegenuumlber die in besonde rer Weise dafuumlr zustaumlndig ist Wir koumln-nen uns 1Kor 123ndash6 fol gendermaszligen veranschau lichen

Die Dreieinigkeit und die Gaben in 1Kor 123ndash6

bdquoverschiedene Gnadengabenldquo bdquoein Geistldquo bdquoverschiedene Diensteldquo bdquoein Herrldquobdquoverschiedene Wirkungenldquo bdquoein Gottldquo

Der Heilige Geist schenkt die Geistes-gaben also die Voraussetzungen fuumlr den Dienst Jesus Christus ist das Vor-bild fuumlr den Dienst schlechthin und

Gott der Vater ist der der alles wirkt und damit auch uumlber die Auswirkun-gen des Dienstes entscheidet Wir koumln-nen das Schema von 1Kor 123ndash6 also mit eigenen Worten folgen dermaszligen wie dergeben

Die Dreieinigkeit und die Gaben in 1Kor 123ndash6

verschiedene Voraussetzungen zum Dienst

Heiliger Geist

verschiedene Dienste

Jesus der Herr

verschiedene Ausshywirkungen des Dienstes

Gott der Vater

Einmal angenommen zwei Christen haumltten zwei voumlllig gleiche Geistesga-ben dann hieszlige das noch lange nicht dass sie dieselbe Aufgabe also densel-ben Dienst haumltten Und angenommen zwei Christen haumltten zwei voumlllig gleiche Gaben und zwei voumlllig gleiche Diens-te koumlnnten sich die Ergebnisse dieser Dienste doch immer noch stark un-terscheiden Wenn also zwei Evange-listen theoretisch zur gleichen Zeit am gleichen Ort evangelisieren koumlnnten koumlnnte es immer noch sein dass der eine eine Erweckung ausloumlst waumlh rend der andere dem Herrn fuumlr ein einziges seelsor gerliches Gespraumlch als Er gebnis seiner Anspra che dankt

In diesem Zusammenhang ist auch wichtig dass dieselbe Gabe in unter-schiedlichem Maszlige verliehen werden kann Paulus bezeichnet in Roumlm 123 wie in Eph 47+16 die Gnadengaben mit dem Begriff bdquoMaszligldquo (= bdquoZuge-messenesldquo) naumlmlich das bdquoMaszlig des Glaubensldquo (Roumlm 123) bzw in Eph 47 das bdquoMaszlig der Gabe des Christusldquo Die Gabe des Evangelisten oder Leh-rers kann in unterschiedlichem Maszlige verliehen werden und wachsen was mit ein Grund dafuumlr ist weswegen der Einsatz derselben Gabe durch verschie-dene Christen ganz unter schiedlichen sbquoErfolglsquo hat

2 These Der Einsatz der Gnadengashyben ist selbstverstaumlndlicher Be standshyteil des Glaubenslebens da jeder Christ eine Gabe empfaumlngtbdquoSo wie jeder eine Gnadengabe emp-fangen hat so dient damit einander als gute Verwalter der verschiedenartigen Gnade Gottes Wenn jemand redet so als Ausspruumlche Gottes wenn jemand dient so aus der Kraft die Gott dar-reicht damit in allem Gott verherr-licht werde durch Jesus Christus dem die Herr lichkeit ist und die Macht in alle Ewigkeit Amenldquo (1Petr 410ndash11) Petrus fasst wieder einmal knapp zu-sammen was Paulus ausfuumlhr lich und teilweise schwerer ver staumlndlich behan-delt (vgl die Aussage von Petrus uumlber Paulus in 2Petr 315ndash16) Petrus lehrt

bullthinspthinspdassthinsp jederthinsp Christthinsp einethinsp Gnadengabethinsphat

bullthinspthinspdassthinsperthinspdemthinspHerrnthinspbdquosoldquothinspundthinspnichtthinspan-ders dienen soll

bullthinspthinspdassthinsp derthinsp Christthinsp nurthinsp bdquoVerwalterldquothinsp derthinspGnade Gottes ist (Verwalter legen Rechenschaft ab und sind nicht die Herren der Gabe)

bullthinspthinspdassthinspdiethinspGabenthinspzumthinspDienstthinspamthinspande-ren gedacht sind

bullthinspthinspdassthinsp diethinsp Gabenthinsp zurthinsp VerherrlichungthinspGottes nicht zur Selbstverherrli-chung gedacht sind

3 These Die Listen der Geistesgashyben im Neuen Testament sind nicht vollstaumlndig sondern nennen nur Beispiele Deswegen kann es durchshyaus Gaben geben die im Neuen Tesshytament nicht genannt werdenDa jede Gabenliste im Neuen Tes-tament nur eine Auswahl der Gaben darbietet und sich viele der genannten Gaben uumlberschneiden will keine eine vollstaumlndige Liste aller moumlglichen Ga-ben vorlegen sondern nur Beispiele nennen Auch wenn einige Gaben (z B sbquoLehrerlsquo und sbquoPro phetlsquo und die an-deren in Eph 411 genannten Gaben) sehr haumlufig genannt und offensichtlich immer benoumltigt werden gibt es keine Gabe die immer genannt wird Des-wegen ist es meines Erachtens berech-tigt auch solche Gaben festzustellen die namentlich nicht im Neuen Testa-ment genannt werden (z B die Gabe

8 7 8 6 uuml

der Gast freundschaft oder die Gabe des Troumlstens) Einige dieser nicht ge-nannten Gaben kommen uumlbrigens in der Bibel in der Praxis in anderen Zusammenhaumlngen oder im Alten Tes-tament vor etwa die Gabe Lieder zu dichten (z B Da vid) oder Sprichwor-te zu verfassen (z B Sa lomo) oder die Gabe der kuumlnstlerischen Gestaltung und der Schnitzkunst fuumlr das Haus des Herrn (2Mose 311ndash6 3530ndash35)

Die in den neutestamentlichen Listen erwaumlhn ten Geistesgaben

1Petr 411 Reden und Dienen [allge-meine Eintei lung]Eph 411 Apostel Propheten Evange-listen Hirten und LehrerRoumlm 126ndash8 Prophezeiender Dienen-der Lehrer Ermahnender Gebender Vorstehender Barmherzigkeit Uumlbender 1Kor 128ndash10 Wort der Weisheit Wort der Erkenntnis Glaube Heilun-gen Wunderwirkungen Prophetie Geistesunterscheidung Sprachenrede Uumlbersetzung der Spra chenrede1Kor 1228ndash30 Apostel Propheten Wundertaumlter Lehrer Heilungen Hil-feleistungen Leitung verschiedene Ar-ten der Sprachen rede Uumlbersetzung der Sprachenrede1Kor 131ndash3 Zungenrede Prophetie Geheimnisse und Erkenntnisse wissen Glauben Speise geben Marty rium

1Kor 1426 Psalm Lehre Sprachen-rede Offenbarung Uumlbersetzung der SprachenredeZusaumltzlich gibt es in der Praxis groszlige Unterschiede zwischen Christen die dieselbe Gabe haben also etwa zwi-schen den einzelnen sbquoEvangelistenlsquo Ei-nige Evangelisten sind fuumlr das persoumlnli-che Gespraumlch begabt andere fuumlr einen Vortrag vor groszligen Mengen wieder andere als Buchautoren Ich erinnere mich wie Billy Graham erzaumlhlte wie schwer es ihm fiele einzelne Menschen auf das Evangelium hin anzusprechen Deswegen genuumlgt es nicht sich einfach einer der im Neuen Testament genann-ten Gaben zuzuordnen Entscheidend ist die tatsaumlchliche Begabung wie sie sich in der Praxis des Glaubens und der Gemeinde erweist

4 These Jeder Gabe die nicht jeder ausuumlben soll und darf entspricht eine allgemeine Aufforderung an alle ChristenDie Gaben heben also nur aus dem Bereich der das Glaubensleben aller Christen ausmachen soll einzelne Be-reiche und Auf gaben besonders herausAlle sollen dieneneinige haben die Gabe des Dienstesalle sollen glaubeneinige haben die Gabe des Glaubensalle sollen barmherzig seineinige haben die Gabe der Barmher-zigkeit

alle sollen sich gegenseitig ermahneneinige haben die Gabe der Ermahnungalle duumlrfen um Heilung beteneinige haben die Gabe der Heilungalle sollen das Evangelium weitergebeneinige haben die Gabe des Evangelistenalle sollen Rechenschaft von ihrem Glauben ablegeneinige haben die Gabe der Lehrealle sollen Gott anbeteneinige haben die Gabe der Sprachen-redealle sollen die Geister unterscheideneinige haben die Gabe der Geistesun-terscheidung

5 These Deswegen bedeutet der Besitz einer Gabe nicht dass man etwas als einziger tun soll oder als einzi ger tun kann sondern dass man von Gott zu einer bestimmten Aufshygabe be sonders bevollmaumlchtigt istDiese Bevollmaumlchtigung zu erkennen ist die wesentliche Frage wenn man seine eigene Gabe oder die anderer erkennen und verstehen will Die Bevollmaumlchti gung kommt meines Er-achtens darin zum AusdruckbullthinspthinspdassthinspmanthinspanthinspeinerthinspAufgabethinspbesonderethinsp

Freude hat (ja Christsein darf auch einmal etwas sbquoSpaszliglsquo machen)

bullthinspthinspdassthinsp manthinsp dieserthinsp Aufgabethinsp wiethinsp vonthinspselbst nachgeht

bullthinspthinspdassthinsp manthinsp einethinsp Aufgabethinsp besondersthinspgut macht wobei jedoch sbquogutlsquo an der

Wirkung auf an dere bemessen wer-den muss

bullthinspthinspdassthinspmanthinspbeimthinspEinsetzenthinspdieserthinspGabethinspsbquoNutzenlsquo her vorbringt Gott also den Dienst segnet

Einige praktische Beispiele moumlgen dies erlaumlutern Ich bin gerne gastfreundlich Doch meine Gastfreundlichkeit ge-schieht so sbquogeraumluschvolllsquo dass es jeder bemerkt Wie gerne halte ich jedoch schwierige Besprechungen bei Christen ab die die Gabe der Gastfreundschaft haben Sie schaffen durch ihre Gast-freundschaft eine warme friedliche At-mosphaumlre wobei man ihre Gegenwart fast gar nicht wahrnimmt und schon gar nicht als stoumlrend empfindet

Wer die Gabe des Lehrens hat wird dies unter anderem daran merken dass er wie von selbst Stunden damit zubringt bestimmte Fragen anhand der Bibel zu beantworten oder Grund-satzfragen mit anderen zu diskutieren und dass wenn er seine sbquoLouml sungenlsquo vortraumlgt andere ploumltzlich feststellen dass sie endlich den Zusammenhang der Bibel erfasst haben denn bdquodie An-mut der Spra che foumlrdert das Lehrenldquo (Spr 1621) Hier macht die intensive Arbeit Freude und fuumlhrt zu dem sbquoEr-folglsquo dass Menschen die Bibel nicht nur verstehen sondern auch ausleben Wer da gegen keine Freude am intensi-ven Bibelstudium hat Menschen nur sbquoanpredigtlsquo und nie erlebt dass Men-schen sbquoverstehenlsquo und ihr Leben dar-

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 97 8 6 uuml

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden Werbung

aufhin entsprechend aumlndern duumlrfte wohl kaum die Gabe der Lehre haben und uumlber kurz oder lang zum reinen Theoretiker werden oder frustriert die bibli sche Lehre fuumlr nicht praktikabel halten

Wer sich immer zu seinen Diensten zwingen muss wer nie sbquoFruchtlsquo sieht wer sich im Dienst unerfuumlllt sieht oder sogar neidisch wird sollte sich nicht nur fragen ob ihm die Frucht des Geis-tes fehlt sondern auch ob er wirklich seine Gabe im Einsatz hat deren richti-ger Gebrauch zur Zufriedenheit uumlber die Herrschaft Gottes auch in der Zu-teilung der Gaben fuumlhrt

6 These Die Verschiedenartigkeit der Gaben bedroht die Einheit der Gemeinde sobald die Frucht des Geistes nicht die Ausuumlbung der Gashyben des Geistes bestimmtGott macht uns zu bdquoVerwalternldquo (1Petr 410) seiner Gaben und nimmt sie uns gnaumldigerweise nicht sofort weg wenn wir hochmuumltig eigensinnig oder lieb-los sind Die Gaben sind auch gerade deswegen sbquoGnadengabenlsquo weil Gott sie uns nicht sofort wegnimmt wenn wir sie missbrauchen oder wenn wir in Suumlnde leben

Daraus folgt aber auch dass der Be-sitz und der Einsatz von Gei stesgaben keine Garantie fuumlr ein geistliches Leben sind Der geistli che Stand eines Chris-ten kann nicht an den Geistesgaben sondern nur an den Geistes fruumlchten

(Gal 522) abgelesen werden Das ist das Thema von 1Kor 13 Paulus will dass die Korinther um die Geistesga-ben eifern (1Kor 1231 141) aber in der Liebe (1Kor 131ndash13) zeigt er ihnen bdquoeinen Weg noch weit daruumlber hinausldquo (1Kor 1231b vgl 141) also direkt vor und nach dem Kapitel uumlber die Liebe in 1Kor 13 Deswegen ermahnen Pau-lus und Petrus in allen Texten uumlber die Gei stesgaben zur Einheit zur Liebe aber auch dazu nicht so zu leben wie die Welt

Vergleich des Textzusammenhangs der wichtigsten Texte zu den GeisshytesgabenErmahnung zur LiebeRoumlm 129ndash21 Eph 41ndash3+15-16 1Petr 48ndash9 1Kor 12ndash14 131ndash141GnadengabenRoumlm 123ndash8 Eph 48+11 1Petr 410ndash11 1Kor 121ndash133Nicht wie die Welt lebenRoumlm 121ndash2 Eph 41+17ndash24 1Petr 4(7) 1Kor 121ndash3Einheit im LeibRoumlm 124ndash5 Eph 43ndash6+12ndash16 1Petr 4(8) 1Kor 1212ndash31 141ndash33

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

ist Rektor des Martin Bucer Seminars und lehrt dort Ethik und Missions- und Religionswissenschaften Er ist auszliger-dem Professor fuumlr Religionssoziologie an der Staatlichen Universitaumlt Ora-dea Rumaumlnien und hat einen Lehr-stuhl fuumlr Internationale Entwicklung an der ACTS University in Bangalore Indien

1 Vgl bdquoSchluss mit der gabenvernichtenden Pas-torenfalleldquo In Klaus Eickhoff Harmlos Kraft-los Ziellos Die Krise der Predigt ndash und wie wir sie uumlberwinden Witten Brockhaus 2009 S 267ndash276 insgesamt S 267ndash324 bes S 300ndash313 zu gabenspezifische Predigten mit fuumlnf Schwer-punkten nach Eph 4 12 apostolisch prophetisch evangelistisch seelsorgerlich lehrhaft2 Geglaumlttete und aktualisierte Fassung aus Thomas Schirrmacher Der Roumlmerbrief VTR 2001

Institut fuumlr Lebens- undFamilienwissenschaften

wwwbucereuilfwhtml

Anmerkungen

10 7 8 6 uuml

Evangelisation und Calvinismus

Prof Dr Clair Davis

Welche ist die beste Theologie fuumlr die Evangelisation Da der Missionsbefehl im Zentrum dessen steht was ein glaumlu-biger Christ tut muss die bdquobeste Theo-logie der Evangelisationldquo die richtige Theologie sein die einzig gute Theolo-gie Koumlnnte der Calvinismus die richtige Antwort sein Dieser glaubt die Bibel sage dass wir ohne Christus tief im In-neren Suumlnder seien und nichts mit Gott zu tun haben wollen Ebenso glaubt er dass jemand ausschlieszliglich durch den Heiligen Geist zu Christus gelangen koumlnne da es uns unmoumlglich sei irgend-etwas selber zu unserer Rettung beizu-steuern Wie koumlnnte dies im Rahmen der Evangelisation funktionieren Was koumlnnten Glaumlubige tun auszliger am Rand zu stehen und abzuwarten ob etwas pas-siert oder nicht Wie koumlnnen sie anders als gleichguumlltig sein da es nichts mit ihnen und Gottes Berufung fuumlr sie zu

tun hat Wenn sich alles darum dreht was Gott tut koumlnnte der Missionsbefehl nur eine Floskel sein

Koumlnnte man die Lage auch anders be-trachten Man koumlnnte doch sagen dass im Herzen eines Suumlnders immer noch etwas Goumlttliches ist das lebendig und gut erhalten ist etwas das willens und faumlhig ist gute Entscheidungen zu tref-fen Es kann ja auch gar nicht anders sein denn wie sonst koumlnnte sich irgend-jemand fuumlr Christus entscheiden Diese Denkweise der Pelagianismus hat viele attraktive Aspekte Pelagius kam vom ernsthaften und intensiv betenden kelti-schen Norden Groszligbritanniens und war erstaunt uumlber den faulen und nachlaumlssig gefuumlhrten christlichen Glauben den er in Italien kennenlernte Daher rief er die Menschen dazu auf ernsthaft und re-chenschaftspflichtig mit ihrem Glauben umzugehen Ergibt das keinen Sinn

Dennoch Verwirrung kommt auf so-bald das Wort bdquoUnfaumlhigkeitldquo auch fuumlr Christen als Ausrede fuumlr ihre Suumlndhaf-tigkeit verwendet wird Doch das kann nicht stimmen denn Glaumlubige haben die Kraft des auferstandenen Christus in ihren Herzen die ihnen vom Heili-gen Geist gegeben wurde das groszligarti-ge Geschenk das weiterhin ausgegeben wird Wenn man mit Christus vereint ist ist man faumlhig bdquodie Welt das Fleisch und den Teufelldquo (dieses Zitat stammt aus dem Book of Common Prayer der Anglikanischen Kirche) zu bekaumlmp-fen und zu besiegen denn Jesus ist der bdquovon der dunklen Staumltte auferstandene Siegerldquo (Vers eines amerikanischen Kir-chenliedes) Der Teufel ist immer noch am Leben aber besiegt und das Leben ist weiterhin voller Versuchungen ndash und Niederlagen Wenn man diese Nieder-lagen als gegeben hinnimmt und sich

an sie gewoumlhnt wird ein aumluszligerst faules Christentum entstehen Pelagius hat-te vollkommen recht uumlber einen solch bdquochristlichenldquo Unglauben geschockt zu sein

Augustinuslsquo Geschichte war eine an-dere Er war ein radikaler Nicht-Glaumlu-biger und er wusste alles daruumlber Er wusste deswegen alles uumlber konsequente Gottlosigkeit da er selber so gut darin war ndash auf viele raffinierten Arten Da-rum war es einfacher fuumlr ihn zu sehen was die Bibel uumlber Gottes Gnade sagt nur Gott konnte sein verdrehtes die Wahrheit negierendes Herz aumlndern

Hilft das nicht die Probleme zu er-kennen Wenn es um das Leben als Christ geht ist es vollkommen richtig dass man aufhoumlren muss die Schuld von sich zu weisen und anfangen muss Verantwortung zu uumlbernehmen ndash ob-wohl ein Groszligteil dieser Verantwortung

glauben amp denken heute 22012 117 8 6 uuml

Evangelisation und Calvinismus

darin besteht Gott anzurufen bdquoZeige mir meine Suumlnde Vergib mir meinen selbstgenuumlgsamen Stolz Zeige mir wie groszlig Jesus istldquo Der Geist veraumlndert un-ser Herz aber wir sind verantwortlich und rechenschaftspflichtig Das Leben ist ein Kampf voller Danksagungen Dies koumlnnte besser verstanden werden und dem wird so sein wenn Jesus wie-derkehrt

Doch wenn man dieses bdquoLeben eines Glaumlubigenldquo auf das Leben eines rebelli-schen Schuld von sich weisenden Un-glaumlubigen abfaumlrben laumlsst der Jesus mei-den will dann entsteht Verwirrung da dieser anders ist Er ist ohne Gott und ohne Hoffnung weil er so sein moumlch-te Um zu Jesus kommen zu koumlnnen muumlsste er zugeben dass er Jesus braucht ndash doch warum sollte er das zugeben Er ist selbstsicher er ist sich selbst genug und ein viel besserer Mensch als alle an-deren die er kennt

Wie koumlnnte sich das aumlndern Was koumlnnen wir tun um das zu aumlndern Was sollten wir sagen Das jedenfalls weiszlig ich Was auch immer wir solch einem Menschen sagen zuerst sollten wir un-seren Herrn bitten bdquoVater sende Deinen Geist um sein Herz zu erweichen um ihm seine Beduumlrftigkeit zu zeigen Lehre mich Vater nicht selbstgerecht zu sein sondern ein sbquoBettler [zu sein] der einem anderen Bettler mitteilt wo es Brot gibtlsquo (Zitat des Bischofs D T Niles) Hilf mir zuzuhoumlren Vaterldquo

Von Jay und Holly Eastman lerne ich seit einiger Zeit wie man zuhoumlrt Sie sind Missionare in Ostberlin und ha-ben dort 10 Jahre zugehoumlrt und nun gibt Gott die Ernte Wenn jemand nicht zuhoumlrt koumlnnte es sein dass er denkt er vertrete Gott der immer mit Voll-macht redet Das ist der Grund weswe-gen wir alle die Evangelien wieder lesen und sehen muumlssen wie Jesus zu Suumln-dern spricht Er warnt sie vor Stolz und Selbstgerechtigkeit und sagt ihnen dass er nicht gekommen ist die bdquoGerechtenldquo wie sie es sind zu retten sondern Suumln-der Er fragt die Frau am Brunnen nach Wasser wohl wissend dass sie dort zu einer ungewoumlhnlichen Zeit ist da sie von rechtschaffenen Leuten abgewiesen wurde Er tadelt Stolz und honoriert Demut und Beduumlrftigkeit In einem Evangelium sagt er bdquoSelig sind die da geistlich arm sindldquo in einem anderen nur bdquoSelig seid ihr Armenldquo Ich versu-che zu verstehen was das bedeutet Ich denke das ist das Wichtigste was wir lernen muumlssen

Wie koumlnnen wir zuhoumlren Wie koumlnnen wir Armut erkennen die offenkundige Armut und die andere Art von Armut Wie wuumlrden wir sie bei uns erkennen Setzen wir unser Vertrauen in Christus oder in uns selber ndash mit einer Jesus-Fassade Ich denke das stand immer im Zentrum der Erweckungsbewegung und wie koumlnnte es wahre Evangelisation geben ohne Erweckung

Ich ermutige Sie die zentralen Stellen von Jonathan Edwardslsquo bdquoTreatise on Religious Affectionsldquo (dt etwa bdquoAb-handlung uumlber glaumlubige Zuneigungldquo) zu lesen und uumlber sie zu beten Das hilft so sehr uns zu zeigen wo unser Herz wirklich steht Danach schauen Sie sich eine predigtartige Version dessel-ben Themas von George Whitefield an (siehe dazu URL httpwwwccelorgcceledwardsaffectionsviviiihtml und httpwwwccelorgccelwhitefieldser-monsxxvhtml)

Ich denke das ist die Antwort Wie kann man zuhoumlren wie kann man ein beduumlrftiges Herz zu Jesus fuumlhren wenn man es nicht selber regelmaumlszligig tut

Zuruumlck zum Calvinismus Ist dies nicht genau das was er im Innersten ist Er ist definitiv nicht akademische Arro-ganz die uns selber immer wieder ver-gewissert wie viel besser wir die Bibel lesen als all die bdquoUnreinenldquo Viel mehr ist er eine Einstellung des Herzens die Jesus in all seiner Herrlichkeit sieht staunend dass er uns liebt die Unreins-ten von allen die so viel verstehen und so wenig darauf reagieren Wenn wir uns Jesus und seiner Liebe und unserer eigenen Unliebenswuumlrdigkeit bewusst sind dann koumlnnen wir zuhoumlren Dann koumlnnen wir mit Guumlte und Demut die Liebe zu Gott teilen Dann werden wir gelernt haben dass es nicht darum geht wie erpicht wir darauf sind Jesus zu lie-ben und ihn bei uns zu haben sondern

vielmehr werden wir erkennen dass wir ein Haufen von fruumlhen bdquoAugustinu-senldquo sind erfinderisch in unserem Un-glauben und unserer Uumlberheblichkeit Demut gegenuumlber den Evangelien und der Calvinismus ndash das ist ein und die-selbe Sache Sie sind so uumlberwaumlltigend dieselbe Sache dass wir nur in dieser dunklen Welt das Wort bdquoCalvinismusldquo verwenden muumlssen um einfach sagen zu koumlnnen bdquoAmazing grace How sweet the soundldquo ndash bdquoErstaunliche Gnade wie suumlszlig ist der Klangldquo

Prof Dr Clair Davis

spielte bei Gruumlndung und Aufbau des Martin Bucer Seminars eine wichti-ge Rolle als Berater Mittler und Be-fuumlrworter Dazu hielt er auch etliche Gastvorlesungen in Deutschland In diesem Zusammenhang wurde sein Buch bdquoWenn der Glaube Gestalt ge-winnt Beitraumlge zur Praxis des Chris-tenlebensldquo (Bonn VKW 2004 112 Seiten Pb ISBN 978-3-932829-90-1 830 Euro) uumlbersetzt (erhaumlltlich hier httpwwwgenialebuecherdewenn-der-glaube-gestalt-gewinnthtml) Die Uumlbersetzung dieses Arti-kels stammt von Kathrin Bentley

12 7 8 6 uuml

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

Prof Dr Stephen J Wellum

Warum das Leben und Denken von Francis Schaeffer studieren1

Diese Frage kann auf zwei Arten gestellt werden Erstens Warum studieren wir uberhaupt eine historische Figur Und zweitens Warum reflektieren wir im Besonderen uber das Leben und Den-ken von Francis Schaeffer Was macht letzten Endes gerade ihn im Vergleich zu anderen so wichtig Die schlichte Antwort auf die erste Frage ist dass wir durch christliche Maumlnner und Frauen die uns vorangegangen sind lernen und herausgefordert werden Es ist uberaus klar dass in der Schrift Men-schen die uns als Vorbild dienen sei es positiv oder auch negativ ein Thema sind Paulus ermuntert Timotheus sei-nem Vorbild zu folgen wie er Christus

folgt (vgl 2Tim 310ndash13) Hebraumler 11 beschreibt uns die bdquoRuhmeshalleldquo des Glaubens um uns zu ermutigen in der Hingabe an den Herrn und im Dienst fur ihn fortzuschreiten Wenn wir das Leben gottesfurchtiger Maumlnner und Frauen untersuchen und zwar sowohl ihre Staumlrken als auch ihre Schwaumlchen dann lernen wir wie wir dem Herrn heute besser dienen koumlnnen Und oft werden wir dabei von auszligergewoumlhnli-chen Mitstreitern die danach strebten in ihrem Leben dem Herrn von ganzem Herzen zu dienen aus unserer geistli-chen Lethargie geweckt Auszligerdem ist es wichtig historische Gestalten unserer Zeit ebenso wie solche aus der ferneren Vergangenheit zu studieren Warum Aus dem einfachen Grund dass Men-schen unserer Zeit uns dabei helfen auf die speziellen Probleme und Her-ausforderungen unserer Tage und nicht

einfach auf die Probleme einer fruheren Aumlra angemessen zu reagieren In diesem Sinne besteht eine Parallele zum Betrei-ben von Theologie Denn genauso wie staumlndig Theologie geschrieben werden muss um das unwandelbare Wort auf eine sich wandelnde Welt anzuwenden so mussen wir Zeitgenossen studieren die uns helfen koumlnnen treu und kom-promisslos auf die Herausforderungen zu reagieren mit denen die Kirche ge-genwaumlrtig konfrontiert ist

Warum aber sollten wir gerade Fran-cis Schaeffer studieren Die Antwort auf diese zweite Frage ist dass es wahr-scheinlich keine Gestalt gibt die die evangelikale Bewegung in der zweiten Haumllfte des zwanzigsten Jahrhunderts staumlrker bewegt und beeinflusst hat als Francis Schaeffer Michael Hamilton kommentiert den Einfluss von Francis Schaeffer auf die evangelikale Bewe-

gung und sagt dabei Folgendes uber sein Leben und sein Werk

Als Francis Schaeffer im Jahr 1965 erst-mals auf der amerikanischen Buhne erschien wussten Evangelikale kaum was sie mit ihm anfangen sollten Sein christlicher Glaube war im Feuerofen der Kontroverse zwischen Fundamentalisten und Modernisten in den 1930er Jahren geformt worden und er war ein eingetra-genes Mitglied der absolut fundamenta-listischen Bible Presbyterian Church Er verteidigte leidenschaftlich die Idee der Irrtumslosigkeit der Schrift eine Lehre die in evangelikalen Kreisen schon etwas ins Rutschen geraten war Dennoch war er kein gewoumlhnlicher fundamentalisti-scher Prediger Er und seine Frau Edith lebten seit 10 Jahren in einer Studenten-gemeinschaft die sie in den Schweizer Alpen begonnen hatten Wenn er Vorle-sungen hielt trug er alpine Wanderklei-

Zum 100

Geburtstag von

Francis Schaeffer

glauben amp denken heute 22012 137 8 6 uuml

dung ndash Kniebundhosen Kniestrumpfe Wanderschuhe 1972 hatte er zu seiner schon vorher eigentumlichen Erschei-nung auch noch langes Haar und einen weiszligen buscheligen Ziegenbart am Kinn Das Sonderbarste war dass er selten die Bibel zitierte Er war eher geneigt uber die philosophische Bedeutung von Henry Miller zu reden (der damals als der por-nographischste Schriftsteller in der ame-rikanischen Literatur betrachtet wurde)

Waumlhrend der naumlchsten zwei Jahrzehnte organisierte das Ehepaar Schaeffer einen vielseitigen Dienst der den amerika-nischen Evangelikalismus neu formte Wahrscheinlich hat abgesehen von C S Lewis und Billy Graham kein Intellek-tueller das Denken der Evangelikalen tiefer gepraumlgt Zusammen brachten die Schaeffers die Idee des bewussten Lebens in christlicher Gemeinschaft in Umlauf Sie stieszligen die Evangelikalen aus ihrem kulturellen Ghetto inspirierten ein Heer Evangelikaler ernsthafte Wissenschaftler zu werden ermutigten Frauen ihre Rol-len als Mutter und Hausfrau anzuneh-men waren Mentoren fuhrender Koumlpfe der Neuen Christlichen Rechten und verliehen einer populaumlren evangelikalen Opposition gegen Abtreibung Stabilitaumlt2

Auf aumlhnliche Art und Weise fasst Ha-rold O J Brown die Wirkung und den Einfluss Francis Schaeffers zusammen indem er feststellt

Es gibt keinen anderen christlichen Denker unserer Zeit der so viele grund-

legende intellektuelle philosophische und theologische Fragen in Angriff ge-nommen hat wie Schaeffer es tat Er tat das jedoch nicht im Bemuhen eine um-fassende Philosophie der Geschichte zu konstruieren wie etwa Oswald Speng-ler (bdquoDer Untergang des Abendlandesldquo) oder Arnold Toynbee (bdquoDer Gang der Weltgeschichteldquo)

Selbst seine Spezialthemen behandelte Schaeffer nicht als theoretische Prob-leme die in ein umfassendes Weltbild zu passen hatten sondern als Fragen die jeder Mensch individuell beant-worten muss um Sinn fur sein Leben zu finden Es gibt nicht viele christliche Denker die sich mit so vielen groszligen Themen der Theologie und der Philo-sophie beschaumlftigt haben wie Schaeffer und niemand anders hat so sehr ihre Be-deutung fur uns aufgedeckt Schaeffer behandelte sie als entscheidend fur das Verstehen unseres eigenen Lebens und seiner Bedeutung und nicht nur als Abs-traktionen die einem Seminar fur Fort-geschrittene vorbehalten sind Schaeffer wollte und das war fur einen tiefen Denker ungewoumlhnlich einfache Leute mit den groszligen Fragen der Philosophie und Theologie und den entsprechenden Konsequenzen vertraut machen3

Zusaumltzlich koumlnnen wir unsere For-schung uber Francis Schaeffer noch staumlrker dadurch rechtfertigen dass wir seine Bedeutung und seinen Einfluss in drei wichtigen Bereichen feststellen

dem persoumlnlichen dem theologischen und dem sozialen Bereich4 Was den persoumlnlichen Bereich betrifft so erfolgte der Einfluss Schaeffers anfaumlnglich nicht durch akademische bildende Institutio-nen und auch nicht durch das Verlags-wesen Seinen groumlszligten Einfluss erlangte er durch den persoumlnlichen Kontakt mit Einzelnen die er kennenlernte und de-ren Leben er veraumlnderte Man kann also sagen dass sein Einfluss nicht darauf be-ruhte dass er zum evangelikalen Estab-lishment gehoumlrte sondern im Gegenteil vielmehr darauf dass er von diesem un-abhaumlngig war Fur Schaeffer waren per-soumlnliche Evangelisation und Jungerschaft keine Klischees

Durch sein Leben und seinen Dienst im Schweizer LrsquoAbri weit entfernt von Amerika beruhrten er und seine Frau Edith das Leben von zahllosen einzelnen Menschen Von ihnen sollten viele spaumlter evangelikale Leiter in Schlusselpositionen werden Fur diejenigen von uns die da-nach streben Maumlnner und Frauen fur das Evangelium zu gewinnen waumlre es sicher-lich weise aus dem Leben eines solchen Mannes Lehren zu ziehen und neu die Bedeutung des persoumlnlichen Kontaktes in unseren Begegnungen mit Menschen zu entdecken5 Aus einem theologischen Blickwinkel erkennen wir Schaeffers Bedeutung daran dass er maszliggeblich daran beteiligt war gerade die Evange-likalen aufzurufen zentrale Wahrheiten ernstzunehmen Bei ihnen bestand die

Tendenz diese Wahrheiten weniger zu betonen oder sogar zu verleugnen An-gesichts einer zunehmenden Neigung zu einem umfassenden Pluralismus und einer Verleugnung der Wahrheit in der akademischen Theologie in der Kirche und in der allgemeinen Kultur forderte Schaeffer die evangelikale Bewegung be-sonders dazu heraus ihre Hingabe an das Konzept der Wahrheit ndash oder wie er es nannte bdquowahre Wahrheitldquo ndash neu geltend zu machen Deshalb trat er im wahrsten Sinne des Wortes bis zu seinem Sterbe-bett eindeutig fur die volle Autoritaumlt und Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift ein Zu der Frage nach der bdquowahren Wahr-heitldquo gehoumlrten fur ihn auch solche ent-scheidenden Themen wie die Historizitaumlt von 1Mo 1ndash11 die Lehre von der Schoumlp-fung die zentrale Bedeutung der Lehre von Gott und die Ausschlieszliglichkeit von Jesus Christus als dem Weg der Wahr-heit und dem Leben6

Auch die Tatsache dass er sich gegen die Theologie der Neoorthodoxie7 wand-te die einige Evangelikale anzunehmen begonnen hatten hat etwas damit zu tun Er glaubte dass sie die Wahrheit und Wahrhaftigkeit des Evangeliums unterhoumlhlen wurde Heute mussen wir wahrscheinlich mehr als je zuvor die theologischen Herausforderungen durchdenken die uns Schaeffer hinter-lassen hat Hatte er Recht Falls ja gibt es Dinge die wir bei unserem Versuch fur die Wahrheit des Evangeliums einzuste-

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

14 7 8 6 uuml

hen heute von ihm lernen koumlnnen Auch fur unsere Uumlberlegungen im sozialen Be-reich ist Schaeffer eine wichtige Gestalt Als in den 70er Jahren Evangelikale an der sozialen Front wenig unternahmen forderte er Millionen Evangelikale fast im Alleingang dazu auf eine aktive Rol-le bei der Gestaltung ihrer Gesellschaft und deren Werte zu ubernehmen Er gab ihnen dazu auch eine theologische Begrundung8 Wie Brown beobachtet bdquowar die Entscheidung des Obersten Ge-richtshofes der USA zum Fall Roe gegen Wade 1973 die Abtreibung auf Verlan-gen erlaubt fur Schaeffer eine Art Funke im Pulverfassldquo9 Seit langem hatte Schaef-fer die Leute darauf verwiesen dass das Weltbild des nachchristlichen Westens auf eine Entwertung des menschlichen Lebens zusteuerte Die Roe gegen Wade-Entscheidung war daher fur ihn ein ent-scheidender Ruf zum Handeln

1979 produzierte er zusammen mit C Everett Koop und Franky Schaeffer die Filmreihe bdquoWhatever Happened to the Human Raceldquo die dabei half schlaumlfrige Evangelikale zum Handeln zu mobilisie-ren und sie dazu herauszufordern sich auf der politischen Buhne zu engagieren Es ist keine Uumlbertreibung zu sagen dass das Aufkommen von Schwangerschafts-konfliktberatungszentren die Entste-hung des Rates fur christliches Handeln (Christian Action Council) und der Moralischen Mehrheit (Moral Majori-ty) direkt mit dem Einfluss von Francis

Schaeffer in Verbindung stehen Doch was waren seine Grunde fur soziales Handeln Waren sie zulaumlssig Und was koumlnnen wir von ihm bei dem Versuch lernen heute unserem Herrn gehorsam zu sein Es gibt aber noch einen letzten Grund warum wir das Leben und Den-ken Francis Schaeffers studieren sollten

Die uneinheitlichen Reaktionen evan-gelikaler Gelehrter auf ihn oumlffnen ein Fenster durch das wir die zunehmend gespaltene evangelikale Bewegung se-hen koumlnnen Lane Dennis kommentiert verschiedene Kritiker die Schaeffers Denken bdquoanmaszligenden Schwulstldquo bdquosim-plistischldquo bdquoVerkummerungldquo und bdquokindi-sche Verknupfung unbestaumltigter Urteileldquo benannt haben und merkt an dass bdquoman gewoumlhnlicherweise diese Art von Adjek-tiven in houmlflicher oder gelehrter Kon-versation nicht houmlrt offensichtlich hat Schaeffer einen blanken Nerv beruhrtldquo10 Interessanterweise stellt Dennis fest dass diese Art von Reaktion meist von Aka-demikern in evangelikalen Colleges zu kommen scheint und weniger von evan-gelikalen Gelehrten aus saumlkularen Schu-len11 Warum Warum diese negativen Reaktionen aus gewissen Bereichen der evangelikalen Bewegung besonders von Akademikern Einige beantworten diese Frage mit der Feststellung dass Schaeffer kein richtiger bdquoGelehrterldquo war und dass dies der Grund fur manche der negati-ven Reaktionen gewesen sei Aus einer Vielzahl von Grunden genugt diese Ant-

wort jedoch nicht12 Es scheint vielmehr dass Michael Hamilton auf dem richti-gen Weg ist wenn er argumentiert dass die verschiedenartigen Reaktionen auf Schaeffer negativ und positiv eine be-achtliche Spaltung innerhalb der evange-likalen Bewegung widerspiegeln Scha-effer vertritt in den Worten Hamiltons bdquodie rauere Kanteldquo der evangelikalen Be-wegung im Gegensatz zu Billy Graham und anderen die die bdquoweichere Kanteldquo vertreten Die bdquoweichere Kanteldquo ist der Teil der evangelikalen Bewegung der die bdquogemaumlszligigte Mitteldquo vertritt ndash eine Mitte die versucht Kontroversen zu entschaumlr-fen und jedem wohlgesonnen ist der zur Zusammenarbeit mit allen denen bereit zu sein scheint die ihn das Evangelium predigen lassen13

Auf der anderen Seite vertritt Schaeffer die Seite der evangelikalen Bewegung die bereit ist mit anderen fur gemeinsame soziale Anliegen eine Allianz einzugehen nicht aber wenn es um die Verkundigung des Evangeliums geht Diese Seite orien-tiert sich so sehr an der Frage nach der Wahrheit dass sie erkennt dass schein-bar bdquogeringfugigeldquo Verschiebungen der Lehre bedeutsam sind und sehr ernst ge-nommen werden mussen Es ist eine Sei-te die zu einer bdquoliebevollen Konfrontati-onldquo in Fragen von Wahrheit und Leben aufruft weil es sonst zu Kompromissen in Bezug auf das Evangelium komme Aber ich bin davon uberzeugt dass wir uns heute mit ihr identifizieren mussen

Heute ist die evangelikale Bewegung in vielen Fragen darunter auch in einigen wichtigen Lehrfragen gespalten So ist es in dieser Zeit weise uber das Leben und Denken Francis Schaeffers nachzu-denken einem Diener des Herrn der in seiner Generation fest einstand fur das Evangelium damit wir lernen koumlnnen wie wir dies in unserer Generation ver-mehrt tun koumlnnen14 Ich schlage vor dass wir das Leben und Denken Schaeffers in folgender Weise betrachten Zunaumlchst werden wir mit einer kurzen Chronolo-gie seines Lebens beginnen um uns zu erinnern Fur manche Leser mag dies eine erste Einfuhrung in sein Leben sein Umfeld und seinen Dienst sein

Zum Zweiten werden wir vier Lehren die wir aus Schaeffers Denken ziehen koumlnnen hervorheben und ausfuhrlicher betrachten Schlieszliglich werden wir uns mit zwei Lehren beschaumlftigen die wir aus seinem Leben und seinem Dienst ziehen koumlnnen

Eine kurze Chronologie des Lebens Francis Schaeffers15

Die fruhen Jahre

bull Francis Schaeffer wurde am 30 Januar 1912 in Germantown in Pennsylvania geboren Er war das einzige Kind sei-ner Eltern die zur Arbeiterklasse ge-houmlrten Seine Vorfahren stammten aus

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 157 8 6 uuml

Deutschland Schaeffers Eltern legten ein Lippenbekenntnis zum Christen-tum ab Er selbst betrachtete sich je-doch nicht als jemand der in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen ist

bull Aus eigenem Antrieb besuchte er eine liberale presbyterianische Kirche Nach seinem Bekenntnis fand er je-doch im liberalen Christentum kei-nerlei befriedigende Antworten auf die grundlegenden Fragen des Lebens Das fuhrte dazu dass er waumlhrend sei-ner High-School-Jahre zum Agnos-tiker wurde Waumlhrend seiner spaumlten Jahre auf der High School begann er philosophische Literatur zu lesen um Antworten auf die Lebensfragen zu finden Aus Neugierde las er auch die Bibel Nachdem er beginnend mit dem 1 Buch Mose sechs Monate lang die Bibel gelesen hatte wurde er im Jahr 1930 Christ Er war uberzeugt dass die Bibel wahr ist und dass sie die einzigen angemessenen Antworten auf die grundlegenden philosophischen Fragen des Lebens bietet

bull Nach seiner Bekehrung verlieszlig er die Berufsschule um sich in Abendkur-sen auf das College vorzubereiten Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er in der Schule schwache Leistungen gezeigt Jetzt verbesserten sich seine Noten merklich Gegen den Wunsch seines Vaters begann er 1931 am Hampden-Sydney College in Virginia zu stu-

dieren Er absolvierte 1935 mit der Note magna cum laude Er wurde zum bdquoherausragenden Christenldquo seiner Klasse gewaumlhlt

bull Der geschichtliche und theologi-sche Hintergrund dieser Zeit waren die Auseinandersetzungen zwischen Fundamentalisten und Modernis-ten In den fruhen 1930er Jahren war Schaeffers eigene Denomination die Northern Presbyterian Church so-wohl in den Ausbildungsstaumltten als auch in den Gemeinden dabei ausei-nanderzubrechen Interessanterweise sprach bei einer Gelegenheit im Jahr 1932 ein bezahlter junger Redner daruber warum die Bibel nicht Gottes Wort und Jesus nicht Gottes Sohn sei Waumlhrend der nachfolgenden Diskus-sionszeit erhob sich Schaeffer als jun-ger Christ um das historische Chris-tentum so gut er es konnte zu vertei-digen Zu seiner Uumlberraschung gab es nur eine weitere Person die aufstand und sehr deutlich von der Bibel her und unter Benutzung von Werken J Gresham Machens seine Position ver-teidigte Ihr Name war Edith Seville Am 26 Juli 1935 heirateten Francis und Edith

Jahre auf dem Seminar

bull Im Herbst 1935 trat Francis Schaef-fer in das Westminster Theological Seminary ein Westminster war 1929

von J Gresham Machen und anderen fuhrenden Presbyterianern gegrundet worden die versuchten eine konserva-tive Alternative zum theologischen Li-beralismus zu bieten Waumlhrend seiner Zeit in Westminster wurde Schaeffer stark durch die Werke von Machen Cornelius Van Til und Allan Mac-Rae vom Biblical Theological Semi-nary gepraumlgt Interessanterweise sah Schaeff er sich selbst als jemand der in den Fuszligstapfen des auf Denkvor-aussetzungen aufbauenden apologe-tischen Programms Van Tils geht In spaumlteren Jahren gab es leider einen Riss zwischen den beiden Maumlnnern besonders von Van Tils Seite

bull 1936 enthob die Northern Presbyte-rian Church Machen wegen seines konservativen Standpunktes des Am-tes Das fuhrte zu konservativen Ab-spaltungen von der Denomination von denen auch Schaeffer betroffen war Leider wurde aufgrund mancher Konflikte innerhalb der konservati-ven Gruppen in Westminster im Jahr 1937 ein neues Seminar gegrundet das Faith Theological Seminary in Wilmington in Delaware unter der Leitung von Allan MacRae Scha-effer zog um zum Faith Theological Seminary um dort seine Studien im Jahre 1938 abzuschlieszligen Schaeffer hat spaumlter im Ruckblick auf diese Zeit manche der Zaumlnkereien und internen Streitigkeiten zu denen es unter den

Konservativen kam bedauert Spaumlter hat er zur Notwendigkeit einer bdquolie-bevolle Konfrontationldquo aufgerufen die gleichzeitig fur Wahrheit und fur sichtbare Liebe eintritt

Jahre als Pastor

bull Von 1938ndash1948 war Schaeffer Pastor verschiedener presbyterianischer Ge-meinden in Grove City und Chester Pennsylvania und ebenso in St Louis Missouri Waumlhrend ihrer Zeit in St Louis begannen er und Edith eine Or-ganisation mit dem Namen bdquoChild-ren for Christldquo (Kinder fur Christus) ndash ein evangelistischer Dienst unter Kindern der sich schlieszliglich auch in anderen Kirchen und Denominatio-nen ausbreitete

bull Im Jahr 1947 wurde Schaeffer vom Unabhaumlngigen Ausschuss fur Pres-byterianische Mission und von der Abteilung fur Auszligenbeziehungen des Amerikanischen Rates Christlicher Kirchen ausgesandt um die geistli-chen Bedurfnisse der Jugendlichen und die Konfrontation der Kirche mit dem theologischen Liberalismus im Nachkriegseuropa zu bewerten Als Ergebnis seiner drei Monate in Europa spurte Schaeffer dass Gott seine Fa-milie rief in Europa zu dienen

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

16 7 8 6 uuml

Der Umzug nach Europa

bull 1948 zogen die Schaeffers nach Lau-sanne in der Schweiz um als Missi-onare in Europa zu arbeiten Damals hatten die Schaeffers drei Toumlchter Priscilla Susan und Deborah Ihr Sohn Franky wurde 1952 geboren

bull Als sie nach Europa kamen grundeten sie zuerst bdquoChildren for Christldquo fur die Mission unter Kindern Schaeffer warnte auch weiter vor den Gefahren des theologischen Liberalismus und ebenso vor der raffinierten Bedrohung durch die Neoorthodoxie 1949 zogen die Schaeffers in das Bergdorf Cham-peacutery in der Schweiz

bull 1951 geriet Schaeffer aus mindestens zwei Grunden in eine tiefe geistli-che Lebenskrise Erstens sah er im Leben derer die fur das historische Christentum kaumlmpften nicht die Kraft des Evangeliums und das be-unruhigte ihn Zweitens erkannte er dass die Erfahrung des Herrn in seinem eigenen Leben nicht so pul-sierend war wie fruher Diese Krise brachte ihn dazu noch einmal alles zu uberdenken ndash sogar die Wahrheit des Christentums Aus diesem Erlebnis heraus kam Schaeffer zu dem festen Schluss dass es gute und ausreichende Grunde gab zu wissen dass der Gott der Bibel wirklich existiert und dass das Christentum wahr ist Er gelangte auch zu einem tieferen Verstaumlndnis fur

das vollbrachte Werk Christi und das Werk des Heiligen Geistes im Leben der Glaumlubigen Aus diesem Erlebnis heraus wurde spaumlter auch sein Buch bdquoTrue Spiritualityldquo geboren Mehr als das ndash aus dieser Krise heraus wurde LrsquoAbri geboren Schaeffer sagte immer dass ohne diese Zeit des Kampfes da-rum bdquoRealitaumlt im christlichen Leben zu findenldquo LrsquoAbri niemals entstanden waumlre

bull 1955 zogen die Schaeffers durch eine Reihe wunderbarer Umstaumlnde in das Chalet Les Meacutelegravezes in Hueacutemoz in der Schweiz Sie erhielten nicht nur die notwendigen Finanzen um das Cha-let zu kaufen Ihnen wurden auch die Visa bewilligt um in der Schweiz zu bleiben nachdem ihnen vorher von der Schweizer Regierung mitgeteilt worden war sie haumltten das Land dau-erhaft zu verlassen

LrsquoAbri (bdquoDie Zufluchtldquo)

bull Die LrsquoAbri-Gemeinschaft wurde of-fiziell im Jahr 1955 geboren Es be-gann mit Freunden Priscillas die aus der Universitaumlt in das Haus der Schaeffers kamen und Fragen uber das Christentum die Wahrheit und das Leben stellten LrsquoAbri arbeitete mit vier Grundprinzipien (1) Sie wurden nicht um Geld bitten sondern ihre Bedurfnisse Gott mitteilen (2) Sie wurden nicht um Mitarbeiter wer-

ben sondern abhaumlngig davon sein dass Gott die richtigen Leute senden wurde (3) Sie wurden nur kurzfris-tig planen um von Gottes Leitung abhaumlngig zu sein und (4) Sie wurden nicht sich selbst bekanntmachen son-dern Gott vertrauen dass er ihnen Menschen in Not senden wurde

bull Zuerst wurden Treffen und Gottes-dienste im Haus der Schaeffers abge-halten Dann wurden sie in eine ver-lassene protestantische Kirche verlegt Durch Mundpropaganda verbreitete sich die Nachricht unter Universitaumlts-studenten dass es einen Ort in den Schweizer Alpen gebe wo man ehrli-che Antworten auf die tiefsten Fragen des Lebens bekommen koumlnne Inner-halb kurzer Zeit kamen jedes Wo-chenende Studenten nach LrsquoAbri Es enstand eine Struktur von Mahlzei-ten Spaziergaumlngen Gespraumlchen und einem Sonntagsgottesdienst die alle darauf ausgerichtet waren eine Atmo-sphaumlre zu schaffen die das Gespraumlch uber philosophische und religioumlse Ge-danken anregen sollte

bull Am staumlrksten betonte LrsquoAbri ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen im Kontext von gastfreundlicher Um-gebung und sichtbarer Liebe In den fruhen Tagen dachte man nicht ein-mal an Bucher Filme und Tonbaumln-der Die Tonbaumlnder kamen zuerst nur durch ein zwischen einigen Blumen verstecktes Mikrofon zustande mit

dem die Gespraumlche jenes Abends auf-gezeichnet wurden Erst als Schaef-fer erkannte dass die Tonbaumlnder ge-braucht werden konnten um andere zu erreichen gab er zoumlgerlich seine Erlaubnis zum Beginn des Tonband-programms Schlieszliglich kamen Men-schen nach LrsquoAbri um zu studieren und zu arbeiten Schon 1957 kamen jedes Wochenende 25 Leute

bull LrsquoAbri dehnte sich uber die Schweiz hi-naus aus 1958 begann es in England Heute befinden sich LrsquoAbris uberall auf der Welt in Australien Holland Indien Sudkorea und Schweden und ebenso in den USA in Massachusetts und Minnesota16

bull Bis 1960 war LrsquoAbri in einem sol-chen Maszlige gewachsen dass es die Aufmerksamkeit des Time-Magazins auf sich zog Tonbaumlnder wurden nun weltweit verteilt und Schaeffer er-hielt Einladungen aus Europa und Nordamerika Das waren gleichzeitig schwierige Zeiten in LrsquoAbri Als mehr und mehr Studenten kamen wurden Geld und Lebensmittel knapp

bull 1965 reiste Schaeffer zuruck nach Nordamerika und hielt Vorlesungen in Boston Dann fuhr er zum Whea-ton College und hielt Vorlesungen die spaumlter die Grundlage fur sein Buch bdquoThe God Who is Thereldquo (dt bdquoGott ist keine Illusionldquo) wurden Damals schaumltzten ihn die Studenten unge-heuer die akademische Welt war je-

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 177 8 6 uuml

doch viel behutsamer darin ihn zu ak-zeptieren Am Wheaton College sprach er zum Beispiel uber Themen von de-nen die meisten Menschen in evange-likalen Kreisen niemals gehoumlrt hatten oder uber die sie nicht diskutieren durf-ten wie etwa die Filme von Ingmar Bergman und Fedrico Fellini und die Schriften von Albert Camus Jean-Paul Sartre und Martin Heidegger

bull Waumlhrend der naumlchsten zehn Jahren wurden die Schaeffers zu einer der be-kanntesten Familien in der evangelika-len Bewegung Francis veroumlffentlichte zahlreiche Bucher und Broschuren von denen die meisten aus Vorlesungen entstanden die er seit der Grundung von LrsquoAbri gehalten hatte Edith ver-oumlffentlichte eine Anzahl von Buchern uber Ehe Familie Theologie und die Geschichte von LrsquoAbri17

Die 70er Jahre

bull Im Jahr 1974 sprach Schaeffer auf der Internationalen Konferenz fur Welt-evangelisation in Lausanne Schweiz wo er stark die Bedeutung der Irrtums-losigkeit der Bibel betonte Spaumlter im Jahr 1977 half er den Internationalen Rat fur Biblische Irrtumslosigkeit zu grunden

bull Ebenfalls in den 70er Jahren begann er aufgrund der Roe gegen Wade-Ent-scheidung des Obersten Gerichtshofs der USA seine Stimme gegen Abtrei-

bung zu erheben 1977 startete er eine Tour durch 22 Staumldte mit Seminaren und Ansprachen zu der Filmreihe bdquoWie koumlnnen wir denn lebenldquo Er begann ebenfalls die Arbeit an der Filmreihe bdquoWhatever Happened to the Human Raceldquo zusammen mit C Everett Koop und Franky Schaeffer die zu einer Tour mit Ansprachen im Jahr 1979 fuhrte

bull Schaeffers Kulturkritik und seine Verteidigung des historischen Chris-tentums lieszligen ihn in seinen Werken auch zu Themen wie Reinheit in Lehre und Leben Abtreibung Euthanasie Oumlkologie Krieg und Frieden sowie Burgerrechte seine Stimme erheben Schaeffer sprach sich lange und hart gegen das Eintreten der Kirche fur den Status Quo aus Er richtete sich be-sonders gegen ihre Annahme der ame-rikanischen Lebensphilosophie die seit den 50er Jahren die Gesellschaft durchdrungen hatte naumlmlich die Phi-losophie dass man nur fur bdquopersoumln-lichen Frieden und Wohlstandldquo lebt Er rief nach einer neuen Generation von Christen die wirklich bdquorevolutio-naumlrldquo sein sollten in ihrem Eintreten fur Wahrheit sowohl in der Lehre als auch im Leben

Die 80er Jahre

bull In den 1980er Jahren wurde Schaeffer aufgrund von dem was als Verschie-bung zum bdquoKonservativismusldquo wahr-

genommen wurde zunehmend von evangelikalen Akademikern und poli-tisch liberalen Evangelikalen entfrem-det Das geschah besonders aufgrund seiner Veroumlffentlichung bdquoA Christian Manifestoldquo (1981) das nicht nur den Aufstieg der bdquoMoral Majorityldquo lobte sondern auch Christen dazu aufrief ge-gen Abtreibung einzustehen und falls noumltig zivilen Ungehorsam zu prakti-zieren Interessanterweise sah Schaeffer selbst keine Verschiebung in seinem Denken gegenuber den 70er Jahren Er sah vielmehr seine Arbeit in den 80er Jahren als die logische Fortsetzung seiner Entscheidung die Wahrheit zu praktizieren und die Herrschaft Christi uber das gesamte Leben herauszuarbei-ten sei es das Leben im Mutterleib in der Kirche oder im Houmlrsaal

bull Im Jahr 1984 als er immer noch ge-gen den 1978 bei ihm diagnostizier-ten Krebs kaumlmpfte unternahm er buchstaumlblich auf dem Sterbebett eine Rundreise durch 13 Staumldte bei der er zehn christliche Colleges besuchte Dies geschah in Zusammenhang mit seinem letzten Buch The Great Evan-gelical Disaster (dt Die groszlige Anpas-sung Der Zeitgeist und die Evange-likalen) Auf seiner letzten Rundreise sprach er leidenschaftlich im Namen des Evangeliums warnte dabei und flehte die evangelikale Gemeinde an weder in der Lehre noch in der Praxis Kompromisse in Bezug auf die Auto-

ritaumlt der Bibel einzugehen Er nannte dabei sogar Namen derer von denen er glaubte dass sie das getan haumltten Er rief eine neue Generation von Christen dazu auf fur die Wahrheit einzutreten in seinen Worten bdquoRadikale fur Chris-tusldquo zu sein

bull Am 15 Mai 1984 einen Monat nach-dem die Rundreise abgeschlossen war starb er in Rochester Minnesota

Lehren die wir aus dem Denken Francis Schaeffers ziehen koumlnnen

Ideen haben Konsequenzen

Eines der groszligen Vermaumlchtnisse des Werkes Francis Schaeffers war es uns zu zeigen dass bdquoIdeen Konsequenzen ha-benldquo18 Auch wenn seine Analyse nicht in allen Teilen vollstaumlndig korrekt war hatte Schaeffer doch ganz Recht darin dass die westliche Gesellschaft eine bdquoLi-nie der Verzweiflungldquo erlebt hatte ndash einen langsamen Prozess durch den Ideen hi-nuntersickerten von der Philosophie zur Kunst zur Musik zur allgemeinen Kul-tur und schlieszliglich zur Theologie19 Das kulturelle Durcheinander in dem wir le-ben kam nicht aus dem Nichts sondern hat eine lange Geschichte

Wie Schaeffer uns immer wieder erin-nert hat gibt es bei der Entfaltung von Ideen einen Einfluss in die Geschichte

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

18 7 8 6 uuml

ndash sei es zum Guten oder zum Schlech-ten Zusaumltzlich lehrte uns Schaeffer dass wir um unsere Gegenwart zu verstehen auch den Lauf der Geistesgeschichte er-fassen mussen die uns vorausging Dies betrifft auch die Auswirkungen die sie auf uns hat und haben wird wenn die Menschen schlieszliglich gemaumlszlig ihren Glaubensuberzeugungen handeln Ei-gentlich warnte uns Schaeffer dass wir wenn wir die Geistesgeschichte nicht durchdenken werden wir nicht nur un-sere eigene Zeit missverstehen sondern wir werden auch zu unserem gegen-waumlrtigen Zeitalter nichts Konstruktives zu sagen haben werden Wir werden unvermeidlich dem sprichwoumlrtlichen Frosch im Wassertopf gleichen der die Tatsache nicht wahrnimmt dass das Wasser langsam erhitzt wird und dass das Ergebnis wenn er nicht sofort aus dem Topf springt Zerstoumlrung sein wird

Fur christliche Leiter Pastoren und Lehrer ist diese Lehre von aumluszligerster Wichtigkeit Wenn wir unserem Herrn und seinem Volk treu bleiben wollen wenn wir unserer Generation etwas Loh-nendes sagen wollen wenn wir die sein wollen die wirklich ihre Zeit verstehen und zu den draumlngenden Fragen des Ta-ges Stellung nehmen wollen dann wird das nicht weniger erfordern als ein tief-gehendes Verstaumlndnis des Tages und des Zeitalters in dem wir zu dienen und zu arbeiten berufen sind Doch nicht nur das es erfordert ebenso eine ganze Hin-gabe an den Herrn und sein Wort In

diesem Zusammenhang zitierte Schaef-fer oft und gerne die beruhmte Aussage Martin Luthers

Wenn ich auch mit der lautesten Stimme und klarsten Darlegung jedes Stuck der Wahrheit Gottes bekenne mit Ausnahme genau jenes kleinen Punktes den die Welt und der Teufel im Mo-ment angreifen dann bezeuge ich nicht Christus wie lautstark auch immer ich mich zu ihm bekenne Die Treue eines Soldaten beweist sich da wo gerade der Kampf wutet Auszligerhalb des Kampfes an der Front standhaft zu sein ist nichts anderes als Flucht und Schande wenn man am entscheidenden Punkt zuruckweicht20

Das war fur Francis Schaeffer keine Theorie Fur ihn war das eine Sache auf Leben und Tod Wir mussen so warnte er die Wichtigkeit von bdquoIdeenldquo begrei-fen um unsere Zeiten recht zu verste-hen Wenn wir das nicht tun werden wir naumlmlich vom bdquoGeist unserer Zeitldquo hinweggefegt werden ohne auch nur zu merken was uns geschieht

Der Kampf des Tages Die Idee der Wahrheit

Was war demnach fur Schaeffer die bdquoSchlusselideeldquo die wir heute begreifen mussen Was sollte die Kirche aus ei-ner Analyse der Geistesgeschichte ler-nen um dem Herrn heute treu bleiben zu koumlnnen Was ist unser Kampf Fur

Schaeffer ist die Antwort unstrittig Un-ser Kampf heute ist ein Kampf fur die Idee und das Konzept von Wahrheit an sich

Die heute zwischen den Generationen aufgebrochene Kluft ist zum groumlszligten Teil durch einen Wandel im Wahr-heitsverstaumlndnis entstanden Wo immer wir hinschauen herrscht dieses neue Verstaumlndnis vor Es umgibt uns als ein nahezu fugenloser Meinungsblock auf allen Gebieten sei es in den Kunsten in der Literatur oder auch nur beim Lesen von Zeitungen und Wochenschriften wie Spiegel Weltwoche Welt am Sonn-tag Sunday Times LlsquoExpreszlig de Paris Elsevierlsquos Weekblad und anderen mehr Von allen Seiten her spuren wir den Wurgegriff einer neuen Methodologie ndash und mit Methodologie meinen wir die Art und Weise wie wir an Wahrheits-erkenntnis und Wissen herangehen Es ist erstickend wie der dichteste Londo-ner Nebel Und sowenig sich der Nebel durch Waumlnde und Turen abhalten laumlsst so wenig koumlnnen wir uns der vorherr-schenden Meinung entziehen Das geht so weit dass wir in unseren eigenen vier Waumlnden nicht mehr klar sehen und uns doch nicht erklaumlren koumlnnen was eigent-lich geschehen ist Die Tragik unserer heutigen Situation liegt darin dass die neue Einstellung zur Wahrheit Maumlnner und Frauen in ihren Lebensgrundlagen erschuttert hat ohne dass sie sich jemals Rechenschaft uber den neuen Kurs ge-geben haben Die jungen Menschen

werden zunaumlchst im Rahmen des alten Wahrheitsverstaumlndnisses erzogen Dann geraten sie unter den Einfluss der mo-dernen Auffassung Mit der Zeit wer-den sie unsicher weil sie die ihnen vor-gelegte Alternative nicht durchschauen Diese Unsicherheit fuhrt zu Verwirrung und bald zu einem inneren Zerbruch ndash unglucklicherweise nicht nur bei jun-gen Menschen sondern auch bei vielen Pfarrern Lehrern Evangelisten und Missionaren So ist wie ich meine die veraumlnderte Auffassung uber den Weg der zu Erkenntnis und Wahrheit fuhrt das entscheidende Problem das sich der Christenheit heute stellt21

In der Literatur der Gegenwart sei sie philosophisch wissenschaftlich litera-risch oder theologisch wird fur das auf was Schaffer sich bezieht oft der Begriff bdquoPostmodernismusldquo gebraucht Auch wenn Schaeffer selbst niemals den Be-griff benutzte sah er den Inhalt voraus und beschrieb ihn bevor der Gebrauch des Begriffs Mode wurde22 Schaeffer hatte eine Gabe das zu tun Oft konnte er bdquosehenldquo wohin Ideen gingen weil er die Maxime ernst nahm bdquoIdeen haben Konsequenzenldquo Im heutigen Gebrauch bezeichnet bdquoPostmodernismusldquo eine Denkweise die fest verknupft ist mit der Verleugnung von Wahrheit in jedem objektiven universalen Sinn Er wird oft dem bdquoModernismusldquo gegenubergestellt der viel vom Geist der Aufklaumlrung wi-derspiegelt einem Geist der interessan-

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 197 8 6 uuml

terweise viel vom Christentum entliehen hat Wie das Christentum so glaubte auch er dass Wahrheit objektiv und uni-versal sei und dass die Vernunft durch Forschung und Untersuchung Wahrheit erlangen koumlnne Anders als das Chris-tentum versuchte er jedoch Wahrheit ohne Abhaumlngigkeit von Gott und sei-nem gesprochenen Wort zu entdecken Statt dem christlichen Motto bdquoGlaube sucht zu verstehenldquo zu folgen und die Prioritaumlt der goumlttlichen Offenbarung zu unterstreichen versuchte der Modernis-mus dem Programm bdquoIch verstehe um zu glaubenldquo zu folgen In diesem Sinn versuchte der Modernismus dann alle Wahrheitsanspruche seien sie philoso-phischer oder theologischer Art unter der bdquoAutoritaumltldquo des menschlichen Ver-standes unabhaumlngig von Gottes Wort zusammenzufassen Der Postmodernis-mus auf der anderen Seite ist in Wirk-lichkeit logisch zu Ende gedachter Mo-dernismus und ist sich daher erkenntnis-theoretisch seines Ausgangs und seines Ergebnisses viel bewusster23 In diesem Sinn nimmt der Postmodernismus das Projekt der Aufklaumlrung ernst das sein Zentrum im autonomen Selbst hat Dann aber kommt er zu Recht und iro-nischerweise zu dem Schluss dass wenn die Sicht der Aufklaumlrung richtig ist die Wahrheit niemals universal sein koumlnne Warum Der einfache Grund ist dass endliche Menschen und Gemeinschaf-ten zu sehr historisch positioniert und

soziologisch abhaumlngig sind als dass sie jemals einen bdquoGesichtspunkt mit Gottes Augeldquo d h einen objektiven universa-len unbefangenen Gesichtspunkt liefern koumlnnten Wahrheit kann letztlich nicht das sein was der Modernismus von ihr zu sein erwartete sie muss vielmehr perspektivisch provisorisch und endlich sein Letztendlich ist sie das was die Ge-meinschaft am houmlchsten bewertet d h sie ist pragmatisch

Falls der Postmodernismus wahr ist sind naturlich alle Behauptungen von Einzelnen oder Gemeinschaften bdquodie Wahrheitldquo zu kennen notwendigerweise falsch ndash tatsaumlchlich eine interessante Iro-nie Postmodernismus ist im Tiefsten ein Misstrauen gegen jeden der sagt bdquoSo ist esldquo oder bdquoDas ist die Wahrheitldquo und als solcher neigt er zu einem umfassenden Pluralismus Relativismus und Skepti-zismus So erinnert uns D A Carson daran dass heute bdquoder einzige absolute Glaube der Glaube an den Pluralismusldquo ist24 ndash d h jedermanns Gesichtspunkt ist willkommen ob er nun philosophi-sche moralische oder religioumlse Themen betrifft Auch wenn Francis Schaeffer niemals das Wort bdquoPostmodernismusldquo gebrauchte warnte er uns vor der Idee und ihren Konsequenzen Eigentlich war es diese bdquoIdeeldquo die er kontinuier-lich in seinen Buchern und Vortraumlgen herausgearbeitet hat damit wir sie ver-stehen und begreifen Im Kern so vieler Themen mit denen die Kirche konfron-

tiert ist so argumentierte er liegt eine erkenntnistheoretische Verschiebung die im Denken und in der Kultur des Westens stattgefunden hat ndash eine Ver-schiebung die wir nun Postmodernis-mus nennen eine Verschiebung weg von der Wahrheit oder von dem was er bdquowahre Wahrheitldquo nannte25

Wenn wir diese Verschiebung nicht verstehen sie nicht ernst nehmen und ihr nicht entgegentreten so warnte er uns auch dann werden wir nicht den Kampf unserer Tage als gute Soldaten Jesu Christi kaumlmpfen Am Ende werden unser Lehren Predigen unsere Apologe-tik und unsere Evangelisation auf taube Ohren stoszligen weil sie nicht angemessen unsere Generation ansprechen

Unsere Generation wird die Darbie-tung des Evangeliums entweder als ein Relikt einer vergangenen Aumlra oder in den Kategorien einer postmodernen Gesellschaft houmlren und daher das Evan-gelium relativieren26 Was heute letzt-lich auf dem Spiel steht so behauptete Schaeffer ist ein Kampf um das gesamte Weltbild Nicht laumlnger geht es bei dem Kampf fur das Evangelium um diesen oder jenen Punkt sondern um die ge-samte Struktur und den Rahmen ndash ein Kampf bei dem es nach Ausmaszligen und Konsequenzen um Leben und Tod geht Es ist diese letzte Beobachtung die neu von Francis Schaeffer gelernt werden muss Schaeffers groszliges Anliegen war die Verkundigung des Evangeliums und

der Aufbau der Kirche Er wollte treu zu seiner Generation in solch einer Weise sprechen dass das Evangelium als das gehoumlrt wurde was es wirklich war Des-halb muhte er sich darum Menschen die Geistesgeschichte verstehen zu lassen ndash nicht um der Neugierde willen son-dern mit dem Ziel ihre Zeit besser zu verstehen Bei aller berechtigten Debat-te uber die Genauigkeit von Schaeffers Interpretation solcher Leute wie Thomas von Aquin Georg Friedrich Hegel Souml-ren Kierkegaard verschiedener Kunstler und Musiker und sogar Karl Barths er-kennen die meisten an dass Schaeffers Gesamtanalyse korrekt ist ndash eine Analy-se die zu oft sowohl in ihren theoreti-schen als auch praktischen Auswirkun-gen vergessen worden ist

Ohne Berucksichtigung aller Details lag Schaeffer darin richtig die erkennt-nistheoretischen Verschiebungen zu be-tonen die in der westlichen Gesellschaft stattgefunden hatten Verschiebungen die unglaubliche praktische Konsequen-zen haben Wir wollen kurz drei dieser praktischen Auswirkungen hervorhe-ben vor denen Schaeffer uns warnte und die fur die Kirche heute von besonderer Wichtigkeit sind

Die Verschiebung zur Erfahrung

Mit dem Verlust der Wahrheit geht eine zunehmende Verschiebung zur Erfah-rung einher zu einer Erfahrung aller-

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

20 7 8 6 uuml

dings die oft ohne Inhalt und Wahr-heit ist In seiner Analyse des westlichen Denkens vertritt Schaeffer die Auffas-sung dass der moderne Mensch zuneh-mend begann die Welt auf eine natu-ralistische Art zu betrachten27 In der Wissenschaft gab es eine Verschiebung von der Ansicht dass es eine Gleichfoumlr-migkeit naturlicher Ursachen in einem kontrollierten System gebe durch die Gott das System staumlndig erhaumllt und so-gar eingreifen kann wenn er sich dazu entscheidet hin zu der Sicht dass es ein geschlossenes System gebe dass Gott ausschlieszligt In der Philosophie beson-ders in der des Westens gab es einen wachsenden aufklaumlrerischen Impuls hin zum bdquoRationalismusldquo28 das heiszligt zu ei-ner Geisteshaltung die versuchte durch die menschliche Vernunft eine einheitli-che Sicht von Welt und Leben zu liefern

Dies geschah in einer solchen Wei-se dass die Vernunft zunehmend un-abhaumlngig von goumlttlicher Offenbarung funktionierte Diese Verschiebungen fuhrten jedoch wie Schaeffer behaup-tete schlieszliglich zu einer dichotomen Sicht der Wirklichkeit die er bdquodas Un-ter- und das Obergeschossldquo nannte Das laumlsst sich belegen durch Dialektiken wie die der Spaltung in bdquoNatur-Freiheit und bdquoPhaumlnomenon-Noumenonldquo bei Imma-nuel Kant29 Das Problem bei dieser dialektischen Sicht der Wirklichkeit so behauptet Schaeffer besteht darin dass sie uns mit einer schrecklich gespaltenen

Sicht von der Welt zurucklaumlsst Die un-abhaumlngig von der goumlttlichen Offenba-rung handelnde menschliche Vernunft hat keine Moumlglichkeit zu begrunden wie diese naturalistische determinierte auf Ursache und Wirkung aufbauende unpersoumlnliche Welt im bdquoUntergeschossldquo (d h im Bereich der bdquoNaturldquo) dem bdquoObergeschossldquo (d h dem Bereich der bdquoFreiheitldquo) in dem wir versuchen Sinn Werte Ziele und Freiheit zu finden eine vernunftgemaumlszlige Grundlage geben kann Was sollen also die Menschen tun Leben sie konsequent nach den Schlussfolgerungen zu denen sie ihre Vernunft im bdquoUntergeschossldquo gefuhrt hat ndash naumlmlich dass sie determiniert und ohne Bedeutung sind Nun man-che versuchen das Nach der Lehre der Schrift jedoch so beobachtet Schaeffer ist diese Sicht der Wirklichkeit falsch alle Menschen sind nach dem Bild Got-tes gemacht

Es ist daher nahezu unmoumlglich mit solch einer Sicht zu leben Die Men-schen geben daher in der Praxis die Moumlglichkeit einer Vereinigung dieser dichotomen Bereiche auf d h sie geben die Hoffnung auf Wahrheit im Sinne einer einheitlichen Weltsicht auf und bewegen sich dann auf Irrationalitaumlt zu Sie argumentieren fur Sinn Werte Ziele und Freiheit tun dies jedoch ohne eine vernunftgemaumlszlige Grundlage Sie le-ben im bdquoGlaubenldquo mit einem Glauben jedoch der wenig oder keinen Inhalt

und kein vernunftgemaumlszliges Fundament hat Sie setzen in das bdquoObergeschossldquo wie Schaeffer wiederholt betonte eine Konzentration auf Erfahrung eine Er-fahrung allerdings die fur alles offen ist eine Erfahrung die so verschiedenartig sein kann wie Drogen und Sex in den 1960er Jahren und New-Age- Spirituali-taumlt in den 1980ndash90er Jahren30 Fur Scha-effer ist daher die beste Charakterisie-rung bdquopost-modernerldquo Menschen (oder wie er es nannte bdquomoderner modernerldquo Menschen) dass sie mit der Dichotomie zwischen dem bdquoUnter- und dem Ober-geschossldquo leben Fur ihn war das nicht nur eine schlaue Feststellung es war das Herzstuck der Sache Welche prak-tischen Folgen hat das heute fur uns Eine massive Folgewirkung hat das so behauptet Schaeffer fur unsere Evange-lisation Bei unserer Verkundigung des Evangeliums mussen wir uns bestaumlndig daran erinnern dass wir zu Menschen predigen die mit dieser Dichotomie le-ben Und wenn wir nicht vorausahnen wie sie houmlren werden was wir sagen gehen wir das Risiko ein mit ihnen nicht auf geeignete Weise zu kommuni-zieren Wir riskieren es sogar Bekehrte zu machen die an Jesus bdquoglaubenldquo als lediglich eine weitere bdquoObergeschossldquo-Erfahrung losgeloumlst von Wahrheit Ver-nunftgemaumlszligheit und Wirklichkeit Und Schaeffers Kritik an der evangelikalen Bewegung konzentrierte sich genau auf diesen Punkt Auf der einen Seite war

er besorgt dass Evangelikale bei ihrer Evangelisation Lehre und Inhalt zu-gunsten von Erfahrung herunterspiel-ten Wenn wir Menschen zum retten-den Glauben rufen mussen wir ihnen klarmachen dass die Wirklichkeit des Evangeliums bdquowahre Wahrheitldquo weiter-gibt Wir mussen dabei Menschen mit dem bdquoGott der keine Illusion istldquo kon-frontieren

Die Menschen mussen begreifen dass Glaube kein blinder Sprung ist sondern verwurzelt und gegrundet ist in der Wahrheit Erfahrung ist wich-tig und Schaeffer betonte diese Tatsa-che stark Aber Erfahrung darf nicht losgeloumlst von der Wahrheit sein31 Auf der anderen Seite war er im Bereich der akademischen Theologie besorgt dass Evangelikale zu viel aus der Theologie der Neoorthodoxie ubernahmen Er glaubte es sei ein Fehler gigantischen Ausmaszliges mit Karl Barth eine Position zu vertreten die die Moumlglichkeit sol-cher Fehler in der Schrift einraumlumt die nicht unseren Glauben an den Herrn Jesus Christus negativ beeinflussen Er sah Barths Theologie als ein weiteres Beispiel dafur an wie das zeitgenoumlssi-sche Denken die Wirklichkeit dichoto-misiert und bdquoGlaubenldquo und Theologie von vernunftgemaumlszliger Begrundung und verifizierbarer Geschichte scheidet32 In diesen Punkten liegt Schaeffer richtig Die evangelikale Bewegung darf beson-ders heute die Themen Wahrheit Inhalt

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 217 8 6 uuml

und Lehre nicht vergessen Erfahrung ist wichtig Aber Erfahrung muss im-mer in der Wahrheit des Wortes Gottes begrundet sein Ausgehend von der Ten-denz unserer Generation sich auf Erfah-rung zu berufen mussen wir vorsichtig sein dass wir uns nicht an unsere Zeit anpassen Es ist sehr wichtig was wir glauben und letztendlich an wen wir glauben Nicht jeder bdquoGlaubeldquo oder jede bdquoGlaubensformldquo sind gleichwertig Das fuhrt mich zu einer zweiten praktischen Folge vor der uns Schaeffer warnte

Die Herausforderung des religioumlsen Pluralismus

Mit dem Verlust der Wahrheit werden eine zunehmende Betonung des religiouml-sen Pluralismus und ein Herunterspielen der Ausschlieszliglichkeit des Evangeliums einhergehen Wenn Schaeffer uber reli-gioumlsen Pluralismus sprach bezog er sich nicht auf die empirische Beobachtung dass es viele Religionen auf der Welt gibt und dass es sogar im Westen wo das Christentum einst vorherrschend war ein zunehmendes Wachstum von Religionen gibt Er bezog sich viel-mehr auf die Geisteshaltung die nicht zulaumlsst dass irgendeine Religion wahr oder besser als die andere ist Er sah dies als eine praktische Konsequenz aus der Verleugnung der Wahrheit an Wir die wir am Anfang des 21 Jahrhunderts le-ben werden mit dieser Haltung uberall

konfrontiert Wenn die Southern Bap-tist Vollversammlung Gebetsbriefe ver-sendet und darin sagt dass Juden und Hindus evangelisiert werden mussen weil sie verloren sind dann koumlnnen wir uns vorstellen welche Art von Reaktio-nen sie auszligerhalb der Kirche und leider auch bei denen die sich mit der Kirche identifizieren hervorrufen Bei Schaef-fer ist an diesem Punkt interessant dass er das bereits vor langer Zeit in den 1960er Jahren kommen sah33 Als eine wichtige Begleiterscheinung des Verlus-tes der Wahrheit sah er voraus dass ein umfassender Pluralismus an ihre Stelle gesetzt wurde Und Teil unserer Beru-fung in unserer Generation ist es an diesem Punkt fest zu stehen und einen ausschlieszliglichen Christus ohne Kom-promisse in einem inklusiven pluralis-tischen Zeitalter zu verkundigen

Die Entwertung des menschlichen Lebens

Mit dem Verlust der Wahrheit geht eine dritte praktische Folge einher naumlmlich die Entwertung des menschlichen Le-bens Ich habe das schon oben erwaumlhnt und werde unten darauf hinweisen Es ist jedoch wichtig aufzuzeigen dass Schaeffers Vorhersage der nachchrist-liche Westen werde beginnen das Le-ben zu entwerten eine Vorhersage war die in seiner Analyse der Verschiebung von Ideen weg vom einem christlichen

Verstaumlndnis der Welt zu einem mo-dernen und schlieszliglich postmodernen Verstaumlndnis der Wirklichkeit verwurzelt war Schaeffer hatte die Menschen seit Jahren gewarnt dass das Weltbild des Westens sich in Richtung auf eine In-terpretation der Wirklichkeit allein im Sinne eines unpersoumlnlichen geschlosse-nen Systems bewege Naturlich war die Folge davon nicht nur dass Chemie und Physik innerhalb eines bdquogeschlos-senen Systemsldquo interpretiert wurden sondern das gleiche geschah mit den Geisteswissenschaften der Psychologie Soziologie der Literaturwissenschaft und sogar der Theologie Darin lag eine massive Wende zum Unpersoumlnli-chen und das so sagte Schaeffer vo-raus wurde zu einer Entwertung des menschlichen Seins fuhren Naturlich lag Schaeffers Vorhersage genau richtig Ethische Fragen und heute ubliche De-batten (uber Abtreibung Kindestoumltung Euthanasie Klonen) sind saumlmtlich Be-lege fur den Ausverkauf des Wertes des menschlichen Lebens Aus diesem Grund nahm Schaeffer eben diesen Standpunkt an der sozialen Front ein Es war nicht ein Standpunkt fernab von seiner Theologie vielmehr unterstrich er ihn genau aus dem Grund weil er sah dass Ideen Konsequenzen haben und dass die Wahrheit zum Handeln ruft Wie ich festgestellt habe ist Schaeffers staumlndige Betonung dass bdquoIdeen Kon-sequenzen habenldquo eines seiner groszligen

Vermaumlchtnisse das zu vernachlaumlssigen eine groszlige Gefahr bedeutet Auszligerdem mussen wir von Schaeffer lernen heu-te unserem Herrn treu zu bleiben und das Evangelium in einer solchen Weise zu verkundigen dass es wirkungsvoll zu den Menschen spricht Wir mussen Christen dafur auszurusten ihre Welt zu verstehen und in ihr auf eine solche Weise zu leben dass sie nicht von ihr gepraumlgt werden Er lehrte uns dass dies nicht lediglich akademische Fragen sind sondern Fragen auf Leben und Tod

Die Wichtigkeit des Denkens in Weltbildern

Francis Schaeffer lehrte uns nicht nur dass bdquoIdeen Konsequenzen habenldquo Er erinnerte uns auch daran dass die ent-scheidenden bdquoIdeenldquo um die die Debatte geht letztlich eine Frage des Weltbildes sind Das ist zwar keine neue Beobach-tung aber eine die bis vor kurzem oft vernachlaumlssigt wurde34 Ausgehend von den ungeheuren Verschiebungen die in der Gesellschaft stattgefunden haben ist es wichtig zu erkennen dass wir in einem Kampf stehen bei dem es nicht nur um diesen oder jenen Punkt der christlichen Wahrheit geht Es geht um ganze Systeme von Weltbildern die im Widerstreit liegen Schaeffer sprach von diesen Unterschieden der Weltbilder als von Unterschieden der Denkvorausset-zungen35 Er vertrat die Auffassung dass

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

22 7 8 6 uuml

im Westen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts jeder ndash Christen und Nichtchristen gleicherweise ndash unter dem starken Einfluss einer christlichen Sicht der Wirklichkeit von den grundlegend selben Denkvoraussetzungen ausging Auch wenn man argumentieren koumlnn-te dass die Nichtchristen aufgrund ihrer Zuruckweisung des christlichen Weltbildes kein Recht haumltten von die-sen Denkvoraussetzungen auszugehen koumlnnte man doch sagen dass es eine Ge-meinsamkeit im Denken gab Als aber schlieszliglich die Menschen begannen in einer konsequenteren Weise nach ihren Denkvoraussetzungen zu handeln und sie das noch weiter von dem christli-chen Weltbild wegfuhrte merkten viele Christen nicht was geschehen war Und so passierte was Schaeffer folgenderma-szligen kommentiert

bdquoDie Fluten von saumlkularem Denken und liberaler Theologie uberschwemmten die Kirche weil die Leiter die Bedeutung des Kampfes gegen das Bundel falscher Denkvoraussetzungen nicht verstanden Sie kaumlmpften weitgehend auf dem fal-schen Territorium und hinkten daher elend hinterher statt in der Verteidi-gung und der Kommunikation vorne zu sein Dies ist eine wirkliche Schwaumlche die unter den Evangelikalen selbst heute schwierig zu korrigieren istldquo36

Der Mangel in Weltbildern zu denken ist auszligerdem so argumentiert Schaef-fer zuruckzufuhren auf die Art unserer

Ausbildung sei sie christlicher oder sauml-kularer Art Er beobachtete scharfsin-nig dass wir in unserer Ausbildung oft zu einer Spezialisierung neigen ohne die Wechselbeziehungen zwischen den Disziplinen zu sehen und einen Uumlber-blick zu gewinnen d h ohne das Welt-bild zu sehen Dadurch stehen wir in der Gefahr die Beziehungen verschiedener Ideen zueinander nicht zu sehen und so auch die Konsequenzen der Ideen nicht wahrzunehmen Schaeffer stellt fest

Eine groszlige Schwaumlche unseres heutigen Bildungssystems ist das mangelnde Ver-staumlndnis der naturlichen Beziehungen zwischen den Disziplinen Wir betrei-ben unsere Wissenschaften als waumlren sie beziehungslose parallel nebeneinander herlaufende Linien Diese Fachblind-heit begegnet uns sowohl im christlichen als auch im weltlichen Bildungswesen und deshalb wurden die christlichen Kreise von dem groszligen Erdrutsch in unserer Generation uberrascht Wir ha-ben unsere Exegese als Exegeten unsere Theologie als Theologen Philosophie als Philosophen betrieben Wir studierten Kunst als Kunst und Musik als Mu-sik ohne daran zu denken dass dies alles Lebensaumluszligerungen des Menschen sind und dass Lebensaumluszligerungen des Menschen niemals beziehungslos neben-einander herlaufende Parallelen sein koumlnnen37

Das ist eine wichtige Lektion die wir besonders in unseren Tagen lernen

mussen In vielerlei Hinsicht sind wir wieder dort wo Paulus in Athen zu ei-ner Zuhoumlrerschaft und einem Umfeld predigte das pluralistisch heidnisch und dem Christentum in Bezug auf sein Weltbild fremd war (Apostelgeschichte 17) Aus diesem Grund vertritt Schaef-fer unter Berufung auf Texte wie Apg 17 wiederholt die Auffassung dass wir bdquoPrauml-Evangelisationldquo betreiben mussen was er eng mit Apologetik verband Er vertrat die Auffassung dass es zwei Ziele der Apologetik gebe Erstens das christliche Weltbild gegen Angriffe zu verteidigen und Menschen Grunde zu nennen warum wir glauben das das Christentum wahr sei Es gibt aber noch ein zweites Ziel der Apologetik das eng mit Evangelisation verbunden ist Wir mussen naumlmlich das Evange-lium unserer Generation in Begriffen die sie verstehen kann weitergeben Teil unserer Aufgabe in Evangelisation und Apologetik ist es daher das Evangelium als das darzubieten was es wirklich ist innerhalb des Weltbildes der Menschen unserer Generation Nur dann werden Menschen die Anspruche und Forde-rungen die das Evangelium an sie stellt richtig houmlren38

Das wirkte sich im Leben Schaeffers praktisch so aus dass er in seiner Evan-gelisation und seiner Darbietung des christlichen Glaubens nicht mit bdquoNimm Jesus als Retter aufldquo begann Stattdes-sen pflegte er dort zu beginnen wo die Schrift beginnt Er fing mit der Lehre

von Gott an damit die Weltbildstruk-turen des christlichen Glaubens zu er-richten die in der Lehre von der Schoumlp-fung der Offenbarung und dem histo-rischen Sundenfall grunden und dann und wirklich erst dann ging er zur Erlouml-sung uber dazu die Menschen auf den Herrn Jesus Christus zu verweisen der allein ihre einzige Hoffnung ist39 Wa-rum Wie Paulus in Athen wusste er Wenn er nicht zuerst einen biblischen Bezugsrahmen d h ein Weltbild ent-wickelte wurde die Verkundigung des Evangeliums keinen Sinn ergeben und seine Zuhoumlrer wurden das Evangelium nicht als das houmlren was es wirklich ist in seinen eigenen Kategorien und in sei-nen eigenen Begriffen Schaeffer hatte wie Paulus das groszlige Anliegen dass das Evangelium nicht faumllschlich aufgegeben oder in einen anderen fremden Welt-bildrahmen umgedeutet werden wurde weil das nur zu einer Entstellung der Botschaft des Evangeliums fuhrt Um Jesus Christus nicht nur als einen wei-teren Gott oder Retter sondern als aus-schlieszliglichen Herrn Retter und Richter besonders in unserem pluralistischen postmodernen inklusiven Zeitalter dar-zubieten war es zwingend wie Schaef-fer sah ein biblisch-theologisches Rah-menwerk aufzubauen das in der Hand-lung der Schrift verwurzelt ist Er sah also dass es entscheidend war in einem Weltbild zu denken das in dem einen Gott der wirklich bdquoda istldquo verwurzelt und gegrundet ist In Wahrheit war das

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 237 8 6 uuml

wozu uns Schaeffer aufrief und was er in seinem eigenen Leben vorbildhaft dar-stellte das Treiben von Theologie Im weitesten Sinne ist es die Aufgabe der Theologie die ganze Schrift auf die Fra-gen des Lebens anzuwenden Sie muss innerhalb der Kategorien der Struk-turen und der Lehren der Schrift dem Handlungsablauf der Schrift folgen und ihn auf die Welt anwenden Sie muss aus dem Weltbild der Schrift heraus leben und dieses biblisch-theologische Rah-menwerk uber alle anderen Weltbilder stellen

Kurz gesagt muss sie neu lernen wie man bdquodie Gedanken Gottes ihm nach-denktldquo und bdquojeden Gedanken in den Gehorsam gegen Christus gefangen-nimmtldquo40 Das war Schaeffers Staumlrke und das ist eine andere entscheidende Lektion die wir von ihm lernen mussen Ich bin von Folgendem uberzeugt Die Tatsache dass Schaeffer staumlndig auf der Weltbildebene gedacht hat erklaumlrt wa-rum er so unerbittlich darauf bestand dass Evangelikale an gewissen Punkten der Lehre keine Kompromisse einge-hen durfen Weil er erkannte dass der christliche Glaube ein Weltbild war und dass seine Einzelteile als ein Gan-zes bdquozusammenhingenldquo war er sehr be-sorgt wenn evangelikale Gelehrte an einigen dieser scheinbar bdquounbedeuten-denldquo Punkten nagten So war es ihm zum Beispiel ein groszliges Anliegen dass Adam als eine historische Gestalt und

der Sundenfall als ein Ereignis in Raum und Zeit angesehen wurden und dass die ersten Kapitel des 1 Buches Mose nicht ihrer Geschichtlichkeit beraubt wurden Warum Weil er zu Recht sah dass wir die Bibel zu ihren eigenen Be-dingungen annehmen mussen dass wir diese entscheidenden Ausgangspunkte beibehalten mussen die die Bausteine fur den Rest der Geschichte sind

Denn sonst wurde nicht nur das Welt-bild des historischen Christentums zu-sammenbrechen sondern letzten Endes wurde der christliche Glaube selbst zu nicht mehr als einer weiteren Sache im bdquoObergeschossldquo werden fern von ver-nunftgemaumlszliger Begrundung von der Wahrheit und vom dem Gott der wirk-lich bdquoda istldquo41 Auf dem Spiel steht mit anderen Worten nicht nur ein Punkt der Lehre sondern der ganze Anspruch des Weltbildes und in Wirklichkeit das Evangelium Wenn wir von Schaeffer an diesem Punkt lernen wollen muss unser Denken Lehren Predigen und Leben viel mehr bdquoweltbildlichldquo sein In unse-rem Kampf heute geht es um ganze Sys-teme von Weltbildern Daher mussen wir in unserem Lehren und Predigen haumlrter daran arbeiten den Menschen zu zeigen wie die Teile der Schrift als ein schlussiges Ganzes zusammenhaumln-gen und wie diese Teile zur Bildung eines Weltbildes fuhren Es gilt aber noch mehr In unserer Evangelisation im Sprechen zu einer Kultur die zuneh-

mend mit fremden Weltbildern operiert und wenig uber den christlichen Glau-ben weiszlig mussen wir neu lernen das Evangelium innerhalb seines eigenen Weltbildes weiterzugeben indem wir mit dem Gott beginnen der bdquokeine Il-lusion istldquo

Die Zentralitaumlt der Lehre von Gott

Francis Schaeffer war ein wahrhaft gottzentrierter Mann Das galt nicht nur fur seine persoumlnliche Andacht und sein persoumlnliches Leben das galt auch in Bezug auf sein Denken42 Es ist auf-schlussreich dass schon die Titel seiner Bucher (z B bdquoGott ist keine Illusionldquo bdquoUnd er schweigt nichtldquo) die Tatsache illustrieren dass fur Schaeffer all die Antworten des Lebens Sinn Moral Bedeutung und Werte in dem persoumln-lich-unendlichen dreieinigen Gott der Schrift verwurzelt und gegrundet sind Interessanterweise gibt es ein logisches Fortschreiten in diesen Lektionen Sie sind nicht willkurlich oder planlos Was ist mit der westlichen Kultur geschehen Laut Schaeffer hat sich der moderne Mensch von dem Gott der Schrift ab-gewandt Weil er das tat hatten die fremden Weltbilder die wir in unserer postmodernen Kultur um uns herum sehen gewisse Folgen Was ist dann die Loumlsung fur unser Problem Wohin

sollen wir uns wenden um die Dichoto-mien in unserem Geistesleben die Ent-fremdung in unserem persoumlnlichen Le-ben und die Unpersoumlnlichkeit in unserer Gesellschaft zu uberwinden Zuruck zu dem dreieinigen Gott der Schrift Denn es ist nur er der persoumlnlich-unendliche Gott der der Schoumlpfer Erhalter und der vorhersehende Herr ist der Gott der spricht bei dem wir die Antworten auf die Fragen des Lebens finden koumlnnen In ihm allein gibt es intellektuelle Ant-worten weil er die Quelle der Wahrheit und der Maszligstab fur sie ist

Aber auch Vergebung Heilung Rechtfertigung und Erloumlsung gibt es nur in ihm Fur Schaeffer ist Gott nicht nur die transzendentale Notwendigkeit fur Sinn Wahrheit und Werte Er ist auch unser Teil Er ist der Gott der kei-ne Illusion ist der erkannt geliebt und angebetet werden kann

Genau an diesem Punkt mussen wir von Schaeffer lernen Erstens mussen wir neu lernen wie zentral die Lehre von Gott fur unser christliches Weltbild ist Wir mussen das besonders deshalb lernen weil wir in einer Zeit des religi-oumlsen Pluralismus leben in der das Wort bdquoGottldquo im Wesentlichen bedeutungs-los und inhaltslos geworden ist Wir mussen den Mut haben aufzustehen und den einen Gott und keinen ande-ren zu verkunden Wir brauchen sogar in der evangelikalen Welt Mut in der zurzeit eine Debatte uber die Lehre von

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

24 7 8 6 uuml

Gott tobt um zu sagen dass nicht alle Vorstellungen von Gott gleich sind43 Es ist nur der Gott der Schrift wie er im historischen Christentum dargeboten wird der keine Illusion ist

Zweitens jedoch mussen wir neu ler-nen dass unsere Lehre von Gott nicht nur theoretisch sein darf Dieser Gott muss auch unser Teil sein Er muss der eine sein der unser Denken und unser Leben in Beschlag nimmt In unserem Lehren Predigen und Leben muss der Gott der Schrift unsere Leidenschaft und unsere Freude sein

Die Notwendigkeit biblischer Autoritaumlt und Irrtumslosigkeit

Wahrscheinlich haben nur wenige Evangelikale leidenschaftlicher uber Irrtumslosigkeit die Autoritaumlt der Bi-bel und die Lehre von der Inspiration gesprochen als Francis Schaeffer Er hat nicht nur bei der Bildung des bdquoInternati-onalen Rates fur Biblische Irrtumslosig-keitldquo mitgewirkt sondern auch daruber gelehrt gepredigt und geschrieben wie sehr die Autoritaumlt der Bibel eine Frage mit Wasserscheiden-Charakter ist Er hatte keine Zeit fur Evangelikale die nur Lippenbekenntnisse zur Autoritaumlt der Bibel ablegten und gleichzeitig das neu definierten was Irrtumslosigkeit historisch gesehen fur die Kirche be-

deutete und sie dabei durch hermeneu-tische Fragestellungen vernebelten oder die Anspruche der Bibel bezuglich ih-rer selbst unterhoumlhlten Die interessante Frage die sich jetzt stellt ist Warum Warum war Schaeffer die Autoritaumlt der Bibel ein solches Anliegen

Die Antwort sollte uns nicht uberraschen Sie war ihm darum ein solches Anliegen weil die Lehre von der Schrift so grundlegend fur das christli-che Weltbild und den Gott der Schrift ist Fur Schaeffer ist es der Gott der Bi-bel ndash der persoumlnliche unendliche drei-einige Gott ndash der die transzendentale Notwendigkeit fur Sinn Bedeutung Werte und Wahrheit ist Wir lernen diesen Gott nicht nur kennen weil er da ist sondern auch weil er zu uns ge-sprochen hat ndash er schweigt nicht Und weil Gott so ist wie die Schrift ihn zeigt ndash der Schoumlpfer Erhalter und Herr des Universums ndash haben wir intellektuell kein Problem damit zu bekraumlftigen dass Gott absolut dazu in der Lage ist sich uns selbst zu offenbaren und zu garan-tieren dass das was die irdischen Ver-fasser der Schrift freimutig schreiben genau dem entspricht was er geschrie-ben haben wollte Auszligerdem scheint das der Anspruch der Schrift bezuglich ihrer selbst zu sein44 So ist die Autoritaumlt der Bibel exegetisch theologisch und phi-losophisch sinnvoll Sie ist intellektuell glaubhaft ein wesentlicher Bestandteil der gesamten Weltbildstruktur Und

sie ist theologisch notwendig wenn wir Wahrheit haben und theologische Leh-ren begrunden wollen45 Ohne eine hohe Meinung von der Schrift verleugnen wir was die Schrift uber sich selbst sagt und unterhoumlhlen die Grundlage auf der wir Theologie treiben und die Grundfra-gen des Lebens beantworten koumlnnen46 Das ist der Grund warum Schaeffer zunehmend mehr uber Evangelikale be-unruhigt war die von einer hohen Mei-nung uber die Schrift abruckten oder sie unterhoumlhlten Sein letztes Buch das er buchstaumlblich auf seinem Sterbebett geschrieben hat versuchte die evange-likale Gemeinde aufgrund einiger der gerade dargelegten Grunde vor Kom-promissen bezuglich der biblischen Au-toritaumlt zu warnen Er schreibt

Die Evangelikalen sehen sich in unseren Tagen einer Wasserscheide gegenuber die die Natur der biblischen Inspiration und Autoritaumlt betrifft hellip Innerhalb der evangelikalen Welt gibt es eine Anzahl von Menschen die ihre Ansichten uber die Unfehlbarkeit der Bibel abaumlndern so dass die unumschraumlnkte Autoritaumlt der Bibel vollstaumlndig untergraben wird Aber dies geschieht in einer sehr spitzfin-digen Art und Weise Wie der Schnee der Seite an Seite auf der Gebirgskette liegt scheinen die neuen Ansichten uber die Autoritaumlt der Bibel oft nicht so sehr weit von dem entfernt zu sein was die Evangelikalen bis vor kurzem immer noch glaubten Aber ebenso wie der

Schnee der Seite an Seite auf dem Ge-birgskamm liegt enden die neuen An-sichten schlieszliglich wenn man sie kon-sequent verfolgt Tausende von Meilen von den alten entfernt

Was auf den ersten Blick nur ein klei-ner Unterschied zu sein scheint wird zuletzt zu einem sehr bedeutenden Unterschied Es macht wie wir wohl erwarten werden einen groszligen Unter-schied aus was die Theologie die Lehre und die geistlichen Fragen angeht aber es entscheidet auch grundsaumltzlich uber die alltaumlglichen Dinge im Leben eines Christen und uber die Art wie wir uns als Christen unserer Umwelt gegenuber zu verhalten haben Mit an-deren Worten wenn wir in bezug auf die unumschraumlnkte Autoritaumlt der Bibel einen Kompromiss eingehen dann wird dies mit der Zeit einen Einfluss darauf haben was es im theologischen Sinne heiszligt ein Christ zu sein und dieser Kompromiss wird auch Auswirkungen darauf haben wie wir in dem gesamten Spektrum des menschlichen Lebens un-ser Leben fuhren47

Es sollte uns nicht uberraschen dass verschiedene Evangelikale Schaeffers Darstellung als bdquoEntweder-Oderldquo nicht akzeptiert haben Scott Burson und Jerry Walls denken zum Beispiel dass er seine Sache ubertrieben habe Sie fragen ob Irrtumslosigkeit wirklich fur die Evangelikalen die Frage mit Wasserscheiden-Charakter ist und sie

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 257 8 6 uuml

antworten negativ48 Sie vertreten die Auffassung dass Gott sich weniger um den genauen Wortlaut der Schrift gekummert habe und mehr um die bdquoVerlaumlsslichkeit im Wesentlichen ihrer Gesamtbotschaftldquo49 Sie haben Probleme mit zwei Praumlmissen der Schaefferschen Argumentation (1) Dass die Bibel bis in die einzelnen Woumlrter hinein genau das enthaumllt was Gott sich wunscht (2) dass Gott praumlzise kontrollieren kann was menschliche Verfasser schreiben ohne ihre Freiheit wegzunehmen Die-se Praumlmissen scheinen einen impliziten Determinismus einzuschlieszligen ver-bunden mit einer kompatibilistischen Sicht von der menschlichen Freiheit50 Hinter dieser Kritik lauert die implizite Annahme einer libertarianischen Sicht von menschlicher Freiheit die das Ver-staumlndnis einer Begrenzung der souverauml-nen Kontrolle Gottes uber die Welt mit sich bringt51

Wichtig an dieser Beobachtung ist dass Burson und Walls zu Recht feststellen dass Schaeffers hohe Meinung von der Schrift und seine Verteidigung der Irr-tumslosigkeit ein gewisses Konzept von der Souveraumlnitaumlt Gottes und seiner Be-ziehung zu seinen Geschoumlpfen beson-ders zu den Verfassern der Schrift erfor-dert Schaeffer wurde als einer der eine festen Standpunkt von der goumlttlichen Souveraumlnitaumlt und der Herrschaft und Regierung Gottes in dieser Welt vertrat daruber nicht uberrascht sein Weil er

von einer reformatorischen Theologie her argumentierte hatte er anerkannt dass die Lehre von der Irrtumslosigkeit eng verbunden ist mit unserer Sicht von Gott Wie wir oben bemerkt ha-ben als wir die Gottzentriertheit von Schaeffers Denken kommentierten war die Lehre von Gott der entscheidende Ausgangspunkt bei seinem Verstaumlndnis und seiner Verteidigung des christli-chen Glaubens Fur ihn war nicht ein-fach irgendein Gott gut genug Es war nur der persoumlnlich-unbegrenzte (d h souveraumlne) dreieinige Gott der Schrift der allein die Grundlage fur Wahrheit und Wissen ist und der allein wenn er es so erwaumlhlt sich selbst in einer Wei-se die gaumlnzlich verlaumlsslich wahr und vertrauenswurdig ist offenbaren kann52 Was jedoch Schaeffer gestoumlrt haumltte ist die Schwaumlchung der unbegrenzten oder souveraumlnen Natur Gottes die jetzt in einigen Bereichen der evangelikalen Be-wegung vertreten wird53 Gestoumlrt haumltte ihn dieser Trend weil er von ganzem Herzen der scharfsinnigen Beobach-tung J I Packers zugestimmt haumltte

Die gewoumlhnliche Apologetik fur die Au-toritaumlt der Bibel ist an einer zu engen Front taumltig Wie wir gesehen haben ist Glauben an den Gott der reformatori-schen Theologie die noumltige Denkvoraus-setzung des Glaubens an die Schrift als bdquogeschriebenes Wort Gottesldquo Und ohne diesen Glauben verliert das bdquosola scrip-turaldquo als das von Gott gelehrte Prinzip

der Autoritaumlt mehr oder weniger seine Bedeutung hellip wir durfen niemals die Tatsache aus dem Blick verlieren dass unsere Lehre von Gott entscheidend fur unser Konzept von der Schrift ist und dass es in unserer Kontroverse mit einem groszligen Teil der modernen Theologie ge-rade hier ist wo man sich der entschei-denden Schlacht stellen muss und we-niger in Beziehung zum Phaumlnomen der Schrift54

Zweifellos koumlnnte und musste viel mehr uber Schaeffers Darstellung und Verteidigung der Lehre von der Irr-tumslosigkeit gesagt werden55 Aber es soll genugen zu sagen dass fur ihn die Autoritaumlt der Bibel eine Frage von gigantischen Ausmaszligen mit Wasser-scheiden-Charakter war Das war eine Frage die eng mit seiner umfassenden Verteidigung des christlichen Welt-bildes verknupft war Er glaubte dass ohne sie das christliche Weltbild sich aufzuloumlsen beginnen wurde ausgehend von der Lehre von Gott56 Und darin so bin ich uberzeugt hatte er Recht Wir mussen heute neu lernen dass die Lehre von der Irrtumslosigkeit der Schrift fur Evangelikale nicht nur eine von mehre-ren Alternativen ist Sie ist ein wesentli-cher Bestandteil dessen was christlicher Glaube ist Das abzuschwaumlchen bedeu-tet das Ganze zu unterhoumlhlen

Lehren die wir aus dem Leben Francis Schaeffers ziehen

Am Ende seines Lebens schrieb Schaef-fer die folgenden Worte

bdquoWorauf kommt es wirklich anldquo Was ist es das fur mein Leben und fur Ihr Leben so wichtig ist daszlig es die Priori-taumlten fur alles bestimmt was wir tun Unserem Herrn Jesus wurde ebendiese Frage gestellt und er antwortete bdquoDu sollst den Herrn deinen Gott lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand Dies ist das erste Ge-bot Das zweite aber ist ihm gleich Du sollst deinen Naumlchsten lieben wie dich selbst An diesen zwei Geboten haumlngt das ganze Gesetz und die Propheten (Matthaumlus 2237ndash40)ldquo

Hier wird gesagt worauf es wirklich ankommt ndash den Herrn unseren Gott zu lieben seinen Sohn zu lieben und ihn als unseren Erloumlser persoumlnlich an-genommen zu haben Und wenn wir ihn lieben dann tun wir das was ihm gefaumlllt es bedeutet ebenfalls sein Wesen der Heiligkeit und Liebe in unserem Leben Gestalt annehmen zu lassen seiner Wahrheit treu zu bleiben jeden Tag mit dem lebendigen Christus zu leben ein Leben des Gebets zu fuhren Die andere Haumllfte dessen worauf es wirklich ankommt besteht darin un-seren Naumlchsten zu lieben Beides gehoumlrt

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

26 7 8 6 uuml

zusammen es kann nicht voneinander getrennt werden hellip Und wenn wir un-seren Naumlchsten so lieben wie Christus das moumlchte dann moumlchten wir unserem Naumlchsten sicherlich das Evangelium weitersagen daruber hinaus werden wir den Wunsch haben Gottes Liebe in allen unseren Beziehungen zu unserem Naumlchsten durchscheinen zu lassen

Aber hier houmlrt es nicht auf Evangeli-sation ist vorrangig aber sie stellt nicht die Grenze unserer Arbeit dar und kann in der Tat nicht vom Rest des christ-lichen Lebens getrennt werden Wir mussen zuerst anerkennen und dann nach der Tatsache handeln dass Chris-tus wenn er unser Erloumlser ist auch Herr in allen Lebensbereichen ist Er ist un-ser Herr nicht nur in religioumlsen Dingen oder in kulturellen Bereichen wie den bildenden Kunsten und der Musik son-dern auch Herr unseres intellektuellen Lebens unseres Geschaumlftslebens unserer Beziehung zur Gesellschaft und unserer Haltung zum moralischen Zusammen-bruch unserer Kultur hellip Christus die Herrschaft uber unser Leben zu geben bedeutet dass wir uns ganz direkt und praktisch gegen den Zeitgeist stellen der unsere Welt regiert der sich fort-waumlhrend ausbreitet und den Anspruch erhebt autonom zu sein indem er auf seinem Weg alles zerstoumlrt was uns lieb und teuer ist57

In diesem Zitat erhaschen wir einen Blick auf einen Teil vom Leben Francis

Schaeffers und auf Lehren die wir aus diesem Leben ziehen koumlnnen Zweifellos ist es wahr dass Schaeffer nicht vollkom-men war das ist niemand Wir sehen jedoch in seinem Leben eine Person mit Integritaumlt einen Mann der versuchte das zu leben und dem entsprechend zu handeln was er glaubte und lehrte Ins-besondere strebte er danach den Herrn und seinen Naumlchsten zu lieben und da-durch sein Leben bestaumlndig sowohl im Denken als auch im Handeln unter die Herrschaft Jesu Christi zu bringen Wir wollen der Reihe nach diese Gebiete be-trachten

Liebe den Herrn deinen Gott

Wie oben festgestellt war Schaeffer ein Mann fur den Gott im Zentrum stand Das war nicht nur wahr in Be-zug auf sein Denken sondern auch fur sein Leben Ob man nun seine Werke liest oder seine Bandaufzeichnungen houmlrt eine tiefe Hingabe an den Herrn ist ganz offenkundig Hier ist einer der nicht nur uber Gott redet sondern der ihn tief kennt Selbst der Anfang von LrsquoAbri wurde in einer geistlichen Krise geboren bei der es darum ging Gott auf eine tiefere Art kennenzulernen Schaeffer erzaumlhlt in bdquoGeistliches Leben ndash Was ist dasldquo noch einmal wie er sich selbst 1951ndash1952 in einer geistli-chen Krise befand und wie aus dieser Krise heraus LrsquoAbri geboren wurde Er

entdeckte waumlhrend dieser Zeit was es bedeutete sich in unserem gegenwaumlrti-gen Leben und in der staumlndigen Abhaumln-gigkeit vom Geist Gottes im Gebet auf das vollbrachte Werk Christi zu verlas-sen Und das war fur ihn keine bloszlige Rhetorik LrsquoAbri selbst war im Gebet verwurzelt und gegrundet ein sichtba-res Zeugnis fur die Existenz Kraft und Gnade Gottes58

Wir sehen in Schaeffer auch einen Mann der danach strebte gleichzei-tig die Heiligkeit Gottes und die Liebe Gottes darzustellen wenn das auch auf unvollkommene Weise geschah Er war im Denken und Leben ein Mann des Mutes und des Mitgefuhls Er sprach viel uber die Notwendigkeit von bdquoliebe-voller Konfrontationldquo und er zeigte das in seinem Leben Harold O J Brown berichtet zum Beispiel von wenigstens drei Bereichen in denen Schaeffer ent-gegen der aktuellen Stroumlmung Stellung bezog und zwar weitgehend aufgrund des Verlangens den Herrn zu ehren von ganzem Herzen mit ganzer Seele mit ganzem Verstand und aller Kraft

Erstens stellte er sich gegen die Theo-logie Karl Barths Wie oben bemerkt bekehrte sich Schaeffer in den 1930er Jahren und erhielt damals auch seine theologische Ausbildung Zu jener Zeit war evangelikale Theologie aus einer Vielzahl von Grunden die weitgehend aus den fundamentalistisch-modernis-tischen Kontroversen jener Zeit stamm-

ten fast nicht existent Nach dem Zwei-ten Weltkrieg erfreute sich die evangeli-kale Bewegung jedoch unter Gelehrten wie F F Bruce und Carl F H Henry sowie unter dem evangelistischen Dienst von Billy Graham einer Wiedergeburt

Brown berichtet dass Schaeffer ein Teil dieser Bewegung sein und einen Status der Beruhmtheit haumltte erlangen koumlnnen er entdeckte jedoch Maumlngel und Kompromisse die ernst genug wa-ren den Evangelikalismus als Bewegung zu untergraben Was sah er Er sah den wachsenden Einfluss der Neoorthodoxie auf die evangelikale Theologie Attrak-tiv an Barth war dass er ebenso wie die Evangelikalen viele von Akademikern aufgestellte liberale Thesen kritisierte Dadurch fuhlten sich manche Evange-likale zu den orthodoxen Elementen in Barths Theologie hingezogen nahmen aber nur langsam die negativen Punkte wahr Schaeffer bemerkte aber nicht nur dass Barths Einfluss in Europa zuzuneh-men begann sondern auch dass Barths Theologie wenn sie angenommen wurde die evangelikale Theologie un-tergraben wurde59 Wo lag Barth schief Schaeffer vertrat die Auffassung dass Barth eine unangemessene Sicht von der Autoritaumlt der Bibel hatte Er gestand die theoretische Moumlglichkeit von Fehlern in der Schrift zu und untergrub dadurch die Grundlagen evangelikaler Theolo-gie Barths Kritik am Liberalismus war hilfreich Seine Glaubensgrundlagen

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 277 8 6 uuml

waren aber wackelig und genau darauf wies Schaeffer hin Schaeffer sah wahr-scheinlich klarer als irgendjemand an-deres dass man Barths Theologie besser nicht ubernehmen sollte60 Brown fasst das auf diese Weise zusammen

Ohne Zweifel war Barth antiliberal und bekraumlftigte die zentralen Lehren des christlichen Glaubens Sein Versagen darin die Unfehlbarkeit der Bibel und die Historizitaumlt der Evangelienberichte geltend zu machen bedeutete jedoch dass seine Bekraumlftigungen auf seiner charismatischen Autoritaumlt und nicht auf der Schrift beruhten Aufgrund seines Versagens darin die Grundlagen der biblischen Autoritaumlt die von Generati-onen zerstoumlrerischer Kritik untergraben worden waren abzustutzen war Barth nicht in der Lage eine zweite Genera-tion von protestantischen Theologen in dem Glauben den er selbst lehrte zu begrunden sein groumlszligter Einfluss bleibt der unter Evangelikalen und Konserva-tiven die schon wissen was sie glauben Zweifellos sind Barths Bekraumlftigungen ermutigend aber seine Grundlagen sind unzureichend und es waumlre gefaumlhr-lich ihn als einen theologischen Fuhrer zu waumlhlen Es ist bemerkenswert dass Schaeffer das vor drei Jahrzehnten ent-deckte waumlhrend einige evangelikale Leiter heute Barth als Antwort auf den modernen Unglauben bdquoentdeckenldquo61

Zweitens und das war wahrscheinlich fur manche Evangelikale sogar stoumlren-

der als sein Standpunkt gegen Barth schaffte es Schaeffer nicht die evange-listischen Methoden Billy Grahams von ganzem Herzen zu begrussen Das lag nicht daran dass Schaeffer etwa gegen Evangelisation war oder dass Graham nicht genugend klar fur die Autoritaumlt der Bibel eintrat Er hatte vielmehr zweifache Bedenken Zum einen war es fur Schaeffer alarmierend dass Gra-ham nicht genugend zwischen denen unterschied die am historischen Chris-tentum festhielten und denen die sich zum Liberalismus oder der roumlmisch-katholischen Theologie hielten und zu schnell mit ihnen zusammenarbeitete62 Zum Zweiten hatte er die Sorge dass Grahams Evangelisation nicht die gan-ze Person beruhrte d h dass sie dazu neigte lediglich zu einer emotionalen Entscheidung aufzurufen ndash einer Erfah-rung des bdquoObergeschossesldquo ndash die letzten Endes nur Pseudobekehrte produzieren wurde63 Wie Brown feststellt wurde Schaeffers Kritik am Ansatz Grahams nicht der weiten Oumlffentlichkeit darge-boten sie wurde jedoch bald bekannt Er wurde von manchen Leitern in der evangelikalen Bewegung wie etwa Carl Henry und Harold Lindsell kritisiert und von anderen als zu separatistisch abgeschrieben64 Schaeffer aber erkann-te etwas was zu viele nicht zu sehen vermochten Was nutzt bdquoErfolgldquo in der Evangelisation wenn sie nicht wahre Be-kehrte hervorbringt Besonders in dieser

Zeit mit den massiven Verschiebungen die in der Gesellschaft stattgefunden haben muss die evangelikale Bewe-gung zu bdquosoliden Grundlagen und zu guten Gefuhlenldquo aufrufen65 Wie Brown scharfsinnig beobachtet hat der Evan-gelikalismus in jenen fruhen Jahren nur deshalb ein Gefuhl der Staumlrke und Stabilitaumlt erlangt weil bdquoviele von Gra-hams Bekehrten spaumlter durch die Schule des disziplinierten Denkens Schaeffers gingenldquo66 Drittens gab es sein mutiges Eintreten fur die Rechte der Ungebo-renen Es ist wichtig zu erkennen dass Schaeffers sozialer Aktivismus nicht unabhaumlngig von seiner Verteidigung der Wahrheit und des Evangeliums war Wie schon oben festgestellt war die Roe gegen Wade-Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA im Jahr 1973 ein Pulverfass fur Schaeffer Sie war ein alarmierender Beweis dafur dass die Ideen der Aufklaumlrung began-nen praktische Auswirkungen darauf zu haben wie Menschen sich gegensei-tig sahen Schaeffer hatte bereits eine geraume Zeit lang vorausgesagt dass bei dem Verlust der christlichen Sicht von Realitaumlt im Westen eine der mas-sivsten Folgewirkungen der Verlust der Achtung vor dem menschlichen Leben sein werde Und genau das symbolisierte Roe gegen Wade fur Schaeffer Wenn er also mit herzlich wenigen anderen dieses Problem auf die Straszlige trug dann tat er das aus einem tiefen Emp-

finden der Liebe zu Gott und zu seinem Wort und ebenso aus Liebe zu seinem Naumlchsten Wahrheit erfordert Handeln Anfaumlnglich begruszligten aber nicht alle Evangelikale besonders nicht solche in Leitungspositionen Schaeffers Stand-punkt Wie Brown bemerkt wurde er mit der Veroumlffentlichung von bdquoA Chris-tian Manifestoldquo zum ersten Mal als ein politisch Konservativer gebrandmarkt Und das brachte ihm Angriffe von ei-ner wachsenden Zahl politisch liberaler Evangelikaler ein67 Brown stellt fest

Schaeffers zunehmend unverblumtes Engagement fur speziell konservative Anliegen in den letzten zwei Jahren sei-nes Lebens stoumlrte die Evangelikalen die ihm nicht zustimmten weil sie seinen Einfluszlig in der allgemeinen christlichen Oumlffentlichkeit erkannten Zusaumltzlich veraumlrgerte es andere die ihm im All-gemeinen zustimmten weil sie Streit vermeiden und ihre eigene Akzeptanz in der allgemeinen Oumlffentlichkeit nicht gefaumlhrden wollten Als Folge davon be-fand sich Schaeffer am Ende seines Le-bens noch einmal in der Position die er in den 1960er Jahren eingenommen hatte bevor sein Name zum Gemeingut wurde der Stimme eines Rufers in der Wuste68

Hier koumlnnen wir wieder von Schaeffer ler-nen Auch wenn es ihn einen hohen Preis kostete stand er fur die Sache von Wahr-heit und Leben ein Sein praktisches so-ziales Handeln war nicht getrennt von

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

28 7 8 6 uuml

seinen Glaubensuberzeugungen und seiner Liebe zum Herrn vielmehr floss das eine aus dem anderen In einer Zeit wo es so leicht ist inmitten von Druck Kompromisse zu schlieszligen und einzu-knicken wenn das Laufen schwierig wird ist Schaeffer ein Vorbild Er war wie die Alten der Vergangenheit bereit Gott mit seinem ganzen Sein zu lie-ben in den Schwierigkeiten des Lebens Charakter zu zeigen und der Wahrheit Gottes gehorsam zu sein

Liebe deinen Naumlchsten wie dich selbst

Wie Schaeffer in dem obigen Zitat fest-stellt sind die Liebe zu Gott und die Liebe zum Naumlchsten eng ineinander verflochten

bdquoWenn wir unseren Naumlchsten lieben wie Christus will dass wir unseren Naumlchsten lieben dann werden wir mit Sicherheit auch das Evangelium unse-rem Naumlchsten weitergeben wollen und daruber hinaus werden wir das Gesetz Gottes in all unseren Beziehungen mit unserem Naumlchsten darstellen wollenldquo69

Naturlich wird niemand der diesseits der Vollendung lebt jemals dieses Ide-al erreichen In Francis (und in Edith) Schaeffer sehen wir jedoch einen Men-schen der wenigstens versuchte vor-bildhaft fur uns etwas von dem zu le-ben wonach wir streben Wir sehen dies besonders in drei Bereichen

Zum Ersten zeigte Schaeffer seine Liebe zum Naumlchsten darin dass er versuchte ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen zu geben In seiner Broschure bdquoTwo Con-tents Two Realitiesldquo behauptet Schaef-fer dass es vier Dinge gebe die absolut notwendig sind wenn Christen sich den Herausforderungen unserer Zeit stellen wollen (1) Gesunde Lehre (2) Ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen (3) Wah-re Geistlichkeit und (4) die Schoumlnheit menschlicher Beziehungen In der Be-sprechung von (1) und (2) betont er die Notwendigkeit in Bezug auf gesunde Lehre keine Kompromisse zu schlieszligen aber gleichzeitig Zeit mit Menschen zu verbringen und zu versuchen ihre Fragen zu beantworten Er beklagt die Haltung mancher in der Kirche die den Eindruck vermitteln dass wir keine Fragen stellen durfen und nur glauben mussen Das so sagt er ist immer falsch Es ist falsch weil es Menschen nicht als ganzheitliche Personen ansieht die sowohl intellektu-elle als auch geistliche Antworten brau-chen70 Es ist besonders falsch in einer Zeit die nicht an die Wahrheit glaubt zu sagen dass wir die Wahrheit haben sich dann aber nicht die Zeit zu neh-men wirkliche und schwierige Fragen zu beantworten Das beansprucht naturlich nicht nur eine Menge an Zeit und Bemuhung es erfordert auch Mitgefuhl Menschen dort zu treffen wo sie sind Fragen zu beantworten ist harte Arbeit Schaeffer sagt das so

Als Christen mussen wir genug Liebe und Mitgefuhl aufbringen um auf die Fragen unserer Zeitgenossen zu houmlren Zu viele von uns werden von dem fal-schen Ehrgeiz geplagt alle Fragen spon-tan zu beantworten ndash als koumlnne man ei-nen Trichter ans Ohr setzen alle Daten und Fakten einfuttern und dann loszie-hen und alle Diskussionen gewinnen So geht es aber nicht

Fragen zu beantworten ist harte Ar-beit Koumlnnen Sie alle Fragen beantwor-ten Nein aber Sie mussen sich darum bemuhen Houmlren Sie zunaumlchst einmal mit Anteilnahme zu welche Fragen Ihr Gegenuber bewegen und versuchen Sie dann Antworten zu geben Wissen Sie keine Antwort dann machen Sie sich auf die Suche Lesen Sie und uberlegen Sie so lange bis Sie moumlgliche Antworten gefunden haben

Nicht jeder ist berufen die Fragen von Intellektuellen zu beantworten Aber ob wir mit Akademikern oder mit Dockarbeitern sprechen die Aufgabe ist immer dieselbe Waumlhrend meines zwei-ten Pfarramtes gehoumlrten viele Hafenar-beiter zu meiner Gemeinde und seither weiszlig ich dass sie dieselben grundlegen-den Fragen haben wenn sie sie auch anders formulieren

Antworten sind nicht Erloumlsung Dazu kommt das Wirken des Heiligen Geistes Dennoch sind wir dafur verantwortlich ndash und darum geht es mir in diesem Zu-sammenhang ndash genug Mitgefuhl auf-

zubringen um zu beten und die harte Arbeit zu tun die notwendig ist um die aufrichtigen Fragen zu beantworten71

Das waren fur Schaeffer nicht nur leere Worte sie spiegelten sein Leben wider72 Fur unzaumlhlbare Menschen die nach LrsquoAbri kamen versuchte Schaeffer das in die Tat umzusetzen was er lehrte Staumlndig ist eine der Klagen die ich von Studenten am Seminar houmlre dass Pro-fessoren und sogar Pastoren keine Zeit fur sie haben Sie haben ehrliche Fragen die Zeit und Aufmerksamkeit erfordern aber oft sind wir zu beschaumlftigt um zu helfen Wie Schaeffer uns erinnerte sind wir jedoch berufen unseren Naumlchs-ten zu lieben Fur christliche Leiter Pastoren und Lehrer ist sicherlich ein Weg auf dem sich das zeigen muss die verbrachte Zeit die erwiesene Fursorge und die gegebenen ehrlichen Antwor-ten an echte Menschen die in einem postmodernen Zeitalter nicht weniger als dies verdienen

Eine zweite Art wie die Schaeffers ihre Liebe zu anderen zeigten geschah durch Gastfreundschaft In LrsquoAbri oumlffneten sie ihr Haus fur einzelne Menschen und das war sicher nicht einfach Als Schaef-fer spaumlter daruber nachdenkt stellt er fest dass bdquoungefaumlhr in den ersten drei Jahren von LrsquoAbri alle unsere Hochzeits-geschenke vernichtet wurden Unsere Laken wurden zerrissen Loumlcher wurden in unsere Teppiche gebrannt Einmal waumlre fast ein ganzer Vorhang verbrannt

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 297 8 6 uuml

weil jemand in unserem Wohnzimmer geraucht hatte hellip Drogen kamen in unser Haus Leute erbrachen sich in un-seren Raumlumenldquo73 Ich will damit nicht sagen dass jeder das tun muss was die Schaeffers taten Wir sehen jedoch in ih-rem Leben zwei Menschen die das Ge-bot ernst nahmen sowohl Gott als auch den Naumlchsten zu lieben Eine Geschich-te nach der anderen in LrsquoAbri dreht sich darum wie diese sichtbare Liebe entscheidend dafur war Menschen zu Christus zu bringen74 Evangelisation darf nicht davon getrennt werden wie wir den ganzen Menschen mit unseren Worten und unseren Taten behandeln

Zum Dritten strebte Schaeffers Le-ben danach ein wundervolles Gleich-gewicht zwischen Wahrheit und Lie-be darzustellen Er stand fest fur das Evangelium aber waumlhrend er das tat strebte er danach die Menschen denen er diente in Beziehungen von Mensch zu Mensch zu lieben und zu verstehen Brown vergleicht Francis Schaeffer mit Athanasius einem anderen Vorbild aus der Vergangenheit der wusste was es heiszligt fur die Wahrheit einzutreten Brown erzaumlhlt wie Schaeffer versuchte das Gleichgewicht zwischen Wahrheit und Liebe zu halten Er stellt fest

Wie Athanasius nahm Schaeffer ndash besonders in seinen letzten Jahren ndash Standpunkte ein die manche als unmaumlszligig und unflexibel bezeichnen wurden Wir wissen nicht wirklich wie

Athanasius mit Menschen auf einer per-soumlnlichen Ebene umging Es ist moumlglich dass er mit Einzelnen so streng war wie er es mit ihrer Theologie war In Schaeffers Fall wissen wir jedoch dass die Haumlrte seiner Uumlberzeugungen in Be-ziehungen von Mensch zu Mensch wie auch in der oumlffentlichen Debatte immer durch Liebe und Verstaumlndnis gemildert wurde Er behandelte die mit denen er zutiefst uneins war bestaumlndig mit Rucksicht und Liebe Francis Schaeffer hielt nicht nur die Stellung fur biblische Orthodoxie in seiner Generation wie Athanasius das getan hatte Vielleicht noch wichtiger ist dass Schaeffer der naumlchsten Generation nicht nur zeigte dass sie Stellung beziehen muss sondern wo sie sie beziehen muss und wie sie das tun kann naumlmlich in den Worten des Paulus bdquodie Liebe in Wahrheit zu re-denldquo (Eph 415) Er hat uns gezeigt dass bdquocontra mundumldquo (dt bdquogegen die Weltldquo) einzutreten ein wesentlicher Teil davon ist bdquopro Christoldquo (dt bdquofur Christusldquo) zu seinldquo75

Hier ist eine weitere Lehre die wir zie-hen mussen besonders wir die wir als Leiter in der Kirche dienen Jede Gene-ration muss fur die Wahrheit eintreten aber wir mussen das in Liebe tun Heute houmlren wir viel uber die Liebe eine harte und kompromisslose Stellungnahme fur die Wahrheit wird daruber oft vernach-laumlssigt In einer Zeit die es dringend nouml-tig hat die Wahrheit zu houmlren koumlnnen

wir an diesem Punkt nicht schwanken Wir durfen jedoch auch nicht ins ande-re Extrem fallen Sowohl Wahrheit als auch Liebe sind notwendig Und Francis Schaeffer ist an diesem Punkt ein hilf-reiches Vorbild Ein Mann mit Uumlber-zeugungen verwurzelt und gegrundet in Gottes Wort ein Mann der aus ers-ter Hand wusste was bdquoliebevolle Kon-frontationldquo bedeutet ein Mann der da-nach strebte den Herrn seinen Gott zu lieben und seinen Naumlchsten wie sich selbst und im Denken und Handeln die Herrschaft Jesu uber sein gesamtes Leben darzustellen Moumlgen wir lernen das gleiche zu tun

Letztendlich war Francis Schaeffer ein gefallener unvollkommener Mann gerettet durch die Gnade Gottes Er machte wie wir alle viele Fehler Aber er war eine einzigartige Einzelperson von Gott begabt fur seine Generation Er sagte oft dass Gott nicht jemanden mit auszligergewoumlhnlichen Gaben gebrau-chen muss Gott kann stattdessen einen toten Holzstock in der Hand des Mose gebrauchen wenn er das will In einer sehr denkwurdigen Predigt sagte er das so

Obwohl wir begrenzt und schwach an Begabung koumlrperlicher Energie und psychischer Staumlrke sind sind wir nicht weniger als ein Holzstock Aber wie der Stab des Mose der Stab Gottes werden musste muss das was ich bin zum ich Gottes werden Dann kann ich nutzlich

werden in den Haumlnden Gottes Die Schrift betont dass viel von wenig kom-men kann wenn das Wenige wahrhaft Gott geweiht ist Im wahren geistlichen Sinn gibt es keine kleinen Leute und groszlige Leute sondern nur geweihte und nicht geweihte Leute Das Problem fur jeden von uns ist es die Wahrheit auf uns selbst anzuwenden hellip Wer sich selbst fur eine kleine Person an einem kleinen Ort haumllt kann wenn er sich Christus hingibt und in seinem gesam-ten Leben unter Seiner Herrschaft lebt durch Gottes Gnade den Fluss unserer Generation aumlndern Und wenn wir aumllter werden und wissen wie schwach wir sind und dann zuruckschauen und sehen dass wir irgendwie von Gott ge-braucht wurden dann sollten wir der Stab sein der bdquovon Freude uberraschtldquo ist76

Aus dem Denken und Leben Francis Schaeffers gibt es viel zu erwaumlgen und zu lernen Nur papageienhaft alles nachzu-plappern was er sagte wurde ihn nicht ehren Er haumltte das nicht gewollt Wir mussen stattdessen von ihm lernen wie wir wirkungsvoller in unserer Zeit die-nen koumlnnen so wie er es in seiner tat Dabei mussen unser Verstand und un-ser Herz fest in der Schrift verwurzelt und gegrundet sein Wir mussen lei-denschaftlich fur das Evangelium sein bereit die Fragen unserer Zeit in Treue gegenuber unserem groszligen Gott anzu-gehen Das waumlre der houmlchste Tribut den

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

30 7 8 6 uuml

1 Wenn nicht anders vermerkt werden alle Zitate aus den Schriften Francis Schaeffers entnommen Francis A Schaeffer The Complete Works of Fran-cis A Schaeffer Crossway Books 19852 Michael S Hamilton bdquoThe Dissatis-faction of Francis Schaeffer thirteen years after his death Schaefferrsquos visi-on and frustrations continue to haunt Evangelicalismldquo In Christianity Today 1997 S 223 Harald O J Brown Standing Against the World Westchester Crossway 1986 S 15ndash164 Diese drei Bereiche des Einflusses Schaeffers sind entnommen aus Brown A a O S 19ndash255 Fur mehr Informationen uber den per-soumlnlichen Einfluss von Francis Schaeffer im Leben von verschiedenen Personen vgl die Kapitel in Teil 2 von Lane T Dennis Francis A Schaeffer Portraits of the Man and His Work Westchester Ill Crossway Books 1986 S 129ndash205 Vgl in diesem Zusammenhang auch ei-nige der persoumlnlichen Korrespondenzen zwischen Schaeffer und verschiedenen Leuten uber eine Vielzahl von Themen in Francis A Schaeffer und Lane T Dennis Letters of Francis A Schaeffer Spiritual Reality in the Personal Chris-tian Life Westchester Ill Crossway Books 19856 Francis Schaeffers letztes Werk The Great Evangelical Disaster (Die groszlige Anpassung Der Zeitgeist und die Evan-gelikalen) wurde nur Monate bevor er an Krebs starb veroumlffentlicht In diesem Werk versuchte er die Evangelikalen zu warnen und sie instaumlndig zu bitten in Bezug auf die Autoritaumlt der Bibel und die Ausschlieszliglichkeit des Evangeli-ums keine Kompromisse zu schlieszligen Er nannte sogar verschiedene Namen

derer von denen er glaubte sie haumltten an diesen Punkten Kompromisse ge-schlossen Gleichzeitig rief er eine neue Generation von Christen dazu auf als bdquoRadikale fur die Wahrheitldquo in unserer Zeit Stellung zu beziehen bdquoThe Great Evangelical Disasterldquo wurde neu ver-oumlffentlicht in Francis A Schaeffer The Complete Works of Francis A Schaef-fer Bd 4 A a O S 301ndash4117 bdquoNeoorthodoxieldquo ist eine theologische Bewegung die in den 1920er Jahren begann und bis heute weitergeht auch wenn ihr hauptsaumlchlicher Einfluss in der weiteren theologischen Welt von den 1920er bis zu den 1970er Jahren lag Sie ist verbunden mit einer Anzahl von Theologen wie Rudolf Bultmann Emil Brunner Reinhold Niebuhr und Paul Tillich Am bekanntesten ist je-doch die Verbindung zur Theologie des Schweizer Theologen Karl Barth Zu weiteren Informationen uber bdquoNeoor-thodoxieldquo s David F Ford (Hrsg) The Modern Theologians 2 Aufl Oxford Blackwell 1997 S 21ndash102 C A Bax-ter bdquoNeo-Orthodoxyldquo In Sinclair Fer-guson et al (Hrsg) New Dictionary of Theology Downers Grove InterVarsity Press 1988 S 456ndash4578 Zu diesem Thema siehe besonders Francis A Schaeffer Wie koumlnnen wir denn leben Aufstieg und Niedergang der westlichen Kultur 5 Aufl Holz-gerlingen Haumlnssler 2000 Francis A Schaeffer Bitte laszlig mich leben Fur Menschlichkeit in unmenschlicher Gesellschaft Telos-Bucher 1205 Neu-hausen-Stuttgart Haumlnssler 1981 Fran-cis A Schaeffer A Christian Manifesto 1st trade pbk Wheaton Ill Crossway Books Published in association with Nims Communications 20059 Brown Standing Against the World A a O S 2310 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 102 Die Kritiken die Dennis er-

waumlhnt sind die von Wells Ronald A Wells bdquoFrancis Schaefferrsquos Jeremiad A Review Articleldquo In The Reformed Journal Mai 198211 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 227 Fn 512 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 102ndash126 Dennisrsquo ausgezeichnete Diskussion dieser ganzen Frage ist sehr hilfreich weil er die Frage umfassend anspricht ob Schaeffer ein bdquoGelehrterldquo war und ob diese Frage der wirkliche Grund fur die negative Reaktion auf seine Gedanken ist13 Vgl Hamilton bdquoThe Dissatisfaction of Francis Schaefferldquo A a O S 3014 Es ist wohl bekannt dass der Evange-likalismus eine uber eine Anzahl wich-tiger Lehrfragen zerspaltene Bewegung ist Zur Diskussion uber einige dieser Lehrspaltungen aus einer Vielfalt von Blickwinkeln vergleiche bdquoEvangelical Megashiftldquo In Chritianity Today 19 Februar 1990 S 12ndash17 Kenneth S Kantzer und Carl F H Henry (Hrsg) Evangelical Affirmations Grand Ra-pids Zondervan 1990 Millard Erick-son The Evangelical Left Grand Ra-pids Baker 1997 Roger Olsson bdquoThe Future of Evangelical Theologyldquo In Christianity Today 9 Februar 1998 S 40ndash42 Elmer M Colyer (Hrsg) Evangelical Theology in Transition Downers Grove Inter-Varsity Press 1999 Stanley Grenz Renewing the Center Grand Rapids Baker 2000 John D Woodbridge et al This We Be-lieve Grand Rapids Zondervan 200015 Fur weitere Materialien die das Leben Francis Schaeffers sehr viel detaillierter skizzieren vgl David Porter bdquoFrancis Schaefferldquo In John D Woodbridge (Hrsg) Great Leaders of the Christian Church Chicago Moody Press 1988 S 362ndash366 Colin Duriez bdquoFrancis

Schaefferldquo In Walter A Elwell Hand-book of Evangelical Theologians Grand Rapids Baker 1993 S 245ndash259 und Dennis Portraits of the Man and His Work A a O S 207ndash211 Vgl auch die Lebensgeschichte der Schaeffers erzaumlhlt von Edith Schaeffer in Llsquo Abri Gottes Wirklichkeit heute erlebt 4 Aufl Wup-pertal Oncken Verlag 1975 und The Tapestry The life and times of Francis and Edith Schaeffer Waco Tex Word Books 198116 Zu weiteren Informationen uber den Dienst der LrsquoAbri Gemeinschaft heute vgl URL httpwwwlabriorg17 Fur eine vollstaumlndige Liste von Bu-chern Kassetten und Videos von Francis und Edith Schaeffer vgl URL httpwwwlabriorg18 Dieses Thema zieht sich durch Schaef-fers Bucher hindurch vgl aber beson-ders Francis A Schaeffer Gott ist keine Illusion 3 Aufl Wuppertal Brockhaus Verlag 1974 Francis A Schaeffer und er schweigt nicht Ist eine Philoso-phie ohne Gott realistisch 1 Taschen-buchausg Wuppertal Genf Zurich Basel Brockhaus Verlag 1975 Schaef-fer Wie koumlnnen wir denn leben A a O Schaeffer Bitte laszlig mich leben A a O19 Es ist viel debattiert worden uber die Genauigkeit von Schaeffers Analyse von Denken Kunst Musik und Kultur des Westens Auch wenn es zweifellos wahr ist dass er an einigen Punkten ein va-ges und stark verallgemeinertes Bild gemalt hat ist gleichzeitig anerkannt worden dass sich das bdquogroszlige Bildldquo das er gezeichnet hat als grundlegend richtig erwiesen hat Mehr zu diesen Aufsaumltzen findet sich bei Roland Nash The Life of the Mind and the Way of Life Westchester Ill Crossway Books 1986 S 53ndash69 bzw 101ndash126 Vgl auch einige der hilfreichen Kommentare von Duriez in Dennis Francis A Schaeffer Portraits of the Man and His Work A a O S 252ndash259

Prof Dr Stephen J Wellum

Anmerkungenman einem Mann zollen kann der in seinem Denken und Leben mehr als al-les danach strebte unter der Herrschaft Jesu Christi allein zur Ehre Gottes zu leben

Prof Dr Stephen J Wellum

ist auszligerordentlicher Professor am bdquoThe Southern Baptist Theological Seminaryldquo in Louisville Kentucky (USA) Er ist ein beliebter Redner auf Konferenzen Autor mehrerer Ar-tikel und Buchbeitraumlge und Mitver-fasser (gemeinsam mit Peter Gentry) von bdquoKingdom Through Covenant A Biblical-Theological Understanding of the Covenantsldquo (Crossway 2012) Sein Artikel erschien ursprunglich als Stephen J Wellum bdquoFrancis A Schaeffer (1912ndash1984) Lessons from His Thought and Lifeldquo In SBJT Vol 6 No 2 (2002) S 4ndash32 Die Uumlbersetzung erfolgte durch Wolfgang Haumlde Redaktionell bearbeitet wurde der Beitrag von Christian Pletsch und Deike Sumann

glauben amp denken heute 22012 317 8 6 uuml

20 Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 1421 Ebd S 822 Ebd S 8ndash923 Zu mehr uber Postmodernismus sei er populaumlr oder differenziert vgl die folgenden Werke Gene E Veith Jr Postmodern Times Wheaton Cross-way 1994 David Dockery (Hrsg) The Challenge of Postmodernism Grand Rapids Baker 1995 Stanley J Grenz A Primer on Postmodernism Grand Ra-pids Eerdmans 1996 D A Carson The Gagging of God Grand Rapids Zonder-van 1996 Kevin Vanhoozer Is There a Meaning in This Text Grand Rapids Zondervan 1998 und Millard Erickson Truth or Consequences The Promise and Perils of Postmodernism Downers Gro-ve InterVarsity Press 2001 sowie The Postmodern World Wheaton Crossway 200224 Carson The Gagging of God A a O S 1925 Schaeffers Gebrauch des Ausdrucks bdquowahre Wahrheitldquo veranschaulicht seine Besorgnis dass der Begriff bdquoWahrheitldquo nicht laumlnger das bedeutete was er immer bedeutet hatte Um also wirkungsvoll mit einer Generation zu kommunizieren die nicht an Wahrheit glaubt praumlgte er diesen Ausdruck um eine objektive uni-versale der Wirklichkeit entsprechende Sicht von Wahrheit zu kommunizieren26 Vgl dazu auch Carson The Gagging of God A a O S 13ndash54 u 419ndash51427 Zu dieser Analyse vgl besonders Fran-cis A Schaeffer Preisgabe der Vernunft Kurze Analyse der Ursprunge und Ten-denzen des modernen Denkens 5 Aufl GenfWuppertal Brockhaus Verlag 198528 Der Begriff bdquoRationalismusldquo kann fur verschiedene Leute verschiedene Dinge bedeuten Fur manche ist es ein Begriff der sich auf eine erkenntnistheoretische Schule bezieht die als bdquoKontinentaler

Rationalismusldquo bekannt ist im Gegen-satz zu anderen Schulen wie dem bdquoBri-tischen Empirismusldquo oder Immanuel Kants bdquoTranszendentalem Idealismusldquo Fur andere bezieht er sich einfach auf eine Person die den Gebrauch der Ver-nunft uberbetont Was jedoch Schaeffer betrifft so gebraucht er den Begriff in Bezug auf bdquojede Philosophie oder jedes Gedankensystem das vom Menschen alleine ausgeht beim Versuch einen ein-heitlichen Sinn des Lebens zu findenldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 200) Mit an-deren Worten bdquoRationalismusldquo bezieht sich auf eine Geisteshaltung auf einen philosophischen Ansatz der Menschen als die letzte Autoritaumlt in Fragen von Wahrheit und Wirklichkeit betrachtet und das dann gegen das Christentum setzt das Gott und sein Wort als die letz-te Autoritaumlt fur Fragen von Wahrheit und Wirklichkeit betrachtet29 Schaeffers Analyse des westlichen Den-kens als einer schrittweise Entwicklung einer Anzahl dialektischer Spannungen aumlhnelt sehr der Analyse von Herman Dooyewwerd A Critique of Theoretical Thought 4 Bde Philadelphia Presbyte-rian and Reformed 1953ndash58 Viel ver-dankt sie seinem ehemaligen Professor Cornelius Van Til dessen Gedanken sich in Werken befinden wie A Christian Theory of Knowledge Phillipsburg Pres-byterian and Reformed 1969 und A Sur-vey of Christian Epistemology Philadel-phia Presbyterian and Reformed 196930 Vgl Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 19ndash94 Fur Schaeffer war diese Analyse ein Herzstuck seiner Apologetik Immer wieder versuchte er den Men-schen zu helfen sich erkenntnistheore-tisch der Implikationen ihrer Denkvor-aussetzungen bewusster zu werden Da-bei versuchte er zu zeigen dass alle Welt-bilder auszliger dem Christentum letztlich in sich inkonsequent sind und es daher nahezu unmoumlglich ist sie in der Praxis

auszuleben Zu weiteren Informationen uber das Wesen und die Methodologie von Schaeffers Apologetik vgl Gott ist keine Illusion A a O S 132ndash18131 Dieses Thema zieht sich durch alle Schriften Schaeffers hindurch und eben-so durch seine auf Band aufgenommenen Vorlesungen Vgl besonders seine Ton-band-Vorlesung mit dem Titel bdquoGrund-legende Probleme denen wir gegenuber stehenldquo Teil 1 und 2 Alle Tonbaumlnder Schaeffers und die der LrsquoAbri Fellowship koumlnnen gekauft werden durch Sound Word Associates PO Box 2036 Ches-terton IN 46304 oder uber httpwwwsoundwordcom oder sind kostenlos im LlsquoAbri ideas library verfugbar URL httpwwwlabri-ideas-libraryorg 32 Es ist viel daruber diskutiert worden ob Schaeffer Barth richtig interpretiert und verstanden hat Ohne Zweifel gibt es bei Barth viel mehr Nuancen als Schaef-fer in seinen Buchern erwaumlhnt und uber Barths Theologie kann und muss viel mehr gesagt werden Ich wurde jedoch behaupten dass Schaeffers grundlegende Analyse richtig ist besonders an den von ihm betonten Punkten Fur eine tiefer ge-hende Behandlung von Barths Theologie die einer aumlhnlichen Beurteilung folgt vgl Cornelius Van Til Christianity and Barthianism Nutley Presbyterian and Reformed 197733 Vgl die auf Band aufgenommenen Vor-lesungen Schaeffers mit den Titeln bdquoBasic Problems We Faceldquo (Grundlegende Prob-leme denen wir gegenuberstehen) bdquoEx-clusive Christ in an Inclusive Ageldquo (Der ausschlieszligliche Christus in einem Zeit-alter das alles einschlieszligt) bdquoRelativism in the 20th Centuryldquo (Relativismus im 20 Jahrhundert) und bdquoVatican Council IIldquo (Das Zweite Vatikanische Konzil) In den Vorlesungen uber das Zweite Va-tikanische Konzil analysiert Schaeffer einfuhlsam die Verschiebungen die in der roumlmisch-katholischen Theologie vor sich gingen bis hin zu einem bdquoinklusive-

renldquo Verstaumlndnis von Heil zu Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils im Jahr 196234 Der Begriff bdquoWeltbildldquo ist heute mitt-lerweile dank des Einflusses von Men-schen wie Francis Schaeffer ublich Fur ein populaumlres Werk das uns hilft Ideen aus der Perspektive von Weltbildstruktu-ren zu sehen vgl James Sire The Univer-se Next Door 3 Aufl Downers Grove InterVarsity Press 199735 In der Apologetik wird das Wort bdquoDenkvoraussetzungldquo (Praumlsuppositi-on) nicht immer auf die gleiche Art ge-braucht Es ist wichtig sich daran zu erinnern und leider wird das oft verges-sen in Debatten uber methodologische Unterschiede zwischen verschiedenen apologetischen Ansaumltzen innerhalb der evangelikalen Apologetik Schaeffer zum Beispiel benutzte den Begriff mit Bezug auf bdquoeinen Glauben oder eine Theorie die angenommen wird bevor der naumlchs-te Schritt in der Logik entwickelt wirdldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 201 [Anm In der dt Ausgabe fehlt die Erklaumlrung]) In diesem Sinne dienen bdquoDenkvorausset-zungenldquo als Hypothesen die unabhaumlngig verifiziert werden mussen durch solche Dinge wie Logik historische Beweise pragmatische Eignung usw Gordon Clark Three Types of Religious Philoso-phy 2nd Jefferson Md Trinity Foun-dation 1989 S 121ndash123 gebrauchte den Begriff um sich auf bdquoAxiomeldquo des Gedankensystems einer Person zu bezie-hen die unbeweisbar sind weil sie dog-matisch postuliert werden als ein erstes Prinzip das zu demonstrieren es nichts Grundlegenderes gibt Andererseits ge-brauchte Cornelius Van Til den Begriff mit Bezug auf die letztgultigen Kriterien eines Weltbildes die nicht jenseits ver-nunftgemaumlszliger Beweisbarkeit liegen d h sie sind transzendentale Gegebenheiten uber die man streiten und sie verteidi-gen muss Wie Van Til feststellt bdquoEin

wahrhaft transzendentales Argument nimmt jede Erfahrungstatsache die es untersuchen moumlchte und versucht zu bestimmen was die Denkvoraussetzung dieser Tatsache sein muss um es zu dem zu machen was es istldquo (Cornelius Van Til A Survey of Christian Epistemology Philadelphia Presbyterian and Refor-med 1969 S 10 u vgl S 201) Zu ei-ner hilfreichen Diskussion daruber wie der Begriff Denkvoraussetzung in der christlichen Apologetik gebraucht wird vgl Greg L Bahnsen Van Tilrsquos Apologe-tic Readings and Analysis Phillipsburg N J PampR Pub 1998 S 461ndash69736 Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 1037 Schaeffer Preisgabe der Vernunft A a O S 11ndash1238 Schaeffer sprach davon mit dem Begriff bdquoPrauml-Evangelisationldquo Christliche Apolo-getik so argumentiert er hat zwei Ziele (1) das Evangelium zu verteidigen und (2) das Evangelium auf eine Art weiterzuge-ben dass die jeweilige Generation es ver-stehen kann Beim Gebrauch des Begriffs bdquoPraumlevangelisationldquo bezog er sich auf (2) Schaeffers Anliegen war es dass bei unse-rer Darbietung des Evangeliums beson-ders beim Leben in einer zunehmend bi-blisch analphabetischen und postchristli-chen Kultur die Menschen Wissen uber das Evangelium brauchen bevor sie zum Glauben kommen Daher ist Praumlevange-lisation noumltig Wie er feststellt bdquokommt die Einladung zu handeln [das heiszligt an Christus zu glauben] erst nachdem eine angemessene Wissensgrundlage gegeben wurde hellip Wissen geht dem Glauben vor-aus Das ist entscheidend fur das Verste-hen der Bibel bdquoZu sagen (und das sollten Christen) dass nur jener Glaube wahrer Glaube ist der an Gott auf der Grundlage von Wissen glaubt bedeutet etwas zu sa-gen das in der Welt des zwanzigsten Jahr-hunderts eine Explosion verursachtldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 153ndash154)

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

32 7 8 6 uuml

39 Vgl zum Beispiel Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 96ndash160 Francis A Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houmlren Genfer Bibelgesellschaft 2004 und verschiedene Bandaufnahmen wo er das diskutiert etwa in bdquoBasic Problems We Faceldquo und bdquoBefore the Beginningldquo40 Der Ausdruck bdquodie Gedanken Got-tes ihm nachdenkenldquo war ein starker Schwerpunkt im Denken Cornelius Van Tils dem Apologetiklehrer Schaeffers am Westminster Theological Seminary Zu einer hilfreichen Diskussion dieser Wen-dung bei Van Til auch mit Anwendung auf Schaeffers Denken vgl Bahnsen Van Tillsquos Apologetic A a O S 220ndash26041 Dieses Argument wird besonders entwickelt in Francis A Schaeffer Ge-nesis in Raum und Zeit Wuppertal Brockhaus Verlag 1976 und Francis A Schaeffer Die groszlige Anpassung Der Zeitgeist und die Evangelikalen Asslar Schulte u Gerth 198842 Fur die Zentralitaumlt der Lehre von Gott im Leben Schaeffers vgl solche Werke wie Francis A Schaeffer Geistliches Leben ndash Was ist das Wuppertal R Brockhaus Verlag 1975 Schaeffer Un-sere Welt soll sein Wort houmlren A a O Schaeffer Die grosse Anpassung A a O43 Man muss einfach an die tobende De-batte innerhalb der evangelikalen Theolo-gie uber bdquoOffenen Theismusldquo (engl Open Theism) denken und an den Versuch bdquoOffener Theistenldquo die Lehre von Gott neu zu definieren und zu revidieren Vgl dazu die verschiedenen Bucher von bdquoOf-fenen Theistenldquo wie etwa Clark Pinnock et al The Openness of God Downers Grove InterVarsity Press 1994 John Sanders The God Who Risks Dow-ners Grove InterVarsity Press 1998 und Gregory A Boyd God of the Possible Grand Rapids Baker 2000 Im Hinblick auf eine Antwort und kompetente Kritik vgl Bruce A Ware Godrsquos Lesser Glory

Wheaton Crossway 2000 und John M Frame No Other God Phillipsburg Presbyterian and Reformed 200144 Zu dem was die Schrift von sich selbst behauptet vgl Wayne Grudem bdquoScripturersquos Self-Attestation and the Problem of Formulating a Doctrine of Scriptureldquo In D A Carson und John D Woodbridge (Hrsg) Scripture and Truth Grand Rapids Zondervan 1983 S 19ndash59 John Frame bdquoScripture Speaks for Itselfldquo In John Warwick Mont-gomery (Hrsg) Godrsquos Inerrant Word Minneapolis Bethany 1974 S 178ndash200 Sinclair Ferguson bdquoHow Does The Bible Look at Itselfldquo In Harvie Conn (Hrsg) Inerrancy and Hermeneutic Grand Ra-pids Baker 1988 S 47ndash6645 Schaeffers Argument an diesem Punkt grundet sich auf die erkenntnistheoreti-sche Notwendigkeit der Irrtumslosigkeit d h ohne einen irrtumslosen Text gibt es keinen Weg theologische Lehren zu begrunden Was meint Schaeffer damit Schaeffers Argument ist nicht dass man der Bibel nirgendwo trauen koumlnne wenn sie an einem Punkt falsch laumlge Offen-sichtlich ist dieses Argument falsch Nur weil die Bibel moumlglicherweise an einem Punkt falsch liegt heiszligt das noch nicht dass sie nicht verlaumlsslich ist in vielem von dem was sie an anderen Stellen die be-staumltigt werden koumlnnen lehrt Er meinte vielmehr Folgendes Wenn die Schrift nicht in allem was sie bekraumlftigt irr-tumslos ist wie koumlnnen wir dann irgend-eine in der Schrift behauptete Wahrheit wissen Eine in der Schrift behauptete theologische Wahrheit koumlnnte geglaubt werden sie mag sogar wahr sein aber wie kann sie gewusst werden wenn die Schrift Irrtumer erhaumllt Letztendlich wird die Schrift nicht als unsere letzte Autoritaumlt dienen koumlnnen wenn sie nicht in allem was sie behauptet vertrauenswurdig und verlaumlsslich ist46 Schaeffer Die groszlige Anpassung A a O 149

47 Ebd S 60ndash6148 Vgl Scott R Burson und Jerry L Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer Lessons for A New Century From the Most Influential Apologists of Our Time Downers Grove Ill InterVarsity Press 1998 S 11449 Ebd S 135ndash13650 Ebd S 13551 Es gab zuletzt viele Diskussionen uber die Folgen einer libertarianischen Sicht von menschlicher Freiheit fur das Kon-zept von der goumlttlichen Souveraumlnitaumlt und daher uber die Beziehung zwischen Gott und der Schrift David Basinger und Randall Basinger brachten in bdquoInerran-cy Dictation and the Free Will Defen-seldquo (In Evangelical Quarterly 55 (1983) S 177ndash180) die Diskussion in Gang indem sie die Auffassung vertraten dass jemand nicht gleichzeitig am Libertaria-nismus und an der Irrtumslosigkeit fest-halten koumlnnte wenn man sich nicht auf eine Theorie von der Inspiration als Dik-tat berufen wolle Burson und Walls be-ziehen sich positiv auf das Argument der Basingers und versuchen dann Schaeffer ins Lager des Libertarianismus zu stecken und so eine Inkonsequenz in Schaef-fers Denken darzulegen Die Frage ob Schaeffer ein Libertarianer war ist sehr schwer zu beurteilen Schaeffer arbeitete nicht mit einer praumlzisen Definition von menschlicher Freiheit besonders nicht in der Art wie wir es heute in der phi-losophischen und theologischen Literatur finden Schaeffers Anliegen war vielmehr die Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen zu betonen im Kontrast zu dem Determinismus von Leuten wie B F Skinner Gleichzeitig behielt er aber eine starke Wahrnehmung der souveraumlnen Herrschaft und Regierung Gottes uber die Welt Ich bin sicher dass Schaeffer die Art wie Libertarianer ihre Auffas-sung heute darlegen und besonders wie sie diese auf die Lehre von der Schrift (vgl Basingers Auffassung) angewandt

haben ohne Umschweife abgelehnt haumlt-te Zu einer tiefer gehenden Diskussion uber die Beziehung zwischen goumlttlicher Souveraumlnitaumlt und menschlicher Freiheit in ihrer Anwendung auf die Schrift vgl meine Artikel bdquoThe Importance of the Nature of Divine Sovereignty for Our View of Scriptureldquo In The Southern Baptist Journal of Theology Vol 4 No 2 (2000) S 76ndash90 und bdquoDivine Sovereign-ty-Omniscience Inerrancy and Open Theism An Evaluationldquo In Journal of the Evangelical Theological Society (Juni 2002)52 Vgl Schaeffer Und er schweigt nicht A a O S 88ndash8953 Vgl Fn 5154 J I Packer bdquosbquoSola Scripturalsquo in History and Todayldquo In John Warwick Montgo-mery Godlsquos Inerrant Word An Interna-tional Symposium on the Trustworthi-ness of Scripture Minneapolis Bethany Fellowship 1974 S 6055 Einige aktuelle Werke die eine hohe Meinung von der Schrift verteidigen sind zum Beispiel D A Carson und John Woodbridge (Hrsg) Scripture and Truth and Hermeneutics Authority and Canon Grand Rapids Zondervan 1986 Norman Geisler (Hrsg) Inerran-cy Grand Rapids Zondervan 1980 J M Boice (Hrsg) The Foundation of Biblical Authority Grand Rapids Zon-dervan 1978 Harvie M Conn (Hrsg) Inerrancy und Hermeneutic A Tradi-tion a Challenge a Debate Michigan Baker Books 1988 Gordon Lewis und Bruce Demarest (Hrsg) Challenges to Inerrancy Chicago Moody 1984 Earl Radmacher und Robert Preus (Hrsg) Hermeneutics Inerrancy and the Bible Grand Rapids Zondervan 1984 Carl F H Henry God Revelation and Au-thority 6 Bde Waco Word 1976ndash8356 Vgl zu diesem Punkt Schaeffers Be-sprechung in Schaeffer Die groszlige An-passung A a O S 60ndash62

57 Ebd S 53ndash5458 Zu der Geschichte hinter LrsquoAbri und wie es geboren und mit Gebet aufrecht-erhalten wurde vgl Schaeffer Llsquo Abri A a O59 Damit will ich nicht sagen dass nicht manche Evangelikale Barths Theologie kritisierten Aber Schaeffer zusammen mit Van Til war es wichtig dass sich die evangelikale Theologie von Barth unterscheiden wurde selbst wenn Barth viele ausgezeichnete Einwaumlnde gegen den Liberalismus aussprach Sowohl Van Til als auch Schaeffer waren besorgt uber das Gesamtpaket von Barths Denken dass nach ihrer Uumlberzeugung das historische Christentum untergraben wurde Zu Van Tils harter Reaktion auf Barth vgl Christianity and Barthianism Nutley Presbyterian and Reformed 1977 Vgl auch John Frames praumlgnante Zusammen-fassung von Van Tils Problem und seine Ablehnung der Theologie Barths auch parallel zur Reaktion Schaeffers in John M Frame Cornelius Van Til An Analy-sis of His Thought Phillipsburg N J P amp R Publication 1995 S 353ndash36960 Das heiszligt nicht dass Schaeffer der Einzige war der Barth an diesem Punkt kritisierte Ich habe schon Van Til als ei-nen anderen entschlossenen Kritiker er-waumlhnt und es gab noch weitere61 Brown Standing Against the World A a O S 20ndash2162 Vgl Iain Hamish Murray Evangeli-calism Divided A Record of Crucial Change in The Years 1950 to 2000 Edin-burgh UKCarlisle Pa Banner of Truth Trust 2000 S 50 Fn 5 u S 76ndash77 Vgl auch die Stellen wo Schaeffer seine Sorge daruber formuliert dass die evangelikale Bewegung im Bereich der Evangelisation mit solchen zusammenarbeitet die in ih-rer Theologie nicht evangelikal sind in Francis A Schaeffer Kirche am Ende des 20 Jahrhunderts 2 Aufl Genf [u a] Haus der Bibel [u a] 1973 S 38ndash45

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 337 8 6 uuml

Die grosse Anpassung A a O S 86ndash87 und Schaeffer und Dennis Letters of Francis A Schaeffer A a O S 7263 Vgl Brown Standing Against the World A a O S 21ndash22 Viel von der Kritik Schaeffers an Graham in diesem Punkt ist nicht direkt aufgeschrieben worden Wir wissen es von denen die Schaeffer persoumlnlich kannten und eben-so aus Andeutungen daruber in Schaef-fers Schriften Vgl zu diesem Punkt Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houml-ren A a O und Die grosse Anpassung A a O S 85ndash8764 Brown Standing Against the World A a O S 21ndash2265 Brown Standing Against the World A a O S 21 Schaeffer stellt fest bdquoWas nutzt es daszlig der Protestantismus zah-lenmaumlszligig immer mehr zunimmt wenn aber eine so groszlige Zahl derer die den Namen sbquoevangelikallsquo tragen nicht mehr an dem festhalten was den Protestantis-mus evangelikal macht Wenn dem kein Einhalt geboten wird dann sind wir dem Anspruch der Bibel den sie in Bezug auf sich selbst erhebt nicht treu ergeben und wir sind auch nicht ehrlich gegenuber dem was Jesus Christus in Bezug auf die Bibel geltend macht Aber ebenso ndash und das durfen wir nie vergessen ndash werden wir und unsere Kinder nicht fur die vor uns liegenden schweren Zeiten gewappnet sein wenn dies so weitergehtldquo (Die groszlige Anpassung A a O S 85)66 Brown Standing Against the World A a O S 21ndash2267 Ebd S 2468 Ebd S 2569 Schaeffer Die grosse Anpassung A a O S 54ndash5570 Schaeffer betont stark dass die evange-likale Bewegung mit dem ganzen Men-schen umgehen muss ndash mit Verstand Wille Gefuhlen Herz und Seele Als er bei einer Gelegenheit gefragt wurde wie er sich selbst betrachte als Theologe

Philosoph oder als Apologet sagte er er sei ein Evangelist Er sah jedoch seine Evangelisation nicht als geschieden von den groszligen intellektuellen und kultu-rellen Fragen des Lebens an weil Men-schen ganzheitliche Wesen sind Er stellt fest bdquoMenschen sagen oft sbquoWas bist dulsquo Und manchmal sage ich sbquoNun ich bin ganz einfach ein Evangelistlsquo Manchmal denke ich jedoch nicht dass die Men-schen verstanden haben dass das nicht bedeutet dass ich an einen Evangelisten im Kontrast zum sorgfaumlltigen Umgang mit philosophischen intellektuellen oder kulturellen Fragen denke Ich bin kein professioneller akademischer Philosoph ndash das ist nicht meine Berufung und ich bin froh die Berufung zu haben die ich habe und bin genauso froh dass manche andere Leute andere Berufungen haben Aber wenn ich sage dass ich ein Evange-list bin heiszligt das nicht dass ich glaube meine Philosophie usw sei nicht gultig Ich glaube sie ist es hellip Ich sage aber dass sich all das kulturelle intellektuelle oder philosophische Material nicht davon trennen laumlsst Menschen zu Christus zu fuhren Ich denke mein Reden uber Me-taphysik Moral und Erkenntnistheorie zu gewissen Individuen ist genauso Teil meiner Evangelisation wie der Moment wo ich ihnen zeige dass sie moralisch schuldig sind und ihnen sage dass Chris-tus fur sie am Kreuz starb Ich sehe oder fuhle da keine Dichotomie Dies ist mei-ne Philosophie und jenes ist meine Evan-gelisation Die ganze Sache ist Evange-lisation an Menschen die gefangen sind in der zweiten Verlorenheit uber die wir sprachen Die zweite Verlorenheit ist die dass sie keine Antworten auf die Fragen nach Sinn Ziel und so weiter haben hellip Fur mich besteht eine Einheit aller Wirk-lichkeit und wir koumlnnen entweder sagen dass jeder Studienbereich ein Teil der Evangelisation ist hellip oder wir koumlnnen sagen dass es keine wahre Evangelisation gibt die nicht die gesamte Wirklichkeit und das ganze Leben betrifftldquo (The Com-

plete Works of Francis A Schaeffer Bd 1 A a O S 185ndash187)71 Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houmlren A a O S 23ndash2472 Vgl Schaeffer und Dennis Letters of Francis A Schaeffer A a O u Teil 2 von Burson und Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer A a O S 131ndash20573 Zitiert in Hamilton bdquoThe Dissatisfac-tion of Francis Schaefferldquo A a O S 2574 Ich moumlchte den Leser noch einmal ver-weisen auf Teil 2 von Burson und Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer A a O S 131ndash20575 Brown Standing Against the World A a O S 2676 Francis A Schaeffer Jeder ist von Be-deutung 16 Predigten fur das 20 Jahr-hundert Neuhausen Stuttgart Haumlnssler 1982 S 13 u 21

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben Werbung

bdquoldquoAusbildung und Theologie sind

fuumlr den Menschen da nicht der Mensch fuumlr Ausbildung und Theologie

MARTIN BUCER SEMINARMARTIN BUCER SEMINAR

Theologie studieren in Chemnitz

34 7 8 6 uuml

Gilbert Achcar Die Araber und der Ho-locaust Der arabisch-israelische Krieg der Geschichtsschreibungen Edition Nauti-lus 368 S ISBN 978-3-89401-758-3 2990 Euro

Irrefuumlhrende Verharmlosung

Gilbert Achcars Buch bdquoDie Araber und der Holocaustldquo das 2009 urspruumlng-lich auf Franzoumlsisch erschienen ist ist nach der arabischen und der englischen Uumlbersetzung nun auch auf Deutsch er-haumlltlich Achcar ist Professor fuumlr Ent-wicklungsstudien und internationale Beziehungen an der bdquoSchool of Oriental and African Studiesldquo in London Sein Buch ist der Versuch einer Ehrenrettung

der arabischen Nationen vor dem Vor-wurf des kollektiven Antisemitismus Die Pressestimmen dazu uumlberbieten sich gegenseitig in ihrem Lob Der Au-tor will einen differenzierten Blick auf die arabische Rezeption des Holocaust vermitteln Er behandelt dazu zwei gro-szlige Zeitabschnitte bdquoDie Zeit der Shoahldquo und bdquoDie Zeit der Nakbaldquo was sinnge-maumlszlig jeweils bdquoDie Zeit der Katastropheldquo bedeutet Damit deutet sich bereits eine Problematik an Die Verhaumlltnisbestim-mung von Holocaust und Staatsgruumln-dung Israels Im Holocaust sieht Achcar das einzige und obendrein heftig miss-brauchte Argument fuumlr die Staatsgruumln-dung (S 243 ua) sowie fuumlr den bdquodeut-schen Philosemitismusldquo (S 266) Dabei uumlbergeht er andere wichtige Gruumlnde fuumlr die Unterstuumltzung der israelischen

Anliegen Er geht davon aus dass die Staatsgruumlndung unrechtmaumlszligig erfolgt sei (S 138 153) Deswegen war aus sei-ner Sicht auch jeder Verteidigungskrieg dieses Staates illegitim (S 34f) Israel sei ein bdquokolonialer Siedlerstaat europauml-ischen Ursprungsldquo (S 32) Auszligerdem sieht Achcar in den Juden kein Volk sondern eine Religionsgemeinschaft Sie haumltten zwar eine Art nationale Identi-taumlt entwickelt koumlnnten aber aumlhnlich wie Christen und Muslime kein Land beanspruchen (S 265) Die Vorstellung von einer bdquoEinstaatenloumlsungldquo die der Autor zu praumlferieren scheint mit einer juumldischen Minderheit die unbehelligt unter arabischer Herrschaft lebt ist im besten Fall eine naive Utopie Achcar gibt an denjenigen zu widersprechen die aus der Geschichte einen immer da-

gewesenen unabaumlnderlichen arabischen beziehungsweise islamischen Antisemi-tismus konstruiert haumltten und die Ara-ber heute insgesamt als Antisemiten und Nazis abstempelten Er gibt eine Fuumllle von Quellen an und kann vielleicht je-nen den Wind aus den Segeln nehmen die alle Araber als praumldestinierte Nazi-kollaborateure darstellen Kritikwuumlrdig ist die geflissentliche Vernachlaumlssigung der Beschreibung der aktuellen Zu-staumlnde in der arabischen Welt bdquoHaupt-thema ist schlieszliglich die historische Beziehung der Araber zum Holocaust als er stattfand weniger ihre aktuelle Beziehung zur historischen Erinnerung an die Shoahldquo (S 169) Man kann aus der Lektuumlre die Erkenntnis mitnehmen dass zur Zeit des Zweiten Weltkrieges die meisten Araber nicht mit der na-

Die Araber und der HolocaustGilbert Achcar

Carmen Matussek

Rez

ensi

onen

glauben amp denken heute 22012 357 8 6 uuml

tionalsozialistischen Judenverfolgung einverstanden waren was aber kaum jemand angezweifelt hat Wer von der gleichzeitigen Zusammenarbeit einiger hochrangiger Araber mit dem Nazire-gime nichts wusste wird daruumlber eben-falls umfassend informiert selbst wenn Achcar viele Fakten nur nennt um sie anschlieszligend zu relativieren

Erschwerend fuumlr eine Kritik ist dass der Autor seine Meinung haumlufig nicht mit eigenen Worten kundtut sondern ganz im Sinne postmodernen Stils weit-gehend unkommentiert Zitate anein-anderreiht die Ruumlckschluumlsse auf seine Sicht zulassen Meint er tatsaumlchlich dass Palaumlstina als Ort fuumlr die Staats-gruumlndung Israels lediglich ein zufaumlllig da herumschwimmendes bdquoFloszligldquo war (S 26) und dass Israel vor dem Sechs-Tage-Krieg 1967 bdquokaum in ernster Gefahrldquo (S 219) war Zumindest behauptet er mit Nachdruck dass bdquomanche Judenldquo sich 1948 in Palaumlstina gaumlnzlich zu Unrecht bdquovon der Vernichtungldquo bedroht gefuumlhlt haumltten (S 178) und dass Israel damals bdquoalleinldquo fuumlr die bdquoGewalt verantwortlichldquo gewesen sei (S 234f) Auch hier han-delt es sich um ein Zitat das er aber aus-druumlcklich bejaht

Zudem formuliert Achcar seine Aussa-gen oft als Fragen und negativ wodurch ihre Essenz vernebelt wird bdquoWarum ist es weniger schockierend wenn man er-oberte Voumllker die besetzt entwurzelt und zu Fluumlchtlingen gemacht wurden

mit den Nazis vergleicht als wenn man eine Besatzungsarmee die Gebiete von vier Nachbarlaumlndern erobert hat mit diesem Vergleich belegtldquo (S 223) Man denke sich den Satz im Umkehrschluss bdquoOder was ist uumlber jene Araber zu sa-gen die den Holocaust aus lauter Wut oder einer Art hilfloser Aufschneiderei leugnen um so ihre innere Spannung loszuwerden erzeugt durch einen sbquojuumldi-schen Staatlsquo der sie aus einer uumlberwaumll-tigenden Uumlberlegenheitsposition heraus erdruumlcktldquo (S 262)

Vier Hauptgruppen bei Arabern

Achcars Forschungsgegenstand ist aber nicht die Holocaustleugnung des einen oder anderen Palaumlstinensers sondern bdquoder Araberldquo die es natuumlrlich bdquonicht gibtldquo (S 39) zumindest nicht als Antise-miten wohl aber als Betroffene des Ho-locaust und der juumldischen Immigration nach Palaumlstina (S 11) Die Araber will er in vier politische Hauptstroumlmungen unterteilt wissen Bei deren Aufzaumlhlung fragt man sich unwillkuumlrlich ob die Reihenfolge als Rangordnung gedacht ist 1 Westlich orientierte Liberale 2 Marxisten 3 Nationalisten 4 Reak-tionaumlre undoder fundamentalistische Panislamisten (S 40) Erst sehr viel spaumlter und in einem Nebensatz werden die Marxisten als das bezeichnet was sie

waren eine bdquowinzige Minderheitenstrouml-mungldquo (S 82) Wie selbstverstaumlndlich scheint Achcar davon auszugehen dass Antisemitismus in der ersten Gruppe keine groszlige Rolle spielte Dabei erwaumlhnt er nicht dass beispielsweise Al-Aqqad der zu den groszligen Liberalen zaumlhlt (S 103) und sich kritisch zum Hitlerregime geaumluszligert hatte ein wohlwollendes Vor-wort zu At-Tunisis arabischer Uumlberset-zung der bdquoProtokolle der Weisen von Zionldquo von 1951 geschrieben hat Bil-dung bdquoAufklaumlrungldquo und Antisemitis-mus schlieszligen sich damals wie heute nicht aus

Den flaumlchendeckenden Antisemitis-mus in der arabischen Welt verharmlost Achcar mal als Spannungsventil mal als Antiimperialismus (S 188f) dann als Provokation (S 254) als bloszlige Reaktion (S 255f) und als Bildungsluumlcke (S 247 261) Nassers Antisemitismus tut er als bdquoIgnoranzldquo ab (S 195f) dessen Holo-caustleugnung als ein Versehen (S 207) Ahmad Hussein Gruumlnder und Anfuumlh-rer der Bewegung bdquoJunges Aumlgyptenldquo disqualifiziert sich als ernstzunehmen-der Antisemit laut Achcars Darlegung durch seine politische Sprunghaftigkeit (S 81) Auch Al-Gaylani Premiermi-nister des Koumlnigreichs Irak und gluuml-hender Bewunderer der Nazis wird als Antisemit wider Willen vorgestellt Die bdquoArroganz Londonsldquo sei bdquofuumlr Gaylanis Radikalisierung verantwortlichldquo gewe-sen und somit waumlre er bdquoim eigentlichen

Sinne kein Anhaumlnger Hitlerdeutsch-landsldquo (S 90) Den Relativierungen und Verdrehungen scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein Die Ernennung von Hajj Amin al-Husseini der sich wie kein an-derer Araber aktiv in die bdquoEndloumlsung der Judenfrageldquo eingebracht hat zum Mufti Jerusalems sei fuumlr die zionistische Be-wegung ein bdquounschaumltzbarer Dienstldquo ge-wesen (S 129) Zudem habe er mit der Mobilisierung von 200000 Muslimen fuumlr den bdquoKampf der Achsenmaumlchteldquo und anderen Taumltigkeiten weit weniger erreicht als er sich vorgenommen hatte (S 144) Achcar bringt es fertig umfas-sendes Material uumlber die Machenschaf-ten des Muftis zusammenzutragen und ihn hernach als bdquounbedeutendldquo hinzu-stellen und das bdquoBeduumlrfnisldquo bdquozahlreicher Autorenldquo zu bemaumlngeln bdquoden Mufti (hellip) zu verunglimpfenldquo (S 148) Gleich-zeitig schreibt Achcar ihm aber selbst so viel Einfluss zu dass dieser als bdquoreligi-oumlse Autoritaumltldquo mit seinen Radioreden und seiner eigenwilligen Auslegung des Islam bdquoein jahrhundertealtes Erbe der Koexistenz zunichteldquo gemacht habe (S 150f) Als unbedeutend beschreibt Ach-car auch die zahlreichen deutschen Na-tionalsozialisten die nach 1945 in der arabischen Welt besonders in Aumlgypten ihre politischen Karrieren fortgesetzt haben (S 201)

Uumlberhaupt seien ndash das ist die Kern-these des Buches ndash am arabischen Anti-semitismus vor allem die Juden schuld

Die Araber und der Holocaust

36 7 8 6 uuml

bdquoIm Gegensatz dazu sind die antisemiti-schen Aumluszligerungen die heutzutage aus der arabischen Welt kommen meist kultureller Ruumlckstaumlndigkeit geschuldete Phantastereien in denen sich die tiefe Frustration einer unterdruumlckten Nation aumluszligert Die Verantwortung dafuumlr ist in der Tat der Mehrheit sbquoder Judenlsquo Palaumlsti-nas und spaumlter dem sbquojuumldischen Staatlsquo Is-rael zuzuschreiben den diese begruumlndet habenldquo (S 242)

Was bdquoAntisemitismusldquo versus bdquoAnti-zionismusldquo betrifft unterscheidet Ach-car sogar zwischen der antisemitischen und der antizionistischen (also legiti-mierenden weil bdquonichtrassistischenldquo) Lesart der bdquoProtokolle der Weisen von Zionldquo (S 197f) Nun ist aber die Pro-pagierung einer zionistischen Weltver-schwoumlrung nicht weniger antisemitisch als die einer juumldischen Der Antisemitis-mus von bdquokulturell ruumlckstaumlndigenldquo und bdquounterdruumlcktenldquo Menschen ist nicht weniger moumlrderisch als der von privile-gierten Und Achcar beantwortet nicht die Frage inwiefern antisemitische Propaganda in Algerien den Vereinig-ten Arabischen Emiraten oder bei ara-bischen Migranten in Europa ndash durch alle Bevoumllkerungsschichten hindurch ndash mit Ohnmachtsgefuumlhlen gegenuumlber den Israelis zusammenhaumlngen soll Dabei weiszlig er sehr wohl dass man unterschei-den kann zwischen einem Ressenti-ment das der Feindbildgenese in einem realen Konflikt entspringt und einem

das das Ergebnis gezielter Propaganda ist Obwohl bekanntlich in den arabi-schen nicht den israelischen Schulbuuml-chern offen Hetze betrieben wird legt der Autor die Betonung auf die israeli-sche Verantwortung

Beispiel fuumlr intellektuelle Verweigerung

Achcars Buch ist ungeeignet wenn man sich uumlber den Antisemitismus in der arabischen Welt und das dortige Phaumlnomen der Holocaustleugnung in-formieren moumlchte Es ist ein Beispiel fuumlr intellektuelle Verweigerung gegenuumlber den Gruumlnden fuumlr die eingefahrene Lage auch wenn er die Araber sehr wohl zur Selbstkritik mahnt (S 279) Auf dem Gipfel der Geschmacklosigkeit unter-stellt Achcar dem bdquoMiddle East Media Research Instituteldquo (MEMRI) das in einer Sammlung von Zitaten Kari-katuren und Videos das Ausmaszlig des arabischen Antisemitismus abzubilden versucht bdquoGenugtuungldquo bei der Arbeit Als weitere Beispiele fuumlr bdquoantiarabischeldquo Agitatoren nennt er Meir Litvak und Esther Webman Yehoshafat Harkabi und Matthias Kuumlntzel Sie alle sind Autoren die ganz sicher nicht zu den antiislamischen Polemikern zaumlhlen und hier waumlrmstens empfohlen seien Ein Leser der Harkabi Kuumlntzel und Achcar nebeneinander liest und sich ein biss-

chen bei MEMRI uumlber den alltaumlglichen Wahnsinn des arabischen Antisemitis-mus informiert kann sich selbst ein realistisches Bild machen Neben den Beispielen die hier exemplarisch vor-gestellt wurden finden sich bei Achcar durchaus auch lesenswerte Informati-onen in bekoumlmmlicher professioneller Aufbereitung Aufgrund dieser Zitate und der selektiven Wahrnehmung ist fuumlr mich das Buch einer fairen Beur-teilung des Konflikts abtraumlglichUumlber die Rezensentin Carmen Matussek ist Islamwissenschaftlerin Historikerin und freie Journalistin Sie publiziert und referiert zu den Schwerpunktthemen Is-rael Nahostkonflikt Islamismus Islam und Antisemitismus Ihre Abschlussarbeit hat sie uumlber antijuumldische Verschwoumlrungs-propaganda in den arabischen Medien geschrieben und sie 2012 veroumlffentlicht Kontakt carmenmatussekwebde

Carmen Matussek

Studienzentrum in Muumlnchen

mehr infos unterwwwbucerdemuenchenhtml

glauben amp denken heute 22012 377 8 6 uuml

Warum Gerechtigkeit Timothy Keller

Dr Daniel Facius

Timothy Keller Warum Gerechtigkeit Gottes Groszligzuumlgigkeit soziales Handeln und was ich tun kann Gieszligen Brun-nen-Verlag 2012 201 Seiten ISBN 978-3765511790 1499 Euro

Timothy Keller presbyterianischer Pastor und Professor fuumlr praktische Theologie am Westminster Semina-ry hierzulande vor allem durch sein apologetisches Werk bdquoWarum Gottldquo bekannt hat mit bdquoWarum Gerechtig-keitldquo nunmehr ein Werk vorgelegt das seinem Forschungsschwerpunkt der praktischen Theologie entspringt Der vom Brunnen-Verlag gewaumlhlte Titel ist dabei offenbar dem Versuch geschuldet einen Zusammenhang mit dem Vorgaumlnger herzustellen Der Originaltitel bdquoGenerous Justiceldquo (dt bdquoGroszligzuumlgige Gerechtigkeit Wie Got-tes Gnade uns gerecht machtldquo) trifft

den Inhalt etwas besser Als Zielgruppe nennt Keller (S 10ff) junge Christen mit diakonischem Anliegen skepti-sche Christen die mit dem Thema bdquoGerechtigkeit uumlbenldquo den Verlust ge-sunder Lehre und falsche Schwerpunk-te assoziieren Christen die sich dem Thema bdquoGesellschaftstransformationldquo verschrieben haben (der deutsche He-rausgeber nennt hier Theologen wie Tobias Faix und Johannes Reimer S 174) sowie Anhaumlnger der aggressiven Atheisten die der Meinung sind dass bdquoReligion die Welt vergiftetldquo Diesen Gruppen so Keller fehlt irgendwo der Blick dafuumlr dass die Botschaft der Bi-bel und das Eintreten fuumlr Gerechtigkeit zusammengehoumlren (S 13)

Keller beginnt sinnvollerweise mit einem theoretischen Teil in dem er definiert was bdquoGerechtigkeit uumlbenldquo

bedeutet und sich entsprechende Aus-sagen des Alten und Neuen Testa-ments vornimmt Dabei geraumlt Kellers Ausgangsthese etwas steil Micha 68 lautet bei Keller (in der fuumlr exegetische Feinheiten eher weniger sensiblen hier aber zumeist gebrauchten bdquoHoffnung fuumlr Alleldquo-Uumlbertragung) bdquoHaltet euch an das Recht begegnet anderen mit Guumlteldquo

Dies sehe aus wie zwei verschiedene Dinge bdquoaber sie sind nicht verschiedenldquo (S 24) Das ist durchaus hinterfrag-bar zumal nicht einmal die von Kel-ler angegebene Quelle diese Behaup-tung unterstuumltzt Das hebraumlische jPvm (mishpat) gibt Keller mit bdquoMenschen gerecht bzw fair behandelnldquo (S 25) wieder Dies mag zwar grundsaumltzlich zutreffend sein es ist aber wohl eher eine Aufforderung an die staatlichen

Autoritaumlten Gleichheit vor dem Ge-setz zu gewaumlhrleisten als ein Aufruf an die Gesellschaft zur Armenversorgung Abgeleitet von jpv (shapat) bdquorichten zum Recht verhelfenldquo hat es eindeutig einen justitiellen Hintergrund und be-schreibt das korrekte Verstaumlndnis von Regierung (vgl Theological Wordbook of the Old Testament S 948) ohne dass es auf den Akt der Rechtspre-chung verengt werden darf

Subjekte des Shapat-Handelns sind jedoch Koumlnige oder Richter es voll-zieht sich in dem die Ursache einer Stoumlrung zwischen zwei Gruppen durch einen bdquoRichtendenldquo beseitigt wird (vgl THAT Band 2 Sp 1001) Auch wenn jPvm tatsaumlchlich oft im Verbund mit dsx (chesedh Guumlte) erscheint sollten die verschiedenen Bedeutungsspektren gewahrt werden Wenn Keller bdquoGe-

38 7 8 6 uuml

rechtigkeit uumlbenldquo als bdquoVerteidigung der Menschen mit der geringsten oumlkonomi-schen und gesellschaftlichen Kraftldquo de-finiert (S 26) dann greift das zu kurz gibt aber den Teilaspekt von bdquoGerech-tigkeitldquo wieder um den es Keller nun hauptsaumlchlich gehen wird

Uumlberzeugend gelingt die Gruumlndung von gerechtem Handeln im Wesen Got-tes In der Tat ist es vielsagend dass Gott als bdquoVater der Waisen und Helfer der Witwenldquo (Psalm 686) vorgestellt wird Gerade im Kontrast zu antiken Goumlttern die sich mit Koumlnigen und Priestern und Helden identifizieren wird die Einma-ligkeit Jahwes deutlich der sich zu den Ausgestoszligenen und Machtlosen stellt Grundsaumltzlich richtig ist es auch auf den Gemeinschaftsaspekt von Gerech-tigkeit hinzuweisen der durch das heb-raumlische hqdc (tzedaqah) zum Ausdruck kommt (das sich fuumlr Kellers Argumen-tation besser eignet als jPvm) Werden beide Worte wie es oumlfter geschieht zu-sammen verwendet will Keller dies mit bdquosoziale Gerechtigkeitldquo wiedergeben Hier wird am Beispiel Hiobs erlaumlutert wie ein bdquorechtschaffenesldquo Leben aussieht ndash ein lohnenswerter und herausfordern-der Einblick

Ob aber privates groszligzuumlgiges Geben wirklich als zwingender Bestandteil von bdquoGerechtigkeitldquo qualifiziert werden soll-te Keller ist sich offenbar im Klaren daruumlber dass diese Behauptung sehr weit geht (S 34) tut aber exegetisch we-

nig um sie zu untermauern Dass ein froumlhliches Geben Gott gefaumlllt ist un-bestreitbar Aber ist es wirklich bdquounge-rechtldquo nicht bdquogroszligzuumlgigldquo zu sein Wel-che Eigenbedeutung kommt Begriffen wie Guumlte oder Barmherzigkeit noch zu wenn das was sie beschreiben notwen-diger Bestandteil von bdquoGerechtigkeitldquo ist Eine solche Abgrenzung leistet Kel-ler nicht Am Beispiel Israels im Alten Testament zeigt Keller wie Gott die Gerechtigkeitsfrage in einem theokra-tischen Nationalstaat loumlst Er zeigt auf dass die heutige Anwendung allgemein guumlltiger Prinzipien viel Raum fuumlr Inter-pretationen laumlsst und nicht ohne weite-res in die Form eines bestimmten poli-tischen Systems gegossen werden kann

Bedenkenswert sind auch die Aus-fuumlhrungen zu Ursachen von Armut die Keller teils in der Gesellschaft (Ras-sismus Korruption Wucher) teils in Schicksalsschlaumlgen (Unfaumllle Naturka-tastrophen) und teils in charakterlichen Defiziten (Faulheit Disziplinlosigkeit) verortet (S 47ff) Bei der Betrachtung des Neuen Testaments liegt sein Schwer-punkt auf der Art und Weise wie Jesus den Armen begegnet ndash und wie er priva-te Moral und soziale Gerechtigkeit zu-sammen denkt (S 64) Dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter wird ein eigenes Kapitel gewidmet (S 70ff)

Im zweiten Teil des Buches wird es praktisch Wieso sind Appelle an die Vernunft ja selbst an die Liebe nicht

in der Lage Menschen dauerhaft zu bdquoGerechtenldquo zu machen Dem Dilem-ma einer relativistischen Moderne eine Begruumlndung fuumlr die Notwendigkeit rechtschaffenen Verhaltens zu liefern stellt Keller zwei biblische Grundmoti-vationen gegenuumlber die freudige Ehr-furcht angesichts der Guumlte von Gottes Schoumlpfung und die Erfahrung der Gna-de Gottes in der Erloumlsung (S 85)

Hier kommt es zur Verknuumlpfung von Diakonie und Evangelium die in der Erfahrung Kellers gipfelt dass bdquoMen-schen die das Evangelium der Gnade ergriffen haben und geistlich arm ge-worden sind merken wie es ihre Her-zen zu den materiell Armen zu ziehen beginntldquo (S 101)

Die wuumlnschenswerte Folge bdquoGerech-tigkeit als Lebenselementldquo (S 106) Dies kann sich vielfaumlltig aumluszligern wobei Keller drei Stufen der Hilfe skizziert (S 109) Soforthilfe Hilfe zur Entwicklung und soziale Reformen Waumlhrend Soforthilfe noch grundsaumltzlich von jedem geleis-tet werden kann ist Hilfe zur Selbst-hilfe zeitraubender und komplizierter soziale Reformen durch Einzelne gar nicht umsetzbar Keller wird hier relativ praktisch wenn er etwa den Umgang mit ganzen Problemvierteln beschreibt (S 111ff) oder konkrete Fragen auf-wirft vor denen hilfswillige Gemein-den fruumlher oder spaumlter stehen werden (S 127ff) Wie viel sollten wir helfen Wem sollten wir helfen Unter welchen

Bedingungen Auf welche Weise Hier wird auch die Rolle der Evangelisation erlaumlutert (S 129) wobei Keller davor warnt Diakonie nur als Mittel zu de-ren Zweck zu betrachten Dabei wirbt er durchaus auch fuumlr die Zusammenarbeit mit Anhaumlngern anderer Religionen und Weltanschauungen in bdquounaufdringli-cher Kooperation und respektvoller Provokationldquo (S 145) Hier gluumlckt ein interessantes Kapitel das die Schwaumlchen einer rein saumlkularen Gerechtigkeitskon-zeption entlarvt

Insgesamt gelingt Keller ein starker Beitrag zum Thema bdquoSoziale Gerechtig-keitldquo das der gerade in Deutschland so omnipraumlsenten Debatte um diesen Be-griff wichtige Impulse zu geben vermag auch wenn nicht jedes der zahlreichen aus amerikanischem Kontext stammen-den Beispiele (etwa in Bezug auf die Rassenfrage) hierzulande von gleicher Brisanz ist

Zudem ist das Buch praktisch genug um auch persoumlnlich herausfordernd zu sein Auch wenn nicht jede theoretische Annahme oder jede konkrete Schluss-folgerung vollstaumlndig zu uumlberzeugen vermag ist Kellers Plaumldoyer fuumlr einen ausgewogenen Mittelweg zwischen Ruumlckzug aus der Welt und utopischen Traumlumen von einer erloumlsten Kultur mehr als beachtlich

Dr Daniel Facius

glauben amp denken heute 22012 397 8 6 uuml

Steven Paas Christian Zionism Exa-mined A Review of Ideas on Israel the Church and the Kingdom NuumlrnbergHamburg VTR PublicationsRVB 2012 135 Seiten ISBN 978-3941750869 1499 Euro

Gut ist an diesem Buch dass es genuuml-gend Stoff zu ernsthaften spannenden Diskussionen bietet Steven Paas fordert alle heraus die in der Gruumlndung des Staates Israel von 1948 ein Zeichen der Endzeit und eine Erfuumlllung der bibli-schen Verheiszligungen sehen Somit traumlgt das Buch zur eigenen selbstkritischen Urteilsfindung bei wenn es denn nicht nur von solchen gelesen wird die aus dem theologischen Lager von Steven Paas stammen Denn der Autor legt seiner Studie eine reformiert-konfessio-nelle Hermeneutik zugrunde Er legt die ganze Bibel aus der Sicht des einen Gna-denbundes aus der in Christus zentriert

ist Damit macht Steven Paas gegenuumlber dem Christlichen Zionismus klar dass es zum Beweis der eigenen Bibeltreue nicht nur darauf ankommt Bibelstellen zu zitieren Vielmehr muss jeder auch die von ihm benutzte Hermeneutik of-fen legen welche aufzeigt wie die dispa-raten Aussagen der Bibel in einen groumlszlige-ren Zusammenhang gebracht und erst dadurch auf redliche Weise verstanden werden koumlnnen Mit seiner Verortung in einer reformiert-konfessionellen Dog-matik wird Paas zu einem Opponenten des praumlmilleniaristischen Dispensati-onalismus dem er eine Aufloumlsung des einen Gnadenbundes in zahlreiche bdquodispensationsldquo vorwirft (S 61) Doch mit einer heilsgeschichtlich motivierten Wuumlrdigung des juumldischen Volkes nach dem Holocaust ist der Dispensationalis-mus fuumlr pietistisch-erweckliche Chris-ten derart plausibel geworden dass er fast schon als Synonym zum Begriff

sbquoEvangelikalismuslsquo gebraucht wird Die-se Plausibilitaumlt ist ja nicht unbegruumlndet Und damit kommen wir schon zu ei-ner Schwachstelle der Argumentation von Steven Paas Denn die historischen Ereignisse des Holocausts und der is-raelischen Staatsgruumlndung scheinen die Positionen des Christlichen Zionismus zu bestaumltigen Das muumlssen wir zunaumlchst einmal anerkennen Gerade als Chris-ten die aus Deutschland stammen haben wir schmerzvoll wahrzunehmen dass in der Zeit zwischen 1933 und 1945 keine Kirche Gemeinde christliche Be-wegung oder protestantische Gruppe geschlossen gegen den Nationalsozia-lismus opponiert hat Es waren immer nur Einzelne die die Ungeheuerlichkeit der Judenverfolgung erkannten und kri-tisierten Auch die klassische konfessio-nelle Dogmatik fuumlr die sich Steven Paas starkmacht hat den Holocaust nicht verhindern koumlnnen

Dem Niederlaumlnder Steven Paas der in Afrika lebt mag man verzeihen dass ihn die Ausmaszlige des Holocausts nicht besonders beschaumlftigen Als ein Christ der in Deutschland wohnt frage ich mich allerdings welche theologischen Entwicklungen die nationalsozialisti-sche Judenverfolgung beguumlnstigt haben und inwiefern sie deshalb Fehlentwick-lungen waren Und viele Christen fra-gen sich das Ergebnis dieses Fragens ist beispielsweise dass die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern der ich angehoumlre ihre Verfassung in diesem Jahr um diesen Satz ergaumlnzt hat bdquoDie Kirche ist aus dem biblischen Gottesvolk Israel hervorgegangen und bezeugt mit der Heiligen Schrift dessen bleibende Erwaumlh-lungldquo Der Hinweis auf die bdquobleibende Erwaumlhlungldquo fasst Aussagen des Paulus zusammen (wie Roumlm 111) und wehrt damit die klassische Enterbungstheorie ab wonach das juumldische Volk ndash wie man

Christian Zionism ExaminedSteven Paas

Dr Gerhard Gronauer

40 7 8 6 uuml

fruumlher sagte ndash unter dem Fluch des Got-tesmordes stehe und das Heil komplett auf die heidenchristliche Kirche uumlber-gegangen sei Diese Enterbungstheorie (bei Paas replacement theory) brachte den christlichen Antijudaismus hervor an welchem der moderne Antisemitismus anknuumlpfen konnte

Viele progressive Christen aus dem Umfeld des juumldisch-christlichen Dia-logs die Paas auch unter dem Begriff sbquoChristlicher Zionismuslsquo subsumiert schlieszligen nun aus der bdquobleibenden Er-waumlhlungldquo dass die Juden einen separa-ten Heilsweg haumltten und Jesus Christus nicht mehr braumluchten Das ist fuumlr mich die spannendste Stelle im Buch bdquoChris-tian Zionism Examinedldquo dass Paas sei-nen reformierten Ansatz von der klassi-schen replacement theory unterscheidet auch wenn er mit diesem Versuch bei progressiven Christen nicht durch-kommen wird Denn im Gegensatz zu jenen denkt der Autor nicht gleich an das sbquoheidenchristlichlsquo-antijuumldische Uumlberlegenheitsgefuumlhl der antiken und der mittelalterlichen Kirche bdquoKircheldquo ist fuumlr Paas ein rein innerbiblischer Be-griff den er auf die Urgeschichte im Buch Genesis zuruumlckdatiert und der somit alle Menschen umfasst die dem Gnadenbund Gottes angehoumlren Noah Abraham Israel und die christlichen Gemeinden des Neuen Testaments Im Fortlauf der biblischen Offenba-rung weitet sich der Bund Gottes von

einer Beziehung zu einzelnen Familien (Noah Abraham) uumlber das Volk Israel hin zur ganzen Welt Damit sind wir bei dem bdquouniversalenldquo Charakter der christlichen Botschaft welcher sich im christlich-juumldischen Gespraumlch stets den Vorwurf gefallen lassen muss die Juden zu bdquoenterbenldquo Diesen Vorwurf weist Paas zuruumlck denn mit der Uni-versalitaumlt des Gnadenangebots ist Isra-el keineswegs ausgeschlossen bdquofrom the covenantal salvation promises of Godldquo (S 23) Zu Paaslsquo Abwehr der klassischen replacement theory gehoumlrt auch dass er das traditionelle Diktum praumlzisiert alle biblischen Verheiszligungen seien in Chris-tus erfuumlllt Die Verheiszligungen sind nicht durch das Leben des irdischen Jesus oder mit dessen Auferstehung erfuumlllt sondern werden erst mit dem zweiten Kommen Jesu Christi erfuumlllt sein

Hier lohnt es sich jedenfalls theo-logisch weiterzuarbeiten Und solche Gedanken anzustoszligen gehoumlrt zu den Staumlrken von Paas genauso wie sein Hinweis auf die Uumlberpruumlfung der ei-genen Hermeneutik Auch legt er seine Finger in die Wunden des Christlichen Zionismus indem er dessen argumenta-tive Schwachstellen hervorhebt Die bi-blischen Landverheiszligungen werden im Neuen Testament nicht erwaumlhnt oder gar bestaumltigt der Fortlauf der biblischen Offenbarung laumluft bereits im Alten Testament auf eine Universalisierung und Spiritualisierung der Gottesverhei-

szligungen hinaus keine alttestamentliche Ruumlckkehrverheiszligung deckt sich mit der Gruumlndung des Staates Israel 1948

Gleichermaszligen weist die Studie bdquoChristian Zionism Examinedldquo selbst eine Reihe von Schwachstellen auf so-dass dieses Buch nicht nur Begeisterung ausloumlst Absolut irritierend ist dass Paas den Begriff sbquoChristlicher Zionismuslsquo nur scheinbar klar definiert (bdquoIt is an ideolo-gy of being fascinated in an extraordinary way by ethnic geographic and religious features of post-Biblical Israelldquo S 12) In Wirklichkeit wendet er den Begriff recht unterschiedslos auf alle Christen an die in seinen Augen ein bdquoheterodoxesldquo also wahrheitswidriges Verstaumlndnis von Ju-dentum Israel oder Palaumlstina haben Christliche Zionisten sind dann nicht nur zeitgenoumlssische Freunde des Staates Israel auf der Basis einer bestimmten heilsgeschichtlichen Theologie (so wie ich den Terminus definieren wuumlrde) sondern gleichermaszligen Philosemiten wie Antisemiten friedliche Palaumlstina-Pilger wie grausame Kreuzfahrer Mit dieser Ausdehnung des Begriffs wider-spricht Paas sich faktisch selber setzt er sich doch in seinen dogmatischen Kapi-teln vor allem mit der Heilsgeschichte des Dispensationalismus auseinander Nach Paaslsquo Logik muumlsste dann auch die palaumlstinensische Befreiungstheolo-gie zum Christlichen Zionismus gehouml-ren hat doch auch sie eine Auffassung von bdquoLandldquo und bdquoHeimatldquo die uumlber die

reformiert-orthodoxe Lehre hinausgeht Wenn uumlberhaupt dann nimmt Paas aber die arabischen Voumllker (wie die afri-kanischen) nur als Opfer des westlichen Imperialismus wahr und versteigt sich zu dem unseligen Vergleich dass Zio-nismus bdquoa system of racial favouritism or apartheidldquo (S 118) sei

Und wie bereits erwaumlhnt findet Paas kein Verstaumlndnis dafuumlr dass der Christ-liche Zionismus fuumlr manche Christen nach 1945 ein plausibles theologisches System geworden ist Weil er das nicht verstehen kann vermag er es auch nicht zu erklaumlren und muss deshalb zu dem abgedroschenen Argument des sbquoSchuld-komplexeslsquo greifen (S 118) Gut bleibt an diesem Buch dass es genuumlgend Stoff zu ernsthaften spannenden Diskussio-nen bietet Gerade innerhalb der evan-gelikalen Bewegung Bezeichnend ist dass Paas als Kronzeugen seiner eige-nen Position mehrfach den Rektor der Internationalen Hochschule Liebenzell Prof Dr Volker Gaumlckle zitiert und ihn sogar im Vorwort wuumlrdigt Nun gibt es im Liebenzeller Gemeinschaftsverband einen bdquoArbeitskreis Israelldquo der seiner Internetpraumlsenz nach ein bdquoBewusstsein schaffen (will) fuumlr die heilsgeschicht-liche Bedeutung Israelsldquo Wie gesagt Stoff fuumlr genuumlgend Diskussionen pro und contra Christlicher Zionismus selbst unter Freunden

Dr Gerhard Gronauer

glauben amp denken heute 22012 417 8 6 uuml

Fuumlr Froumlmmigkeit in FreiheitGerhard Lindemann

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Gerhard Lindemann Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit Die Geschichte der Evangeli-schen Allianz im Zeitalter des Liberalis-mus (1846ndash1879) Theologie Forschung und Wissenschaft Bd 24 Muumlnster Lit Verlag 2011 1064 Seiten 978-3825889203 12990 Euro

Seit meiner Dissertation zu Theodor Christlieb von 1985 und der kurz da-rauf erschienenen Arbeit von Hans Hauzenberger hat zwar der metho-distische Forscher Karl-Heinz Vogt zu Christlieb selbst und zum Thema Allianz und Religionsfreiheit einiges Neues beigetragen aber insgesamt fehlten die groszligen Fortschritte in der Forschungsgeschichte zur Allianz in Deutschland seit 25 Jahren ja fuumlr die Zeit vor dem 2 Weltkrieg weltweit Auch zur Fruumlhgeschichte der Welt-

weiten Evangelischen Allianz ist laumln-ger nichts substantiell Neues erforscht worden Und auch zur Geschichte der Religionsfreiheit im 19 Jahrhundert allgemein haben sich die Forscher nicht gerade uumlberschlagen Und nun dieses ausgezeichnete Mammutwerk

Ein groszligformatiges Buch mit 947 Seiten reinem Text mit groszligem Satz-spiegel und kleiner Schrift Die Heidel-berger Habilitationsschrift von 2004 wird dem Ruf das die Deutschen die dicksten aller Buumlcher schreiben ge-recht Bisweilen detailversessen alles minutioumls aus den Akten und zeitgenoumls-sischen Zeitungen belegend wird das Buch dadurch zu der gruumlndlichsten (und besten) Darstellung der Vor- und Fruumlhgeschichte der Evangelischen Al-lianz Die Weltweite Evangelische Al-

lianz vertritt heute 600 Mio Christen weltweit davon nur noch ein Bruchteil deutscher Zunge Schade dass dem groumlszligten Teil dieser Menschen deswe-gen dieser Schatz verborgen bleiben wird denn eine englische Uumlbersetzung dieser Textmenge waumlre zwar dringend erforderlich ist aber leider sehr un-wahrscheinlich

Das Werk behandelt soweit aus den Quellen rekonstruierbar 1 die eigent-liche Geschichte wie Versammlun-gen Kampagnen und internationale Ausbreitung die jeweils in die groszlige Zeitgeschichte eingeordnet werden 2 die Rolle der entscheidenden Persoumln-lichkeiten und 3 die Arbeitsschwer-punkte der Allianz (dabei vor allem Glaubens- und Gewissensfreiheit Ge-betswoche Mission Publikationen)

Wer dabei eine einzelne Thematik verfolgen moumlchte ndash etwa die Geschich-te der internationalen Allianzgebets-woche jeweils zu Beginn des Jahres ndash kann dies uumlber die uumlbersichtliche Gliederung und den Index sehr gut tun Auch wer die Geschichte der Al-lianz bis 1879 in solch unterschied-lichen Laumlndern wie Groszligbritannien Deutschland den skandinavischen Laumlndern Kanada Australien Suumldafri-ka der Tuumlrkei dem Iran Indien oder Japan verfolgen will wird hier fuumlndig Zu vielen Details findet sich hier erst-mals ein Beleg (z B Einsatz der fruumlhen Evangelischen Allianz fuumlr Tierschutz) und selbst zu Christlieb habe ich Neues gefunden dass meine Dissertation er-gaumlnzt (Christlieb und Versoumlhnung mit Frankreich in New York [S 747ndash752]

42 7 8 6 uuml

Christliebs Einsatz gegen Opium-handel [S 856ndash858] Geschichte der Westdeutschen Evangelische Allianz [S 921ndash922]) Lindemann sieht die Allianz gleich zu Beginn als erste orga-nisierte Form der Oumlkumene als einzig wirklich oumlkumenische Organisation die aus der Erweckungsbewegung des 19 Jahrhunderts entsprang (S 15) Er weist nach dass die Allianz selbst in ihren fruumlhen Dokumenten haumlufig das Wort bdquoecumenicalldquo verwendete (S 938 u ouml) bdquoSie schuf ein Klima das die Gruumlndung von Vorgaumlngerorgani-sationen des Oumlkumenischen Rates der Kirchen (OumlRK) ermoumlglichteldquo (S 945) Er kritisiert dass geschichtliche Dar-stellungen der modernen Oumlkumene oft sehr spaumlt einsetzen und sowohl die Allianz als auch einige ihrer fuumlhrenden Vertreter als Vorreiter der Einheit der Christen uumlbergehen (S 21)

Lindemann sieht die Allianz als Teil der transnationalen Froumlmmigkeitsbe-wegung der Erweckungen nach dem Pietismus (S 25) die man nicht ein-fach pauschal als bdquoantiaufklaumlrerischldquo oder bdquoantimodernldquo beurteilen darf (S 25) sondern die etwa in Fragen der Re-ligionsfreiheit oder des Antisklaverei-kampfes (S 28ndash29) auch ihrer Zeit voraus war Gespeist aus Erweckungen in ganz unterschiedlichen Sprach- und Kulturkreisen zeichnete sie sich wie der Pietismus bdquodurch ein weitverzweig-tes Netz internationaler Kontakte und Verbindungen ausldquo (S 33) Ob man die

Gruumlndung oumlkumenischer Strukturen unabhaumlngig von der Allianz wirklich allein auf die bdquozunehmende sbquoFunda-mentalisierunglsquo der Allianz 1880ldquo (S 945) in Form der Ablehnung der Bi-belkritik und der Zuwendung zur Hei-ligungsbewegung zuruumlckfuumlhren kann wie Lindemann ganz am Ende eher beilaumlufig sagt wage ich zu bezweifeln Ich vermute dass eine ebenso gruumlnd-liche Arbeit zur Zeit nach 1880 eben-falls eine andere sbquoAllianzlsquo hervortreten lieszlige wie die Allianz die Lindemann bis 1879 darstellt die ebenso dem gaumln-gigen Klischee nicht entspringt

Doch Lindemann hat Recht wenn er fortfaumlhrt bdquoDoch lebte das Gedan-kengut der Allianz in der Oumlkumene fortldquo (S 946) Uumlberhaupt passen die Schlussworte zur Evangelischen Alli-anz heute die eine gute fruumlhe und eine schlechtere spaumltere und heutige Allianz andeuten nicht so ganz zum Duktus des Buches Aber nach 945 uumlberaus fairen Seiten in der Darstellung der Al-lianz aus den Quellen sollte man diese verhaltene Kritik liebevoll beherzigen zumal die daraus gezogenen Empfeh-lungen schon teilweise umgesetzt wer-den

Insgesamt schreibt Lindemann aus freundlich-kritischer Distanz So kri-tisiert er etwa die groszlige Naumlhe vieler Evangelikaler zum herrschenden Adel in der Zeit der Revolutionen 184849 (S 152ndash158) worin die Evangelikalen sich nicht von den Kirchen ihrer Zeit

unterschieden Haumlufiger hilft er positi-ve Bilder zu differenzieren So bestand etwa schon bei Gruumlndung der Evange-lischen Allianz Einigkeit in der Verur-teilung der Sklaverei ndash der Kampf ge-gen die Sklaverei gehoumlrte unverruumlckbar zur Geschichte der sbquoEvangelicalslsquo aber inwiefern Sklaverei duldende Gruppen und Personen Mitglied werden durften war diesseits und jenseits des Atlanti-schen Ozeans umstritten (S 65ndash72 110ndash129 159) 1846 wurden sie alle ausgeladen spaumlter teilweise zugelassen dann mit der Abschaffung der Sklave-rei in den USA endguumlltig verbannt (S 693) Noch nie wurden diese kompli-zierten Details im Einzelnen belegt

Auch zur Entstehung der Glaubens-basis wird viel neues Material geliefert

bdquoMan verstand sich als eine Verbin-dung von Einzelpersonen und legte in diesem Zusammenhang auf die persoumln-liche Glaubensentscheidung des Ein-zelnen Wert und betonte das Recht auf individuelle Bibellektuumlre Mit diesem Grundaxiom hing auch die scharfe Abgrenzung vom Katholizismus so-wie hochkirchlichen Gruppierungen im Protestantismus zusammen die Sakramente und die Institution Kir-che als objektiv vorgegebene Groumlszligen betrachteten und der Entscheidung des Einzelnen voranstellten Hingegen galt fuumlr die Allianz in ihrer in London ver-abschiedeten sbquoGlaubensbasislsquo die goumltt-lich inspirierte Schrift als sakrosankt deren freie Pruumlfung dem Einzelnen

jedoch zugestanden wurdeldquo (S 205) Spannend ist die Entstehung der ers-ten Glaubensbasis (S 87ndash98) Meines Erachtens haumltte man noch deutlicher darauf hinweisen koumlnnen dass die bei-den ersten Saumltze eine bis heute zentrale Spannung bewirken bdquo1 The Divine Inspiration Authority and Sufficiency of the Holy Scriptures 2 The Right and Duty of Private Judgement in the Interpretation of the Holy Scripturesldquo (S 98)

Einerseits ist dies eine unverruumlckbare Festlegung andererseits ein extremer Pluralismus der jeden Glaumlubigen ver-pflichtet die Grundlage selbst auszu-legen

Exkurs Die Evangelikalen sind durch zwei Paare entgegengesetzter Pole gekennzeichnet und man wird ihnen nicht gerecht wenn man jeweils nur einen der Pole sieht Einerseits ist das die von den Evangelischen ererbte Zentralitaumlt der Heiligen Schrift Andererseits ist es der aus Luthers Frage sbquoWie bekomme ich einen gnauml-digen Gottlsquo hervorgegangene Heilsin-dividualismus Es geht darum dass jeder Mensch seine persoumlnliche Bezie-hung zu Gott hat und daraus ergibt sich als Korrektur zur Zentralitaumlt der Schrift die Berechtigung ja Verpflich-tung jedes Christen die Heilige Schrift selbst zu studieren und auszulegen womit er mit jedem noch so gebildeten evangelikalen Theologen auch seinem

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 437 8 6 uuml

Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit

Pastor gleichauf steht So vereint die evangelikale Welt die dogmatische Enge dank der Bibelfrage mit einer enor-men demokratischen Weite weil jeder theologisch mitreden darf Die zweite Spannung ist die zwischen Mission und Religionsfreiheit Aus der enormen Be-tonung der persoumlnlichen Beziehung zu Jesus entstand sowohl die starke Beto-nung der bdquoZeugnispflichtldquo als auch die starke Betonung der Religionsfreiheit Das Konzept der Freiwilligkeit praumlgte nicht nur die Freikirchen sondern auch den innerkirchlichen Pietismus fuumlr den Glaube nicht nur etwas Aumlu-szligerliches Ererbtes sein duumlrfte sondern etwas persoumlnlich Erfahrenes Dazu aber kann man niemand zwingen ja Zwang macht die Moumlglichkeit zunichte eine wirklich eigenstaumlndige persoumlnliche Um-kehr zu Gott zu vollziehen Also lieber eine kleinere Kirche mit uumlberzeugten Mitgliedern als eine groszlige mit vielen Mitgliedern die nur dank gesellschaftli-chem familiaumlrem oder sonstigem Druck dazugehoumlren

Neubestimmung des Verhaumllt-nisses der Evangelischen Alli-anz zur katholischen Kirche

Lindemann geht auf die antikatholi-schen Tendenzen und Aktivitaumlten in Groszligbritannien ein in denen die Alli-anz zum Teil wurzelt (S 45ndash50) Aller-

dings weist er schluumlssig nach was mein groumlszligtes Aha-Erlebnis beim Lesen des Buches war Es waren kaum die dog-matischen Unterschiede die im Mit-telpunkt standen sondern die Allianz repraumlsentierte mit ihrem Eintreten fuumlr Glaubens- und Gewissensfreiheit ih-rer teilweise radikalen teilweise noch verhaltenen Trennung von Kirche und Staat und ihrer Vorrangstellung der frei-willigen persoumlnlichen Bekehrung ndash was jeden Zwang in der Mission oder reli-gioumlsen Zwang seitens des Staates aus-schloss ndash das komplette Gegenteil zur ultramontanistischen katholischen Kir-che die Religionsfreiheit entschieden verwarf den Staat als Diener der Kirche zumindest in Fragen von Religion und Ethik sah und die oumlrtlichen Katholiken staumlrker denn je an die geistliche aber auch politische Fuumlhrung des Papstes band ndash alles Positionen die die katho-lische Kirche offiziell erst im 2 Vati-kanischen Konzil aufgab aber schon nach den beiden Weltkriegen jeweils immer mehr zuruumlckfahren musste So wie es im bismarckschen Kulturkampf in Deutschland weniger um Glaubens-inhalte als um die Machtfrage und den politischen Einfluss der Kirche(n) ging so stand im Zentrum der Allianz ndash so Lindemann ndash dass der Ultramontanis-mus bdquoals eine Verschwoumlrung gegen die geistige Entwicklung und geistige Frei-heit der Menschheitldquo (S 49) erachtet wurde (S 321ndash337)

Konsequenterweise setzte man sich vom Gruumlndungsjahr an auch fuumlr verfolgte Katholiken in protestantischen Laumln-dern ein und unterstuumltzte antikatholisch orientierte Regierungen nicht in ihrem Tun (S 205) Uumlbrigens wurde 1846 be-wusst bei der Gruumlndung keine Nichtzu-lassung von Katholiken formuliert (S 131) Als sich die Allianz 1858 mit einer Delegation gegen Schweden wandte dessen oberstes Gericht der Koumlnigliche Gerichtshof 6 Frauen die zum Katho-lizismus konvertiert waren des Landes verwiesen hatte und die Allianz Religi-onsfreiheit fuumlr diese Katholiken forder-te gab es europaweit einen Sturm der Entruumlstung auszligerhalb der Allianz (S 295ndash300) Die Allianz war wesentlich daran beteiligt dass der schwedische Reichstag die Strafen fuumlr das Verlassen der lutherischen Staatskirche 1860 ab-schaffte Lindemann schreibt

bdquoDurch ihre Konzentration auf dog-matische und geistliche Elemente un-terschied sich die Allianz von anderen anti-katholischen Gruppierungen Uumlberdies machte das Engagement fuumlr die waadtlaumlndische Freikirche deutlich dass die Vereinigung sich nicht von ei-nem blinden Katholikenhass leiten lieszlig sondern sich auch gegen eine diploma-tische und militaumlrische Unterstuumltzung von Regierungen aussprechen konnte die das Prinzip der Religionsfreiheit nicht achteten auch wenn sie sich mit dem Katholizismus im Konflikt be-

fanden Sir Culling Eardley stellte in diesem Zusammenhang klar dass po-litische Freiheit ohne Religionsfreiheit undenkbar und auch nicht unterstuumlt-zenswert sei ndash nach Auffassung des Lon-doner Allianzkomitees handelte es sich dabei um das sbquoheiligste unter den Men-schenrechtenlsquoldquo (S 205ndash206)

bdquoDie Evangelische Allianz erwies sich bereits in ihrer Gruumlndungsphase keines-wegs als eine rein antikatholische Bewe-gung Vorrangig war das Interesse an einer Einheit unter den Christen waumlh-rend aktuelle Ereignisse und Entwick-lungen eher als ausloumlsende Faktoren fuumlr den Schritt zu dem protestantischen Zu-sammenschluss anzusehen sind Als we-sentliche Ziele galten die Evangelisation der Welt sowie vor allem aus amerika-nischer Perspektive auch der Wunsch durch die grenzuumlberschreitende Zusam-menarbeit zum Frieden unter den Voumll-kern beizutragenldquo (S 205)

Neues zur Geschichte der Religionsfreiheit

Als das herausragende Thema der Alli-anz erweist Lindemann den Einsatz ge-gen Verfolgung aus religioumlsen Gruumlnden und fuumlr die Religionsfreiheit die noch nie so gruumlndlich dargestellt wurde (bes S 141ndash151 205ndash321 592ndash645 773ndash811 858 868ndash913) Besonders inter-essant sind auch die Erkenntnisse zum

44 7 8 6 uuml

Einsatz der Allianz fuumlr die Religions-freiheit die Lindemann aus den Akten des britischen bdquoForeign Officeldquo gewann

Am staumlrksten stand in den Jahren 1849 bis 1858 der Einsatz fuumlr aus religioumlsen Gruumlnden Verfolgte im Mittelpunkt (S 207) da die Allianz sich zunutze mach-te dass Auszligenpolitik Thema der Presse und der entstehenden Parlamente wur-de (S 207)

Waumlhlen wir als Beispiel den Einsatz fuumlr den vom Katholizismus zum Protes-tantismus konvertierten Italiener Signor Giacinto Achilli (1803ndash1893) der des-wegen lebenslaumlnglich von der roumlmischen Inquisition inhaftiert war und der in einem fast einjaumlhrigen diplomatischen Tauziehen unter Beteiligung des briti-schen und franzoumlsischen Auszligenminis-ters der Medien der eigenen Zeitung und zahlreicher Delegationen schlieszlig-lich durch einen Trick von den Franzo-sen aus Rom befreit und nach England uumlberstellt wurde (S 208ndash223)

Vorgaumlnge wie diese stellt Lindemann wiederholt minutioumls dar Sie wurden wenn sie uumlberhaupt bekannt waren bis-her noch nie in ihren einzelnen Schrit-ten nachvollzogen und belegen wie gut organisiert mit Regierungen und Medi-en vernetzt und ihrer Zeit voraus dieser Aspekt der Evangelischen Allianz war Lindemann schreibt

bdquoBei ihrem Einsatz fuumlr aus Glaubens-gruumlnden Benachteiligte profitierte die Allianz eindeutig von der zunehmenden

Pluralisierung vor allem der britischen Gesellschaft und der Entstehung einer breiteren Medienoumlffentlichkeit die die Einflussnahme von sbquoPressure Groupslsquo auf auszligenpolitische Entscheidungspro-zesse zulieszlig Man merkte bald dass in bestimmten Faumlllen das gemeinsame Agieren uumlber Laumlndergrenzen hinweg noch Erfolg versprechender zu sein schien und wie zum Beispiel erstmals im Fall des Italieners Achilli zu einem gemeinsamen Handeln von Regierun-gen fuumlhren konnte Zugleich konnte der Verweis auf die englische oumlffentliche Meinung Staaten von Repressionen auf Andersglaumlubige abhalten sie beenden oder zumindest abmildern Nicht nur durch den Gebrauch neuer Methoden in diesem Engagement hatte die Evan-gelische Allianz an einem Modernisie-rungsprozess des Protestantismus im 19 Jahrhundert einen Anteilldquo (S 943)

Die Britische Allianz erreichte etwa durch eine Denkschrift an den preu-szligischen Koumlnig gegen die Baptistenver-folung dass der aus Berlin vertriebene Fuumlhrer der Baptisten Johann Gerhard Oncken nach Berlin zuruumlckkehren konnte (S 235ndash237) Mit Schreiben der britischen Koumlnigin und des preuszligischen Koumlnigs setzte man 1852 dem toskani-schen Groszligherzog Leopold II in einer Audienz wegen der Inhaftierung eines Ehepaars namens Madiai zu bdquoDie De-putation stieszlig europaweit auf eine star-ke Resonanzldquo (S 254) Und selbst der

gestrenge Lutheraner Ernst-Wilhelm Hengstenberg wahrhaftig kein Freund der Allianz ruumlhmte das Vorgehen denn es habe den katholischen Vorwurf die Protestanten seien hoffnungslos zerspal-ten widerlegt Hier habe man mit einer Stimme gesprochen (S 254) Die Sache weitete sich bis in die USA aus andere italienische Fuumlrsten wurden ebenso ak-tiv wie der franzoumlsische Kaiser bis das Ehepaar Madiai schlieszliglich nach einem Jahr 1853 freigelassen wurde Besonders deutlich wird wie eng der Gedanke ei-ner Oumlkumene der Protestanten mit der Religionsfreiheit verbunden war Ge-meinsamkeit macht stark

Wie konfessionell groszligzuumlgig man war zeigt sich auch darin dass man sich beim Sultan nicht nur fuumlr Konvertiten vom Islam zum Protestantismus ein-setzte sondern auch fuumlr die griechisch-orthodoxe Kirche (S 300) Im Iran setzte man sich fuumlr Nestorianer ein (S 610ndash613) Nach der Hinrichtung eines Konvertiten 1853 aktivierte die Allianz in Zusammenarbeit mit der Tuumlrkischen Allianz ihre Kontakte in zahlreichen eu-ropaumlischen Regierungen bis schlieszliglich 1856 Sultan Abduumllmecid I ndash sicher in Zusammenhang mit der komplizier-ten Politik zwischen dem Osmaischen Reich und den Westmaumlchten ndash in einem Edikt den Protestanten groumlszligere Freihei-ten zugestand und die Todesstrafe fuumlr Konversion abschaffte (S 300ndash319) 1874ndash1875 fuumlhrte eine weitere groszlige Kampagne eine Allianzdelegation bis

zum tuumlrkischen Auszligenminister Dip-lomaten sogar bis zum Sultan deren Auswirkungen aber umstritten sind (S 879ndash902) Lindemann schreibt dass fuumlr die Niederschlagung der Prozesse gegen Pastoren im Baltikum durch den Za-ren bdquoder Londoner Vorstoszlig der Allianz verantwortlich gewesenldquo sei (S 800) Das Verwirrspiel um den Versuch eines Treffens mit dem Zaren der schlieszliglich seinen Auszligenminister vorschickte wird bei Lindemann aufgeloumlst (S 779ndash800)

Auch die Audienzen die die Allianz beim preuszligischen Koumlnig erhielt etwa 1855 in Koumlln oder 1857 im Rahmen der Berliner Allianzkonferenz bei Fried-rich Wilhelm IV (S 286f) drehten sich immer um die Religionsfreiheit in Deutschland Dasselbe gilt fuumlr Gesprauml-che des Allianzsekretaumlrs die er mit dem deutschen Kaiser Wilhelm I und dem Reichskanzler Otto v Bismarck 1875 fuumlhrte (S 919) Eine Allianzdeputation bei Kaiser Franz Joseph I in der Hof-burg und anschlieszligende Gespraumlche beim Ministerpraumlsidenten und beim Kultusminister im Jahr 1879 fuumlhrten zu spuumlrbaren Erleichterungen fuumlr Pro-testanten 1880 sogar zu deren rechtli-cher Anerkennung als Kirchen sowie fast nebenbei zu Erleichterungen fuumlr die Freikirchen in Wien (S 913)

Dasselbe gilt auch fuumlr den Besuch der gesamten Teilnehmerschaft der New Yorker Konferenz beim amerikani-schen Praumlsidenten Ulysses S Grant und seinem Kabinett 1873 (S 755ndash756)

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 457 8 6 uuml

nur dass die amerikanische Regierung nicht mehr von der Religionsfreiheit uumlberzeugt werden musste Man be-denke dass das alles zu einer Zeit ge-schah als die angestammten Kirchen alle noch weit davon entfernt waren ihren Staatskirchenstatus aufzugeben geschweige denn Religionsfreiheit fuumlr alle zu gestatten oder sie gar selbst zu fordern Wenn Religionsfreiheit damals gefordert wurde dann meist von Juden religioumlsen Minderheiten und Atheisten nicht aber von sehr religioumlsen Vertretern der vorherrschenden Religion Welchen Beitrag die Evangelische Allianz zur Re-ligionsfreiheit in Deutschland geleistet hat ist bisher noch nirgends gewuumlrdigt worden

Grundsaumltzliches

Die Homburger Konferenz fuumlr Religi-onsfreiheit von 1853 war ein Meilen-stein der Allianzgeschichte und der To-leranz in Deutschland und Europa (S 263ndash267) Zentrales Ergebnis war die Ablehnung jeder kirchlichen Gewalt gegen Separatisten und die Ablehnung jeglicher Inanspruchnahme staatlicher Gewalt durch Kirchen gegen andere (S 266) ndash ein Meilenstein der Entwicklung des Rechtes auf Religionsfreiheit Dies galt zudem bewusst nicht nur fuumlr Chris-ten sondern fuumlr alle Religionen was na-tuumlrlich zu internen Kontroversen und zu scharfer Kritik seitens protestantischer

Staatskirchen fuumlhrte (S 267ndash272) ohne dass die Allianz deswegen von dem Grundsatz abruumlckte

1861 stellt ein franzoumlsischer Pastor erstmals eine ganz neue These auf die sich mehr und mehr in der Allianz durchsetze dass naumlmlich bdquodie Religi-onsfreiheit staatliche Ordnung und den ihr innewohnenden Frieden garantiertldquo (S 592) Unterdruumlckung der individuel-len Religionsfreiheit dagegen Revoluti-on und Unfrieden naumlhre und dem Staat seine gottgegebene Grundlage entziehe

Interessanterweise bestaumltigt eine in-ternationale wissenschaftliche Unter-suchung genau dies Religionsfreiheit foumlrdert eine friedliche Gesellschaft deren Unterdruumlckung foumlrdert Unruhe und Gewalt und praktisch alle religioumls gefaumlrbten terroristischen Bewegungen der Welt kommen aus solchen Laumlndern [Brian J Grim Roger Finke The Price of Freedom Denied Religious Persecu-tion and Conflict in the Twenty-First Century Cambridge Cambridge Uni-versity Press 2010 und meinen Kom-mentar dazu unter httpwwwthomas-schirrmacherinfoarchives1792]

Lindemann schreibt bdquoMit ihrem Engagement fuumlr die Reli-gionsfreiheit leistete die Allianz deren angloamerikanischer Fluumlgel sich nicht mit bloszliger Toleranz zufriedengab sondern das oumlffentliche Bekennen des Glaubens als ein Grundrecht ansah auch der Durchsetzung der buumlrgerli-chen Freiheiten in den betreffenden

Laumlndern einen bemerkenswerten Dienst und trug zur Entstehung einer europauml-ischen Zivilgesellschaft nicht unwesent-lich bei Allerdings kam es in diesem Bereich auch zu Konflikten mit der britischen Regierung die im Blick auf Indien vorrangig an der Beherrschbar-keit des Landes interessiert war und im Falle des Osmanischen Staats insbeson-dere von globalstrategischen sowie von oumlkonomischen und Handelsinteressen geleitet war Letztere begannen seit der Mitte des 19 Jahrhunderts die britische Auszligenpolitik verstaumlrkt zu beeinflussen Zudem laumlsst sich auf der Regierungsseite eine deutliche Zuruumlckhaltung gegenuumlber dem evangelikalen Missionsverstaumlndnis nachweisen Das Gesamtengagement der Allianz erwies sich hingegen durch die Erweiterung seiner Bezugspunkte und -orte bis hin nach Russland und Japan als kongruent zur globalen Dau-erpraumlsenz Groszligbritanniens Im Un-terschied zur britischen Auszligenpolitik mischte man sich jedoch immer wieder auch in europaumlische Religionskonflikte ein waumlhrend man mit Ausnahme der italienischen Einigung hinsichtlich poli-tischer Spannungen wie den seit 1864 von Preuszligen gefuumlhrten Kriegen analog zur Haltung der britischen Regierung Zuruumlckhaltung uumlbte oder sie gar wie im Falle des polnischen Aufstandes von 186364 der keineswegs frei von reli-gioumlsen Komponenten war ignorierteldquo (S 943)

Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit

46 7 8 6 uuml

Witness of the bodyMichael L Budde amp Karen Scott (Hrsg)

Wolfgang Haumlde

Michael L Budde amp Karen Scott (Hrsg) Witness of the body The past present and future of Christian martyrdom Grand Rapids MI Eerdmans (The Eerdmans Ekklesia series) 2011 238 Seiten ISBN 978-0802862587 1799 Euro

Klar wird die Absicht dieser Samm-lung von Aufsaumltzen im Vorwort defi-niert naumlmlich bdquodas Maumlrtyrertum an einen zentraleren Ort im Selbstver-staumlndnis der Kirche zuruumlckzubringenldquo (S vii) sowie das Maumlrtyrertum nicht nur bdquoals ein Objekt von Faszination und Grauenldquo zu sehen sondern ihm bdquowieder seinen Platz in der taumlglichen Praxis der Kircheldquo (S viii) zu geben Ich kann diese Ziele von ganzem Her-zen bejahen

Geschrieben ist das Buch fuumlr eine westliche Leserschaft der der Gedan-ke an Martyrium zum groumlszligten Teil fremd ist Leider fehlen Autoren die in der Mehrheitswelt leben Sie haumlt-

ten aus ihrer anderen Perspektive zu-saumltzliche Einsichten beitragen koumlnnen Auszligerdem wird konfessionelle Breite von Meinungen zwar postuliert (bdquoGe-lehrte von jenseits der konfessionellen Scheiden der Christenheitldquo S ix) aber nach dem was ich uumlber den Hinter-grund der Autoren feststellen konnte nicht wirklich erreicht denn die groszlige Mehrheit der Verfasser wird von US-amerikanischen Katholiken gestellt

Nicht alle Artikel scheinen die glei-che Relevanz fuumlr das Thema zu haben Ich frage mich zum Beispiel ob der Ar-tikel bdquoDas Gerichtsurteil der Eucharis-tie im Prozess gegen Jean d Arcldquo (Ann W Astell S 82ndash106) von groumlszligerer Be-deutung dafuumlr ist dem Maumlrtyrertum den ihm angemessenen Platz in der heutigen Kirche zuruumlckzugeben

Es ist eine Staumlrke dieser Aufsatz-sammlung nicht nur die Maumlrtyrer der Fruumlhen Kirche zu behandeln sondern z B im Teil III (bdquoMaumlrtyrertum zerstoumlrt

die Kircheldquo) auch auf die Verfolgung von Christen durch Christen beson-ders im Zeitalter von Reformation und Gegenreformation einzugehen Brad S Gregory (bdquoVerfolgung oder Straf-verfolgung Maumlrtyrer oder Pseudomaumlr-tyrer Die Zeit der Reformation Ge-schichte und theologisches Nachden-kenldquo S 107ndash124) kritisiert zu Recht dass es von einem Standpunkt im 21 Jahrhundert mit seiner Konzentration auf die Menschenrechte allzu leicht sei die Strafverfolgung mutmaszliglicher Hauml-retiker im 16 Jahrhundert anzupran-gern ohne die Grundvoraussetzungen jener Zeit wirklich verstanden zu ha-ben Allerdings empfand ich in diesem Artikel manchmal zu viel Verstaumlndnis fuumlr die Verfolger Unter den elf Arti-keln uumlber Maumlrtyrertum ragen fuumlr mich zwei als Houmlhepunkte heraus Der Ar-tikel von Stephen Fowl Theologiepro-fessor am Loyola-College in Maryland bdquoDer Vorrang des Zeugnisses des Lei-

bes vor dem Maumlrtyrertum bei Paulusldquo (S 43ndash60) liefert das Stichwort fuumlr den Titel des ganzen Buches Fowl ist ein Vertreter der Schule der bdquotheologischen Auslegung der Schriftldquo Er versucht m E erfolgreich das Maumlrtyrertum in den breiteren Zusammenhang von Roumlmer 121ndash2 zu stellen wo Christen dazu aufgerufen werden ihre bdquoLeiber als ein lebendiges Opfer hinzugebenldquo Jeder Christusglaumlubige ist also zum bdquoZeugnis des Leibesldquo aufgerufen Dieses Zeugnis ist die Hingabe unseres ganzen Seins fuumlr Gottes Willen und Gottes Ehre Diese Hingabe mag zum Maumlrtyrer-tum fuumlhren oder auch nicht bdquoGlaumlubige koumlnnen und sollten immer am Zeugnis des Leibes teilhaben Ob die Autoritauml-ten sie dafuumlr toumlten werden oder nicht liegt weitgehend nicht in ihrer Handldquo (S 44) Der zweite Houmlhepunkt ist fuumlr mich bdquoLohnt es sich fuumlr irgendetwas zu sterben Maumlrtyrertum Exterioritaumlt und Politik nach dem bloszligen Lebenldquo

glauben amp denken heute 22012 477 8 6 uuml

(S 171ndash189) von D Stephen Long Theologieprofessor an der Marquette-Universitaumlt und Geoffrey Holdsclaw

Die Autoren stellen fest dass die west-lichen saumlkularen Gesellschaften aus ih-rer politischen Philosophie alle Ziele eli-miniert haben die houmlher als das Leben sind Es herrscht die Angst dass dann wenn man bdquoPolitik in irgendeinem tran-szendenten Zielldquo begruumlnden wuumlrde eine bdquomilitaristische Gesellschaft erzeugtldquo wuumlrde (S 171) Als Ergebnis dieser Sor-ge ist bdquohellip die einzige rationale dogma-tische Position von der politisches Den-ken seinen Ausgang nehmen sollte die Bewahrung des Lebensldquo (S 173)

Sehr tiefgehend zeigt der Aufsatz wie eine neue Hingabe an lehrmaumlszligige Wahr-heit d h daran Gottes Willen houmlher zu setzen als unser Leben die Grundlage unserer gegenwaumlrtigen politischen Phi-losophie in Frage stellen wuumlrde und da-her als Bedrohung aufgefasst wird

Deutlicher haumltten die Verfasser ma-chen muumlssen dass die Frage bdquoWofuumlr lohnt es sich zu sterbenldquo nicht unwei-gerlich zur Frage bdquoWofuumlr lohnt es sich zu toumltenldquo fuumlhrt (S 171) und dass es zwar eine Gemeinsamkeit zwischen radikalen Muslimen und hingegebenen Christen ist lehrmaumlszligige Wahrheit uumlber das Le-ben zu setzen dass es aber entscheiden-de Unterschiede darin gibt worin die jeweiligen Wahrheiten bestehen

Witness of the body Werbung

Pro Mundis

Geistliche Impulse

Theologische Akzente

Ergaumlnzungen zur Ethik

Philosophische Anstoumlszlige

und vieles mehr

wwwbucerde

Besuchen Sie einmal unsere Internetseite Das Martin Bucer Seminar bietet im Internet unter dem Hauptmenuuml bdquoRessourcenldquo eine Vielzahl von kostenlosen Materialien zum Herunterladen an Diese koumlnnen die per-soumlnliche Weiterbildung sehr bereichern und auch geistliche Impulse geben So finden Sie unter anderem die Zeittafel uumlber Zwingli und Bucer von Gerhard Gronauer (MBS Text 86) oder den Beitrag bdquoDie Hinwendung Oumlster-reichs zum Christentumldquo von Frank Hinkel-mann (MBS Text 87) Es erwarten Sie viele andere interessante und bibliografisch ver-wertbare Aufsaumltze in den Reihen Geistliche Impulse Theologische Akzente Pro Mundis und Ergaumlnzungen zur Ethik Reformiertes Fo-rum und Hope for Europe

Im Bereich Bonner Querschnitte den Sie auch unter dem Hauptmenuuml bdquoRessourcenldquo finden ist zudem ein Archiv der Pressein-formationen des Seminars und der mit ihm verbundenen Institute untergebracht

MARTIN BUCER SEMINAR onlineMBS-Texte

48 7 8 6 uuml

Falling wallsndash the year 198990 Einstuumlrzende Mauern ndash das Jahr 198990Klaus Koschorke

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Klaus Koschorke Falling walls ndash the year 198990 as a turning point in the histo-ry of world Christianity Einstuumlrzende Mauern ndash das Jahr 198990 als Epo-chenjahr in der Geschichte des Weltchris-tentums (Studien zur auszligereuropaumlischen Christentumsgeschichte 15) Wiesbaden Harrassowitz Verlag 2009 451 Seiten ISBN 978-3-447-05995-4 5400 Euro

Dass sbquodie Wendelsquo 198990 also der Fall der Berliner Mauer die Aufloumlsung des Sowjetimperiums das Ende der bipo-laren Weltordnung und das Ende der Apartheid in Suumldafrika auf allen Kon-tinenten tiefgreifende politische oder wirtschaftliche Folgen hatte ist unbe-stritten Doch wie sah die Rolle der Christenheit dabei aus und welche Fol-gen hatte sie fuumlr die Weltchristenheit Dass Christen und Kirchen in die Vor-

bereitung der Wende in Deutschland in-volviert waren ist gruumlndlich untersucht Bei der Welle der Demokratisierungen 1989ndash1993 spielten Kirchen eine fuumlh-rende Rolle (in Rumaumlnien etwa begann die Revolution mit dem Widerstand ge-gen die politisch motivierte Zwangsver-setzung des reformierten Pfarrers Laacuteszlo Toumlkes in Timisoara S 64) die Zahl der fuumlhrenden christlichen Persoumlnlichkeiten in der Politik nahm stark zu Zur Fra-ge nach der Weltchristenheit gehoumlrt in diesem Zusammenhang aber auch die Darstellung der neuen Religionsfreiheit in vielen Laumlndern und die Abloumlsung des Kommunismus als Hauptbeschraumlnker der Religionsfreiheit durch den Islam wobei es in islamischen ebenso wie in anderen Laumlndern haumlufig zu einer neuen gefaumlhrlichen Allianz von Religion und Nationalismus kam

Die 4 Internationale Muumlnchen-Frei-sing-Konferenz 2008 fuumlhrte zu diesem Zweck Forscher aus vier Kontinenten zahlreichen Fachrichtungen und Kon-fessionen zusammen Die 23 deutschen oder englischen Forschungsbeitraumlge (plus Einfuumlhrung durch den Heraus-geber und Zusammenfassung durch einen Konferenzbeobachter) die fast ausnahmslos regionale nationale und dabei oft konfessionelle Schwerpunkte setzen stellen derzeit die umfassendste Darstellung zum Thema dar Ihr Ni-veau ist uumlberwiegend sehr hoch meist mit einer Fuumllle von in deutschen Bib-liotheken schwer zugaumlnglichen Quel-len belegt Es gibt Ausnahmen so ist ausgerechnet der Beitrag zu Suumldafrika nur eine vierseitige Zusammenfassung (S 89ff) Etliche Beitraumlge leiden in ihrer Wissenschaftlichkeit unter der konfessi-

onellen Einseitigkeit der Autoren Es ist natuumlrlich unmoumlglich hier zu jedem der Beitraumlge einige Saumltze zu schreiben Fuumlr den Leser der wissen will ob seine Regi-on oder Thematik behandelt wird seien grob die Themen aufgelistet DDR Po-len Rumaumlnien Osteuropa Suumldafrika Aumlthiopien Afrika Suumldkorea China Vietnam Kuba Zentralamerika Ar-gentinienUruruguayChile Brasilien Lateinamerika USA allgemein Fun-damentalismus Befreiungstheologie Pfingstbewegung Lutherische Kirchen

Bedauerlich ist dass nicht alle Autoren das gesamte konfessionelle Spektrum ab-decken So mag man ja noch verstehen dass zu Polen der Protestantismus nicht dargestellt wird dass er zu China fehlt ist unverstaumlndlich so lesenswert der Bei-trag von Roman Malek ist Uumlberhaupt lassen die meisten katholischen Autoren

glauben amp denken heute 22012 497 8 6 uuml

andere Konfessionen uumlberwiegend links liegen waumlhrend die protestantischen Autoren die nichtprotestantischen Kir-chen wenigstens mit darstellen wenn auch selten angemessen Angesichts der Gesamtthematik des Buches ist die kon-fessionelle und theologische Einseitig-keit etlicher Einzelbeitraumlge erstaunlich Evangelikale und Pfingstler immerhin ein Drittel der Weltchristenheit erschei-nen uumlberwiegend als negative Klischees auch wenn die Spannbreite der Darstel-lungen von billiger Polemik bis hin zu gut belegten Fehlentwicklungen reicht Manche Kritik ist berechtigt ndash wenn auch oft weniger Ergebnis belegter For-schung als einfach Meinung des jeweili-gen Autors etwa dass in den charisma-tischen Bewegungen bdquoChristianity as a Shopping Mallldquo etabliert wurde (James R Cochrane S 109ndash110) oder pfingst-liche Politiker in Brasilien sich bdquonicht als kompetenter oder ethisch verlaumlsslicher erwiesen als andereldquo (Rudolf von Sinner S 330) Wenn auch nichtamerikanische Evangelikale vieles kritisch sehen was im evangelikalen Bereich in den USA geschieht so helfen Sammeltoumlpfe wie die bdquoRechtsevangelikalen Neofunda-mentalisten und Pfingstsektenldquo (S 21) bei der Aufarbeitung sicher nicht

Manchmal schlaumlgt eine westliche theologisch liberale Sichtweise verzer-rend durch etwa wenn es heiszligt dass konservative Anglikaner versuchten die afrikanischen Kirchen fuumlr ihre Zwecke

einzuspannen (S 17) Den Neuauf-bruch groszliger anglikanischer Kirchen in Afrika als amerikanisch zu erklaumlren ist schlicht falsch offenbart aber auch einen Patriarchalismus der der Realitaumlt nicht gerecht wird Es sind umgekehrt stark wachsende afrikanische anglika-nische Nationalkirchen wie in Uganda die den kleinen konservativen Fluumlgel der Anglikaner in den USA zum Wider-stand anstiften

Anselm K Min (S 195ndash214) schreibt den koreanischen Kirchen aller Konfes-sionen zwar berechtigte und gewichtige Anfragen ins Stammbuch ndash wenn auch von den USA aus ndash seine Leistung als Historiker ist aber schwach seine Kritik an allem was rechts von ihm steht ist heftig aber nicht belegt Er wird der Di-versitaumlt des konservativen Protestantis-mus und der evangelikalen Bewegung nicht gerecht und spiegelt eher seine eige-ne theologische Position als eine wissen-schaftliche Erforschung der Kirchenge-schichte wider Die stabilisierende Rolle nicht aller aber vieler evangelikaler Gruppen fuumlr die koreanische Demokra-tie und die vergleichsweise positive Rol-le eines evangelikalen Praumlsidenten wird gar nicht erwaumlhnt Typisch klischeehaft wird der Fundamentalismus mit Anti-Intellektualismus und dogmatischer Intoleranz gleichgesetzt (S 210) ndash das haben die groszligen reformierten Hoch-schulen Koreas sicher nicht alle verdient Und wer im wissenschaftlichen Kontext

von bdquoFundamentalismusldquo spricht moumlge bitte angesichts der ungezaumlhlten Defini-tionen und den meist emotionalen oder gar vernichtenden Bedeutungen erst einmal sagen was er eigentlich darunter versteht Das uumlberschwaumlngliche Lob des koreanischen Katholizismus im Gegen-satz zum Protestantismus der korrupt materialistisch individualistisch und der koreanischen Kultur nicht angepasst sei (S 212) wirkt in seiner schwarz-wei-szligen Pauschalisierung trotz des gewissen Wahrheitskerns fast schon komisch

Die groszlige Ausnahme ist hier ndash wie nicht anders aufgrund seiner Buumlcher zu erwarten ndash der unbedingt lesenswerte Beitrag von Michael Hochgeschwender zu den USA (S 351ndash371) eigentlich fuumlr das Thema bdquoEvangelikaleldquo ja das schwie-rigste Land Doch Hochgeschwender schreibt informiert belegt differenziert bei allen Vor- und Nachteile sehend uumlber alle Konfessionen und Richtungen gleichermaszligen fair Hochgeschwen-der sieht generell den Schwerpunkt der enormen Religiositaumlt und Spiritualitaumlt in den USA darin dass sie bdquomit einer radikalen Konsequenz die weltweit ih-resgleichen sucht zur Ware umfunktio-niertldquo (S 368) wurde und wird

Am anderen Ende des Spektrums zu Hochgeschwender steht der britische Theologe Kevin Ward der eigentlich bdquoPluralism and fundamentalism as challenges for the African Churchesldquo (S 157ndash176) aber uumlberwiegend nur die

Spaltung der anglikanischen Weltge-meinschaft darstellt das Thema seiner Uumlberschrift also verfehlt hat nicht nur weil er nirgends definiert was die bei-den Begriffe seines Themas eigentlich bedeuten sondern eigentlich immer nur zwei Lager beschreibt die man dann wohl den beiden Themen zuordnen soll was der enormen Vielfalt der afrikani-schen Christenheit kaum gerecht wird Auf welcher Seite Ward selbst steht zeigt seine Verteidigung der Forderung von Erzbischof Williams die Scharia in Teilen Groszligbritanniens zuzulassen Kommt die Kritik daran wirklich nur von Konservativen die sich nicht mit der Realitaumlt der multikulturellen Gesell-schaft abfinden wollen (S 173) Wards Kritik an der Kritik der nigerianischen Bischoumlfe an Williams geht voumlllig daran vorbei dass die Frage der Guumlltigkeit der Scharia fuumlr die anglikanische Kirche in Nigeria keine akademische sondern eine existentielle Frage ist kein den theologischen Stroumlmungen rechts oder links zuzuordnendes Thema

Sehr interessant sind die Beitraumlge die die Folgen der bdquoWendeldquo fuumlr die Befrei-ungstheologie und den Weltkirchenrat diskutieren Sergo Silva (S 335ndash350) haumllt die These die Befreiungstheologie habe ohne real existierende sozialistische Laumlnder stark an Bedeutung verloren fuumlr grundfalsch Seine Argumente sind aber fast ausschlieszliglich theologisch (sie ist weiter berechtigt und noumltig) nicht his-

Falling wallsndash the year 198990

50 7 8 6 uuml

torisch oder soziologisch (Auch hier ist uumlbrigens bedauerlich dass Evangelikale wie Rene Padilla oder Samuel Escobar und ihre juumlngeren Nachfolger uumlberhaupt nicht in den Blick kommen) Die Base-ler Missionswissenschaftlerin Christine Lienemann-Perrin (S 373ndash392) vertritt die entgegengesetzte These ndash und dies gut belegt ndash vor allem am Beispiel Ko-reas Suumldafrikas und Lateinamerikas Sie geht davon aus dass die groszligen be-freiungstheologischen Entwuumlrfe durch kontextuelle lokale Entwuumlrfe abgeloumlst wurden

Viggo Mortensen (S 429ndash441) be-schreibt ausgehend von den lutherischen Kirchen die tiefgreifende Veraumlnderung innerhalb der oumlkumenischen Bewegung nach 1989 Denn bdquoinnerhalb der oumlku-menischen Bewegung hingen viele am sozialistischen Traumldquo (S 440) Dieser sei laumlngst ausgetraumlumt (aumlhnlich Hart-mut Lehmann S 446)

Die Entwicklung ginge von der Be-tonung der sichtbaren Einheit hin zur versoumlhnten Vielfalt vom Konsens (fast um jeden Preis) hin zum sichtbaren Pro-fil und Bekenntnis Dass die Veraumlnde-rungen auch den Dauerstreit zwischen Evangelikalen und Weltkirchenrat be-endet haben und es heute eine gute Zu-sammenarbeit mit der weltweiten Evan-gelischen Allianz in vielen Fragen gibt wird nicht erwaumlhnt auch wenn dies ge-nau die These des Autors unterstreicht Kritisch angemerkt sei noch dass die in

der Einfuumlhrung gut angesprochene Fra-ge der Religionsfreiheit die durch die sbquoWendelsquo ein ganz neues Thema wurde aber sich auch international ganz an-ders ohne den kommunistischen Block darstellt (etwa durch die zunehmende Verquickung von Religion und Natio-nalismus ndash darunter auch Beispiele eines christlichen Nationalismus) im Buch fast voumlllig fehlt

Dabei haumltte das Thema mindestens ei-nen eigenen Beitrag verdient gehabt und haumltte alle anderen Beitraumlge durchziehen muumlssen Denn die praktische Lage der Religionsfreiheit weltweit als auch der internationale theoretische Diskurs zum Thema hat sich in den letzten drei Jahrzehnten von der sbquoWendelsquo ausgehend grundlegend gewandelt und christliche Kirchen sind unmittelbar von beidem uumlberall betroffen

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher Werbung

glauben amp denken heute ist eine Zeitschrift fuumlr Freunde des Martin Bu-cer Seminars und fuumlr alle Menschen die sich dem christlichen Glauben ver-bunden fuumlhlen 2 x im Jahr erscheint glauben amp denken heute online und kann unter wwwbucereu herun-tergeladen werden glauben amp denken heute veroumlffentlicht theologische Beitrauml-ge sowie diverse BuchrezensionenReservieren Sie sich noch heute eine Werbeflaumlche in glauben amp denken heute und Ihre Anzeige wird in der naumlchsten Ausgabe online freigeschaltet Ihre Bestellung und Anzeige senden Sie bitte per E-Mail an Manfred Feldmann ManfredFeldmannbucerde

Beispiel Hiermit bestelle ich die Werbeflaumlche A (AshyG) Die Anshyzeige (Anhang beigefuumlgt) soll 1x (2x) im Jahr erscheinen

Betriebssystem Apple Macintosh WindowsLinux uaDateiformat JPEG GIF bei einer Aufloumlsung von houmlchstens 150 dpi

Anzeige 257 x 170 mmSeite 1 SatzspiegelPreis 125 Euro

Anzeige 192 x 170 mmSeite 34 SpaltenPreis 100 Euro

Anzeige 125 x 170 mmSeite 24 SpaltenPreis 75 Euro

Anzeige 59 x 170 mmSeite 14 SpaltePreis 50 Euro

Anzeige 125 x 83 mmSeite 28 SpaltenPreis 35 Euro

Anzeige 59 x 83 mmSeite 18 SpaltePreis 20 Euro

Anzeige 297 x 210 mmSeite 1 ganze SeitePreis 150 EuroA

B

C

D

E

F

G

glauben amp denken heute 22012 517 8 6 uuml

Neuere Buumlcher uumlber Konstantin den GroszligenPeter Leithart Klaus M Girardet

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Peter Leithart Defending Constanti-ne The Twilight of an Empire and the Dawn of Christendom Downers Grove (IL) IVP Academic 2010 373 Seiten ISBN 978-0830827220 2199 Euro

Peter J Leithart hat ein Buch zur Ehrenrettung Kaiser Konstantins ge-schrieben das sich vor allem gegen die Thesen des amerikanischen Mennoni-ten John Howard Yoder (1927ndash1997) wendet fuumlr den Konstantin der In-begriff des Abfalls des Christentums von seinen pazifistischen Urspruumlngen und fuumlr das jahrhundertlange Uumlbel des Staatskirchentums und der Ketzerver-folgung stand

Leithart will dabei keinen originauml-ren Forschungsbeitrag liefern sondern die viel positivere Beschreibung in der Fachliteratur und den Wandel des

Konstantinbildes in der Wissenschaft den tief verwurzelten Vorurteilen vie-ler heutiger Christen entgegenhalten In einer enormen Vielfalt breitet er Forschungsliteratur der letzten hun-dert Jahre in den Fuszlignoten aus und zeigt dass der tatsaumlchliche Konstantin weder mit dem bejubelten christlichen Kaiser des Mittelalters noch mit dem Buhmann der Aufklaumlrung aber auch freikirchlicher Autoren etwas zu tun hat Konstantin ist nur aus der Reali-taumlt des 4 Jahrhunderts heraus zu ver-stehen und konnte nicht wissen was die Zukunft bringen wuumlrde Gemessen daran war er ndash so Leithart ndash uumlberzeug-ter Christ und fand einen Weg zwi-schen der Foumlrderung des christlichen Glaubens und der Religionsfreiheit der nichtchristlichen Bevoumllkerungsmehr-heit Dabei muumlsse man aber immer die

ganze Breite der erforschten Ereignisse beruumlcksichtigen So gibt es unuumlberseh-bare und nennenswerte Einfluumlsse des Christentums auf seine Gesetzgebung andererseits ebenso voumlllig davon unbe-einflusste Bereiche

Waumlhlen wir etwa die Architektur (S 112ndash125) als Beispiel fuumlr die bdquoKom-plexitaumltldquo (S 113) und bdquoMehrdeutig-keitldquo (S 114) des Wirkens Konstantins Einerseits baute der Kaiser jede Menge oumlffentlicher Bauten die durchaus mit roumlmischer und griechischer religioumlser Kunst geschmuumlckt waren Andererseits stand der Kirchenbau in Rom und dann in Byzanz im Zentrum seines persoumlnli-chen Interesses Ein typisches Beispiel ist der Konstantinbogen in Rom Ei-nerseits unterscheidet er sich im ersten Moment nicht von anderen derartigen Bauten Ein unmittelbarer christlicher

Bezug fehlt von den teilweise christli-chen Militaumlrzeichen der abgebildeten Offiziere abgesehen Andererseits wird nirgends den roumlmischen Goumlttern ge-dankt am auffaumllligsten nicht Jupiter wie bis dahin uumlblich Eine Jupiterfi-gur ist zwar zu sehen aber Konstantin wendet ihr den Ruumlcken zu Vielmehr wird dem groszligen Gott gedankt der sich Konstantin offenbart hat Das ver-standen die Christen christlich fuumlr die anderen war es nicht automatisch ein Affront

Auch christliche Symbole sind ein schoumlnes Beispiel So standen sie auf Muumlnzen oder Standarten nach 312 laumlnger neben aumllteren religioumlsen Symbo-len die sie erst allmaumlhlich abloumlsten bis schlieszliglich die menschlich dargestell-ten heidnischen Gottheiten aumlhnlich wie spaumlter im Mittelalter nur noch als

52 7 8 6 uuml

mythischer Schmuck dienten (S 71ndash79) War Konstantins Uumlbertritt zum Chris-tentum eine sbquoechtelsquo Bekehrung Leithart betont zu Recht dass die Frage ist was das damals bedeutete (S 79ndash80) Kons-tantin nahm etwa persoumlnlich die chris-tologische Entscheidung von Nizaumla an (S 89ndash90) was heute fuumlr uns bedeut-samer ist als damals Hier haumltte Leithart viel deutlicher ndash wie Girardet in den im Folgenden besprochenen Werken ndash da-rauf verweisen koumlnnen dass Bekehrung vor allem bedeutete den Goumltzendienst aufzugeben Viel staumlrker haumltte herausge-arbeitet werden muumlssen welche zentrale Rolle der Verzicht auf das Opfer zu Ju-piter nach dem Sieg uumlber die Mitkaiser spielt (S 66ndash67) Hier zitiert Leithart zwar eine deutsche Quelle von 1955 die er aber wohl nicht lesen konnte Die umfangreichen deutschen Studien dazu kennt er nicht (siehe unten)

Auch bei anderen Fragen ist Leithart auf der richtigen Spur haumltte aber mit deutschen Quellen bessere Belege an-fuumlhren und die Bedeutung der Ergeb-nisse staumlrker herausstellen koumlnnen So geht Leithart davon aus dass die eigent-liche Kreuzesvision Konstantins bereits 310 in Grand in den Vogesen (heute in Frankreich) stattfand wahrscheinlich als bdquoRinghaloldquo (S 77ndash78) die neuesten Belege dafuumlr fuumlhrt er aber nicht an

Erfreulicherweise bezeichnet Leithart das bdquoEdikt von Mailandldquo als bdquoFiktionldquo (S 98ndash99) Tatsaumlchlich vereinbarten die

beiden Kaiser Konstantin und Licinus nach einem Treffen in Mailand in ei-nem Brief vom Juni 313 aus Nikomedia die Ruumlckgabe von konfisziertem Kir-chengut und die Religionsfreiheit der Christen nicht aber deren Vorrangstel-lung geschweige denn eine Stellung als Staatsreligion (S 99ndash100) Tatsaumlchlich hat Konstantin die Freiheit der Nicht-christen nicht beschraumlnkt

Je laumlnger je mehr geht es Leithart aber nicht nur um eine Ehrenrettung Kons-tantins sondern darum ihn als Vorbild fuumlr christliche Politik hinzustellen Aus Leitharts Sicht gilt bdquoKonstantin liefert uns in vielerlei Hinsicht ein Modell fuumlr christliche politische Praxisldquo [bdquoConstan-tine provides in many respects a model for Christian political practiceldquo] (S 11) Die Aussage dass Konstantin in vie-ler Hinsicht fuumlr christliches politisches Handeln steht geht natuumlrlich weit uumlber das hinaus was Leithart belegt und be-sonders was er widerlegt Zwar ist zu wuumlrdigen dass Konstantin aus christ-licher Motivation auch Gesetze huma-nisiert und brutale Elemente der roumlmi-schen Kultur beendet hat Auch hat es Konstantin geschafft das Christentum zu foumlrdern ohne die Religionsfreiheit der anderen einzuschraumlnken Aber ob das fuumlr seine Vorbildfunktion reicht Und haumltte man dann nicht gruumlndlicher diskutieren muumlssen ob die Foumlrderung des Christentums als vom Staatsober-haupt gewuumlnschter Religion und Reli-

gionsfreiheit wirklich gleichzeitig moumlg-lich sind und inwiefern ein Christ als Staatslenker die Politik praumlgen sollte und kann

Ausfuumlhrlich belegt Leithart dass die Sicht von Yoder und anderen die Fruumlhe Kirche sei vollstaumlndig pazifistisch gewe-sen und habe erst durch oder nach Kon-stantin ihre Sicht geaumlndert dass man nicht in der roumlmischen Armee dienen koumlnne einseitig ist Tatsaumlchlich gab es um diese Fragen eine breite Diskussion in der Fruumlhen Kirche Schon vor Kon-stantin bis zuruumlck zur Zeit der Apos-tel dienten Christen als Soldaten und Offiziere in der roumlmischen Armee (S 255ndash278) die ja zugleich die Polizeige-walt innehatte Aber auch hier ist es ein weiter Weg zur Vorbildfunktion Kon-stantins die auch ohne Pazifismus die Frage klaumlren muumlsste wie das Verhaumlltnis der christlichen Kirche zu legalen Ins-titutionen des staatlichen Gewaltmono-pols sein sollte

Ich persoumlnlich haumltte mir eine klarere Trennung in einen historischen Teil zu Konstantin und einen ethischen Teil zum Verhaumlltnis von Kirche und Staat gewuumlnscht Da Yoder die beiden Fragen bis zur Unkenntlichkeit vermischt folgt ihm Leithart wenn es bei ihm auch viel einfacher ist die Gedanken zum einen oder anderen voneinander zu trennen

Eigentlich handelt es sich fuumlr mich sogar um vier Fragenkomplexe die hier verschwimmen 1 Was ist historisch

zur Konstantinbiografie zuverlaumlssig zu sagen 2 Wie viel des spaumlteren mittelal-terlichen christlichen Europas geht auf Konstantin zuruumlck und wie viel nicht heiszligt also das konstantinische Zeitalter zu Recht so oder nicht 3 Was ist gut und richtig ndash das heiszligt wie sollte es ide-alerweise biblisch-theologisch sein Und 4 Wie ist im Licht des Ideals Konstan-tin die spaumltere Entwicklung des Mittel-alters zu bewerten oder kann man eine solche Bewertung gar nicht vornehmen

Durch die starke Fixierung des Buches auf Yoder vor allem im hinteren Teil (S 254ndash342) und dem angekuumlndigten Wechsel von der Biografie zur Polemik im Laufe des Buches (S 10ndash11) wird das Buch leider auch sehr auf den ame-rikanischen Bereich zugeschnitten und ist gerade im hinteren Teil fuumlr Christen in Europa oder im globalen Suumlden nicht relevant

Drei Buumlcher von Girardet

Dem Buch von Leithart moumlchte ich drei Werke von Klaus M Girardet gegen-uumlberstellenA) Klaus M Girardet Der Kaiser und sein Gott Das Christentum im Denken und in der Religionspolitik Konstantins des Groszligen Millenium-Studien 27 Ber-lin de Gruyter 2010 212 Seiten ISBN 978-3110227888 7495 Euro

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 537 8 6 uuml

Neuere Buumlcher uumlber Konstantin den Groszligen

B) Klaus M Girardet (Hg) Kaiser Kon-stantin der Groszlige Historische Leistung und Rezeption in Europa Bonn Ru-dolf Habelt 2007 darin bes Klaus M Girardet bdquoDas Christentum in Denken und in der Politik Kaiser Konstantin d Grldquo S 29ndash54 208 Seiten ISBN 978-3774934740C) Klaus M Girardet Die konstantini-sche Wende Voraussetzungen und geistige Grundlagen der Religionspolitik Kons-tantins des Groszligen Darmstadt Wissen-schaftliche Buchgesellschaft 2006 2002 204 Seiten ISBN 978-3534191161 4990 Euro

Stellen wir dem Buch von Leithart die Buumlcher zu Konstantin des deutschen Forschers Klaus Girardet gegenuumlber Grund fuumlr die intensive Erforschung Konstantins auf deutscher Seite ist un-ter anderem dass Trier zeitweise dessen Hauptstadt war

Girardet unterscheidet drei For-schungsrichtungen (A S 22ndash24) 1 Auffassung dass Konstantin bereits von Haus aus Christ war oder sich 310 bis 312 oder uumlber einen noch laumlngeren Zeitraum dem Christentum zuwandte 2 Auffassungen dass sich Konstan-tin zwar dem Monotheismus undoder Sonnenkult mit gewissen christlichen Elementen zuwandte nicht aber Christ nach damaligen und heutigen Maszligstauml-ben wurde 3 Die Auffassung dass es weder fuumlr die erste noch fuumlr die zweite Auffassung Hinweise gibt

Girardet beantwortet in einem eigenen Beitrag die Frage bdquoChristliche Kaiser vor Konstantinldquo (C S 13ndash38) sehr uumlber-zeugend negativ anhand jedes einzelnen Kaisers und seiner Familien vor Kons-tantin

Girardet lehnt treffend moderne Maszligstaumlbe dafuumlr ab ob Konstantins Be-kehrung sbquoechtlsquo sbquoaufrichtiglsquo oder sbquorichtiglsquo war und Konstantin sbquorechtglaumlubiglsquo wur-de (C S 59) Er geht davon aus dass das herausragende Kennzeichen des Christ-seins und Christwerdens in der Antike und im 4 Jahrhundert die bdquoAbsage an den Goumltterkultldquo (C S 60) gewesen sei Also muumlsse vor allem gefragt werden ob Konstantin diese vollzogen habe bdquoDie Verweigerung des Goumltzenopfersldquo durch Konstantin sei gut belegt (C S 60ndash71 A S 78ndash88) ndash unter anderem direkt nach dem Sieg uumlber seine Mitkaiser da Kon-stantin am Ende des Triumphzuges (der streng genommen keiner war da keine Feinde sondern ein Mitkaiser besiegt wurde) in Rom am 2910312 fuumlr alle erkennbar nicht als Ende und Houmlhe-punkt das uumlbliche Dankopfer an Jupi-ter Optimus Maximus auf dem Kapitol darbrachte sondern direkt in seinen Pa-last zog

Dafuumlr findet Girardet viele Belege So sieht der heidnische Historiker Zosimos (II 72) in der Unterlassung des Dank-opfers an Jupiter den Grund fuumlr den Beginn des politischen Niedergangs von Rom (C S 70) Das Dankopfer an Ju-

piter fehlt auch auf dem 315 errichteten Konstantinbogen auf dem statt Jupiter der bdquoinstinctu divinitatisldquo der Einge-bung der Gottheit gedankt wird

Auffaumlllig ist ab 312 in Berichten oder eben auf dem Konstantinbogen das erstmals der Gott der den Sieg verur-sachte keinen Namen hat sondern all-gemein bdquosumma divitasldquo und aumlhnlich heiszligt (C S 68)

Kurz nach der Verweigerung des Dankopfers an Jupiter 312 erscheinen erste Muumlnzen mit dem Christogramm (B S 42) Alles spricht dafuumlr dass es bereits Christuszeichen auf dem Helm des Kaisers und den Feldzeichen gab (A S 64ndash67) wobei das Christuszeichen wohl nicht das heute vertraute Kreuz war sondern das Chi-Rho

Girardet geht ausfuumlhrlich auf die drei zentralen Texte zur Vision des Christus-zeichens an der Milvischen Bruumlcke ein (A S 30ndash40) Nirgends wird gesagt so Girardet dass die Vision erst an der Bruumlcke geschah (A S 49ndash51) Vielmehr duumlrfte Konstantin bereits 310 einen so-genannten bdquoRinghaloldquo in Grand in den (heute franzoumlsischen) Vogesen gesehen haben den dann sein militaumlrisches Be-gleitkommando auch sehen konnte Ein Halo ist ein atmosphaumlrischer Lichtef-fekt durch Brechung bzw Reflexion von Licht an Eiskristallen Er kann die Form einer inneren kleineren Sonne mit vier Strahlen in alle Richtungen wie ein Kreuz annehmen

Giradet liefert auszligerdem viele Belege aus Konstantins fruumlhen Reden ab 312 fuumlr seine Parteinahme fuumlr das Chris-tentum (A S 89ndash123) Die spaumlte Tau-fe Konstantins ist fuumlr ihn normal und damals uumlblich gewesen zumal Kon-stantin offensichtlich davon ausging dass er nach der Taufe nicht mehr das kaiserliche Purpur tragen koumlnne (A S 106ndash107)

Interessant ist auch Girardets Dar-stellung bdquoNichtchristen im Denken und Handeln Konstantinsldquo (C S 113ndash133 siehe auch A S 137ndash139) Konstantin hat das Christentum niemandem auf-gezwungen und lieszlig den Heiden ihre Freiheit Wie Leithart sieht er bei Kons-tantin das Element der Religionsfreiheit in einem Maszlige gegeben wie es dies bei den roumlmischen Kaisern vorher nicht gab

Aufsaumltze

Schauen wir noch auf einige der von Girardet herausgegebenen Aufsaumltze Ti-ziana J Chiusi (bdquoDer Einfluss des Chris-tentums auf die Gesetzgebung Konstan-tinsldquo S 55ndash64 in Klaus M Girardet [Hg] Kaiser Konstantin der Groszlige A a O) zeigt die Ambivalenz der Gesetz-gebung Konstantins Strengere Gesetze fuumlr die Flucht von Sklaven stehen ne-ben Gesetzen zur humanen Behandlung der Sklaven und der Beguumlnstigung ihrer Freilassung (B S 60) Deutlich christ-lich beeinflusst sind die Abschaffung

54 7 8 6 uuml

der Todesstrafe durch Kreuzigung das Verbot von Brandmalen im Gesicht das Verbot der Gladiatorenspiele (B S 61) oder die Einfuumlhrung des Sonntags als Ruhetag eine eindeutige Foumlrderung und Werbung fuumlr das Christentum (B S 63)

Wegweisend finde ich die drei grund-legenden Veraumlnderungen des Christen-tums die Konstantin bewirkt hat wie sie Karl-Heinz Ohlig (bdquoStrukturelle Aus-wirkungen der Konstantinischen Wende auf das Christentumldquo S 75ndash86 In Klaus M Girardet [Hg] Kaiser Kons-tantin der Groszlige A a O) benennt und erlaumlutert die Sakralisierung die Ver-rechtlichung und die Hellenisierung des Christentums

Die Sakralisierung des Christentums betraf vor allem die Rolle der Kirche ihre Aumlmter und die Sakramente da seit-dem die von sakralen Maumlnnern geleitete kultische Praxis im Mittelpunkt steht (B S 81) Die Verrechtlichung des Chris-tentums ist in der katholischen Kirche bis heute erhalten und grundlegend (B S 82) Die weitreichendsten Folgen hatte aber nach Ohlig die Hellenisierung des Christentums (B S 85) Auf alle diese Fragen etwa geht Leithart nicht ein

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher Werbung

Glaube braucht Wissen

Unser Konzept

Mit neuen Dienstleistungen und Zugangs-wegen zu biblischen und serioumlsen Inhalten verstehen wir uns als ein attraktives An-gebot fuumlr Menschen von heute die mehr uumlber Gott Ethik Naturwissenschaft fuumlrs alltaumlgliche Leben wissen wollen Denn Gottes Wort gehoumlrt in den Alltag Genau hier setzt GENiaLeBuecherde an

Unsere Ziele

Die gesellschaftliche Religiositaumlt hat in unserer Zeit neue individuelle Wege ge-funden Dafuumlr benoumltigen die Menschen all-tagstaugliche biblische verlaumlssliche Quel-len und Mittel GENiaLeBuecherde bietet Inhalte und Informationsquellen fuumlr das alltaumlgliche Leben von Einzelnen und Ge-meinschaften an Wir verbinden Internet und Gedrucktes

Unser Weg

GENiaLeBuecherde geht hierbei nicht nur den Weg des klassischen Handels son-dern unterstuumltzt bewusst christliche Ins-titutionen indem GENiaLeBuecherde fuumlr diese Partner neue Vertriebswege schafft bzw vorhandene ausweitet Diese Part-ner sind ua auch Institutionen (Werke Vereine) die von Zuwendungen (Spenden) getragen werden

Die Zeit ist reif fuumlr diese Kreativi-taumlt fuumlr diese neuen Zugangswege und Kommunikationsmittel

Viel Freude beim Stoumlbern auf unseren Seiten

wir praumlsentieren bull Buumlcher bull CDs amp DVDs bull Kalender amp Zeitplansysteme bull ein Antiquariat bull Sonderposten bull Message Shirts bull Tipps amp Downloads und vieles mehr

Wo und wie bekommt man einen leichtenZugang zu biblischem serioumlsem Wissen

glauben amp denken heute 22012 557 8 6 uuml

Novum Testamentum Graece x 28

Carsten Friedrich

Barbara Aland u a (Hrsg) Novum Tes-tamentum Graece 28 revidierte Aufla-ge Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 2012 1008 Seiten bzw 1219 Seiten (mit Woumlrterbuch) ISBN 978-3438051400 bzw 978-3438051592 28 bzw 35 Euro

Ein langes Warten fand im September ein Ende Die 28 Auflage des Nestle-Aland ist erschienen Das Novum Tes-tamentum Graece ist als wissenschaft-liche Ausgabe des Neuen Testaments in seiner griechischen Ursprache ein Standardwerk (neben dem UBS Greek New Testament) Es dient weltweit als Grundlage fuumlr Uumlbersetzungen und wis-senschaftliches Arbeiten Nach seinen fruumlheren Herausgebern Eberhart Nestle und Kurt Aland wird es bis heute oft-mals einfach bdquoNestle-Alandldquo genannt (abgekuumlrzt NA)

Revidierter Text in den Katholischen Briefen

Die bisherige 27 Auflage (NA27) war 1993 erschienen Ihr lag der unveraumln-derte Text der 26 Auflage von 1979 zugrunde Damals wurde nur der Ap-parat einer weitgehenden Revision un-terzogen Damit liegt nun mit der 28 Auflage (NA28) nach 33 Jahren erst-mals eine Ausgabe mit Textaumlnderungen vor Wer nun meint nach 33 Jahren ei-nen komplett revidierten Text des Neu-en Testaments erwarten zu duumlrfen der irrt Die Revision des Textes betrifft nur die bdquoKatholischen Briefeldquo also den Brief des Jakobus die beiden Petrus-Briefe die drei Briefe des Johannes und den Judas-Brief Fuumlr diesen Teil des Neuen Testaments liegt naumlmlich mittlerweile

die Editio Critica Maior (ECM) vor die bisher umfangreichste auf Vollstaumlndig-keit abzielende Aufarbeitung der textli-chen Bezeugung des NT1 Die Entschei-dungen der ECM (in der 2 Auflage) wurden fuumlr NA28 uumlbernommen womit sich der Text gegenuumlber NA27 an insge-samt 34 Stellen aumlndert Eine komplette Auflistung dieser Stellen findet sich in der Einfuumlhrung zu NA28 auf Seite 6 Drei dieser Aumlnderungen seien hier als Beispiele aufgefuumlhrt

1Petr 416

NA27 εἰ δὲ ὡς Χριστιανός μὴ αἰσχυνέσθω δοξαζέτω δὲ τὸν θεὸν ἐν τῷ ὀνόματι τούτῳ

Wenn aber jemand als Christ [leidet V15] so schaumlme er sich nicht son-

dern mache Gott durch diesen Namen [bdquoChristldquo] Ehre

NA28 ECM2 εἰ δὲ ὡς Χριστιανός μὴ αἰσχυνέσθω δοξαζέτω δὲ τὸν θεὸν ἐν τῷ μέρει τούτῳWenn aber jemand als Christ [leidet V15] so schaumlme er sich nicht sondern mache Gott in dieser Angelegenheit Ehre

2Petr 218

NA27 uperogka gar mataiothtoj fqeggomenoi deleazousin en epiqummiaij sarkoj aselgeiaij touj ovligwj avpofeugontaj touj evn planh| avnastrefomenouj

Denn indem sie hochfahrende Reden fuumlhren hinter denen nichts ist locken

56 7 8 6 uuml

sie im Taumel fleischlicher Begierden durch Ausschweifungen solche an sich die sich eben erst von den im Irrwahn Wandelnden abgekehrt hatten (Menge)

NA28 ECM ὑπέρογκα γὰρ μα-ταιότητος φθεγγόμενοι δελεάζουσιν ἐν ἐπιθυμίαις σαρκὸς ἀσελγείαις τοὺς ὄντως ἀποφεύγοντας τοὺς ἐν πλάνῃ ἀναστρεφομένους Denn indem sie hochfahrende Reden fuumlhren hinter denen nichts ist locken sie im Taumel fleischlicher Begierden durch Ausschweifungen solche an sich die sich wirklich von den im Irrwahn Wandelnden abgekehrt hatten (nach Menge abgewandelt)

Judas 5

NA27 Ὑπομνῆσαι δὲ ὑμᾶς βούλομαι εἰδότας [ὑμᾶς] πάντα ὅτι [ὁ] κύριος ἅπαξ λαὸν ἐκ γῆς Αἰγύπτου σώσας τὸ δεύτερον τοὺς μὴ πιστεύσαντας ἀπώλεσενIch will euch aber erinnern obwohl ihr dies alles schon wisst dass der Herr nachdem er dem Volk das eine Mal aus Aumlgypten geholfen hatte das andere Mal die umbrachte die nicht glaubten (Lu-ther 84)

NA28 ECM Ὑπομνῆσαι δὲ ὑμᾶς βούλομαι εἰδότας ὑμᾶς ἅπαξ πάντα ὅτι Ἰησοῦς λαὸν ἐκ γῆς Αἰγύπτου σώσας τὸ δεύτερον τοὺς μὴ πιστεύσαντας ἀπώλεσεν

Ich will euch aber erinnern obwohl ihr alles ein fuumlr allemal wisst dass Jesus nachdem er dem Volk das aus Aumlgypten geholfen hatte das andere Mal die um-brachte die nicht glaubten (nach Lu-ther 84 abgewandelt)

In den Katholischen Briefen wurde je-doch nicht nur der Text der ECM uumlber-nommen Auch der Apparat wurde auf der Basis der ECM grundlegend neu konstruiert So entfaumlllt bei den Katho-lischen Briefen beispielsweise das Sigel

fuumlr den Mehrheitstext zugunsten des Sigels bdquoByzldquo (Byzantischer Text)

Eine Uumlbergangsloumlsung

Dass sich die textlichen Aumlnderungen nur auf die Katholischen Briefe erstre-cken macht deutlich dass es sich bei NA28 um eine Uumlbergangsloumlsung han-delt Denn bdquoauf lange Sichtldquo soll das gesamte NT in dieser Weise uumlberarbei-tet werden so die Herausgeber die ihr Vorgehen als bdquozweigleisige Revisionldquo be-schreiben3 Aber schon die Herausgabe dieser Uumlbergangsloumlsung als 28 Auflage macht deutlich dass bis zum eigentli-chen Ziel noch viele Jahre vergehen wer-den und bis dahin eben diese Variante (bzw weitere Auflagen mit jeweils er-weiterten Textrevisionen) der Standard sein wird den keiner umgehen kann der sich mit dem griechischen Urtext des NT beschaumlftigen will

Revision des gesamten Apparats

Allerdings gibt es auch Neuerungen die sich nicht nur auf die Katholischen Brie-fe beschraumlnken sondern den gesamten NA28 betreffen So liegt der gesamten Ausgabe eine Revision des kritischen Apparats zugrunde die diesen uumlber-sichtlicher und einfacher nutzbar ma-chen soll Die wichtigsten Aumlnderungen diesbezuumlglich sind folgendebullthinspthinspErstmalsthinsp wurdenthinsp diethinsp Lesartenthinsp derthinsp

neu entdeckten Papyri 117ndash127 verzeichnet

bullthinspthinspDiethinsp Unterscheidungthinsp vonthinsp staumlndigenthinspZeugen erster und zweiter Ordnung wurde aufgegeben um bisher da-mit verbundene Unklarheiten zu beseitigen

bullthinspthinspImthinspApparatthinspwerdenthinspzudemthinspkeinethinspKon-jekturen (verbessernde Eingriffe in den Text) mehr zitiert Diese werden in Zukunft mit Quelle in einem ge-sonderten Verzeichnis fuumlr den Nestle Aland digital (siehe Abschnitt unten) zur Verfuumlgung gestellt

bullthinspthinspVariantenthinsp imthinsp textkritischenthinsp Apparatthinspwerden so weit moumlglich ausgeschrie-ben und ohne Einbettung von Subva-rianten dargestellt

bullthinspthinspWeilthinspbisherthinspoftthinspmissverstandenthinspwurdethinspauch auf die Abkuumlrzungen pc (pauci) und al (alii) verzichtet

bullthinspthinspDiethinsp Verknupfungthinsp vonthinsp Apparatnotie-rungen mit et und sed wurde aufge-loumlst Die Bezeugungen werden jetzt getrennt notiert

bullthinspthinspLateinischethinsp Abkurzungenthinsp undthinsp Zwi-schentexte wurden reduziert und im Abkuumlrzungsverzeichnis uumlbersetzt

bullthinspthinspDiethinsp Editionumthinsp differentiaethinsp (Appen-dix III in NA27) die einen Uumlber-blick uumlber die Textentscheidungen der wichtigsten neuzeitlichen Ausgaben des griechischen NT im Vergleich zu NA27 bot entfaumlllt bei NA28 weil eine Uumlberarbeitung unverhaumlltnismauml-szligig aufwendig gewesen waumlre

bullthinspthinspDiethinspVerweisstellenthinspamthinspaumluszligerenthinspRandthinspwurden auf ihre Aussagekraft hin uumlberpruumlft

Die hier aufgelisteten Aumlnderungen ma-chen deutlich dass es den Herausgebern mit ihrer Zielstellung durchaus ernst ist den NA28 benutzerfreundlicher zu machen Angaben die bisher in ihrer Art und Weise irritierend und unnouml-tig kompliziert waren wurden fuumlr den NA28 deutlich verbessert Dass natuumlr-lich auch der NA28 noch ein sehr kom-plexes Werk ist das den Benutzern eine intensive Beschaumlftigung abverlangt ist selbstverstaumlndlich4 Dies ist sowohl der Materie an sich als auch der Zielstel-lung der Autoren geschuldet bdquodie in der Ausgabe vorliegende Rekonstrukti-on des griechischen Ausgangstextes kri-tisch nachvollziehbar und uumlberpruumlfbar zu machenldquo5

Carsten Friedrich

glauben amp denken heute 22012 577 8 6 uuml

Nestle Aland digital

Viele Benutzer wird es erfreuen dass es den NA28 auch in digitaler Form ge-ben wird ndash und zwar samt Apparat Die Herausgeber verfolgen mit dem Nestle Aland digital hauptsaumlchlich zwei Ziel-stellungen6 zum einen im Hinblick auf die Aktualitaumlt der gebotenen Informati-onen Korrekturen und neue Notierun-gen sollen via Internet innerhalb kurzer Zeit zur Verfuumlgung gestellt werden zum anderen im Hinblick auf die Klarheit der Praumlsentation und die Verknuumlpfung mit weiteren Dokumenten und Daten So sollen beispielsweise Abkuumlrzungen und Sigel in eingeblendeten Fenstern erklaumlrt werden Daruumlber hinaus soll es eine Verknuumlpfung mit den vollstaumlndi-gen Transkripten und Fotos der ein-bezogenen Handschriften geben Wie oben schon erwaumlhnt soll auszligerdem ein Verzeichnis aller Konjekturen samt deren Quellen in der digitalen Variante enthalten sein

Das Erscheinen des Nestle Aland di-gital ist fuumlr 2013 angekuumlndigt Es soll ihn dann fuumlr PC Mac und Smartphone fuumlr ca 30 Euro geben Bis dahin darf man gespannt warten inwieweit sich die wirklich vielversprechenden Ankuumln-digungen der Herausgeber erfuumlllen

Novum Testamentum Graece x 28 Werbung

Struktur

14 selbstaumlndige Studienzentren in 6 Laumln-dern mit einheimischen Traumlgervereinen

5 uumlbergreifende Institute

Rektor Prof Dr Thomas Schirrmacher

Dekane Thomas Kinker ThD (USA) Titus Vogt lic theol

Mission durch Forschung

Internationales Institut fuumlr Religionsfreiheit (Partner Weltweite Ev Allianz)

Studienprogramm mit Schwerpunkt Islam zusammen mit dem Institut fuumlr Islamfragen

Institut fuumlr Lebens- und Familienwissenschaft

Institut fuumlr Notfallseelsorge Sterbebegleitung und Trauerseelsorge

Institut fuumlr Seelsorgeausbildung

Martin Bucer Seminar

infobucerdewwwbucerde

hellip damit die Heiligen zugeruumlstet werden zum Werk des Dienstes

Epheser 412

1 bdquoDie Editio Critica Maior dokumentiert die griechi-sche Textgeschichte des ersten Jahrtausends anhand der uumlberlieferungsgeschichtlich wichtigen griechi-schen Handschriften alten Uumlbersetzungen und neu-testamentlichen Zitate in der antiken christlichen Li-teratur Auf der Basis genealogischer Untersuchungen des erstmals mit dieser Vollstaumlndigkeit aufbereiteten Materials wird der Text neu rekonstruiert Die Aus-wahl der Handschriften beruht auf einer Auswertung der gesamten Primaumlruumlberlieferungldquo URL httpwwwuni-muensterdeNTTextforschungProjektehtml [Stand 23102012] Ausfuumlhrlichere Informati-onen zur ECM finden sich unter URL httpwwwuni-muensterdeNTTextforschungECMhtml2 Griechischer Bibeltext aus Barbara Aland u a (Hrsg) Novum Testamentum Graece 28 revidierte Auflage Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 20123 bdquohellip so muss fuumlr die uumlbrigen neutestamentlichen Schriften mit der Neukonstitution des Textes so lan-ge gewartet werden bis mit dem Fortschreiten der Ar-beit an der ECM die dafuumlr noumltigen Materialien und Erkenntnisse vorliegen Die sich daraus ergebende relative Uneinheitlichkeit der 28 Auflage ist unver-meidlich will man die neuen Erkenntnisse aus der Arbeit an der ECM in die Handausgaben einflieszligen lassen obwohl solche nur fuumlr einen Teilbereich des Neuen Testaments vorliegenldquo Holger Strutwolf im Vorwort zum NA284 Die Deutsche Bibelgesellschaft gibt deshalb eine gesonderte Einfuumlhrung zum NA28 heraus David Trobisch Die 28 Auflage des Nestle-Aland Eine Einfuumlhrung Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 2013 Leider ist es nicht gelungen diese Einfuumlhrung zeitgleich mit dem NA28 auf den Markt zu bringen Aus dem urspruumlnglich angekuumlndigten Veroumlffentli-chungstermin November 2012 ist mittlerweile Fruumlh-jahr 2013 geworden Weitere Informationen zu dieser Einfuumlhrung finden sich unter URL httpwwwbibelonlinedeproductsWissenschaftliche-Bibelaus-gabenUrtexte-Neues-TestamentDie-28-Auflage-des-Nestle-Aland-eine-Einfuehrunghtml 5 NA28 A a O S 2 6 NA28 A a O S 3f

Anmerkungen

Gemeinde- und berufsbegleitend

Studenten bleiben in ihren Gemeinden

Anleitung zum eigenstaumlndigen Denken

Vom Wachstum der weltweiten Gemeinde Jesu lernen

Lehre und Forschung Lernen und selbst entwickeln

Das heiszligt das Alte und Bewaumlhrte kennen lernen und voumlllig Neues erforschen

Fundierte Ausbildung fuumlr das Reich Gottes

Studenten werden an Forschung beteiligt die christ-liche Ethik in das Herz der Gesellschaft traumlgt z B durch unsere erfolgreichen Institute

Internationales Institut fuumlr Religionsfreiheit (Partner Weltweite Ev Allianz)

Institut fuumlr Islamfragen (Partner Deutschsprachige Evang Allianzen)

Eigenes Studienprogramm mit Schwerpunkt Islam

Eigenes Studienprogramm mit Schwerpunkt Seelsorge

Institut fuumlr Lebens- und Familienwissenschaft

Institut fuumlr christliche Weltanschauung (Apologetik)

Mission durch Forschung

Abwanderung von Mitarbeitern verhindern

Wir gruumlnden Studienzentren gern in Regionen mit wenig ausgepraumlgter christlicher Infra-struktur wo wir die Abwanderung wichtiger Mitarbeiter im Reich Gottes in sowieso gut versorgte Regionen verhindern wollen z B Studienzentren in Chemnitz und Berlin fuumlr die neuen Bundeslaumlnder (keine Abwanderung nach Westen)

Studienzentrum Innsbruck und Linz zusammen mit dem Evangelikalen Bildungswerk in Oumlster-reich (keine Abwanderung nach Deutschland)

Studienzentrum Istanbul (keine Abwanderung in die USA)

weitere Infolsquos unter wwwbucereu

  1. Schaltflaumlche1
  2. Schaltflaumlche2
  3. Schaltflaumlche3
  4. Schaltflaumlche4
  5. Schaltflaumlche5
  6. Schaltflaumlche6
  7. Schaltflaumlche7
  8. Schaltflaumlche8
  9. Schaltflaumlche9
  10. Schaltflaumlche10
  11. Schaltflaumlche11
  12. Schaltflaumlche12
  13. Schaltflaumlche13
  14. Schaltflaumlche14
  15. Schaltflaumlche15
  16. Schaltflaumlche16
  17. Schaltflaumlche17
  18. Schaltflaumlche18
  19. Schaltflaumlche19
  20. Schaltflaumlche20
  21. Schaltflaumlche21
  22. Schaltflaumlche22
  23. Schaltflaumlche23
  24. Schaltflaumlche24
  25. Schaltflaumlche25
  26. Schaltflaumlche26
  27. Schaltflaumlche27
  28. Schaltflaumlche28
  29. Schaltflaumlche29
  30. Schaltflaumlche30
  31. Schaltflaumlche31
  32. Schaltflaumlche32
  33. Schaltflaumlche33
  34. Schaltflaumlche34
  35. Schaltflaumlche35
  36. Schaltflaumlche36
  37. Schaltflaumlche38
  38. Schaltflaumlche39
  39. Schaltflaumlche40
  40. Schaltflaumlche41
  41. Schaltflaumlche42
  42. Schaltflaumlche43
  43. Schaltflaumlche44
  44. Schaltflaumlche45
  45. Schaltflaumlche46
  46. Schaltflaumlche47
  47. Schaltflaumlche48
  48. Schaltflaumlche49
  49. Schaltflaumlche50
  50. Schaltflaumlche51
  51. Schaltflaumlche52
  52. Schaltflaumlche53
  53. Schaltflaumlche54
  54. Schaltflaumlche55
  55. Schaltflaumlche56
  56. Schaltflaumlche57
  57. Schaltflaumlche58
  58. Schaltflaumlche59
  59. Schaltflaumlche60
  60. Schaltflaumlche61
  61. Schaltflaumlche62
  62. Schaltflaumlche63
  63. Schaltflaumlche64
  64. Schaltflaumlche65
  65. Schaltflaumlche66
  66. Schaltflaumlche67
  67. Schaltflaumlche68
  68. Schaltflaumlche69
  69. Schaltflaumlche70
  70. Schaltflaumlche71
  71. Schaltflaumlche72
  72. Schaltflaumlche73
  73. Schaltflaumlche74
  74. Schaltflaumlche75
  75. Schaltflaumlche76
  76. Schaltflaumlche77
  77. Schaltflaumlche78
  78. Schaltflaumlche79
  79. Schaltflaumlche80
  80. Schaltflaumlche81
  81. Schaltflaumlche82
  82. Schaltflaumlche83
  83. Schaltflaumlche84
  84. Schaltflaumlche37
Page 5: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen

glauben amp denken heute 22012 57 8 6 uuml

da mit einan der als gute Ver walter der verschie denartigen Gnade Gottesldquo) fuumlr eine theologische Ausbildung nicht Wenn wir Menschen dafuumlr vorberei-ten wollen ihr Leben lang ihre Ga-ben sinnvoll und nutzbringend fuumlr das Reich Gottes einzuset zen muumlssen diese Gaben doch schon in der Ausbil-dung eine zentrale Rolle spielen Dabei bedingen auch die unterschiedlichen Geistesgaben recht unterschiedliche Lerntypen und insbesondere Interessen Deswegen sollte ein Studienprogramm neben dem fuumlr alle wichtigen gemein-samen Basiswissen die Moumlglichkeit bieten sich inhaltlich entsprechend der Gaben zu sbquospezialisierenlsquo Die Spezialisierungs moumlglichkeiten anhand der klassischen theologischen Faumlcher entsprechen zu wenig bestimmten Ga-ben und bieten nur teilweise die not-wendigen Entfaltungsmoumlglich keitenldquo

Und besteht nicht auch in der Gemein-deleitung die Gefahr dass die Gaben des Pastors (oder des Einflussreichsten) die Gemeinde entgegen dem Willen der neutestamentlichen Apostel einsei-tig praumlgen

Die Gemeindeleitung mit einem breiten Spektrum an Erfahrung Ga-ben Begabung und Faumlhigkeiten ist ndash unter Jesus als dem Haupt der Gemein-de und dem Heiligen Geist ndash sbquohoumlchste Instanzlsquo der Gemeinde nicht eine einzelne Gabe und nicht ein einzelner Gabentraumlger

Thesen zu den Geistesgaben2

Einheit und Vielfalt in Roumlm 121ndash8

Es ist bezeichnend dass Paulus unter dem bdquoWillen Gottesldquo (Roumlm 122) nicht nur die Gebote ver steht die fuumlr alle Men schen und Christen gleicherma-szligen ver bindlich sind (vgl z B Roumlm 138ndash10) son dern im ermahnenden Teil des Roumlmerbriefes (Roumlm 12ndash15) nach den allgemei nen Versen (Roumlm 121ndash2) als Erstes auf einen Bereich zu sprechen kommt in dem sich Chri sten nach dem Gebot und Wil len Gottes voneinander unterscheiden Die Bibel offenbart uns nicht nur wo Gott Ein-heit schafft und for dert sondern auch wo Gott Vielfalt schafft und fordert

So wie der dreieinige Gott selbst Einheit und Viel falt in einem ist so soll auch die Gemeinde Jesu einer-seits durch Einheit in Lehre Glauben Motivation und Hingabe andererseits durch die Vielfalt an Persoumln lichkeiten Gaben und Diensten gekennzeichnet sein

Schon bei der Schoumlpfung schuf Gott die Welt in Einheit und Vielfalt in Grenzen und in Freiheit Fuumlr Adam und Eva galt die Freiheit von jedem Baum des Gartens essen zu duumlrfen und zugleich die Grenze von einem be-stimmten Baum nicht essen zu duumlrfen

Nur die Schlange machte daraus dass die Menschen von gar keinem Baum essen duumlrften (1Mose 31+216ndash17)

Wir muumlssen in unseren Gemeinden dringend unterscheiden lernen wo Gott durch eindeutige Gebote von al-len Gemeindegliedern das gleiche er-wartet und wo Gott Frei heit gibt ja Vielfalt fordert und ihm jede Gleich-macherei zuwider ist

Gott fordert zum Beispiel nicht jeden auf so viel zu evangelisieren wie dies jemand mit der Gabe des Evangelis-ten tut oder soviel zu geben wie dies jemand mit der Gabe des Gebens tut Niemand muss acht Stun den am Tag beten obwohl Gott schon manchen mit der Gabe des Glaubens gebraucht hat der dies getan hat und dazu die nouml-tige Zeit erhielt (z B im Gefaumlngnis) Wie viel unnoumltiges schlechtes Gewis-sen wurde schon da durch erzeugt dass man eine Gabe oder einen bestimmten Dienst zum Maszligstab fuumlr alle Gemein-deglieder erhoben hat

Die Geistesgaben in Roumlm 123ndash8

bdquoDenn ich sage durch die Gnade die mir gegeben wurde jedem der unter euch ist nicht mehr von sich zu den-ken als es sich zu denken gebuumlhrt son-dern darauf bedacht zu sein dass er besonnen ist wie Gott einem jeden das Maszlig des Glaubens zugeteilt hat Denn wie wir in einem Leib viele Glieder ha-

ben aber die Glieder nicht alle dieselbe Taumltigkeit haben so sind wir vielen ein Leib in Christus einzeln aber Glieder voneinander und haben verschiedene Gnadenga ben nach der uns verliehe-nen Gnade sei es Weissagung so nach dem Maszligstab des Glaubens sei es Dienst so im Dienen sei es der Lehrer so in der Lehre sei es der Ermahnende so in der Ermah nung der Mitteilende in Einfalt der Vorstehende mit Fleiszlig der Barmherzigkeit Uumlbende mit Freu-digkeitldquo (Roumlm 123ndash8)Zum bdquoWillen Gottesldquo (Roumlm 122)

gehoumlrt es also dass der Christ die Ga-ben einsetzt die Gott ihm gegeben hat und demuumltig akzeptiert dass Gott die Gaben zuteilt und nicht der Mensch Die Unzufriedenheit damit dass Gott durch das Zuteilen der Gaben auch daruumlber bestimmt wo sich der einzel-ne Christ einsetzen soll kann sich auf zweierlei Weise aumluszligern 1 in der Uumlber-heblichkeit mehr zu koumlnnen und 2 in der scheinbaren Demut nichts oder kaum etwas zu koumlnnen

Deswegen ermahnt Paulus bdquonicht houmlher von sich zu denken als sich zu denken gebuumlhrtldquo (Roumlm 123) Die Ant-wort auf Selbstuumlberschaumltzung ist nicht die Selbstunterschaumltzung (Minderwer-tigkeitsgefuumlhl) sondern so zu denken bdquowie es sich zu denken gebuumlhrtldquo also bdquodarauf bedacht zu sein dass er be-sonnen ist wie Gott einem jeden das Maszlig des Glaubens zugeteilt hatldquo (Roumlm

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden

6 7 8 6 uuml

123) Wer denkt sbquoIch kann alleslsquo ist ebenso un geistlich wie der der denkt sbquoIch kann nichtslsquo Stolz und Minderwer-tigkeitskomplexe sind nur zwei Seiten einer Muumlnze Uumlber die falsche Demut kann Gott naumlmlich ndash wie das Beispiel des Mose zeigt der meinte nicht reden zu koumlnnen (2Mose 410ndash14) ndash ebenfalls zornig werden Richtig denkt nur wer sich gemaumlszlig seiner Ga ben einschaumltzt also weiszlig dass er das kann wozu ihn Gott besonders be faumlhigt hat Uumlbrigens gilt das nicht nur fuumlr die Geistesgaben sondern immer ndash etwa auch im Beruf Nur wer seine Grenzen kennt kennt auch seine Faumlhigkeiten wirklich und nur wer seine Fauml higkeiten kennt weiszlig auch was er nicht kann Ein Leiter oder Vorgesetzter der seine Staumlrken und Schwaumlchen nicht kennt undoder nicht offen dazu steht ist ein schlech-ter und unangenehmer Leiter Denn er wird seinen Mitarbeitern keinen Raum geben wo er eigentlich auf ihre Staumlrken angewiesen ist

Paulus bezeichnet in Roumlm 123 wie in Eph 47+16 die Gnadengaben mit dem Begriff bdquoMaszligldquo (= bdquoZugemesse-nesldquo) naumlmlich das bdquoMaszlig des Glau-bensldquo (Roumlm 123) bzw in Eph 47 das bdquoMaszlig der Gabe des Chri stusldquo Ist dem-nach einer sbquoglaumlubigerlsquo als der andere

Nein denn wir muumlssen zwischen der grundsaumltzlichen fuumlr alle Chri sten glei-chen Gabe des Glaubens die eben falls sbquoGnadengabelsquo (griech sbquocharismalsquo) hei-szligen kann und der persoumlnlichen Zutei-

lung von Ga ben und Diensten an den einzelnen Christen unterscheiden Die Uumlbersicht uumlber alle Vorkommen des Wortes sbquoCharismalsquo sbquoGnaden ga belsquo im Neuen Testament macht das deutlich

Alle Belege fuumlr bdquoGnadengabeldquo (griech sbquocharismalsquo) im Neuen Testa ment

A bdquoGnadengabeldquo als Kennzeichshynung von Din gen die alle Christen gemein sam haben 1 bdquoGnadengabeldquo = Verheiszligung GottesRoumlm 1129 (Uumlber Israel) bdquoDenn die Gnadengaben und die Beru fung Got-tes sind unbereubarldquo

2 bdquoGnadengabeldquo = das Heil oder das ewige Le benRoumlm 623 bdquoDenn der Lohn der Suumln-de ist der Tod die Gna dengabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus unse rem HerrnldquoRoumlm 515+16 Die bdquoGnadengabeldquo steht im Gegensatz zur bdquoUumlber tre tungldquo

B bdquoGnadengabeldquo als Kennzeichshynung von Din gen die Chri sten vonshyeinander un terscheiden1 bdquoGnadengabeldquo im Sinne von sbquoGeis-tesgabelsquo in den in dieser Lek tion be-sprochenen Texten uumlber die Geistesga-ben Roumlm 126 1Kor 124+9+28+30+31 1Petr 410 sowie in folgenden weiteren TextenRoumlm 111(ndash12) bdquoDenn mich verlangt sehr euch zu sehen damit ich euch

etwas geistliche Gnadengabe mitteile um euch zu befe stigen das heiszligt aber um bei euch miter mahnt [oder mit-getroumlstet] zu werden ein jeder durch den Glauben der in dem anderen ist sowohl euren als auch meinenldquo2Kor 111 bdquohellip wobei auch ihr durch das Gebet fuumlr uns mitwirkt damit von vielen Personen fuumlr die uns ver liehene Gnadengabe gedankt werde hellipldquo 1Kor 17 bdquoDaher habt ihr an keiner Gna-dengabe Mangel hellipldquo1Tim 414 bdquoVernachlaumlssige nicht die Gnadengabe die dir durch Weissa-gung mit Handauflegung der Aumlltesten gegeben worden istldquo2Tim 16 bdquoAus diesem Grund erin-nere ich dich daran die Gnaden gabe Gottes anzufa chen die durch die Auf-legung meiner Haumlnde in dir istldquo

2 bdquoGnadengabeldquo in Bezug auf Ehe und Le digsein1Kor 77 bdquoIch wuumlnsche aber dass alle Menschen wie ich waumlren doch jeder hat seine eigene Gnadengabe von Gott der eine so der andere soldquo

Der Unterschied zwischen der grundsaumltzli chen Zuteilung des Glau-bens und der persoumlnlichen Zuteilung des Glaubens in der Gnadengabe kommt auch in dem Gleichnis von den Pfunden und dem Gleichnis von den Ta lenten (Mt 2514ndash30 Lk 1912ndash27) zum Aus druck Im einen Fall erhal-ten alle das gleiche (Lk 1913 jeder 10 Talente) was dem allen gemeinsa-

men Glauben entspricht im anderen Fall erhalten alle gleich zu Be ginn unterschiedliche Gaben (Mt 2515 1 2 und 5 Pfunde) Petrus spricht des-wegen in Bezug auf den Gottesdienst davon dass wir bdquogute Verwalter der ver schiedenartigen Gnade Gottesldquo sein sollen (1Petr 410) In Roumlm 127ndash8 un-terstreicht Paulus an sieben konkreten Beispielen dass jeder bei dem blei-ben soll wozu Gott ihn befaumlhigt hat Der Lehrer soll lehren der Vorsteher soll eifrig vorstehen der Ermahnen-de soll ermah nen usw Ist das nicht selbstverstaumlnd lich Leider nicht Wie oft werden Menschen die nicht mit Geld umgehen koumlnnen Kassierer leh-ren Men schen Sonntag fuumlr Sonn tag auf der Kanzel die keine Lehrgabe besitzen und denen man deswegen nur muumlh sam zuhoumlren kann und wollen solche die gut organisieren (sbquovorstehenlsquo) koumlnnen dies nicht sbquoin Einfaltlsquo tun sondern ihre Autoritaumlt auch auf anderen Gebieten beweisen

Die Bedeutung der Geistesgaben (6 Thesen)

Die vier wichtigsten Texte uumlber die Gna den- bzw Geistesga ben im Neu-en Testament sind Eph 41ndash16 1Petr 410ndash11 Roumlm 123ndash8 und 1Kor 121ndash133 141ndash33 Texte uumlber Geistesgaben zum besseren Einprauml gen Eph 4 Roumlm 12 1Petr 4 1Kor 12ndash14

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 77 8 6 uuml

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden

In 1Kor 121 schreibt Paulus bdquoWas aber die geistlichen Gaben betrifft Ge-schwister will ich nicht dass ihr ohne Kenntnis seidldquo Sechs Kernaussagen sollen uns deswegen in die wich tige Thematik der Geistesgaben einfuumlh ren

1 These Nicht nur die Gaben sonshydern auch die Auf gaben und die Auswirkungen unseres Dienstes sind sehr unterschied lichIn 1Kor 123ndash6 stellt Paulus die Gna-dengaben in den groumlszligeren Zusam-menhang unseres Dienstes fuumlr Gott bdquoEs gibt aber Verschiedenheiten der Gnadengaben aber es ist derselbe Geist und es gibt Verschiedenheiten der Dienste und es ist derselbe Herr und es gibt Ver schiedenheiten der Wir-kungen aber es ist derselbe Gott der alles in allen wirktldquo Paulus stellt damit je dem Bereich die Person der Dreiei-nigkeit gegenuumlber die in besonde rer Weise dafuumlr zustaumlndig ist Wir koumln-nen uns 1Kor 123ndash6 fol gendermaszligen veranschau lichen

Die Dreieinigkeit und die Gaben in 1Kor 123ndash6

bdquoverschiedene Gnadengabenldquo bdquoein Geistldquo bdquoverschiedene Diensteldquo bdquoein Herrldquobdquoverschiedene Wirkungenldquo bdquoein Gottldquo

Der Heilige Geist schenkt die Geistes-gaben also die Voraussetzungen fuumlr den Dienst Jesus Christus ist das Vor-bild fuumlr den Dienst schlechthin und

Gott der Vater ist der der alles wirkt und damit auch uumlber die Auswirkun-gen des Dienstes entscheidet Wir koumln-nen das Schema von 1Kor 123ndash6 also mit eigenen Worten folgen dermaszligen wie dergeben

Die Dreieinigkeit und die Gaben in 1Kor 123ndash6

verschiedene Voraussetzungen zum Dienst

Heiliger Geist

verschiedene Dienste

Jesus der Herr

verschiedene Ausshywirkungen des Dienstes

Gott der Vater

Einmal angenommen zwei Christen haumltten zwei voumlllig gleiche Geistesga-ben dann hieszlige das noch lange nicht dass sie dieselbe Aufgabe also densel-ben Dienst haumltten Und angenommen zwei Christen haumltten zwei voumlllig gleiche Gaben und zwei voumlllig gleiche Diens-te koumlnnten sich die Ergebnisse dieser Dienste doch immer noch stark un-terscheiden Wenn also zwei Evange-listen theoretisch zur gleichen Zeit am gleichen Ort evangelisieren koumlnnten koumlnnte es immer noch sein dass der eine eine Erweckung ausloumlst waumlh rend der andere dem Herrn fuumlr ein einziges seelsor gerliches Gespraumlch als Er gebnis seiner Anspra che dankt

In diesem Zusammenhang ist auch wichtig dass dieselbe Gabe in unter-schiedlichem Maszlige verliehen werden kann Paulus bezeichnet in Roumlm 123 wie in Eph 47+16 die Gnadengaben mit dem Begriff bdquoMaszligldquo (= bdquoZuge-messenesldquo) naumlmlich das bdquoMaszlig des Glaubensldquo (Roumlm 123) bzw in Eph 47 das bdquoMaszlig der Gabe des Christusldquo Die Gabe des Evangelisten oder Leh-rers kann in unterschiedlichem Maszlige verliehen werden und wachsen was mit ein Grund dafuumlr ist weswegen der Einsatz derselben Gabe durch verschie-dene Christen ganz unter schiedlichen sbquoErfolglsquo hat

2 These Der Einsatz der Gnadengashyben ist selbstverstaumlndlicher Be standshyteil des Glaubenslebens da jeder Christ eine Gabe empfaumlngtbdquoSo wie jeder eine Gnadengabe emp-fangen hat so dient damit einander als gute Verwalter der verschiedenartigen Gnade Gottes Wenn jemand redet so als Ausspruumlche Gottes wenn jemand dient so aus der Kraft die Gott dar-reicht damit in allem Gott verherr-licht werde durch Jesus Christus dem die Herr lichkeit ist und die Macht in alle Ewigkeit Amenldquo (1Petr 410ndash11) Petrus fasst wieder einmal knapp zu-sammen was Paulus ausfuumlhr lich und teilweise schwerer ver staumlndlich behan-delt (vgl die Aussage von Petrus uumlber Paulus in 2Petr 315ndash16) Petrus lehrt

bullthinspthinspdassthinsp jederthinsp Christthinsp einethinsp Gnadengabethinsphat

bullthinspthinspdassthinsperthinspdemthinspHerrnthinspbdquosoldquothinspundthinspnichtthinspan-ders dienen soll

bullthinspthinspdassthinsp derthinsp Christthinsp nurthinsp bdquoVerwalterldquothinsp derthinspGnade Gottes ist (Verwalter legen Rechenschaft ab und sind nicht die Herren der Gabe)

bullthinspthinspdassthinspdiethinspGabenthinspzumthinspDienstthinspamthinspande-ren gedacht sind

bullthinspthinspdassthinsp diethinsp Gabenthinsp zurthinsp VerherrlichungthinspGottes nicht zur Selbstverherrli-chung gedacht sind

3 These Die Listen der Geistesgashyben im Neuen Testament sind nicht vollstaumlndig sondern nennen nur Beispiele Deswegen kann es durchshyaus Gaben geben die im Neuen Tesshytament nicht genannt werdenDa jede Gabenliste im Neuen Tes-tament nur eine Auswahl der Gaben darbietet und sich viele der genannten Gaben uumlberschneiden will keine eine vollstaumlndige Liste aller moumlglichen Ga-ben vorlegen sondern nur Beispiele nennen Auch wenn einige Gaben (z B sbquoLehrerlsquo und sbquoPro phetlsquo und die an-deren in Eph 411 genannten Gaben) sehr haumlufig genannt und offensichtlich immer benoumltigt werden gibt es keine Gabe die immer genannt wird Des-wegen ist es meines Erachtens berech-tigt auch solche Gaben festzustellen die namentlich nicht im Neuen Testa-ment genannt werden (z B die Gabe

8 7 8 6 uuml

der Gast freundschaft oder die Gabe des Troumlstens) Einige dieser nicht ge-nannten Gaben kommen uumlbrigens in der Bibel in der Praxis in anderen Zusammenhaumlngen oder im Alten Tes-tament vor etwa die Gabe Lieder zu dichten (z B Da vid) oder Sprichwor-te zu verfassen (z B Sa lomo) oder die Gabe der kuumlnstlerischen Gestaltung und der Schnitzkunst fuumlr das Haus des Herrn (2Mose 311ndash6 3530ndash35)

Die in den neutestamentlichen Listen erwaumlhn ten Geistesgaben

1Petr 411 Reden und Dienen [allge-meine Eintei lung]Eph 411 Apostel Propheten Evange-listen Hirten und LehrerRoumlm 126ndash8 Prophezeiender Dienen-der Lehrer Ermahnender Gebender Vorstehender Barmherzigkeit Uumlbender 1Kor 128ndash10 Wort der Weisheit Wort der Erkenntnis Glaube Heilun-gen Wunderwirkungen Prophetie Geistesunterscheidung Sprachenrede Uumlbersetzung der Spra chenrede1Kor 1228ndash30 Apostel Propheten Wundertaumlter Lehrer Heilungen Hil-feleistungen Leitung verschiedene Ar-ten der Sprachen rede Uumlbersetzung der Sprachenrede1Kor 131ndash3 Zungenrede Prophetie Geheimnisse und Erkenntnisse wissen Glauben Speise geben Marty rium

1Kor 1426 Psalm Lehre Sprachen-rede Offenbarung Uumlbersetzung der SprachenredeZusaumltzlich gibt es in der Praxis groszlige Unterschiede zwischen Christen die dieselbe Gabe haben also etwa zwi-schen den einzelnen sbquoEvangelistenlsquo Ei-nige Evangelisten sind fuumlr das persoumlnli-che Gespraumlch begabt andere fuumlr einen Vortrag vor groszligen Mengen wieder andere als Buchautoren Ich erinnere mich wie Billy Graham erzaumlhlte wie schwer es ihm fiele einzelne Menschen auf das Evangelium hin anzusprechen Deswegen genuumlgt es nicht sich einfach einer der im Neuen Testament genann-ten Gaben zuzuordnen Entscheidend ist die tatsaumlchliche Begabung wie sie sich in der Praxis des Glaubens und der Gemeinde erweist

4 These Jeder Gabe die nicht jeder ausuumlben soll und darf entspricht eine allgemeine Aufforderung an alle ChristenDie Gaben heben also nur aus dem Bereich der das Glaubensleben aller Christen ausmachen soll einzelne Be-reiche und Auf gaben besonders herausAlle sollen dieneneinige haben die Gabe des Dienstesalle sollen glaubeneinige haben die Gabe des Glaubensalle sollen barmherzig seineinige haben die Gabe der Barmher-zigkeit

alle sollen sich gegenseitig ermahneneinige haben die Gabe der Ermahnungalle duumlrfen um Heilung beteneinige haben die Gabe der Heilungalle sollen das Evangelium weitergebeneinige haben die Gabe des Evangelistenalle sollen Rechenschaft von ihrem Glauben ablegeneinige haben die Gabe der Lehrealle sollen Gott anbeteneinige haben die Gabe der Sprachen-redealle sollen die Geister unterscheideneinige haben die Gabe der Geistesun-terscheidung

5 These Deswegen bedeutet der Besitz einer Gabe nicht dass man etwas als einziger tun soll oder als einzi ger tun kann sondern dass man von Gott zu einer bestimmten Aufshygabe be sonders bevollmaumlchtigt istDiese Bevollmaumlchtigung zu erkennen ist die wesentliche Frage wenn man seine eigene Gabe oder die anderer erkennen und verstehen will Die Bevollmaumlchti gung kommt meines Er-achtens darin zum AusdruckbullthinspthinspdassthinspmanthinspanthinspeinerthinspAufgabethinspbesonderethinsp

Freude hat (ja Christsein darf auch einmal etwas sbquoSpaszliglsquo machen)

bullthinspthinspdassthinsp manthinsp dieserthinsp Aufgabethinsp wiethinsp vonthinspselbst nachgeht

bullthinspthinspdassthinsp manthinsp einethinsp Aufgabethinsp besondersthinspgut macht wobei jedoch sbquogutlsquo an der

Wirkung auf an dere bemessen wer-den muss

bullthinspthinspdassthinspmanthinspbeimthinspEinsetzenthinspdieserthinspGabethinspsbquoNutzenlsquo her vorbringt Gott also den Dienst segnet

Einige praktische Beispiele moumlgen dies erlaumlutern Ich bin gerne gastfreundlich Doch meine Gastfreundlichkeit ge-schieht so sbquogeraumluschvolllsquo dass es jeder bemerkt Wie gerne halte ich jedoch schwierige Besprechungen bei Christen ab die die Gabe der Gastfreundschaft haben Sie schaffen durch ihre Gast-freundschaft eine warme friedliche At-mosphaumlre wobei man ihre Gegenwart fast gar nicht wahrnimmt und schon gar nicht als stoumlrend empfindet

Wer die Gabe des Lehrens hat wird dies unter anderem daran merken dass er wie von selbst Stunden damit zubringt bestimmte Fragen anhand der Bibel zu beantworten oder Grund-satzfragen mit anderen zu diskutieren und dass wenn er seine sbquoLouml sungenlsquo vortraumlgt andere ploumltzlich feststellen dass sie endlich den Zusammenhang der Bibel erfasst haben denn bdquodie An-mut der Spra che foumlrdert das Lehrenldquo (Spr 1621) Hier macht die intensive Arbeit Freude und fuumlhrt zu dem sbquoEr-folglsquo dass Menschen die Bibel nicht nur verstehen sondern auch ausleben Wer da gegen keine Freude am intensi-ven Bibelstudium hat Menschen nur sbquoanpredigtlsquo und nie erlebt dass Men-schen sbquoverstehenlsquo und ihr Leben dar-

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 97 8 6 uuml

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden Werbung

aufhin entsprechend aumlndern duumlrfte wohl kaum die Gabe der Lehre haben und uumlber kurz oder lang zum reinen Theoretiker werden oder frustriert die bibli sche Lehre fuumlr nicht praktikabel halten

Wer sich immer zu seinen Diensten zwingen muss wer nie sbquoFruchtlsquo sieht wer sich im Dienst unerfuumlllt sieht oder sogar neidisch wird sollte sich nicht nur fragen ob ihm die Frucht des Geis-tes fehlt sondern auch ob er wirklich seine Gabe im Einsatz hat deren richti-ger Gebrauch zur Zufriedenheit uumlber die Herrschaft Gottes auch in der Zu-teilung der Gaben fuumlhrt

6 These Die Verschiedenartigkeit der Gaben bedroht die Einheit der Gemeinde sobald die Frucht des Geistes nicht die Ausuumlbung der Gashyben des Geistes bestimmtGott macht uns zu bdquoVerwalternldquo (1Petr 410) seiner Gaben und nimmt sie uns gnaumldigerweise nicht sofort weg wenn wir hochmuumltig eigensinnig oder lieb-los sind Die Gaben sind auch gerade deswegen sbquoGnadengabenlsquo weil Gott sie uns nicht sofort wegnimmt wenn wir sie missbrauchen oder wenn wir in Suumlnde leben

Daraus folgt aber auch dass der Be-sitz und der Einsatz von Gei stesgaben keine Garantie fuumlr ein geistliches Leben sind Der geistli che Stand eines Chris-ten kann nicht an den Geistesgaben sondern nur an den Geistes fruumlchten

(Gal 522) abgelesen werden Das ist das Thema von 1Kor 13 Paulus will dass die Korinther um die Geistesga-ben eifern (1Kor 1231 141) aber in der Liebe (1Kor 131ndash13) zeigt er ihnen bdquoeinen Weg noch weit daruumlber hinausldquo (1Kor 1231b vgl 141) also direkt vor und nach dem Kapitel uumlber die Liebe in 1Kor 13 Deswegen ermahnen Pau-lus und Petrus in allen Texten uumlber die Gei stesgaben zur Einheit zur Liebe aber auch dazu nicht so zu leben wie die Welt

Vergleich des Textzusammenhangs der wichtigsten Texte zu den GeisshytesgabenErmahnung zur LiebeRoumlm 129ndash21 Eph 41ndash3+15-16 1Petr 48ndash9 1Kor 12ndash14 131ndash141GnadengabenRoumlm 123ndash8 Eph 48+11 1Petr 410ndash11 1Kor 121ndash133Nicht wie die Welt lebenRoumlm 121ndash2 Eph 41+17ndash24 1Petr 4(7) 1Kor 121ndash3Einheit im LeibRoumlm 124ndash5 Eph 43ndash6+12ndash16 1Petr 4(8) 1Kor 1212ndash31 141ndash33

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

ist Rektor des Martin Bucer Seminars und lehrt dort Ethik und Missions- und Religionswissenschaften Er ist auszliger-dem Professor fuumlr Religionssoziologie an der Staatlichen Universitaumlt Ora-dea Rumaumlnien und hat einen Lehr-stuhl fuumlr Internationale Entwicklung an der ACTS University in Bangalore Indien

1 Vgl bdquoSchluss mit der gabenvernichtenden Pas-torenfalleldquo In Klaus Eickhoff Harmlos Kraft-los Ziellos Die Krise der Predigt ndash und wie wir sie uumlberwinden Witten Brockhaus 2009 S 267ndash276 insgesamt S 267ndash324 bes S 300ndash313 zu gabenspezifische Predigten mit fuumlnf Schwer-punkten nach Eph 4 12 apostolisch prophetisch evangelistisch seelsorgerlich lehrhaft2 Geglaumlttete und aktualisierte Fassung aus Thomas Schirrmacher Der Roumlmerbrief VTR 2001

Institut fuumlr Lebens- undFamilienwissenschaften

wwwbucereuilfwhtml

Anmerkungen

10 7 8 6 uuml

Evangelisation und Calvinismus

Prof Dr Clair Davis

Welche ist die beste Theologie fuumlr die Evangelisation Da der Missionsbefehl im Zentrum dessen steht was ein glaumlu-biger Christ tut muss die bdquobeste Theo-logie der Evangelisationldquo die richtige Theologie sein die einzig gute Theolo-gie Koumlnnte der Calvinismus die richtige Antwort sein Dieser glaubt die Bibel sage dass wir ohne Christus tief im In-neren Suumlnder seien und nichts mit Gott zu tun haben wollen Ebenso glaubt er dass jemand ausschlieszliglich durch den Heiligen Geist zu Christus gelangen koumlnne da es uns unmoumlglich sei irgend-etwas selber zu unserer Rettung beizu-steuern Wie koumlnnte dies im Rahmen der Evangelisation funktionieren Was koumlnnten Glaumlubige tun auszliger am Rand zu stehen und abzuwarten ob etwas pas-siert oder nicht Wie koumlnnen sie anders als gleichguumlltig sein da es nichts mit ihnen und Gottes Berufung fuumlr sie zu

tun hat Wenn sich alles darum dreht was Gott tut koumlnnte der Missionsbefehl nur eine Floskel sein

Koumlnnte man die Lage auch anders be-trachten Man koumlnnte doch sagen dass im Herzen eines Suumlnders immer noch etwas Goumlttliches ist das lebendig und gut erhalten ist etwas das willens und faumlhig ist gute Entscheidungen zu tref-fen Es kann ja auch gar nicht anders sein denn wie sonst koumlnnte sich irgend-jemand fuumlr Christus entscheiden Diese Denkweise der Pelagianismus hat viele attraktive Aspekte Pelagius kam vom ernsthaften und intensiv betenden kelti-schen Norden Groszligbritanniens und war erstaunt uumlber den faulen und nachlaumlssig gefuumlhrten christlichen Glauben den er in Italien kennenlernte Daher rief er die Menschen dazu auf ernsthaft und re-chenschaftspflichtig mit ihrem Glauben umzugehen Ergibt das keinen Sinn

Dennoch Verwirrung kommt auf so-bald das Wort bdquoUnfaumlhigkeitldquo auch fuumlr Christen als Ausrede fuumlr ihre Suumlndhaf-tigkeit verwendet wird Doch das kann nicht stimmen denn Glaumlubige haben die Kraft des auferstandenen Christus in ihren Herzen die ihnen vom Heili-gen Geist gegeben wurde das groszligarti-ge Geschenk das weiterhin ausgegeben wird Wenn man mit Christus vereint ist ist man faumlhig bdquodie Welt das Fleisch und den Teufelldquo (dieses Zitat stammt aus dem Book of Common Prayer der Anglikanischen Kirche) zu bekaumlmp-fen und zu besiegen denn Jesus ist der bdquovon der dunklen Staumltte auferstandene Siegerldquo (Vers eines amerikanischen Kir-chenliedes) Der Teufel ist immer noch am Leben aber besiegt und das Leben ist weiterhin voller Versuchungen ndash und Niederlagen Wenn man diese Nieder-lagen als gegeben hinnimmt und sich

an sie gewoumlhnt wird ein aumluszligerst faules Christentum entstehen Pelagius hat-te vollkommen recht uumlber einen solch bdquochristlichenldquo Unglauben geschockt zu sein

Augustinuslsquo Geschichte war eine an-dere Er war ein radikaler Nicht-Glaumlu-biger und er wusste alles daruumlber Er wusste deswegen alles uumlber konsequente Gottlosigkeit da er selber so gut darin war ndash auf viele raffinierten Arten Da-rum war es einfacher fuumlr ihn zu sehen was die Bibel uumlber Gottes Gnade sagt nur Gott konnte sein verdrehtes die Wahrheit negierendes Herz aumlndern

Hilft das nicht die Probleme zu er-kennen Wenn es um das Leben als Christ geht ist es vollkommen richtig dass man aufhoumlren muss die Schuld von sich zu weisen und anfangen muss Verantwortung zu uumlbernehmen ndash ob-wohl ein Groszligteil dieser Verantwortung

glauben amp denken heute 22012 117 8 6 uuml

Evangelisation und Calvinismus

darin besteht Gott anzurufen bdquoZeige mir meine Suumlnde Vergib mir meinen selbstgenuumlgsamen Stolz Zeige mir wie groszlig Jesus istldquo Der Geist veraumlndert un-ser Herz aber wir sind verantwortlich und rechenschaftspflichtig Das Leben ist ein Kampf voller Danksagungen Dies koumlnnte besser verstanden werden und dem wird so sein wenn Jesus wie-derkehrt

Doch wenn man dieses bdquoLeben eines Glaumlubigenldquo auf das Leben eines rebelli-schen Schuld von sich weisenden Un-glaumlubigen abfaumlrben laumlsst der Jesus mei-den will dann entsteht Verwirrung da dieser anders ist Er ist ohne Gott und ohne Hoffnung weil er so sein moumlch-te Um zu Jesus kommen zu koumlnnen muumlsste er zugeben dass er Jesus braucht ndash doch warum sollte er das zugeben Er ist selbstsicher er ist sich selbst genug und ein viel besserer Mensch als alle an-deren die er kennt

Wie koumlnnte sich das aumlndern Was koumlnnen wir tun um das zu aumlndern Was sollten wir sagen Das jedenfalls weiszlig ich Was auch immer wir solch einem Menschen sagen zuerst sollten wir un-seren Herrn bitten bdquoVater sende Deinen Geist um sein Herz zu erweichen um ihm seine Beduumlrftigkeit zu zeigen Lehre mich Vater nicht selbstgerecht zu sein sondern ein sbquoBettler [zu sein] der einem anderen Bettler mitteilt wo es Brot gibtlsquo (Zitat des Bischofs D T Niles) Hilf mir zuzuhoumlren Vaterldquo

Von Jay und Holly Eastman lerne ich seit einiger Zeit wie man zuhoumlrt Sie sind Missionare in Ostberlin und ha-ben dort 10 Jahre zugehoumlrt und nun gibt Gott die Ernte Wenn jemand nicht zuhoumlrt koumlnnte es sein dass er denkt er vertrete Gott der immer mit Voll-macht redet Das ist der Grund weswe-gen wir alle die Evangelien wieder lesen und sehen muumlssen wie Jesus zu Suumln-dern spricht Er warnt sie vor Stolz und Selbstgerechtigkeit und sagt ihnen dass er nicht gekommen ist die bdquoGerechtenldquo wie sie es sind zu retten sondern Suumln-der Er fragt die Frau am Brunnen nach Wasser wohl wissend dass sie dort zu einer ungewoumlhnlichen Zeit ist da sie von rechtschaffenen Leuten abgewiesen wurde Er tadelt Stolz und honoriert Demut und Beduumlrftigkeit In einem Evangelium sagt er bdquoSelig sind die da geistlich arm sindldquo in einem anderen nur bdquoSelig seid ihr Armenldquo Ich versu-che zu verstehen was das bedeutet Ich denke das ist das Wichtigste was wir lernen muumlssen

Wie koumlnnen wir zuhoumlren Wie koumlnnen wir Armut erkennen die offenkundige Armut und die andere Art von Armut Wie wuumlrden wir sie bei uns erkennen Setzen wir unser Vertrauen in Christus oder in uns selber ndash mit einer Jesus-Fassade Ich denke das stand immer im Zentrum der Erweckungsbewegung und wie koumlnnte es wahre Evangelisation geben ohne Erweckung

Ich ermutige Sie die zentralen Stellen von Jonathan Edwardslsquo bdquoTreatise on Religious Affectionsldquo (dt etwa bdquoAb-handlung uumlber glaumlubige Zuneigungldquo) zu lesen und uumlber sie zu beten Das hilft so sehr uns zu zeigen wo unser Herz wirklich steht Danach schauen Sie sich eine predigtartige Version dessel-ben Themas von George Whitefield an (siehe dazu URL httpwwwccelorgcceledwardsaffectionsviviiihtml und httpwwwccelorgccelwhitefieldser-monsxxvhtml)

Ich denke das ist die Antwort Wie kann man zuhoumlren wie kann man ein beduumlrftiges Herz zu Jesus fuumlhren wenn man es nicht selber regelmaumlszligig tut

Zuruumlck zum Calvinismus Ist dies nicht genau das was er im Innersten ist Er ist definitiv nicht akademische Arro-ganz die uns selber immer wieder ver-gewissert wie viel besser wir die Bibel lesen als all die bdquoUnreinenldquo Viel mehr ist er eine Einstellung des Herzens die Jesus in all seiner Herrlichkeit sieht staunend dass er uns liebt die Unreins-ten von allen die so viel verstehen und so wenig darauf reagieren Wenn wir uns Jesus und seiner Liebe und unserer eigenen Unliebenswuumlrdigkeit bewusst sind dann koumlnnen wir zuhoumlren Dann koumlnnen wir mit Guumlte und Demut die Liebe zu Gott teilen Dann werden wir gelernt haben dass es nicht darum geht wie erpicht wir darauf sind Jesus zu lie-ben und ihn bei uns zu haben sondern

vielmehr werden wir erkennen dass wir ein Haufen von fruumlhen bdquoAugustinu-senldquo sind erfinderisch in unserem Un-glauben und unserer Uumlberheblichkeit Demut gegenuumlber den Evangelien und der Calvinismus ndash das ist ein und die-selbe Sache Sie sind so uumlberwaumlltigend dieselbe Sache dass wir nur in dieser dunklen Welt das Wort bdquoCalvinismusldquo verwenden muumlssen um einfach sagen zu koumlnnen bdquoAmazing grace How sweet the soundldquo ndash bdquoErstaunliche Gnade wie suumlszlig ist der Klangldquo

Prof Dr Clair Davis

spielte bei Gruumlndung und Aufbau des Martin Bucer Seminars eine wichti-ge Rolle als Berater Mittler und Be-fuumlrworter Dazu hielt er auch etliche Gastvorlesungen in Deutschland In diesem Zusammenhang wurde sein Buch bdquoWenn der Glaube Gestalt ge-winnt Beitraumlge zur Praxis des Chris-tenlebensldquo (Bonn VKW 2004 112 Seiten Pb ISBN 978-3-932829-90-1 830 Euro) uumlbersetzt (erhaumlltlich hier httpwwwgenialebuecherdewenn-der-glaube-gestalt-gewinnthtml) Die Uumlbersetzung dieses Arti-kels stammt von Kathrin Bentley

12 7 8 6 uuml

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

Prof Dr Stephen J Wellum

Warum das Leben und Denken von Francis Schaeffer studieren1

Diese Frage kann auf zwei Arten gestellt werden Erstens Warum studieren wir uberhaupt eine historische Figur Und zweitens Warum reflektieren wir im Besonderen uber das Leben und Den-ken von Francis Schaeffer Was macht letzten Endes gerade ihn im Vergleich zu anderen so wichtig Die schlichte Antwort auf die erste Frage ist dass wir durch christliche Maumlnner und Frauen die uns vorangegangen sind lernen und herausgefordert werden Es ist uberaus klar dass in der Schrift Men-schen die uns als Vorbild dienen sei es positiv oder auch negativ ein Thema sind Paulus ermuntert Timotheus sei-nem Vorbild zu folgen wie er Christus

folgt (vgl 2Tim 310ndash13) Hebraumler 11 beschreibt uns die bdquoRuhmeshalleldquo des Glaubens um uns zu ermutigen in der Hingabe an den Herrn und im Dienst fur ihn fortzuschreiten Wenn wir das Leben gottesfurchtiger Maumlnner und Frauen untersuchen und zwar sowohl ihre Staumlrken als auch ihre Schwaumlchen dann lernen wir wie wir dem Herrn heute besser dienen koumlnnen Und oft werden wir dabei von auszligergewoumlhnli-chen Mitstreitern die danach strebten in ihrem Leben dem Herrn von ganzem Herzen zu dienen aus unserer geistli-chen Lethargie geweckt Auszligerdem ist es wichtig historische Gestalten unserer Zeit ebenso wie solche aus der ferneren Vergangenheit zu studieren Warum Aus dem einfachen Grund dass Men-schen unserer Zeit uns dabei helfen auf die speziellen Probleme und Her-ausforderungen unserer Tage und nicht

einfach auf die Probleme einer fruheren Aumlra angemessen zu reagieren In diesem Sinne besteht eine Parallele zum Betrei-ben von Theologie Denn genauso wie staumlndig Theologie geschrieben werden muss um das unwandelbare Wort auf eine sich wandelnde Welt anzuwenden so mussen wir Zeitgenossen studieren die uns helfen koumlnnen treu und kom-promisslos auf die Herausforderungen zu reagieren mit denen die Kirche ge-genwaumlrtig konfrontiert ist

Warum aber sollten wir gerade Fran-cis Schaeffer studieren Die Antwort auf diese zweite Frage ist dass es wahr-scheinlich keine Gestalt gibt die die evangelikale Bewegung in der zweiten Haumllfte des zwanzigsten Jahrhunderts staumlrker bewegt und beeinflusst hat als Francis Schaeffer Michael Hamilton kommentiert den Einfluss von Francis Schaeffer auf die evangelikale Bewe-

gung und sagt dabei Folgendes uber sein Leben und sein Werk

Als Francis Schaeffer im Jahr 1965 erst-mals auf der amerikanischen Buhne erschien wussten Evangelikale kaum was sie mit ihm anfangen sollten Sein christlicher Glaube war im Feuerofen der Kontroverse zwischen Fundamentalisten und Modernisten in den 1930er Jahren geformt worden und er war ein eingetra-genes Mitglied der absolut fundamenta-listischen Bible Presbyterian Church Er verteidigte leidenschaftlich die Idee der Irrtumslosigkeit der Schrift eine Lehre die in evangelikalen Kreisen schon etwas ins Rutschen geraten war Dennoch war er kein gewoumlhnlicher fundamentalisti-scher Prediger Er und seine Frau Edith lebten seit 10 Jahren in einer Studenten-gemeinschaft die sie in den Schweizer Alpen begonnen hatten Wenn er Vorle-sungen hielt trug er alpine Wanderklei-

Zum 100

Geburtstag von

Francis Schaeffer

glauben amp denken heute 22012 137 8 6 uuml

dung ndash Kniebundhosen Kniestrumpfe Wanderschuhe 1972 hatte er zu seiner schon vorher eigentumlichen Erschei-nung auch noch langes Haar und einen weiszligen buscheligen Ziegenbart am Kinn Das Sonderbarste war dass er selten die Bibel zitierte Er war eher geneigt uber die philosophische Bedeutung von Henry Miller zu reden (der damals als der por-nographischste Schriftsteller in der ame-rikanischen Literatur betrachtet wurde)

Waumlhrend der naumlchsten zwei Jahrzehnte organisierte das Ehepaar Schaeffer einen vielseitigen Dienst der den amerika-nischen Evangelikalismus neu formte Wahrscheinlich hat abgesehen von C S Lewis und Billy Graham kein Intellek-tueller das Denken der Evangelikalen tiefer gepraumlgt Zusammen brachten die Schaeffers die Idee des bewussten Lebens in christlicher Gemeinschaft in Umlauf Sie stieszligen die Evangelikalen aus ihrem kulturellen Ghetto inspirierten ein Heer Evangelikaler ernsthafte Wissenschaftler zu werden ermutigten Frauen ihre Rol-len als Mutter und Hausfrau anzuneh-men waren Mentoren fuhrender Koumlpfe der Neuen Christlichen Rechten und verliehen einer populaumlren evangelikalen Opposition gegen Abtreibung Stabilitaumlt2

Auf aumlhnliche Art und Weise fasst Ha-rold O J Brown die Wirkung und den Einfluss Francis Schaeffers zusammen indem er feststellt

Es gibt keinen anderen christlichen Denker unserer Zeit der so viele grund-

legende intellektuelle philosophische und theologische Fragen in Angriff ge-nommen hat wie Schaeffer es tat Er tat das jedoch nicht im Bemuhen eine um-fassende Philosophie der Geschichte zu konstruieren wie etwa Oswald Speng-ler (bdquoDer Untergang des Abendlandesldquo) oder Arnold Toynbee (bdquoDer Gang der Weltgeschichteldquo)

Selbst seine Spezialthemen behandelte Schaeffer nicht als theoretische Prob-leme die in ein umfassendes Weltbild zu passen hatten sondern als Fragen die jeder Mensch individuell beant-worten muss um Sinn fur sein Leben zu finden Es gibt nicht viele christliche Denker die sich mit so vielen groszligen Themen der Theologie und der Philo-sophie beschaumlftigt haben wie Schaeffer und niemand anders hat so sehr ihre Be-deutung fur uns aufgedeckt Schaeffer behandelte sie als entscheidend fur das Verstehen unseres eigenen Lebens und seiner Bedeutung und nicht nur als Abs-traktionen die einem Seminar fur Fort-geschrittene vorbehalten sind Schaeffer wollte und das war fur einen tiefen Denker ungewoumlhnlich einfache Leute mit den groszligen Fragen der Philosophie und Theologie und den entsprechenden Konsequenzen vertraut machen3

Zusaumltzlich koumlnnen wir unsere For-schung uber Francis Schaeffer noch staumlrker dadurch rechtfertigen dass wir seine Bedeutung und seinen Einfluss in drei wichtigen Bereichen feststellen

dem persoumlnlichen dem theologischen und dem sozialen Bereich4 Was den persoumlnlichen Bereich betrifft so erfolgte der Einfluss Schaeffers anfaumlnglich nicht durch akademische bildende Institutio-nen und auch nicht durch das Verlags-wesen Seinen groumlszligten Einfluss erlangte er durch den persoumlnlichen Kontakt mit Einzelnen die er kennenlernte und de-ren Leben er veraumlnderte Man kann also sagen dass sein Einfluss nicht darauf be-ruhte dass er zum evangelikalen Estab-lishment gehoumlrte sondern im Gegenteil vielmehr darauf dass er von diesem un-abhaumlngig war Fur Schaeffer waren per-soumlnliche Evangelisation und Jungerschaft keine Klischees

Durch sein Leben und seinen Dienst im Schweizer LrsquoAbri weit entfernt von Amerika beruhrten er und seine Frau Edith das Leben von zahllosen einzelnen Menschen Von ihnen sollten viele spaumlter evangelikale Leiter in Schlusselpositionen werden Fur diejenigen von uns die da-nach streben Maumlnner und Frauen fur das Evangelium zu gewinnen waumlre es sicher-lich weise aus dem Leben eines solchen Mannes Lehren zu ziehen und neu die Bedeutung des persoumlnlichen Kontaktes in unseren Begegnungen mit Menschen zu entdecken5 Aus einem theologischen Blickwinkel erkennen wir Schaeffers Bedeutung daran dass er maszliggeblich daran beteiligt war gerade die Evange-likalen aufzurufen zentrale Wahrheiten ernstzunehmen Bei ihnen bestand die

Tendenz diese Wahrheiten weniger zu betonen oder sogar zu verleugnen An-gesichts einer zunehmenden Neigung zu einem umfassenden Pluralismus und einer Verleugnung der Wahrheit in der akademischen Theologie in der Kirche und in der allgemeinen Kultur forderte Schaeffer die evangelikale Bewegung be-sonders dazu heraus ihre Hingabe an das Konzept der Wahrheit ndash oder wie er es nannte bdquowahre Wahrheitldquo ndash neu geltend zu machen Deshalb trat er im wahrsten Sinne des Wortes bis zu seinem Sterbe-bett eindeutig fur die volle Autoritaumlt und Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift ein Zu der Frage nach der bdquowahren Wahr-heitldquo gehoumlrten fur ihn auch solche ent-scheidenden Themen wie die Historizitaumlt von 1Mo 1ndash11 die Lehre von der Schoumlp-fung die zentrale Bedeutung der Lehre von Gott und die Ausschlieszliglichkeit von Jesus Christus als dem Weg der Wahr-heit und dem Leben6

Auch die Tatsache dass er sich gegen die Theologie der Neoorthodoxie7 wand-te die einige Evangelikale anzunehmen begonnen hatten hat etwas damit zu tun Er glaubte dass sie die Wahrheit und Wahrhaftigkeit des Evangeliums unterhoumlhlen wurde Heute mussen wir wahrscheinlich mehr als je zuvor die theologischen Herausforderungen durchdenken die uns Schaeffer hinter-lassen hat Hatte er Recht Falls ja gibt es Dinge die wir bei unserem Versuch fur die Wahrheit des Evangeliums einzuste-

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

14 7 8 6 uuml

hen heute von ihm lernen koumlnnen Auch fur unsere Uumlberlegungen im sozialen Be-reich ist Schaeffer eine wichtige Gestalt Als in den 70er Jahren Evangelikale an der sozialen Front wenig unternahmen forderte er Millionen Evangelikale fast im Alleingang dazu auf eine aktive Rol-le bei der Gestaltung ihrer Gesellschaft und deren Werte zu ubernehmen Er gab ihnen dazu auch eine theologische Begrundung8 Wie Brown beobachtet bdquowar die Entscheidung des Obersten Ge-richtshofes der USA zum Fall Roe gegen Wade 1973 die Abtreibung auf Verlan-gen erlaubt fur Schaeffer eine Art Funke im Pulverfassldquo9 Seit langem hatte Schaef-fer die Leute darauf verwiesen dass das Weltbild des nachchristlichen Westens auf eine Entwertung des menschlichen Lebens zusteuerte Die Roe gegen Wade-Entscheidung war daher fur ihn ein ent-scheidender Ruf zum Handeln

1979 produzierte er zusammen mit C Everett Koop und Franky Schaeffer die Filmreihe bdquoWhatever Happened to the Human Raceldquo die dabei half schlaumlfrige Evangelikale zum Handeln zu mobilisie-ren und sie dazu herauszufordern sich auf der politischen Buhne zu engagieren Es ist keine Uumlbertreibung zu sagen dass das Aufkommen von Schwangerschafts-konfliktberatungszentren die Entste-hung des Rates fur christliches Handeln (Christian Action Council) und der Moralischen Mehrheit (Moral Majori-ty) direkt mit dem Einfluss von Francis

Schaeffer in Verbindung stehen Doch was waren seine Grunde fur soziales Handeln Waren sie zulaumlssig Und was koumlnnen wir von ihm bei dem Versuch lernen heute unserem Herrn gehorsam zu sein Es gibt aber noch einen letzten Grund warum wir das Leben und Den-ken Francis Schaeffers studieren sollten

Die uneinheitlichen Reaktionen evan-gelikaler Gelehrter auf ihn oumlffnen ein Fenster durch das wir die zunehmend gespaltene evangelikale Bewegung se-hen koumlnnen Lane Dennis kommentiert verschiedene Kritiker die Schaeffers Denken bdquoanmaszligenden Schwulstldquo bdquosim-plistischldquo bdquoVerkummerungldquo und bdquokindi-sche Verknupfung unbestaumltigter Urteileldquo benannt haben und merkt an dass bdquoman gewoumlhnlicherweise diese Art von Adjek-tiven in houmlflicher oder gelehrter Kon-versation nicht houmlrt offensichtlich hat Schaeffer einen blanken Nerv beruhrtldquo10 Interessanterweise stellt Dennis fest dass diese Art von Reaktion meist von Aka-demikern in evangelikalen Colleges zu kommen scheint und weniger von evan-gelikalen Gelehrten aus saumlkularen Schu-len11 Warum Warum diese negativen Reaktionen aus gewissen Bereichen der evangelikalen Bewegung besonders von Akademikern Einige beantworten diese Frage mit der Feststellung dass Schaeffer kein richtiger bdquoGelehrterldquo war und dass dies der Grund fur manche der negati-ven Reaktionen gewesen sei Aus einer Vielzahl von Grunden genugt diese Ant-

wort jedoch nicht12 Es scheint vielmehr dass Michael Hamilton auf dem richti-gen Weg ist wenn er argumentiert dass die verschiedenartigen Reaktionen auf Schaeffer negativ und positiv eine be-achtliche Spaltung innerhalb der evange-likalen Bewegung widerspiegeln Scha-effer vertritt in den Worten Hamiltons bdquodie rauere Kanteldquo der evangelikalen Be-wegung im Gegensatz zu Billy Graham und anderen die die bdquoweichere Kanteldquo vertreten Die bdquoweichere Kanteldquo ist der Teil der evangelikalen Bewegung der die bdquogemaumlszligigte Mitteldquo vertritt ndash eine Mitte die versucht Kontroversen zu entschaumlr-fen und jedem wohlgesonnen ist der zur Zusammenarbeit mit allen denen bereit zu sein scheint die ihn das Evangelium predigen lassen13

Auf der anderen Seite vertritt Schaeffer die Seite der evangelikalen Bewegung die bereit ist mit anderen fur gemeinsame soziale Anliegen eine Allianz einzugehen nicht aber wenn es um die Verkundigung des Evangeliums geht Diese Seite orien-tiert sich so sehr an der Frage nach der Wahrheit dass sie erkennt dass schein-bar bdquogeringfugigeldquo Verschiebungen der Lehre bedeutsam sind und sehr ernst ge-nommen werden mussen Es ist eine Sei-te die zu einer bdquoliebevollen Konfrontati-onldquo in Fragen von Wahrheit und Leben aufruft weil es sonst zu Kompromissen in Bezug auf das Evangelium komme Aber ich bin davon uberzeugt dass wir uns heute mit ihr identifizieren mussen

Heute ist die evangelikale Bewegung in vielen Fragen darunter auch in einigen wichtigen Lehrfragen gespalten So ist es in dieser Zeit weise uber das Leben und Denken Francis Schaeffers nachzu-denken einem Diener des Herrn der in seiner Generation fest einstand fur das Evangelium damit wir lernen koumlnnen wie wir dies in unserer Generation ver-mehrt tun koumlnnen14 Ich schlage vor dass wir das Leben und Denken Schaeffers in folgender Weise betrachten Zunaumlchst werden wir mit einer kurzen Chronolo-gie seines Lebens beginnen um uns zu erinnern Fur manche Leser mag dies eine erste Einfuhrung in sein Leben sein Umfeld und seinen Dienst sein

Zum Zweiten werden wir vier Lehren die wir aus Schaeffers Denken ziehen koumlnnen hervorheben und ausfuhrlicher betrachten Schlieszliglich werden wir uns mit zwei Lehren beschaumlftigen die wir aus seinem Leben und seinem Dienst ziehen koumlnnen

Eine kurze Chronologie des Lebens Francis Schaeffers15

Die fruhen Jahre

bull Francis Schaeffer wurde am 30 Januar 1912 in Germantown in Pennsylvania geboren Er war das einzige Kind sei-ner Eltern die zur Arbeiterklasse ge-houmlrten Seine Vorfahren stammten aus

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 157 8 6 uuml

Deutschland Schaeffers Eltern legten ein Lippenbekenntnis zum Christen-tum ab Er selbst betrachtete sich je-doch nicht als jemand der in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen ist

bull Aus eigenem Antrieb besuchte er eine liberale presbyterianische Kirche Nach seinem Bekenntnis fand er je-doch im liberalen Christentum kei-nerlei befriedigende Antworten auf die grundlegenden Fragen des Lebens Das fuhrte dazu dass er waumlhrend sei-ner High-School-Jahre zum Agnos-tiker wurde Waumlhrend seiner spaumlten Jahre auf der High School begann er philosophische Literatur zu lesen um Antworten auf die Lebensfragen zu finden Aus Neugierde las er auch die Bibel Nachdem er beginnend mit dem 1 Buch Mose sechs Monate lang die Bibel gelesen hatte wurde er im Jahr 1930 Christ Er war uberzeugt dass die Bibel wahr ist und dass sie die einzigen angemessenen Antworten auf die grundlegenden philosophischen Fragen des Lebens bietet

bull Nach seiner Bekehrung verlieszlig er die Berufsschule um sich in Abendkur-sen auf das College vorzubereiten Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er in der Schule schwache Leistungen gezeigt Jetzt verbesserten sich seine Noten merklich Gegen den Wunsch seines Vaters begann er 1931 am Hampden-Sydney College in Virginia zu stu-

dieren Er absolvierte 1935 mit der Note magna cum laude Er wurde zum bdquoherausragenden Christenldquo seiner Klasse gewaumlhlt

bull Der geschichtliche und theologi-sche Hintergrund dieser Zeit waren die Auseinandersetzungen zwischen Fundamentalisten und Modernis-ten In den fruhen 1930er Jahren war Schaeffers eigene Denomination die Northern Presbyterian Church so-wohl in den Ausbildungsstaumltten als auch in den Gemeinden dabei ausei-nanderzubrechen Interessanterweise sprach bei einer Gelegenheit im Jahr 1932 ein bezahlter junger Redner daruber warum die Bibel nicht Gottes Wort und Jesus nicht Gottes Sohn sei Waumlhrend der nachfolgenden Diskus-sionszeit erhob sich Schaeffer als jun-ger Christ um das historische Chris-tentum so gut er es konnte zu vertei-digen Zu seiner Uumlberraschung gab es nur eine weitere Person die aufstand und sehr deutlich von der Bibel her und unter Benutzung von Werken J Gresham Machens seine Position ver-teidigte Ihr Name war Edith Seville Am 26 Juli 1935 heirateten Francis und Edith

Jahre auf dem Seminar

bull Im Herbst 1935 trat Francis Schaef-fer in das Westminster Theological Seminary ein Westminster war 1929

von J Gresham Machen und anderen fuhrenden Presbyterianern gegrundet worden die versuchten eine konserva-tive Alternative zum theologischen Li-beralismus zu bieten Waumlhrend seiner Zeit in Westminster wurde Schaeffer stark durch die Werke von Machen Cornelius Van Til und Allan Mac-Rae vom Biblical Theological Semi-nary gepraumlgt Interessanterweise sah Schaeff er sich selbst als jemand der in den Fuszligstapfen des auf Denkvor-aussetzungen aufbauenden apologe-tischen Programms Van Tils geht In spaumlteren Jahren gab es leider einen Riss zwischen den beiden Maumlnnern besonders von Van Tils Seite

bull 1936 enthob die Northern Presbyte-rian Church Machen wegen seines konservativen Standpunktes des Am-tes Das fuhrte zu konservativen Ab-spaltungen von der Denomination von denen auch Schaeffer betroffen war Leider wurde aufgrund mancher Konflikte innerhalb der konservati-ven Gruppen in Westminster im Jahr 1937 ein neues Seminar gegrundet das Faith Theological Seminary in Wilmington in Delaware unter der Leitung von Allan MacRae Scha-effer zog um zum Faith Theological Seminary um dort seine Studien im Jahre 1938 abzuschlieszligen Schaeffer hat spaumlter im Ruckblick auf diese Zeit manche der Zaumlnkereien und internen Streitigkeiten zu denen es unter den

Konservativen kam bedauert Spaumlter hat er zur Notwendigkeit einer bdquolie-bevolle Konfrontationldquo aufgerufen die gleichzeitig fur Wahrheit und fur sichtbare Liebe eintritt

Jahre als Pastor

bull Von 1938ndash1948 war Schaeffer Pastor verschiedener presbyterianischer Ge-meinden in Grove City und Chester Pennsylvania und ebenso in St Louis Missouri Waumlhrend ihrer Zeit in St Louis begannen er und Edith eine Or-ganisation mit dem Namen bdquoChild-ren for Christldquo (Kinder fur Christus) ndash ein evangelistischer Dienst unter Kindern der sich schlieszliglich auch in anderen Kirchen und Denominatio-nen ausbreitete

bull Im Jahr 1947 wurde Schaeffer vom Unabhaumlngigen Ausschuss fur Pres-byterianische Mission und von der Abteilung fur Auszligenbeziehungen des Amerikanischen Rates Christlicher Kirchen ausgesandt um die geistli-chen Bedurfnisse der Jugendlichen und die Konfrontation der Kirche mit dem theologischen Liberalismus im Nachkriegseuropa zu bewerten Als Ergebnis seiner drei Monate in Europa spurte Schaeffer dass Gott seine Fa-milie rief in Europa zu dienen

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

16 7 8 6 uuml

Der Umzug nach Europa

bull 1948 zogen die Schaeffers nach Lau-sanne in der Schweiz um als Missi-onare in Europa zu arbeiten Damals hatten die Schaeffers drei Toumlchter Priscilla Susan und Deborah Ihr Sohn Franky wurde 1952 geboren

bull Als sie nach Europa kamen grundeten sie zuerst bdquoChildren for Christldquo fur die Mission unter Kindern Schaeffer warnte auch weiter vor den Gefahren des theologischen Liberalismus und ebenso vor der raffinierten Bedrohung durch die Neoorthodoxie 1949 zogen die Schaeffers in das Bergdorf Cham-peacutery in der Schweiz

bull 1951 geriet Schaeffer aus mindestens zwei Grunden in eine tiefe geistli-che Lebenskrise Erstens sah er im Leben derer die fur das historische Christentum kaumlmpften nicht die Kraft des Evangeliums und das be-unruhigte ihn Zweitens erkannte er dass die Erfahrung des Herrn in seinem eigenen Leben nicht so pul-sierend war wie fruher Diese Krise brachte ihn dazu noch einmal alles zu uberdenken ndash sogar die Wahrheit des Christentums Aus diesem Erlebnis heraus kam Schaeffer zu dem festen Schluss dass es gute und ausreichende Grunde gab zu wissen dass der Gott der Bibel wirklich existiert und dass das Christentum wahr ist Er gelangte auch zu einem tieferen Verstaumlndnis fur

das vollbrachte Werk Christi und das Werk des Heiligen Geistes im Leben der Glaumlubigen Aus diesem Erlebnis heraus wurde spaumlter auch sein Buch bdquoTrue Spiritualityldquo geboren Mehr als das ndash aus dieser Krise heraus wurde LrsquoAbri geboren Schaeffer sagte immer dass ohne diese Zeit des Kampfes da-rum bdquoRealitaumlt im christlichen Leben zu findenldquo LrsquoAbri niemals entstanden waumlre

bull 1955 zogen die Schaeffers durch eine Reihe wunderbarer Umstaumlnde in das Chalet Les Meacutelegravezes in Hueacutemoz in der Schweiz Sie erhielten nicht nur die notwendigen Finanzen um das Cha-let zu kaufen Ihnen wurden auch die Visa bewilligt um in der Schweiz zu bleiben nachdem ihnen vorher von der Schweizer Regierung mitgeteilt worden war sie haumltten das Land dau-erhaft zu verlassen

LrsquoAbri (bdquoDie Zufluchtldquo)

bull Die LrsquoAbri-Gemeinschaft wurde of-fiziell im Jahr 1955 geboren Es be-gann mit Freunden Priscillas die aus der Universitaumlt in das Haus der Schaeffers kamen und Fragen uber das Christentum die Wahrheit und das Leben stellten LrsquoAbri arbeitete mit vier Grundprinzipien (1) Sie wurden nicht um Geld bitten sondern ihre Bedurfnisse Gott mitteilen (2) Sie wurden nicht um Mitarbeiter wer-

ben sondern abhaumlngig davon sein dass Gott die richtigen Leute senden wurde (3) Sie wurden nur kurzfris-tig planen um von Gottes Leitung abhaumlngig zu sein und (4) Sie wurden nicht sich selbst bekanntmachen son-dern Gott vertrauen dass er ihnen Menschen in Not senden wurde

bull Zuerst wurden Treffen und Gottes-dienste im Haus der Schaeffers abge-halten Dann wurden sie in eine ver-lassene protestantische Kirche verlegt Durch Mundpropaganda verbreitete sich die Nachricht unter Universitaumlts-studenten dass es einen Ort in den Schweizer Alpen gebe wo man ehrli-che Antworten auf die tiefsten Fragen des Lebens bekommen koumlnne Inner-halb kurzer Zeit kamen jedes Wo-chenende Studenten nach LrsquoAbri Es enstand eine Struktur von Mahlzei-ten Spaziergaumlngen Gespraumlchen und einem Sonntagsgottesdienst die alle darauf ausgerichtet waren eine Atmo-sphaumlre zu schaffen die das Gespraumlch uber philosophische und religioumlse Ge-danken anregen sollte

bull Am staumlrksten betonte LrsquoAbri ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen im Kontext von gastfreundlicher Um-gebung und sichtbarer Liebe In den fruhen Tagen dachte man nicht ein-mal an Bucher Filme und Tonbaumln-der Die Tonbaumlnder kamen zuerst nur durch ein zwischen einigen Blumen verstecktes Mikrofon zustande mit

dem die Gespraumlche jenes Abends auf-gezeichnet wurden Erst als Schaef-fer erkannte dass die Tonbaumlnder ge-braucht werden konnten um andere zu erreichen gab er zoumlgerlich seine Erlaubnis zum Beginn des Tonband-programms Schlieszliglich kamen Men-schen nach LrsquoAbri um zu studieren und zu arbeiten Schon 1957 kamen jedes Wochenende 25 Leute

bull LrsquoAbri dehnte sich uber die Schweiz hi-naus aus 1958 begann es in England Heute befinden sich LrsquoAbris uberall auf der Welt in Australien Holland Indien Sudkorea und Schweden und ebenso in den USA in Massachusetts und Minnesota16

bull Bis 1960 war LrsquoAbri in einem sol-chen Maszlige gewachsen dass es die Aufmerksamkeit des Time-Magazins auf sich zog Tonbaumlnder wurden nun weltweit verteilt und Schaeffer er-hielt Einladungen aus Europa und Nordamerika Das waren gleichzeitig schwierige Zeiten in LrsquoAbri Als mehr und mehr Studenten kamen wurden Geld und Lebensmittel knapp

bull 1965 reiste Schaeffer zuruck nach Nordamerika und hielt Vorlesungen in Boston Dann fuhr er zum Whea-ton College und hielt Vorlesungen die spaumlter die Grundlage fur sein Buch bdquoThe God Who is Thereldquo (dt bdquoGott ist keine Illusionldquo) wurden Damals schaumltzten ihn die Studenten unge-heuer die akademische Welt war je-

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 177 8 6 uuml

doch viel behutsamer darin ihn zu ak-zeptieren Am Wheaton College sprach er zum Beispiel uber Themen von de-nen die meisten Menschen in evange-likalen Kreisen niemals gehoumlrt hatten oder uber die sie nicht diskutieren durf-ten wie etwa die Filme von Ingmar Bergman und Fedrico Fellini und die Schriften von Albert Camus Jean-Paul Sartre und Martin Heidegger

bull Waumlhrend der naumlchsten zehn Jahren wurden die Schaeffers zu einer der be-kanntesten Familien in der evangelika-len Bewegung Francis veroumlffentlichte zahlreiche Bucher und Broschuren von denen die meisten aus Vorlesungen entstanden die er seit der Grundung von LrsquoAbri gehalten hatte Edith ver-oumlffentlichte eine Anzahl von Buchern uber Ehe Familie Theologie und die Geschichte von LrsquoAbri17

Die 70er Jahre

bull Im Jahr 1974 sprach Schaeffer auf der Internationalen Konferenz fur Welt-evangelisation in Lausanne Schweiz wo er stark die Bedeutung der Irrtums-losigkeit der Bibel betonte Spaumlter im Jahr 1977 half er den Internationalen Rat fur Biblische Irrtumslosigkeit zu grunden

bull Ebenfalls in den 70er Jahren begann er aufgrund der Roe gegen Wade-Ent-scheidung des Obersten Gerichtshofs der USA seine Stimme gegen Abtrei-

bung zu erheben 1977 startete er eine Tour durch 22 Staumldte mit Seminaren und Ansprachen zu der Filmreihe bdquoWie koumlnnen wir denn lebenldquo Er begann ebenfalls die Arbeit an der Filmreihe bdquoWhatever Happened to the Human Raceldquo zusammen mit C Everett Koop und Franky Schaeffer die zu einer Tour mit Ansprachen im Jahr 1979 fuhrte

bull Schaeffers Kulturkritik und seine Verteidigung des historischen Chris-tentums lieszligen ihn in seinen Werken auch zu Themen wie Reinheit in Lehre und Leben Abtreibung Euthanasie Oumlkologie Krieg und Frieden sowie Burgerrechte seine Stimme erheben Schaeffer sprach sich lange und hart gegen das Eintreten der Kirche fur den Status Quo aus Er richtete sich be-sonders gegen ihre Annahme der ame-rikanischen Lebensphilosophie die seit den 50er Jahren die Gesellschaft durchdrungen hatte naumlmlich die Phi-losophie dass man nur fur bdquopersoumln-lichen Frieden und Wohlstandldquo lebt Er rief nach einer neuen Generation von Christen die wirklich bdquorevolutio-naumlrldquo sein sollten in ihrem Eintreten fur Wahrheit sowohl in der Lehre als auch im Leben

Die 80er Jahre

bull In den 1980er Jahren wurde Schaeffer aufgrund von dem was als Verschie-bung zum bdquoKonservativismusldquo wahr-

genommen wurde zunehmend von evangelikalen Akademikern und poli-tisch liberalen Evangelikalen entfrem-det Das geschah besonders aufgrund seiner Veroumlffentlichung bdquoA Christian Manifestoldquo (1981) das nicht nur den Aufstieg der bdquoMoral Majorityldquo lobte sondern auch Christen dazu aufrief ge-gen Abtreibung einzustehen und falls noumltig zivilen Ungehorsam zu prakti-zieren Interessanterweise sah Schaeffer selbst keine Verschiebung in seinem Denken gegenuber den 70er Jahren Er sah vielmehr seine Arbeit in den 80er Jahren als die logische Fortsetzung seiner Entscheidung die Wahrheit zu praktizieren und die Herrschaft Christi uber das gesamte Leben herauszuarbei-ten sei es das Leben im Mutterleib in der Kirche oder im Houmlrsaal

bull Im Jahr 1984 als er immer noch ge-gen den 1978 bei ihm diagnostizier-ten Krebs kaumlmpfte unternahm er buchstaumlblich auf dem Sterbebett eine Rundreise durch 13 Staumldte bei der er zehn christliche Colleges besuchte Dies geschah in Zusammenhang mit seinem letzten Buch The Great Evan-gelical Disaster (dt Die groszlige Anpas-sung Der Zeitgeist und die Evange-likalen) Auf seiner letzten Rundreise sprach er leidenschaftlich im Namen des Evangeliums warnte dabei und flehte die evangelikale Gemeinde an weder in der Lehre noch in der Praxis Kompromisse in Bezug auf die Auto-

ritaumlt der Bibel einzugehen Er nannte dabei sogar Namen derer von denen er glaubte dass sie das getan haumltten Er rief eine neue Generation von Christen dazu auf fur die Wahrheit einzutreten in seinen Worten bdquoRadikale fur Chris-tusldquo zu sein

bull Am 15 Mai 1984 einen Monat nach-dem die Rundreise abgeschlossen war starb er in Rochester Minnesota

Lehren die wir aus dem Denken Francis Schaeffers ziehen koumlnnen

Ideen haben Konsequenzen

Eines der groszligen Vermaumlchtnisse des Werkes Francis Schaeffers war es uns zu zeigen dass bdquoIdeen Konsequenzen ha-benldquo18 Auch wenn seine Analyse nicht in allen Teilen vollstaumlndig korrekt war hatte Schaeffer doch ganz Recht darin dass die westliche Gesellschaft eine bdquoLi-nie der Verzweiflungldquo erlebt hatte ndash einen langsamen Prozess durch den Ideen hi-nuntersickerten von der Philosophie zur Kunst zur Musik zur allgemeinen Kul-tur und schlieszliglich zur Theologie19 Das kulturelle Durcheinander in dem wir le-ben kam nicht aus dem Nichts sondern hat eine lange Geschichte

Wie Schaeffer uns immer wieder erin-nert hat gibt es bei der Entfaltung von Ideen einen Einfluss in die Geschichte

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

18 7 8 6 uuml

ndash sei es zum Guten oder zum Schlech-ten Zusaumltzlich lehrte uns Schaeffer dass wir um unsere Gegenwart zu verstehen auch den Lauf der Geistesgeschichte er-fassen mussen die uns vorausging Dies betrifft auch die Auswirkungen die sie auf uns hat und haben wird wenn die Menschen schlieszliglich gemaumlszlig ihren Glaubensuberzeugungen handeln Ei-gentlich warnte uns Schaeffer dass wir wenn wir die Geistesgeschichte nicht durchdenken werden wir nicht nur un-sere eigene Zeit missverstehen sondern wir werden auch zu unserem gegen-waumlrtigen Zeitalter nichts Konstruktives zu sagen haben werden Wir werden unvermeidlich dem sprichwoumlrtlichen Frosch im Wassertopf gleichen der die Tatsache nicht wahrnimmt dass das Wasser langsam erhitzt wird und dass das Ergebnis wenn er nicht sofort aus dem Topf springt Zerstoumlrung sein wird

Fur christliche Leiter Pastoren und Lehrer ist diese Lehre von aumluszligerster Wichtigkeit Wenn wir unserem Herrn und seinem Volk treu bleiben wollen wenn wir unserer Generation etwas Loh-nendes sagen wollen wenn wir die sein wollen die wirklich ihre Zeit verstehen und zu den draumlngenden Fragen des Ta-ges Stellung nehmen wollen dann wird das nicht weniger erfordern als ein tief-gehendes Verstaumlndnis des Tages und des Zeitalters in dem wir zu dienen und zu arbeiten berufen sind Doch nicht nur das es erfordert ebenso eine ganze Hin-gabe an den Herrn und sein Wort In

diesem Zusammenhang zitierte Schaef-fer oft und gerne die beruhmte Aussage Martin Luthers

Wenn ich auch mit der lautesten Stimme und klarsten Darlegung jedes Stuck der Wahrheit Gottes bekenne mit Ausnahme genau jenes kleinen Punktes den die Welt und der Teufel im Mo-ment angreifen dann bezeuge ich nicht Christus wie lautstark auch immer ich mich zu ihm bekenne Die Treue eines Soldaten beweist sich da wo gerade der Kampf wutet Auszligerhalb des Kampfes an der Front standhaft zu sein ist nichts anderes als Flucht und Schande wenn man am entscheidenden Punkt zuruckweicht20

Das war fur Francis Schaeffer keine Theorie Fur ihn war das eine Sache auf Leben und Tod Wir mussen so warnte er die Wichtigkeit von bdquoIdeenldquo begrei-fen um unsere Zeiten recht zu verste-hen Wenn wir das nicht tun werden wir naumlmlich vom bdquoGeist unserer Zeitldquo hinweggefegt werden ohne auch nur zu merken was uns geschieht

Der Kampf des Tages Die Idee der Wahrheit

Was war demnach fur Schaeffer die bdquoSchlusselideeldquo die wir heute begreifen mussen Was sollte die Kirche aus ei-ner Analyse der Geistesgeschichte ler-nen um dem Herrn heute treu bleiben zu koumlnnen Was ist unser Kampf Fur

Schaeffer ist die Antwort unstrittig Un-ser Kampf heute ist ein Kampf fur die Idee und das Konzept von Wahrheit an sich

Die heute zwischen den Generationen aufgebrochene Kluft ist zum groumlszligten Teil durch einen Wandel im Wahr-heitsverstaumlndnis entstanden Wo immer wir hinschauen herrscht dieses neue Verstaumlndnis vor Es umgibt uns als ein nahezu fugenloser Meinungsblock auf allen Gebieten sei es in den Kunsten in der Literatur oder auch nur beim Lesen von Zeitungen und Wochenschriften wie Spiegel Weltwoche Welt am Sonn-tag Sunday Times LlsquoExpreszlig de Paris Elsevierlsquos Weekblad und anderen mehr Von allen Seiten her spuren wir den Wurgegriff einer neuen Methodologie ndash und mit Methodologie meinen wir die Art und Weise wie wir an Wahrheits-erkenntnis und Wissen herangehen Es ist erstickend wie der dichteste Londo-ner Nebel Und sowenig sich der Nebel durch Waumlnde und Turen abhalten laumlsst so wenig koumlnnen wir uns der vorherr-schenden Meinung entziehen Das geht so weit dass wir in unseren eigenen vier Waumlnden nicht mehr klar sehen und uns doch nicht erklaumlren koumlnnen was eigent-lich geschehen ist Die Tragik unserer heutigen Situation liegt darin dass die neue Einstellung zur Wahrheit Maumlnner und Frauen in ihren Lebensgrundlagen erschuttert hat ohne dass sie sich jemals Rechenschaft uber den neuen Kurs ge-geben haben Die jungen Menschen

werden zunaumlchst im Rahmen des alten Wahrheitsverstaumlndnisses erzogen Dann geraten sie unter den Einfluss der mo-dernen Auffassung Mit der Zeit wer-den sie unsicher weil sie die ihnen vor-gelegte Alternative nicht durchschauen Diese Unsicherheit fuhrt zu Verwirrung und bald zu einem inneren Zerbruch ndash unglucklicherweise nicht nur bei jun-gen Menschen sondern auch bei vielen Pfarrern Lehrern Evangelisten und Missionaren So ist wie ich meine die veraumlnderte Auffassung uber den Weg der zu Erkenntnis und Wahrheit fuhrt das entscheidende Problem das sich der Christenheit heute stellt21

In der Literatur der Gegenwart sei sie philosophisch wissenschaftlich litera-risch oder theologisch wird fur das auf was Schaffer sich bezieht oft der Begriff bdquoPostmodernismusldquo gebraucht Auch wenn Schaeffer selbst niemals den Be-griff benutzte sah er den Inhalt voraus und beschrieb ihn bevor der Gebrauch des Begriffs Mode wurde22 Schaeffer hatte eine Gabe das zu tun Oft konnte er bdquosehenldquo wohin Ideen gingen weil er die Maxime ernst nahm bdquoIdeen haben Konsequenzenldquo Im heutigen Gebrauch bezeichnet bdquoPostmodernismusldquo eine Denkweise die fest verknupft ist mit der Verleugnung von Wahrheit in jedem objektiven universalen Sinn Er wird oft dem bdquoModernismusldquo gegenubergestellt der viel vom Geist der Aufklaumlrung wi-derspiegelt einem Geist der interessan-

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 197 8 6 uuml

terweise viel vom Christentum entliehen hat Wie das Christentum so glaubte auch er dass Wahrheit objektiv und uni-versal sei und dass die Vernunft durch Forschung und Untersuchung Wahrheit erlangen koumlnne Anders als das Chris-tentum versuchte er jedoch Wahrheit ohne Abhaumlngigkeit von Gott und sei-nem gesprochenen Wort zu entdecken Statt dem christlichen Motto bdquoGlaube sucht zu verstehenldquo zu folgen und die Prioritaumlt der goumlttlichen Offenbarung zu unterstreichen versuchte der Modernis-mus dem Programm bdquoIch verstehe um zu glaubenldquo zu folgen In diesem Sinn versuchte der Modernismus dann alle Wahrheitsanspruche seien sie philoso-phischer oder theologischer Art unter der bdquoAutoritaumltldquo des menschlichen Ver-standes unabhaumlngig von Gottes Wort zusammenzufassen Der Postmodernis-mus auf der anderen Seite ist in Wirk-lichkeit logisch zu Ende gedachter Mo-dernismus und ist sich daher erkenntnis-theoretisch seines Ausgangs und seines Ergebnisses viel bewusster23 In diesem Sinn nimmt der Postmodernismus das Projekt der Aufklaumlrung ernst das sein Zentrum im autonomen Selbst hat Dann aber kommt er zu Recht und iro-nischerweise zu dem Schluss dass wenn die Sicht der Aufklaumlrung richtig ist die Wahrheit niemals universal sein koumlnne Warum Der einfache Grund ist dass endliche Menschen und Gemeinschaf-ten zu sehr historisch positioniert und

soziologisch abhaumlngig sind als dass sie jemals einen bdquoGesichtspunkt mit Gottes Augeldquo d h einen objektiven universa-len unbefangenen Gesichtspunkt liefern koumlnnten Wahrheit kann letztlich nicht das sein was der Modernismus von ihr zu sein erwartete sie muss vielmehr perspektivisch provisorisch und endlich sein Letztendlich ist sie das was die Ge-meinschaft am houmlchsten bewertet d h sie ist pragmatisch

Falls der Postmodernismus wahr ist sind naturlich alle Behauptungen von Einzelnen oder Gemeinschaften bdquodie Wahrheitldquo zu kennen notwendigerweise falsch ndash tatsaumlchlich eine interessante Iro-nie Postmodernismus ist im Tiefsten ein Misstrauen gegen jeden der sagt bdquoSo ist esldquo oder bdquoDas ist die Wahrheitldquo und als solcher neigt er zu einem umfassenden Pluralismus Relativismus und Skepti-zismus So erinnert uns D A Carson daran dass heute bdquoder einzige absolute Glaube der Glaube an den Pluralismusldquo ist24 ndash d h jedermanns Gesichtspunkt ist willkommen ob er nun philosophi-sche moralische oder religioumlse Themen betrifft Auch wenn Francis Schaeffer niemals das Wort bdquoPostmodernismusldquo gebrauchte warnte er uns vor der Idee und ihren Konsequenzen Eigentlich war es diese bdquoIdeeldquo die er kontinuier-lich in seinen Buchern und Vortraumlgen herausgearbeitet hat damit wir sie ver-stehen und begreifen Im Kern so vieler Themen mit denen die Kirche konfron-

tiert ist so argumentierte er liegt eine erkenntnistheoretische Verschiebung die im Denken und in der Kultur des Westens stattgefunden hat ndash eine Ver-schiebung die wir nun Postmodernis-mus nennen eine Verschiebung weg von der Wahrheit oder von dem was er bdquowahre Wahrheitldquo nannte25

Wenn wir diese Verschiebung nicht verstehen sie nicht ernst nehmen und ihr nicht entgegentreten so warnte er uns auch dann werden wir nicht den Kampf unserer Tage als gute Soldaten Jesu Christi kaumlmpfen Am Ende werden unser Lehren Predigen unsere Apologe-tik und unsere Evangelisation auf taube Ohren stoszligen weil sie nicht angemessen unsere Generation ansprechen

Unsere Generation wird die Darbie-tung des Evangeliums entweder als ein Relikt einer vergangenen Aumlra oder in den Kategorien einer postmodernen Gesellschaft houmlren und daher das Evan-gelium relativieren26 Was heute letzt-lich auf dem Spiel steht so behauptete Schaeffer ist ein Kampf um das gesamte Weltbild Nicht laumlnger geht es bei dem Kampf fur das Evangelium um diesen oder jenen Punkt sondern um die ge-samte Struktur und den Rahmen ndash ein Kampf bei dem es nach Ausmaszligen und Konsequenzen um Leben und Tod geht Es ist diese letzte Beobachtung die neu von Francis Schaeffer gelernt werden muss Schaeffers groszliges Anliegen war die Verkundigung des Evangeliums und

der Aufbau der Kirche Er wollte treu zu seiner Generation in solch einer Weise sprechen dass das Evangelium als das gehoumlrt wurde was es wirklich war Des-halb muhte er sich darum Menschen die Geistesgeschichte verstehen zu lassen ndash nicht um der Neugierde willen son-dern mit dem Ziel ihre Zeit besser zu verstehen Bei aller berechtigten Debat-te uber die Genauigkeit von Schaeffers Interpretation solcher Leute wie Thomas von Aquin Georg Friedrich Hegel Souml-ren Kierkegaard verschiedener Kunstler und Musiker und sogar Karl Barths er-kennen die meisten an dass Schaeffers Gesamtanalyse korrekt ist ndash eine Analy-se die zu oft sowohl in ihren theoreti-schen als auch praktischen Auswirkun-gen vergessen worden ist

Ohne Berucksichtigung aller Details lag Schaeffer darin richtig die erkennt-nistheoretischen Verschiebungen zu be-tonen die in der westlichen Gesellschaft stattgefunden hatten Verschiebungen die unglaubliche praktische Konsequen-zen haben Wir wollen kurz drei dieser praktischen Auswirkungen hervorhe-ben vor denen Schaeffer uns warnte und die fur die Kirche heute von besonderer Wichtigkeit sind

Die Verschiebung zur Erfahrung

Mit dem Verlust der Wahrheit geht eine zunehmende Verschiebung zur Erfah-rung einher zu einer Erfahrung aller-

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

20 7 8 6 uuml

dings die oft ohne Inhalt und Wahr-heit ist In seiner Analyse des westlichen Denkens vertritt Schaeffer die Auffas-sung dass der moderne Mensch zuneh-mend begann die Welt auf eine natu-ralistische Art zu betrachten27 In der Wissenschaft gab es eine Verschiebung von der Ansicht dass es eine Gleichfoumlr-migkeit naturlicher Ursachen in einem kontrollierten System gebe durch die Gott das System staumlndig erhaumllt und so-gar eingreifen kann wenn er sich dazu entscheidet hin zu der Sicht dass es ein geschlossenes System gebe dass Gott ausschlieszligt In der Philosophie beson-ders in der des Westens gab es einen wachsenden aufklaumlrerischen Impuls hin zum bdquoRationalismusldquo28 das heiszligt zu ei-ner Geisteshaltung die versuchte durch die menschliche Vernunft eine einheitli-che Sicht von Welt und Leben zu liefern

Dies geschah in einer solchen Wei-se dass die Vernunft zunehmend un-abhaumlngig von goumlttlicher Offenbarung funktionierte Diese Verschiebungen fuhrten jedoch wie Schaeffer behaup-tete schlieszliglich zu einer dichotomen Sicht der Wirklichkeit die er bdquodas Un-ter- und das Obergeschossldquo nannte Das laumlsst sich belegen durch Dialektiken wie die der Spaltung in bdquoNatur-Freiheit und bdquoPhaumlnomenon-Noumenonldquo bei Imma-nuel Kant29 Das Problem bei dieser dialektischen Sicht der Wirklichkeit so behauptet Schaeffer besteht darin dass sie uns mit einer schrecklich gespaltenen

Sicht von der Welt zurucklaumlsst Die un-abhaumlngig von der goumlttlichen Offenba-rung handelnde menschliche Vernunft hat keine Moumlglichkeit zu begrunden wie diese naturalistische determinierte auf Ursache und Wirkung aufbauende unpersoumlnliche Welt im bdquoUntergeschossldquo (d h im Bereich der bdquoNaturldquo) dem bdquoObergeschossldquo (d h dem Bereich der bdquoFreiheitldquo) in dem wir versuchen Sinn Werte Ziele und Freiheit zu finden eine vernunftgemaumlszlige Grundlage geben kann Was sollen also die Menschen tun Leben sie konsequent nach den Schlussfolgerungen zu denen sie ihre Vernunft im bdquoUntergeschossldquo gefuhrt hat ndash naumlmlich dass sie determiniert und ohne Bedeutung sind Nun man-che versuchen das Nach der Lehre der Schrift jedoch so beobachtet Schaeffer ist diese Sicht der Wirklichkeit falsch alle Menschen sind nach dem Bild Got-tes gemacht

Es ist daher nahezu unmoumlglich mit solch einer Sicht zu leben Die Men-schen geben daher in der Praxis die Moumlglichkeit einer Vereinigung dieser dichotomen Bereiche auf d h sie geben die Hoffnung auf Wahrheit im Sinne einer einheitlichen Weltsicht auf und bewegen sich dann auf Irrationalitaumlt zu Sie argumentieren fur Sinn Werte Ziele und Freiheit tun dies jedoch ohne eine vernunftgemaumlszlige Grundlage Sie le-ben im bdquoGlaubenldquo mit einem Glauben jedoch der wenig oder keinen Inhalt

und kein vernunftgemaumlszliges Fundament hat Sie setzen in das bdquoObergeschossldquo wie Schaeffer wiederholt betonte eine Konzentration auf Erfahrung eine Er-fahrung allerdings die fur alles offen ist eine Erfahrung die so verschiedenartig sein kann wie Drogen und Sex in den 1960er Jahren und New-Age- Spirituali-taumlt in den 1980ndash90er Jahren30 Fur Scha-effer ist daher die beste Charakterisie-rung bdquopost-modernerldquo Menschen (oder wie er es nannte bdquomoderner modernerldquo Menschen) dass sie mit der Dichotomie zwischen dem bdquoUnter- und dem Ober-geschossldquo leben Fur ihn war das nicht nur eine schlaue Feststellung es war das Herzstuck der Sache Welche prak-tischen Folgen hat das heute fur uns Eine massive Folgewirkung hat das so behauptet Schaeffer fur unsere Evange-lisation Bei unserer Verkundigung des Evangeliums mussen wir uns bestaumlndig daran erinnern dass wir zu Menschen predigen die mit dieser Dichotomie le-ben Und wenn wir nicht vorausahnen wie sie houmlren werden was wir sagen gehen wir das Risiko ein mit ihnen nicht auf geeignete Weise zu kommuni-zieren Wir riskieren es sogar Bekehrte zu machen die an Jesus bdquoglaubenldquo als lediglich eine weitere bdquoObergeschossldquo-Erfahrung losgeloumlst von Wahrheit Ver-nunftgemaumlszligheit und Wirklichkeit Und Schaeffers Kritik an der evangelikalen Bewegung konzentrierte sich genau auf diesen Punkt Auf der einen Seite war

er besorgt dass Evangelikale bei ihrer Evangelisation Lehre und Inhalt zu-gunsten von Erfahrung herunterspiel-ten Wenn wir Menschen zum retten-den Glauben rufen mussen wir ihnen klarmachen dass die Wirklichkeit des Evangeliums bdquowahre Wahrheitldquo weiter-gibt Wir mussen dabei Menschen mit dem bdquoGott der keine Illusion istldquo kon-frontieren

Die Menschen mussen begreifen dass Glaube kein blinder Sprung ist sondern verwurzelt und gegrundet ist in der Wahrheit Erfahrung ist wich-tig und Schaeffer betonte diese Tatsa-che stark Aber Erfahrung darf nicht losgeloumlst von der Wahrheit sein31 Auf der anderen Seite war er im Bereich der akademischen Theologie besorgt dass Evangelikale zu viel aus der Theologie der Neoorthodoxie ubernahmen Er glaubte es sei ein Fehler gigantischen Ausmaszliges mit Karl Barth eine Position zu vertreten die die Moumlglichkeit sol-cher Fehler in der Schrift einraumlumt die nicht unseren Glauben an den Herrn Jesus Christus negativ beeinflussen Er sah Barths Theologie als ein weiteres Beispiel dafur an wie das zeitgenoumlssi-sche Denken die Wirklichkeit dichoto-misiert und bdquoGlaubenldquo und Theologie von vernunftgemaumlszliger Begrundung und verifizierbarer Geschichte scheidet32 In diesen Punkten liegt Schaeffer richtig Die evangelikale Bewegung darf beson-ders heute die Themen Wahrheit Inhalt

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 217 8 6 uuml

und Lehre nicht vergessen Erfahrung ist wichtig Aber Erfahrung muss im-mer in der Wahrheit des Wortes Gottes begrundet sein Ausgehend von der Ten-denz unserer Generation sich auf Erfah-rung zu berufen mussen wir vorsichtig sein dass wir uns nicht an unsere Zeit anpassen Es ist sehr wichtig was wir glauben und letztendlich an wen wir glauben Nicht jeder bdquoGlaubeldquo oder jede bdquoGlaubensformldquo sind gleichwertig Das fuhrt mich zu einer zweiten praktischen Folge vor der uns Schaeffer warnte

Die Herausforderung des religioumlsen Pluralismus

Mit dem Verlust der Wahrheit werden eine zunehmende Betonung des religiouml-sen Pluralismus und ein Herunterspielen der Ausschlieszliglichkeit des Evangeliums einhergehen Wenn Schaeffer uber reli-gioumlsen Pluralismus sprach bezog er sich nicht auf die empirische Beobachtung dass es viele Religionen auf der Welt gibt und dass es sogar im Westen wo das Christentum einst vorherrschend war ein zunehmendes Wachstum von Religionen gibt Er bezog sich viel-mehr auf die Geisteshaltung die nicht zulaumlsst dass irgendeine Religion wahr oder besser als die andere ist Er sah dies als eine praktische Konsequenz aus der Verleugnung der Wahrheit an Wir die wir am Anfang des 21 Jahrhunderts le-ben werden mit dieser Haltung uberall

konfrontiert Wenn die Southern Bap-tist Vollversammlung Gebetsbriefe ver-sendet und darin sagt dass Juden und Hindus evangelisiert werden mussen weil sie verloren sind dann koumlnnen wir uns vorstellen welche Art von Reaktio-nen sie auszligerhalb der Kirche und leider auch bei denen die sich mit der Kirche identifizieren hervorrufen Bei Schaef-fer ist an diesem Punkt interessant dass er das bereits vor langer Zeit in den 1960er Jahren kommen sah33 Als eine wichtige Begleiterscheinung des Verlus-tes der Wahrheit sah er voraus dass ein umfassender Pluralismus an ihre Stelle gesetzt wurde Und Teil unserer Beru-fung in unserer Generation ist es an diesem Punkt fest zu stehen und einen ausschlieszliglichen Christus ohne Kom-promisse in einem inklusiven pluralis-tischen Zeitalter zu verkundigen

Die Entwertung des menschlichen Lebens

Mit dem Verlust der Wahrheit geht eine dritte praktische Folge einher naumlmlich die Entwertung des menschlichen Le-bens Ich habe das schon oben erwaumlhnt und werde unten darauf hinweisen Es ist jedoch wichtig aufzuzeigen dass Schaeffers Vorhersage der nachchrist-liche Westen werde beginnen das Le-ben zu entwerten eine Vorhersage war die in seiner Analyse der Verschiebung von Ideen weg vom einem christlichen

Verstaumlndnis der Welt zu einem mo-dernen und schlieszliglich postmodernen Verstaumlndnis der Wirklichkeit verwurzelt war Schaeffer hatte die Menschen seit Jahren gewarnt dass das Weltbild des Westens sich in Richtung auf eine In-terpretation der Wirklichkeit allein im Sinne eines unpersoumlnlichen geschlosse-nen Systems bewege Naturlich war die Folge davon nicht nur dass Chemie und Physik innerhalb eines bdquogeschlos-senen Systemsldquo interpretiert wurden sondern das gleiche geschah mit den Geisteswissenschaften der Psychologie Soziologie der Literaturwissenschaft und sogar der Theologie Darin lag eine massive Wende zum Unpersoumlnli-chen und das so sagte Schaeffer vo-raus wurde zu einer Entwertung des menschlichen Seins fuhren Naturlich lag Schaeffers Vorhersage genau richtig Ethische Fragen und heute ubliche De-batten (uber Abtreibung Kindestoumltung Euthanasie Klonen) sind saumlmtlich Be-lege fur den Ausverkauf des Wertes des menschlichen Lebens Aus diesem Grund nahm Schaeffer eben diesen Standpunkt an der sozialen Front ein Es war nicht ein Standpunkt fernab von seiner Theologie vielmehr unterstrich er ihn genau aus dem Grund weil er sah dass Ideen Konsequenzen haben und dass die Wahrheit zum Handeln ruft Wie ich festgestellt habe ist Schaeffers staumlndige Betonung dass bdquoIdeen Kon-sequenzen habenldquo eines seiner groszligen

Vermaumlchtnisse das zu vernachlaumlssigen eine groszlige Gefahr bedeutet Auszligerdem mussen wir von Schaeffer lernen heu-te unserem Herrn treu zu bleiben und das Evangelium in einer solchen Weise zu verkundigen dass es wirkungsvoll zu den Menschen spricht Wir mussen Christen dafur auszurusten ihre Welt zu verstehen und in ihr auf eine solche Weise zu leben dass sie nicht von ihr gepraumlgt werden Er lehrte uns dass dies nicht lediglich akademische Fragen sind sondern Fragen auf Leben und Tod

Die Wichtigkeit des Denkens in Weltbildern

Francis Schaeffer lehrte uns nicht nur dass bdquoIdeen Konsequenzen habenldquo Er erinnerte uns auch daran dass die ent-scheidenden bdquoIdeenldquo um die die Debatte geht letztlich eine Frage des Weltbildes sind Das ist zwar keine neue Beobach-tung aber eine die bis vor kurzem oft vernachlaumlssigt wurde34 Ausgehend von den ungeheuren Verschiebungen die in der Gesellschaft stattgefunden haben ist es wichtig zu erkennen dass wir in einem Kampf stehen bei dem es nicht nur um diesen oder jenen Punkt der christlichen Wahrheit geht Es geht um ganze Systeme von Weltbildern die im Widerstreit liegen Schaeffer sprach von diesen Unterschieden der Weltbilder als von Unterschieden der Denkvorausset-zungen35 Er vertrat die Auffassung dass

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

22 7 8 6 uuml

im Westen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts jeder ndash Christen und Nichtchristen gleicherweise ndash unter dem starken Einfluss einer christlichen Sicht der Wirklichkeit von den grundlegend selben Denkvoraussetzungen ausging Auch wenn man argumentieren koumlnn-te dass die Nichtchristen aufgrund ihrer Zuruckweisung des christlichen Weltbildes kein Recht haumltten von die-sen Denkvoraussetzungen auszugehen koumlnnte man doch sagen dass es eine Ge-meinsamkeit im Denken gab Als aber schlieszliglich die Menschen begannen in einer konsequenteren Weise nach ihren Denkvoraussetzungen zu handeln und sie das noch weiter von dem christli-chen Weltbild wegfuhrte merkten viele Christen nicht was geschehen war Und so passierte was Schaeffer folgenderma-szligen kommentiert

bdquoDie Fluten von saumlkularem Denken und liberaler Theologie uberschwemmten die Kirche weil die Leiter die Bedeutung des Kampfes gegen das Bundel falscher Denkvoraussetzungen nicht verstanden Sie kaumlmpften weitgehend auf dem fal-schen Territorium und hinkten daher elend hinterher statt in der Verteidi-gung und der Kommunikation vorne zu sein Dies ist eine wirkliche Schwaumlche die unter den Evangelikalen selbst heute schwierig zu korrigieren istldquo36

Der Mangel in Weltbildern zu denken ist auszligerdem so argumentiert Schaef-fer zuruckzufuhren auf die Art unserer

Ausbildung sei sie christlicher oder sauml-kularer Art Er beobachtete scharfsin-nig dass wir in unserer Ausbildung oft zu einer Spezialisierung neigen ohne die Wechselbeziehungen zwischen den Disziplinen zu sehen und einen Uumlber-blick zu gewinnen d h ohne das Welt-bild zu sehen Dadurch stehen wir in der Gefahr die Beziehungen verschiedener Ideen zueinander nicht zu sehen und so auch die Konsequenzen der Ideen nicht wahrzunehmen Schaeffer stellt fest

Eine groszlige Schwaumlche unseres heutigen Bildungssystems ist das mangelnde Ver-staumlndnis der naturlichen Beziehungen zwischen den Disziplinen Wir betrei-ben unsere Wissenschaften als waumlren sie beziehungslose parallel nebeneinander herlaufende Linien Diese Fachblind-heit begegnet uns sowohl im christlichen als auch im weltlichen Bildungswesen und deshalb wurden die christlichen Kreise von dem groszligen Erdrutsch in unserer Generation uberrascht Wir ha-ben unsere Exegese als Exegeten unsere Theologie als Theologen Philosophie als Philosophen betrieben Wir studierten Kunst als Kunst und Musik als Mu-sik ohne daran zu denken dass dies alles Lebensaumluszligerungen des Menschen sind und dass Lebensaumluszligerungen des Menschen niemals beziehungslos neben-einander herlaufende Parallelen sein koumlnnen37

Das ist eine wichtige Lektion die wir besonders in unseren Tagen lernen

mussen In vielerlei Hinsicht sind wir wieder dort wo Paulus in Athen zu ei-ner Zuhoumlrerschaft und einem Umfeld predigte das pluralistisch heidnisch und dem Christentum in Bezug auf sein Weltbild fremd war (Apostelgeschichte 17) Aus diesem Grund vertritt Schaef-fer unter Berufung auf Texte wie Apg 17 wiederholt die Auffassung dass wir bdquoPrauml-Evangelisationldquo betreiben mussen was er eng mit Apologetik verband Er vertrat die Auffassung dass es zwei Ziele der Apologetik gebe Erstens das christliche Weltbild gegen Angriffe zu verteidigen und Menschen Grunde zu nennen warum wir glauben das das Christentum wahr sei Es gibt aber noch ein zweites Ziel der Apologetik das eng mit Evangelisation verbunden ist Wir mussen naumlmlich das Evange-lium unserer Generation in Begriffen die sie verstehen kann weitergeben Teil unserer Aufgabe in Evangelisation und Apologetik ist es daher das Evangelium als das darzubieten was es wirklich ist innerhalb des Weltbildes der Menschen unserer Generation Nur dann werden Menschen die Anspruche und Forde-rungen die das Evangelium an sie stellt richtig houmlren38

Das wirkte sich im Leben Schaeffers praktisch so aus dass er in seiner Evan-gelisation und seiner Darbietung des christlichen Glaubens nicht mit bdquoNimm Jesus als Retter aufldquo begann Stattdes-sen pflegte er dort zu beginnen wo die Schrift beginnt Er fing mit der Lehre

von Gott an damit die Weltbildstruk-turen des christlichen Glaubens zu er-richten die in der Lehre von der Schoumlp-fung der Offenbarung und dem histo-rischen Sundenfall grunden und dann und wirklich erst dann ging er zur Erlouml-sung uber dazu die Menschen auf den Herrn Jesus Christus zu verweisen der allein ihre einzige Hoffnung ist39 Wa-rum Wie Paulus in Athen wusste er Wenn er nicht zuerst einen biblischen Bezugsrahmen d h ein Weltbild ent-wickelte wurde die Verkundigung des Evangeliums keinen Sinn ergeben und seine Zuhoumlrer wurden das Evangelium nicht als das houmlren was es wirklich ist in seinen eigenen Kategorien und in sei-nen eigenen Begriffen Schaeffer hatte wie Paulus das groszlige Anliegen dass das Evangelium nicht faumllschlich aufgegeben oder in einen anderen fremden Welt-bildrahmen umgedeutet werden wurde weil das nur zu einer Entstellung der Botschaft des Evangeliums fuhrt Um Jesus Christus nicht nur als einen wei-teren Gott oder Retter sondern als aus-schlieszliglichen Herrn Retter und Richter besonders in unserem pluralistischen postmodernen inklusiven Zeitalter dar-zubieten war es zwingend wie Schaef-fer sah ein biblisch-theologisches Rah-menwerk aufzubauen das in der Hand-lung der Schrift verwurzelt ist Er sah also dass es entscheidend war in einem Weltbild zu denken das in dem einen Gott der wirklich bdquoda istldquo verwurzelt und gegrundet ist In Wahrheit war das

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 237 8 6 uuml

wozu uns Schaeffer aufrief und was er in seinem eigenen Leben vorbildhaft dar-stellte das Treiben von Theologie Im weitesten Sinne ist es die Aufgabe der Theologie die ganze Schrift auf die Fra-gen des Lebens anzuwenden Sie muss innerhalb der Kategorien der Struk-turen und der Lehren der Schrift dem Handlungsablauf der Schrift folgen und ihn auf die Welt anwenden Sie muss aus dem Weltbild der Schrift heraus leben und dieses biblisch-theologische Rah-menwerk uber alle anderen Weltbilder stellen

Kurz gesagt muss sie neu lernen wie man bdquodie Gedanken Gottes ihm nach-denktldquo und bdquojeden Gedanken in den Gehorsam gegen Christus gefangen-nimmtldquo40 Das war Schaeffers Staumlrke und das ist eine andere entscheidende Lektion die wir von ihm lernen mussen Ich bin von Folgendem uberzeugt Die Tatsache dass Schaeffer staumlndig auf der Weltbildebene gedacht hat erklaumlrt wa-rum er so unerbittlich darauf bestand dass Evangelikale an gewissen Punkten der Lehre keine Kompromisse einge-hen durfen Weil er erkannte dass der christliche Glaube ein Weltbild war und dass seine Einzelteile als ein Gan-zes bdquozusammenhingenldquo war er sehr be-sorgt wenn evangelikale Gelehrte an einigen dieser scheinbar bdquounbedeuten-denldquo Punkten nagten So war es ihm zum Beispiel ein groszliges Anliegen dass Adam als eine historische Gestalt und

der Sundenfall als ein Ereignis in Raum und Zeit angesehen wurden und dass die ersten Kapitel des 1 Buches Mose nicht ihrer Geschichtlichkeit beraubt wurden Warum Weil er zu Recht sah dass wir die Bibel zu ihren eigenen Be-dingungen annehmen mussen dass wir diese entscheidenden Ausgangspunkte beibehalten mussen die die Bausteine fur den Rest der Geschichte sind

Denn sonst wurde nicht nur das Welt-bild des historischen Christentums zu-sammenbrechen sondern letzten Endes wurde der christliche Glaube selbst zu nicht mehr als einer weiteren Sache im bdquoObergeschossldquo werden fern von ver-nunftgemaumlszliger Begrundung von der Wahrheit und vom dem Gott der wirk-lich bdquoda istldquo41 Auf dem Spiel steht mit anderen Worten nicht nur ein Punkt der Lehre sondern der ganze Anspruch des Weltbildes und in Wirklichkeit das Evangelium Wenn wir von Schaeffer an diesem Punkt lernen wollen muss unser Denken Lehren Predigen und Leben viel mehr bdquoweltbildlichldquo sein In unse-rem Kampf heute geht es um ganze Sys-teme von Weltbildern Daher mussen wir in unserem Lehren und Predigen haumlrter daran arbeiten den Menschen zu zeigen wie die Teile der Schrift als ein schlussiges Ganzes zusammenhaumln-gen und wie diese Teile zur Bildung eines Weltbildes fuhren Es gilt aber noch mehr In unserer Evangelisation im Sprechen zu einer Kultur die zuneh-

mend mit fremden Weltbildern operiert und wenig uber den christlichen Glau-ben weiszlig mussen wir neu lernen das Evangelium innerhalb seines eigenen Weltbildes weiterzugeben indem wir mit dem Gott beginnen der bdquokeine Il-lusion istldquo

Die Zentralitaumlt der Lehre von Gott

Francis Schaeffer war ein wahrhaft gottzentrierter Mann Das galt nicht nur fur seine persoumlnliche Andacht und sein persoumlnliches Leben das galt auch in Bezug auf sein Denken42 Es ist auf-schlussreich dass schon die Titel seiner Bucher (z B bdquoGott ist keine Illusionldquo bdquoUnd er schweigt nichtldquo) die Tatsache illustrieren dass fur Schaeffer all die Antworten des Lebens Sinn Moral Bedeutung und Werte in dem persoumln-lich-unendlichen dreieinigen Gott der Schrift verwurzelt und gegrundet sind Interessanterweise gibt es ein logisches Fortschreiten in diesen Lektionen Sie sind nicht willkurlich oder planlos Was ist mit der westlichen Kultur geschehen Laut Schaeffer hat sich der moderne Mensch von dem Gott der Schrift ab-gewandt Weil er das tat hatten die fremden Weltbilder die wir in unserer postmodernen Kultur um uns herum sehen gewisse Folgen Was ist dann die Loumlsung fur unser Problem Wohin

sollen wir uns wenden um die Dichoto-mien in unserem Geistesleben die Ent-fremdung in unserem persoumlnlichen Le-ben und die Unpersoumlnlichkeit in unserer Gesellschaft zu uberwinden Zuruck zu dem dreieinigen Gott der Schrift Denn es ist nur er der persoumlnlich-unendliche Gott der der Schoumlpfer Erhalter und der vorhersehende Herr ist der Gott der spricht bei dem wir die Antworten auf die Fragen des Lebens finden koumlnnen In ihm allein gibt es intellektuelle Ant-worten weil er die Quelle der Wahrheit und der Maszligstab fur sie ist

Aber auch Vergebung Heilung Rechtfertigung und Erloumlsung gibt es nur in ihm Fur Schaeffer ist Gott nicht nur die transzendentale Notwendigkeit fur Sinn Wahrheit und Werte Er ist auch unser Teil Er ist der Gott der kei-ne Illusion ist der erkannt geliebt und angebetet werden kann

Genau an diesem Punkt mussen wir von Schaeffer lernen Erstens mussen wir neu lernen wie zentral die Lehre von Gott fur unser christliches Weltbild ist Wir mussen das besonders deshalb lernen weil wir in einer Zeit des religi-oumlsen Pluralismus leben in der das Wort bdquoGottldquo im Wesentlichen bedeutungs-los und inhaltslos geworden ist Wir mussen den Mut haben aufzustehen und den einen Gott und keinen ande-ren zu verkunden Wir brauchen sogar in der evangelikalen Welt Mut in der zurzeit eine Debatte uber die Lehre von

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

24 7 8 6 uuml

Gott tobt um zu sagen dass nicht alle Vorstellungen von Gott gleich sind43 Es ist nur der Gott der Schrift wie er im historischen Christentum dargeboten wird der keine Illusion ist

Zweitens jedoch mussen wir neu ler-nen dass unsere Lehre von Gott nicht nur theoretisch sein darf Dieser Gott muss auch unser Teil sein Er muss der eine sein der unser Denken und unser Leben in Beschlag nimmt In unserem Lehren Predigen und Leben muss der Gott der Schrift unsere Leidenschaft und unsere Freude sein

Die Notwendigkeit biblischer Autoritaumlt und Irrtumslosigkeit

Wahrscheinlich haben nur wenige Evangelikale leidenschaftlicher uber Irrtumslosigkeit die Autoritaumlt der Bi-bel und die Lehre von der Inspiration gesprochen als Francis Schaeffer Er hat nicht nur bei der Bildung des bdquoInternati-onalen Rates fur Biblische Irrtumslosig-keitldquo mitgewirkt sondern auch daruber gelehrt gepredigt und geschrieben wie sehr die Autoritaumlt der Bibel eine Frage mit Wasserscheiden-Charakter ist Er hatte keine Zeit fur Evangelikale die nur Lippenbekenntnisse zur Autoritaumlt der Bibel ablegten und gleichzeitig das neu definierten was Irrtumslosigkeit historisch gesehen fur die Kirche be-

deutete und sie dabei durch hermeneu-tische Fragestellungen vernebelten oder die Anspruche der Bibel bezuglich ih-rer selbst unterhoumlhlten Die interessante Frage die sich jetzt stellt ist Warum Warum war Schaeffer die Autoritaumlt der Bibel ein solches Anliegen

Die Antwort sollte uns nicht uberraschen Sie war ihm darum ein solches Anliegen weil die Lehre von der Schrift so grundlegend fur das christli-che Weltbild und den Gott der Schrift ist Fur Schaeffer ist es der Gott der Bi-bel ndash der persoumlnliche unendliche drei-einige Gott ndash der die transzendentale Notwendigkeit fur Sinn Bedeutung Werte und Wahrheit ist Wir lernen diesen Gott nicht nur kennen weil er da ist sondern auch weil er zu uns ge-sprochen hat ndash er schweigt nicht Und weil Gott so ist wie die Schrift ihn zeigt ndash der Schoumlpfer Erhalter und Herr des Universums ndash haben wir intellektuell kein Problem damit zu bekraumlftigen dass Gott absolut dazu in der Lage ist sich uns selbst zu offenbaren und zu garan-tieren dass das was die irdischen Ver-fasser der Schrift freimutig schreiben genau dem entspricht was er geschrie-ben haben wollte Auszligerdem scheint das der Anspruch der Schrift bezuglich ihrer selbst zu sein44 So ist die Autoritaumlt der Bibel exegetisch theologisch und phi-losophisch sinnvoll Sie ist intellektuell glaubhaft ein wesentlicher Bestandteil der gesamten Weltbildstruktur Und

sie ist theologisch notwendig wenn wir Wahrheit haben und theologische Leh-ren begrunden wollen45 Ohne eine hohe Meinung von der Schrift verleugnen wir was die Schrift uber sich selbst sagt und unterhoumlhlen die Grundlage auf der wir Theologie treiben und die Grundfra-gen des Lebens beantworten koumlnnen46 Das ist der Grund warum Schaeffer zunehmend mehr uber Evangelikale be-unruhigt war die von einer hohen Mei-nung uber die Schrift abruckten oder sie unterhoumlhlten Sein letztes Buch das er buchstaumlblich auf seinem Sterbebett geschrieben hat versuchte die evange-likale Gemeinde aufgrund einiger der gerade dargelegten Grunde vor Kom-promissen bezuglich der biblischen Au-toritaumlt zu warnen Er schreibt

Die Evangelikalen sehen sich in unseren Tagen einer Wasserscheide gegenuber die die Natur der biblischen Inspiration und Autoritaumlt betrifft hellip Innerhalb der evangelikalen Welt gibt es eine Anzahl von Menschen die ihre Ansichten uber die Unfehlbarkeit der Bibel abaumlndern so dass die unumschraumlnkte Autoritaumlt der Bibel vollstaumlndig untergraben wird Aber dies geschieht in einer sehr spitzfin-digen Art und Weise Wie der Schnee der Seite an Seite auf der Gebirgskette liegt scheinen die neuen Ansichten uber die Autoritaumlt der Bibel oft nicht so sehr weit von dem entfernt zu sein was die Evangelikalen bis vor kurzem immer noch glaubten Aber ebenso wie der

Schnee der Seite an Seite auf dem Ge-birgskamm liegt enden die neuen An-sichten schlieszliglich wenn man sie kon-sequent verfolgt Tausende von Meilen von den alten entfernt

Was auf den ersten Blick nur ein klei-ner Unterschied zu sein scheint wird zuletzt zu einem sehr bedeutenden Unterschied Es macht wie wir wohl erwarten werden einen groszligen Unter-schied aus was die Theologie die Lehre und die geistlichen Fragen angeht aber es entscheidet auch grundsaumltzlich uber die alltaumlglichen Dinge im Leben eines Christen und uber die Art wie wir uns als Christen unserer Umwelt gegenuber zu verhalten haben Mit an-deren Worten wenn wir in bezug auf die unumschraumlnkte Autoritaumlt der Bibel einen Kompromiss eingehen dann wird dies mit der Zeit einen Einfluss darauf haben was es im theologischen Sinne heiszligt ein Christ zu sein und dieser Kompromiss wird auch Auswirkungen darauf haben wie wir in dem gesamten Spektrum des menschlichen Lebens un-ser Leben fuhren47

Es sollte uns nicht uberraschen dass verschiedene Evangelikale Schaeffers Darstellung als bdquoEntweder-Oderldquo nicht akzeptiert haben Scott Burson und Jerry Walls denken zum Beispiel dass er seine Sache ubertrieben habe Sie fragen ob Irrtumslosigkeit wirklich fur die Evangelikalen die Frage mit Wasserscheiden-Charakter ist und sie

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 257 8 6 uuml

antworten negativ48 Sie vertreten die Auffassung dass Gott sich weniger um den genauen Wortlaut der Schrift gekummert habe und mehr um die bdquoVerlaumlsslichkeit im Wesentlichen ihrer Gesamtbotschaftldquo49 Sie haben Probleme mit zwei Praumlmissen der Schaefferschen Argumentation (1) Dass die Bibel bis in die einzelnen Woumlrter hinein genau das enthaumllt was Gott sich wunscht (2) dass Gott praumlzise kontrollieren kann was menschliche Verfasser schreiben ohne ihre Freiheit wegzunehmen Die-se Praumlmissen scheinen einen impliziten Determinismus einzuschlieszligen ver-bunden mit einer kompatibilistischen Sicht von der menschlichen Freiheit50 Hinter dieser Kritik lauert die implizite Annahme einer libertarianischen Sicht von menschlicher Freiheit die das Ver-staumlndnis einer Begrenzung der souverauml-nen Kontrolle Gottes uber die Welt mit sich bringt51

Wichtig an dieser Beobachtung ist dass Burson und Walls zu Recht feststellen dass Schaeffers hohe Meinung von der Schrift und seine Verteidigung der Irr-tumslosigkeit ein gewisses Konzept von der Souveraumlnitaumlt Gottes und seiner Be-ziehung zu seinen Geschoumlpfen beson-ders zu den Verfassern der Schrift erfor-dert Schaeffer wurde als einer der eine festen Standpunkt von der goumlttlichen Souveraumlnitaumlt und der Herrschaft und Regierung Gottes in dieser Welt vertrat daruber nicht uberrascht sein Weil er

von einer reformatorischen Theologie her argumentierte hatte er anerkannt dass die Lehre von der Irrtumslosigkeit eng verbunden ist mit unserer Sicht von Gott Wie wir oben bemerkt ha-ben als wir die Gottzentriertheit von Schaeffers Denken kommentierten war die Lehre von Gott der entscheidende Ausgangspunkt bei seinem Verstaumlndnis und seiner Verteidigung des christli-chen Glaubens Fur ihn war nicht ein-fach irgendein Gott gut genug Es war nur der persoumlnlich-unbegrenzte (d h souveraumlne) dreieinige Gott der Schrift der allein die Grundlage fur Wahrheit und Wissen ist und der allein wenn er es so erwaumlhlt sich selbst in einer Wei-se die gaumlnzlich verlaumlsslich wahr und vertrauenswurdig ist offenbaren kann52 Was jedoch Schaeffer gestoumlrt haumltte ist die Schwaumlchung der unbegrenzten oder souveraumlnen Natur Gottes die jetzt in einigen Bereichen der evangelikalen Be-wegung vertreten wird53 Gestoumlrt haumltte ihn dieser Trend weil er von ganzem Herzen der scharfsinnigen Beobach-tung J I Packers zugestimmt haumltte

Die gewoumlhnliche Apologetik fur die Au-toritaumlt der Bibel ist an einer zu engen Front taumltig Wie wir gesehen haben ist Glauben an den Gott der reformatori-schen Theologie die noumltige Denkvoraus-setzung des Glaubens an die Schrift als bdquogeschriebenes Wort Gottesldquo Und ohne diesen Glauben verliert das bdquosola scrip-turaldquo als das von Gott gelehrte Prinzip

der Autoritaumlt mehr oder weniger seine Bedeutung hellip wir durfen niemals die Tatsache aus dem Blick verlieren dass unsere Lehre von Gott entscheidend fur unser Konzept von der Schrift ist und dass es in unserer Kontroverse mit einem groszligen Teil der modernen Theologie ge-rade hier ist wo man sich der entschei-denden Schlacht stellen muss und we-niger in Beziehung zum Phaumlnomen der Schrift54

Zweifellos koumlnnte und musste viel mehr uber Schaeffers Darstellung und Verteidigung der Lehre von der Irr-tumslosigkeit gesagt werden55 Aber es soll genugen zu sagen dass fur ihn die Autoritaumlt der Bibel eine Frage von gigantischen Ausmaszligen mit Wasser-scheiden-Charakter war Das war eine Frage die eng mit seiner umfassenden Verteidigung des christlichen Welt-bildes verknupft war Er glaubte dass ohne sie das christliche Weltbild sich aufzuloumlsen beginnen wurde ausgehend von der Lehre von Gott56 Und darin so bin ich uberzeugt hatte er Recht Wir mussen heute neu lernen dass die Lehre von der Irrtumslosigkeit der Schrift fur Evangelikale nicht nur eine von mehre-ren Alternativen ist Sie ist ein wesentli-cher Bestandteil dessen was christlicher Glaube ist Das abzuschwaumlchen bedeu-tet das Ganze zu unterhoumlhlen

Lehren die wir aus dem Leben Francis Schaeffers ziehen

Am Ende seines Lebens schrieb Schaef-fer die folgenden Worte

bdquoWorauf kommt es wirklich anldquo Was ist es das fur mein Leben und fur Ihr Leben so wichtig ist daszlig es die Priori-taumlten fur alles bestimmt was wir tun Unserem Herrn Jesus wurde ebendiese Frage gestellt und er antwortete bdquoDu sollst den Herrn deinen Gott lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand Dies ist das erste Ge-bot Das zweite aber ist ihm gleich Du sollst deinen Naumlchsten lieben wie dich selbst An diesen zwei Geboten haumlngt das ganze Gesetz und die Propheten (Matthaumlus 2237ndash40)ldquo

Hier wird gesagt worauf es wirklich ankommt ndash den Herrn unseren Gott zu lieben seinen Sohn zu lieben und ihn als unseren Erloumlser persoumlnlich an-genommen zu haben Und wenn wir ihn lieben dann tun wir das was ihm gefaumlllt es bedeutet ebenfalls sein Wesen der Heiligkeit und Liebe in unserem Leben Gestalt annehmen zu lassen seiner Wahrheit treu zu bleiben jeden Tag mit dem lebendigen Christus zu leben ein Leben des Gebets zu fuhren Die andere Haumllfte dessen worauf es wirklich ankommt besteht darin un-seren Naumlchsten zu lieben Beides gehoumlrt

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

26 7 8 6 uuml

zusammen es kann nicht voneinander getrennt werden hellip Und wenn wir un-seren Naumlchsten so lieben wie Christus das moumlchte dann moumlchten wir unserem Naumlchsten sicherlich das Evangelium weitersagen daruber hinaus werden wir den Wunsch haben Gottes Liebe in allen unseren Beziehungen zu unserem Naumlchsten durchscheinen zu lassen

Aber hier houmlrt es nicht auf Evangeli-sation ist vorrangig aber sie stellt nicht die Grenze unserer Arbeit dar und kann in der Tat nicht vom Rest des christ-lichen Lebens getrennt werden Wir mussen zuerst anerkennen und dann nach der Tatsache handeln dass Chris-tus wenn er unser Erloumlser ist auch Herr in allen Lebensbereichen ist Er ist un-ser Herr nicht nur in religioumlsen Dingen oder in kulturellen Bereichen wie den bildenden Kunsten und der Musik son-dern auch Herr unseres intellektuellen Lebens unseres Geschaumlftslebens unserer Beziehung zur Gesellschaft und unserer Haltung zum moralischen Zusammen-bruch unserer Kultur hellip Christus die Herrschaft uber unser Leben zu geben bedeutet dass wir uns ganz direkt und praktisch gegen den Zeitgeist stellen der unsere Welt regiert der sich fort-waumlhrend ausbreitet und den Anspruch erhebt autonom zu sein indem er auf seinem Weg alles zerstoumlrt was uns lieb und teuer ist57

In diesem Zitat erhaschen wir einen Blick auf einen Teil vom Leben Francis

Schaeffers und auf Lehren die wir aus diesem Leben ziehen koumlnnen Zweifellos ist es wahr dass Schaeffer nicht vollkom-men war das ist niemand Wir sehen jedoch in seinem Leben eine Person mit Integritaumlt einen Mann der versuchte das zu leben und dem entsprechend zu handeln was er glaubte und lehrte Ins-besondere strebte er danach den Herrn und seinen Naumlchsten zu lieben und da-durch sein Leben bestaumlndig sowohl im Denken als auch im Handeln unter die Herrschaft Jesu Christi zu bringen Wir wollen der Reihe nach diese Gebiete be-trachten

Liebe den Herrn deinen Gott

Wie oben festgestellt war Schaeffer ein Mann fur den Gott im Zentrum stand Das war nicht nur wahr in Be-zug auf sein Denken sondern auch fur sein Leben Ob man nun seine Werke liest oder seine Bandaufzeichnungen houmlrt eine tiefe Hingabe an den Herrn ist ganz offenkundig Hier ist einer der nicht nur uber Gott redet sondern der ihn tief kennt Selbst der Anfang von LrsquoAbri wurde in einer geistlichen Krise geboren bei der es darum ging Gott auf eine tiefere Art kennenzulernen Schaeffer erzaumlhlt in bdquoGeistliches Leben ndash Was ist dasldquo noch einmal wie er sich selbst 1951ndash1952 in einer geistli-chen Krise befand und wie aus dieser Krise heraus LrsquoAbri geboren wurde Er

entdeckte waumlhrend dieser Zeit was es bedeutete sich in unserem gegenwaumlrti-gen Leben und in der staumlndigen Abhaumln-gigkeit vom Geist Gottes im Gebet auf das vollbrachte Werk Christi zu verlas-sen Und das war fur ihn keine bloszlige Rhetorik LrsquoAbri selbst war im Gebet verwurzelt und gegrundet ein sichtba-res Zeugnis fur die Existenz Kraft und Gnade Gottes58

Wir sehen in Schaeffer auch einen Mann der danach strebte gleichzei-tig die Heiligkeit Gottes und die Liebe Gottes darzustellen wenn das auch auf unvollkommene Weise geschah Er war im Denken und Leben ein Mann des Mutes und des Mitgefuhls Er sprach viel uber die Notwendigkeit von bdquoliebe-voller Konfrontationldquo und er zeigte das in seinem Leben Harold O J Brown berichtet zum Beispiel von wenigstens drei Bereichen in denen Schaeffer ent-gegen der aktuellen Stroumlmung Stellung bezog und zwar weitgehend aufgrund des Verlangens den Herrn zu ehren von ganzem Herzen mit ganzer Seele mit ganzem Verstand und aller Kraft

Erstens stellte er sich gegen die Theo-logie Karl Barths Wie oben bemerkt bekehrte sich Schaeffer in den 1930er Jahren und erhielt damals auch seine theologische Ausbildung Zu jener Zeit war evangelikale Theologie aus einer Vielzahl von Grunden die weitgehend aus den fundamentalistisch-modernis-tischen Kontroversen jener Zeit stamm-

ten fast nicht existent Nach dem Zwei-ten Weltkrieg erfreute sich die evangeli-kale Bewegung jedoch unter Gelehrten wie F F Bruce und Carl F H Henry sowie unter dem evangelistischen Dienst von Billy Graham einer Wiedergeburt

Brown berichtet dass Schaeffer ein Teil dieser Bewegung sein und einen Status der Beruhmtheit haumltte erlangen koumlnnen er entdeckte jedoch Maumlngel und Kompromisse die ernst genug wa-ren den Evangelikalismus als Bewegung zu untergraben Was sah er Er sah den wachsenden Einfluss der Neoorthodoxie auf die evangelikale Theologie Attrak-tiv an Barth war dass er ebenso wie die Evangelikalen viele von Akademikern aufgestellte liberale Thesen kritisierte Dadurch fuhlten sich manche Evange-likale zu den orthodoxen Elementen in Barths Theologie hingezogen nahmen aber nur langsam die negativen Punkte wahr Schaeffer bemerkte aber nicht nur dass Barths Einfluss in Europa zuzuneh-men begann sondern auch dass Barths Theologie wenn sie angenommen wurde die evangelikale Theologie un-tergraben wurde59 Wo lag Barth schief Schaeffer vertrat die Auffassung dass Barth eine unangemessene Sicht von der Autoritaumlt der Bibel hatte Er gestand die theoretische Moumlglichkeit von Fehlern in der Schrift zu und untergrub dadurch die Grundlagen evangelikaler Theolo-gie Barths Kritik am Liberalismus war hilfreich Seine Glaubensgrundlagen

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 277 8 6 uuml

waren aber wackelig und genau darauf wies Schaeffer hin Schaeffer sah wahr-scheinlich klarer als irgendjemand an-deres dass man Barths Theologie besser nicht ubernehmen sollte60 Brown fasst das auf diese Weise zusammen

Ohne Zweifel war Barth antiliberal und bekraumlftigte die zentralen Lehren des christlichen Glaubens Sein Versagen darin die Unfehlbarkeit der Bibel und die Historizitaumlt der Evangelienberichte geltend zu machen bedeutete jedoch dass seine Bekraumlftigungen auf seiner charismatischen Autoritaumlt und nicht auf der Schrift beruhten Aufgrund seines Versagens darin die Grundlagen der biblischen Autoritaumlt die von Generati-onen zerstoumlrerischer Kritik untergraben worden waren abzustutzen war Barth nicht in der Lage eine zweite Genera-tion von protestantischen Theologen in dem Glauben den er selbst lehrte zu begrunden sein groumlszligter Einfluss bleibt der unter Evangelikalen und Konserva-tiven die schon wissen was sie glauben Zweifellos sind Barths Bekraumlftigungen ermutigend aber seine Grundlagen sind unzureichend und es waumlre gefaumlhr-lich ihn als einen theologischen Fuhrer zu waumlhlen Es ist bemerkenswert dass Schaeffer das vor drei Jahrzehnten ent-deckte waumlhrend einige evangelikale Leiter heute Barth als Antwort auf den modernen Unglauben bdquoentdeckenldquo61

Zweitens und das war wahrscheinlich fur manche Evangelikale sogar stoumlren-

der als sein Standpunkt gegen Barth schaffte es Schaeffer nicht die evange-listischen Methoden Billy Grahams von ganzem Herzen zu begrussen Das lag nicht daran dass Schaeffer etwa gegen Evangelisation war oder dass Graham nicht genugend klar fur die Autoritaumlt der Bibel eintrat Er hatte vielmehr zweifache Bedenken Zum einen war es fur Schaeffer alarmierend dass Gra-ham nicht genugend zwischen denen unterschied die am historischen Chris-tentum festhielten und denen die sich zum Liberalismus oder der roumlmisch-katholischen Theologie hielten und zu schnell mit ihnen zusammenarbeitete62 Zum Zweiten hatte er die Sorge dass Grahams Evangelisation nicht die gan-ze Person beruhrte d h dass sie dazu neigte lediglich zu einer emotionalen Entscheidung aufzurufen ndash einer Erfah-rung des bdquoObergeschossesldquo ndash die letzten Endes nur Pseudobekehrte produzieren wurde63 Wie Brown feststellt wurde Schaeffers Kritik am Ansatz Grahams nicht der weiten Oumlffentlichkeit darge-boten sie wurde jedoch bald bekannt Er wurde von manchen Leitern in der evangelikalen Bewegung wie etwa Carl Henry und Harold Lindsell kritisiert und von anderen als zu separatistisch abgeschrieben64 Schaeffer aber erkann-te etwas was zu viele nicht zu sehen vermochten Was nutzt bdquoErfolgldquo in der Evangelisation wenn sie nicht wahre Be-kehrte hervorbringt Besonders in dieser

Zeit mit den massiven Verschiebungen die in der Gesellschaft stattgefunden haben muss die evangelikale Bewe-gung zu bdquosoliden Grundlagen und zu guten Gefuhlenldquo aufrufen65 Wie Brown scharfsinnig beobachtet hat der Evan-gelikalismus in jenen fruhen Jahren nur deshalb ein Gefuhl der Staumlrke und Stabilitaumlt erlangt weil bdquoviele von Gra-hams Bekehrten spaumlter durch die Schule des disziplinierten Denkens Schaeffers gingenldquo66 Drittens gab es sein mutiges Eintreten fur die Rechte der Ungebo-renen Es ist wichtig zu erkennen dass Schaeffers sozialer Aktivismus nicht unabhaumlngig von seiner Verteidigung der Wahrheit und des Evangeliums war Wie schon oben festgestellt war die Roe gegen Wade-Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA im Jahr 1973 ein Pulverfass fur Schaeffer Sie war ein alarmierender Beweis dafur dass die Ideen der Aufklaumlrung began-nen praktische Auswirkungen darauf zu haben wie Menschen sich gegensei-tig sahen Schaeffer hatte bereits eine geraume Zeit lang vorausgesagt dass bei dem Verlust der christlichen Sicht von Realitaumlt im Westen eine der mas-sivsten Folgewirkungen der Verlust der Achtung vor dem menschlichen Leben sein werde Und genau das symbolisierte Roe gegen Wade fur Schaeffer Wenn er also mit herzlich wenigen anderen dieses Problem auf die Straszlige trug dann tat er das aus einem tiefen Emp-

finden der Liebe zu Gott und zu seinem Wort und ebenso aus Liebe zu seinem Naumlchsten Wahrheit erfordert Handeln Anfaumlnglich begruszligten aber nicht alle Evangelikale besonders nicht solche in Leitungspositionen Schaeffers Stand-punkt Wie Brown bemerkt wurde er mit der Veroumlffentlichung von bdquoA Chris-tian Manifestoldquo zum ersten Mal als ein politisch Konservativer gebrandmarkt Und das brachte ihm Angriffe von ei-ner wachsenden Zahl politisch liberaler Evangelikaler ein67 Brown stellt fest

Schaeffers zunehmend unverblumtes Engagement fur speziell konservative Anliegen in den letzten zwei Jahren sei-nes Lebens stoumlrte die Evangelikalen die ihm nicht zustimmten weil sie seinen Einfluszlig in der allgemeinen christlichen Oumlffentlichkeit erkannten Zusaumltzlich veraumlrgerte es andere die ihm im All-gemeinen zustimmten weil sie Streit vermeiden und ihre eigene Akzeptanz in der allgemeinen Oumlffentlichkeit nicht gefaumlhrden wollten Als Folge davon be-fand sich Schaeffer am Ende seines Le-bens noch einmal in der Position die er in den 1960er Jahren eingenommen hatte bevor sein Name zum Gemeingut wurde der Stimme eines Rufers in der Wuste68

Hier koumlnnen wir wieder von Schaeffer ler-nen Auch wenn es ihn einen hohen Preis kostete stand er fur die Sache von Wahr-heit und Leben ein Sein praktisches so-ziales Handeln war nicht getrennt von

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

28 7 8 6 uuml

seinen Glaubensuberzeugungen und seiner Liebe zum Herrn vielmehr floss das eine aus dem anderen In einer Zeit wo es so leicht ist inmitten von Druck Kompromisse zu schlieszligen und einzu-knicken wenn das Laufen schwierig wird ist Schaeffer ein Vorbild Er war wie die Alten der Vergangenheit bereit Gott mit seinem ganzen Sein zu lie-ben in den Schwierigkeiten des Lebens Charakter zu zeigen und der Wahrheit Gottes gehorsam zu sein

Liebe deinen Naumlchsten wie dich selbst

Wie Schaeffer in dem obigen Zitat fest-stellt sind die Liebe zu Gott und die Liebe zum Naumlchsten eng ineinander verflochten

bdquoWenn wir unseren Naumlchsten lieben wie Christus will dass wir unseren Naumlchsten lieben dann werden wir mit Sicherheit auch das Evangelium unse-rem Naumlchsten weitergeben wollen und daruber hinaus werden wir das Gesetz Gottes in all unseren Beziehungen mit unserem Naumlchsten darstellen wollenldquo69

Naturlich wird niemand der diesseits der Vollendung lebt jemals dieses Ide-al erreichen In Francis (und in Edith) Schaeffer sehen wir jedoch einen Men-schen der wenigstens versuchte vor-bildhaft fur uns etwas von dem zu le-ben wonach wir streben Wir sehen dies besonders in drei Bereichen

Zum Ersten zeigte Schaeffer seine Liebe zum Naumlchsten darin dass er versuchte ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen zu geben In seiner Broschure bdquoTwo Con-tents Two Realitiesldquo behauptet Schaef-fer dass es vier Dinge gebe die absolut notwendig sind wenn Christen sich den Herausforderungen unserer Zeit stellen wollen (1) Gesunde Lehre (2) Ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen (3) Wah-re Geistlichkeit und (4) die Schoumlnheit menschlicher Beziehungen In der Be-sprechung von (1) und (2) betont er die Notwendigkeit in Bezug auf gesunde Lehre keine Kompromisse zu schlieszligen aber gleichzeitig Zeit mit Menschen zu verbringen und zu versuchen ihre Fragen zu beantworten Er beklagt die Haltung mancher in der Kirche die den Eindruck vermitteln dass wir keine Fragen stellen durfen und nur glauben mussen Das so sagt er ist immer falsch Es ist falsch weil es Menschen nicht als ganzheitliche Personen ansieht die sowohl intellektu-elle als auch geistliche Antworten brau-chen70 Es ist besonders falsch in einer Zeit die nicht an die Wahrheit glaubt zu sagen dass wir die Wahrheit haben sich dann aber nicht die Zeit zu neh-men wirkliche und schwierige Fragen zu beantworten Das beansprucht naturlich nicht nur eine Menge an Zeit und Bemuhung es erfordert auch Mitgefuhl Menschen dort zu treffen wo sie sind Fragen zu beantworten ist harte Arbeit Schaeffer sagt das so

Als Christen mussen wir genug Liebe und Mitgefuhl aufbringen um auf die Fragen unserer Zeitgenossen zu houmlren Zu viele von uns werden von dem fal-schen Ehrgeiz geplagt alle Fragen spon-tan zu beantworten ndash als koumlnne man ei-nen Trichter ans Ohr setzen alle Daten und Fakten einfuttern und dann loszie-hen und alle Diskussionen gewinnen So geht es aber nicht

Fragen zu beantworten ist harte Ar-beit Koumlnnen Sie alle Fragen beantwor-ten Nein aber Sie mussen sich darum bemuhen Houmlren Sie zunaumlchst einmal mit Anteilnahme zu welche Fragen Ihr Gegenuber bewegen und versuchen Sie dann Antworten zu geben Wissen Sie keine Antwort dann machen Sie sich auf die Suche Lesen Sie und uberlegen Sie so lange bis Sie moumlgliche Antworten gefunden haben

Nicht jeder ist berufen die Fragen von Intellektuellen zu beantworten Aber ob wir mit Akademikern oder mit Dockarbeitern sprechen die Aufgabe ist immer dieselbe Waumlhrend meines zwei-ten Pfarramtes gehoumlrten viele Hafenar-beiter zu meiner Gemeinde und seither weiszlig ich dass sie dieselben grundlegen-den Fragen haben wenn sie sie auch anders formulieren

Antworten sind nicht Erloumlsung Dazu kommt das Wirken des Heiligen Geistes Dennoch sind wir dafur verantwortlich ndash und darum geht es mir in diesem Zu-sammenhang ndash genug Mitgefuhl auf-

zubringen um zu beten und die harte Arbeit zu tun die notwendig ist um die aufrichtigen Fragen zu beantworten71

Das waren fur Schaeffer nicht nur leere Worte sie spiegelten sein Leben wider72 Fur unzaumlhlbare Menschen die nach LrsquoAbri kamen versuchte Schaeffer das in die Tat umzusetzen was er lehrte Staumlndig ist eine der Klagen die ich von Studenten am Seminar houmlre dass Pro-fessoren und sogar Pastoren keine Zeit fur sie haben Sie haben ehrliche Fragen die Zeit und Aufmerksamkeit erfordern aber oft sind wir zu beschaumlftigt um zu helfen Wie Schaeffer uns erinnerte sind wir jedoch berufen unseren Naumlchs-ten zu lieben Fur christliche Leiter Pastoren und Lehrer ist sicherlich ein Weg auf dem sich das zeigen muss die verbrachte Zeit die erwiesene Fursorge und die gegebenen ehrlichen Antwor-ten an echte Menschen die in einem postmodernen Zeitalter nicht weniger als dies verdienen

Eine zweite Art wie die Schaeffers ihre Liebe zu anderen zeigten geschah durch Gastfreundschaft In LrsquoAbri oumlffneten sie ihr Haus fur einzelne Menschen und das war sicher nicht einfach Als Schaef-fer spaumlter daruber nachdenkt stellt er fest dass bdquoungefaumlhr in den ersten drei Jahren von LrsquoAbri alle unsere Hochzeits-geschenke vernichtet wurden Unsere Laken wurden zerrissen Loumlcher wurden in unsere Teppiche gebrannt Einmal waumlre fast ein ganzer Vorhang verbrannt

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 297 8 6 uuml

weil jemand in unserem Wohnzimmer geraucht hatte hellip Drogen kamen in unser Haus Leute erbrachen sich in un-seren Raumlumenldquo73 Ich will damit nicht sagen dass jeder das tun muss was die Schaeffers taten Wir sehen jedoch in ih-rem Leben zwei Menschen die das Ge-bot ernst nahmen sowohl Gott als auch den Naumlchsten zu lieben Eine Geschich-te nach der anderen in LrsquoAbri dreht sich darum wie diese sichtbare Liebe entscheidend dafur war Menschen zu Christus zu bringen74 Evangelisation darf nicht davon getrennt werden wie wir den ganzen Menschen mit unseren Worten und unseren Taten behandeln

Zum Dritten strebte Schaeffers Le-ben danach ein wundervolles Gleich-gewicht zwischen Wahrheit und Lie-be darzustellen Er stand fest fur das Evangelium aber waumlhrend er das tat strebte er danach die Menschen denen er diente in Beziehungen von Mensch zu Mensch zu lieben und zu verstehen Brown vergleicht Francis Schaeffer mit Athanasius einem anderen Vorbild aus der Vergangenheit der wusste was es heiszligt fur die Wahrheit einzutreten Brown erzaumlhlt wie Schaeffer versuchte das Gleichgewicht zwischen Wahrheit und Liebe zu halten Er stellt fest

Wie Athanasius nahm Schaeffer ndash besonders in seinen letzten Jahren ndash Standpunkte ein die manche als unmaumlszligig und unflexibel bezeichnen wurden Wir wissen nicht wirklich wie

Athanasius mit Menschen auf einer per-soumlnlichen Ebene umging Es ist moumlglich dass er mit Einzelnen so streng war wie er es mit ihrer Theologie war In Schaeffers Fall wissen wir jedoch dass die Haumlrte seiner Uumlberzeugungen in Be-ziehungen von Mensch zu Mensch wie auch in der oumlffentlichen Debatte immer durch Liebe und Verstaumlndnis gemildert wurde Er behandelte die mit denen er zutiefst uneins war bestaumlndig mit Rucksicht und Liebe Francis Schaeffer hielt nicht nur die Stellung fur biblische Orthodoxie in seiner Generation wie Athanasius das getan hatte Vielleicht noch wichtiger ist dass Schaeffer der naumlchsten Generation nicht nur zeigte dass sie Stellung beziehen muss sondern wo sie sie beziehen muss und wie sie das tun kann naumlmlich in den Worten des Paulus bdquodie Liebe in Wahrheit zu re-denldquo (Eph 415) Er hat uns gezeigt dass bdquocontra mundumldquo (dt bdquogegen die Weltldquo) einzutreten ein wesentlicher Teil davon ist bdquopro Christoldquo (dt bdquofur Christusldquo) zu seinldquo75

Hier ist eine weitere Lehre die wir zie-hen mussen besonders wir die wir als Leiter in der Kirche dienen Jede Gene-ration muss fur die Wahrheit eintreten aber wir mussen das in Liebe tun Heute houmlren wir viel uber die Liebe eine harte und kompromisslose Stellungnahme fur die Wahrheit wird daruber oft vernach-laumlssigt In einer Zeit die es dringend nouml-tig hat die Wahrheit zu houmlren koumlnnen

wir an diesem Punkt nicht schwanken Wir durfen jedoch auch nicht ins ande-re Extrem fallen Sowohl Wahrheit als auch Liebe sind notwendig Und Francis Schaeffer ist an diesem Punkt ein hilf-reiches Vorbild Ein Mann mit Uumlber-zeugungen verwurzelt und gegrundet in Gottes Wort ein Mann der aus ers-ter Hand wusste was bdquoliebevolle Kon-frontationldquo bedeutet ein Mann der da-nach strebte den Herrn seinen Gott zu lieben und seinen Naumlchsten wie sich selbst und im Denken und Handeln die Herrschaft Jesu uber sein gesamtes Leben darzustellen Moumlgen wir lernen das gleiche zu tun

Letztendlich war Francis Schaeffer ein gefallener unvollkommener Mann gerettet durch die Gnade Gottes Er machte wie wir alle viele Fehler Aber er war eine einzigartige Einzelperson von Gott begabt fur seine Generation Er sagte oft dass Gott nicht jemanden mit auszligergewoumlhnlichen Gaben gebrau-chen muss Gott kann stattdessen einen toten Holzstock in der Hand des Mose gebrauchen wenn er das will In einer sehr denkwurdigen Predigt sagte er das so

Obwohl wir begrenzt und schwach an Begabung koumlrperlicher Energie und psychischer Staumlrke sind sind wir nicht weniger als ein Holzstock Aber wie der Stab des Mose der Stab Gottes werden musste muss das was ich bin zum ich Gottes werden Dann kann ich nutzlich

werden in den Haumlnden Gottes Die Schrift betont dass viel von wenig kom-men kann wenn das Wenige wahrhaft Gott geweiht ist Im wahren geistlichen Sinn gibt es keine kleinen Leute und groszlige Leute sondern nur geweihte und nicht geweihte Leute Das Problem fur jeden von uns ist es die Wahrheit auf uns selbst anzuwenden hellip Wer sich selbst fur eine kleine Person an einem kleinen Ort haumllt kann wenn er sich Christus hingibt und in seinem gesam-ten Leben unter Seiner Herrschaft lebt durch Gottes Gnade den Fluss unserer Generation aumlndern Und wenn wir aumllter werden und wissen wie schwach wir sind und dann zuruckschauen und sehen dass wir irgendwie von Gott ge-braucht wurden dann sollten wir der Stab sein der bdquovon Freude uberraschtldquo ist76

Aus dem Denken und Leben Francis Schaeffers gibt es viel zu erwaumlgen und zu lernen Nur papageienhaft alles nachzu-plappern was er sagte wurde ihn nicht ehren Er haumltte das nicht gewollt Wir mussen stattdessen von ihm lernen wie wir wirkungsvoller in unserer Zeit die-nen koumlnnen so wie er es in seiner tat Dabei mussen unser Verstand und un-ser Herz fest in der Schrift verwurzelt und gegrundet sein Wir mussen lei-denschaftlich fur das Evangelium sein bereit die Fragen unserer Zeit in Treue gegenuber unserem groszligen Gott anzu-gehen Das waumlre der houmlchste Tribut den

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

30 7 8 6 uuml

1 Wenn nicht anders vermerkt werden alle Zitate aus den Schriften Francis Schaeffers entnommen Francis A Schaeffer The Complete Works of Fran-cis A Schaeffer Crossway Books 19852 Michael S Hamilton bdquoThe Dissatis-faction of Francis Schaeffer thirteen years after his death Schaefferrsquos visi-on and frustrations continue to haunt Evangelicalismldquo In Christianity Today 1997 S 223 Harald O J Brown Standing Against the World Westchester Crossway 1986 S 15ndash164 Diese drei Bereiche des Einflusses Schaeffers sind entnommen aus Brown A a O S 19ndash255 Fur mehr Informationen uber den per-soumlnlichen Einfluss von Francis Schaeffer im Leben von verschiedenen Personen vgl die Kapitel in Teil 2 von Lane T Dennis Francis A Schaeffer Portraits of the Man and His Work Westchester Ill Crossway Books 1986 S 129ndash205 Vgl in diesem Zusammenhang auch ei-nige der persoumlnlichen Korrespondenzen zwischen Schaeffer und verschiedenen Leuten uber eine Vielzahl von Themen in Francis A Schaeffer und Lane T Dennis Letters of Francis A Schaeffer Spiritual Reality in the Personal Chris-tian Life Westchester Ill Crossway Books 19856 Francis Schaeffers letztes Werk The Great Evangelical Disaster (Die groszlige Anpassung Der Zeitgeist und die Evan-gelikalen) wurde nur Monate bevor er an Krebs starb veroumlffentlicht In diesem Werk versuchte er die Evangelikalen zu warnen und sie instaumlndig zu bitten in Bezug auf die Autoritaumlt der Bibel und die Ausschlieszliglichkeit des Evangeli-ums keine Kompromisse zu schlieszligen Er nannte sogar verschiedene Namen

derer von denen er glaubte sie haumltten an diesen Punkten Kompromisse ge-schlossen Gleichzeitig rief er eine neue Generation von Christen dazu auf als bdquoRadikale fur die Wahrheitldquo in unserer Zeit Stellung zu beziehen bdquoThe Great Evangelical Disasterldquo wurde neu ver-oumlffentlicht in Francis A Schaeffer The Complete Works of Francis A Schaef-fer Bd 4 A a O S 301ndash4117 bdquoNeoorthodoxieldquo ist eine theologische Bewegung die in den 1920er Jahren begann und bis heute weitergeht auch wenn ihr hauptsaumlchlicher Einfluss in der weiteren theologischen Welt von den 1920er bis zu den 1970er Jahren lag Sie ist verbunden mit einer Anzahl von Theologen wie Rudolf Bultmann Emil Brunner Reinhold Niebuhr und Paul Tillich Am bekanntesten ist je-doch die Verbindung zur Theologie des Schweizer Theologen Karl Barth Zu weiteren Informationen uber bdquoNeoor-thodoxieldquo s David F Ford (Hrsg) The Modern Theologians 2 Aufl Oxford Blackwell 1997 S 21ndash102 C A Bax-ter bdquoNeo-Orthodoxyldquo In Sinclair Fer-guson et al (Hrsg) New Dictionary of Theology Downers Grove InterVarsity Press 1988 S 456ndash4578 Zu diesem Thema siehe besonders Francis A Schaeffer Wie koumlnnen wir denn leben Aufstieg und Niedergang der westlichen Kultur 5 Aufl Holz-gerlingen Haumlnssler 2000 Francis A Schaeffer Bitte laszlig mich leben Fur Menschlichkeit in unmenschlicher Gesellschaft Telos-Bucher 1205 Neu-hausen-Stuttgart Haumlnssler 1981 Fran-cis A Schaeffer A Christian Manifesto 1st trade pbk Wheaton Ill Crossway Books Published in association with Nims Communications 20059 Brown Standing Against the World A a O S 2310 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 102 Die Kritiken die Dennis er-

waumlhnt sind die von Wells Ronald A Wells bdquoFrancis Schaefferrsquos Jeremiad A Review Articleldquo In The Reformed Journal Mai 198211 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 227 Fn 512 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 102ndash126 Dennisrsquo ausgezeichnete Diskussion dieser ganzen Frage ist sehr hilfreich weil er die Frage umfassend anspricht ob Schaeffer ein bdquoGelehrterldquo war und ob diese Frage der wirkliche Grund fur die negative Reaktion auf seine Gedanken ist13 Vgl Hamilton bdquoThe Dissatisfaction of Francis Schaefferldquo A a O S 3014 Es ist wohl bekannt dass der Evange-likalismus eine uber eine Anzahl wich-tiger Lehrfragen zerspaltene Bewegung ist Zur Diskussion uber einige dieser Lehrspaltungen aus einer Vielfalt von Blickwinkeln vergleiche bdquoEvangelical Megashiftldquo In Chritianity Today 19 Februar 1990 S 12ndash17 Kenneth S Kantzer und Carl F H Henry (Hrsg) Evangelical Affirmations Grand Ra-pids Zondervan 1990 Millard Erick-son The Evangelical Left Grand Ra-pids Baker 1997 Roger Olsson bdquoThe Future of Evangelical Theologyldquo In Christianity Today 9 Februar 1998 S 40ndash42 Elmer M Colyer (Hrsg) Evangelical Theology in Transition Downers Grove Inter-Varsity Press 1999 Stanley Grenz Renewing the Center Grand Rapids Baker 2000 John D Woodbridge et al This We Be-lieve Grand Rapids Zondervan 200015 Fur weitere Materialien die das Leben Francis Schaeffers sehr viel detaillierter skizzieren vgl David Porter bdquoFrancis Schaefferldquo In John D Woodbridge (Hrsg) Great Leaders of the Christian Church Chicago Moody Press 1988 S 362ndash366 Colin Duriez bdquoFrancis

Schaefferldquo In Walter A Elwell Hand-book of Evangelical Theologians Grand Rapids Baker 1993 S 245ndash259 und Dennis Portraits of the Man and His Work A a O S 207ndash211 Vgl auch die Lebensgeschichte der Schaeffers erzaumlhlt von Edith Schaeffer in Llsquo Abri Gottes Wirklichkeit heute erlebt 4 Aufl Wup-pertal Oncken Verlag 1975 und The Tapestry The life and times of Francis and Edith Schaeffer Waco Tex Word Books 198116 Zu weiteren Informationen uber den Dienst der LrsquoAbri Gemeinschaft heute vgl URL httpwwwlabriorg17 Fur eine vollstaumlndige Liste von Bu-chern Kassetten und Videos von Francis und Edith Schaeffer vgl URL httpwwwlabriorg18 Dieses Thema zieht sich durch Schaef-fers Bucher hindurch vgl aber beson-ders Francis A Schaeffer Gott ist keine Illusion 3 Aufl Wuppertal Brockhaus Verlag 1974 Francis A Schaeffer und er schweigt nicht Ist eine Philoso-phie ohne Gott realistisch 1 Taschen-buchausg Wuppertal Genf Zurich Basel Brockhaus Verlag 1975 Schaef-fer Wie koumlnnen wir denn leben A a O Schaeffer Bitte laszlig mich leben A a O19 Es ist viel debattiert worden uber die Genauigkeit von Schaeffers Analyse von Denken Kunst Musik und Kultur des Westens Auch wenn es zweifellos wahr ist dass er an einigen Punkten ein va-ges und stark verallgemeinertes Bild gemalt hat ist gleichzeitig anerkannt worden dass sich das bdquogroszlige Bildldquo das er gezeichnet hat als grundlegend richtig erwiesen hat Mehr zu diesen Aufsaumltzen findet sich bei Roland Nash The Life of the Mind and the Way of Life Westchester Ill Crossway Books 1986 S 53ndash69 bzw 101ndash126 Vgl auch einige der hilfreichen Kommentare von Duriez in Dennis Francis A Schaeffer Portraits of the Man and His Work A a O S 252ndash259

Prof Dr Stephen J Wellum

Anmerkungenman einem Mann zollen kann der in seinem Denken und Leben mehr als al-les danach strebte unter der Herrschaft Jesu Christi allein zur Ehre Gottes zu leben

Prof Dr Stephen J Wellum

ist auszligerordentlicher Professor am bdquoThe Southern Baptist Theological Seminaryldquo in Louisville Kentucky (USA) Er ist ein beliebter Redner auf Konferenzen Autor mehrerer Ar-tikel und Buchbeitraumlge und Mitver-fasser (gemeinsam mit Peter Gentry) von bdquoKingdom Through Covenant A Biblical-Theological Understanding of the Covenantsldquo (Crossway 2012) Sein Artikel erschien ursprunglich als Stephen J Wellum bdquoFrancis A Schaeffer (1912ndash1984) Lessons from His Thought and Lifeldquo In SBJT Vol 6 No 2 (2002) S 4ndash32 Die Uumlbersetzung erfolgte durch Wolfgang Haumlde Redaktionell bearbeitet wurde der Beitrag von Christian Pletsch und Deike Sumann

glauben amp denken heute 22012 317 8 6 uuml

20 Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 1421 Ebd S 822 Ebd S 8ndash923 Zu mehr uber Postmodernismus sei er populaumlr oder differenziert vgl die folgenden Werke Gene E Veith Jr Postmodern Times Wheaton Cross-way 1994 David Dockery (Hrsg) The Challenge of Postmodernism Grand Rapids Baker 1995 Stanley J Grenz A Primer on Postmodernism Grand Ra-pids Eerdmans 1996 D A Carson The Gagging of God Grand Rapids Zonder-van 1996 Kevin Vanhoozer Is There a Meaning in This Text Grand Rapids Zondervan 1998 und Millard Erickson Truth or Consequences The Promise and Perils of Postmodernism Downers Gro-ve InterVarsity Press 2001 sowie The Postmodern World Wheaton Crossway 200224 Carson The Gagging of God A a O S 1925 Schaeffers Gebrauch des Ausdrucks bdquowahre Wahrheitldquo veranschaulicht seine Besorgnis dass der Begriff bdquoWahrheitldquo nicht laumlnger das bedeutete was er immer bedeutet hatte Um also wirkungsvoll mit einer Generation zu kommunizieren die nicht an Wahrheit glaubt praumlgte er diesen Ausdruck um eine objektive uni-versale der Wirklichkeit entsprechende Sicht von Wahrheit zu kommunizieren26 Vgl dazu auch Carson The Gagging of God A a O S 13ndash54 u 419ndash51427 Zu dieser Analyse vgl besonders Fran-cis A Schaeffer Preisgabe der Vernunft Kurze Analyse der Ursprunge und Ten-denzen des modernen Denkens 5 Aufl GenfWuppertal Brockhaus Verlag 198528 Der Begriff bdquoRationalismusldquo kann fur verschiedene Leute verschiedene Dinge bedeuten Fur manche ist es ein Begriff der sich auf eine erkenntnistheoretische Schule bezieht die als bdquoKontinentaler

Rationalismusldquo bekannt ist im Gegen-satz zu anderen Schulen wie dem bdquoBri-tischen Empirismusldquo oder Immanuel Kants bdquoTranszendentalem Idealismusldquo Fur andere bezieht er sich einfach auf eine Person die den Gebrauch der Ver-nunft uberbetont Was jedoch Schaeffer betrifft so gebraucht er den Begriff in Bezug auf bdquojede Philosophie oder jedes Gedankensystem das vom Menschen alleine ausgeht beim Versuch einen ein-heitlichen Sinn des Lebens zu findenldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 200) Mit an-deren Worten bdquoRationalismusldquo bezieht sich auf eine Geisteshaltung auf einen philosophischen Ansatz der Menschen als die letzte Autoritaumlt in Fragen von Wahrheit und Wirklichkeit betrachtet und das dann gegen das Christentum setzt das Gott und sein Wort als die letz-te Autoritaumlt fur Fragen von Wahrheit und Wirklichkeit betrachtet29 Schaeffers Analyse des westlichen Den-kens als einer schrittweise Entwicklung einer Anzahl dialektischer Spannungen aumlhnelt sehr der Analyse von Herman Dooyewwerd A Critique of Theoretical Thought 4 Bde Philadelphia Presbyte-rian and Reformed 1953ndash58 Viel ver-dankt sie seinem ehemaligen Professor Cornelius Van Til dessen Gedanken sich in Werken befinden wie A Christian Theory of Knowledge Phillipsburg Pres-byterian and Reformed 1969 und A Sur-vey of Christian Epistemology Philadel-phia Presbyterian and Reformed 196930 Vgl Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 19ndash94 Fur Schaeffer war diese Analyse ein Herzstuck seiner Apologetik Immer wieder versuchte er den Men-schen zu helfen sich erkenntnistheore-tisch der Implikationen ihrer Denkvor-aussetzungen bewusster zu werden Da-bei versuchte er zu zeigen dass alle Welt-bilder auszliger dem Christentum letztlich in sich inkonsequent sind und es daher nahezu unmoumlglich ist sie in der Praxis

auszuleben Zu weiteren Informationen uber das Wesen und die Methodologie von Schaeffers Apologetik vgl Gott ist keine Illusion A a O S 132ndash18131 Dieses Thema zieht sich durch alle Schriften Schaeffers hindurch und eben-so durch seine auf Band aufgenommenen Vorlesungen Vgl besonders seine Ton-band-Vorlesung mit dem Titel bdquoGrund-legende Probleme denen wir gegenuber stehenldquo Teil 1 und 2 Alle Tonbaumlnder Schaeffers und die der LrsquoAbri Fellowship koumlnnen gekauft werden durch Sound Word Associates PO Box 2036 Ches-terton IN 46304 oder uber httpwwwsoundwordcom oder sind kostenlos im LlsquoAbri ideas library verfugbar URL httpwwwlabri-ideas-libraryorg 32 Es ist viel daruber diskutiert worden ob Schaeffer Barth richtig interpretiert und verstanden hat Ohne Zweifel gibt es bei Barth viel mehr Nuancen als Schaef-fer in seinen Buchern erwaumlhnt und uber Barths Theologie kann und muss viel mehr gesagt werden Ich wurde jedoch behaupten dass Schaeffers grundlegende Analyse richtig ist besonders an den von ihm betonten Punkten Fur eine tiefer ge-hende Behandlung von Barths Theologie die einer aumlhnlichen Beurteilung folgt vgl Cornelius Van Til Christianity and Barthianism Nutley Presbyterian and Reformed 197733 Vgl die auf Band aufgenommenen Vor-lesungen Schaeffers mit den Titeln bdquoBasic Problems We Faceldquo (Grundlegende Prob-leme denen wir gegenuberstehen) bdquoEx-clusive Christ in an Inclusive Ageldquo (Der ausschlieszligliche Christus in einem Zeit-alter das alles einschlieszligt) bdquoRelativism in the 20th Centuryldquo (Relativismus im 20 Jahrhundert) und bdquoVatican Council IIldquo (Das Zweite Vatikanische Konzil) In den Vorlesungen uber das Zweite Va-tikanische Konzil analysiert Schaeffer einfuhlsam die Verschiebungen die in der roumlmisch-katholischen Theologie vor sich gingen bis hin zu einem bdquoinklusive-

renldquo Verstaumlndnis von Heil zu Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils im Jahr 196234 Der Begriff bdquoWeltbildldquo ist heute mitt-lerweile dank des Einflusses von Men-schen wie Francis Schaeffer ublich Fur ein populaumlres Werk das uns hilft Ideen aus der Perspektive von Weltbildstruktu-ren zu sehen vgl James Sire The Univer-se Next Door 3 Aufl Downers Grove InterVarsity Press 199735 In der Apologetik wird das Wort bdquoDenkvoraussetzungldquo (Praumlsuppositi-on) nicht immer auf die gleiche Art ge-braucht Es ist wichtig sich daran zu erinnern und leider wird das oft verges-sen in Debatten uber methodologische Unterschiede zwischen verschiedenen apologetischen Ansaumltzen innerhalb der evangelikalen Apologetik Schaeffer zum Beispiel benutzte den Begriff mit Bezug auf bdquoeinen Glauben oder eine Theorie die angenommen wird bevor der naumlchs-te Schritt in der Logik entwickelt wirdldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 201 [Anm In der dt Ausgabe fehlt die Erklaumlrung]) In diesem Sinne dienen bdquoDenkvorausset-zungenldquo als Hypothesen die unabhaumlngig verifiziert werden mussen durch solche Dinge wie Logik historische Beweise pragmatische Eignung usw Gordon Clark Three Types of Religious Philoso-phy 2nd Jefferson Md Trinity Foun-dation 1989 S 121ndash123 gebrauchte den Begriff um sich auf bdquoAxiomeldquo des Gedankensystems einer Person zu bezie-hen die unbeweisbar sind weil sie dog-matisch postuliert werden als ein erstes Prinzip das zu demonstrieren es nichts Grundlegenderes gibt Andererseits ge-brauchte Cornelius Van Til den Begriff mit Bezug auf die letztgultigen Kriterien eines Weltbildes die nicht jenseits ver-nunftgemaumlszliger Beweisbarkeit liegen d h sie sind transzendentale Gegebenheiten uber die man streiten und sie verteidi-gen muss Wie Van Til feststellt bdquoEin

wahrhaft transzendentales Argument nimmt jede Erfahrungstatsache die es untersuchen moumlchte und versucht zu bestimmen was die Denkvoraussetzung dieser Tatsache sein muss um es zu dem zu machen was es istldquo (Cornelius Van Til A Survey of Christian Epistemology Philadelphia Presbyterian and Refor-med 1969 S 10 u vgl S 201) Zu ei-ner hilfreichen Diskussion daruber wie der Begriff Denkvoraussetzung in der christlichen Apologetik gebraucht wird vgl Greg L Bahnsen Van Tilrsquos Apologe-tic Readings and Analysis Phillipsburg N J PampR Pub 1998 S 461ndash69736 Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 1037 Schaeffer Preisgabe der Vernunft A a O S 11ndash1238 Schaeffer sprach davon mit dem Begriff bdquoPrauml-Evangelisationldquo Christliche Apolo-getik so argumentiert er hat zwei Ziele (1) das Evangelium zu verteidigen und (2) das Evangelium auf eine Art weiterzuge-ben dass die jeweilige Generation es ver-stehen kann Beim Gebrauch des Begriffs bdquoPraumlevangelisationldquo bezog er sich auf (2) Schaeffers Anliegen war es dass bei unse-rer Darbietung des Evangeliums beson-ders beim Leben in einer zunehmend bi-blisch analphabetischen und postchristli-chen Kultur die Menschen Wissen uber das Evangelium brauchen bevor sie zum Glauben kommen Daher ist Praumlevange-lisation noumltig Wie er feststellt bdquokommt die Einladung zu handeln [das heiszligt an Christus zu glauben] erst nachdem eine angemessene Wissensgrundlage gegeben wurde hellip Wissen geht dem Glauben vor-aus Das ist entscheidend fur das Verste-hen der Bibel bdquoZu sagen (und das sollten Christen) dass nur jener Glaube wahrer Glaube ist der an Gott auf der Grundlage von Wissen glaubt bedeutet etwas zu sa-gen das in der Welt des zwanzigsten Jahr-hunderts eine Explosion verursachtldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 153ndash154)

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

32 7 8 6 uuml

39 Vgl zum Beispiel Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 96ndash160 Francis A Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houmlren Genfer Bibelgesellschaft 2004 und verschiedene Bandaufnahmen wo er das diskutiert etwa in bdquoBasic Problems We Faceldquo und bdquoBefore the Beginningldquo40 Der Ausdruck bdquodie Gedanken Got-tes ihm nachdenkenldquo war ein starker Schwerpunkt im Denken Cornelius Van Tils dem Apologetiklehrer Schaeffers am Westminster Theological Seminary Zu einer hilfreichen Diskussion dieser Wen-dung bei Van Til auch mit Anwendung auf Schaeffers Denken vgl Bahnsen Van Tillsquos Apologetic A a O S 220ndash26041 Dieses Argument wird besonders entwickelt in Francis A Schaeffer Ge-nesis in Raum und Zeit Wuppertal Brockhaus Verlag 1976 und Francis A Schaeffer Die groszlige Anpassung Der Zeitgeist und die Evangelikalen Asslar Schulte u Gerth 198842 Fur die Zentralitaumlt der Lehre von Gott im Leben Schaeffers vgl solche Werke wie Francis A Schaeffer Geistliches Leben ndash Was ist das Wuppertal R Brockhaus Verlag 1975 Schaeffer Un-sere Welt soll sein Wort houmlren A a O Schaeffer Die grosse Anpassung A a O43 Man muss einfach an die tobende De-batte innerhalb der evangelikalen Theolo-gie uber bdquoOffenen Theismusldquo (engl Open Theism) denken und an den Versuch bdquoOffener Theistenldquo die Lehre von Gott neu zu definieren und zu revidieren Vgl dazu die verschiedenen Bucher von bdquoOf-fenen Theistenldquo wie etwa Clark Pinnock et al The Openness of God Downers Grove InterVarsity Press 1994 John Sanders The God Who Risks Dow-ners Grove InterVarsity Press 1998 und Gregory A Boyd God of the Possible Grand Rapids Baker 2000 Im Hinblick auf eine Antwort und kompetente Kritik vgl Bruce A Ware Godrsquos Lesser Glory

Wheaton Crossway 2000 und John M Frame No Other God Phillipsburg Presbyterian and Reformed 200144 Zu dem was die Schrift von sich selbst behauptet vgl Wayne Grudem bdquoScripturersquos Self-Attestation and the Problem of Formulating a Doctrine of Scriptureldquo In D A Carson und John D Woodbridge (Hrsg) Scripture and Truth Grand Rapids Zondervan 1983 S 19ndash59 John Frame bdquoScripture Speaks for Itselfldquo In John Warwick Mont-gomery (Hrsg) Godrsquos Inerrant Word Minneapolis Bethany 1974 S 178ndash200 Sinclair Ferguson bdquoHow Does The Bible Look at Itselfldquo In Harvie Conn (Hrsg) Inerrancy and Hermeneutic Grand Ra-pids Baker 1988 S 47ndash6645 Schaeffers Argument an diesem Punkt grundet sich auf die erkenntnistheoreti-sche Notwendigkeit der Irrtumslosigkeit d h ohne einen irrtumslosen Text gibt es keinen Weg theologische Lehren zu begrunden Was meint Schaeffer damit Schaeffers Argument ist nicht dass man der Bibel nirgendwo trauen koumlnne wenn sie an einem Punkt falsch laumlge Offen-sichtlich ist dieses Argument falsch Nur weil die Bibel moumlglicherweise an einem Punkt falsch liegt heiszligt das noch nicht dass sie nicht verlaumlsslich ist in vielem von dem was sie an anderen Stellen die be-staumltigt werden koumlnnen lehrt Er meinte vielmehr Folgendes Wenn die Schrift nicht in allem was sie bekraumlftigt irr-tumslos ist wie koumlnnen wir dann irgend-eine in der Schrift behauptete Wahrheit wissen Eine in der Schrift behauptete theologische Wahrheit koumlnnte geglaubt werden sie mag sogar wahr sein aber wie kann sie gewusst werden wenn die Schrift Irrtumer erhaumllt Letztendlich wird die Schrift nicht als unsere letzte Autoritaumlt dienen koumlnnen wenn sie nicht in allem was sie behauptet vertrauenswurdig und verlaumlsslich ist46 Schaeffer Die groszlige Anpassung A a O 149

47 Ebd S 60ndash6148 Vgl Scott R Burson und Jerry L Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer Lessons for A New Century From the Most Influential Apologists of Our Time Downers Grove Ill InterVarsity Press 1998 S 11449 Ebd S 135ndash13650 Ebd S 13551 Es gab zuletzt viele Diskussionen uber die Folgen einer libertarianischen Sicht von menschlicher Freiheit fur das Kon-zept von der goumlttlichen Souveraumlnitaumlt und daher uber die Beziehung zwischen Gott und der Schrift David Basinger und Randall Basinger brachten in bdquoInerran-cy Dictation and the Free Will Defen-seldquo (In Evangelical Quarterly 55 (1983) S 177ndash180) die Diskussion in Gang indem sie die Auffassung vertraten dass jemand nicht gleichzeitig am Libertaria-nismus und an der Irrtumslosigkeit fest-halten koumlnnte wenn man sich nicht auf eine Theorie von der Inspiration als Dik-tat berufen wolle Burson und Walls be-ziehen sich positiv auf das Argument der Basingers und versuchen dann Schaeffer ins Lager des Libertarianismus zu stecken und so eine Inkonsequenz in Schaef-fers Denken darzulegen Die Frage ob Schaeffer ein Libertarianer war ist sehr schwer zu beurteilen Schaeffer arbeitete nicht mit einer praumlzisen Definition von menschlicher Freiheit besonders nicht in der Art wie wir es heute in der phi-losophischen und theologischen Literatur finden Schaeffers Anliegen war vielmehr die Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen zu betonen im Kontrast zu dem Determinismus von Leuten wie B F Skinner Gleichzeitig behielt er aber eine starke Wahrnehmung der souveraumlnen Herrschaft und Regierung Gottes uber die Welt Ich bin sicher dass Schaeffer die Art wie Libertarianer ihre Auffas-sung heute darlegen und besonders wie sie diese auf die Lehre von der Schrift (vgl Basingers Auffassung) angewandt

haben ohne Umschweife abgelehnt haumlt-te Zu einer tiefer gehenden Diskussion uber die Beziehung zwischen goumlttlicher Souveraumlnitaumlt und menschlicher Freiheit in ihrer Anwendung auf die Schrift vgl meine Artikel bdquoThe Importance of the Nature of Divine Sovereignty for Our View of Scriptureldquo In The Southern Baptist Journal of Theology Vol 4 No 2 (2000) S 76ndash90 und bdquoDivine Sovereign-ty-Omniscience Inerrancy and Open Theism An Evaluationldquo In Journal of the Evangelical Theological Society (Juni 2002)52 Vgl Schaeffer Und er schweigt nicht A a O S 88ndash8953 Vgl Fn 5154 J I Packer bdquosbquoSola Scripturalsquo in History and Todayldquo In John Warwick Montgo-mery Godlsquos Inerrant Word An Interna-tional Symposium on the Trustworthi-ness of Scripture Minneapolis Bethany Fellowship 1974 S 6055 Einige aktuelle Werke die eine hohe Meinung von der Schrift verteidigen sind zum Beispiel D A Carson und John Woodbridge (Hrsg) Scripture and Truth and Hermeneutics Authority and Canon Grand Rapids Zondervan 1986 Norman Geisler (Hrsg) Inerran-cy Grand Rapids Zondervan 1980 J M Boice (Hrsg) The Foundation of Biblical Authority Grand Rapids Zon-dervan 1978 Harvie M Conn (Hrsg) Inerrancy und Hermeneutic A Tradi-tion a Challenge a Debate Michigan Baker Books 1988 Gordon Lewis und Bruce Demarest (Hrsg) Challenges to Inerrancy Chicago Moody 1984 Earl Radmacher und Robert Preus (Hrsg) Hermeneutics Inerrancy and the Bible Grand Rapids Zondervan 1984 Carl F H Henry God Revelation and Au-thority 6 Bde Waco Word 1976ndash8356 Vgl zu diesem Punkt Schaeffers Be-sprechung in Schaeffer Die groszlige An-passung A a O S 60ndash62

57 Ebd S 53ndash5458 Zu der Geschichte hinter LrsquoAbri und wie es geboren und mit Gebet aufrecht-erhalten wurde vgl Schaeffer Llsquo Abri A a O59 Damit will ich nicht sagen dass nicht manche Evangelikale Barths Theologie kritisierten Aber Schaeffer zusammen mit Van Til war es wichtig dass sich die evangelikale Theologie von Barth unterscheiden wurde selbst wenn Barth viele ausgezeichnete Einwaumlnde gegen den Liberalismus aussprach Sowohl Van Til als auch Schaeffer waren besorgt uber das Gesamtpaket von Barths Denken dass nach ihrer Uumlberzeugung das historische Christentum untergraben wurde Zu Van Tils harter Reaktion auf Barth vgl Christianity and Barthianism Nutley Presbyterian and Reformed 1977 Vgl auch John Frames praumlgnante Zusammen-fassung von Van Tils Problem und seine Ablehnung der Theologie Barths auch parallel zur Reaktion Schaeffers in John M Frame Cornelius Van Til An Analy-sis of His Thought Phillipsburg N J P amp R Publication 1995 S 353ndash36960 Das heiszligt nicht dass Schaeffer der Einzige war der Barth an diesem Punkt kritisierte Ich habe schon Van Til als ei-nen anderen entschlossenen Kritiker er-waumlhnt und es gab noch weitere61 Brown Standing Against the World A a O S 20ndash2162 Vgl Iain Hamish Murray Evangeli-calism Divided A Record of Crucial Change in The Years 1950 to 2000 Edin-burgh UKCarlisle Pa Banner of Truth Trust 2000 S 50 Fn 5 u S 76ndash77 Vgl auch die Stellen wo Schaeffer seine Sorge daruber formuliert dass die evangelikale Bewegung im Bereich der Evangelisation mit solchen zusammenarbeitet die in ih-rer Theologie nicht evangelikal sind in Francis A Schaeffer Kirche am Ende des 20 Jahrhunderts 2 Aufl Genf [u a] Haus der Bibel [u a] 1973 S 38ndash45

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 337 8 6 uuml

Die grosse Anpassung A a O S 86ndash87 und Schaeffer und Dennis Letters of Francis A Schaeffer A a O S 7263 Vgl Brown Standing Against the World A a O S 21ndash22 Viel von der Kritik Schaeffers an Graham in diesem Punkt ist nicht direkt aufgeschrieben worden Wir wissen es von denen die Schaeffer persoumlnlich kannten und eben-so aus Andeutungen daruber in Schaef-fers Schriften Vgl zu diesem Punkt Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houml-ren A a O und Die grosse Anpassung A a O S 85ndash8764 Brown Standing Against the World A a O S 21ndash2265 Brown Standing Against the World A a O S 21 Schaeffer stellt fest bdquoWas nutzt es daszlig der Protestantismus zah-lenmaumlszligig immer mehr zunimmt wenn aber eine so groszlige Zahl derer die den Namen sbquoevangelikallsquo tragen nicht mehr an dem festhalten was den Protestantis-mus evangelikal macht Wenn dem kein Einhalt geboten wird dann sind wir dem Anspruch der Bibel den sie in Bezug auf sich selbst erhebt nicht treu ergeben und wir sind auch nicht ehrlich gegenuber dem was Jesus Christus in Bezug auf die Bibel geltend macht Aber ebenso ndash und das durfen wir nie vergessen ndash werden wir und unsere Kinder nicht fur die vor uns liegenden schweren Zeiten gewappnet sein wenn dies so weitergehtldquo (Die groszlige Anpassung A a O S 85)66 Brown Standing Against the World A a O S 21ndash2267 Ebd S 2468 Ebd S 2569 Schaeffer Die grosse Anpassung A a O S 54ndash5570 Schaeffer betont stark dass die evange-likale Bewegung mit dem ganzen Men-schen umgehen muss ndash mit Verstand Wille Gefuhlen Herz und Seele Als er bei einer Gelegenheit gefragt wurde wie er sich selbst betrachte als Theologe

Philosoph oder als Apologet sagte er er sei ein Evangelist Er sah jedoch seine Evangelisation nicht als geschieden von den groszligen intellektuellen und kultu-rellen Fragen des Lebens an weil Men-schen ganzheitliche Wesen sind Er stellt fest bdquoMenschen sagen oft sbquoWas bist dulsquo Und manchmal sage ich sbquoNun ich bin ganz einfach ein Evangelistlsquo Manchmal denke ich jedoch nicht dass die Men-schen verstanden haben dass das nicht bedeutet dass ich an einen Evangelisten im Kontrast zum sorgfaumlltigen Umgang mit philosophischen intellektuellen oder kulturellen Fragen denke Ich bin kein professioneller akademischer Philosoph ndash das ist nicht meine Berufung und ich bin froh die Berufung zu haben die ich habe und bin genauso froh dass manche andere Leute andere Berufungen haben Aber wenn ich sage dass ich ein Evange-list bin heiszligt das nicht dass ich glaube meine Philosophie usw sei nicht gultig Ich glaube sie ist es hellip Ich sage aber dass sich all das kulturelle intellektuelle oder philosophische Material nicht davon trennen laumlsst Menschen zu Christus zu fuhren Ich denke mein Reden uber Me-taphysik Moral und Erkenntnistheorie zu gewissen Individuen ist genauso Teil meiner Evangelisation wie der Moment wo ich ihnen zeige dass sie moralisch schuldig sind und ihnen sage dass Chris-tus fur sie am Kreuz starb Ich sehe oder fuhle da keine Dichotomie Dies ist mei-ne Philosophie und jenes ist meine Evan-gelisation Die ganze Sache ist Evange-lisation an Menschen die gefangen sind in der zweiten Verlorenheit uber die wir sprachen Die zweite Verlorenheit ist die dass sie keine Antworten auf die Fragen nach Sinn Ziel und so weiter haben hellip Fur mich besteht eine Einheit aller Wirk-lichkeit und wir koumlnnen entweder sagen dass jeder Studienbereich ein Teil der Evangelisation ist hellip oder wir koumlnnen sagen dass es keine wahre Evangelisation gibt die nicht die gesamte Wirklichkeit und das ganze Leben betrifftldquo (The Com-

plete Works of Francis A Schaeffer Bd 1 A a O S 185ndash187)71 Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houmlren A a O S 23ndash2472 Vgl Schaeffer und Dennis Letters of Francis A Schaeffer A a O u Teil 2 von Burson und Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer A a O S 131ndash20573 Zitiert in Hamilton bdquoThe Dissatisfac-tion of Francis Schaefferldquo A a O S 2574 Ich moumlchte den Leser noch einmal ver-weisen auf Teil 2 von Burson und Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer A a O S 131ndash20575 Brown Standing Against the World A a O S 2676 Francis A Schaeffer Jeder ist von Be-deutung 16 Predigten fur das 20 Jahr-hundert Neuhausen Stuttgart Haumlnssler 1982 S 13 u 21

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben Werbung

bdquoldquoAusbildung und Theologie sind

fuumlr den Menschen da nicht der Mensch fuumlr Ausbildung und Theologie

MARTIN BUCER SEMINARMARTIN BUCER SEMINAR

Theologie studieren in Chemnitz

34 7 8 6 uuml

Gilbert Achcar Die Araber und der Ho-locaust Der arabisch-israelische Krieg der Geschichtsschreibungen Edition Nauti-lus 368 S ISBN 978-3-89401-758-3 2990 Euro

Irrefuumlhrende Verharmlosung

Gilbert Achcars Buch bdquoDie Araber und der Holocaustldquo das 2009 urspruumlng-lich auf Franzoumlsisch erschienen ist ist nach der arabischen und der englischen Uumlbersetzung nun auch auf Deutsch er-haumlltlich Achcar ist Professor fuumlr Ent-wicklungsstudien und internationale Beziehungen an der bdquoSchool of Oriental and African Studiesldquo in London Sein Buch ist der Versuch einer Ehrenrettung

der arabischen Nationen vor dem Vor-wurf des kollektiven Antisemitismus Die Pressestimmen dazu uumlberbieten sich gegenseitig in ihrem Lob Der Au-tor will einen differenzierten Blick auf die arabische Rezeption des Holocaust vermitteln Er behandelt dazu zwei gro-szlige Zeitabschnitte bdquoDie Zeit der Shoahldquo und bdquoDie Zeit der Nakbaldquo was sinnge-maumlszlig jeweils bdquoDie Zeit der Katastropheldquo bedeutet Damit deutet sich bereits eine Problematik an Die Verhaumlltnisbestim-mung von Holocaust und Staatsgruumln-dung Israels Im Holocaust sieht Achcar das einzige und obendrein heftig miss-brauchte Argument fuumlr die Staatsgruumln-dung (S 243 ua) sowie fuumlr den bdquodeut-schen Philosemitismusldquo (S 266) Dabei uumlbergeht er andere wichtige Gruumlnde fuumlr die Unterstuumltzung der israelischen

Anliegen Er geht davon aus dass die Staatsgruumlndung unrechtmaumlszligig erfolgt sei (S 138 153) Deswegen war aus sei-ner Sicht auch jeder Verteidigungskrieg dieses Staates illegitim (S 34f) Israel sei ein bdquokolonialer Siedlerstaat europauml-ischen Ursprungsldquo (S 32) Auszligerdem sieht Achcar in den Juden kein Volk sondern eine Religionsgemeinschaft Sie haumltten zwar eine Art nationale Identi-taumlt entwickelt koumlnnten aber aumlhnlich wie Christen und Muslime kein Land beanspruchen (S 265) Die Vorstellung von einer bdquoEinstaatenloumlsungldquo die der Autor zu praumlferieren scheint mit einer juumldischen Minderheit die unbehelligt unter arabischer Herrschaft lebt ist im besten Fall eine naive Utopie Achcar gibt an denjenigen zu widersprechen die aus der Geschichte einen immer da-

gewesenen unabaumlnderlichen arabischen beziehungsweise islamischen Antisemi-tismus konstruiert haumltten und die Ara-ber heute insgesamt als Antisemiten und Nazis abstempelten Er gibt eine Fuumllle von Quellen an und kann vielleicht je-nen den Wind aus den Segeln nehmen die alle Araber als praumldestinierte Nazi-kollaborateure darstellen Kritikwuumlrdig ist die geflissentliche Vernachlaumlssigung der Beschreibung der aktuellen Zu-staumlnde in der arabischen Welt bdquoHaupt-thema ist schlieszliglich die historische Beziehung der Araber zum Holocaust als er stattfand weniger ihre aktuelle Beziehung zur historischen Erinnerung an die Shoahldquo (S 169) Man kann aus der Lektuumlre die Erkenntnis mitnehmen dass zur Zeit des Zweiten Weltkrieges die meisten Araber nicht mit der na-

Die Araber und der HolocaustGilbert Achcar

Carmen Matussek

Rez

ensi

onen

glauben amp denken heute 22012 357 8 6 uuml

tionalsozialistischen Judenverfolgung einverstanden waren was aber kaum jemand angezweifelt hat Wer von der gleichzeitigen Zusammenarbeit einiger hochrangiger Araber mit dem Nazire-gime nichts wusste wird daruumlber eben-falls umfassend informiert selbst wenn Achcar viele Fakten nur nennt um sie anschlieszligend zu relativieren

Erschwerend fuumlr eine Kritik ist dass der Autor seine Meinung haumlufig nicht mit eigenen Worten kundtut sondern ganz im Sinne postmodernen Stils weit-gehend unkommentiert Zitate anein-anderreiht die Ruumlckschluumlsse auf seine Sicht zulassen Meint er tatsaumlchlich dass Palaumlstina als Ort fuumlr die Staats-gruumlndung Israels lediglich ein zufaumlllig da herumschwimmendes bdquoFloszligldquo war (S 26) und dass Israel vor dem Sechs-Tage-Krieg 1967 bdquokaum in ernster Gefahrldquo (S 219) war Zumindest behauptet er mit Nachdruck dass bdquomanche Judenldquo sich 1948 in Palaumlstina gaumlnzlich zu Unrecht bdquovon der Vernichtungldquo bedroht gefuumlhlt haumltten (S 178) und dass Israel damals bdquoalleinldquo fuumlr die bdquoGewalt verantwortlichldquo gewesen sei (S 234f) Auch hier han-delt es sich um ein Zitat das er aber aus-druumlcklich bejaht

Zudem formuliert Achcar seine Aussa-gen oft als Fragen und negativ wodurch ihre Essenz vernebelt wird bdquoWarum ist es weniger schockierend wenn man er-oberte Voumllker die besetzt entwurzelt und zu Fluumlchtlingen gemacht wurden

mit den Nazis vergleicht als wenn man eine Besatzungsarmee die Gebiete von vier Nachbarlaumlndern erobert hat mit diesem Vergleich belegtldquo (S 223) Man denke sich den Satz im Umkehrschluss bdquoOder was ist uumlber jene Araber zu sa-gen die den Holocaust aus lauter Wut oder einer Art hilfloser Aufschneiderei leugnen um so ihre innere Spannung loszuwerden erzeugt durch einen sbquojuumldi-schen Staatlsquo der sie aus einer uumlberwaumll-tigenden Uumlberlegenheitsposition heraus erdruumlcktldquo (S 262)

Vier Hauptgruppen bei Arabern

Achcars Forschungsgegenstand ist aber nicht die Holocaustleugnung des einen oder anderen Palaumlstinensers sondern bdquoder Araberldquo die es natuumlrlich bdquonicht gibtldquo (S 39) zumindest nicht als Antise-miten wohl aber als Betroffene des Ho-locaust und der juumldischen Immigration nach Palaumlstina (S 11) Die Araber will er in vier politische Hauptstroumlmungen unterteilt wissen Bei deren Aufzaumlhlung fragt man sich unwillkuumlrlich ob die Reihenfolge als Rangordnung gedacht ist 1 Westlich orientierte Liberale 2 Marxisten 3 Nationalisten 4 Reak-tionaumlre undoder fundamentalistische Panislamisten (S 40) Erst sehr viel spaumlter und in einem Nebensatz werden die Marxisten als das bezeichnet was sie

waren eine bdquowinzige Minderheitenstrouml-mungldquo (S 82) Wie selbstverstaumlndlich scheint Achcar davon auszugehen dass Antisemitismus in der ersten Gruppe keine groszlige Rolle spielte Dabei erwaumlhnt er nicht dass beispielsweise Al-Aqqad der zu den groszligen Liberalen zaumlhlt (S 103) und sich kritisch zum Hitlerregime geaumluszligert hatte ein wohlwollendes Vor-wort zu At-Tunisis arabischer Uumlberset-zung der bdquoProtokolle der Weisen von Zionldquo von 1951 geschrieben hat Bil-dung bdquoAufklaumlrungldquo und Antisemitis-mus schlieszligen sich damals wie heute nicht aus

Den flaumlchendeckenden Antisemitis-mus in der arabischen Welt verharmlost Achcar mal als Spannungsventil mal als Antiimperialismus (S 188f) dann als Provokation (S 254) als bloszlige Reaktion (S 255f) und als Bildungsluumlcke (S 247 261) Nassers Antisemitismus tut er als bdquoIgnoranzldquo ab (S 195f) dessen Holo-caustleugnung als ein Versehen (S 207) Ahmad Hussein Gruumlnder und Anfuumlh-rer der Bewegung bdquoJunges Aumlgyptenldquo disqualifiziert sich als ernstzunehmen-der Antisemit laut Achcars Darlegung durch seine politische Sprunghaftigkeit (S 81) Auch Al-Gaylani Premiermi-nister des Koumlnigreichs Irak und gluuml-hender Bewunderer der Nazis wird als Antisemit wider Willen vorgestellt Die bdquoArroganz Londonsldquo sei bdquofuumlr Gaylanis Radikalisierung verantwortlichldquo gewe-sen und somit waumlre er bdquoim eigentlichen

Sinne kein Anhaumlnger Hitlerdeutsch-landsldquo (S 90) Den Relativierungen und Verdrehungen scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein Die Ernennung von Hajj Amin al-Husseini der sich wie kein an-derer Araber aktiv in die bdquoEndloumlsung der Judenfrageldquo eingebracht hat zum Mufti Jerusalems sei fuumlr die zionistische Be-wegung ein bdquounschaumltzbarer Dienstldquo ge-wesen (S 129) Zudem habe er mit der Mobilisierung von 200000 Muslimen fuumlr den bdquoKampf der Achsenmaumlchteldquo und anderen Taumltigkeiten weit weniger erreicht als er sich vorgenommen hatte (S 144) Achcar bringt es fertig umfas-sendes Material uumlber die Machenschaf-ten des Muftis zusammenzutragen und ihn hernach als bdquounbedeutendldquo hinzu-stellen und das bdquoBeduumlrfnisldquo bdquozahlreicher Autorenldquo zu bemaumlngeln bdquoden Mufti (hellip) zu verunglimpfenldquo (S 148) Gleich-zeitig schreibt Achcar ihm aber selbst so viel Einfluss zu dass dieser als bdquoreligi-oumlse Autoritaumltldquo mit seinen Radioreden und seiner eigenwilligen Auslegung des Islam bdquoein jahrhundertealtes Erbe der Koexistenz zunichteldquo gemacht habe (S 150f) Als unbedeutend beschreibt Ach-car auch die zahlreichen deutschen Na-tionalsozialisten die nach 1945 in der arabischen Welt besonders in Aumlgypten ihre politischen Karrieren fortgesetzt haben (S 201)

Uumlberhaupt seien ndash das ist die Kern-these des Buches ndash am arabischen Anti-semitismus vor allem die Juden schuld

Die Araber und der Holocaust

36 7 8 6 uuml

bdquoIm Gegensatz dazu sind die antisemiti-schen Aumluszligerungen die heutzutage aus der arabischen Welt kommen meist kultureller Ruumlckstaumlndigkeit geschuldete Phantastereien in denen sich die tiefe Frustration einer unterdruumlckten Nation aumluszligert Die Verantwortung dafuumlr ist in der Tat der Mehrheit sbquoder Judenlsquo Palaumlsti-nas und spaumlter dem sbquojuumldischen Staatlsquo Is-rael zuzuschreiben den diese begruumlndet habenldquo (S 242)

Was bdquoAntisemitismusldquo versus bdquoAnti-zionismusldquo betrifft unterscheidet Ach-car sogar zwischen der antisemitischen und der antizionistischen (also legiti-mierenden weil bdquonichtrassistischenldquo) Lesart der bdquoProtokolle der Weisen von Zionldquo (S 197f) Nun ist aber die Pro-pagierung einer zionistischen Weltver-schwoumlrung nicht weniger antisemitisch als die einer juumldischen Der Antisemitis-mus von bdquokulturell ruumlckstaumlndigenldquo und bdquounterdruumlcktenldquo Menschen ist nicht weniger moumlrderisch als der von privile-gierten Und Achcar beantwortet nicht die Frage inwiefern antisemitische Propaganda in Algerien den Vereinig-ten Arabischen Emiraten oder bei ara-bischen Migranten in Europa ndash durch alle Bevoumllkerungsschichten hindurch ndash mit Ohnmachtsgefuumlhlen gegenuumlber den Israelis zusammenhaumlngen soll Dabei weiszlig er sehr wohl dass man unterschei-den kann zwischen einem Ressenti-ment das der Feindbildgenese in einem realen Konflikt entspringt und einem

das das Ergebnis gezielter Propaganda ist Obwohl bekanntlich in den arabi-schen nicht den israelischen Schulbuuml-chern offen Hetze betrieben wird legt der Autor die Betonung auf die israeli-sche Verantwortung

Beispiel fuumlr intellektuelle Verweigerung

Achcars Buch ist ungeeignet wenn man sich uumlber den Antisemitismus in der arabischen Welt und das dortige Phaumlnomen der Holocaustleugnung in-formieren moumlchte Es ist ein Beispiel fuumlr intellektuelle Verweigerung gegenuumlber den Gruumlnden fuumlr die eingefahrene Lage auch wenn er die Araber sehr wohl zur Selbstkritik mahnt (S 279) Auf dem Gipfel der Geschmacklosigkeit unter-stellt Achcar dem bdquoMiddle East Media Research Instituteldquo (MEMRI) das in einer Sammlung von Zitaten Kari-katuren und Videos das Ausmaszlig des arabischen Antisemitismus abzubilden versucht bdquoGenugtuungldquo bei der Arbeit Als weitere Beispiele fuumlr bdquoantiarabischeldquo Agitatoren nennt er Meir Litvak und Esther Webman Yehoshafat Harkabi und Matthias Kuumlntzel Sie alle sind Autoren die ganz sicher nicht zu den antiislamischen Polemikern zaumlhlen und hier waumlrmstens empfohlen seien Ein Leser der Harkabi Kuumlntzel und Achcar nebeneinander liest und sich ein biss-

chen bei MEMRI uumlber den alltaumlglichen Wahnsinn des arabischen Antisemitis-mus informiert kann sich selbst ein realistisches Bild machen Neben den Beispielen die hier exemplarisch vor-gestellt wurden finden sich bei Achcar durchaus auch lesenswerte Informati-onen in bekoumlmmlicher professioneller Aufbereitung Aufgrund dieser Zitate und der selektiven Wahrnehmung ist fuumlr mich das Buch einer fairen Beur-teilung des Konflikts abtraumlglichUumlber die Rezensentin Carmen Matussek ist Islamwissenschaftlerin Historikerin und freie Journalistin Sie publiziert und referiert zu den Schwerpunktthemen Is-rael Nahostkonflikt Islamismus Islam und Antisemitismus Ihre Abschlussarbeit hat sie uumlber antijuumldische Verschwoumlrungs-propaganda in den arabischen Medien geschrieben und sie 2012 veroumlffentlicht Kontakt carmenmatussekwebde

Carmen Matussek

Studienzentrum in Muumlnchen

mehr infos unterwwwbucerdemuenchenhtml

glauben amp denken heute 22012 377 8 6 uuml

Warum Gerechtigkeit Timothy Keller

Dr Daniel Facius

Timothy Keller Warum Gerechtigkeit Gottes Groszligzuumlgigkeit soziales Handeln und was ich tun kann Gieszligen Brun-nen-Verlag 2012 201 Seiten ISBN 978-3765511790 1499 Euro

Timothy Keller presbyterianischer Pastor und Professor fuumlr praktische Theologie am Westminster Semina-ry hierzulande vor allem durch sein apologetisches Werk bdquoWarum Gottldquo bekannt hat mit bdquoWarum Gerechtig-keitldquo nunmehr ein Werk vorgelegt das seinem Forschungsschwerpunkt der praktischen Theologie entspringt Der vom Brunnen-Verlag gewaumlhlte Titel ist dabei offenbar dem Versuch geschuldet einen Zusammenhang mit dem Vorgaumlnger herzustellen Der Originaltitel bdquoGenerous Justiceldquo (dt bdquoGroszligzuumlgige Gerechtigkeit Wie Got-tes Gnade uns gerecht machtldquo) trifft

den Inhalt etwas besser Als Zielgruppe nennt Keller (S 10ff) junge Christen mit diakonischem Anliegen skepti-sche Christen die mit dem Thema bdquoGerechtigkeit uumlbenldquo den Verlust ge-sunder Lehre und falsche Schwerpunk-te assoziieren Christen die sich dem Thema bdquoGesellschaftstransformationldquo verschrieben haben (der deutsche He-rausgeber nennt hier Theologen wie Tobias Faix und Johannes Reimer S 174) sowie Anhaumlnger der aggressiven Atheisten die der Meinung sind dass bdquoReligion die Welt vergiftetldquo Diesen Gruppen so Keller fehlt irgendwo der Blick dafuumlr dass die Botschaft der Bi-bel und das Eintreten fuumlr Gerechtigkeit zusammengehoumlren (S 13)

Keller beginnt sinnvollerweise mit einem theoretischen Teil in dem er definiert was bdquoGerechtigkeit uumlbenldquo

bedeutet und sich entsprechende Aus-sagen des Alten und Neuen Testa-ments vornimmt Dabei geraumlt Kellers Ausgangsthese etwas steil Micha 68 lautet bei Keller (in der fuumlr exegetische Feinheiten eher weniger sensiblen hier aber zumeist gebrauchten bdquoHoffnung fuumlr Alleldquo-Uumlbertragung) bdquoHaltet euch an das Recht begegnet anderen mit Guumlteldquo

Dies sehe aus wie zwei verschiedene Dinge bdquoaber sie sind nicht verschiedenldquo (S 24) Das ist durchaus hinterfrag-bar zumal nicht einmal die von Kel-ler angegebene Quelle diese Behaup-tung unterstuumltzt Das hebraumlische jPvm (mishpat) gibt Keller mit bdquoMenschen gerecht bzw fair behandelnldquo (S 25) wieder Dies mag zwar grundsaumltzlich zutreffend sein es ist aber wohl eher eine Aufforderung an die staatlichen

Autoritaumlten Gleichheit vor dem Ge-setz zu gewaumlhrleisten als ein Aufruf an die Gesellschaft zur Armenversorgung Abgeleitet von jpv (shapat) bdquorichten zum Recht verhelfenldquo hat es eindeutig einen justitiellen Hintergrund und be-schreibt das korrekte Verstaumlndnis von Regierung (vgl Theological Wordbook of the Old Testament S 948) ohne dass es auf den Akt der Rechtspre-chung verengt werden darf

Subjekte des Shapat-Handelns sind jedoch Koumlnige oder Richter es voll-zieht sich in dem die Ursache einer Stoumlrung zwischen zwei Gruppen durch einen bdquoRichtendenldquo beseitigt wird (vgl THAT Band 2 Sp 1001) Auch wenn jPvm tatsaumlchlich oft im Verbund mit dsx (chesedh Guumlte) erscheint sollten die verschiedenen Bedeutungsspektren gewahrt werden Wenn Keller bdquoGe-

38 7 8 6 uuml

rechtigkeit uumlbenldquo als bdquoVerteidigung der Menschen mit der geringsten oumlkonomi-schen und gesellschaftlichen Kraftldquo de-finiert (S 26) dann greift das zu kurz gibt aber den Teilaspekt von bdquoGerech-tigkeitldquo wieder um den es Keller nun hauptsaumlchlich gehen wird

Uumlberzeugend gelingt die Gruumlndung von gerechtem Handeln im Wesen Got-tes In der Tat ist es vielsagend dass Gott als bdquoVater der Waisen und Helfer der Witwenldquo (Psalm 686) vorgestellt wird Gerade im Kontrast zu antiken Goumlttern die sich mit Koumlnigen und Priestern und Helden identifizieren wird die Einma-ligkeit Jahwes deutlich der sich zu den Ausgestoszligenen und Machtlosen stellt Grundsaumltzlich richtig ist es auch auf den Gemeinschaftsaspekt von Gerech-tigkeit hinzuweisen der durch das heb-raumlische hqdc (tzedaqah) zum Ausdruck kommt (das sich fuumlr Kellers Argumen-tation besser eignet als jPvm) Werden beide Worte wie es oumlfter geschieht zu-sammen verwendet will Keller dies mit bdquosoziale Gerechtigkeitldquo wiedergeben Hier wird am Beispiel Hiobs erlaumlutert wie ein bdquorechtschaffenesldquo Leben aussieht ndash ein lohnenswerter und herausfordern-der Einblick

Ob aber privates groszligzuumlgiges Geben wirklich als zwingender Bestandteil von bdquoGerechtigkeitldquo qualifiziert werden soll-te Keller ist sich offenbar im Klaren daruumlber dass diese Behauptung sehr weit geht (S 34) tut aber exegetisch we-

nig um sie zu untermauern Dass ein froumlhliches Geben Gott gefaumlllt ist un-bestreitbar Aber ist es wirklich bdquounge-rechtldquo nicht bdquogroszligzuumlgigldquo zu sein Wel-che Eigenbedeutung kommt Begriffen wie Guumlte oder Barmherzigkeit noch zu wenn das was sie beschreiben notwen-diger Bestandteil von bdquoGerechtigkeitldquo ist Eine solche Abgrenzung leistet Kel-ler nicht Am Beispiel Israels im Alten Testament zeigt Keller wie Gott die Gerechtigkeitsfrage in einem theokra-tischen Nationalstaat loumlst Er zeigt auf dass die heutige Anwendung allgemein guumlltiger Prinzipien viel Raum fuumlr Inter-pretationen laumlsst und nicht ohne weite-res in die Form eines bestimmten poli-tischen Systems gegossen werden kann

Bedenkenswert sind auch die Aus-fuumlhrungen zu Ursachen von Armut die Keller teils in der Gesellschaft (Ras-sismus Korruption Wucher) teils in Schicksalsschlaumlgen (Unfaumllle Naturka-tastrophen) und teils in charakterlichen Defiziten (Faulheit Disziplinlosigkeit) verortet (S 47ff) Bei der Betrachtung des Neuen Testaments liegt sein Schwer-punkt auf der Art und Weise wie Jesus den Armen begegnet ndash und wie er priva-te Moral und soziale Gerechtigkeit zu-sammen denkt (S 64) Dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter wird ein eigenes Kapitel gewidmet (S 70ff)

Im zweiten Teil des Buches wird es praktisch Wieso sind Appelle an die Vernunft ja selbst an die Liebe nicht

in der Lage Menschen dauerhaft zu bdquoGerechtenldquo zu machen Dem Dilem-ma einer relativistischen Moderne eine Begruumlndung fuumlr die Notwendigkeit rechtschaffenen Verhaltens zu liefern stellt Keller zwei biblische Grundmoti-vationen gegenuumlber die freudige Ehr-furcht angesichts der Guumlte von Gottes Schoumlpfung und die Erfahrung der Gna-de Gottes in der Erloumlsung (S 85)

Hier kommt es zur Verknuumlpfung von Diakonie und Evangelium die in der Erfahrung Kellers gipfelt dass bdquoMen-schen die das Evangelium der Gnade ergriffen haben und geistlich arm ge-worden sind merken wie es ihre Her-zen zu den materiell Armen zu ziehen beginntldquo (S 101)

Die wuumlnschenswerte Folge bdquoGerech-tigkeit als Lebenselementldquo (S 106) Dies kann sich vielfaumlltig aumluszligern wobei Keller drei Stufen der Hilfe skizziert (S 109) Soforthilfe Hilfe zur Entwicklung und soziale Reformen Waumlhrend Soforthilfe noch grundsaumltzlich von jedem geleis-tet werden kann ist Hilfe zur Selbst-hilfe zeitraubender und komplizierter soziale Reformen durch Einzelne gar nicht umsetzbar Keller wird hier relativ praktisch wenn er etwa den Umgang mit ganzen Problemvierteln beschreibt (S 111ff) oder konkrete Fragen auf-wirft vor denen hilfswillige Gemein-den fruumlher oder spaumlter stehen werden (S 127ff) Wie viel sollten wir helfen Wem sollten wir helfen Unter welchen

Bedingungen Auf welche Weise Hier wird auch die Rolle der Evangelisation erlaumlutert (S 129) wobei Keller davor warnt Diakonie nur als Mittel zu de-ren Zweck zu betrachten Dabei wirbt er durchaus auch fuumlr die Zusammenarbeit mit Anhaumlngern anderer Religionen und Weltanschauungen in bdquounaufdringli-cher Kooperation und respektvoller Provokationldquo (S 145) Hier gluumlckt ein interessantes Kapitel das die Schwaumlchen einer rein saumlkularen Gerechtigkeitskon-zeption entlarvt

Insgesamt gelingt Keller ein starker Beitrag zum Thema bdquoSoziale Gerechtig-keitldquo das der gerade in Deutschland so omnipraumlsenten Debatte um diesen Be-griff wichtige Impulse zu geben vermag auch wenn nicht jedes der zahlreichen aus amerikanischem Kontext stammen-den Beispiele (etwa in Bezug auf die Rassenfrage) hierzulande von gleicher Brisanz ist

Zudem ist das Buch praktisch genug um auch persoumlnlich herausfordernd zu sein Auch wenn nicht jede theoretische Annahme oder jede konkrete Schluss-folgerung vollstaumlndig zu uumlberzeugen vermag ist Kellers Plaumldoyer fuumlr einen ausgewogenen Mittelweg zwischen Ruumlckzug aus der Welt und utopischen Traumlumen von einer erloumlsten Kultur mehr als beachtlich

Dr Daniel Facius

glauben amp denken heute 22012 397 8 6 uuml

Steven Paas Christian Zionism Exa-mined A Review of Ideas on Israel the Church and the Kingdom NuumlrnbergHamburg VTR PublicationsRVB 2012 135 Seiten ISBN 978-3941750869 1499 Euro

Gut ist an diesem Buch dass es genuuml-gend Stoff zu ernsthaften spannenden Diskussionen bietet Steven Paas fordert alle heraus die in der Gruumlndung des Staates Israel von 1948 ein Zeichen der Endzeit und eine Erfuumlllung der bibli-schen Verheiszligungen sehen Somit traumlgt das Buch zur eigenen selbstkritischen Urteilsfindung bei wenn es denn nicht nur von solchen gelesen wird die aus dem theologischen Lager von Steven Paas stammen Denn der Autor legt seiner Studie eine reformiert-konfessio-nelle Hermeneutik zugrunde Er legt die ganze Bibel aus der Sicht des einen Gna-denbundes aus der in Christus zentriert

ist Damit macht Steven Paas gegenuumlber dem Christlichen Zionismus klar dass es zum Beweis der eigenen Bibeltreue nicht nur darauf ankommt Bibelstellen zu zitieren Vielmehr muss jeder auch die von ihm benutzte Hermeneutik of-fen legen welche aufzeigt wie die dispa-raten Aussagen der Bibel in einen groumlszlige-ren Zusammenhang gebracht und erst dadurch auf redliche Weise verstanden werden koumlnnen Mit seiner Verortung in einer reformiert-konfessionellen Dog-matik wird Paas zu einem Opponenten des praumlmilleniaristischen Dispensati-onalismus dem er eine Aufloumlsung des einen Gnadenbundes in zahlreiche bdquodispensationsldquo vorwirft (S 61) Doch mit einer heilsgeschichtlich motivierten Wuumlrdigung des juumldischen Volkes nach dem Holocaust ist der Dispensationalis-mus fuumlr pietistisch-erweckliche Chris-ten derart plausibel geworden dass er fast schon als Synonym zum Begriff

sbquoEvangelikalismuslsquo gebraucht wird Die-se Plausibilitaumlt ist ja nicht unbegruumlndet Und damit kommen wir schon zu ei-ner Schwachstelle der Argumentation von Steven Paas Denn die historischen Ereignisse des Holocausts und der is-raelischen Staatsgruumlndung scheinen die Positionen des Christlichen Zionismus zu bestaumltigen Das muumlssen wir zunaumlchst einmal anerkennen Gerade als Chris-ten die aus Deutschland stammen haben wir schmerzvoll wahrzunehmen dass in der Zeit zwischen 1933 und 1945 keine Kirche Gemeinde christliche Be-wegung oder protestantische Gruppe geschlossen gegen den Nationalsozia-lismus opponiert hat Es waren immer nur Einzelne die die Ungeheuerlichkeit der Judenverfolgung erkannten und kri-tisierten Auch die klassische konfessio-nelle Dogmatik fuumlr die sich Steven Paas starkmacht hat den Holocaust nicht verhindern koumlnnen

Dem Niederlaumlnder Steven Paas der in Afrika lebt mag man verzeihen dass ihn die Ausmaszlige des Holocausts nicht besonders beschaumlftigen Als ein Christ der in Deutschland wohnt frage ich mich allerdings welche theologischen Entwicklungen die nationalsozialisti-sche Judenverfolgung beguumlnstigt haben und inwiefern sie deshalb Fehlentwick-lungen waren Und viele Christen fra-gen sich das Ergebnis dieses Fragens ist beispielsweise dass die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern der ich angehoumlre ihre Verfassung in diesem Jahr um diesen Satz ergaumlnzt hat bdquoDie Kirche ist aus dem biblischen Gottesvolk Israel hervorgegangen und bezeugt mit der Heiligen Schrift dessen bleibende Erwaumlh-lungldquo Der Hinweis auf die bdquobleibende Erwaumlhlungldquo fasst Aussagen des Paulus zusammen (wie Roumlm 111) und wehrt damit die klassische Enterbungstheorie ab wonach das juumldische Volk ndash wie man

Christian Zionism ExaminedSteven Paas

Dr Gerhard Gronauer

40 7 8 6 uuml

fruumlher sagte ndash unter dem Fluch des Got-tesmordes stehe und das Heil komplett auf die heidenchristliche Kirche uumlber-gegangen sei Diese Enterbungstheorie (bei Paas replacement theory) brachte den christlichen Antijudaismus hervor an welchem der moderne Antisemitismus anknuumlpfen konnte

Viele progressive Christen aus dem Umfeld des juumldisch-christlichen Dia-logs die Paas auch unter dem Begriff sbquoChristlicher Zionismuslsquo subsumiert schlieszligen nun aus der bdquobleibenden Er-waumlhlungldquo dass die Juden einen separa-ten Heilsweg haumltten und Jesus Christus nicht mehr braumluchten Das ist fuumlr mich die spannendste Stelle im Buch bdquoChris-tian Zionism Examinedldquo dass Paas sei-nen reformierten Ansatz von der klassi-schen replacement theory unterscheidet auch wenn er mit diesem Versuch bei progressiven Christen nicht durch-kommen wird Denn im Gegensatz zu jenen denkt der Autor nicht gleich an das sbquoheidenchristlichlsquo-antijuumldische Uumlberlegenheitsgefuumlhl der antiken und der mittelalterlichen Kirche bdquoKircheldquo ist fuumlr Paas ein rein innerbiblischer Be-griff den er auf die Urgeschichte im Buch Genesis zuruumlckdatiert und der somit alle Menschen umfasst die dem Gnadenbund Gottes angehoumlren Noah Abraham Israel und die christlichen Gemeinden des Neuen Testaments Im Fortlauf der biblischen Offenba-rung weitet sich der Bund Gottes von

einer Beziehung zu einzelnen Familien (Noah Abraham) uumlber das Volk Israel hin zur ganzen Welt Damit sind wir bei dem bdquouniversalenldquo Charakter der christlichen Botschaft welcher sich im christlich-juumldischen Gespraumlch stets den Vorwurf gefallen lassen muss die Juden zu bdquoenterbenldquo Diesen Vorwurf weist Paas zuruumlck denn mit der Uni-versalitaumlt des Gnadenangebots ist Isra-el keineswegs ausgeschlossen bdquofrom the covenantal salvation promises of Godldquo (S 23) Zu Paaslsquo Abwehr der klassischen replacement theory gehoumlrt auch dass er das traditionelle Diktum praumlzisiert alle biblischen Verheiszligungen seien in Chris-tus erfuumlllt Die Verheiszligungen sind nicht durch das Leben des irdischen Jesus oder mit dessen Auferstehung erfuumlllt sondern werden erst mit dem zweiten Kommen Jesu Christi erfuumlllt sein

Hier lohnt es sich jedenfalls theo-logisch weiterzuarbeiten Und solche Gedanken anzustoszligen gehoumlrt zu den Staumlrken von Paas genauso wie sein Hinweis auf die Uumlberpruumlfung der ei-genen Hermeneutik Auch legt er seine Finger in die Wunden des Christlichen Zionismus indem er dessen argumenta-tive Schwachstellen hervorhebt Die bi-blischen Landverheiszligungen werden im Neuen Testament nicht erwaumlhnt oder gar bestaumltigt der Fortlauf der biblischen Offenbarung laumluft bereits im Alten Testament auf eine Universalisierung und Spiritualisierung der Gottesverhei-

szligungen hinaus keine alttestamentliche Ruumlckkehrverheiszligung deckt sich mit der Gruumlndung des Staates Israel 1948

Gleichermaszligen weist die Studie bdquoChristian Zionism Examinedldquo selbst eine Reihe von Schwachstellen auf so-dass dieses Buch nicht nur Begeisterung ausloumlst Absolut irritierend ist dass Paas den Begriff sbquoChristlicher Zionismuslsquo nur scheinbar klar definiert (bdquoIt is an ideolo-gy of being fascinated in an extraordinary way by ethnic geographic and religious features of post-Biblical Israelldquo S 12) In Wirklichkeit wendet er den Begriff recht unterschiedslos auf alle Christen an die in seinen Augen ein bdquoheterodoxesldquo also wahrheitswidriges Verstaumlndnis von Ju-dentum Israel oder Palaumlstina haben Christliche Zionisten sind dann nicht nur zeitgenoumlssische Freunde des Staates Israel auf der Basis einer bestimmten heilsgeschichtlichen Theologie (so wie ich den Terminus definieren wuumlrde) sondern gleichermaszligen Philosemiten wie Antisemiten friedliche Palaumlstina-Pilger wie grausame Kreuzfahrer Mit dieser Ausdehnung des Begriffs wider-spricht Paas sich faktisch selber setzt er sich doch in seinen dogmatischen Kapi-teln vor allem mit der Heilsgeschichte des Dispensationalismus auseinander Nach Paaslsquo Logik muumlsste dann auch die palaumlstinensische Befreiungstheolo-gie zum Christlichen Zionismus gehouml-ren hat doch auch sie eine Auffassung von bdquoLandldquo und bdquoHeimatldquo die uumlber die

reformiert-orthodoxe Lehre hinausgeht Wenn uumlberhaupt dann nimmt Paas aber die arabischen Voumllker (wie die afri-kanischen) nur als Opfer des westlichen Imperialismus wahr und versteigt sich zu dem unseligen Vergleich dass Zio-nismus bdquoa system of racial favouritism or apartheidldquo (S 118) sei

Und wie bereits erwaumlhnt findet Paas kein Verstaumlndnis dafuumlr dass der Christ-liche Zionismus fuumlr manche Christen nach 1945 ein plausibles theologisches System geworden ist Weil er das nicht verstehen kann vermag er es auch nicht zu erklaumlren und muss deshalb zu dem abgedroschenen Argument des sbquoSchuld-komplexeslsquo greifen (S 118) Gut bleibt an diesem Buch dass es genuumlgend Stoff zu ernsthaften spannenden Diskussio-nen bietet Gerade innerhalb der evan-gelikalen Bewegung Bezeichnend ist dass Paas als Kronzeugen seiner eige-nen Position mehrfach den Rektor der Internationalen Hochschule Liebenzell Prof Dr Volker Gaumlckle zitiert und ihn sogar im Vorwort wuumlrdigt Nun gibt es im Liebenzeller Gemeinschaftsverband einen bdquoArbeitskreis Israelldquo der seiner Internetpraumlsenz nach ein bdquoBewusstsein schaffen (will) fuumlr die heilsgeschicht-liche Bedeutung Israelsldquo Wie gesagt Stoff fuumlr genuumlgend Diskussionen pro und contra Christlicher Zionismus selbst unter Freunden

Dr Gerhard Gronauer

glauben amp denken heute 22012 417 8 6 uuml

Fuumlr Froumlmmigkeit in FreiheitGerhard Lindemann

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Gerhard Lindemann Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit Die Geschichte der Evangeli-schen Allianz im Zeitalter des Liberalis-mus (1846ndash1879) Theologie Forschung und Wissenschaft Bd 24 Muumlnster Lit Verlag 2011 1064 Seiten 978-3825889203 12990 Euro

Seit meiner Dissertation zu Theodor Christlieb von 1985 und der kurz da-rauf erschienenen Arbeit von Hans Hauzenberger hat zwar der metho-distische Forscher Karl-Heinz Vogt zu Christlieb selbst und zum Thema Allianz und Religionsfreiheit einiges Neues beigetragen aber insgesamt fehlten die groszligen Fortschritte in der Forschungsgeschichte zur Allianz in Deutschland seit 25 Jahren ja fuumlr die Zeit vor dem 2 Weltkrieg weltweit Auch zur Fruumlhgeschichte der Welt-

weiten Evangelischen Allianz ist laumln-ger nichts substantiell Neues erforscht worden Und auch zur Geschichte der Religionsfreiheit im 19 Jahrhundert allgemein haben sich die Forscher nicht gerade uumlberschlagen Und nun dieses ausgezeichnete Mammutwerk

Ein groszligformatiges Buch mit 947 Seiten reinem Text mit groszligem Satz-spiegel und kleiner Schrift Die Heidel-berger Habilitationsschrift von 2004 wird dem Ruf das die Deutschen die dicksten aller Buumlcher schreiben ge-recht Bisweilen detailversessen alles minutioumls aus den Akten und zeitgenoumls-sischen Zeitungen belegend wird das Buch dadurch zu der gruumlndlichsten (und besten) Darstellung der Vor- und Fruumlhgeschichte der Evangelischen Al-lianz Die Weltweite Evangelische Al-

lianz vertritt heute 600 Mio Christen weltweit davon nur noch ein Bruchteil deutscher Zunge Schade dass dem groumlszligten Teil dieser Menschen deswe-gen dieser Schatz verborgen bleiben wird denn eine englische Uumlbersetzung dieser Textmenge waumlre zwar dringend erforderlich ist aber leider sehr un-wahrscheinlich

Das Werk behandelt soweit aus den Quellen rekonstruierbar 1 die eigent-liche Geschichte wie Versammlun-gen Kampagnen und internationale Ausbreitung die jeweils in die groszlige Zeitgeschichte eingeordnet werden 2 die Rolle der entscheidenden Persoumln-lichkeiten und 3 die Arbeitsschwer-punkte der Allianz (dabei vor allem Glaubens- und Gewissensfreiheit Ge-betswoche Mission Publikationen)

Wer dabei eine einzelne Thematik verfolgen moumlchte ndash etwa die Geschich-te der internationalen Allianzgebets-woche jeweils zu Beginn des Jahres ndash kann dies uumlber die uumlbersichtliche Gliederung und den Index sehr gut tun Auch wer die Geschichte der Al-lianz bis 1879 in solch unterschied-lichen Laumlndern wie Groszligbritannien Deutschland den skandinavischen Laumlndern Kanada Australien Suumldafri-ka der Tuumlrkei dem Iran Indien oder Japan verfolgen will wird hier fuumlndig Zu vielen Details findet sich hier erst-mals ein Beleg (z B Einsatz der fruumlhen Evangelischen Allianz fuumlr Tierschutz) und selbst zu Christlieb habe ich Neues gefunden dass meine Dissertation er-gaumlnzt (Christlieb und Versoumlhnung mit Frankreich in New York [S 747ndash752]

42 7 8 6 uuml

Christliebs Einsatz gegen Opium-handel [S 856ndash858] Geschichte der Westdeutschen Evangelische Allianz [S 921ndash922]) Lindemann sieht die Allianz gleich zu Beginn als erste orga-nisierte Form der Oumlkumene als einzig wirklich oumlkumenische Organisation die aus der Erweckungsbewegung des 19 Jahrhunderts entsprang (S 15) Er weist nach dass die Allianz selbst in ihren fruumlhen Dokumenten haumlufig das Wort bdquoecumenicalldquo verwendete (S 938 u ouml) bdquoSie schuf ein Klima das die Gruumlndung von Vorgaumlngerorgani-sationen des Oumlkumenischen Rates der Kirchen (OumlRK) ermoumlglichteldquo (S 945) Er kritisiert dass geschichtliche Dar-stellungen der modernen Oumlkumene oft sehr spaumlt einsetzen und sowohl die Allianz als auch einige ihrer fuumlhrenden Vertreter als Vorreiter der Einheit der Christen uumlbergehen (S 21)

Lindemann sieht die Allianz als Teil der transnationalen Froumlmmigkeitsbe-wegung der Erweckungen nach dem Pietismus (S 25) die man nicht ein-fach pauschal als bdquoantiaufklaumlrerischldquo oder bdquoantimodernldquo beurteilen darf (S 25) sondern die etwa in Fragen der Re-ligionsfreiheit oder des Antisklaverei-kampfes (S 28ndash29) auch ihrer Zeit voraus war Gespeist aus Erweckungen in ganz unterschiedlichen Sprach- und Kulturkreisen zeichnete sie sich wie der Pietismus bdquodurch ein weitverzweig-tes Netz internationaler Kontakte und Verbindungen ausldquo (S 33) Ob man die

Gruumlndung oumlkumenischer Strukturen unabhaumlngig von der Allianz wirklich allein auf die bdquozunehmende sbquoFunda-mentalisierunglsquo der Allianz 1880ldquo (S 945) in Form der Ablehnung der Bi-belkritik und der Zuwendung zur Hei-ligungsbewegung zuruumlckfuumlhren kann wie Lindemann ganz am Ende eher beilaumlufig sagt wage ich zu bezweifeln Ich vermute dass eine ebenso gruumlnd-liche Arbeit zur Zeit nach 1880 eben-falls eine andere sbquoAllianzlsquo hervortreten lieszlige wie die Allianz die Lindemann bis 1879 darstellt die ebenso dem gaumln-gigen Klischee nicht entspringt

Doch Lindemann hat Recht wenn er fortfaumlhrt bdquoDoch lebte das Gedan-kengut der Allianz in der Oumlkumene fortldquo (S 946) Uumlberhaupt passen die Schlussworte zur Evangelischen Alli-anz heute die eine gute fruumlhe und eine schlechtere spaumltere und heutige Allianz andeuten nicht so ganz zum Duktus des Buches Aber nach 945 uumlberaus fairen Seiten in der Darstellung der Al-lianz aus den Quellen sollte man diese verhaltene Kritik liebevoll beherzigen zumal die daraus gezogenen Empfeh-lungen schon teilweise umgesetzt wer-den

Insgesamt schreibt Lindemann aus freundlich-kritischer Distanz So kri-tisiert er etwa die groszlige Naumlhe vieler Evangelikaler zum herrschenden Adel in der Zeit der Revolutionen 184849 (S 152ndash158) worin die Evangelikalen sich nicht von den Kirchen ihrer Zeit

unterschieden Haumlufiger hilft er positi-ve Bilder zu differenzieren So bestand etwa schon bei Gruumlndung der Evange-lischen Allianz Einigkeit in der Verur-teilung der Sklaverei ndash der Kampf ge-gen die Sklaverei gehoumlrte unverruumlckbar zur Geschichte der sbquoEvangelicalslsquo aber inwiefern Sklaverei duldende Gruppen und Personen Mitglied werden durften war diesseits und jenseits des Atlanti-schen Ozeans umstritten (S 65ndash72 110ndash129 159) 1846 wurden sie alle ausgeladen spaumlter teilweise zugelassen dann mit der Abschaffung der Sklave-rei in den USA endguumlltig verbannt (S 693) Noch nie wurden diese kompli-zierten Details im Einzelnen belegt

Auch zur Entstehung der Glaubens-basis wird viel neues Material geliefert

bdquoMan verstand sich als eine Verbin-dung von Einzelpersonen und legte in diesem Zusammenhang auf die persoumln-liche Glaubensentscheidung des Ein-zelnen Wert und betonte das Recht auf individuelle Bibellektuumlre Mit diesem Grundaxiom hing auch die scharfe Abgrenzung vom Katholizismus so-wie hochkirchlichen Gruppierungen im Protestantismus zusammen die Sakramente und die Institution Kir-che als objektiv vorgegebene Groumlszligen betrachteten und der Entscheidung des Einzelnen voranstellten Hingegen galt fuumlr die Allianz in ihrer in London ver-abschiedeten sbquoGlaubensbasislsquo die goumltt-lich inspirierte Schrift als sakrosankt deren freie Pruumlfung dem Einzelnen

jedoch zugestanden wurdeldquo (S 205) Spannend ist die Entstehung der ers-ten Glaubensbasis (S 87ndash98) Meines Erachtens haumltte man noch deutlicher darauf hinweisen koumlnnen dass die bei-den ersten Saumltze eine bis heute zentrale Spannung bewirken bdquo1 The Divine Inspiration Authority and Sufficiency of the Holy Scriptures 2 The Right and Duty of Private Judgement in the Interpretation of the Holy Scripturesldquo (S 98)

Einerseits ist dies eine unverruumlckbare Festlegung andererseits ein extremer Pluralismus der jeden Glaumlubigen ver-pflichtet die Grundlage selbst auszu-legen

Exkurs Die Evangelikalen sind durch zwei Paare entgegengesetzter Pole gekennzeichnet und man wird ihnen nicht gerecht wenn man jeweils nur einen der Pole sieht Einerseits ist das die von den Evangelischen ererbte Zentralitaumlt der Heiligen Schrift Andererseits ist es der aus Luthers Frage sbquoWie bekomme ich einen gnauml-digen Gottlsquo hervorgegangene Heilsin-dividualismus Es geht darum dass jeder Mensch seine persoumlnliche Bezie-hung zu Gott hat und daraus ergibt sich als Korrektur zur Zentralitaumlt der Schrift die Berechtigung ja Verpflich-tung jedes Christen die Heilige Schrift selbst zu studieren und auszulegen womit er mit jedem noch so gebildeten evangelikalen Theologen auch seinem

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 437 8 6 uuml

Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit

Pastor gleichauf steht So vereint die evangelikale Welt die dogmatische Enge dank der Bibelfrage mit einer enor-men demokratischen Weite weil jeder theologisch mitreden darf Die zweite Spannung ist die zwischen Mission und Religionsfreiheit Aus der enormen Be-tonung der persoumlnlichen Beziehung zu Jesus entstand sowohl die starke Beto-nung der bdquoZeugnispflichtldquo als auch die starke Betonung der Religionsfreiheit Das Konzept der Freiwilligkeit praumlgte nicht nur die Freikirchen sondern auch den innerkirchlichen Pietismus fuumlr den Glaube nicht nur etwas Aumlu-szligerliches Ererbtes sein duumlrfte sondern etwas persoumlnlich Erfahrenes Dazu aber kann man niemand zwingen ja Zwang macht die Moumlglichkeit zunichte eine wirklich eigenstaumlndige persoumlnliche Um-kehr zu Gott zu vollziehen Also lieber eine kleinere Kirche mit uumlberzeugten Mitgliedern als eine groszlige mit vielen Mitgliedern die nur dank gesellschaftli-chem familiaumlrem oder sonstigem Druck dazugehoumlren

Neubestimmung des Verhaumllt-nisses der Evangelischen Alli-anz zur katholischen Kirche

Lindemann geht auf die antikatholi-schen Tendenzen und Aktivitaumlten in Groszligbritannien ein in denen die Alli-anz zum Teil wurzelt (S 45ndash50) Aller-

dings weist er schluumlssig nach was mein groumlszligtes Aha-Erlebnis beim Lesen des Buches war Es waren kaum die dog-matischen Unterschiede die im Mit-telpunkt standen sondern die Allianz repraumlsentierte mit ihrem Eintreten fuumlr Glaubens- und Gewissensfreiheit ih-rer teilweise radikalen teilweise noch verhaltenen Trennung von Kirche und Staat und ihrer Vorrangstellung der frei-willigen persoumlnlichen Bekehrung ndash was jeden Zwang in der Mission oder reli-gioumlsen Zwang seitens des Staates aus-schloss ndash das komplette Gegenteil zur ultramontanistischen katholischen Kir-che die Religionsfreiheit entschieden verwarf den Staat als Diener der Kirche zumindest in Fragen von Religion und Ethik sah und die oumlrtlichen Katholiken staumlrker denn je an die geistliche aber auch politische Fuumlhrung des Papstes band ndash alles Positionen die die katho-lische Kirche offiziell erst im 2 Vati-kanischen Konzil aufgab aber schon nach den beiden Weltkriegen jeweils immer mehr zuruumlckfahren musste So wie es im bismarckschen Kulturkampf in Deutschland weniger um Glaubens-inhalte als um die Machtfrage und den politischen Einfluss der Kirche(n) ging so stand im Zentrum der Allianz ndash so Lindemann ndash dass der Ultramontanis-mus bdquoals eine Verschwoumlrung gegen die geistige Entwicklung und geistige Frei-heit der Menschheitldquo (S 49) erachtet wurde (S 321ndash337)

Konsequenterweise setzte man sich vom Gruumlndungsjahr an auch fuumlr verfolgte Katholiken in protestantischen Laumln-dern ein und unterstuumltzte antikatholisch orientierte Regierungen nicht in ihrem Tun (S 205) Uumlbrigens wurde 1846 be-wusst bei der Gruumlndung keine Nichtzu-lassung von Katholiken formuliert (S 131) Als sich die Allianz 1858 mit einer Delegation gegen Schweden wandte dessen oberstes Gericht der Koumlnigliche Gerichtshof 6 Frauen die zum Katho-lizismus konvertiert waren des Landes verwiesen hatte und die Allianz Religi-onsfreiheit fuumlr diese Katholiken forder-te gab es europaweit einen Sturm der Entruumlstung auszligerhalb der Allianz (S 295ndash300) Die Allianz war wesentlich daran beteiligt dass der schwedische Reichstag die Strafen fuumlr das Verlassen der lutherischen Staatskirche 1860 ab-schaffte Lindemann schreibt

bdquoDurch ihre Konzentration auf dog-matische und geistliche Elemente un-terschied sich die Allianz von anderen anti-katholischen Gruppierungen Uumlberdies machte das Engagement fuumlr die waadtlaumlndische Freikirche deutlich dass die Vereinigung sich nicht von ei-nem blinden Katholikenhass leiten lieszlig sondern sich auch gegen eine diploma-tische und militaumlrische Unterstuumltzung von Regierungen aussprechen konnte die das Prinzip der Religionsfreiheit nicht achteten auch wenn sie sich mit dem Katholizismus im Konflikt be-

fanden Sir Culling Eardley stellte in diesem Zusammenhang klar dass po-litische Freiheit ohne Religionsfreiheit undenkbar und auch nicht unterstuumlt-zenswert sei ndash nach Auffassung des Lon-doner Allianzkomitees handelte es sich dabei um das sbquoheiligste unter den Men-schenrechtenlsquoldquo (S 205ndash206)

bdquoDie Evangelische Allianz erwies sich bereits in ihrer Gruumlndungsphase keines-wegs als eine rein antikatholische Bewe-gung Vorrangig war das Interesse an einer Einheit unter den Christen waumlh-rend aktuelle Ereignisse und Entwick-lungen eher als ausloumlsende Faktoren fuumlr den Schritt zu dem protestantischen Zu-sammenschluss anzusehen sind Als we-sentliche Ziele galten die Evangelisation der Welt sowie vor allem aus amerika-nischer Perspektive auch der Wunsch durch die grenzuumlberschreitende Zusam-menarbeit zum Frieden unter den Voumll-kern beizutragenldquo (S 205)

Neues zur Geschichte der Religionsfreiheit

Als das herausragende Thema der Alli-anz erweist Lindemann den Einsatz ge-gen Verfolgung aus religioumlsen Gruumlnden und fuumlr die Religionsfreiheit die noch nie so gruumlndlich dargestellt wurde (bes S 141ndash151 205ndash321 592ndash645 773ndash811 858 868ndash913) Besonders inter-essant sind auch die Erkenntnisse zum

44 7 8 6 uuml

Einsatz der Allianz fuumlr die Religions-freiheit die Lindemann aus den Akten des britischen bdquoForeign Officeldquo gewann

Am staumlrksten stand in den Jahren 1849 bis 1858 der Einsatz fuumlr aus religioumlsen Gruumlnden Verfolgte im Mittelpunkt (S 207) da die Allianz sich zunutze mach-te dass Auszligenpolitik Thema der Presse und der entstehenden Parlamente wur-de (S 207)

Waumlhlen wir als Beispiel den Einsatz fuumlr den vom Katholizismus zum Protes-tantismus konvertierten Italiener Signor Giacinto Achilli (1803ndash1893) der des-wegen lebenslaumlnglich von der roumlmischen Inquisition inhaftiert war und der in einem fast einjaumlhrigen diplomatischen Tauziehen unter Beteiligung des briti-schen und franzoumlsischen Auszligenminis-ters der Medien der eigenen Zeitung und zahlreicher Delegationen schlieszlig-lich durch einen Trick von den Franzo-sen aus Rom befreit und nach England uumlberstellt wurde (S 208ndash223)

Vorgaumlnge wie diese stellt Lindemann wiederholt minutioumls dar Sie wurden wenn sie uumlberhaupt bekannt waren bis-her noch nie in ihren einzelnen Schrit-ten nachvollzogen und belegen wie gut organisiert mit Regierungen und Medi-en vernetzt und ihrer Zeit voraus dieser Aspekt der Evangelischen Allianz war Lindemann schreibt

bdquoBei ihrem Einsatz fuumlr aus Glaubens-gruumlnden Benachteiligte profitierte die Allianz eindeutig von der zunehmenden

Pluralisierung vor allem der britischen Gesellschaft und der Entstehung einer breiteren Medienoumlffentlichkeit die die Einflussnahme von sbquoPressure Groupslsquo auf auszligenpolitische Entscheidungspro-zesse zulieszlig Man merkte bald dass in bestimmten Faumlllen das gemeinsame Agieren uumlber Laumlndergrenzen hinweg noch Erfolg versprechender zu sein schien und wie zum Beispiel erstmals im Fall des Italieners Achilli zu einem gemeinsamen Handeln von Regierun-gen fuumlhren konnte Zugleich konnte der Verweis auf die englische oumlffentliche Meinung Staaten von Repressionen auf Andersglaumlubige abhalten sie beenden oder zumindest abmildern Nicht nur durch den Gebrauch neuer Methoden in diesem Engagement hatte die Evan-gelische Allianz an einem Modernisie-rungsprozess des Protestantismus im 19 Jahrhundert einen Anteilldquo (S 943)

Die Britische Allianz erreichte etwa durch eine Denkschrift an den preu-szligischen Koumlnig gegen die Baptistenver-folung dass der aus Berlin vertriebene Fuumlhrer der Baptisten Johann Gerhard Oncken nach Berlin zuruumlckkehren konnte (S 235ndash237) Mit Schreiben der britischen Koumlnigin und des preuszligischen Koumlnigs setzte man 1852 dem toskani-schen Groszligherzog Leopold II in einer Audienz wegen der Inhaftierung eines Ehepaars namens Madiai zu bdquoDie De-putation stieszlig europaweit auf eine star-ke Resonanzldquo (S 254) Und selbst der

gestrenge Lutheraner Ernst-Wilhelm Hengstenberg wahrhaftig kein Freund der Allianz ruumlhmte das Vorgehen denn es habe den katholischen Vorwurf die Protestanten seien hoffnungslos zerspal-ten widerlegt Hier habe man mit einer Stimme gesprochen (S 254) Die Sache weitete sich bis in die USA aus andere italienische Fuumlrsten wurden ebenso ak-tiv wie der franzoumlsische Kaiser bis das Ehepaar Madiai schlieszliglich nach einem Jahr 1853 freigelassen wurde Besonders deutlich wird wie eng der Gedanke ei-ner Oumlkumene der Protestanten mit der Religionsfreiheit verbunden war Ge-meinsamkeit macht stark

Wie konfessionell groszligzuumlgig man war zeigt sich auch darin dass man sich beim Sultan nicht nur fuumlr Konvertiten vom Islam zum Protestantismus ein-setzte sondern auch fuumlr die griechisch-orthodoxe Kirche (S 300) Im Iran setzte man sich fuumlr Nestorianer ein (S 610ndash613) Nach der Hinrichtung eines Konvertiten 1853 aktivierte die Allianz in Zusammenarbeit mit der Tuumlrkischen Allianz ihre Kontakte in zahlreichen eu-ropaumlischen Regierungen bis schlieszliglich 1856 Sultan Abduumllmecid I ndash sicher in Zusammenhang mit der komplizier-ten Politik zwischen dem Osmaischen Reich und den Westmaumlchten ndash in einem Edikt den Protestanten groumlszligere Freihei-ten zugestand und die Todesstrafe fuumlr Konversion abschaffte (S 300ndash319) 1874ndash1875 fuumlhrte eine weitere groszlige Kampagne eine Allianzdelegation bis

zum tuumlrkischen Auszligenminister Dip-lomaten sogar bis zum Sultan deren Auswirkungen aber umstritten sind (S 879ndash902) Lindemann schreibt dass fuumlr die Niederschlagung der Prozesse gegen Pastoren im Baltikum durch den Za-ren bdquoder Londoner Vorstoszlig der Allianz verantwortlich gewesenldquo sei (S 800) Das Verwirrspiel um den Versuch eines Treffens mit dem Zaren der schlieszliglich seinen Auszligenminister vorschickte wird bei Lindemann aufgeloumlst (S 779ndash800)

Auch die Audienzen die die Allianz beim preuszligischen Koumlnig erhielt etwa 1855 in Koumlln oder 1857 im Rahmen der Berliner Allianzkonferenz bei Fried-rich Wilhelm IV (S 286f) drehten sich immer um die Religionsfreiheit in Deutschland Dasselbe gilt fuumlr Gesprauml-che des Allianzsekretaumlrs die er mit dem deutschen Kaiser Wilhelm I und dem Reichskanzler Otto v Bismarck 1875 fuumlhrte (S 919) Eine Allianzdeputation bei Kaiser Franz Joseph I in der Hof-burg und anschlieszligende Gespraumlche beim Ministerpraumlsidenten und beim Kultusminister im Jahr 1879 fuumlhrten zu spuumlrbaren Erleichterungen fuumlr Pro-testanten 1880 sogar zu deren rechtli-cher Anerkennung als Kirchen sowie fast nebenbei zu Erleichterungen fuumlr die Freikirchen in Wien (S 913)

Dasselbe gilt auch fuumlr den Besuch der gesamten Teilnehmerschaft der New Yorker Konferenz beim amerikani-schen Praumlsidenten Ulysses S Grant und seinem Kabinett 1873 (S 755ndash756)

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 457 8 6 uuml

nur dass die amerikanische Regierung nicht mehr von der Religionsfreiheit uumlberzeugt werden musste Man be-denke dass das alles zu einer Zeit ge-schah als die angestammten Kirchen alle noch weit davon entfernt waren ihren Staatskirchenstatus aufzugeben geschweige denn Religionsfreiheit fuumlr alle zu gestatten oder sie gar selbst zu fordern Wenn Religionsfreiheit damals gefordert wurde dann meist von Juden religioumlsen Minderheiten und Atheisten nicht aber von sehr religioumlsen Vertretern der vorherrschenden Religion Welchen Beitrag die Evangelische Allianz zur Re-ligionsfreiheit in Deutschland geleistet hat ist bisher noch nirgends gewuumlrdigt worden

Grundsaumltzliches

Die Homburger Konferenz fuumlr Religi-onsfreiheit von 1853 war ein Meilen-stein der Allianzgeschichte und der To-leranz in Deutschland und Europa (S 263ndash267) Zentrales Ergebnis war die Ablehnung jeder kirchlichen Gewalt gegen Separatisten und die Ablehnung jeglicher Inanspruchnahme staatlicher Gewalt durch Kirchen gegen andere (S 266) ndash ein Meilenstein der Entwicklung des Rechtes auf Religionsfreiheit Dies galt zudem bewusst nicht nur fuumlr Chris-ten sondern fuumlr alle Religionen was na-tuumlrlich zu internen Kontroversen und zu scharfer Kritik seitens protestantischer

Staatskirchen fuumlhrte (S 267ndash272) ohne dass die Allianz deswegen von dem Grundsatz abruumlckte

1861 stellt ein franzoumlsischer Pastor erstmals eine ganz neue These auf die sich mehr und mehr in der Allianz durchsetze dass naumlmlich bdquodie Religi-onsfreiheit staatliche Ordnung und den ihr innewohnenden Frieden garantiertldquo (S 592) Unterdruumlckung der individuel-len Religionsfreiheit dagegen Revoluti-on und Unfrieden naumlhre und dem Staat seine gottgegebene Grundlage entziehe

Interessanterweise bestaumltigt eine in-ternationale wissenschaftliche Unter-suchung genau dies Religionsfreiheit foumlrdert eine friedliche Gesellschaft deren Unterdruumlckung foumlrdert Unruhe und Gewalt und praktisch alle religioumls gefaumlrbten terroristischen Bewegungen der Welt kommen aus solchen Laumlndern [Brian J Grim Roger Finke The Price of Freedom Denied Religious Persecu-tion and Conflict in the Twenty-First Century Cambridge Cambridge Uni-versity Press 2010 und meinen Kom-mentar dazu unter httpwwwthomas-schirrmacherinfoarchives1792]

Lindemann schreibt bdquoMit ihrem Engagement fuumlr die Reli-gionsfreiheit leistete die Allianz deren angloamerikanischer Fluumlgel sich nicht mit bloszliger Toleranz zufriedengab sondern das oumlffentliche Bekennen des Glaubens als ein Grundrecht ansah auch der Durchsetzung der buumlrgerli-chen Freiheiten in den betreffenden

Laumlndern einen bemerkenswerten Dienst und trug zur Entstehung einer europauml-ischen Zivilgesellschaft nicht unwesent-lich bei Allerdings kam es in diesem Bereich auch zu Konflikten mit der britischen Regierung die im Blick auf Indien vorrangig an der Beherrschbar-keit des Landes interessiert war und im Falle des Osmanischen Staats insbeson-dere von globalstrategischen sowie von oumlkonomischen und Handelsinteressen geleitet war Letztere begannen seit der Mitte des 19 Jahrhunderts die britische Auszligenpolitik verstaumlrkt zu beeinflussen Zudem laumlsst sich auf der Regierungsseite eine deutliche Zuruumlckhaltung gegenuumlber dem evangelikalen Missionsverstaumlndnis nachweisen Das Gesamtengagement der Allianz erwies sich hingegen durch die Erweiterung seiner Bezugspunkte und -orte bis hin nach Russland und Japan als kongruent zur globalen Dau-erpraumlsenz Groszligbritanniens Im Un-terschied zur britischen Auszligenpolitik mischte man sich jedoch immer wieder auch in europaumlische Religionskonflikte ein waumlhrend man mit Ausnahme der italienischen Einigung hinsichtlich poli-tischer Spannungen wie den seit 1864 von Preuszligen gefuumlhrten Kriegen analog zur Haltung der britischen Regierung Zuruumlckhaltung uumlbte oder sie gar wie im Falle des polnischen Aufstandes von 186364 der keineswegs frei von reli-gioumlsen Komponenten war ignorierteldquo (S 943)

Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit

46 7 8 6 uuml

Witness of the bodyMichael L Budde amp Karen Scott (Hrsg)

Wolfgang Haumlde

Michael L Budde amp Karen Scott (Hrsg) Witness of the body The past present and future of Christian martyrdom Grand Rapids MI Eerdmans (The Eerdmans Ekklesia series) 2011 238 Seiten ISBN 978-0802862587 1799 Euro

Klar wird die Absicht dieser Samm-lung von Aufsaumltzen im Vorwort defi-niert naumlmlich bdquodas Maumlrtyrertum an einen zentraleren Ort im Selbstver-staumlndnis der Kirche zuruumlckzubringenldquo (S vii) sowie das Maumlrtyrertum nicht nur bdquoals ein Objekt von Faszination und Grauenldquo zu sehen sondern ihm bdquowieder seinen Platz in der taumlglichen Praxis der Kircheldquo (S viii) zu geben Ich kann diese Ziele von ganzem Her-zen bejahen

Geschrieben ist das Buch fuumlr eine westliche Leserschaft der der Gedan-ke an Martyrium zum groumlszligten Teil fremd ist Leider fehlen Autoren die in der Mehrheitswelt leben Sie haumlt-

ten aus ihrer anderen Perspektive zu-saumltzliche Einsichten beitragen koumlnnen Auszligerdem wird konfessionelle Breite von Meinungen zwar postuliert (bdquoGe-lehrte von jenseits der konfessionellen Scheiden der Christenheitldquo S ix) aber nach dem was ich uumlber den Hinter-grund der Autoren feststellen konnte nicht wirklich erreicht denn die groszlige Mehrheit der Verfasser wird von US-amerikanischen Katholiken gestellt

Nicht alle Artikel scheinen die glei-che Relevanz fuumlr das Thema zu haben Ich frage mich zum Beispiel ob der Ar-tikel bdquoDas Gerichtsurteil der Eucharis-tie im Prozess gegen Jean d Arcldquo (Ann W Astell S 82ndash106) von groumlszligerer Be-deutung dafuumlr ist dem Maumlrtyrertum den ihm angemessenen Platz in der heutigen Kirche zuruumlckzugeben

Es ist eine Staumlrke dieser Aufsatz-sammlung nicht nur die Maumlrtyrer der Fruumlhen Kirche zu behandeln sondern z B im Teil III (bdquoMaumlrtyrertum zerstoumlrt

die Kircheldquo) auch auf die Verfolgung von Christen durch Christen beson-ders im Zeitalter von Reformation und Gegenreformation einzugehen Brad S Gregory (bdquoVerfolgung oder Straf-verfolgung Maumlrtyrer oder Pseudomaumlr-tyrer Die Zeit der Reformation Ge-schichte und theologisches Nachden-kenldquo S 107ndash124) kritisiert zu Recht dass es von einem Standpunkt im 21 Jahrhundert mit seiner Konzentration auf die Menschenrechte allzu leicht sei die Strafverfolgung mutmaszliglicher Hauml-retiker im 16 Jahrhundert anzupran-gern ohne die Grundvoraussetzungen jener Zeit wirklich verstanden zu ha-ben Allerdings empfand ich in diesem Artikel manchmal zu viel Verstaumlndnis fuumlr die Verfolger Unter den elf Arti-keln uumlber Maumlrtyrertum ragen fuumlr mich zwei als Houmlhepunkte heraus Der Ar-tikel von Stephen Fowl Theologiepro-fessor am Loyola-College in Maryland bdquoDer Vorrang des Zeugnisses des Lei-

bes vor dem Maumlrtyrertum bei Paulusldquo (S 43ndash60) liefert das Stichwort fuumlr den Titel des ganzen Buches Fowl ist ein Vertreter der Schule der bdquotheologischen Auslegung der Schriftldquo Er versucht m E erfolgreich das Maumlrtyrertum in den breiteren Zusammenhang von Roumlmer 121ndash2 zu stellen wo Christen dazu aufgerufen werden ihre bdquoLeiber als ein lebendiges Opfer hinzugebenldquo Jeder Christusglaumlubige ist also zum bdquoZeugnis des Leibesldquo aufgerufen Dieses Zeugnis ist die Hingabe unseres ganzen Seins fuumlr Gottes Willen und Gottes Ehre Diese Hingabe mag zum Maumlrtyrer-tum fuumlhren oder auch nicht bdquoGlaumlubige koumlnnen und sollten immer am Zeugnis des Leibes teilhaben Ob die Autoritauml-ten sie dafuumlr toumlten werden oder nicht liegt weitgehend nicht in ihrer Handldquo (S 44) Der zweite Houmlhepunkt ist fuumlr mich bdquoLohnt es sich fuumlr irgendetwas zu sterben Maumlrtyrertum Exterioritaumlt und Politik nach dem bloszligen Lebenldquo

glauben amp denken heute 22012 477 8 6 uuml

(S 171ndash189) von D Stephen Long Theologieprofessor an der Marquette-Universitaumlt und Geoffrey Holdsclaw

Die Autoren stellen fest dass die west-lichen saumlkularen Gesellschaften aus ih-rer politischen Philosophie alle Ziele eli-miniert haben die houmlher als das Leben sind Es herrscht die Angst dass dann wenn man bdquoPolitik in irgendeinem tran-szendenten Zielldquo begruumlnden wuumlrde eine bdquomilitaristische Gesellschaft erzeugtldquo wuumlrde (S 171) Als Ergebnis dieser Sor-ge ist bdquohellip die einzige rationale dogma-tische Position von der politisches Den-ken seinen Ausgang nehmen sollte die Bewahrung des Lebensldquo (S 173)

Sehr tiefgehend zeigt der Aufsatz wie eine neue Hingabe an lehrmaumlszligige Wahr-heit d h daran Gottes Willen houmlher zu setzen als unser Leben die Grundlage unserer gegenwaumlrtigen politischen Phi-losophie in Frage stellen wuumlrde und da-her als Bedrohung aufgefasst wird

Deutlicher haumltten die Verfasser ma-chen muumlssen dass die Frage bdquoWofuumlr lohnt es sich zu sterbenldquo nicht unwei-gerlich zur Frage bdquoWofuumlr lohnt es sich zu toumltenldquo fuumlhrt (S 171) und dass es zwar eine Gemeinsamkeit zwischen radikalen Muslimen und hingegebenen Christen ist lehrmaumlszligige Wahrheit uumlber das Le-ben zu setzen dass es aber entscheiden-de Unterschiede darin gibt worin die jeweiligen Wahrheiten bestehen

Witness of the body Werbung

Pro Mundis

Geistliche Impulse

Theologische Akzente

Ergaumlnzungen zur Ethik

Philosophische Anstoumlszlige

und vieles mehr

wwwbucerde

Besuchen Sie einmal unsere Internetseite Das Martin Bucer Seminar bietet im Internet unter dem Hauptmenuuml bdquoRessourcenldquo eine Vielzahl von kostenlosen Materialien zum Herunterladen an Diese koumlnnen die per-soumlnliche Weiterbildung sehr bereichern und auch geistliche Impulse geben So finden Sie unter anderem die Zeittafel uumlber Zwingli und Bucer von Gerhard Gronauer (MBS Text 86) oder den Beitrag bdquoDie Hinwendung Oumlster-reichs zum Christentumldquo von Frank Hinkel-mann (MBS Text 87) Es erwarten Sie viele andere interessante und bibliografisch ver-wertbare Aufsaumltze in den Reihen Geistliche Impulse Theologische Akzente Pro Mundis und Ergaumlnzungen zur Ethik Reformiertes Fo-rum und Hope for Europe

Im Bereich Bonner Querschnitte den Sie auch unter dem Hauptmenuuml bdquoRessourcenldquo finden ist zudem ein Archiv der Pressein-formationen des Seminars und der mit ihm verbundenen Institute untergebracht

MARTIN BUCER SEMINAR onlineMBS-Texte

48 7 8 6 uuml

Falling wallsndash the year 198990 Einstuumlrzende Mauern ndash das Jahr 198990Klaus Koschorke

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Klaus Koschorke Falling walls ndash the year 198990 as a turning point in the histo-ry of world Christianity Einstuumlrzende Mauern ndash das Jahr 198990 als Epo-chenjahr in der Geschichte des Weltchris-tentums (Studien zur auszligereuropaumlischen Christentumsgeschichte 15) Wiesbaden Harrassowitz Verlag 2009 451 Seiten ISBN 978-3-447-05995-4 5400 Euro

Dass sbquodie Wendelsquo 198990 also der Fall der Berliner Mauer die Aufloumlsung des Sowjetimperiums das Ende der bipo-laren Weltordnung und das Ende der Apartheid in Suumldafrika auf allen Kon-tinenten tiefgreifende politische oder wirtschaftliche Folgen hatte ist unbe-stritten Doch wie sah die Rolle der Christenheit dabei aus und welche Fol-gen hatte sie fuumlr die Weltchristenheit Dass Christen und Kirchen in die Vor-

bereitung der Wende in Deutschland in-volviert waren ist gruumlndlich untersucht Bei der Welle der Demokratisierungen 1989ndash1993 spielten Kirchen eine fuumlh-rende Rolle (in Rumaumlnien etwa begann die Revolution mit dem Widerstand ge-gen die politisch motivierte Zwangsver-setzung des reformierten Pfarrers Laacuteszlo Toumlkes in Timisoara S 64) die Zahl der fuumlhrenden christlichen Persoumlnlichkeiten in der Politik nahm stark zu Zur Fra-ge nach der Weltchristenheit gehoumlrt in diesem Zusammenhang aber auch die Darstellung der neuen Religionsfreiheit in vielen Laumlndern und die Abloumlsung des Kommunismus als Hauptbeschraumlnker der Religionsfreiheit durch den Islam wobei es in islamischen ebenso wie in anderen Laumlndern haumlufig zu einer neuen gefaumlhrlichen Allianz von Religion und Nationalismus kam

Die 4 Internationale Muumlnchen-Frei-sing-Konferenz 2008 fuumlhrte zu diesem Zweck Forscher aus vier Kontinenten zahlreichen Fachrichtungen und Kon-fessionen zusammen Die 23 deutschen oder englischen Forschungsbeitraumlge (plus Einfuumlhrung durch den Heraus-geber und Zusammenfassung durch einen Konferenzbeobachter) die fast ausnahmslos regionale nationale und dabei oft konfessionelle Schwerpunkte setzen stellen derzeit die umfassendste Darstellung zum Thema dar Ihr Ni-veau ist uumlberwiegend sehr hoch meist mit einer Fuumllle von in deutschen Bib-liotheken schwer zugaumlnglichen Quel-len belegt Es gibt Ausnahmen so ist ausgerechnet der Beitrag zu Suumldafrika nur eine vierseitige Zusammenfassung (S 89ff) Etliche Beitraumlge leiden in ihrer Wissenschaftlichkeit unter der konfessi-

onellen Einseitigkeit der Autoren Es ist natuumlrlich unmoumlglich hier zu jedem der Beitraumlge einige Saumltze zu schreiben Fuumlr den Leser der wissen will ob seine Regi-on oder Thematik behandelt wird seien grob die Themen aufgelistet DDR Po-len Rumaumlnien Osteuropa Suumldafrika Aumlthiopien Afrika Suumldkorea China Vietnam Kuba Zentralamerika Ar-gentinienUruruguayChile Brasilien Lateinamerika USA allgemein Fun-damentalismus Befreiungstheologie Pfingstbewegung Lutherische Kirchen

Bedauerlich ist dass nicht alle Autoren das gesamte konfessionelle Spektrum ab-decken So mag man ja noch verstehen dass zu Polen der Protestantismus nicht dargestellt wird dass er zu China fehlt ist unverstaumlndlich so lesenswert der Bei-trag von Roman Malek ist Uumlberhaupt lassen die meisten katholischen Autoren

glauben amp denken heute 22012 497 8 6 uuml

andere Konfessionen uumlberwiegend links liegen waumlhrend die protestantischen Autoren die nichtprotestantischen Kir-chen wenigstens mit darstellen wenn auch selten angemessen Angesichts der Gesamtthematik des Buches ist die kon-fessionelle und theologische Einseitig-keit etlicher Einzelbeitraumlge erstaunlich Evangelikale und Pfingstler immerhin ein Drittel der Weltchristenheit erschei-nen uumlberwiegend als negative Klischees auch wenn die Spannbreite der Darstel-lungen von billiger Polemik bis hin zu gut belegten Fehlentwicklungen reicht Manche Kritik ist berechtigt ndash wenn auch oft weniger Ergebnis belegter For-schung als einfach Meinung des jeweili-gen Autors etwa dass in den charisma-tischen Bewegungen bdquoChristianity as a Shopping Mallldquo etabliert wurde (James R Cochrane S 109ndash110) oder pfingst-liche Politiker in Brasilien sich bdquonicht als kompetenter oder ethisch verlaumlsslicher erwiesen als andereldquo (Rudolf von Sinner S 330) Wenn auch nichtamerikanische Evangelikale vieles kritisch sehen was im evangelikalen Bereich in den USA geschieht so helfen Sammeltoumlpfe wie die bdquoRechtsevangelikalen Neofunda-mentalisten und Pfingstsektenldquo (S 21) bei der Aufarbeitung sicher nicht

Manchmal schlaumlgt eine westliche theologisch liberale Sichtweise verzer-rend durch etwa wenn es heiszligt dass konservative Anglikaner versuchten die afrikanischen Kirchen fuumlr ihre Zwecke

einzuspannen (S 17) Den Neuauf-bruch groszliger anglikanischer Kirchen in Afrika als amerikanisch zu erklaumlren ist schlicht falsch offenbart aber auch einen Patriarchalismus der der Realitaumlt nicht gerecht wird Es sind umgekehrt stark wachsende afrikanische anglika-nische Nationalkirchen wie in Uganda die den kleinen konservativen Fluumlgel der Anglikaner in den USA zum Wider-stand anstiften

Anselm K Min (S 195ndash214) schreibt den koreanischen Kirchen aller Konfes-sionen zwar berechtigte und gewichtige Anfragen ins Stammbuch ndash wenn auch von den USA aus ndash seine Leistung als Historiker ist aber schwach seine Kritik an allem was rechts von ihm steht ist heftig aber nicht belegt Er wird der Di-versitaumlt des konservativen Protestantis-mus und der evangelikalen Bewegung nicht gerecht und spiegelt eher seine eige-ne theologische Position als eine wissen-schaftliche Erforschung der Kirchenge-schichte wider Die stabilisierende Rolle nicht aller aber vieler evangelikaler Gruppen fuumlr die koreanische Demokra-tie und die vergleichsweise positive Rol-le eines evangelikalen Praumlsidenten wird gar nicht erwaumlhnt Typisch klischeehaft wird der Fundamentalismus mit Anti-Intellektualismus und dogmatischer Intoleranz gleichgesetzt (S 210) ndash das haben die groszligen reformierten Hoch-schulen Koreas sicher nicht alle verdient Und wer im wissenschaftlichen Kontext

von bdquoFundamentalismusldquo spricht moumlge bitte angesichts der ungezaumlhlten Defini-tionen und den meist emotionalen oder gar vernichtenden Bedeutungen erst einmal sagen was er eigentlich darunter versteht Das uumlberschwaumlngliche Lob des koreanischen Katholizismus im Gegen-satz zum Protestantismus der korrupt materialistisch individualistisch und der koreanischen Kultur nicht angepasst sei (S 212) wirkt in seiner schwarz-wei-szligen Pauschalisierung trotz des gewissen Wahrheitskerns fast schon komisch

Die groszlige Ausnahme ist hier ndash wie nicht anders aufgrund seiner Buumlcher zu erwarten ndash der unbedingt lesenswerte Beitrag von Michael Hochgeschwender zu den USA (S 351ndash371) eigentlich fuumlr das Thema bdquoEvangelikaleldquo ja das schwie-rigste Land Doch Hochgeschwender schreibt informiert belegt differenziert bei allen Vor- und Nachteile sehend uumlber alle Konfessionen und Richtungen gleichermaszligen fair Hochgeschwen-der sieht generell den Schwerpunkt der enormen Religiositaumlt und Spiritualitaumlt in den USA darin dass sie bdquomit einer radikalen Konsequenz die weltweit ih-resgleichen sucht zur Ware umfunktio-niertldquo (S 368) wurde und wird

Am anderen Ende des Spektrums zu Hochgeschwender steht der britische Theologe Kevin Ward der eigentlich bdquoPluralism and fundamentalism as challenges for the African Churchesldquo (S 157ndash176) aber uumlberwiegend nur die

Spaltung der anglikanischen Weltge-meinschaft darstellt das Thema seiner Uumlberschrift also verfehlt hat nicht nur weil er nirgends definiert was die bei-den Begriffe seines Themas eigentlich bedeuten sondern eigentlich immer nur zwei Lager beschreibt die man dann wohl den beiden Themen zuordnen soll was der enormen Vielfalt der afrikani-schen Christenheit kaum gerecht wird Auf welcher Seite Ward selbst steht zeigt seine Verteidigung der Forderung von Erzbischof Williams die Scharia in Teilen Groszligbritanniens zuzulassen Kommt die Kritik daran wirklich nur von Konservativen die sich nicht mit der Realitaumlt der multikulturellen Gesell-schaft abfinden wollen (S 173) Wards Kritik an der Kritik der nigerianischen Bischoumlfe an Williams geht voumlllig daran vorbei dass die Frage der Guumlltigkeit der Scharia fuumlr die anglikanische Kirche in Nigeria keine akademische sondern eine existentielle Frage ist kein den theologischen Stroumlmungen rechts oder links zuzuordnendes Thema

Sehr interessant sind die Beitraumlge die die Folgen der bdquoWendeldquo fuumlr die Befrei-ungstheologie und den Weltkirchenrat diskutieren Sergo Silva (S 335ndash350) haumllt die These die Befreiungstheologie habe ohne real existierende sozialistische Laumlnder stark an Bedeutung verloren fuumlr grundfalsch Seine Argumente sind aber fast ausschlieszliglich theologisch (sie ist weiter berechtigt und noumltig) nicht his-

Falling wallsndash the year 198990

50 7 8 6 uuml

torisch oder soziologisch (Auch hier ist uumlbrigens bedauerlich dass Evangelikale wie Rene Padilla oder Samuel Escobar und ihre juumlngeren Nachfolger uumlberhaupt nicht in den Blick kommen) Die Base-ler Missionswissenschaftlerin Christine Lienemann-Perrin (S 373ndash392) vertritt die entgegengesetzte These ndash und dies gut belegt ndash vor allem am Beispiel Ko-reas Suumldafrikas und Lateinamerikas Sie geht davon aus dass die groszligen be-freiungstheologischen Entwuumlrfe durch kontextuelle lokale Entwuumlrfe abgeloumlst wurden

Viggo Mortensen (S 429ndash441) be-schreibt ausgehend von den lutherischen Kirchen die tiefgreifende Veraumlnderung innerhalb der oumlkumenischen Bewegung nach 1989 Denn bdquoinnerhalb der oumlku-menischen Bewegung hingen viele am sozialistischen Traumldquo (S 440) Dieser sei laumlngst ausgetraumlumt (aumlhnlich Hart-mut Lehmann S 446)

Die Entwicklung ginge von der Be-tonung der sichtbaren Einheit hin zur versoumlhnten Vielfalt vom Konsens (fast um jeden Preis) hin zum sichtbaren Pro-fil und Bekenntnis Dass die Veraumlnde-rungen auch den Dauerstreit zwischen Evangelikalen und Weltkirchenrat be-endet haben und es heute eine gute Zu-sammenarbeit mit der weltweiten Evan-gelischen Allianz in vielen Fragen gibt wird nicht erwaumlhnt auch wenn dies ge-nau die These des Autors unterstreicht Kritisch angemerkt sei noch dass die in

der Einfuumlhrung gut angesprochene Fra-ge der Religionsfreiheit die durch die sbquoWendelsquo ein ganz neues Thema wurde aber sich auch international ganz an-ders ohne den kommunistischen Block darstellt (etwa durch die zunehmende Verquickung von Religion und Natio-nalismus ndash darunter auch Beispiele eines christlichen Nationalismus) im Buch fast voumlllig fehlt

Dabei haumltte das Thema mindestens ei-nen eigenen Beitrag verdient gehabt und haumltte alle anderen Beitraumlge durchziehen muumlssen Denn die praktische Lage der Religionsfreiheit weltweit als auch der internationale theoretische Diskurs zum Thema hat sich in den letzten drei Jahrzehnten von der sbquoWendelsquo ausgehend grundlegend gewandelt und christliche Kirchen sind unmittelbar von beidem uumlberall betroffen

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher Werbung

glauben amp denken heute ist eine Zeitschrift fuumlr Freunde des Martin Bu-cer Seminars und fuumlr alle Menschen die sich dem christlichen Glauben ver-bunden fuumlhlen 2 x im Jahr erscheint glauben amp denken heute online und kann unter wwwbucereu herun-tergeladen werden glauben amp denken heute veroumlffentlicht theologische Beitrauml-ge sowie diverse BuchrezensionenReservieren Sie sich noch heute eine Werbeflaumlche in glauben amp denken heute und Ihre Anzeige wird in der naumlchsten Ausgabe online freigeschaltet Ihre Bestellung und Anzeige senden Sie bitte per E-Mail an Manfred Feldmann ManfredFeldmannbucerde

Beispiel Hiermit bestelle ich die Werbeflaumlche A (AshyG) Die Anshyzeige (Anhang beigefuumlgt) soll 1x (2x) im Jahr erscheinen

Betriebssystem Apple Macintosh WindowsLinux uaDateiformat JPEG GIF bei einer Aufloumlsung von houmlchstens 150 dpi

Anzeige 257 x 170 mmSeite 1 SatzspiegelPreis 125 Euro

Anzeige 192 x 170 mmSeite 34 SpaltenPreis 100 Euro

Anzeige 125 x 170 mmSeite 24 SpaltenPreis 75 Euro

Anzeige 59 x 170 mmSeite 14 SpaltePreis 50 Euro

Anzeige 125 x 83 mmSeite 28 SpaltenPreis 35 Euro

Anzeige 59 x 83 mmSeite 18 SpaltePreis 20 Euro

Anzeige 297 x 210 mmSeite 1 ganze SeitePreis 150 EuroA

B

C

D

E

F

G

glauben amp denken heute 22012 517 8 6 uuml

Neuere Buumlcher uumlber Konstantin den GroszligenPeter Leithart Klaus M Girardet

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Peter Leithart Defending Constanti-ne The Twilight of an Empire and the Dawn of Christendom Downers Grove (IL) IVP Academic 2010 373 Seiten ISBN 978-0830827220 2199 Euro

Peter J Leithart hat ein Buch zur Ehrenrettung Kaiser Konstantins ge-schrieben das sich vor allem gegen die Thesen des amerikanischen Mennoni-ten John Howard Yoder (1927ndash1997) wendet fuumlr den Konstantin der In-begriff des Abfalls des Christentums von seinen pazifistischen Urspruumlngen und fuumlr das jahrhundertlange Uumlbel des Staatskirchentums und der Ketzerver-folgung stand

Leithart will dabei keinen originauml-ren Forschungsbeitrag liefern sondern die viel positivere Beschreibung in der Fachliteratur und den Wandel des

Konstantinbildes in der Wissenschaft den tief verwurzelten Vorurteilen vie-ler heutiger Christen entgegenhalten In einer enormen Vielfalt breitet er Forschungsliteratur der letzten hun-dert Jahre in den Fuszlignoten aus und zeigt dass der tatsaumlchliche Konstantin weder mit dem bejubelten christlichen Kaiser des Mittelalters noch mit dem Buhmann der Aufklaumlrung aber auch freikirchlicher Autoren etwas zu tun hat Konstantin ist nur aus der Reali-taumlt des 4 Jahrhunderts heraus zu ver-stehen und konnte nicht wissen was die Zukunft bringen wuumlrde Gemessen daran war er ndash so Leithart ndash uumlberzeug-ter Christ und fand einen Weg zwi-schen der Foumlrderung des christlichen Glaubens und der Religionsfreiheit der nichtchristlichen Bevoumllkerungsmehr-heit Dabei muumlsse man aber immer die

ganze Breite der erforschten Ereignisse beruumlcksichtigen So gibt es unuumlberseh-bare und nennenswerte Einfluumlsse des Christentums auf seine Gesetzgebung andererseits ebenso voumlllig davon unbe-einflusste Bereiche

Waumlhlen wir etwa die Architektur (S 112ndash125) als Beispiel fuumlr die bdquoKom-plexitaumltldquo (S 113) und bdquoMehrdeutig-keitldquo (S 114) des Wirkens Konstantins Einerseits baute der Kaiser jede Menge oumlffentlicher Bauten die durchaus mit roumlmischer und griechischer religioumlser Kunst geschmuumlckt waren Andererseits stand der Kirchenbau in Rom und dann in Byzanz im Zentrum seines persoumlnli-chen Interesses Ein typisches Beispiel ist der Konstantinbogen in Rom Ei-nerseits unterscheidet er sich im ersten Moment nicht von anderen derartigen Bauten Ein unmittelbarer christlicher

Bezug fehlt von den teilweise christli-chen Militaumlrzeichen der abgebildeten Offiziere abgesehen Andererseits wird nirgends den roumlmischen Goumlttern ge-dankt am auffaumllligsten nicht Jupiter wie bis dahin uumlblich Eine Jupiterfi-gur ist zwar zu sehen aber Konstantin wendet ihr den Ruumlcken zu Vielmehr wird dem groszligen Gott gedankt der sich Konstantin offenbart hat Das ver-standen die Christen christlich fuumlr die anderen war es nicht automatisch ein Affront

Auch christliche Symbole sind ein schoumlnes Beispiel So standen sie auf Muumlnzen oder Standarten nach 312 laumlnger neben aumllteren religioumlsen Symbo-len die sie erst allmaumlhlich abloumlsten bis schlieszliglich die menschlich dargestell-ten heidnischen Gottheiten aumlhnlich wie spaumlter im Mittelalter nur noch als

52 7 8 6 uuml

mythischer Schmuck dienten (S 71ndash79) War Konstantins Uumlbertritt zum Chris-tentum eine sbquoechtelsquo Bekehrung Leithart betont zu Recht dass die Frage ist was das damals bedeutete (S 79ndash80) Kons-tantin nahm etwa persoumlnlich die chris-tologische Entscheidung von Nizaumla an (S 89ndash90) was heute fuumlr uns bedeut-samer ist als damals Hier haumltte Leithart viel deutlicher ndash wie Girardet in den im Folgenden besprochenen Werken ndash da-rauf verweisen koumlnnen dass Bekehrung vor allem bedeutete den Goumltzendienst aufzugeben Viel staumlrker haumltte herausge-arbeitet werden muumlssen welche zentrale Rolle der Verzicht auf das Opfer zu Ju-piter nach dem Sieg uumlber die Mitkaiser spielt (S 66ndash67) Hier zitiert Leithart zwar eine deutsche Quelle von 1955 die er aber wohl nicht lesen konnte Die umfangreichen deutschen Studien dazu kennt er nicht (siehe unten)

Auch bei anderen Fragen ist Leithart auf der richtigen Spur haumltte aber mit deutschen Quellen bessere Belege an-fuumlhren und die Bedeutung der Ergeb-nisse staumlrker herausstellen koumlnnen So geht Leithart davon aus dass die eigent-liche Kreuzesvision Konstantins bereits 310 in Grand in den Vogesen (heute in Frankreich) stattfand wahrscheinlich als bdquoRinghaloldquo (S 77ndash78) die neuesten Belege dafuumlr fuumlhrt er aber nicht an

Erfreulicherweise bezeichnet Leithart das bdquoEdikt von Mailandldquo als bdquoFiktionldquo (S 98ndash99) Tatsaumlchlich vereinbarten die

beiden Kaiser Konstantin und Licinus nach einem Treffen in Mailand in ei-nem Brief vom Juni 313 aus Nikomedia die Ruumlckgabe von konfisziertem Kir-chengut und die Religionsfreiheit der Christen nicht aber deren Vorrangstel-lung geschweige denn eine Stellung als Staatsreligion (S 99ndash100) Tatsaumlchlich hat Konstantin die Freiheit der Nicht-christen nicht beschraumlnkt

Je laumlnger je mehr geht es Leithart aber nicht nur um eine Ehrenrettung Kons-tantins sondern darum ihn als Vorbild fuumlr christliche Politik hinzustellen Aus Leitharts Sicht gilt bdquoKonstantin liefert uns in vielerlei Hinsicht ein Modell fuumlr christliche politische Praxisldquo [bdquoConstan-tine provides in many respects a model for Christian political practiceldquo] (S 11) Die Aussage dass Konstantin in vie-ler Hinsicht fuumlr christliches politisches Handeln steht geht natuumlrlich weit uumlber das hinaus was Leithart belegt und be-sonders was er widerlegt Zwar ist zu wuumlrdigen dass Konstantin aus christ-licher Motivation auch Gesetze huma-nisiert und brutale Elemente der roumlmi-schen Kultur beendet hat Auch hat es Konstantin geschafft das Christentum zu foumlrdern ohne die Religionsfreiheit der anderen einzuschraumlnken Aber ob das fuumlr seine Vorbildfunktion reicht Und haumltte man dann nicht gruumlndlicher diskutieren muumlssen ob die Foumlrderung des Christentums als vom Staatsober-haupt gewuumlnschter Religion und Reli-

gionsfreiheit wirklich gleichzeitig moumlg-lich sind und inwiefern ein Christ als Staatslenker die Politik praumlgen sollte und kann

Ausfuumlhrlich belegt Leithart dass die Sicht von Yoder und anderen die Fruumlhe Kirche sei vollstaumlndig pazifistisch gewe-sen und habe erst durch oder nach Kon-stantin ihre Sicht geaumlndert dass man nicht in der roumlmischen Armee dienen koumlnne einseitig ist Tatsaumlchlich gab es um diese Fragen eine breite Diskussion in der Fruumlhen Kirche Schon vor Kon-stantin bis zuruumlck zur Zeit der Apos-tel dienten Christen als Soldaten und Offiziere in der roumlmischen Armee (S 255ndash278) die ja zugleich die Polizeige-walt innehatte Aber auch hier ist es ein weiter Weg zur Vorbildfunktion Kon-stantins die auch ohne Pazifismus die Frage klaumlren muumlsste wie das Verhaumlltnis der christlichen Kirche zu legalen Ins-titutionen des staatlichen Gewaltmono-pols sein sollte

Ich persoumlnlich haumltte mir eine klarere Trennung in einen historischen Teil zu Konstantin und einen ethischen Teil zum Verhaumlltnis von Kirche und Staat gewuumlnscht Da Yoder die beiden Fragen bis zur Unkenntlichkeit vermischt folgt ihm Leithart wenn es bei ihm auch viel einfacher ist die Gedanken zum einen oder anderen voneinander zu trennen

Eigentlich handelt es sich fuumlr mich sogar um vier Fragenkomplexe die hier verschwimmen 1 Was ist historisch

zur Konstantinbiografie zuverlaumlssig zu sagen 2 Wie viel des spaumlteren mittelal-terlichen christlichen Europas geht auf Konstantin zuruumlck und wie viel nicht heiszligt also das konstantinische Zeitalter zu Recht so oder nicht 3 Was ist gut und richtig ndash das heiszligt wie sollte es ide-alerweise biblisch-theologisch sein Und 4 Wie ist im Licht des Ideals Konstan-tin die spaumltere Entwicklung des Mittel-alters zu bewerten oder kann man eine solche Bewertung gar nicht vornehmen

Durch die starke Fixierung des Buches auf Yoder vor allem im hinteren Teil (S 254ndash342) und dem angekuumlndigten Wechsel von der Biografie zur Polemik im Laufe des Buches (S 10ndash11) wird das Buch leider auch sehr auf den ame-rikanischen Bereich zugeschnitten und ist gerade im hinteren Teil fuumlr Christen in Europa oder im globalen Suumlden nicht relevant

Drei Buumlcher von Girardet

Dem Buch von Leithart moumlchte ich drei Werke von Klaus M Girardet gegen-uumlberstellenA) Klaus M Girardet Der Kaiser und sein Gott Das Christentum im Denken und in der Religionspolitik Konstantins des Groszligen Millenium-Studien 27 Ber-lin de Gruyter 2010 212 Seiten ISBN 978-3110227888 7495 Euro

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 537 8 6 uuml

Neuere Buumlcher uumlber Konstantin den Groszligen

B) Klaus M Girardet (Hg) Kaiser Kon-stantin der Groszlige Historische Leistung und Rezeption in Europa Bonn Ru-dolf Habelt 2007 darin bes Klaus M Girardet bdquoDas Christentum in Denken und in der Politik Kaiser Konstantin d Grldquo S 29ndash54 208 Seiten ISBN 978-3774934740C) Klaus M Girardet Die konstantini-sche Wende Voraussetzungen und geistige Grundlagen der Religionspolitik Kons-tantins des Groszligen Darmstadt Wissen-schaftliche Buchgesellschaft 2006 2002 204 Seiten ISBN 978-3534191161 4990 Euro

Stellen wir dem Buch von Leithart die Buumlcher zu Konstantin des deutschen Forschers Klaus Girardet gegenuumlber Grund fuumlr die intensive Erforschung Konstantins auf deutscher Seite ist un-ter anderem dass Trier zeitweise dessen Hauptstadt war

Girardet unterscheidet drei For-schungsrichtungen (A S 22ndash24) 1 Auffassung dass Konstantin bereits von Haus aus Christ war oder sich 310 bis 312 oder uumlber einen noch laumlngeren Zeitraum dem Christentum zuwandte 2 Auffassungen dass sich Konstan-tin zwar dem Monotheismus undoder Sonnenkult mit gewissen christlichen Elementen zuwandte nicht aber Christ nach damaligen und heutigen Maszligstauml-ben wurde 3 Die Auffassung dass es weder fuumlr die erste noch fuumlr die zweite Auffassung Hinweise gibt

Girardet beantwortet in einem eigenen Beitrag die Frage bdquoChristliche Kaiser vor Konstantinldquo (C S 13ndash38) sehr uumlber-zeugend negativ anhand jedes einzelnen Kaisers und seiner Familien vor Kons-tantin

Girardet lehnt treffend moderne Maszligstaumlbe dafuumlr ab ob Konstantins Be-kehrung sbquoechtlsquo sbquoaufrichtiglsquo oder sbquorichtiglsquo war und Konstantin sbquorechtglaumlubiglsquo wur-de (C S 59) Er geht davon aus dass das herausragende Kennzeichen des Christ-seins und Christwerdens in der Antike und im 4 Jahrhundert die bdquoAbsage an den Goumltterkultldquo (C S 60) gewesen sei Also muumlsse vor allem gefragt werden ob Konstantin diese vollzogen habe bdquoDie Verweigerung des Goumltzenopfersldquo durch Konstantin sei gut belegt (C S 60ndash71 A S 78ndash88) ndash unter anderem direkt nach dem Sieg uumlber seine Mitkaiser da Kon-stantin am Ende des Triumphzuges (der streng genommen keiner war da keine Feinde sondern ein Mitkaiser besiegt wurde) in Rom am 2910312 fuumlr alle erkennbar nicht als Ende und Houmlhe-punkt das uumlbliche Dankopfer an Jupi-ter Optimus Maximus auf dem Kapitol darbrachte sondern direkt in seinen Pa-last zog

Dafuumlr findet Girardet viele Belege So sieht der heidnische Historiker Zosimos (II 72) in der Unterlassung des Dank-opfers an Jupiter den Grund fuumlr den Beginn des politischen Niedergangs von Rom (C S 70) Das Dankopfer an Ju-

piter fehlt auch auf dem 315 errichteten Konstantinbogen auf dem statt Jupiter der bdquoinstinctu divinitatisldquo der Einge-bung der Gottheit gedankt wird

Auffaumlllig ist ab 312 in Berichten oder eben auf dem Konstantinbogen das erstmals der Gott der den Sieg verur-sachte keinen Namen hat sondern all-gemein bdquosumma divitasldquo und aumlhnlich heiszligt (C S 68)

Kurz nach der Verweigerung des Dankopfers an Jupiter 312 erscheinen erste Muumlnzen mit dem Christogramm (B S 42) Alles spricht dafuumlr dass es bereits Christuszeichen auf dem Helm des Kaisers und den Feldzeichen gab (A S 64ndash67) wobei das Christuszeichen wohl nicht das heute vertraute Kreuz war sondern das Chi-Rho

Girardet geht ausfuumlhrlich auf die drei zentralen Texte zur Vision des Christus-zeichens an der Milvischen Bruumlcke ein (A S 30ndash40) Nirgends wird gesagt so Girardet dass die Vision erst an der Bruumlcke geschah (A S 49ndash51) Vielmehr duumlrfte Konstantin bereits 310 einen so-genannten bdquoRinghaloldquo in Grand in den (heute franzoumlsischen) Vogesen gesehen haben den dann sein militaumlrisches Be-gleitkommando auch sehen konnte Ein Halo ist ein atmosphaumlrischer Lichtef-fekt durch Brechung bzw Reflexion von Licht an Eiskristallen Er kann die Form einer inneren kleineren Sonne mit vier Strahlen in alle Richtungen wie ein Kreuz annehmen

Giradet liefert auszligerdem viele Belege aus Konstantins fruumlhen Reden ab 312 fuumlr seine Parteinahme fuumlr das Chris-tentum (A S 89ndash123) Die spaumlte Tau-fe Konstantins ist fuumlr ihn normal und damals uumlblich gewesen zumal Kon-stantin offensichtlich davon ausging dass er nach der Taufe nicht mehr das kaiserliche Purpur tragen koumlnne (A S 106ndash107)

Interessant ist auch Girardets Dar-stellung bdquoNichtchristen im Denken und Handeln Konstantinsldquo (C S 113ndash133 siehe auch A S 137ndash139) Konstantin hat das Christentum niemandem auf-gezwungen und lieszlig den Heiden ihre Freiheit Wie Leithart sieht er bei Kons-tantin das Element der Religionsfreiheit in einem Maszlige gegeben wie es dies bei den roumlmischen Kaisern vorher nicht gab

Aufsaumltze

Schauen wir noch auf einige der von Girardet herausgegebenen Aufsaumltze Ti-ziana J Chiusi (bdquoDer Einfluss des Chris-tentums auf die Gesetzgebung Konstan-tinsldquo S 55ndash64 in Klaus M Girardet [Hg] Kaiser Konstantin der Groszlige A a O) zeigt die Ambivalenz der Gesetz-gebung Konstantins Strengere Gesetze fuumlr die Flucht von Sklaven stehen ne-ben Gesetzen zur humanen Behandlung der Sklaven und der Beguumlnstigung ihrer Freilassung (B S 60) Deutlich christ-lich beeinflusst sind die Abschaffung

54 7 8 6 uuml

der Todesstrafe durch Kreuzigung das Verbot von Brandmalen im Gesicht das Verbot der Gladiatorenspiele (B S 61) oder die Einfuumlhrung des Sonntags als Ruhetag eine eindeutige Foumlrderung und Werbung fuumlr das Christentum (B S 63)

Wegweisend finde ich die drei grund-legenden Veraumlnderungen des Christen-tums die Konstantin bewirkt hat wie sie Karl-Heinz Ohlig (bdquoStrukturelle Aus-wirkungen der Konstantinischen Wende auf das Christentumldquo S 75ndash86 In Klaus M Girardet [Hg] Kaiser Kons-tantin der Groszlige A a O) benennt und erlaumlutert die Sakralisierung die Ver-rechtlichung und die Hellenisierung des Christentums

Die Sakralisierung des Christentums betraf vor allem die Rolle der Kirche ihre Aumlmter und die Sakramente da seit-dem die von sakralen Maumlnnern geleitete kultische Praxis im Mittelpunkt steht (B S 81) Die Verrechtlichung des Chris-tentums ist in der katholischen Kirche bis heute erhalten und grundlegend (B S 82) Die weitreichendsten Folgen hatte aber nach Ohlig die Hellenisierung des Christentums (B S 85) Auf alle diese Fragen etwa geht Leithart nicht ein

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher Werbung

Glaube braucht Wissen

Unser Konzept

Mit neuen Dienstleistungen und Zugangs-wegen zu biblischen und serioumlsen Inhalten verstehen wir uns als ein attraktives An-gebot fuumlr Menschen von heute die mehr uumlber Gott Ethik Naturwissenschaft fuumlrs alltaumlgliche Leben wissen wollen Denn Gottes Wort gehoumlrt in den Alltag Genau hier setzt GENiaLeBuecherde an

Unsere Ziele

Die gesellschaftliche Religiositaumlt hat in unserer Zeit neue individuelle Wege ge-funden Dafuumlr benoumltigen die Menschen all-tagstaugliche biblische verlaumlssliche Quel-len und Mittel GENiaLeBuecherde bietet Inhalte und Informationsquellen fuumlr das alltaumlgliche Leben von Einzelnen und Ge-meinschaften an Wir verbinden Internet und Gedrucktes

Unser Weg

GENiaLeBuecherde geht hierbei nicht nur den Weg des klassischen Handels son-dern unterstuumltzt bewusst christliche Ins-titutionen indem GENiaLeBuecherde fuumlr diese Partner neue Vertriebswege schafft bzw vorhandene ausweitet Diese Part-ner sind ua auch Institutionen (Werke Vereine) die von Zuwendungen (Spenden) getragen werden

Die Zeit ist reif fuumlr diese Kreativi-taumlt fuumlr diese neuen Zugangswege und Kommunikationsmittel

Viel Freude beim Stoumlbern auf unseren Seiten

wir praumlsentieren bull Buumlcher bull CDs amp DVDs bull Kalender amp Zeitplansysteme bull ein Antiquariat bull Sonderposten bull Message Shirts bull Tipps amp Downloads und vieles mehr

Wo und wie bekommt man einen leichtenZugang zu biblischem serioumlsem Wissen

glauben amp denken heute 22012 557 8 6 uuml

Novum Testamentum Graece x 28

Carsten Friedrich

Barbara Aland u a (Hrsg) Novum Tes-tamentum Graece 28 revidierte Aufla-ge Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 2012 1008 Seiten bzw 1219 Seiten (mit Woumlrterbuch) ISBN 978-3438051400 bzw 978-3438051592 28 bzw 35 Euro

Ein langes Warten fand im September ein Ende Die 28 Auflage des Nestle-Aland ist erschienen Das Novum Tes-tamentum Graece ist als wissenschaft-liche Ausgabe des Neuen Testaments in seiner griechischen Ursprache ein Standardwerk (neben dem UBS Greek New Testament) Es dient weltweit als Grundlage fuumlr Uumlbersetzungen und wis-senschaftliches Arbeiten Nach seinen fruumlheren Herausgebern Eberhart Nestle und Kurt Aland wird es bis heute oft-mals einfach bdquoNestle-Alandldquo genannt (abgekuumlrzt NA)

Revidierter Text in den Katholischen Briefen

Die bisherige 27 Auflage (NA27) war 1993 erschienen Ihr lag der unveraumln-derte Text der 26 Auflage von 1979 zugrunde Damals wurde nur der Ap-parat einer weitgehenden Revision un-terzogen Damit liegt nun mit der 28 Auflage (NA28) nach 33 Jahren erst-mals eine Ausgabe mit Textaumlnderungen vor Wer nun meint nach 33 Jahren ei-nen komplett revidierten Text des Neu-en Testaments erwarten zu duumlrfen der irrt Die Revision des Textes betrifft nur die bdquoKatholischen Briefeldquo also den Brief des Jakobus die beiden Petrus-Briefe die drei Briefe des Johannes und den Judas-Brief Fuumlr diesen Teil des Neuen Testaments liegt naumlmlich mittlerweile

die Editio Critica Maior (ECM) vor die bisher umfangreichste auf Vollstaumlndig-keit abzielende Aufarbeitung der textli-chen Bezeugung des NT1 Die Entschei-dungen der ECM (in der 2 Auflage) wurden fuumlr NA28 uumlbernommen womit sich der Text gegenuumlber NA27 an insge-samt 34 Stellen aumlndert Eine komplette Auflistung dieser Stellen findet sich in der Einfuumlhrung zu NA28 auf Seite 6 Drei dieser Aumlnderungen seien hier als Beispiele aufgefuumlhrt

1Petr 416

NA27 εἰ δὲ ὡς Χριστιανός μὴ αἰσχυνέσθω δοξαζέτω δὲ τὸν θεὸν ἐν τῷ ὀνόματι τούτῳ

Wenn aber jemand als Christ [leidet V15] so schaumlme er sich nicht son-

dern mache Gott durch diesen Namen [bdquoChristldquo] Ehre

NA28 ECM2 εἰ δὲ ὡς Χριστιανός μὴ αἰσχυνέσθω δοξαζέτω δὲ τὸν θεὸν ἐν τῷ μέρει τούτῳWenn aber jemand als Christ [leidet V15] so schaumlme er sich nicht sondern mache Gott in dieser Angelegenheit Ehre

2Petr 218

NA27 uperogka gar mataiothtoj fqeggomenoi deleazousin en epiqummiaij sarkoj aselgeiaij touj ovligwj avpofeugontaj touj evn planh| avnastrefomenouj

Denn indem sie hochfahrende Reden fuumlhren hinter denen nichts ist locken

56 7 8 6 uuml

sie im Taumel fleischlicher Begierden durch Ausschweifungen solche an sich die sich eben erst von den im Irrwahn Wandelnden abgekehrt hatten (Menge)

NA28 ECM ὑπέρογκα γὰρ μα-ταιότητος φθεγγόμενοι δελεάζουσιν ἐν ἐπιθυμίαις σαρκὸς ἀσελγείαις τοὺς ὄντως ἀποφεύγοντας τοὺς ἐν πλάνῃ ἀναστρεφομένους Denn indem sie hochfahrende Reden fuumlhren hinter denen nichts ist locken sie im Taumel fleischlicher Begierden durch Ausschweifungen solche an sich die sich wirklich von den im Irrwahn Wandelnden abgekehrt hatten (nach Menge abgewandelt)

Judas 5

NA27 Ὑπομνῆσαι δὲ ὑμᾶς βούλομαι εἰδότας [ὑμᾶς] πάντα ὅτι [ὁ] κύριος ἅπαξ λαὸν ἐκ γῆς Αἰγύπτου σώσας τὸ δεύτερον τοὺς μὴ πιστεύσαντας ἀπώλεσενIch will euch aber erinnern obwohl ihr dies alles schon wisst dass der Herr nachdem er dem Volk das eine Mal aus Aumlgypten geholfen hatte das andere Mal die umbrachte die nicht glaubten (Lu-ther 84)

NA28 ECM Ὑπομνῆσαι δὲ ὑμᾶς βούλομαι εἰδότας ὑμᾶς ἅπαξ πάντα ὅτι Ἰησοῦς λαὸν ἐκ γῆς Αἰγύπτου σώσας τὸ δεύτερον τοὺς μὴ πιστεύσαντας ἀπώλεσεν

Ich will euch aber erinnern obwohl ihr alles ein fuumlr allemal wisst dass Jesus nachdem er dem Volk das aus Aumlgypten geholfen hatte das andere Mal die um-brachte die nicht glaubten (nach Lu-ther 84 abgewandelt)

In den Katholischen Briefen wurde je-doch nicht nur der Text der ECM uumlber-nommen Auch der Apparat wurde auf der Basis der ECM grundlegend neu konstruiert So entfaumlllt bei den Katho-lischen Briefen beispielsweise das Sigel

fuumlr den Mehrheitstext zugunsten des Sigels bdquoByzldquo (Byzantischer Text)

Eine Uumlbergangsloumlsung

Dass sich die textlichen Aumlnderungen nur auf die Katholischen Briefe erstre-cken macht deutlich dass es sich bei NA28 um eine Uumlbergangsloumlsung han-delt Denn bdquoauf lange Sichtldquo soll das gesamte NT in dieser Weise uumlberarbei-tet werden so die Herausgeber die ihr Vorgehen als bdquozweigleisige Revisionldquo be-schreiben3 Aber schon die Herausgabe dieser Uumlbergangsloumlsung als 28 Auflage macht deutlich dass bis zum eigentli-chen Ziel noch viele Jahre vergehen wer-den und bis dahin eben diese Variante (bzw weitere Auflagen mit jeweils er-weiterten Textrevisionen) der Standard sein wird den keiner umgehen kann der sich mit dem griechischen Urtext des NT beschaumlftigen will

Revision des gesamten Apparats

Allerdings gibt es auch Neuerungen die sich nicht nur auf die Katholischen Brie-fe beschraumlnken sondern den gesamten NA28 betreffen So liegt der gesamten Ausgabe eine Revision des kritischen Apparats zugrunde die diesen uumlber-sichtlicher und einfacher nutzbar ma-chen soll Die wichtigsten Aumlnderungen diesbezuumlglich sind folgendebullthinspthinspErstmalsthinsp wurdenthinsp diethinsp Lesartenthinsp derthinsp

neu entdeckten Papyri 117ndash127 verzeichnet

bullthinspthinspDiethinsp Unterscheidungthinsp vonthinsp staumlndigenthinspZeugen erster und zweiter Ordnung wurde aufgegeben um bisher da-mit verbundene Unklarheiten zu beseitigen

bullthinspthinspImthinspApparatthinspwerdenthinspzudemthinspkeinethinspKon-jekturen (verbessernde Eingriffe in den Text) mehr zitiert Diese werden in Zukunft mit Quelle in einem ge-sonderten Verzeichnis fuumlr den Nestle Aland digital (siehe Abschnitt unten) zur Verfuumlgung gestellt

bullthinspthinspVariantenthinsp imthinsp textkritischenthinsp Apparatthinspwerden so weit moumlglich ausgeschrie-ben und ohne Einbettung von Subva-rianten dargestellt

bullthinspthinspWeilthinspbisherthinspoftthinspmissverstandenthinspwurdethinspauch auf die Abkuumlrzungen pc (pauci) und al (alii) verzichtet

bullthinspthinspDiethinsp Verknupfungthinsp vonthinsp Apparatnotie-rungen mit et und sed wurde aufge-loumlst Die Bezeugungen werden jetzt getrennt notiert

bullthinspthinspLateinischethinsp Abkurzungenthinsp undthinsp Zwi-schentexte wurden reduziert und im Abkuumlrzungsverzeichnis uumlbersetzt

bullthinspthinspDiethinsp Editionumthinsp differentiaethinsp (Appen-dix III in NA27) die einen Uumlber-blick uumlber die Textentscheidungen der wichtigsten neuzeitlichen Ausgaben des griechischen NT im Vergleich zu NA27 bot entfaumlllt bei NA28 weil eine Uumlberarbeitung unverhaumlltnismauml-szligig aufwendig gewesen waumlre

bullthinspthinspDiethinspVerweisstellenthinspamthinspaumluszligerenthinspRandthinspwurden auf ihre Aussagekraft hin uumlberpruumlft

Die hier aufgelisteten Aumlnderungen ma-chen deutlich dass es den Herausgebern mit ihrer Zielstellung durchaus ernst ist den NA28 benutzerfreundlicher zu machen Angaben die bisher in ihrer Art und Weise irritierend und unnouml-tig kompliziert waren wurden fuumlr den NA28 deutlich verbessert Dass natuumlr-lich auch der NA28 noch ein sehr kom-plexes Werk ist das den Benutzern eine intensive Beschaumlftigung abverlangt ist selbstverstaumlndlich4 Dies ist sowohl der Materie an sich als auch der Zielstel-lung der Autoren geschuldet bdquodie in der Ausgabe vorliegende Rekonstrukti-on des griechischen Ausgangstextes kri-tisch nachvollziehbar und uumlberpruumlfbar zu machenldquo5

Carsten Friedrich

glauben amp denken heute 22012 577 8 6 uuml

Nestle Aland digital

Viele Benutzer wird es erfreuen dass es den NA28 auch in digitaler Form ge-ben wird ndash und zwar samt Apparat Die Herausgeber verfolgen mit dem Nestle Aland digital hauptsaumlchlich zwei Ziel-stellungen6 zum einen im Hinblick auf die Aktualitaumlt der gebotenen Informati-onen Korrekturen und neue Notierun-gen sollen via Internet innerhalb kurzer Zeit zur Verfuumlgung gestellt werden zum anderen im Hinblick auf die Klarheit der Praumlsentation und die Verknuumlpfung mit weiteren Dokumenten und Daten So sollen beispielsweise Abkuumlrzungen und Sigel in eingeblendeten Fenstern erklaumlrt werden Daruumlber hinaus soll es eine Verknuumlpfung mit den vollstaumlndi-gen Transkripten und Fotos der ein-bezogenen Handschriften geben Wie oben schon erwaumlhnt soll auszligerdem ein Verzeichnis aller Konjekturen samt deren Quellen in der digitalen Variante enthalten sein

Das Erscheinen des Nestle Aland di-gital ist fuumlr 2013 angekuumlndigt Es soll ihn dann fuumlr PC Mac und Smartphone fuumlr ca 30 Euro geben Bis dahin darf man gespannt warten inwieweit sich die wirklich vielversprechenden Ankuumln-digungen der Herausgeber erfuumlllen

Novum Testamentum Graece x 28 Werbung

Struktur

14 selbstaumlndige Studienzentren in 6 Laumln-dern mit einheimischen Traumlgervereinen

5 uumlbergreifende Institute

Rektor Prof Dr Thomas Schirrmacher

Dekane Thomas Kinker ThD (USA) Titus Vogt lic theol

Mission durch Forschung

Internationales Institut fuumlr Religionsfreiheit (Partner Weltweite Ev Allianz)

Studienprogramm mit Schwerpunkt Islam zusammen mit dem Institut fuumlr Islamfragen

Institut fuumlr Lebens- und Familienwissenschaft

Institut fuumlr Notfallseelsorge Sterbebegleitung und Trauerseelsorge

Institut fuumlr Seelsorgeausbildung

Martin Bucer Seminar

infobucerdewwwbucerde

hellip damit die Heiligen zugeruumlstet werden zum Werk des Dienstes

Epheser 412

1 bdquoDie Editio Critica Maior dokumentiert die griechi-sche Textgeschichte des ersten Jahrtausends anhand der uumlberlieferungsgeschichtlich wichtigen griechi-schen Handschriften alten Uumlbersetzungen und neu-testamentlichen Zitate in der antiken christlichen Li-teratur Auf der Basis genealogischer Untersuchungen des erstmals mit dieser Vollstaumlndigkeit aufbereiteten Materials wird der Text neu rekonstruiert Die Aus-wahl der Handschriften beruht auf einer Auswertung der gesamten Primaumlruumlberlieferungldquo URL httpwwwuni-muensterdeNTTextforschungProjektehtml [Stand 23102012] Ausfuumlhrlichere Informati-onen zur ECM finden sich unter URL httpwwwuni-muensterdeNTTextforschungECMhtml2 Griechischer Bibeltext aus Barbara Aland u a (Hrsg) Novum Testamentum Graece 28 revidierte Auflage Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 20123 bdquohellip so muss fuumlr die uumlbrigen neutestamentlichen Schriften mit der Neukonstitution des Textes so lan-ge gewartet werden bis mit dem Fortschreiten der Ar-beit an der ECM die dafuumlr noumltigen Materialien und Erkenntnisse vorliegen Die sich daraus ergebende relative Uneinheitlichkeit der 28 Auflage ist unver-meidlich will man die neuen Erkenntnisse aus der Arbeit an der ECM in die Handausgaben einflieszligen lassen obwohl solche nur fuumlr einen Teilbereich des Neuen Testaments vorliegenldquo Holger Strutwolf im Vorwort zum NA284 Die Deutsche Bibelgesellschaft gibt deshalb eine gesonderte Einfuumlhrung zum NA28 heraus David Trobisch Die 28 Auflage des Nestle-Aland Eine Einfuumlhrung Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 2013 Leider ist es nicht gelungen diese Einfuumlhrung zeitgleich mit dem NA28 auf den Markt zu bringen Aus dem urspruumlnglich angekuumlndigten Veroumlffentli-chungstermin November 2012 ist mittlerweile Fruumlh-jahr 2013 geworden Weitere Informationen zu dieser Einfuumlhrung finden sich unter URL httpwwwbibelonlinedeproductsWissenschaftliche-Bibelaus-gabenUrtexte-Neues-TestamentDie-28-Auflage-des-Nestle-Aland-eine-Einfuehrunghtml 5 NA28 A a O S 2 6 NA28 A a O S 3f

Anmerkungen

Gemeinde- und berufsbegleitend

Studenten bleiben in ihren Gemeinden

Anleitung zum eigenstaumlndigen Denken

Vom Wachstum der weltweiten Gemeinde Jesu lernen

Lehre und Forschung Lernen und selbst entwickeln

Das heiszligt das Alte und Bewaumlhrte kennen lernen und voumlllig Neues erforschen

Fundierte Ausbildung fuumlr das Reich Gottes

Studenten werden an Forschung beteiligt die christ-liche Ethik in das Herz der Gesellschaft traumlgt z B durch unsere erfolgreichen Institute

Internationales Institut fuumlr Religionsfreiheit (Partner Weltweite Ev Allianz)

Institut fuumlr Islamfragen (Partner Deutschsprachige Evang Allianzen)

Eigenes Studienprogramm mit Schwerpunkt Islam

Eigenes Studienprogramm mit Schwerpunkt Seelsorge

Institut fuumlr Lebens- und Familienwissenschaft

Institut fuumlr christliche Weltanschauung (Apologetik)

Mission durch Forschung

Abwanderung von Mitarbeitern verhindern

Wir gruumlnden Studienzentren gern in Regionen mit wenig ausgepraumlgter christlicher Infra-struktur wo wir die Abwanderung wichtiger Mitarbeiter im Reich Gottes in sowieso gut versorgte Regionen verhindern wollen z B Studienzentren in Chemnitz und Berlin fuumlr die neuen Bundeslaumlnder (keine Abwanderung nach Westen)

Studienzentrum Innsbruck und Linz zusammen mit dem Evangelikalen Bildungswerk in Oumlster-reich (keine Abwanderung nach Deutschland)

Studienzentrum Istanbul (keine Abwanderung in die USA)

weitere Infolsquos unter wwwbucereu

  1. Schaltflaumlche1
  2. Schaltflaumlche2
  3. Schaltflaumlche3
  4. Schaltflaumlche4
  5. Schaltflaumlche5
  6. Schaltflaumlche6
  7. Schaltflaumlche7
  8. Schaltflaumlche8
  9. Schaltflaumlche9
  10. Schaltflaumlche10
  11. Schaltflaumlche11
  12. Schaltflaumlche12
  13. Schaltflaumlche13
  14. Schaltflaumlche14
  15. Schaltflaumlche15
  16. Schaltflaumlche16
  17. Schaltflaumlche17
  18. Schaltflaumlche18
  19. Schaltflaumlche19
  20. Schaltflaumlche20
  21. Schaltflaumlche21
  22. Schaltflaumlche22
  23. Schaltflaumlche23
  24. Schaltflaumlche24
  25. Schaltflaumlche25
  26. Schaltflaumlche26
  27. Schaltflaumlche27
  28. Schaltflaumlche28
  29. Schaltflaumlche29
  30. Schaltflaumlche30
  31. Schaltflaumlche31
  32. Schaltflaumlche32
  33. Schaltflaumlche33
  34. Schaltflaumlche34
  35. Schaltflaumlche35
  36. Schaltflaumlche36
  37. Schaltflaumlche38
  38. Schaltflaumlche39
  39. Schaltflaumlche40
  40. Schaltflaumlche41
  41. Schaltflaumlche42
  42. Schaltflaumlche43
  43. Schaltflaumlche44
  44. Schaltflaumlche45
  45. Schaltflaumlche46
  46. Schaltflaumlche47
  47. Schaltflaumlche48
  48. Schaltflaumlche49
  49. Schaltflaumlche50
  50. Schaltflaumlche51
  51. Schaltflaumlche52
  52. Schaltflaumlche53
  53. Schaltflaumlche54
  54. Schaltflaumlche55
  55. Schaltflaumlche56
  56. Schaltflaumlche57
  57. Schaltflaumlche58
  58. Schaltflaumlche59
  59. Schaltflaumlche60
  60. Schaltflaumlche61
  61. Schaltflaumlche62
  62. Schaltflaumlche63
  63. Schaltflaumlche64
  64. Schaltflaumlche65
  65. Schaltflaumlche66
  66. Schaltflaumlche67
  67. Schaltflaumlche68
  68. Schaltflaumlche69
  69. Schaltflaumlche70
  70. Schaltflaumlche71
  71. Schaltflaumlche72
  72. Schaltflaumlche73
  73. Schaltflaumlche74
  74. Schaltflaumlche75
  75. Schaltflaumlche76
  76. Schaltflaumlche77
  77. Schaltflaumlche78
  78. Schaltflaumlche79
  79. Schaltflaumlche80
  80. Schaltflaumlche81
  81. Schaltflaumlche82
  82. Schaltflaumlche83
  83. Schaltflaumlche84
  84. Schaltflaumlche37
Page 6: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen

6 7 8 6 uuml

123) Wer denkt sbquoIch kann alleslsquo ist ebenso un geistlich wie der der denkt sbquoIch kann nichtslsquo Stolz und Minderwer-tigkeitskomplexe sind nur zwei Seiten einer Muumlnze Uumlber die falsche Demut kann Gott naumlmlich ndash wie das Beispiel des Mose zeigt der meinte nicht reden zu koumlnnen (2Mose 410ndash14) ndash ebenfalls zornig werden Richtig denkt nur wer sich gemaumlszlig seiner Ga ben einschaumltzt also weiszlig dass er das kann wozu ihn Gott besonders be faumlhigt hat Uumlbrigens gilt das nicht nur fuumlr die Geistesgaben sondern immer ndash etwa auch im Beruf Nur wer seine Grenzen kennt kennt auch seine Faumlhigkeiten wirklich und nur wer seine Fauml higkeiten kennt weiszlig auch was er nicht kann Ein Leiter oder Vorgesetzter der seine Staumlrken und Schwaumlchen nicht kennt undoder nicht offen dazu steht ist ein schlech-ter und unangenehmer Leiter Denn er wird seinen Mitarbeitern keinen Raum geben wo er eigentlich auf ihre Staumlrken angewiesen ist

Paulus bezeichnet in Roumlm 123 wie in Eph 47+16 die Gnadengaben mit dem Begriff bdquoMaszligldquo (= bdquoZugemesse-nesldquo) naumlmlich das bdquoMaszlig des Glau-bensldquo (Roumlm 123) bzw in Eph 47 das bdquoMaszlig der Gabe des Chri stusldquo Ist dem-nach einer sbquoglaumlubigerlsquo als der andere

Nein denn wir muumlssen zwischen der grundsaumltzlichen fuumlr alle Chri sten glei-chen Gabe des Glaubens die eben falls sbquoGnadengabelsquo (griech sbquocharismalsquo) hei-szligen kann und der persoumlnlichen Zutei-

lung von Ga ben und Diensten an den einzelnen Christen unterscheiden Die Uumlbersicht uumlber alle Vorkommen des Wortes sbquoCharismalsquo sbquoGnaden ga belsquo im Neuen Testament macht das deutlich

Alle Belege fuumlr bdquoGnadengabeldquo (griech sbquocharismalsquo) im Neuen Testa ment

A bdquoGnadengabeldquo als Kennzeichshynung von Din gen die alle Christen gemein sam haben 1 bdquoGnadengabeldquo = Verheiszligung GottesRoumlm 1129 (Uumlber Israel) bdquoDenn die Gnadengaben und die Beru fung Got-tes sind unbereubarldquo

2 bdquoGnadengabeldquo = das Heil oder das ewige Le benRoumlm 623 bdquoDenn der Lohn der Suumln-de ist der Tod die Gna dengabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus unse rem HerrnldquoRoumlm 515+16 Die bdquoGnadengabeldquo steht im Gegensatz zur bdquoUumlber tre tungldquo

B bdquoGnadengabeldquo als Kennzeichshynung von Din gen die Chri sten vonshyeinander un terscheiden1 bdquoGnadengabeldquo im Sinne von sbquoGeis-tesgabelsquo in den in dieser Lek tion be-sprochenen Texten uumlber die Geistesga-ben Roumlm 126 1Kor 124+9+28+30+31 1Petr 410 sowie in folgenden weiteren TextenRoumlm 111(ndash12) bdquoDenn mich verlangt sehr euch zu sehen damit ich euch

etwas geistliche Gnadengabe mitteile um euch zu befe stigen das heiszligt aber um bei euch miter mahnt [oder mit-getroumlstet] zu werden ein jeder durch den Glauben der in dem anderen ist sowohl euren als auch meinenldquo2Kor 111 bdquohellip wobei auch ihr durch das Gebet fuumlr uns mitwirkt damit von vielen Personen fuumlr die uns ver liehene Gnadengabe gedankt werde hellipldquo 1Kor 17 bdquoDaher habt ihr an keiner Gna-dengabe Mangel hellipldquo1Tim 414 bdquoVernachlaumlssige nicht die Gnadengabe die dir durch Weissa-gung mit Handauflegung der Aumlltesten gegeben worden istldquo2Tim 16 bdquoAus diesem Grund erin-nere ich dich daran die Gnaden gabe Gottes anzufa chen die durch die Auf-legung meiner Haumlnde in dir istldquo

2 bdquoGnadengabeldquo in Bezug auf Ehe und Le digsein1Kor 77 bdquoIch wuumlnsche aber dass alle Menschen wie ich waumlren doch jeder hat seine eigene Gnadengabe von Gott der eine so der andere soldquo

Der Unterschied zwischen der grundsaumltzli chen Zuteilung des Glau-bens und der persoumlnlichen Zuteilung des Glaubens in der Gnadengabe kommt auch in dem Gleichnis von den Pfunden und dem Gleichnis von den Ta lenten (Mt 2514ndash30 Lk 1912ndash27) zum Aus druck Im einen Fall erhal-ten alle das gleiche (Lk 1913 jeder 10 Talente) was dem allen gemeinsa-

men Glauben entspricht im anderen Fall erhalten alle gleich zu Be ginn unterschiedliche Gaben (Mt 2515 1 2 und 5 Pfunde) Petrus spricht des-wegen in Bezug auf den Gottesdienst davon dass wir bdquogute Verwalter der ver schiedenartigen Gnade Gottesldquo sein sollen (1Petr 410) In Roumlm 127ndash8 un-terstreicht Paulus an sieben konkreten Beispielen dass jeder bei dem blei-ben soll wozu Gott ihn befaumlhigt hat Der Lehrer soll lehren der Vorsteher soll eifrig vorstehen der Ermahnen-de soll ermah nen usw Ist das nicht selbstverstaumlnd lich Leider nicht Wie oft werden Menschen die nicht mit Geld umgehen koumlnnen Kassierer leh-ren Men schen Sonntag fuumlr Sonn tag auf der Kanzel die keine Lehrgabe besitzen und denen man deswegen nur muumlh sam zuhoumlren kann und wollen solche die gut organisieren (sbquovorstehenlsquo) koumlnnen dies nicht sbquoin Einfaltlsquo tun sondern ihre Autoritaumlt auch auf anderen Gebieten beweisen

Die Bedeutung der Geistesgaben (6 Thesen)

Die vier wichtigsten Texte uumlber die Gna den- bzw Geistesga ben im Neu-en Testament sind Eph 41ndash16 1Petr 410ndash11 Roumlm 123ndash8 und 1Kor 121ndash133 141ndash33 Texte uumlber Geistesgaben zum besseren Einprauml gen Eph 4 Roumlm 12 1Petr 4 1Kor 12ndash14

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 77 8 6 uuml

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden

In 1Kor 121 schreibt Paulus bdquoWas aber die geistlichen Gaben betrifft Ge-schwister will ich nicht dass ihr ohne Kenntnis seidldquo Sechs Kernaussagen sollen uns deswegen in die wich tige Thematik der Geistesgaben einfuumlh ren

1 These Nicht nur die Gaben sonshydern auch die Auf gaben und die Auswirkungen unseres Dienstes sind sehr unterschied lichIn 1Kor 123ndash6 stellt Paulus die Gna-dengaben in den groumlszligeren Zusam-menhang unseres Dienstes fuumlr Gott bdquoEs gibt aber Verschiedenheiten der Gnadengaben aber es ist derselbe Geist und es gibt Verschiedenheiten der Dienste und es ist derselbe Herr und es gibt Ver schiedenheiten der Wir-kungen aber es ist derselbe Gott der alles in allen wirktldquo Paulus stellt damit je dem Bereich die Person der Dreiei-nigkeit gegenuumlber die in besonde rer Weise dafuumlr zustaumlndig ist Wir koumln-nen uns 1Kor 123ndash6 fol gendermaszligen veranschau lichen

Die Dreieinigkeit und die Gaben in 1Kor 123ndash6

bdquoverschiedene Gnadengabenldquo bdquoein Geistldquo bdquoverschiedene Diensteldquo bdquoein Herrldquobdquoverschiedene Wirkungenldquo bdquoein Gottldquo

Der Heilige Geist schenkt die Geistes-gaben also die Voraussetzungen fuumlr den Dienst Jesus Christus ist das Vor-bild fuumlr den Dienst schlechthin und

Gott der Vater ist der der alles wirkt und damit auch uumlber die Auswirkun-gen des Dienstes entscheidet Wir koumln-nen das Schema von 1Kor 123ndash6 also mit eigenen Worten folgen dermaszligen wie dergeben

Die Dreieinigkeit und die Gaben in 1Kor 123ndash6

verschiedene Voraussetzungen zum Dienst

Heiliger Geist

verschiedene Dienste

Jesus der Herr

verschiedene Ausshywirkungen des Dienstes

Gott der Vater

Einmal angenommen zwei Christen haumltten zwei voumlllig gleiche Geistesga-ben dann hieszlige das noch lange nicht dass sie dieselbe Aufgabe also densel-ben Dienst haumltten Und angenommen zwei Christen haumltten zwei voumlllig gleiche Gaben und zwei voumlllig gleiche Diens-te koumlnnten sich die Ergebnisse dieser Dienste doch immer noch stark un-terscheiden Wenn also zwei Evange-listen theoretisch zur gleichen Zeit am gleichen Ort evangelisieren koumlnnten koumlnnte es immer noch sein dass der eine eine Erweckung ausloumlst waumlh rend der andere dem Herrn fuumlr ein einziges seelsor gerliches Gespraumlch als Er gebnis seiner Anspra che dankt

In diesem Zusammenhang ist auch wichtig dass dieselbe Gabe in unter-schiedlichem Maszlige verliehen werden kann Paulus bezeichnet in Roumlm 123 wie in Eph 47+16 die Gnadengaben mit dem Begriff bdquoMaszligldquo (= bdquoZuge-messenesldquo) naumlmlich das bdquoMaszlig des Glaubensldquo (Roumlm 123) bzw in Eph 47 das bdquoMaszlig der Gabe des Christusldquo Die Gabe des Evangelisten oder Leh-rers kann in unterschiedlichem Maszlige verliehen werden und wachsen was mit ein Grund dafuumlr ist weswegen der Einsatz derselben Gabe durch verschie-dene Christen ganz unter schiedlichen sbquoErfolglsquo hat

2 These Der Einsatz der Gnadengashyben ist selbstverstaumlndlicher Be standshyteil des Glaubenslebens da jeder Christ eine Gabe empfaumlngtbdquoSo wie jeder eine Gnadengabe emp-fangen hat so dient damit einander als gute Verwalter der verschiedenartigen Gnade Gottes Wenn jemand redet so als Ausspruumlche Gottes wenn jemand dient so aus der Kraft die Gott dar-reicht damit in allem Gott verherr-licht werde durch Jesus Christus dem die Herr lichkeit ist und die Macht in alle Ewigkeit Amenldquo (1Petr 410ndash11) Petrus fasst wieder einmal knapp zu-sammen was Paulus ausfuumlhr lich und teilweise schwerer ver staumlndlich behan-delt (vgl die Aussage von Petrus uumlber Paulus in 2Petr 315ndash16) Petrus lehrt

bullthinspthinspdassthinsp jederthinsp Christthinsp einethinsp Gnadengabethinsphat

bullthinspthinspdassthinsperthinspdemthinspHerrnthinspbdquosoldquothinspundthinspnichtthinspan-ders dienen soll

bullthinspthinspdassthinsp derthinsp Christthinsp nurthinsp bdquoVerwalterldquothinsp derthinspGnade Gottes ist (Verwalter legen Rechenschaft ab und sind nicht die Herren der Gabe)

bullthinspthinspdassthinspdiethinspGabenthinspzumthinspDienstthinspamthinspande-ren gedacht sind

bullthinspthinspdassthinsp diethinsp Gabenthinsp zurthinsp VerherrlichungthinspGottes nicht zur Selbstverherrli-chung gedacht sind

3 These Die Listen der Geistesgashyben im Neuen Testament sind nicht vollstaumlndig sondern nennen nur Beispiele Deswegen kann es durchshyaus Gaben geben die im Neuen Tesshytament nicht genannt werdenDa jede Gabenliste im Neuen Tes-tament nur eine Auswahl der Gaben darbietet und sich viele der genannten Gaben uumlberschneiden will keine eine vollstaumlndige Liste aller moumlglichen Ga-ben vorlegen sondern nur Beispiele nennen Auch wenn einige Gaben (z B sbquoLehrerlsquo und sbquoPro phetlsquo und die an-deren in Eph 411 genannten Gaben) sehr haumlufig genannt und offensichtlich immer benoumltigt werden gibt es keine Gabe die immer genannt wird Des-wegen ist es meines Erachtens berech-tigt auch solche Gaben festzustellen die namentlich nicht im Neuen Testa-ment genannt werden (z B die Gabe

8 7 8 6 uuml

der Gast freundschaft oder die Gabe des Troumlstens) Einige dieser nicht ge-nannten Gaben kommen uumlbrigens in der Bibel in der Praxis in anderen Zusammenhaumlngen oder im Alten Tes-tament vor etwa die Gabe Lieder zu dichten (z B Da vid) oder Sprichwor-te zu verfassen (z B Sa lomo) oder die Gabe der kuumlnstlerischen Gestaltung und der Schnitzkunst fuumlr das Haus des Herrn (2Mose 311ndash6 3530ndash35)

Die in den neutestamentlichen Listen erwaumlhn ten Geistesgaben

1Petr 411 Reden und Dienen [allge-meine Eintei lung]Eph 411 Apostel Propheten Evange-listen Hirten und LehrerRoumlm 126ndash8 Prophezeiender Dienen-der Lehrer Ermahnender Gebender Vorstehender Barmherzigkeit Uumlbender 1Kor 128ndash10 Wort der Weisheit Wort der Erkenntnis Glaube Heilun-gen Wunderwirkungen Prophetie Geistesunterscheidung Sprachenrede Uumlbersetzung der Spra chenrede1Kor 1228ndash30 Apostel Propheten Wundertaumlter Lehrer Heilungen Hil-feleistungen Leitung verschiedene Ar-ten der Sprachen rede Uumlbersetzung der Sprachenrede1Kor 131ndash3 Zungenrede Prophetie Geheimnisse und Erkenntnisse wissen Glauben Speise geben Marty rium

1Kor 1426 Psalm Lehre Sprachen-rede Offenbarung Uumlbersetzung der SprachenredeZusaumltzlich gibt es in der Praxis groszlige Unterschiede zwischen Christen die dieselbe Gabe haben also etwa zwi-schen den einzelnen sbquoEvangelistenlsquo Ei-nige Evangelisten sind fuumlr das persoumlnli-che Gespraumlch begabt andere fuumlr einen Vortrag vor groszligen Mengen wieder andere als Buchautoren Ich erinnere mich wie Billy Graham erzaumlhlte wie schwer es ihm fiele einzelne Menschen auf das Evangelium hin anzusprechen Deswegen genuumlgt es nicht sich einfach einer der im Neuen Testament genann-ten Gaben zuzuordnen Entscheidend ist die tatsaumlchliche Begabung wie sie sich in der Praxis des Glaubens und der Gemeinde erweist

4 These Jeder Gabe die nicht jeder ausuumlben soll und darf entspricht eine allgemeine Aufforderung an alle ChristenDie Gaben heben also nur aus dem Bereich der das Glaubensleben aller Christen ausmachen soll einzelne Be-reiche und Auf gaben besonders herausAlle sollen dieneneinige haben die Gabe des Dienstesalle sollen glaubeneinige haben die Gabe des Glaubensalle sollen barmherzig seineinige haben die Gabe der Barmher-zigkeit

alle sollen sich gegenseitig ermahneneinige haben die Gabe der Ermahnungalle duumlrfen um Heilung beteneinige haben die Gabe der Heilungalle sollen das Evangelium weitergebeneinige haben die Gabe des Evangelistenalle sollen Rechenschaft von ihrem Glauben ablegeneinige haben die Gabe der Lehrealle sollen Gott anbeteneinige haben die Gabe der Sprachen-redealle sollen die Geister unterscheideneinige haben die Gabe der Geistesun-terscheidung

5 These Deswegen bedeutet der Besitz einer Gabe nicht dass man etwas als einziger tun soll oder als einzi ger tun kann sondern dass man von Gott zu einer bestimmten Aufshygabe be sonders bevollmaumlchtigt istDiese Bevollmaumlchtigung zu erkennen ist die wesentliche Frage wenn man seine eigene Gabe oder die anderer erkennen und verstehen will Die Bevollmaumlchti gung kommt meines Er-achtens darin zum AusdruckbullthinspthinspdassthinspmanthinspanthinspeinerthinspAufgabethinspbesonderethinsp

Freude hat (ja Christsein darf auch einmal etwas sbquoSpaszliglsquo machen)

bullthinspthinspdassthinsp manthinsp dieserthinsp Aufgabethinsp wiethinsp vonthinspselbst nachgeht

bullthinspthinspdassthinsp manthinsp einethinsp Aufgabethinsp besondersthinspgut macht wobei jedoch sbquogutlsquo an der

Wirkung auf an dere bemessen wer-den muss

bullthinspthinspdassthinspmanthinspbeimthinspEinsetzenthinspdieserthinspGabethinspsbquoNutzenlsquo her vorbringt Gott also den Dienst segnet

Einige praktische Beispiele moumlgen dies erlaumlutern Ich bin gerne gastfreundlich Doch meine Gastfreundlichkeit ge-schieht so sbquogeraumluschvolllsquo dass es jeder bemerkt Wie gerne halte ich jedoch schwierige Besprechungen bei Christen ab die die Gabe der Gastfreundschaft haben Sie schaffen durch ihre Gast-freundschaft eine warme friedliche At-mosphaumlre wobei man ihre Gegenwart fast gar nicht wahrnimmt und schon gar nicht als stoumlrend empfindet

Wer die Gabe des Lehrens hat wird dies unter anderem daran merken dass er wie von selbst Stunden damit zubringt bestimmte Fragen anhand der Bibel zu beantworten oder Grund-satzfragen mit anderen zu diskutieren und dass wenn er seine sbquoLouml sungenlsquo vortraumlgt andere ploumltzlich feststellen dass sie endlich den Zusammenhang der Bibel erfasst haben denn bdquodie An-mut der Spra che foumlrdert das Lehrenldquo (Spr 1621) Hier macht die intensive Arbeit Freude und fuumlhrt zu dem sbquoEr-folglsquo dass Menschen die Bibel nicht nur verstehen sondern auch ausleben Wer da gegen keine Freude am intensi-ven Bibelstudium hat Menschen nur sbquoanpredigtlsquo und nie erlebt dass Men-schen sbquoverstehenlsquo und ihr Leben dar-

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 97 8 6 uuml

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden Werbung

aufhin entsprechend aumlndern duumlrfte wohl kaum die Gabe der Lehre haben und uumlber kurz oder lang zum reinen Theoretiker werden oder frustriert die bibli sche Lehre fuumlr nicht praktikabel halten

Wer sich immer zu seinen Diensten zwingen muss wer nie sbquoFruchtlsquo sieht wer sich im Dienst unerfuumlllt sieht oder sogar neidisch wird sollte sich nicht nur fragen ob ihm die Frucht des Geis-tes fehlt sondern auch ob er wirklich seine Gabe im Einsatz hat deren richti-ger Gebrauch zur Zufriedenheit uumlber die Herrschaft Gottes auch in der Zu-teilung der Gaben fuumlhrt

6 These Die Verschiedenartigkeit der Gaben bedroht die Einheit der Gemeinde sobald die Frucht des Geistes nicht die Ausuumlbung der Gashyben des Geistes bestimmtGott macht uns zu bdquoVerwalternldquo (1Petr 410) seiner Gaben und nimmt sie uns gnaumldigerweise nicht sofort weg wenn wir hochmuumltig eigensinnig oder lieb-los sind Die Gaben sind auch gerade deswegen sbquoGnadengabenlsquo weil Gott sie uns nicht sofort wegnimmt wenn wir sie missbrauchen oder wenn wir in Suumlnde leben

Daraus folgt aber auch dass der Be-sitz und der Einsatz von Gei stesgaben keine Garantie fuumlr ein geistliches Leben sind Der geistli che Stand eines Chris-ten kann nicht an den Geistesgaben sondern nur an den Geistes fruumlchten

(Gal 522) abgelesen werden Das ist das Thema von 1Kor 13 Paulus will dass die Korinther um die Geistesga-ben eifern (1Kor 1231 141) aber in der Liebe (1Kor 131ndash13) zeigt er ihnen bdquoeinen Weg noch weit daruumlber hinausldquo (1Kor 1231b vgl 141) also direkt vor und nach dem Kapitel uumlber die Liebe in 1Kor 13 Deswegen ermahnen Pau-lus und Petrus in allen Texten uumlber die Gei stesgaben zur Einheit zur Liebe aber auch dazu nicht so zu leben wie die Welt

Vergleich des Textzusammenhangs der wichtigsten Texte zu den GeisshytesgabenErmahnung zur LiebeRoumlm 129ndash21 Eph 41ndash3+15-16 1Petr 48ndash9 1Kor 12ndash14 131ndash141GnadengabenRoumlm 123ndash8 Eph 48+11 1Petr 410ndash11 1Kor 121ndash133Nicht wie die Welt lebenRoumlm 121ndash2 Eph 41+17ndash24 1Petr 4(7) 1Kor 121ndash3Einheit im LeibRoumlm 124ndash5 Eph 43ndash6+12ndash16 1Petr 4(8) 1Kor 1212ndash31 141ndash33

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

ist Rektor des Martin Bucer Seminars und lehrt dort Ethik und Missions- und Religionswissenschaften Er ist auszliger-dem Professor fuumlr Religionssoziologie an der Staatlichen Universitaumlt Ora-dea Rumaumlnien und hat einen Lehr-stuhl fuumlr Internationale Entwicklung an der ACTS University in Bangalore Indien

1 Vgl bdquoSchluss mit der gabenvernichtenden Pas-torenfalleldquo In Klaus Eickhoff Harmlos Kraft-los Ziellos Die Krise der Predigt ndash und wie wir sie uumlberwinden Witten Brockhaus 2009 S 267ndash276 insgesamt S 267ndash324 bes S 300ndash313 zu gabenspezifische Predigten mit fuumlnf Schwer-punkten nach Eph 4 12 apostolisch prophetisch evangelistisch seelsorgerlich lehrhaft2 Geglaumlttete und aktualisierte Fassung aus Thomas Schirrmacher Der Roumlmerbrief VTR 2001

Institut fuumlr Lebens- undFamilienwissenschaften

wwwbucereuilfwhtml

Anmerkungen

10 7 8 6 uuml

Evangelisation und Calvinismus

Prof Dr Clair Davis

Welche ist die beste Theologie fuumlr die Evangelisation Da der Missionsbefehl im Zentrum dessen steht was ein glaumlu-biger Christ tut muss die bdquobeste Theo-logie der Evangelisationldquo die richtige Theologie sein die einzig gute Theolo-gie Koumlnnte der Calvinismus die richtige Antwort sein Dieser glaubt die Bibel sage dass wir ohne Christus tief im In-neren Suumlnder seien und nichts mit Gott zu tun haben wollen Ebenso glaubt er dass jemand ausschlieszliglich durch den Heiligen Geist zu Christus gelangen koumlnne da es uns unmoumlglich sei irgend-etwas selber zu unserer Rettung beizu-steuern Wie koumlnnte dies im Rahmen der Evangelisation funktionieren Was koumlnnten Glaumlubige tun auszliger am Rand zu stehen und abzuwarten ob etwas pas-siert oder nicht Wie koumlnnen sie anders als gleichguumlltig sein da es nichts mit ihnen und Gottes Berufung fuumlr sie zu

tun hat Wenn sich alles darum dreht was Gott tut koumlnnte der Missionsbefehl nur eine Floskel sein

Koumlnnte man die Lage auch anders be-trachten Man koumlnnte doch sagen dass im Herzen eines Suumlnders immer noch etwas Goumlttliches ist das lebendig und gut erhalten ist etwas das willens und faumlhig ist gute Entscheidungen zu tref-fen Es kann ja auch gar nicht anders sein denn wie sonst koumlnnte sich irgend-jemand fuumlr Christus entscheiden Diese Denkweise der Pelagianismus hat viele attraktive Aspekte Pelagius kam vom ernsthaften und intensiv betenden kelti-schen Norden Groszligbritanniens und war erstaunt uumlber den faulen und nachlaumlssig gefuumlhrten christlichen Glauben den er in Italien kennenlernte Daher rief er die Menschen dazu auf ernsthaft und re-chenschaftspflichtig mit ihrem Glauben umzugehen Ergibt das keinen Sinn

Dennoch Verwirrung kommt auf so-bald das Wort bdquoUnfaumlhigkeitldquo auch fuumlr Christen als Ausrede fuumlr ihre Suumlndhaf-tigkeit verwendet wird Doch das kann nicht stimmen denn Glaumlubige haben die Kraft des auferstandenen Christus in ihren Herzen die ihnen vom Heili-gen Geist gegeben wurde das groszligarti-ge Geschenk das weiterhin ausgegeben wird Wenn man mit Christus vereint ist ist man faumlhig bdquodie Welt das Fleisch und den Teufelldquo (dieses Zitat stammt aus dem Book of Common Prayer der Anglikanischen Kirche) zu bekaumlmp-fen und zu besiegen denn Jesus ist der bdquovon der dunklen Staumltte auferstandene Siegerldquo (Vers eines amerikanischen Kir-chenliedes) Der Teufel ist immer noch am Leben aber besiegt und das Leben ist weiterhin voller Versuchungen ndash und Niederlagen Wenn man diese Nieder-lagen als gegeben hinnimmt und sich

an sie gewoumlhnt wird ein aumluszligerst faules Christentum entstehen Pelagius hat-te vollkommen recht uumlber einen solch bdquochristlichenldquo Unglauben geschockt zu sein

Augustinuslsquo Geschichte war eine an-dere Er war ein radikaler Nicht-Glaumlu-biger und er wusste alles daruumlber Er wusste deswegen alles uumlber konsequente Gottlosigkeit da er selber so gut darin war ndash auf viele raffinierten Arten Da-rum war es einfacher fuumlr ihn zu sehen was die Bibel uumlber Gottes Gnade sagt nur Gott konnte sein verdrehtes die Wahrheit negierendes Herz aumlndern

Hilft das nicht die Probleme zu er-kennen Wenn es um das Leben als Christ geht ist es vollkommen richtig dass man aufhoumlren muss die Schuld von sich zu weisen und anfangen muss Verantwortung zu uumlbernehmen ndash ob-wohl ein Groszligteil dieser Verantwortung

glauben amp denken heute 22012 117 8 6 uuml

Evangelisation und Calvinismus

darin besteht Gott anzurufen bdquoZeige mir meine Suumlnde Vergib mir meinen selbstgenuumlgsamen Stolz Zeige mir wie groszlig Jesus istldquo Der Geist veraumlndert un-ser Herz aber wir sind verantwortlich und rechenschaftspflichtig Das Leben ist ein Kampf voller Danksagungen Dies koumlnnte besser verstanden werden und dem wird so sein wenn Jesus wie-derkehrt

Doch wenn man dieses bdquoLeben eines Glaumlubigenldquo auf das Leben eines rebelli-schen Schuld von sich weisenden Un-glaumlubigen abfaumlrben laumlsst der Jesus mei-den will dann entsteht Verwirrung da dieser anders ist Er ist ohne Gott und ohne Hoffnung weil er so sein moumlch-te Um zu Jesus kommen zu koumlnnen muumlsste er zugeben dass er Jesus braucht ndash doch warum sollte er das zugeben Er ist selbstsicher er ist sich selbst genug und ein viel besserer Mensch als alle an-deren die er kennt

Wie koumlnnte sich das aumlndern Was koumlnnen wir tun um das zu aumlndern Was sollten wir sagen Das jedenfalls weiszlig ich Was auch immer wir solch einem Menschen sagen zuerst sollten wir un-seren Herrn bitten bdquoVater sende Deinen Geist um sein Herz zu erweichen um ihm seine Beduumlrftigkeit zu zeigen Lehre mich Vater nicht selbstgerecht zu sein sondern ein sbquoBettler [zu sein] der einem anderen Bettler mitteilt wo es Brot gibtlsquo (Zitat des Bischofs D T Niles) Hilf mir zuzuhoumlren Vaterldquo

Von Jay und Holly Eastman lerne ich seit einiger Zeit wie man zuhoumlrt Sie sind Missionare in Ostberlin und ha-ben dort 10 Jahre zugehoumlrt und nun gibt Gott die Ernte Wenn jemand nicht zuhoumlrt koumlnnte es sein dass er denkt er vertrete Gott der immer mit Voll-macht redet Das ist der Grund weswe-gen wir alle die Evangelien wieder lesen und sehen muumlssen wie Jesus zu Suumln-dern spricht Er warnt sie vor Stolz und Selbstgerechtigkeit und sagt ihnen dass er nicht gekommen ist die bdquoGerechtenldquo wie sie es sind zu retten sondern Suumln-der Er fragt die Frau am Brunnen nach Wasser wohl wissend dass sie dort zu einer ungewoumlhnlichen Zeit ist da sie von rechtschaffenen Leuten abgewiesen wurde Er tadelt Stolz und honoriert Demut und Beduumlrftigkeit In einem Evangelium sagt er bdquoSelig sind die da geistlich arm sindldquo in einem anderen nur bdquoSelig seid ihr Armenldquo Ich versu-che zu verstehen was das bedeutet Ich denke das ist das Wichtigste was wir lernen muumlssen

Wie koumlnnen wir zuhoumlren Wie koumlnnen wir Armut erkennen die offenkundige Armut und die andere Art von Armut Wie wuumlrden wir sie bei uns erkennen Setzen wir unser Vertrauen in Christus oder in uns selber ndash mit einer Jesus-Fassade Ich denke das stand immer im Zentrum der Erweckungsbewegung und wie koumlnnte es wahre Evangelisation geben ohne Erweckung

Ich ermutige Sie die zentralen Stellen von Jonathan Edwardslsquo bdquoTreatise on Religious Affectionsldquo (dt etwa bdquoAb-handlung uumlber glaumlubige Zuneigungldquo) zu lesen und uumlber sie zu beten Das hilft so sehr uns zu zeigen wo unser Herz wirklich steht Danach schauen Sie sich eine predigtartige Version dessel-ben Themas von George Whitefield an (siehe dazu URL httpwwwccelorgcceledwardsaffectionsviviiihtml und httpwwwccelorgccelwhitefieldser-monsxxvhtml)

Ich denke das ist die Antwort Wie kann man zuhoumlren wie kann man ein beduumlrftiges Herz zu Jesus fuumlhren wenn man es nicht selber regelmaumlszligig tut

Zuruumlck zum Calvinismus Ist dies nicht genau das was er im Innersten ist Er ist definitiv nicht akademische Arro-ganz die uns selber immer wieder ver-gewissert wie viel besser wir die Bibel lesen als all die bdquoUnreinenldquo Viel mehr ist er eine Einstellung des Herzens die Jesus in all seiner Herrlichkeit sieht staunend dass er uns liebt die Unreins-ten von allen die so viel verstehen und so wenig darauf reagieren Wenn wir uns Jesus und seiner Liebe und unserer eigenen Unliebenswuumlrdigkeit bewusst sind dann koumlnnen wir zuhoumlren Dann koumlnnen wir mit Guumlte und Demut die Liebe zu Gott teilen Dann werden wir gelernt haben dass es nicht darum geht wie erpicht wir darauf sind Jesus zu lie-ben und ihn bei uns zu haben sondern

vielmehr werden wir erkennen dass wir ein Haufen von fruumlhen bdquoAugustinu-senldquo sind erfinderisch in unserem Un-glauben und unserer Uumlberheblichkeit Demut gegenuumlber den Evangelien und der Calvinismus ndash das ist ein und die-selbe Sache Sie sind so uumlberwaumlltigend dieselbe Sache dass wir nur in dieser dunklen Welt das Wort bdquoCalvinismusldquo verwenden muumlssen um einfach sagen zu koumlnnen bdquoAmazing grace How sweet the soundldquo ndash bdquoErstaunliche Gnade wie suumlszlig ist der Klangldquo

Prof Dr Clair Davis

spielte bei Gruumlndung und Aufbau des Martin Bucer Seminars eine wichti-ge Rolle als Berater Mittler und Be-fuumlrworter Dazu hielt er auch etliche Gastvorlesungen in Deutschland In diesem Zusammenhang wurde sein Buch bdquoWenn der Glaube Gestalt ge-winnt Beitraumlge zur Praxis des Chris-tenlebensldquo (Bonn VKW 2004 112 Seiten Pb ISBN 978-3-932829-90-1 830 Euro) uumlbersetzt (erhaumlltlich hier httpwwwgenialebuecherdewenn-der-glaube-gestalt-gewinnthtml) Die Uumlbersetzung dieses Arti-kels stammt von Kathrin Bentley

12 7 8 6 uuml

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

Prof Dr Stephen J Wellum

Warum das Leben und Denken von Francis Schaeffer studieren1

Diese Frage kann auf zwei Arten gestellt werden Erstens Warum studieren wir uberhaupt eine historische Figur Und zweitens Warum reflektieren wir im Besonderen uber das Leben und Den-ken von Francis Schaeffer Was macht letzten Endes gerade ihn im Vergleich zu anderen so wichtig Die schlichte Antwort auf die erste Frage ist dass wir durch christliche Maumlnner und Frauen die uns vorangegangen sind lernen und herausgefordert werden Es ist uberaus klar dass in der Schrift Men-schen die uns als Vorbild dienen sei es positiv oder auch negativ ein Thema sind Paulus ermuntert Timotheus sei-nem Vorbild zu folgen wie er Christus

folgt (vgl 2Tim 310ndash13) Hebraumler 11 beschreibt uns die bdquoRuhmeshalleldquo des Glaubens um uns zu ermutigen in der Hingabe an den Herrn und im Dienst fur ihn fortzuschreiten Wenn wir das Leben gottesfurchtiger Maumlnner und Frauen untersuchen und zwar sowohl ihre Staumlrken als auch ihre Schwaumlchen dann lernen wir wie wir dem Herrn heute besser dienen koumlnnen Und oft werden wir dabei von auszligergewoumlhnli-chen Mitstreitern die danach strebten in ihrem Leben dem Herrn von ganzem Herzen zu dienen aus unserer geistli-chen Lethargie geweckt Auszligerdem ist es wichtig historische Gestalten unserer Zeit ebenso wie solche aus der ferneren Vergangenheit zu studieren Warum Aus dem einfachen Grund dass Men-schen unserer Zeit uns dabei helfen auf die speziellen Probleme und Her-ausforderungen unserer Tage und nicht

einfach auf die Probleme einer fruheren Aumlra angemessen zu reagieren In diesem Sinne besteht eine Parallele zum Betrei-ben von Theologie Denn genauso wie staumlndig Theologie geschrieben werden muss um das unwandelbare Wort auf eine sich wandelnde Welt anzuwenden so mussen wir Zeitgenossen studieren die uns helfen koumlnnen treu und kom-promisslos auf die Herausforderungen zu reagieren mit denen die Kirche ge-genwaumlrtig konfrontiert ist

Warum aber sollten wir gerade Fran-cis Schaeffer studieren Die Antwort auf diese zweite Frage ist dass es wahr-scheinlich keine Gestalt gibt die die evangelikale Bewegung in der zweiten Haumllfte des zwanzigsten Jahrhunderts staumlrker bewegt und beeinflusst hat als Francis Schaeffer Michael Hamilton kommentiert den Einfluss von Francis Schaeffer auf die evangelikale Bewe-

gung und sagt dabei Folgendes uber sein Leben und sein Werk

Als Francis Schaeffer im Jahr 1965 erst-mals auf der amerikanischen Buhne erschien wussten Evangelikale kaum was sie mit ihm anfangen sollten Sein christlicher Glaube war im Feuerofen der Kontroverse zwischen Fundamentalisten und Modernisten in den 1930er Jahren geformt worden und er war ein eingetra-genes Mitglied der absolut fundamenta-listischen Bible Presbyterian Church Er verteidigte leidenschaftlich die Idee der Irrtumslosigkeit der Schrift eine Lehre die in evangelikalen Kreisen schon etwas ins Rutschen geraten war Dennoch war er kein gewoumlhnlicher fundamentalisti-scher Prediger Er und seine Frau Edith lebten seit 10 Jahren in einer Studenten-gemeinschaft die sie in den Schweizer Alpen begonnen hatten Wenn er Vorle-sungen hielt trug er alpine Wanderklei-

Zum 100

Geburtstag von

Francis Schaeffer

glauben amp denken heute 22012 137 8 6 uuml

dung ndash Kniebundhosen Kniestrumpfe Wanderschuhe 1972 hatte er zu seiner schon vorher eigentumlichen Erschei-nung auch noch langes Haar und einen weiszligen buscheligen Ziegenbart am Kinn Das Sonderbarste war dass er selten die Bibel zitierte Er war eher geneigt uber die philosophische Bedeutung von Henry Miller zu reden (der damals als der por-nographischste Schriftsteller in der ame-rikanischen Literatur betrachtet wurde)

Waumlhrend der naumlchsten zwei Jahrzehnte organisierte das Ehepaar Schaeffer einen vielseitigen Dienst der den amerika-nischen Evangelikalismus neu formte Wahrscheinlich hat abgesehen von C S Lewis und Billy Graham kein Intellek-tueller das Denken der Evangelikalen tiefer gepraumlgt Zusammen brachten die Schaeffers die Idee des bewussten Lebens in christlicher Gemeinschaft in Umlauf Sie stieszligen die Evangelikalen aus ihrem kulturellen Ghetto inspirierten ein Heer Evangelikaler ernsthafte Wissenschaftler zu werden ermutigten Frauen ihre Rol-len als Mutter und Hausfrau anzuneh-men waren Mentoren fuhrender Koumlpfe der Neuen Christlichen Rechten und verliehen einer populaumlren evangelikalen Opposition gegen Abtreibung Stabilitaumlt2

Auf aumlhnliche Art und Weise fasst Ha-rold O J Brown die Wirkung und den Einfluss Francis Schaeffers zusammen indem er feststellt

Es gibt keinen anderen christlichen Denker unserer Zeit der so viele grund-

legende intellektuelle philosophische und theologische Fragen in Angriff ge-nommen hat wie Schaeffer es tat Er tat das jedoch nicht im Bemuhen eine um-fassende Philosophie der Geschichte zu konstruieren wie etwa Oswald Speng-ler (bdquoDer Untergang des Abendlandesldquo) oder Arnold Toynbee (bdquoDer Gang der Weltgeschichteldquo)

Selbst seine Spezialthemen behandelte Schaeffer nicht als theoretische Prob-leme die in ein umfassendes Weltbild zu passen hatten sondern als Fragen die jeder Mensch individuell beant-worten muss um Sinn fur sein Leben zu finden Es gibt nicht viele christliche Denker die sich mit so vielen groszligen Themen der Theologie und der Philo-sophie beschaumlftigt haben wie Schaeffer und niemand anders hat so sehr ihre Be-deutung fur uns aufgedeckt Schaeffer behandelte sie als entscheidend fur das Verstehen unseres eigenen Lebens und seiner Bedeutung und nicht nur als Abs-traktionen die einem Seminar fur Fort-geschrittene vorbehalten sind Schaeffer wollte und das war fur einen tiefen Denker ungewoumlhnlich einfache Leute mit den groszligen Fragen der Philosophie und Theologie und den entsprechenden Konsequenzen vertraut machen3

Zusaumltzlich koumlnnen wir unsere For-schung uber Francis Schaeffer noch staumlrker dadurch rechtfertigen dass wir seine Bedeutung und seinen Einfluss in drei wichtigen Bereichen feststellen

dem persoumlnlichen dem theologischen und dem sozialen Bereich4 Was den persoumlnlichen Bereich betrifft so erfolgte der Einfluss Schaeffers anfaumlnglich nicht durch akademische bildende Institutio-nen und auch nicht durch das Verlags-wesen Seinen groumlszligten Einfluss erlangte er durch den persoumlnlichen Kontakt mit Einzelnen die er kennenlernte und de-ren Leben er veraumlnderte Man kann also sagen dass sein Einfluss nicht darauf be-ruhte dass er zum evangelikalen Estab-lishment gehoumlrte sondern im Gegenteil vielmehr darauf dass er von diesem un-abhaumlngig war Fur Schaeffer waren per-soumlnliche Evangelisation und Jungerschaft keine Klischees

Durch sein Leben und seinen Dienst im Schweizer LrsquoAbri weit entfernt von Amerika beruhrten er und seine Frau Edith das Leben von zahllosen einzelnen Menschen Von ihnen sollten viele spaumlter evangelikale Leiter in Schlusselpositionen werden Fur diejenigen von uns die da-nach streben Maumlnner und Frauen fur das Evangelium zu gewinnen waumlre es sicher-lich weise aus dem Leben eines solchen Mannes Lehren zu ziehen und neu die Bedeutung des persoumlnlichen Kontaktes in unseren Begegnungen mit Menschen zu entdecken5 Aus einem theologischen Blickwinkel erkennen wir Schaeffers Bedeutung daran dass er maszliggeblich daran beteiligt war gerade die Evange-likalen aufzurufen zentrale Wahrheiten ernstzunehmen Bei ihnen bestand die

Tendenz diese Wahrheiten weniger zu betonen oder sogar zu verleugnen An-gesichts einer zunehmenden Neigung zu einem umfassenden Pluralismus und einer Verleugnung der Wahrheit in der akademischen Theologie in der Kirche und in der allgemeinen Kultur forderte Schaeffer die evangelikale Bewegung be-sonders dazu heraus ihre Hingabe an das Konzept der Wahrheit ndash oder wie er es nannte bdquowahre Wahrheitldquo ndash neu geltend zu machen Deshalb trat er im wahrsten Sinne des Wortes bis zu seinem Sterbe-bett eindeutig fur die volle Autoritaumlt und Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift ein Zu der Frage nach der bdquowahren Wahr-heitldquo gehoumlrten fur ihn auch solche ent-scheidenden Themen wie die Historizitaumlt von 1Mo 1ndash11 die Lehre von der Schoumlp-fung die zentrale Bedeutung der Lehre von Gott und die Ausschlieszliglichkeit von Jesus Christus als dem Weg der Wahr-heit und dem Leben6

Auch die Tatsache dass er sich gegen die Theologie der Neoorthodoxie7 wand-te die einige Evangelikale anzunehmen begonnen hatten hat etwas damit zu tun Er glaubte dass sie die Wahrheit und Wahrhaftigkeit des Evangeliums unterhoumlhlen wurde Heute mussen wir wahrscheinlich mehr als je zuvor die theologischen Herausforderungen durchdenken die uns Schaeffer hinter-lassen hat Hatte er Recht Falls ja gibt es Dinge die wir bei unserem Versuch fur die Wahrheit des Evangeliums einzuste-

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

14 7 8 6 uuml

hen heute von ihm lernen koumlnnen Auch fur unsere Uumlberlegungen im sozialen Be-reich ist Schaeffer eine wichtige Gestalt Als in den 70er Jahren Evangelikale an der sozialen Front wenig unternahmen forderte er Millionen Evangelikale fast im Alleingang dazu auf eine aktive Rol-le bei der Gestaltung ihrer Gesellschaft und deren Werte zu ubernehmen Er gab ihnen dazu auch eine theologische Begrundung8 Wie Brown beobachtet bdquowar die Entscheidung des Obersten Ge-richtshofes der USA zum Fall Roe gegen Wade 1973 die Abtreibung auf Verlan-gen erlaubt fur Schaeffer eine Art Funke im Pulverfassldquo9 Seit langem hatte Schaef-fer die Leute darauf verwiesen dass das Weltbild des nachchristlichen Westens auf eine Entwertung des menschlichen Lebens zusteuerte Die Roe gegen Wade-Entscheidung war daher fur ihn ein ent-scheidender Ruf zum Handeln

1979 produzierte er zusammen mit C Everett Koop und Franky Schaeffer die Filmreihe bdquoWhatever Happened to the Human Raceldquo die dabei half schlaumlfrige Evangelikale zum Handeln zu mobilisie-ren und sie dazu herauszufordern sich auf der politischen Buhne zu engagieren Es ist keine Uumlbertreibung zu sagen dass das Aufkommen von Schwangerschafts-konfliktberatungszentren die Entste-hung des Rates fur christliches Handeln (Christian Action Council) und der Moralischen Mehrheit (Moral Majori-ty) direkt mit dem Einfluss von Francis

Schaeffer in Verbindung stehen Doch was waren seine Grunde fur soziales Handeln Waren sie zulaumlssig Und was koumlnnen wir von ihm bei dem Versuch lernen heute unserem Herrn gehorsam zu sein Es gibt aber noch einen letzten Grund warum wir das Leben und Den-ken Francis Schaeffers studieren sollten

Die uneinheitlichen Reaktionen evan-gelikaler Gelehrter auf ihn oumlffnen ein Fenster durch das wir die zunehmend gespaltene evangelikale Bewegung se-hen koumlnnen Lane Dennis kommentiert verschiedene Kritiker die Schaeffers Denken bdquoanmaszligenden Schwulstldquo bdquosim-plistischldquo bdquoVerkummerungldquo und bdquokindi-sche Verknupfung unbestaumltigter Urteileldquo benannt haben und merkt an dass bdquoman gewoumlhnlicherweise diese Art von Adjek-tiven in houmlflicher oder gelehrter Kon-versation nicht houmlrt offensichtlich hat Schaeffer einen blanken Nerv beruhrtldquo10 Interessanterweise stellt Dennis fest dass diese Art von Reaktion meist von Aka-demikern in evangelikalen Colleges zu kommen scheint und weniger von evan-gelikalen Gelehrten aus saumlkularen Schu-len11 Warum Warum diese negativen Reaktionen aus gewissen Bereichen der evangelikalen Bewegung besonders von Akademikern Einige beantworten diese Frage mit der Feststellung dass Schaeffer kein richtiger bdquoGelehrterldquo war und dass dies der Grund fur manche der negati-ven Reaktionen gewesen sei Aus einer Vielzahl von Grunden genugt diese Ant-

wort jedoch nicht12 Es scheint vielmehr dass Michael Hamilton auf dem richti-gen Weg ist wenn er argumentiert dass die verschiedenartigen Reaktionen auf Schaeffer negativ und positiv eine be-achtliche Spaltung innerhalb der evange-likalen Bewegung widerspiegeln Scha-effer vertritt in den Worten Hamiltons bdquodie rauere Kanteldquo der evangelikalen Be-wegung im Gegensatz zu Billy Graham und anderen die die bdquoweichere Kanteldquo vertreten Die bdquoweichere Kanteldquo ist der Teil der evangelikalen Bewegung der die bdquogemaumlszligigte Mitteldquo vertritt ndash eine Mitte die versucht Kontroversen zu entschaumlr-fen und jedem wohlgesonnen ist der zur Zusammenarbeit mit allen denen bereit zu sein scheint die ihn das Evangelium predigen lassen13

Auf der anderen Seite vertritt Schaeffer die Seite der evangelikalen Bewegung die bereit ist mit anderen fur gemeinsame soziale Anliegen eine Allianz einzugehen nicht aber wenn es um die Verkundigung des Evangeliums geht Diese Seite orien-tiert sich so sehr an der Frage nach der Wahrheit dass sie erkennt dass schein-bar bdquogeringfugigeldquo Verschiebungen der Lehre bedeutsam sind und sehr ernst ge-nommen werden mussen Es ist eine Sei-te die zu einer bdquoliebevollen Konfrontati-onldquo in Fragen von Wahrheit und Leben aufruft weil es sonst zu Kompromissen in Bezug auf das Evangelium komme Aber ich bin davon uberzeugt dass wir uns heute mit ihr identifizieren mussen

Heute ist die evangelikale Bewegung in vielen Fragen darunter auch in einigen wichtigen Lehrfragen gespalten So ist es in dieser Zeit weise uber das Leben und Denken Francis Schaeffers nachzu-denken einem Diener des Herrn der in seiner Generation fest einstand fur das Evangelium damit wir lernen koumlnnen wie wir dies in unserer Generation ver-mehrt tun koumlnnen14 Ich schlage vor dass wir das Leben und Denken Schaeffers in folgender Weise betrachten Zunaumlchst werden wir mit einer kurzen Chronolo-gie seines Lebens beginnen um uns zu erinnern Fur manche Leser mag dies eine erste Einfuhrung in sein Leben sein Umfeld und seinen Dienst sein

Zum Zweiten werden wir vier Lehren die wir aus Schaeffers Denken ziehen koumlnnen hervorheben und ausfuhrlicher betrachten Schlieszliglich werden wir uns mit zwei Lehren beschaumlftigen die wir aus seinem Leben und seinem Dienst ziehen koumlnnen

Eine kurze Chronologie des Lebens Francis Schaeffers15

Die fruhen Jahre

bull Francis Schaeffer wurde am 30 Januar 1912 in Germantown in Pennsylvania geboren Er war das einzige Kind sei-ner Eltern die zur Arbeiterklasse ge-houmlrten Seine Vorfahren stammten aus

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 157 8 6 uuml

Deutschland Schaeffers Eltern legten ein Lippenbekenntnis zum Christen-tum ab Er selbst betrachtete sich je-doch nicht als jemand der in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen ist

bull Aus eigenem Antrieb besuchte er eine liberale presbyterianische Kirche Nach seinem Bekenntnis fand er je-doch im liberalen Christentum kei-nerlei befriedigende Antworten auf die grundlegenden Fragen des Lebens Das fuhrte dazu dass er waumlhrend sei-ner High-School-Jahre zum Agnos-tiker wurde Waumlhrend seiner spaumlten Jahre auf der High School begann er philosophische Literatur zu lesen um Antworten auf die Lebensfragen zu finden Aus Neugierde las er auch die Bibel Nachdem er beginnend mit dem 1 Buch Mose sechs Monate lang die Bibel gelesen hatte wurde er im Jahr 1930 Christ Er war uberzeugt dass die Bibel wahr ist und dass sie die einzigen angemessenen Antworten auf die grundlegenden philosophischen Fragen des Lebens bietet

bull Nach seiner Bekehrung verlieszlig er die Berufsschule um sich in Abendkur-sen auf das College vorzubereiten Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er in der Schule schwache Leistungen gezeigt Jetzt verbesserten sich seine Noten merklich Gegen den Wunsch seines Vaters begann er 1931 am Hampden-Sydney College in Virginia zu stu-

dieren Er absolvierte 1935 mit der Note magna cum laude Er wurde zum bdquoherausragenden Christenldquo seiner Klasse gewaumlhlt

bull Der geschichtliche und theologi-sche Hintergrund dieser Zeit waren die Auseinandersetzungen zwischen Fundamentalisten und Modernis-ten In den fruhen 1930er Jahren war Schaeffers eigene Denomination die Northern Presbyterian Church so-wohl in den Ausbildungsstaumltten als auch in den Gemeinden dabei ausei-nanderzubrechen Interessanterweise sprach bei einer Gelegenheit im Jahr 1932 ein bezahlter junger Redner daruber warum die Bibel nicht Gottes Wort und Jesus nicht Gottes Sohn sei Waumlhrend der nachfolgenden Diskus-sionszeit erhob sich Schaeffer als jun-ger Christ um das historische Chris-tentum so gut er es konnte zu vertei-digen Zu seiner Uumlberraschung gab es nur eine weitere Person die aufstand und sehr deutlich von der Bibel her und unter Benutzung von Werken J Gresham Machens seine Position ver-teidigte Ihr Name war Edith Seville Am 26 Juli 1935 heirateten Francis und Edith

Jahre auf dem Seminar

bull Im Herbst 1935 trat Francis Schaef-fer in das Westminster Theological Seminary ein Westminster war 1929

von J Gresham Machen und anderen fuhrenden Presbyterianern gegrundet worden die versuchten eine konserva-tive Alternative zum theologischen Li-beralismus zu bieten Waumlhrend seiner Zeit in Westminster wurde Schaeffer stark durch die Werke von Machen Cornelius Van Til und Allan Mac-Rae vom Biblical Theological Semi-nary gepraumlgt Interessanterweise sah Schaeff er sich selbst als jemand der in den Fuszligstapfen des auf Denkvor-aussetzungen aufbauenden apologe-tischen Programms Van Tils geht In spaumlteren Jahren gab es leider einen Riss zwischen den beiden Maumlnnern besonders von Van Tils Seite

bull 1936 enthob die Northern Presbyte-rian Church Machen wegen seines konservativen Standpunktes des Am-tes Das fuhrte zu konservativen Ab-spaltungen von der Denomination von denen auch Schaeffer betroffen war Leider wurde aufgrund mancher Konflikte innerhalb der konservati-ven Gruppen in Westminster im Jahr 1937 ein neues Seminar gegrundet das Faith Theological Seminary in Wilmington in Delaware unter der Leitung von Allan MacRae Scha-effer zog um zum Faith Theological Seminary um dort seine Studien im Jahre 1938 abzuschlieszligen Schaeffer hat spaumlter im Ruckblick auf diese Zeit manche der Zaumlnkereien und internen Streitigkeiten zu denen es unter den

Konservativen kam bedauert Spaumlter hat er zur Notwendigkeit einer bdquolie-bevolle Konfrontationldquo aufgerufen die gleichzeitig fur Wahrheit und fur sichtbare Liebe eintritt

Jahre als Pastor

bull Von 1938ndash1948 war Schaeffer Pastor verschiedener presbyterianischer Ge-meinden in Grove City und Chester Pennsylvania und ebenso in St Louis Missouri Waumlhrend ihrer Zeit in St Louis begannen er und Edith eine Or-ganisation mit dem Namen bdquoChild-ren for Christldquo (Kinder fur Christus) ndash ein evangelistischer Dienst unter Kindern der sich schlieszliglich auch in anderen Kirchen und Denominatio-nen ausbreitete

bull Im Jahr 1947 wurde Schaeffer vom Unabhaumlngigen Ausschuss fur Pres-byterianische Mission und von der Abteilung fur Auszligenbeziehungen des Amerikanischen Rates Christlicher Kirchen ausgesandt um die geistli-chen Bedurfnisse der Jugendlichen und die Konfrontation der Kirche mit dem theologischen Liberalismus im Nachkriegseuropa zu bewerten Als Ergebnis seiner drei Monate in Europa spurte Schaeffer dass Gott seine Fa-milie rief in Europa zu dienen

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

16 7 8 6 uuml

Der Umzug nach Europa

bull 1948 zogen die Schaeffers nach Lau-sanne in der Schweiz um als Missi-onare in Europa zu arbeiten Damals hatten die Schaeffers drei Toumlchter Priscilla Susan und Deborah Ihr Sohn Franky wurde 1952 geboren

bull Als sie nach Europa kamen grundeten sie zuerst bdquoChildren for Christldquo fur die Mission unter Kindern Schaeffer warnte auch weiter vor den Gefahren des theologischen Liberalismus und ebenso vor der raffinierten Bedrohung durch die Neoorthodoxie 1949 zogen die Schaeffers in das Bergdorf Cham-peacutery in der Schweiz

bull 1951 geriet Schaeffer aus mindestens zwei Grunden in eine tiefe geistli-che Lebenskrise Erstens sah er im Leben derer die fur das historische Christentum kaumlmpften nicht die Kraft des Evangeliums und das be-unruhigte ihn Zweitens erkannte er dass die Erfahrung des Herrn in seinem eigenen Leben nicht so pul-sierend war wie fruher Diese Krise brachte ihn dazu noch einmal alles zu uberdenken ndash sogar die Wahrheit des Christentums Aus diesem Erlebnis heraus kam Schaeffer zu dem festen Schluss dass es gute und ausreichende Grunde gab zu wissen dass der Gott der Bibel wirklich existiert und dass das Christentum wahr ist Er gelangte auch zu einem tieferen Verstaumlndnis fur

das vollbrachte Werk Christi und das Werk des Heiligen Geistes im Leben der Glaumlubigen Aus diesem Erlebnis heraus wurde spaumlter auch sein Buch bdquoTrue Spiritualityldquo geboren Mehr als das ndash aus dieser Krise heraus wurde LrsquoAbri geboren Schaeffer sagte immer dass ohne diese Zeit des Kampfes da-rum bdquoRealitaumlt im christlichen Leben zu findenldquo LrsquoAbri niemals entstanden waumlre

bull 1955 zogen die Schaeffers durch eine Reihe wunderbarer Umstaumlnde in das Chalet Les Meacutelegravezes in Hueacutemoz in der Schweiz Sie erhielten nicht nur die notwendigen Finanzen um das Cha-let zu kaufen Ihnen wurden auch die Visa bewilligt um in der Schweiz zu bleiben nachdem ihnen vorher von der Schweizer Regierung mitgeteilt worden war sie haumltten das Land dau-erhaft zu verlassen

LrsquoAbri (bdquoDie Zufluchtldquo)

bull Die LrsquoAbri-Gemeinschaft wurde of-fiziell im Jahr 1955 geboren Es be-gann mit Freunden Priscillas die aus der Universitaumlt in das Haus der Schaeffers kamen und Fragen uber das Christentum die Wahrheit und das Leben stellten LrsquoAbri arbeitete mit vier Grundprinzipien (1) Sie wurden nicht um Geld bitten sondern ihre Bedurfnisse Gott mitteilen (2) Sie wurden nicht um Mitarbeiter wer-

ben sondern abhaumlngig davon sein dass Gott die richtigen Leute senden wurde (3) Sie wurden nur kurzfris-tig planen um von Gottes Leitung abhaumlngig zu sein und (4) Sie wurden nicht sich selbst bekanntmachen son-dern Gott vertrauen dass er ihnen Menschen in Not senden wurde

bull Zuerst wurden Treffen und Gottes-dienste im Haus der Schaeffers abge-halten Dann wurden sie in eine ver-lassene protestantische Kirche verlegt Durch Mundpropaganda verbreitete sich die Nachricht unter Universitaumlts-studenten dass es einen Ort in den Schweizer Alpen gebe wo man ehrli-che Antworten auf die tiefsten Fragen des Lebens bekommen koumlnne Inner-halb kurzer Zeit kamen jedes Wo-chenende Studenten nach LrsquoAbri Es enstand eine Struktur von Mahlzei-ten Spaziergaumlngen Gespraumlchen und einem Sonntagsgottesdienst die alle darauf ausgerichtet waren eine Atmo-sphaumlre zu schaffen die das Gespraumlch uber philosophische und religioumlse Ge-danken anregen sollte

bull Am staumlrksten betonte LrsquoAbri ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen im Kontext von gastfreundlicher Um-gebung und sichtbarer Liebe In den fruhen Tagen dachte man nicht ein-mal an Bucher Filme und Tonbaumln-der Die Tonbaumlnder kamen zuerst nur durch ein zwischen einigen Blumen verstecktes Mikrofon zustande mit

dem die Gespraumlche jenes Abends auf-gezeichnet wurden Erst als Schaef-fer erkannte dass die Tonbaumlnder ge-braucht werden konnten um andere zu erreichen gab er zoumlgerlich seine Erlaubnis zum Beginn des Tonband-programms Schlieszliglich kamen Men-schen nach LrsquoAbri um zu studieren und zu arbeiten Schon 1957 kamen jedes Wochenende 25 Leute

bull LrsquoAbri dehnte sich uber die Schweiz hi-naus aus 1958 begann es in England Heute befinden sich LrsquoAbris uberall auf der Welt in Australien Holland Indien Sudkorea und Schweden und ebenso in den USA in Massachusetts und Minnesota16

bull Bis 1960 war LrsquoAbri in einem sol-chen Maszlige gewachsen dass es die Aufmerksamkeit des Time-Magazins auf sich zog Tonbaumlnder wurden nun weltweit verteilt und Schaeffer er-hielt Einladungen aus Europa und Nordamerika Das waren gleichzeitig schwierige Zeiten in LrsquoAbri Als mehr und mehr Studenten kamen wurden Geld und Lebensmittel knapp

bull 1965 reiste Schaeffer zuruck nach Nordamerika und hielt Vorlesungen in Boston Dann fuhr er zum Whea-ton College und hielt Vorlesungen die spaumlter die Grundlage fur sein Buch bdquoThe God Who is Thereldquo (dt bdquoGott ist keine Illusionldquo) wurden Damals schaumltzten ihn die Studenten unge-heuer die akademische Welt war je-

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 177 8 6 uuml

doch viel behutsamer darin ihn zu ak-zeptieren Am Wheaton College sprach er zum Beispiel uber Themen von de-nen die meisten Menschen in evange-likalen Kreisen niemals gehoumlrt hatten oder uber die sie nicht diskutieren durf-ten wie etwa die Filme von Ingmar Bergman und Fedrico Fellini und die Schriften von Albert Camus Jean-Paul Sartre und Martin Heidegger

bull Waumlhrend der naumlchsten zehn Jahren wurden die Schaeffers zu einer der be-kanntesten Familien in der evangelika-len Bewegung Francis veroumlffentlichte zahlreiche Bucher und Broschuren von denen die meisten aus Vorlesungen entstanden die er seit der Grundung von LrsquoAbri gehalten hatte Edith ver-oumlffentlichte eine Anzahl von Buchern uber Ehe Familie Theologie und die Geschichte von LrsquoAbri17

Die 70er Jahre

bull Im Jahr 1974 sprach Schaeffer auf der Internationalen Konferenz fur Welt-evangelisation in Lausanne Schweiz wo er stark die Bedeutung der Irrtums-losigkeit der Bibel betonte Spaumlter im Jahr 1977 half er den Internationalen Rat fur Biblische Irrtumslosigkeit zu grunden

bull Ebenfalls in den 70er Jahren begann er aufgrund der Roe gegen Wade-Ent-scheidung des Obersten Gerichtshofs der USA seine Stimme gegen Abtrei-

bung zu erheben 1977 startete er eine Tour durch 22 Staumldte mit Seminaren und Ansprachen zu der Filmreihe bdquoWie koumlnnen wir denn lebenldquo Er begann ebenfalls die Arbeit an der Filmreihe bdquoWhatever Happened to the Human Raceldquo zusammen mit C Everett Koop und Franky Schaeffer die zu einer Tour mit Ansprachen im Jahr 1979 fuhrte

bull Schaeffers Kulturkritik und seine Verteidigung des historischen Chris-tentums lieszligen ihn in seinen Werken auch zu Themen wie Reinheit in Lehre und Leben Abtreibung Euthanasie Oumlkologie Krieg und Frieden sowie Burgerrechte seine Stimme erheben Schaeffer sprach sich lange und hart gegen das Eintreten der Kirche fur den Status Quo aus Er richtete sich be-sonders gegen ihre Annahme der ame-rikanischen Lebensphilosophie die seit den 50er Jahren die Gesellschaft durchdrungen hatte naumlmlich die Phi-losophie dass man nur fur bdquopersoumln-lichen Frieden und Wohlstandldquo lebt Er rief nach einer neuen Generation von Christen die wirklich bdquorevolutio-naumlrldquo sein sollten in ihrem Eintreten fur Wahrheit sowohl in der Lehre als auch im Leben

Die 80er Jahre

bull In den 1980er Jahren wurde Schaeffer aufgrund von dem was als Verschie-bung zum bdquoKonservativismusldquo wahr-

genommen wurde zunehmend von evangelikalen Akademikern und poli-tisch liberalen Evangelikalen entfrem-det Das geschah besonders aufgrund seiner Veroumlffentlichung bdquoA Christian Manifestoldquo (1981) das nicht nur den Aufstieg der bdquoMoral Majorityldquo lobte sondern auch Christen dazu aufrief ge-gen Abtreibung einzustehen und falls noumltig zivilen Ungehorsam zu prakti-zieren Interessanterweise sah Schaeffer selbst keine Verschiebung in seinem Denken gegenuber den 70er Jahren Er sah vielmehr seine Arbeit in den 80er Jahren als die logische Fortsetzung seiner Entscheidung die Wahrheit zu praktizieren und die Herrschaft Christi uber das gesamte Leben herauszuarbei-ten sei es das Leben im Mutterleib in der Kirche oder im Houmlrsaal

bull Im Jahr 1984 als er immer noch ge-gen den 1978 bei ihm diagnostizier-ten Krebs kaumlmpfte unternahm er buchstaumlblich auf dem Sterbebett eine Rundreise durch 13 Staumldte bei der er zehn christliche Colleges besuchte Dies geschah in Zusammenhang mit seinem letzten Buch The Great Evan-gelical Disaster (dt Die groszlige Anpas-sung Der Zeitgeist und die Evange-likalen) Auf seiner letzten Rundreise sprach er leidenschaftlich im Namen des Evangeliums warnte dabei und flehte die evangelikale Gemeinde an weder in der Lehre noch in der Praxis Kompromisse in Bezug auf die Auto-

ritaumlt der Bibel einzugehen Er nannte dabei sogar Namen derer von denen er glaubte dass sie das getan haumltten Er rief eine neue Generation von Christen dazu auf fur die Wahrheit einzutreten in seinen Worten bdquoRadikale fur Chris-tusldquo zu sein

bull Am 15 Mai 1984 einen Monat nach-dem die Rundreise abgeschlossen war starb er in Rochester Minnesota

Lehren die wir aus dem Denken Francis Schaeffers ziehen koumlnnen

Ideen haben Konsequenzen

Eines der groszligen Vermaumlchtnisse des Werkes Francis Schaeffers war es uns zu zeigen dass bdquoIdeen Konsequenzen ha-benldquo18 Auch wenn seine Analyse nicht in allen Teilen vollstaumlndig korrekt war hatte Schaeffer doch ganz Recht darin dass die westliche Gesellschaft eine bdquoLi-nie der Verzweiflungldquo erlebt hatte ndash einen langsamen Prozess durch den Ideen hi-nuntersickerten von der Philosophie zur Kunst zur Musik zur allgemeinen Kul-tur und schlieszliglich zur Theologie19 Das kulturelle Durcheinander in dem wir le-ben kam nicht aus dem Nichts sondern hat eine lange Geschichte

Wie Schaeffer uns immer wieder erin-nert hat gibt es bei der Entfaltung von Ideen einen Einfluss in die Geschichte

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

18 7 8 6 uuml

ndash sei es zum Guten oder zum Schlech-ten Zusaumltzlich lehrte uns Schaeffer dass wir um unsere Gegenwart zu verstehen auch den Lauf der Geistesgeschichte er-fassen mussen die uns vorausging Dies betrifft auch die Auswirkungen die sie auf uns hat und haben wird wenn die Menschen schlieszliglich gemaumlszlig ihren Glaubensuberzeugungen handeln Ei-gentlich warnte uns Schaeffer dass wir wenn wir die Geistesgeschichte nicht durchdenken werden wir nicht nur un-sere eigene Zeit missverstehen sondern wir werden auch zu unserem gegen-waumlrtigen Zeitalter nichts Konstruktives zu sagen haben werden Wir werden unvermeidlich dem sprichwoumlrtlichen Frosch im Wassertopf gleichen der die Tatsache nicht wahrnimmt dass das Wasser langsam erhitzt wird und dass das Ergebnis wenn er nicht sofort aus dem Topf springt Zerstoumlrung sein wird

Fur christliche Leiter Pastoren und Lehrer ist diese Lehre von aumluszligerster Wichtigkeit Wenn wir unserem Herrn und seinem Volk treu bleiben wollen wenn wir unserer Generation etwas Loh-nendes sagen wollen wenn wir die sein wollen die wirklich ihre Zeit verstehen und zu den draumlngenden Fragen des Ta-ges Stellung nehmen wollen dann wird das nicht weniger erfordern als ein tief-gehendes Verstaumlndnis des Tages und des Zeitalters in dem wir zu dienen und zu arbeiten berufen sind Doch nicht nur das es erfordert ebenso eine ganze Hin-gabe an den Herrn und sein Wort In

diesem Zusammenhang zitierte Schaef-fer oft und gerne die beruhmte Aussage Martin Luthers

Wenn ich auch mit der lautesten Stimme und klarsten Darlegung jedes Stuck der Wahrheit Gottes bekenne mit Ausnahme genau jenes kleinen Punktes den die Welt und der Teufel im Mo-ment angreifen dann bezeuge ich nicht Christus wie lautstark auch immer ich mich zu ihm bekenne Die Treue eines Soldaten beweist sich da wo gerade der Kampf wutet Auszligerhalb des Kampfes an der Front standhaft zu sein ist nichts anderes als Flucht und Schande wenn man am entscheidenden Punkt zuruckweicht20

Das war fur Francis Schaeffer keine Theorie Fur ihn war das eine Sache auf Leben und Tod Wir mussen so warnte er die Wichtigkeit von bdquoIdeenldquo begrei-fen um unsere Zeiten recht zu verste-hen Wenn wir das nicht tun werden wir naumlmlich vom bdquoGeist unserer Zeitldquo hinweggefegt werden ohne auch nur zu merken was uns geschieht

Der Kampf des Tages Die Idee der Wahrheit

Was war demnach fur Schaeffer die bdquoSchlusselideeldquo die wir heute begreifen mussen Was sollte die Kirche aus ei-ner Analyse der Geistesgeschichte ler-nen um dem Herrn heute treu bleiben zu koumlnnen Was ist unser Kampf Fur

Schaeffer ist die Antwort unstrittig Un-ser Kampf heute ist ein Kampf fur die Idee und das Konzept von Wahrheit an sich

Die heute zwischen den Generationen aufgebrochene Kluft ist zum groumlszligten Teil durch einen Wandel im Wahr-heitsverstaumlndnis entstanden Wo immer wir hinschauen herrscht dieses neue Verstaumlndnis vor Es umgibt uns als ein nahezu fugenloser Meinungsblock auf allen Gebieten sei es in den Kunsten in der Literatur oder auch nur beim Lesen von Zeitungen und Wochenschriften wie Spiegel Weltwoche Welt am Sonn-tag Sunday Times LlsquoExpreszlig de Paris Elsevierlsquos Weekblad und anderen mehr Von allen Seiten her spuren wir den Wurgegriff einer neuen Methodologie ndash und mit Methodologie meinen wir die Art und Weise wie wir an Wahrheits-erkenntnis und Wissen herangehen Es ist erstickend wie der dichteste Londo-ner Nebel Und sowenig sich der Nebel durch Waumlnde und Turen abhalten laumlsst so wenig koumlnnen wir uns der vorherr-schenden Meinung entziehen Das geht so weit dass wir in unseren eigenen vier Waumlnden nicht mehr klar sehen und uns doch nicht erklaumlren koumlnnen was eigent-lich geschehen ist Die Tragik unserer heutigen Situation liegt darin dass die neue Einstellung zur Wahrheit Maumlnner und Frauen in ihren Lebensgrundlagen erschuttert hat ohne dass sie sich jemals Rechenschaft uber den neuen Kurs ge-geben haben Die jungen Menschen

werden zunaumlchst im Rahmen des alten Wahrheitsverstaumlndnisses erzogen Dann geraten sie unter den Einfluss der mo-dernen Auffassung Mit der Zeit wer-den sie unsicher weil sie die ihnen vor-gelegte Alternative nicht durchschauen Diese Unsicherheit fuhrt zu Verwirrung und bald zu einem inneren Zerbruch ndash unglucklicherweise nicht nur bei jun-gen Menschen sondern auch bei vielen Pfarrern Lehrern Evangelisten und Missionaren So ist wie ich meine die veraumlnderte Auffassung uber den Weg der zu Erkenntnis und Wahrheit fuhrt das entscheidende Problem das sich der Christenheit heute stellt21

In der Literatur der Gegenwart sei sie philosophisch wissenschaftlich litera-risch oder theologisch wird fur das auf was Schaffer sich bezieht oft der Begriff bdquoPostmodernismusldquo gebraucht Auch wenn Schaeffer selbst niemals den Be-griff benutzte sah er den Inhalt voraus und beschrieb ihn bevor der Gebrauch des Begriffs Mode wurde22 Schaeffer hatte eine Gabe das zu tun Oft konnte er bdquosehenldquo wohin Ideen gingen weil er die Maxime ernst nahm bdquoIdeen haben Konsequenzenldquo Im heutigen Gebrauch bezeichnet bdquoPostmodernismusldquo eine Denkweise die fest verknupft ist mit der Verleugnung von Wahrheit in jedem objektiven universalen Sinn Er wird oft dem bdquoModernismusldquo gegenubergestellt der viel vom Geist der Aufklaumlrung wi-derspiegelt einem Geist der interessan-

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 197 8 6 uuml

terweise viel vom Christentum entliehen hat Wie das Christentum so glaubte auch er dass Wahrheit objektiv und uni-versal sei und dass die Vernunft durch Forschung und Untersuchung Wahrheit erlangen koumlnne Anders als das Chris-tentum versuchte er jedoch Wahrheit ohne Abhaumlngigkeit von Gott und sei-nem gesprochenen Wort zu entdecken Statt dem christlichen Motto bdquoGlaube sucht zu verstehenldquo zu folgen und die Prioritaumlt der goumlttlichen Offenbarung zu unterstreichen versuchte der Modernis-mus dem Programm bdquoIch verstehe um zu glaubenldquo zu folgen In diesem Sinn versuchte der Modernismus dann alle Wahrheitsanspruche seien sie philoso-phischer oder theologischer Art unter der bdquoAutoritaumltldquo des menschlichen Ver-standes unabhaumlngig von Gottes Wort zusammenzufassen Der Postmodernis-mus auf der anderen Seite ist in Wirk-lichkeit logisch zu Ende gedachter Mo-dernismus und ist sich daher erkenntnis-theoretisch seines Ausgangs und seines Ergebnisses viel bewusster23 In diesem Sinn nimmt der Postmodernismus das Projekt der Aufklaumlrung ernst das sein Zentrum im autonomen Selbst hat Dann aber kommt er zu Recht und iro-nischerweise zu dem Schluss dass wenn die Sicht der Aufklaumlrung richtig ist die Wahrheit niemals universal sein koumlnne Warum Der einfache Grund ist dass endliche Menschen und Gemeinschaf-ten zu sehr historisch positioniert und

soziologisch abhaumlngig sind als dass sie jemals einen bdquoGesichtspunkt mit Gottes Augeldquo d h einen objektiven universa-len unbefangenen Gesichtspunkt liefern koumlnnten Wahrheit kann letztlich nicht das sein was der Modernismus von ihr zu sein erwartete sie muss vielmehr perspektivisch provisorisch und endlich sein Letztendlich ist sie das was die Ge-meinschaft am houmlchsten bewertet d h sie ist pragmatisch

Falls der Postmodernismus wahr ist sind naturlich alle Behauptungen von Einzelnen oder Gemeinschaften bdquodie Wahrheitldquo zu kennen notwendigerweise falsch ndash tatsaumlchlich eine interessante Iro-nie Postmodernismus ist im Tiefsten ein Misstrauen gegen jeden der sagt bdquoSo ist esldquo oder bdquoDas ist die Wahrheitldquo und als solcher neigt er zu einem umfassenden Pluralismus Relativismus und Skepti-zismus So erinnert uns D A Carson daran dass heute bdquoder einzige absolute Glaube der Glaube an den Pluralismusldquo ist24 ndash d h jedermanns Gesichtspunkt ist willkommen ob er nun philosophi-sche moralische oder religioumlse Themen betrifft Auch wenn Francis Schaeffer niemals das Wort bdquoPostmodernismusldquo gebrauchte warnte er uns vor der Idee und ihren Konsequenzen Eigentlich war es diese bdquoIdeeldquo die er kontinuier-lich in seinen Buchern und Vortraumlgen herausgearbeitet hat damit wir sie ver-stehen und begreifen Im Kern so vieler Themen mit denen die Kirche konfron-

tiert ist so argumentierte er liegt eine erkenntnistheoretische Verschiebung die im Denken und in der Kultur des Westens stattgefunden hat ndash eine Ver-schiebung die wir nun Postmodernis-mus nennen eine Verschiebung weg von der Wahrheit oder von dem was er bdquowahre Wahrheitldquo nannte25

Wenn wir diese Verschiebung nicht verstehen sie nicht ernst nehmen und ihr nicht entgegentreten so warnte er uns auch dann werden wir nicht den Kampf unserer Tage als gute Soldaten Jesu Christi kaumlmpfen Am Ende werden unser Lehren Predigen unsere Apologe-tik und unsere Evangelisation auf taube Ohren stoszligen weil sie nicht angemessen unsere Generation ansprechen

Unsere Generation wird die Darbie-tung des Evangeliums entweder als ein Relikt einer vergangenen Aumlra oder in den Kategorien einer postmodernen Gesellschaft houmlren und daher das Evan-gelium relativieren26 Was heute letzt-lich auf dem Spiel steht so behauptete Schaeffer ist ein Kampf um das gesamte Weltbild Nicht laumlnger geht es bei dem Kampf fur das Evangelium um diesen oder jenen Punkt sondern um die ge-samte Struktur und den Rahmen ndash ein Kampf bei dem es nach Ausmaszligen und Konsequenzen um Leben und Tod geht Es ist diese letzte Beobachtung die neu von Francis Schaeffer gelernt werden muss Schaeffers groszliges Anliegen war die Verkundigung des Evangeliums und

der Aufbau der Kirche Er wollte treu zu seiner Generation in solch einer Weise sprechen dass das Evangelium als das gehoumlrt wurde was es wirklich war Des-halb muhte er sich darum Menschen die Geistesgeschichte verstehen zu lassen ndash nicht um der Neugierde willen son-dern mit dem Ziel ihre Zeit besser zu verstehen Bei aller berechtigten Debat-te uber die Genauigkeit von Schaeffers Interpretation solcher Leute wie Thomas von Aquin Georg Friedrich Hegel Souml-ren Kierkegaard verschiedener Kunstler und Musiker und sogar Karl Barths er-kennen die meisten an dass Schaeffers Gesamtanalyse korrekt ist ndash eine Analy-se die zu oft sowohl in ihren theoreti-schen als auch praktischen Auswirkun-gen vergessen worden ist

Ohne Berucksichtigung aller Details lag Schaeffer darin richtig die erkennt-nistheoretischen Verschiebungen zu be-tonen die in der westlichen Gesellschaft stattgefunden hatten Verschiebungen die unglaubliche praktische Konsequen-zen haben Wir wollen kurz drei dieser praktischen Auswirkungen hervorhe-ben vor denen Schaeffer uns warnte und die fur die Kirche heute von besonderer Wichtigkeit sind

Die Verschiebung zur Erfahrung

Mit dem Verlust der Wahrheit geht eine zunehmende Verschiebung zur Erfah-rung einher zu einer Erfahrung aller-

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

20 7 8 6 uuml

dings die oft ohne Inhalt und Wahr-heit ist In seiner Analyse des westlichen Denkens vertritt Schaeffer die Auffas-sung dass der moderne Mensch zuneh-mend begann die Welt auf eine natu-ralistische Art zu betrachten27 In der Wissenschaft gab es eine Verschiebung von der Ansicht dass es eine Gleichfoumlr-migkeit naturlicher Ursachen in einem kontrollierten System gebe durch die Gott das System staumlndig erhaumllt und so-gar eingreifen kann wenn er sich dazu entscheidet hin zu der Sicht dass es ein geschlossenes System gebe dass Gott ausschlieszligt In der Philosophie beson-ders in der des Westens gab es einen wachsenden aufklaumlrerischen Impuls hin zum bdquoRationalismusldquo28 das heiszligt zu ei-ner Geisteshaltung die versuchte durch die menschliche Vernunft eine einheitli-che Sicht von Welt und Leben zu liefern

Dies geschah in einer solchen Wei-se dass die Vernunft zunehmend un-abhaumlngig von goumlttlicher Offenbarung funktionierte Diese Verschiebungen fuhrten jedoch wie Schaeffer behaup-tete schlieszliglich zu einer dichotomen Sicht der Wirklichkeit die er bdquodas Un-ter- und das Obergeschossldquo nannte Das laumlsst sich belegen durch Dialektiken wie die der Spaltung in bdquoNatur-Freiheit und bdquoPhaumlnomenon-Noumenonldquo bei Imma-nuel Kant29 Das Problem bei dieser dialektischen Sicht der Wirklichkeit so behauptet Schaeffer besteht darin dass sie uns mit einer schrecklich gespaltenen

Sicht von der Welt zurucklaumlsst Die un-abhaumlngig von der goumlttlichen Offenba-rung handelnde menschliche Vernunft hat keine Moumlglichkeit zu begrunden wie diese naturalistische determinierte auf Ursache und Wirkung aufbauende unpersoumlnliche Welt im bdquoUntergeschossldquo (d h im Bereich der bdquoNaturldquo) dem bdquoObergeschossldquo (d h dem Bereich der bdquoFreiheitldquo) in dem wir versuchen Sinn Werte Ziele und Freiheit zu finden eine vernunftgemaumlszlige Grundlage geben kann Was sollen also die Menschen tun Leben sie konsequent nach den Schlussfolgerungen zu denen sie ihre Vernunft im bdquoUntergeschossldquo gefuhrt hat ndash naumlmlich dass sie determiniert und ohne Bedeutung sind Nun man-che versuchen das Nach der Lehre der Schrift jedoch so beobachtet Schaeffer ist diese Sicht der Wirklichkeit falsch alle Menschen sind nach dem Bild Got-tes gemacht

Es ist daher nahezu unmoumlglich mit solch einer Sicht zu leben Die Men-schen geben daher in der Praxis die Moumlglichkeit einer Vereinigung dieser dichotomen Bereiche auf d h sie geben die Hoffnung auf Wahrheit im Sinne einer einheitlichen Weltsicht auf und bewegen sich dann auf Irrationalitaumlt zu Sie argumentieren fur Sinn Werte Ziele und Freiheit tun dies jedoch ohne eine vernunftgemaumlszlige Grundlage Sie le-ben im bdquoGlaubenldquo mit einem Glauben jedoch der wenig oder keinen Inhalt

und kein vernunftgemaumlszliges Fundament hat Sie setzen in das bdquoObergeschossldquo wie Schaeffer wiederholt betonte eine Konzentration auf Erfahrung eine Er-fahrung allerdings die fur alles offen ist eine Erfahrung die so verschiedenartig sein kann wie Drogen und Sex in den 1960er Jahren und New-Age- Spirituali-taumlt in den 1980ndash90er Jahren30 Fur Scha-effer ist daher die beste Charakterisie-rung bdquopost-modernerldquo Menschen (oder wie er es nannte bdquomoderner modernerldquo Menschen) dass sie mit der Dichotomie zwischen dem bdquoUnter- und dem Ober-geschossldquo leben Fur ihn war das nicht nur eine schlaue Feststellung es war das Herzstuck der Sache Welche prak-tischen Folgen hat das heute fur uns Eine massive Folgewirkung hat das so behauptet Schaeffer fur unsere Evange-lisation Bei unserer Verkundigung des Evangeliums mussen wir uns bestaumlndig daran erinnern dass wir zu Menschen predigen die mit dieser Dichotomie le-ben Und wenn wir nicht vorausahnen wie sie houmlren werden was wir sagen gehen wir das Risiko ein mit ihnen nicht auf geeignete Weise zu kommuni-zieren Wir riskieren es sogar Bekehrte zu machen die an Jesus bdquoglaubenldquo als lediglich eine weitere bdquoObergeschossldquo-Erfahrung losgeloumlst von Wahrheit Ver-nunftgemaumlszligheit und Wirklichkeit Und Schaeffers Kritik an der evangelikalen Bewegung konzentrierte sich genau auf diesen Punkt Auf der einen Seite war

er besorgt dass Evangelikale bei ihrer Evangelisation Lehre und Inhalt zu-gunsten von Erfahrung herunterspiel-ten Wenn wir Menschen zum retten-den Glauben rufen mussen wir ihnen klarmachen dass die Wirklichkeit des Evangeliums bdquowahre Wahrheitldquo weiter-gibt Wir mussen dabei Menschen mit dem bdquoGott der keine Illusion istldquo kon-frontieren

Die Menschen mussen begreifen dass Glaube kein blinder Sprung ist sondern verwurzelt und gegrundet ist in der Wahrheit Erfahrung ist wich-tig und Schaeffer betonte diese Tatsa-che stark Aber Erfahrung darf nicht losgeloumlst von der Wahrheit sein31 Auf der anderen Seite war er im Bereich der akademischen Theologie besorgt dass Evangelikale zu viel aus der Theologie der Neoorthodoxie ubernahmen Er glaubte es sei ein Fehler gigantischen Ausmaszliges mit Karl Barth eine Position zu vertreten die die Moumlglichkeit sol-cher Fehler in der Schrift einraumlumt die nicht unseren Glauben an den Herrn Jesus Christus negativ beeinflussen Er sah Barths Theologie als ein weiteres Beispiel dafur an wie das zeitgenoumlssi-sche Denken die Wirklichkeit dichoto-misiert und bdquoGlaubenldquo und Theologie von vernunftgemaumlszliger Begrundung und verifizierbarer Geschichte scheidet32 In diesen Punkten liegt Schaeffer richtig Die evangelikale Bewegung darf beson-ders heute die Themen Wahrheit Inhalt

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 217 8 6 uuml

und Lehre nicht vergessen Erfahrung ist wichtig Aber Erfahrung muss im-mer in der Wahrheit des Wortes Gottes begrundet sein Ausgehend von der Ten-denz unserer Generation sich auf Erfah-rung zu berufen mussen wir vorsichtig sein dass wir uns nicht an unsere Zeit anpassen Es ist sehr wichtig was wir glauben und letztendlich an wen wir glauben Nicht jeder bdquoGlaubeldquo oder jede bdquoGlaubensformldquo sind gleichwertig Das fuhrt mich zu einer zweiten praktischen Folge vor der uns Schaeffer warnte

Die Herausforderung des religioumlsen Pluralismus

Mit dem Verlust der Wahrheit werden eine zunehmende Betonung des religiouml-sen Pluralismus und ein Herunterspielen der Ausschlieszliglichkeit des Evangeliums einhergehen Wenn Schaeffer uber reli-gioumlsen Pluralismus sprach bezog er sich nicht auf die empirische Beobachtung dass es viele Religionen auf der Welt gibt und dass es sogar im Westen wo das Christentum einst vorherrschend war ein zunehmendes Wachstum von Religionen gibt Er bezog sich viel-mehr auf die Geisteshaltung die nicht zulaumlsst dass irgendeine Religion wahr oder besser als die andere ist Er sah dies als eine praktische Konsequenz aus der Verleugnung der Wahrheit an Wir die wir am Anfang des 21 Jahrhunderts le-ben werden mit dieser Haltung uberall

konfrontiert Wenn die Southern Bap-tist Vollversammlung Gebetsbriefe ver-sendet und darin sagt dass Juden und Hindus evangelisiert werden mussen weil sie verloren sind dann koumlnnen wir uns vorstellen welche Art von Reaktio-nen sie auszligerhalb der Kirche und leider auch bei denen die sich mit der Kirche identifizieren hervorrufen Bei Schaef-fer ist an diesem Punkt interessant dass er das bereits vor langer Zeit in den 1960er Jahren kommen sah33 Als eine wichtige Begleiterscheinung des Verlus-tes der Wahrheit sah er voraus dass ein umfassender Pluralismus an ihre Stelle gesetzt wurde Und Teil unserer Beru-fung in unserer Generation ist es an diesem Punkt fest zu stehen und einen ausschlieszliglichen Christus ohne Kom-promisse in einem inklusiven pluralis-tischen Zeitalter zu verkundigen

Die Entwertung des menschlichen Lebens

Mit dem Verlust der Wahrheit geht eine dritte praktische Folge einher naumlmlich die Entwertung des menschlichen Le-bens Ich habe das schon oben erwaumlhnt und werde unten darauf hinweisen Es ist jedoch wichtig aufzuzeigen dass Schaeffers Vorhersage der nachchrist-liche Westen werde beginnen das Le-ben zu entwerten eine Vorhersage war die in seiner Analyse der Verschiebung von Ideen weg vom einem christlichen

Verstaumlndnis der Welt zu einem mo-dernen und schlieszliglich postmodernen Verstaumlndnis der Wirklichkeit verwurzelt war Schaeffer hatte die Menschen seit Jahren gewarnt dass das Weltbild des Westens sich in Richtung auf eine In-terpretation der Wirklichkeit allein im Sinne eines unpersoumlnlichen geschlosse-nen Systems bewege Naturlich war die Folge davon nicht nur dass Chemie und Physik innerhalb eines bdquogeschlos-senen Systemsldquo interpretiert wurden sondern das gleiche geschah mit den Geisteswissenschaften der Psychologie Soziologie der Literaturwissenschaft und sogar der Theologie Darin lag eine massive Wende zum Unpersoumlnli-chen und das so sagte Schaeffer vo-raus wurde zu einer Entwertung des menschlichen Seins fuhren Naturlich lag Schaeffers Vorhersage genau richtig Ethische Fragen und heute ubliche De-batten (uber Abtreibung Kindestoumltung Euthanasie Klonen) sind saumlmtlich Be-lege fur den Ausverkauf des Wertes des menschlichen Lebens Aus diesem Grund nahm Schaeffer eben diesen Standpunkt an der sozialen Front ein Es war nicht ein Standpunkt fernab von seiner Theologie vielmehr unterstrich er ihn genau aus dem Grund weil er sah dass Ideen Konsequenzen haben und dass die Wahrheit zum Handeln ruft Wie ich festgestellt habe ist Schaeffers staumlndige Betonung dass bdquoIdeen Kon-sequenzen habenldquo eines seiner groszligen

Vermaumlchtnisse das zu vernachlaumlssigen eine groszlige Gefahr bedeutet Auszligerdem mussen wir von Schaeffer lernen heu-te unserem Herrn treu zu bleiben und das Evangelium in einer solchen Weise zu verkundigen dass es wirkungsvoll zu den Menschen spricht Wir mussen Christen dafur auszurusten ihre Welt zu verstehen und in ihr auf eine solche Weise zu leben dass sie nicht von ihr gepraumlgt werden Er lehrte uns dass dies nicht lediglich akademische Fragen sind sondern Fragen auf Leben und Tod

Die Wichtigkeit des Denkens in Weltbildern

Francis Schaeffer lehrte uns nicht nur dass bdquoIdeen Konsequenzen habenldquo Er erinnerte uns auch daran dass die ent-scheidenden bdquoIdeenldquo um die die Debatte geht letztlich eine Frage des Weltbildes sind Das ist zwar keine neue Beobach-tung aber eine die bis vor kurzem oft vernachlaumlssigt wurde34 Ausgehend von den ungeheuren Verschiebungen die in der Gesellschaft stattgefunden haben ist es wichtig zu erkennen dass wir in einem Kampf stehen bei dem es nicht nur um diesen oder jenen Punkt der christlichen Wahrheit geht Es geht um ganze Systeme von Weltbildern die im Widerstreit liegen Schaeffer sprach von diesen Unterschieden der Weltbilder als von Unterschieden der Denkvorausset-zungen35 Er vertrat die Auffassung dass

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

22 7 8 6 uuml

im Westen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts jeder ndash Christen und Nichtchristen gleicherweise ndash unter dem starken Einfluss einer christlichen Sicht der Wirklichkeit von den grundlegend selben Denkvoraussetzungen ausging Auch wenn man argumentieren koumlnn-te dass die Nichtchristen aufgrund ihrer Zuruckweisung des christlichen Weltbildes kein Recht haumltten von die-sen Denkvoraussetzungen auszugehen koumlnnte man doch sagen dass es eine Ge-meinsamkeit im Denken gab Als aber schlieszliglich die Menschen begannen in einer konsequenteren Weise nach ihren Denkvoraussetzungen zu handeln und sie das noch weiter von dem christli-chen Weltbild wegfuhrte merkten viele Christen nicht was geschehen war Und so passierte was Schaeffer folgenderma-szligen kommentiert

bdquoDie Fluten von saumlkularem Denken und liberaler Theologie uberschwemmten die Kirche weil die Leiter die Bedeutung des Kampfes gegen das Bundel falscher Denkvoraussetzungen nicht verstanden Sie kaumlmpften weitgehend auf dem fal-schen Territorium und hinkten daher elend hinterher statt in der Verteidi-gung und der Kommunikation vorne zu sein Dies ist eine wirkliche Schwaumlche die unter den Evangelikalen selbst heute schwierig zu korrigieren istldquo36

Der Mangel in Weltbildern zu denken ist auszligerdem so argumentiert Schaef-fer zuruckzufuhren auf die Art unserer

Ausbildung sei sie christlicher oder sauml-kularer Art Er beobachtete scharfsin-nig dass wir in unserer Ausbildung oft zu einer Spezialisierung neigen ohne die Wechselbeziehungen zwischen den Disziplinen zu sehen und einen Uumlber-blick zu gewinnen d h ohne das Welt-bild zu sehen Dadurch stehen wir in der Gefahr die Beziehungen verschiedener Ideen zueinander nicht zu sehen und so auch die Konsequenzen der Ideen nicht wahrzunehmen Schaeffer stellt fest

Eine groszlige Schwaumlche unseres heutigen Bildungssystems ist das mangelnde Ver-staumlndnis der naturlichen Beziehungen zwischen den Disziplinen Wir betrei-ben unsere Wissenschaften als waumlren sie beziehungslose parallel nebeneinander herlaufende Linien Diese Fachblind-heit begegnet uns sowohl im christlichen als auch im weltlichen Bildungswesen und deshalb wurden die christlichen Kreise von dem groszligen Erdrutsch in unserer Generation uberrascht Wir ha-ben unsere Exegese als Exegeten unsere Theologie als Theologen Philosophie als Philosophen betrieben Wir studierten Kunst als Kunst und Musik als Mu-sik ohne daran zu denken dass dies alles Lebensaumluszligerungen des Menschen sind und dass Lebensaumluszligerungen des Menschen niemals beziehungslos neben-einander herlaufende Parallelen sein koumlnnen37

Das ist eine wichtige Lektion die wir besonders in unseren Tagen lernen

mussen In vielerlei Hinsicht sind wir wieder dort wo Paulus in Athen zu ei-ner Zuhoumlrerschaft und einem Umfeld predigte das pluralistisch heidnisch und dem Christentum in Bezug auf sein Weltbild fremd war (Apostelgeschichte 17) Aus diesem Grund vertritt Schaef-fer unter Berufung auf Texte wie Apg 17 wiederholt die Auffassung dass wir bdquoPrauml-Evangelisationldquo betreiben mussen was er eng mit Apologetik verband Er vertrat die Auffassung dass es zwei Ziele der Apologetik gebe Erstens das christliche Weltbild gegen Angriffe zu verteidigen und Menschen Grunde zu nennen warum wir glauben das das Christentum wahr sei Es gibt aber noch ein zweites Ziel der Apologetik das eng mit Evangelisation verbunden ist Wir mussen naumlmlich das Evange-lium unserer Generation in Begriffen die sie verstehen kann weitergeben Teil unserer Aufgabe in Evangelisation und Apologetik ist es daher das Evangelium als das darzubieten was es wirklich ist innerhalb des Weltbildes der Menschen unserer Generation Nur dann werden Menschen die Anspruche und Forde-rungen die das Evangelium an sie stellt richtig houmlren38

Das wirkte sich im Leben Schaeffers praktisch so aus dass er in seiner Evan-gelisation und seiner Darbietung des christlichen Glaubens nicht mit bdquoNimm Jesus als Retter aufldquo begann Stattdes-sen pflegte er dort zu beginnen wo die Schrift beginnt Er fing mit der Lehre

von Gott an damit die Weltbildstruk-turen des christlichen Glaubens zu er-richten die in der Lehre von der Schoumlp-fung der Offenbarung und dem histo-rischen Sundenfall grunden und dann und wirklich erst dann ging er zur Erlouml-sung uber dazu die Menschen auf den Herrn Jesus Christus zu verweisen der allein ihre einzige Hoffnung ist39 Wa-rum Wie Paulus in Athen wusste er Wenn er nicht zuerst einen biblischen Bezugsrahmen d h ein Weltbild ent-wickelte wurde die Verkundigung des Evangeliums keinen Sinn ergeben und seine Zuhoumlrer wurden das Evangelium nicht als das houmlren was es wirklich ist in seinen eigenen Kategorien und in sei-nen eigenen Begriffen Schaeffer hatte wie Paulus das groszlige Anliegen dass das Evangelium nicht faumllschlich aufgegeben oder in einen anderen fremden Welt-bildrahmen umgedeutet werden wurde weil das nur zu einer Entstellung der Botschaft des Evangeliums fuhrt Um Jesus Christus nicht nur als einen wei-teren Gott oder Retter sondern als aus-schlieszliglichen Herrn Retter und Richter besonders in unserem pluralistischen postmodernen inklusiven Zeitalter dar-zubieten war es zwingend wie Schaef-fer sah ein biblisch-theologisches Rah-menwerk aufzubauen das in der Hand-lung der Schrift verwurzelt ist Er sah also dass es entscheidend war in einem Weltbild zu denken das in dem einen Gott der wirklich bdquoda istldquo verwurzelt und gegrundet ist In Wahrheit war das

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 237 8 6 uuml

wozu uns Schaeffer aufrief und was er in seinem eigenen Leben vorbildhaft dar-stellte das Treiben von Theologie Im weitesten Sinne ist es die Aufgabe der Theologie die ganze Schrift auf die Fra-gen des Lebens anzuwenden Sie muss innerhalb der Kategorien der Struk-turen und der Lehren der Schrift dem Handlungsablauf der Schrift folgen und ihn auf die Welt anwenden Sie muss aus dem Weltbild der Schrift heraus leben und dieses biblisch-theologische Rah-menwerk uber alle anderen Weltbilder stellen

Kurz gesagt muss sie neu lernen wie man bdquodie Gedanken Gottes ihm nach-denktldquo und bdquojeden Gedanken in den Gehorsam gegen Christus gefangen-nimmtldquo40 Das war Schaeffers Staumlrke und das ist eine andere entscheidende Lektion die wir von ihm lernen mussen Ich bin von Folgendem uberzeugt Die Tatsache dass Schaeffer staumlndig auf der Weltbildebene gedacht hat erklaumlrt wa-rum er so unerbittlich darauf bestand dass Evangelikale an gewissen Punkten der Lehre keine Kompromisse einge-hen durfen Weil er erkannte dass der christliche Glaube ein Weltbild war und dass seine Einzelteile als ein Gan-zes bdquozusammenhingenldquo war er sehr be-sorgt wenn evangelikale Gelehrte an einigen dieser scheinbar bdquounbedeuten-denldquo Punkten nagten So war es ihm zum Beispiel ein groszliges Anliegen dass Adam als eine historische Gestalt und

der Sundenfall als ein Ereignis in Raum und Zeit angesehen wurden und dass die ersten Kapitel des 1 Buches Mose nicht ihrer Geschichtlichkeit beraubt wurden Warum Weil er zu Recht sah dass wir die Bibel zu ihren eigenen Be-dingungen annehmen mussen dass wir diese entscheidenden Ausgangspunkte beibehalten mussen die die Bausteine fur den Rest der Geschichte sind

Denn sonst wurde nicht nur das Welt-bild des historischen Christentums zu-sammenbrechen sondern letzten Endes wurde der christliche Glaube selbst zu nicht mehr als einer weiteren Sache im bdquoObergeschossldquo werden fern von ver-nunftgemaumlszliger Begrundung von der Wahrheit und vom dem Gott der wirk-lich bdquoda istldquo41 Auf dem Spiel steht mit anderen Worten nicht nur ein Punkt der Lehre sondern der ganze Anspruch des Weltbildes und in Wirklichkeit das Evangelium Wenn wir von Schaeffer an diesem Punkt lernen wollen muss unser Denken Lehren Predigen und Leben viel mehr bdquoweltbildlichldquo sein In unse-rem Kampf heute geht es um ganze Sys-teme von Weltbildern Daher mussen wir in unserem Lehren und Predigen haumlrter daran arbeiten den Menschen zu zeigen wie die Teile der Schrift als ein schlussiges Ganzes zusammenhaumln-gen und wie diese Teile zur Bildung eines Weltbildes fuhren Es gilt aber noch mehr In unserer Evangelisation im Sprechen zu einer Kultur die zuneh-

mend mit fremden Weltbildern operiert und wenig uber den christlichen Glau-ben weiszlig mussen wir neu lernen das Evangelium innerhalb seines eigenen Weltbildes weiterzugeben indem wir mit dem Gott beginnen der bdquokeine Il-lusion istldquo

Die Zentralitaumlt der Lehre von Gott

Francis Schaeffer war ein wahrhaft gottzentrierter Mann Das galt nicht nur fur seine persoumlnliche Andacht und sein persoumlnliches Leben das galt auch in Bezug auf sein Denken42 Es ist auf-schlussreich dass schon die Titel seiner Bucher (z B bdquoGott ist keine Illusionldquo bdquoUnd er schweigt nichtldquo) die Tatsache illustrieren dass fur Schaeffer all die Antworten des Lebens Sinn Moral Bedeutung und Werte in dem persoumln-lich-unendlichen dreieinigen Gott der Schrift verwurzelt und gegrundet sind Interessanterweise gibt es ein logisches Fortschreiten in diesen Lektionen Sie sind nicht willkurlich oder planlos Was ist mit der westlichen Kultur geschehen Laut Schaeffer hat sich der moderne Mensch von dem Gott der Schrift ab-gewandt Weil er das tat hatten die fremden Weltbilder die wir in unserer postmodernen Kultur um uns herum sehen gewisse Folgen Was ist dann die Loumlsung fur unser Problem Wohin

sollen wir uns wenden um die Dichoto-mien in unserem Geistesleben die Ent-fremdung in unserem persoumlnlichen Le-ben und die Unpersoumlnlichkeit in unserer Gesellschaft zu uberwinden Zuruck zu dem dreieinigen Gott der Schrift Denn es ist nur er der persoumlnlich-unendliche Gott der der Schoumlpfer Erhalter und der vorhersehende Herr ist der Gott der spricht bei dem wir die Antworten auf die Fragen des Lebens finden koumlnnen In ihm allein gibt es intellektuelle Ant-worten weil er die Quelle der Wahrheit und der Maszligstab fur sie ist

Aber auch Vergebung Heilung Rechtfertigung und Erloumlsung gibt es nur in ihm Fur Schaeffer ist Gott nicht nur die transzendentale Notwendigkeit fur Sinn Wahrheit und Werte Er ist auch unser Teil Er ist der Gott der kei-ne Illusion ist der erkannt geliebt und angebetet werden kann

Genau an diesem Punkt mussen wir von Schaeffer lernen Erstens mussen wir neu lernen wie zentral die Lehre von Gott fur unser christliches Weltbild ist Wir mussen das besonders deshalb lernen weil wir in einer Zeit des religi-oumlsen Pluralismus leben in der das Wort bdquoGottldquo im Wesentlichen bedeutungs-los und inhaltslos geworden ist Wir mussen den Mut haben aufzustehen und den einen Gott und keinen ande-ren zu verkunden Wir brauchen sogar in der evangelikalen Welt Mut in der zurzeit eine Debatte uber die Lehre von

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

24 7 8 6 uuml

Gott tobt um zu sagen dass nicht alle Vorstellungen von Gott gleich sind43 Es ist nur der Gott der Schrift wie er im historischen Christentum dargeboten wird der keine Illusion ist

Zweitens jedoch mussen wir neu ler-nen dass unsere Lehre von Gott nicht nur theoretisch sein darf Dieser Gott muss auch unser Teil sein Er muss der eine sein der unser Denken und unser Leben in Beschlag nimmt In unserem Lehren Predigen und Leben muss der Gott der Schrift unsere Leidenschaft und unsere Freude sein

Die Notwendigkeit biblischer Autoritaumlt und Irrtumslosigkeit

Wahrscheinlich haben nur wenige Evangelikale leidenschaftlicher uber Irrtumslosigkeit die Autoritaumlt der Bi-bel und die Lehre von der Inspiration gesprochen als Francis Schaeffer Er hat nicht nur bei der Bildung des bdquoInternati-onalen Rates fur Biblische Irrtumslosig-keitldquo mitgewirkt sondern auch daruber gelehrt gepredigt und geschrieben wie sehr die Autoritaumlt der Bibel eine Frage mit Wasserscheiden-Charakter ist Er hatte keine Zeit fur Evangelikale die nur Lippenbekenntnisse zur Autoritaumlt der Bibel ablegten und gleichzeitig das neu definierten was Irrtumslosigkeit historisch gesehen fur die Kirche be-

deutete und sie dabei durch hermeneu-tische Fragestellungen vernebelten oder die Anspruche der Bibel bezuglich ih-rer selbst unterhoumlhlten Die interessante Frage die sich jetzt stellt ist Warum Warum war Schaeffer die Autoritaumlt der Bibel ein solches Anliegen

Die Antwort sollte uns nicht uberraschen Sie war ihm darum ein solches Anliegen weil die Lehre von der Schrift so grundlegend fur das christli-che Weltbild und den Gott der Schrift ist Fur Schaeffer ist es der Gott der Bi-bel ndash der persoumlnliche unendliche drei-einige Gott ndash der die transzendentale Notwendigkeit fur Sinn Bedeutung Werte und Wahrheit ist Wir lernen diesen Gott nicht nur kennen weil er da ist sondern auch weil er zu uns ge-sprochen hat ndash er schweigt nicht Und weil Gott so ist wie die Schrift ihn zeigt ndash der Schoumlpfer Erhalter und Herr des Universums ndash haben wir intellektuell kein Problem damit zu bekraumlftigen dass Gott absolut dazu in der Lage ist sich uns selbst zu offenbaren und zu garan-tieren dass das was die irdischen Ver-fasser der Schrift freimutig schreiben genau dem entspricht was er geschrie-ben haben wollte Auszligerdem scheint das der Anspruch der Schrift bezuglich ihrer selbst zu sein44 So ist die Autoritaumlt der Bibel exegetisch theologisch und phi-losophisch sinnvoll Sie ist intellektuell glaubhaft ein wesentlicher Bestandteil der gesamten Weltbildstruktur Und

sie ist theologisch notwendig wenn wir Wahrheit haben und theologische Leh-ren begrunden wollen45 Ohne eine hohe Meinung von der Schrift verleugnen wir was die Schrift uber sich selbst sagt und unterhoumlhlen die Grundlage auf der wir Theologie treiben und die Grundfra-gen des Lebens beantworten koumlnnen46 Das ist der Grund warum Schaeffer zunehmend mehr uber Evangelikale be-unruhigt war die von einer hohen Mei-nung uber die Schrift abruckten oder sie unterhoumlhlten Sein letztes Buch das er buchstaumlblich auf seinem Sterbebett geschrieben hat versuchte die evange-likale Gemeinde aufgrund einiger der gerade dargelegten Grunde vor Kom-promissen bezuglich der biblischen Au-toritaumlt zu warnen Er schreibt

Die Evangelikalen sehen sich in unseren Tagen einer Wasserscheide gegenuber die die Natur der biblischen Inspiration und Autoritaumlt betrifft hellip Innerhalb der evangelikalen Welt gibt es eine Anzahl von Menschen die ihre Ansichten uber die Unfehlbarkeit der Bibel abaumlndern so dass die unumschraumlnkte Autoritaumlt der Bibel vollstaumlndig untergraben wird Aber dies geschieht in einer sehr spitzfin-digen Art und Weise Wie der Schnee der Seite an Seite auf der Gebirgskette liegt scheinen die neuen Ansichten uber die Autoritaumlt der Bibel oft nicht so sehr weit von dem entfernt zu sein was die Evangelikalen bis vor kurzem immer noch glaubten Aber ebenso wie der

Schnee der Seite an Seite auf dem Ge-birgskamm liegt enden die neuen An-sichten schlieszliglich wenn man sie kon-sequent verfolgt Tausende von Meilen von den alten entfernt

Was auf den ersten Blick nur ein klei-ner Unterschied zu sein scheint wird zuletzt zu einem sehr bedeutenden Unterschied Es macht wie wir wohl erwarten werden einen groszligen Unter-schied aus was die Theologie die Lehre und die geistlichen Fragen angeht aber es entscheidet auch grundsaumltzlich uber die alltaumlglichen Dinge im Leben eines Christen und uber die Art wie wir uns als Christen unserer Umwelt gegenuber zu verhalten haben Mit an-deren Worten wenn wir in bezug auf die unumschraumlnkte Autoritaumlt der Bibel einen Kompromiss eingehen dann wird dies mit der Zeit einen Einfluss darauf haben was es im theologischen Sinne heiszligt ein Christ zu sein und dieser Kompromiss wird auch Auswirkungen darauf haben wie wir in dem gesamten Spektrum des menschlichen Lebens un-ser Leben fuhren47

Es sollte uns nicht uberraschen dass verschiedene Evangelikale Schaeffers Darstellung als bdquoEntweder-Oderldquo nicht akzeptiert haben Scott Burson und Jerry Walls denken zum Beispiel dass er seine Sache ubertrieben habe Sie fragen ob Irrtumslosigkeit wirklich fur die Evangelikalen die Frage mit Wasserscheiden-Charakter ist und sie

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 257 8 6 uuml

antworten negativ48 Sie vertreten die Auffassung dass Gott sich weniger um den genauen Wortlaut der Schrift gekummert habe und mehr um die bdquoVerlaumlsslichkeit im Wesentlichen ihrer Gesamtbotschaftldquo49 Sie haben Probleme mit zwei Praumlmissen der Schaefferschen Argumentation (1) Dass die Bibel bis in die einzelnen Woumlrter hinein genau das enthaumllt was Gott sich wunscht (2) dass Gott praumlzise kontrollieren kann was menschliche Verfasser schreiben ohne ihre Freiheit wegzunehmen Die-se Praumlmissen scheinen einen impliziten Determinismus einzuschlieszligen ver-bunden mit einer kompatibilistischen Sicht von der menschlichen Freiheit50 Hinter dieser Kritik lauert die implizite Annahme einer libertarianischen Sicht von menschlicher Freiheit die das Ver-staumlndnis einer Begrenzung der souverauml-nen Kontrolle Gottes uber die Welt mit sich bringt51

Wichtig an dieser Beobachtung ist dass Burson und Walls zu Recht feststellen dass Schaeffers hohe Meinung von der Schrift und seine Verteidigung der Irr-tumslosigkeit ein gewisses Konzept von der Souveraumlnitaumlt Gottes und seiner Be-ziehung zu seinen Geschoumlpfen beson-ders zu den Verfassern der Schrift erfor-dert Schaeffer wurde als einer der eine festen Standpunkt von der goumlttlichen Souveraumlnitaumlt und der Herrschaft und Regierung Gottes in dieser Welt vertrat daruber nicht uberrascht sein Weil er

von einer reformatorischen Theologie her argumentierte hatte er anerkannt dass die Lehre von der Irrtumslosigkeit eng verbunden ist mit unserer Sicht von Gott Wie wir oben bemerkt ha-ben als wir die Gottzentriertheit von Schaeffers Denken kommentierten war die Lehre von Gott der entscheidende Ausgangspunkt bei seinem Verstaumlndnis und seiner Verteidigung des christli-chen Glaubens Fur ihn war nicht ein-fach irgendein Gott gut genug Es war nur der persoumlnlich-unbegrenzte (d h souveraumlne) dreieinige Gott der Schrift der allein die Grundlage fur Wahrheit und Wissen ist und der allein wenn er es so erwaumlhlt sich selbst in einer Wei-se die gaumlnzlich verlaumlsslich wahr und vertrauenswurdig ist offenbaren kann52 Was jedoch Schaeffer gestoumlrt haumltte ist die Schwaumlchung der unbegrenzten oder souveraumlnen Natur Gottes die jetzt in einigen Bereichen der evangelikalen Be-wegung vertreten wird53 Gestoumlrt haumltte ihn dieser Trend weil er von ganzem Herzen der scharfsinnigen Beobach-tung J I Packers zugestimmt haumltte

Die gewoumlhnliche Apologetik fur die Au-toritaumlt der Bibel ist an einer zu engen Front taumltig Wie wir gesehen haben ist Glauben an den Gott der reformatori-schen Theologie die noumltige Denkvoraus-setzung des Glaubens an die Schrift als bdquogeschriebenes Wort Gottesldquo Und ohne diesen Glauben verliert das bdquosola scrip-turaldquo als das von Gott gelehrte Prinzip

der Autoritaumlt mehr oder weniger seine Bedeutung hellip wir durfen niemals die Tatsache aus dem Blick verlieren dass unsere Lehre von Gott entscheidend fur unser Konzept von der Schrift ist und dass es in unserer Kontroverse mit einem groszligen Teil der modernen Theologie ge-rade hier ist wo man sich der entschei-denden Schlacht stellen muss und we-niger in Beziehung zum Phaumlnomen der Schrift54

Zweifellos koumlnnte und musste viel mehr uber Schaeffers Darstellung und Verteidigung der Lehre von der Irr-tumslosigkeit gesagt werden55 Aber es soll genugen zu sagen dass fur ihn die Autoritaumlt der Bibel eine Frage von gigantischen Ausmaszligen mit Wasser-scheiden-Charakter war Das war eine Frage die eng mit seiner umfassenden Verteidigung des christlichen Welt-bildes verknupft war Er glaubte dass ohne sie das christliche Weltbild sich aufzuloumlsen beginnen wurde ausgehend von der Lehre von Gott56 Und darin so bin ich uberzeugt hatte er Recht Wir mussen heute neu lernen dass die Lehre von der Irrtumslosigkeit der Schrift fur Evangelikale nicht nur eine von mehre-ren Alternativen ist Sie ist ein wesentli-cher Bestandteil dessen was christlicher Glaube ist Das abzuschwaumlchen bedeu-tet das Ganze zu unterhoumlhlen

Lehren die wir aus dem Leben Francis Schaeffers ziehen

Am Ende seines Lebens schrieb Schaef-fer die folgenden Worte

bdquoWorauf kommt es wirklich anldquo Was ist es das fur mein Leben und fur Ihr Leben so wichtig ist daszlig es die Priori-taumlten fur alles bestimmt was wir tun Unserem Herrn Jesus wurde ebendiese Frage gestellt und er antwortete bdquoDu sollst den Herrn deinen Gott lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand Dies ist das erste Ge-bot Das zweite aber ist ihm gleich Du sollst deinen Naumlchsten lieben wie dich selbst An diesen zwei Geboten haumlngt das ganze Gesetz und die Propheten (Matthaumlus 2237ndash40)ldquo

Hier wird gesagt worauf es wirklich ankommt ndash den Herrn unseren Gott zu lieben seinen Sohn zu lieben und ihn als unseren Erloumlser persoumlnlich an-genommen zu haben Und wenn wir ihn lieben dann tun wir das was ihm gefaumlllt es bedeutet ebenfalls sein Wesen der Heiligkeit und Liebe in unserem Leben Gestalt annehmen zu lassen seiner Wahrheit treu zu bleiben jeden Tag mit dem lebendigen Christus zu leben ein Leben des Gebets zu fuhren Die andere Haumllfte dessen worauf es wirklich ankommt besteht darin un-seren Naumlchsten zu lieben Beides gehoumlrt

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

26 7 8 6 uuml

zusammen es kann nicht voneinander getrennt werden hellip Und wenn wir un-seren Naumlchsten so lieben wie Christus das moumlchte dann moumlchten wir unserem Naumlchsten sicherlich das Evangelium weitersagen daruber hinaus werden wir den Wunsch haben Gottes Liebe in allen unseren Beziehungen zu unserem Naumlchsten durchscheinen zu lassen

Aber hier houmlrt es nicht auf Evangeli-sation ist vorrangig aber sie stellt nicht die Grenze unserer Arbeit dar und kann in der Tat nicht vom Rest des christ-lichen Lebens getrennt werden Wir mussen zuerst anerkennen und dann nach der Tatsache handeln dass Chris-tus wenn er unser Erloumlser ist auch Herr in allen Lebensbereichen ist Er ist un-ser Herr nicht nur in religioumlsen Dingen oder in kulturellen Bereichen wie den bildenden Kunsten und der Musik son-dern auch Herr unseres intellektuellen Lebens unseres Geschaumlftslebens unserer Beziehung zur Gesellschaft und unserer Haltung zum moralischen Zusammen-bruch unserer Kultur hellip Christus die Herrschaft uber unser Leben zu geben bedeutet dass wir uns ganz direkt und praktisch gegen den Zeitgeist stellen der unsere Welt regiert der sich fort-waumlhrend ausbreitet und den Anspruch erhebt autonom zu sein indem er auf seinem Weg alles zerstoumlrt was uns lieb und teuer ist57

In diesem Zitat erhaschen wir einen Blick auf einen Teil vom Leben Francis

Schaeffers und auf Lehren die wir aus diesem Leben ziehen koumlnnen Zweifellos ist es wahr dass Schaeffer nicht vollkom-men war das ist niemand Wir sehen jedoch in seinem Leben eine Person mit Integritaumlt einen Mann der versuchte das zu leben und dem entsprechend zu handeln was er glaubte und lehrte Ins-besondere strebte er danach den Herrn und seinen Naumlchsten zu lieben und da-durch sein Leben bestaumlndig sowohl im Denken als auch im Handeln unter die Herrschaft Jesu Christi zu bringen Wir wollen der Reihe nach diese Gebiete be-trachten

Liebe den Herrn deinen Gott

Wie oben festgestellt war Schaeffer ein Mann fur den Gott im Zentrum stand Das war nicht nur wahr in Be-zug auf sein Denken sondern auch fur sein Leben Ob man nun seine Werke liest oder seine Bandaufzeichnungen houmlrt eine tiefe Hingabe an den Herrn ist ganz offenkundig Hier ist einer der nicht nur uber Gott redet sondern der ihn tief kennt Selbst der Anfang von LrsquoAbri wurde in einer geistlichen Krise geboren bei der es darum ging Gott auf eine tiefere Art kennenzulernen Schaeffer erzaumlhlt in bdquoGeistliches Leben ndash Was ist dasldquo noch einmal wie er sich selbst 1951ndash1952 in einer geistli-chen Krise befand und wie aus dieser Krise heraus LrsquoAbri geboren wurde Er

entdeckte waumlhrend dieser Zeit was es bedeutete sich in unserem gegenwaumlrti-gen Leben und in der staumlndigen Abhaumln-gigkeit vom Geist Gottes im Gebet auf das vollbrachte Werk Christi zu verlas-sen Und das war fur ihn keine bloszlige Rhetorik LrsquoAbri selbst war im Gebet verwurzelt und gegrundet ein sichtba-res Zeugnis fur die Existenz Kraft und Gnade Gottes58

Wir sehen in Schaeffer auch einen Mann der danach strebte gleichzei-tig die Heiligkeit Gottes und die Liebe Gottes darzustellen wenn das auch auf unvollkommene Weise geschah Er war im Denken und Leben ein Mann des Mutes und des Mitgefuhls Er sprach viel uber die Notwendigkeit von bdquoliebe-voller Konfrontationldquo und er zeigte das in seinem Leben Harold O J Brown berichtet zum Beispiel von wenigstens drei Bereichen in denen Schaeffer ent-gegen der aktuellen Stroumlmung Stellung bezog und zwar weitgehend aufgrund des Verlangens den Herrn zu ehren von ganzem Herzen mit ganzer Seele mit ganzem Verstand und aller Kraft

Erstens stellte er sich gegen die Theo-logie Karl Barths Wie oben bemerkt bekehrte sich Schaeffer in den 1930er Jahren und erhielt damals auch seine theologische Ausbildung Zu jener Zeit war evangelikale Theologie aus einer Vielzahl von Grunden die weitgehend aus den fundamentalistisch-modernis-tischen Kontroversen jener Zeit stamm-

ten fast nicht existent Nach dem Zwei-ten Weltkrieg erfreute sich die evangeli-kale Bewegung jedoch unter Gelehrten wie F F Bruce und Carl F H Henry sowie unter dem evangelistischen Dienst von Billy Graham einer Wiedergeburt

Brown berichtet dass Schaeffer ein Teil dieser Bewegung sein und einen Status der Beruhmtheit haumltte erlangen koumlnnen er entdeckte jedoch Maumlngel und Kompromisse die ernst genug wa-ren den Evangelikalismus als Bewegung zu untergraben Was sah er Er sah den wachsenden Einfluss der Neoorthodoxie auf die evangelikale Theologie Attrak-tiv an Barth war dass er ebenso wie die Evangelikalen viele von Akademikern aufgestellte liberale Thesen kritisierte Dadurch fuhlten sich manche Evange-likale zu den orthodoxen Elementen in Barths Theologie hingezogen nahmen aber nur langsam die negativen Punkte wahr Schaeffer bemerkte aber nicht nur dass Barths Einfluss in Europa zuzuneh-men begann sondern auch dass Barths Theologie wenn sie angenommen wurde die evangelikale Theologie un-tergraben wurde59 Wo lag Barth schief Schaeffer vertrat die Auffassung dass Barth eine unangemessene Sicht von der Autoritaumlt der Bibel hatte Er gestand die theoretische Moumlglichkeit von Fehlern in der Schrift zu und untergrub dadurch die Grundlagen evangelikaler Theolo-gie Barths Kritik am Liberalismus war hilfreich Seine Glaubensgrundlagen

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 277 8 6 uuml

waren aber wackelig und genau darauf wies Schaeffer hin Schaeffer sah wahr-scheinlich klarer als irgendjemand an-deres dass man Barths Theologie besser nicht ubernehmen sollte60 Brown fasst das auf diese Weise zusammen

Ohne Zweifel war Barth antiliberal und bekraumlftigte die zentralen Lehren des christlichen Glaubens Sein Versagen darin die Unfehlbarkeit der Bibel und die Historizitaumlt der Evangelienberichte geltend zu machen bedeutete jedoch dass seine Bekraumlftigungen auf seiner charismatischen Autoritaumlt und nicht auf der Schrift beruhten Aufgrund seines Versagens darin die Grundlagen der biblischen Autoritaumlt die von Generati-onen zerstoumlrerischer Kritik untergraben worden waren abzustutzen war Barth nicht in der Lage eine zweite Genera-tion von protestantischen Theologen in dem Glauben den er selbst lehrte zu begrunden sein groumlszligter Einfluss bleibt der unter Evangelikalen und Konserva-tiven die schon wissen was sie glauben Zweifellos sind Barths Bekraumlftigungen ermutigend aber seine Grundlagen sind unzureichend und es waumlre gefaumlhr-lich ihn als einen theologischen Fuhrer zu waumlhlen Es ist bemerkenswert dass Schaeffer das vor drei Jahrzehnten ent-deckte waumlhrend einige evangelikale Leiter heute Barth als Antwort auf den modernen Unglauben bdquoentdeckenldquo61

Zweitens und das war wahrscheinlich fur manche Evangelikale sogar stoumlren-

der als sein Standpunkt gegen Barth schaffte es Schaeffer nicht die evange-listischen Methoden Billy Grahams von ganzem Herzen zu begrussen Das lag nicht daran dass Schaeffer etwa gegen Evangelisation war oder dass Graham nicht genugend klar fur die Autoritaumlt der Bibel eintrat Er hatte vielmehr zweifache Bedenken Zum einen war es fur Schaeffer alarmierend dass Gra-ham nicht genugend zwischen denen unterschied die am historischen Chris-tentum festhielten und denen die sich zum Liberalismus oder der roumlmisch-katholischen Theologie hielten und zu schnell mit ihnen zusammenarbeitete62 Zum Zweiten hatte er die Sorge dass Grahams Evangelisation nicht die gan-ze Person beruhrte d h dass sie dazu neigte lediglich zu einer emotionalen Entscheidung aufzurufen ndash einer Erfah-rung des bdquoObergeschossesldquo ndash die letzten Endes nur Pseudobekehrte produzieren wurde63 Wie Brown feststellt wurde Schaeffers Kritik am Ansatz Grahams nicht der weiten Oumlffentlichkeit darge-boten sie wurde jedoch bald bekannt Er wurde von manchen Leitern in der evangelikalen Bewegung wie etwa Carl Henry und Harold Lindsell kritisiert und von anderen als zu separatistisch abgeschrieben64 Schaeffer aber erkann-te etwas was zu viele nicht zu sehen vermochten Was nutzt bdquoErfolgldquo in der Evangelisation wenn sie nicht wahre Be-kehrte hervorbringt Besonders in dieser

Zeit mit den massiven Verschiebungen die in der Gesellschaft stattgefunden haben muss die evangelikale Bewe-gung zu bdquosoliden Grundlagen und zu guten Gefuhlenldquo aufrufen65 Wie Brown scharfsinnig beobachtet hat der Evan-gelikalismus in jenen fruhen Jahren nur deshalb ein Gefuhl der Staumlrke und Stabilitaumlt erlangt weil bdquoviele von Gra-hams Bekehrten spaumlter durch die Schule des disziplinierten Denkens Schaeffers gingenldquo66 Drittens gab es sein mutiges Eintreten fur die Rechte der Ungebo-renen Es ist wichtig zu erkennen dass Schaeffers sozialer Aktivismus nicht unabhaumlngig von seiner Verteidigung der Wahrheit und des Evangeliums war Wie schon oben festgestellt war die Roe gegen Wade-Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA im Jahr 1973 ein Pulverfass fur Schaeffer Sie war ein alarmierender Beweis dafur dass die Ideen der Aufklaumlrung began-nen praktische Auswirkungen darauf zu haben wie Menschen sich gegensei-tig sahen Schaeffer hatte bereits eine geraume Zeit lang vorausgesagt dass bei dem Verlust der christlichen Sicht von Realitaumlt im Westen eine der mas-sivsten Folgewirkungen der Verlust der Achtung vor dem menschlichen Leben sein werde Und genau das symbolisierte Roe gegen Wade fur Schaeffer Wenn er also mit herzlich wenigen anderen dieses Problem auf die Straszlige trug dann tat er das aus einem tiefen Emp-

finden der Liebe zu Gott und zu seinem Wort und ebenso aus Liebe zu seinem Naumlchsten Wahrheit erfordert Handeln Anfaumlnglich begruszligten aber nicht alle Evangelikale besonders nicht solche in Leitungspositionen Schaeffers Stand-punkt Wie Brown bemerkt wurde er mit der Veroumlffentlichung von bdquoA Chris-tian Manifestoldquo zum ersten Mal als ein politisch Konservativer gebrandmarkt Und das brachte ihm Angriffe von ei-ner wachsenden Zahl politisch liberaler Evangelikaler ein67 Brown stellt fest

Schaeffers zunehmend unverblumtes Engagement fur speziell konservative Anliegen in den letzten zwei Jahren sei-nes Lebens stoumlrte die Evangelikalen die ihm nicht zustimmten weil sie seinen Einfluszlig in der allgemeinen christlichen Oumlffentlichkeit erkannten Zusaumltzlich veraumlrgerte es andere die ihm im All-gemeinen zustimmten weil sie Streit vermeiden und ihre eigene Akzeptanz in der allgemeinen Oumlffentlichkeit nicht gefaumlhrden wollten Als Folge davon be-fand sich Schaeffer am Ende seines Le-bens noch einmal in der Position die er in den 1960er Jahren eingenommen hatte bevor sein Name zum Gemeingut wurde der Stimme eines Rufers in der Wuste68

Hier koumlnnen wir wieder von Schaeffer ler-nen Auch wenn es ihn einen hohen Preis kostete stand er fur die Sache von Wahr-heit und Leben ein Sein praktisches so-ziales Handeln war nicht getrennt von

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

28 7 8 6 uuml

seinen Glaubensuberzeugungen und seiner Liebe zum Herrn vielmehr floss das eine aus dem anderen In einer Zeit wo es so leicht ist inmitten von Druck Kompromisse zu schlieszligen und einzu-knicken wenn das Laufen schwierig wird ist Schaeffer ein Vorbild Er war wie die Alten der Vergangenheit bereit Gott mit seinem ganzen Sein zu lie-ben in den Schwierigkeiten des Lebens Charakter zu zeigen und der Wahrheit Gottes gehorsam zu sein

Liebe deinen Naumlchsten wie dich selbst

Wie Schaeffer in dem obigen Zitat fest-stellt sind die Liebe zu Gott und die Liebe zum Naumlchsten eng ineinander verflochten

bdquoWenn wir unseren Naumlchsten lieben wie Christus will dass wir unseren Naumlchsten lieben dann werden wir mit Sicherheit auch das Evangelium unse-rem Naumlchsten weitergeben wollen und daruber hinaus werden wir das Gesetz Gottes in all unseren Beziehungen mit unserem Naumlchsten darstellen wollenldquo69

Naturlich wird niemand der diesseits der Vollendung lebt jemals dieses Ide-al erreichen In Francis (und in Edith) Schaeffer sehen wir jedoch einen Men-schen der wenigstens versuchte vor-bildhaft fur uns etwas von dem zu le-ben wonach wir streben Wir sehen dies besonders in drei Bereichen

Zum Ersten zeigte Schaeffer seine Liebe zum Naumlchsten darin dass er versuchte ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen zu geben In seiner Broschure bdquoTwo Con-tents Two Realitiesldquo behauptet Schaef-fer dass es vier Dinge gebe die absolut notwendig sind wenn Christen sich den Herausforderungen unserer Zeit stellen wollen (1) Gesunde Lehre (2) Ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen (3) Wah-re Geistlichkeit und (4) die Schoumlnheit menschlicher Beziehungen In der Be-sprechung von (1) und (2) betont er die Notwendigkeit in Bezug auf gesunde Lehre keine Kompromisse zu schlieszligen aber gleichzeitig Zeit mit Menschen zu verbringen und zu versuchen ihre Fragen zu beantworten Er beklagt die Haltung mancher in der Kirche die den Eindruck vermitteln dass wir keine Fragen stellen durfen und nur glauben mussen Das so sagt er ist immer falsch Es ist falsch weil es Menschen nicht als ganzheitliche Personen ansieht die sowohl intellektu-elle als auch geistliche Antworten brau-chen70 Es ist besonders falsch in einer Zeit die nicht an die Wahrheit glaubt zu sagen dass wir die Wahrheit haben sich dann aber nicht die Zeit zu neh-men wirkliche und schwierige Fragen zu beantworten Das beansprucht naturlich nicht nur eine Menge an Zeit und Bemuhung es erfordert auch Mitgefuhl Menschen dort zu treffen wo sie sind Fragen zu beantworten ist harte Arbeit Schaeffer sagt das so

Als Christen mussen wir genug Liebe und Mitgefuhl aufbringen um auf die Fragen unserer Zeitgenossen zu houmlren Zu viele von uns werden von dem fal-schen Ehrgeiz geplagt alle Fragen spon-tan zu beantworten ndash als koumlnne man ei-nen Trichter ans Ohr setzen alle Daten und Fakten einfuttern und dann loszie-hen und alle Diskussionen gewinnen So geht es aber nicht

Fragen zu beantworten ist harte Ar-beit Koumlnnen Sie alle Fragen beantwor-ten Nein aber Sie mussen sich darum bemuhen Houmlren Sie zunaumlchst einmal mit Anteilnahme zu welche Fragen Ihr Gegenuber bewegen und versuchen Sie dann Antworten zu geben Wissen Sie keine Antwort dann machen Sie sich auf die Suche Lesen Sie und uberlegen Sie so lange bis Sie moumlgliche Antworten gefunden haben

Nicht jeder ist berufen die Fragen von Intellektuellen zu beantworten Aber ob wir mit Akademikern oder mit Dockarbeitern sprechen die Aufgabe ist immer dieselbe Waumlhrend meines zwei-ten Pfarramtes gehoumlrten viele Hafenar-beiter zu meiner Gemeinde und seither weiszlig ich dass sie dieselben grundlegen-den Fragen haben wenn sie sie auch anders formulieren

Antworten sind nicht Erloumlsung Dazu kommt das Wirken des Heiligen Geistes Dennoch sind wir dafur verantwortlich ndash und darum geht es mir in diesem Zu-sammenhang ndash genug Mitgefuhl auf-

zubringen um zu beten und die harte Arbeit zu tun die notwendig ist um die aufrichtigen Fragen zu beantworten71

Das waren fur Schaeffer nicht nur leere Worte sie spiegelten sein Leben wider72 Fur unzaumlhlbare Menschen die nach LrsquoAbri kamen versuchte Schaeffer das in die Tat umzusetzen was er lehrte Staumlndig ist eine der Klagen die ich von Studenten am Seminar houmlre dass Pro-fessoren und sogar Pastoren keine Zeit fur sie haben Sie haben ehrliche Fragen die Zeit und Aufmerksamkeit erfordern aber oft sind wir zu beschaumlftigt um zu helfen Wie Schaeffer uns erinnerte sind wir jedoch berufen unseren Naumlchs-ten zu lieben Fur christliche Leiter Pastoren und Lehrer ist sicherlich ein Weg auf dem sich das zeigen muss die verbrachte Zeit die erwiesene Fursorge und die gegebenen ehrlichen Antwor-ten an echte Menschen die in einem postmodernen Zeitalter nicht weniger als dies verdienen

Eine zweite Art wie die Schaeffers ihre Liebe zu anderen zeigten geschah durch Gastfreundschaft In LrsquoAbri oumlffneten sie ihr Haus fur einzelne Menschen und das war sicher nicht einfach Als Schaef-fer spaumlter daruber nachdenkt stellt er fest dass bdquoungefaumlhr in den ersten drei Jahren von LrsquoAbri alle unsere Hochzeits-geschenke vernichtet wurden Unsere Laken wurden zerrissen Loumlcher wurden in unsere Teppiche gebrannt Einmal waumlre fast ein ganzer Vorhang verbrannt

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 297 8 6 uuml

weil jemand in unserem Wohnzimmer geraucht hatte hellip Drogen kamen in unser Haus Leute erbrachen sich in un-seren Raumlumenldquo73 Ich will damit nicht sagen dass jeder das tun muss was die Schaeffers taten Wir sehen jedoch in ih-rem Leben zwei Menschen die das Ge-bot ernst nahmen sowohl Gott als auch den Naumlchsten zu lieben Eine Geschich-te nach der anderen in LrsquoAbri dreht sich darum wie diese sichtbare Liebe entscheidend dafur war Menschen zu Christus zu bringen74 Evangelisation darf nicht davon getrennt werden wie wir den ganzen Menschen mit unseren Worten und unseren Taten behandeln

Zum Dritten strebte Schaeffers Le-ben danach ein wundervolles Gleich-gewicht zwischen Wahrheit und Lie-be darzustellen Er stand fest fur das Evangelium aber waumlhrend er das tat strebte er danach die Menschen denen er diente in Beziehungen von Mensch zu Mensch zu lieben und zu verstehen Brown vergleicht Francis Schaeffer mit Athanasius einem anderen Vorbild aus der Vergangenheit der wusste was es heiszligt fur die Wahrheit einzutreten Brown erzaumlhlt wie Schaeffer versuchte das Gleichgewicht zwischen Wahrheit und Liebe zu halten Er stellt fest

Wie Athanasius nahm Schaeffer ndash besonders in seinen letzten Jahren ndash Standpunkte ein die manche als unmaumlszligig und unflexibel bezeichnen wurden Wir wissen nicht wirklich wie

Athanasius mit Menschen auf einer per-soumlnlichen Ebene umging Es ist moumlglich dass er mit Einzelnen so streng war wie er es mit ihrer Theologie war In Schaeffers Fall wissen wir jedoch dass die Haumlrte seiner Uumlberzeugungen in Be-ziehungen von Mensch zu Mensch wie auch in der oumlffentlichen Debatte immer durch Liebe und Verstaumlndnis gemildert wurde Er behandelte die mit denen er zutiefst uneins war bestaumlndig mit Rucksicht und Liebe Francis Schaeffer hielt nicht nur die Stellung fur biblische Orthodoxie in seiner Generation wie Athanasius das getan hatte Vielleicht noch wichtiger ist dass Schaeffer der naumlchsten Generation nicht nur zeigte dass sie Stellung beziehen muss sondern wo sie sie beziehen muss und wie sie das tun kann naumlmlich in den Worten des Paulus bdquodie Liebe in Wahrheit zu re-denldquo (Eph 415) Er hat uns gezeigt dass bdquocontra mundumldquo (dt bdquogegen die Weltldquo) einzutreten ein wesentlicher Teil davon ist bdquopro Christoldquo (dt bdquofur Christusldquo) zu seinldquo75

Hier ist eine weitere Lehre die wir zie-hen mussen besonders wir die wir als Leiter in der Kirche dienen Jede Gene-ration muss fur die Wahrheit eintreten aber wir mussen das in Liebe tun Heute houmlren wir viel uber die Liebe eine harte und kompromisslose Stellungnahme fur die Wahrheit wird daruber oft vernach-laumlssigt In einer Zeit die es dringend nouml-tig hat die Wahrheit zu houmlren koumlnnen

wir an diesem Punkt nicht schwanken Wir durfen jedoch auch nicht ins ande-re Extrem fallen Sowohl Wahrheit als auch Liebe sind notwendig Und Francis Schaeffer ist an diesem Punkt ein hilf-reiches Vorbild Ein Mann mit Uumlber-zeugungen verwurzelt und gegrundet in Gottes Wort ein Mann der aus ers-ter Hand wusste was bdquoliebevolle Kon-frontationldquo bedeutet ein Mann der da-nach strebte den Herrn seinen Gott zu lieben und seinen Naumlchsten wie sich selbst und im Denken und Handeln die Herrschaft Jesu uber sein gesamtes Leben darzustellen Moumlgen wir lernen das gleiche zu tun

Letztendlich war Francis Schaeffer ein gefallener unvollkommener Mann gerettet durch die Gnade Gottes Er machte wie wir alle viele Fehler Aber er war eine einzigartige Einzelperson von Gott begabt fur seine Generation Er sagte oft dass Gott nicht jemanden mit auszligergewoumlhnlichen Gaben gebrau-chen muss Gott kann stattdessen einen toten Holzstock in der Hand des Mose gebrauchen wenn er das will In einer sehr denkwurdigen Predigt sagte er das so

Obwohl wir begrenzt und schwach an Begabung koumlrperlicher Energie und psychischer Staumlrke sind sind wir nicht weniger als ein Holzstock Aber wie der Stab des Mose der Stab Gottes werden musste muss das was ich bin zum ich Gottes werden Dann kann ich nutzlich

werden in den Haumlnden Gottes Die Schrift betont dass viel von wenig kom-men kann wenn das Wenige wahrhaft Gott geweiht ist Im wahren geistlichen Sinn gibt es keine kleinen Leute und groszlige Leute sondern nur geweihte und nicht geweihte Leute Das Problem fur jeden von uns ist es die Wahrheit auf uns selbst anzuwenden hellip Wer sich selbst fur eine kleine Person an einem kleinen Ort haumllt kann wenn er sich Christus hingibt und in seinem gesam-ten Leben unter Seiner Herrschaft lebt durch Gottes Gnade den Fluss unserer Generation aumlndern Und wenn wir aumllter werden und wissen wie schwach wir sind und dann zuruckschauen und sehen dass wir irgendwie von Gott ge-braucht wurden dann sollten wir der Stab sein der bdquovon Freude uberraschtldquo ist76

Aus dem Denken und Leben Francis Schaeffers gibt es viel zu erwaumlgen und zu lernen Nur papageienhaft alles nachzu-plappern was er sagte wurde ihn nicht ehren Er haumltte das nicht gewollt Wir mussen stattdessen von ihm lernen wie wir wirkungsvoller in unserer Zeit die-nen koumlnnen so wie er es in seiner tat Dabei mussen unser Verstand und un-ser Herz fest in der Schrift verwurzelt und gegrundet sein Wir mussen lei-denschaftlich fur das Evangelium sein bereit die Fragen unserer Zeit in Treue gegenuber unserem groszligen Gott anzu-gehen Das waumlre der houmlchste Tribut den

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

30 7 8 6 uuml

1 Wenn nicht anders vermerkt werden alle Zitate aus den Schriften Francis Schaeffers entnommen Francis A Schaeffer The Complete Works of Fran-cis A Schaeffer Crossway Books 19852 Michael S Hamilton bdquoThe Dissatis-faction of Francis Schaeffer thirteen years after his death Schaefferrsquos visi-on and frustrations continue to haunt Evangelicalismldquo In Christianity Today 1997 S 223 Harald O J Brown Standing Against the World Westchester Crossway 1986 S 15ndash164 Diese drei Bereiche des Einflusses Schaeffers sind entnommen aus Brown A a O S 19ndash255 Fur mehr Informationen uber den per-soumlnlichen Einfluss von Francis Schaeffer im Leben von verschiedenen Personen vgl die Kapitel in Teil 2 von Lane T Dennis Francis A Schaeffer Portraits of the Man and His Work Westchester Ill Crossway Books 1986 S 129ndash205 Vgl in diesem Zusammenhang auch ei-nige der persoumlnlichen Korrespondenzen zwischen Schaeffer und verschiedenen Leuten uber eine Vielzahl von Themen in Francis A Schaeffer und Lane T Dennis Letters of Francis A Schaeffer Spiritual Reality in the Personal Chris-tian Life Westchester Ill Crossway Books 19856 Francis Schaeffers letztes Werk The Great Evangelical Disaster (Die groszlige Anpassung Der Zeitgeist und die Evan-gelikalen) wurde nur Monate bevor er an Krebs starb veroumlffentlicht In diesem Werk versuchte er die Evangelikalen zu warnen und sie instaumlndig zu bitten in Bezug auf die Autoritaumlt der Bibel und die Ausschlieszliglichkeit des Evangeli-ums keine Kompromisse zu schlieszligen Er nannte sogar verschiedene Namen

derer von denen er glaubte sie haumltten an diesen Punkten Kompromisse ge-schlossen Gleichzeitig rief er eine neue Generation von Christen dazu auf als bdquoRadikale fur die Wahrheitldquo in unserer Zeit Stellung zu beziehen bdquoThe Great Evangelical Disasterldquo wurde neu ver-oumlffentlicht in Francis A Schaeffer The Complete Works of Francis A Schaef-fer Bd 4 A a O S 301ndash4117 bdquoNeoorthodoxieldquo ist eine theologische Bewegung die in den 1920er Jahren begann und bis heute weitergeht auch wenn ihr hauptsaumlchlicher Einfluss in der weiteren theologischen Welt von den 1920er bis zu den 1970er Jahren lag Sie ist verbunden mit einer Anzahl von Theologen wie Rudolf Bultmann Emil Brunner Reinhold Niebuhr und Paul Tillich Am bekanntesten ist je-doch die Verbindung zur Theologie des Schweizer Theologen Karl Barth Zu weiteren Informationen uber bdquoNeoor-thodoxieldquo s David F Ford (Hrsg) The Modern Theologians 2 Aufl Oxford Blackwell 1997 S 21ndash102 C A Bax-ter bdquoNeo-Orthodoxyldquo In Sinclair Fer-guson et al (Hrsg) New Dictionary of Theology Downers Grove InterVarsity Press 1988 S 456ndash4578 Zu diesem Thema siehe besonders Francis A Schaeffer Wie koumlnnen wir denn leben Aufstieg und Niedergang der westlichen Kultur 5 Aufl Holz-gerlingen Haumlnssler 2000 Francis A Schaeffer Bitte laszlig mich leben Fur Menschlichkeit in unmenschlicher Gesellschaft Telos-Bucher 1205 Neu-hausen-Stuttgart Haumlnssler 1981 Fran-cis A Schaeffer A Christian Manifesto 1st trade pbk Wheaton Ill Crossway Books Published in association with Nims Communications 20059 Brown Standing Against the World A a O S 2310 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 102 Die Kritiken die Dennis er-

waumlhnt sind die von Wells Ronald A Wells bdquoFrancis Schaefferrsquos Jeremiad A Review Articleldquo In The Reformed Journal Mai 198211 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 227 Fn 512 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 102ndash126 Dennisrsquo ausgezeichnete Diskussion dieser ganzen Frage ist sehr hilfreich weil er die Frage umfassend anspricht ob Schaeffer ein bdquoGelehrterldquo war und ob diese Frage der wirkliche Grund fur die negative Reaktion auf seine Gedanken ist13 Vgl Hamilton bdquoThe Dissatisfaction of Francis Schaefferldquo A a O S 3014 Es ist wohl bekannt dass der Evange-likalismus eine uber eine Anzahl wich-tiger Lehrfragen zerspaltene Bewegung ist Zur Diskussion uber einige dieser Lehrspaltungen aus einer Vielfalt von Blickwinkeln vergleiche bdquoEvangelical Megashiftldquo In Chritianity Today 19 Februar 1990 S 12ndash17 Kenneth S Kantzer und Carl F H Henry (Hrsg) Evangelical Affirmations Grand Ra-pids Zondervan 1990 Millard Erick-son The Evangelical Left Grand Ra-pids Baker 1997 Roger Olsson bdquoThe Future of Evangelical Theologyldquo In Christianity Today 9 Februar 1998 S 40ndash42 Elmer M Colyer (Hrsg) Evangelical Theology in Transition Downers Grove Inter-Varsity Press 1999 Stanley Grenz Renewing the Center Grand Rapids Baker 2000 John D Woodbridge et al This We Be-lieve Grand Rapids Zondervan 200015 Fur weitere Materialien die das Leben Francis Schaeffers sehr viel detaillierter skizzieren vgl David Porter bdquoFrancis Schaefferldquo In John D Woodbridge (Hrsg) Great Leaders of the Christian Church Chicago Moody Press 1988 S 362ndash366 Colin Duriez bdquoFrancis

Schaefferldquo In Walter A Elwell Hand-book of Evangelical Theologians Grand Rapids Baker 1993 S 245ndash259 und Dennis Portraits of the Man and His Work A a O S 207ndash211 Vgl auch die Lebensgeschichte der Schaeffers erzaumlhlt von Edith Schaeffer in Llsquo Abri Gottes Wirklichkeit heute erlebt 4 Aufl Wup-pertal Oncken Verlag 1975 und The Tapestry The life and times of Francis and Edith Schaeffer Waco Tex Word Books 198116 Zu weiteren Informationen uber den Dienst der LrsquoAbri Gemeinschaft heute vgl URL httpwwwlabriorg17 Fur eine vollstaumlndige Liste von Bu-chern Kassetten und Videos von Francis und Edith Schaeffer vgl URL httpwwwlabriorg18 Dieses Thema zieht sich durch Schaef-fers Bucher hindurch vgl aber beson-ders Francis A Schaeffer Gott ist keine Illusion 3 Aufl Wuppertal Brockhaus Verlag 1974 Francis A Schaeffer und er schweigt nicht Ist eine Philoso-phie ohne Gott realistisch 1 Taschen-buchausg Wuppertal Genf Zurich Basel Brockhaus Verlag 1975 Schaef-fer Wie koumlnnen wir denn leben A a O Schaeffer Bitte laszlig mich leben A a O19 Es ist viel debattiert worden uber die Genauigkeit von Schaeffers Analyse von Denken Kunst Musik und Kultur des Westens Auch wenn es zweifellos wahr ist dass er an einigen Punkten ein va-ges und stark verallgemeinertes Bild gemalt hat ist gleichzeitig anerkannt worden dass sich das bdquogroszlige Bildldquo das er gezeichnet hat als grundlegend richtig erwiesen hat Mehr zu diesen Aufsaumltzen findet sich bei Roland Nash The Life of the Mind and the Way of Life Westchester Ill Crossway Books 1986 S 53ndash69 bzw 101ndash126 Vgl auch einige der hilfreichen Kommentare von Duriez in Dennis Francis A Schaeffer Portraits of the Man and His Work A a O S 252ndash259

Prof Dr Stephen J Wellum

Anmerkungenman einem Mann zollen kann der in seinem Denken und Leben mehr als al-les danach strebte unter der Herrschaft Jesu Christi allein zur Ehre Gottes zu leben

Prof Dr Stephen J Wellum

ist auszligerordentlicher Professor am bdquoThe Southern Baptist Theological Seminaryldquo in Louisville Kentucky (USA) Er ist ein beliebter Redner auf Konferenzen Autor mehrerer Ar-tikel und Buchbeitraumlge und Mitver-fasser (gemeinsam mit Peter Gentry) von bdquoKingdom Through Covenant A Biblical-Theological Understanding of the Covenantsldquo (Crossway 2012) Sein Artikel erschien ursprunglich als Stephen J Wellum bdquoFrancis A Schaeffer (1912ndash1984) Lessons from His Thought and Lifeldquo In SBJT Vol 6 No 2 (2002) S 4ndash32 Die Uumlbersetzung erfolgte durch Wolfgang Haumlde Redaktionell bearbeitet wurde der Beitrag von Christian Pletsch und Deike Sumann

glauben amp denken heute 22012 317 8 6 uuml

20 Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 1421 Ebd S 822 Ebd S 8ndash923 Zu mehr uber Postmodernismus sei er populaumlr oder differenziert vgl die folgenden Werke Gene E Veith Jr Postmodern Times Wheaton Cross-way 1994 David Dockery (Hrsg) The Challenge of Postmodernism Grand Rapids Baker 1995 Stanley J Grenz A Primer on Postmodernism Grand Ra-pids Eerdmans 1996 D A Carson The Gagging of God Grand Rapids Zonder-van 1996 Kevin Vanhoozer Is There a Meaning in This Text Grand Rapids Zondervan 1998 und Millard Erickson Truth or Consequences The Promise and Perils of Postmodernism Downers Gro-ve InterVarsity Press 2001 sowie The Postmodern World Wheaton Crossway 200224 Carson The Gagging of God A a O S 1925 Schaeffers Gebrauch des Ausdrucks bdquowahre Wahrheitldquo veranschaulicht seine Besorgnis dass der Begriff bdquoWahrheitldquo nicht laumlnger das bedeutete was er immer bedeutet hatte Um also wirkungsvoll mit einer Generation zu kommunizieren die nicht an Wahrheit glaubt praumlgte er diesen Ausdruck um eine objektive uni-versale der Wirklichkeit entsprechende Sicht von Wahrheit zu kommunizieren26 Vgl dazu auch Carson The Gagging of God A a O S 13ndash54 u 419ndash51427 Zu dieser Analyse vgl besonders Fran-cis A Schaeffer Preisgabe der Vernunft Kurze Analyse der Ursprunge und Ten-denzen des modernen Denkens 5 Aufl GenfWuppertal Brockhaus Verlag 198528 Der Begriff bdquoRationalismusldquo kann fur verschiedene Leute verschiedene Dinge bedeuten Fur manche ist es ein Begriff der sich auf eine erkenntnistheoretische Schule bezieht die als bdquoKontinentaler

Rationalismusldquo bekannt ist im Gegen-satz zu anderen Schulen wie dem bdquoBri-tischen Empirismusldquo oder Immanuel Kants bdquoTranszendentalem Idealismusldquo Fur andere bezieht er sich einfach auf eine Person die den Gebrauch der Ver-nunft uberbetont Was jedoch Schaeffer betrifft so gebraucht er den Begriff in Bezug auf bdquojede Philosophie oder jedes Gedankensystem das vom Menschen alleine ausgeht beim Versuch einen ein-heitlichen Sinn des Lebens zu findenldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 200) Mit an-deren Worten bdquoRationalismusldquo bezieht sich auf eine Geisteshaltung auf einen philosophischen Ansatz der Menschen als die letzte Autoritaumlt in Fragen von Wahrheit und Wirklichkeit betrachtet und das dann gegen das Christentum setzt das Gott und sein Wort als die letz-te Autoritaumlt fur Fragen von Wahrheit und Wirklichkeit betrachtet29 Schaeffers Analyse des westlichen Den-kens als einer schrittweise Entwicklung einer Anzahl dialektischer Spannungen aumlhnelt sehr der Analyse von Herman Dooyewwerd A Critique of Theoretical Thought 4 Bde Philadelphia Presbyte-rian and Reformed 1953ndash58 Viel ver-dankt sie seinem ehemaligen Professor Cornelius Van Til dessen Gedanken sich in Werken befinden wie A Christian Theory of Knowledge Phillipsburg Pres-byterian and Reformed 1969 und A Sur-vey of Christian Epistemology Philadel-phia Presbyterian and Reformed 196930 Vgl Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 19ndash94 Fur Schaeffer war diese Analyse ein Herzstuck seiner Apologetik Immer wieder versuchte er den Men-schen zu helfen sich erkenntnistheore-tisch der Implikationen ihrer Denkvor-aussetzungen bewusster zu werden Da-bei versuchte er zu zeigen dass alle Welt-bilder auszliger dem Christentum letztlich in sich inkonsequent sind und es daher nahezu unmoumlglich ist sie in der Praxis

auszuleben Zu weiteren Informationen uber das Wesen und die Methodologie von Schaeffers Apologetik vgl Gott ist keine Illusion A a O S 132ndash18131 Dieses Thema zieht sich durch alle Schriften Schaeffers hindurch und eben-so durch seine auf Band aufgenommenen Vorlesungen Vgl besonders seine Ton-band-Vorlesung mit dem Titel bdquoGrund-legende Probleme denen wir gegenuber stehenldquo Teil 1 und 2 Alle Tonbaumlnder Schaeffers und die der LrsquoAbri Fellowship koumlnnen gekauft werden durch Sound Word Associates PO Box 2036 Ches-terton IN 46304 oder uber httpwwwsoundwordcom oder sind kostenlos im LlsquoAbri ideas library verfugbar URL httpwwwlabri-ideas-libraryorg 32 Es ist viel daruber diskutiert worden ob Schaeffer Barth richtig interpretiert und verstanden hat Ohne Zweifel gibt es bei Barth viel mehr Nuancen als Schaef-fer in seinen Buchern erwaumlhnt und uber Barths Theologie kann und muss viel mehr gesagt werden Ich wurde jedoch behaupten dass Schaeffers grundlegende Analyse richtig ist besonders an den von ihm betonten Punkten Fur eine tiefer ge-hende Behandlung von Barths Theologie die einer aumlhnlichen Beurteilung folgt vgl Cornelius Van Til Christianity and Barthianism Nutley Presbyterian and Reformed 197733 Vgl die auf Band aufgenommenen Vor-lesungen Schaeffers mit den Titeln bdquoBasic Problems We Faceldquo (Grundlegende Prob-leme denen wir gegenuberstehen) bdquoEx-clusive Christ in an Inclusive Ageldquo (Der ausschlieszligliche Christus in einem Zeit-alter das alles einschlieszligt) bdquoRelativism in the 20th Centuryldquo (Relativismus im 20 Jahrhundert) und bdquoVatican Council IIldquo (Das Zweite Vatikanische Konzil) In den Vorlesungen uber das Zweite Va-tikanische Konzil analysiert Schaeffer einfuhlsam die Verschiebungen die in der roumlmisch-katholischen Theologie vor sich gingen bis hin zu einem bdquoinklusive-

renldquo Verstaumlndnis von Heil zu Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils im Jahr 196234 Der Begriff bdquoWeltbildldquo ist heute mitt-lerweile dank des Einflusses von Men-schen wie Francis Schaeffer ublich Fur ein populaumlres Werk das uns hilft Ideen aus der Perspektive von Weltbildstruktu-ren zu sehen vgl James Sire The Univer-se Next Door 3 Aufl Downers Grove InterVarsity Press 199735 In der Apologetik wird das Wort bdquoDenkvoraussetzungldquo (Praumlsuppositi-on) nicht immer auf die gleiche Art ge-braucht Es ist wichtig sich daran zu erinnern und leider wird das oft verges-sen in Debatten uber methodologische Unterschiede zwischen verschiedenen apologetischen Ansaumltzen innerhalb der evangelikalen Apologetik Schaeffer zum Beispiel benutzte den Begriff mit Bezug auf bdquoeinen Glauben oder eine Theorie die angenommen wird bevor der naumlchs-te Schritt in der Logik entwickelt wirdldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 201 [Anm In der dt Ausgabe fehlt die Erklaumlrung]) In diesem Sinne dienen bdquoDenkvorausset-zungenldquo als Hypothesen die unabhaumlngig verifiziert werden mussen durch solche Dinge wie Logik historische Beweise pragmatische Eignung usw Gordon Clark Three Types of Religious Philoso-phy 2nd Jefferson Md Trinity Foun-dation 1989 S 121ndash123 gebrauchte den Begriff um sich auf bdquoAxiomeldquo des Gedankensystems einer Person zu bezie-hen die unbeweisbar sind weil sie dog-matisch postuliert werden als ein erstes Prinzip das zu demonstrieren es nichts Grundlegenderes gibt Andererseits ge-brauchte Cornelius Van Til den Begriff mit Bezug auf die letztgultigen Kriterien eines Weltbildes die nicht jenseits ver-nunftgemaumlszliger Beweisbarkeit liegen d h sie sind transzendentale Gegebenheiten uber die man streiten und sie verteidi-gen muss Wie Van Til feststellt bdquoEin

wahrhaft transzendentales Argument nimmt jede Erfahrungstatsache die es untersuchen moumlchte und versucht zu bestimmen was die Denkvoraussetzung dieser Tatsache sein muss um es zu dem zu machen was es istldquo (Cornelius Van Til A Survey of Christian Epistemology Philadelphia Presbyterian and Refor-med 1969 S 10 u vgl S 201) Zu ei-ner hilfreichen Diskussion daruber wie der Begriff Denkvoraussetzung in der christlichen Apologetik gebraucht wird vgl Greg L Bahnsen Van Tilrsquos Apologe-tic Readings and Analysis Phillipsburg N J PampR Pub 1998 S 461ndash69736 Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 1037 Schaeffer Preisgabe der Vernunft A a O S 11ndash1238 Schaeffer sprach davon mit dem Begriff bdquoPrauml-Evangelisationldquo Christliche Apolo-getik so argumentiert er hat zwei Ziele (1) das Evangelium zu verteidigen und (2) das Evangelium auf eine Art weiterzuge-ben dass die jeweilige Generation es ver-stehen kann Beim Gebrauch des Begriffs bdquoPraumlevangelisationldquo bezog er sich auf (2) Schaeffers Anliegen war es dass bei unse-rer Darbietung des Evangeliums beson-ders beim Leben in einer zunehmend bi-blisch analphabetischen und postchristli-chen Kultur die Menschen Wissen uber das Evangelium brauchen bevor sie zum Glauben kommen Daher ist Praumlevange-lisation noumltig Wie er feststellt bdquokommt die Einladung zu handeln [das heiszligt an Christus zu glauben] erst nachdem eine angemessene Wissensgrundlage gegeben wurde hellip Wissen geht dem Glauben vor-aus Das ist entscheidend fur das Verste-hen der Bibel bdquoZu sagen (und das sollten Christen) dass nur jener Glaube wahrer Glaube ist der an Gott auf der Grundlage von Wissen glaubt bedeutet etwas zu sa-gen das in der Welt des zwanzigsten Jahr-hunderts eine Explosion verursachtldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 153ndash154)

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

32 7 8 6 uuml

39 Vgl zum Beispiel Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 96ndash160 Francis A Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houmlren Genfer Bibelgesellschaft 2004 und verschiedene Bandaufnahmen wo er das diskutiert etwa in bdquoBasic Problems We Faceldquo und bdquoBefore the Beginningldquo40 Der Ausdruck bdquodie Gedanken Got-tes ihm nachdenkenldquo war ein starker Schwerpunkt im Denken Cornelius Van Tils dem Apologetiklehrer Schaeffers am Westminster Theological Seminary Zu einer hilfreichen Diskussion dieser Wen-dung bei Van Til auch mit Anwendung auf Schaeffers Denken vgl Bahnsen Van Tillsquos Apologetic A a O S 220ndash26041 Dieses Argument wird besonders entwickelt in Francis A Schaeffer Ge-nesis in Raum und Zeit Wuppertal Brockhaus Verlag 1976 und Francis A Schaeffer Die groszlige Anpassung Der Zeitgeist und die Evangelikalen Asslar Schulte u Gerth 198842 Fur die Zentralitaumlt der Lehre von Gott im Leben Schaeffers vgl solche Werke wie Francis A Schaeffer Geistliches Leben ndash Was ist das Wuppertal R Brockhaus Verlag 1975 Schaeffer Un-sere Welt soll sein Wort houmlren A a O Schaeffer Die grosse Anpassung A a O43 Man muss einfach an die tobende De-batte innerhalb der evangelikalen Theolo-gie uber bdquoOffenen Theismusldquo (engl Open Theism) denken und an den Versuch bdquoOffener Theistenldquo die Lehre von Gott neu zu definieren und zu revidieren Vgl dazu die verschiedenen Bucher von bdquoOf-fenen Theistenldquo wie etwa Clark Pinnock et al The Openness of God Downers Grove InterVarsity Press 1994 John Sanders The God Who Risks Dow-ners Grove InterVarsity Press 1998 und Gregory A Boyd God of the Possible Grand Rapids Baker 2000 Im Hinblick auf eine Antwort und kompetente Kritik vgl Bruce A Ware Godrsquos Lesser Glory

Wheaton Crossway 2000 und John M Frame No Other God Phillipsburg Presbyterian and Reformed 200144 Zu dem was die Schrift von sich selbst behauptet vgl Wayne Grudem bdquoScripturersquos Self-Attestation and the Problem of Formulating a Doctrine of Scriptureldquo In D A Carson und John D Woodbridge (Hrsg) Scripture and Truth Grand Rapids Zondervan 1983 S 19ndash59 John Frame bdquoScripture Speaks for Itselfldquo In John Warwick Mont-gomery (Hrsg) Godrsquos Inerrant Word Minneapolis Bethany 1974 S 178ndash200 Sinclair Ferguson bdquoHow Does The Bible Look at Itselfldquo In Harvie Conn (Hrsg) Inerrancy and Hermeneutic Grand Ra-pids Baker 1988 S 47ndash6645 Schaeffers Argument an diesem Punkt grundet sich auf die erkenntnistheoreti-sche Notwendigkeit der Irrtumslosigkeit d h ohne einen irrtumslosen Text gibt es keinen Weg theologische Lehren zu begrunden Was meint Schaeffer damit Schaeffers Argument ist nicht dass man der Bibel nirgendwo trauen koumlnne wenn sie an einem Punkt falsch laumlge Offen-sichtlich ist dieses Argument falsch Nur weil die Bibel moumlglicherweise an einem Punkt falsch liegt heiszligt das noch nicht dass sie nicht verlaumlsslich ist in vielem von dem was sie an anderen Stellen die be-staumltigt werden koumlnnen lehrt Er meinte vielmehr Folgendes Wenn die Schrift nicht in allem was sie bekraumlftigt irr-tumslos ist wie koumlnnen wir dann irgend-eine in der Schrift behauptete Wahrheit wissen Eine in der Schrift behauptete theologische Wahrheit koumlnnte geglaubt werden sie mag sogar wahr sein aber wie kann sie gewusst werden wenn die Schrift Irrtumer erhaumllt Letztendlich wird die Schrift nicht als unsere letzte Autoritaumlt dienen koumlnnen wenn sie nicht in allem was sie behauptet vertrauenswurdig und verlaumlsslich ist46 Schaeffer Die groszlige Anpassung A a O 149

47 Ebd S 60ndash6148 Vgl Scott R Burson und Jerry L Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer Lessons for A New Century From the Most Influential Apologists of Our Time Downers Grove Ill InterVarsity Press 1998 S 11449 Ebd S 135ndash13650 Ebd S 13551 Es gab zuletzt viele Diskussionen uber die Folgen einer libertarianischen Sicht von menschlicher Freiheit fur das Kon-zept von der goumlttlichen Souveraumlnitaumlt und daher uber die Beziehung zwischen Gott und der Schrift David Basinger und Randall Basinger brachten in bdquoInerran-cy Dictation and the Free Will Defen-seldquo (In Evangelical Quarterly 55 (1983) S 177ndash180) die Diskussion in Gang indem sie die Auffassung vertraten dass jemand nicht gleichzeitig am Libertaria-nismus und an der Irrtumslosigkeit fest-halten koumlnnte wenn man sich nicht auf eine Theorie von der Inspiration als Dik-tat berufen wolle Burson und Walls be-ziehen sich positiv auf das Argument der Basingers und versuchen dann Schaeffer ins Lager des Libertarianismus zu stecken und so eine Inkonsequenz in Schaef-fers Denken darzulegen Die Frage ob Schaeffer ein Libertarianer war ist sehr schwer zu beurteilen Schaeffer arbeitete nicht mit einer praumlzisen Definition von menschlicher Freiheit besonders nicht in der Art wie wir es heute in der phi-losophischen und theologischen Literatur finden Schaeffers Anliegen war vielmehr die Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen zu betonen im Kontrast zu dem Determinismus von Leuten wie B F Skinner Gleichzeitig behielt er aber eine starke Wahrnehmung der souveraumlnen Herrschaft und Regierung Gottes uber die Welt Ich bin sicher dass Schaeffer die Art wie Libertarianer ihre Auffas-sung heute darlegen und besonders wie sie diese auf die Lehre von der Schrift (vgl Basingers Auffassung) angewandt

haben ohne Umschweife abgelehnt haumlt-te Zu einer tiefer gehenden Diskussion uber die Beziehung zwischen goumlttlicher Souveraumlnitaumlt und menschlicher Freiheit in ihrer Anwendung auf die Schrift vgl meine Artikel bdquoThe Importance of the Nature of Divine Sovereignty for Our View of Scriptureldquo In The Southern Baptist Journal of Theology Vol 4 No 2 (2000) S 76ndash90 und bdquoDivine Sovereign-ty-Omniscience Inerrancy and Open Theism An Evaluationldquo In Journal of the Evangelical Theological Society (Juni 2002)52 Vgl Schaeffer Und er schweigt nicht A a O S 88ndash8953 Vgl Fn 5154 J I Packer bdquosbquoSola Scripturalsquo in History and Todayldquo In John Warwick Montgo-mery Godlsquos Inerrant Word An Interna-tional Symposium on the Trustworthi-ness of Scripture Minneapolis Bethany Fellowship 1974 S 6055 Einige aktuelle Werke die eine hohe Meinung von der Schrift verteidigen sind zum Beispiel D A Carson und John Woodbridge (Hrsg) Scripture and Truth and Hermeneutics Authority and Canon Grand Rapids Zondervan 1986 Norman Geisler (Hrsg) Inerran-cy Grand Rapids Zondervan 1980 J M Boice (Hrsg) The Foundation of Biblical Authority Grand Rapids Zon-dervan 1978 Harvie M Conn (Hrsg) Inerrancy und Hermeneutic A Tradi-tion a Challenge a Debate Michigan Baker Books 1988 Gordon Lewis und Bruce Demarest (Hrsg) Challenges to Inerrancy Chicago Moody 1984 Earl Radmacher und Robert Preus (Hrsg) Hermeneutics Inerrancy and the Bible Grand Rapids Zondervan 1984 Carl F H Henry God Revelation and Au-thority 6 Bde Waco Word 1976ndash8356 Vgl zu diesem Punkt Schaeffers Be-sprechung in Schaeffer Die groszlige An-passung A a O S 60ndash62

57 Ebd S 53ndash5458 Zu der Geschichte hinter LrsquoAbri und wie es geboren und mit Gebet aufrecht-erhalten wurde vgl Schaeffer Llsquo Abri A a O59 Damit will ich nicht sagen dass nicht manche Evangelikale Barths Theologie kritisierten Aber Schaeffer zusammen mit Van Til war es wichtig dass sich die evangelikale Theologie von Barth unterscheiden wurde selbst wenn Barth viele ausgezeichnete Einwaumlnde gegen den Liberalismus aussprach Sowohl Van Til als auch Schaeffer waren besorgt uber das Gesamtpaket von Barths Denken dass nach ihrer Uumlberzeugung das historische Christentum untergraben wurde Zu Van Tils harter Reaktion auf Barth vgl Christianity and Barthianism Nutley Presbyterian and Reformed 1977 Vgl auch John Frames praumlgnante Zusammen-fassung von Van Tils Problem und seine Ablehnung der Theologie Barths auch parallel zur Reaktion Schaeffers in John M Frame Cornelius Van Til An Analy-sis of His Thought Phillipsburg N J P amp R Publication 1995 S 353ndash36960 Das heiszligt nicht dass Schaeffer der Einzige war der Barth an diesem Punkt kritisierte Ich habe schon Van Til als ei-nen anderen entschlossenen Kritiker er-waumlhnt und es gab noch weitere61 Brown Standing Against the World A a O S 20ndash2162 Vgl Iain Hamish Murray Evangeli-calism Divided A Record of Crucial Change in The Years 1950 to 2000 Edin-burgh UKCarlisle Pa Banner of Truth Trust 2000 S 50 Fn 5 u S 76ndash77 Vgl auch die Stellen wo Schaeffer seine Sorge daruber formuliert dass die evangelikale Bewegung im Bereich der Evangelisation mit solchen zusammenarbeitet die in ih-rer Theologie nicht evangelikal sind in Francis A Schaeffer Kirche am Ende des 20 Jahrhunderts 2 Aufl Genf [u a] Haus der Bibel [u a] 1973 S 38ndash45

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 337 8 6 uuml

Die grosse Anpassung A a O S 86ndash87 und Schaeffer und Dennis Letters of Francis A Schaeffer A a O S 7263 Vgl Brown Standing Against the World A a O S 21ndash22 Viel von der Kritik Schaeffers an Graham in diesem Punkt ist nicht direkt aufgeschrieben worden Wir wissen es von denen die Schaeffer persoumlnlich kannten und eben-so aus Andeutungen daruber in Schaef-fers Schriften Vgl zu diesem Punkt Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houml-ren A a O und Die grosse Anpassung A a O S 85ndash8764 Brown Standing Against the World A a O S 21ndash2265 Brown Standing Against the World A a O S 21 Schaeffer stellt fest bdquoWas nutzt es daszlig der Protestantismus zah-lenmaumlszligig immer mehr zunimmt wenn aber eine so groszlige Zahl derer die den Namen sbquoevangelikallsquo tragen nicht mehr an dem festhalten was den Protestantis-mus evangelikal macht Wenn dem kein Einhalt geboten wird dann sind wir dem Anspruch der Bibel den sie in Bezug auf sich selbst erhebt nicht treu ergeben und wir sind auch nicht ehrlich gegenuber dem was Jesus Christus in Bezug auf die Bibel geltend macht Aber ebenso ndash und das durfen wir nie vergessen ndash werden wir und unsere Kinder nicht fur die vor uns liegenden schweren Zeiten gewappnet sein wenn dies so weitergehtldquo (Die groszlige Anpassung A a O S 85)66 Brown Standing Against the World A a O S 21ndash2267 Ebd S 2468 Ebd S 2569 Schaeffer Die grosse Anpassung A a O S 54ndash5570 Schaeffer betont stark dass die evange-likale Bewegung mit dem ganzen Men-schen umgehen muss ndash mit Verstand Wille Gefuhlen Herz und Seele Als er bei einer Gelegenheit gefragt wurde wie er sich selbst betrachte als Theologe

Philosoph oder als Apologet sagte er er sei ein Evangelist Er sah jedoch seine Evangelisation nicht als geschieden von den groszligen intellektuellen und kultu-rellen Fragen des Lebens an weil Men-schen ganzheitliche Wesen sind Er stellt fest bdquoMenschen sagen oft sbquoWas bist dulsquo Und manchmal sage ich sbquoNun ich bin ganz einfach ein Evangelistlsquo Manchmal denke ich jedoch nicht dass die Men-schen verstanden haben dass das nicht bedeutet dass ich an einen Evangelisten im Kontrast zum sorgfaumlltigen Umgang mit philosophischen intellektuellen oder kulturellen Fragen denke Ich bin kein professioneller akademischer Philosoph ndash das ist nicht meine Berufung und ich bin froh die Berufung zu haben die ich habe und bin genauso froh dass manche andere Leute andere Berufungen haben Aber wenn ich sage dass ich ein Evange-list bin heiszligt das nicht dass ich glaube meine Philosophie usw sei nicht gultig Ich glaube sie ist es hellip Ich sage aber dass sich all das kulturelle intellektuelle oder philosophische Material nicht davon trennen laumlsst Menschen zu Christus zu fuhren Ich denke mein Reden uber Me-taphysik Moral und Erkenntnistheorie zu gewissen Individuen ist genauso Teil meiner Evangelisation wie der Moment wo ich ihnen zeige dass sie moralisch schuldig sind und ihnen sage dass Chris-tus fur sie am Kreuz starb Ich sehe oder fuhle da keine Dichotomie Dies ist mei-ne Philosophie und jenes ist meine Evan-gelisation Die ganze Sache ist Evange-lisation an Menschen die gefangen sind in der zweiten Verlorenheit uber die wir sprachen Die zweite Verlorenheit ist die dass sie keine Antworten auf die Fragen nach Sinn Ziel und so weiter haben hellip Fur mich besteht eine Einheit aller Wirk-lichkeit und wir koumlnnen entweder sagen dass jeder Studienbereich ein Teil der Evangelisation ist hellip oder wir koumlnnen sagen dass es keine wahre Evangelisation gibt die nicht die gesamte Wirklichkeit und das ganze Leben betrifftldquo (The Com-

plete Works of Francis A Schaeffer Bd 1 A a O S 185ndash187)71 Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houmlren A a O S 23ndash2472 Vgl Schaeffer und Dennis Letters of Francis A Schaeffer A a O u Teil 2 von Burson und Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer A a O S 131ndash20573 Zitiert in Hamilton bdquoThe Dissatisfac-tion of Francis Schaefferldquo A a O S 2574 Ich moumlchte den Leser noch einmal ver-weisen auf Teil 2 von Burson und Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer A a O S 131ndash20575 Brown Standing Against the World A a O S 2676 Francis A Schaeffer Jeder ist von Be-deutung 16 Predigten fur das 20 Jahr-hundert Neuhausen Stuttgart Haumlnssler 1982 S 13 u 21

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben Werbung

bdquoldquoAusbildung und Theologie sind

fuumlr den Menschen da nicht der Mensch fuumlr Ausbildung und Theologie

MARTIN BUCER SEMINARMARTIN BUCER SEMINAR

Theologie studieren in Chemnitz

34 7 8 6 uuml

Gilbert Achcar Die Araber und der Ho-locaust Der arabisch-israelische Krieg der Geschichtsschreibungen Edition Nauti-lus 368 S ISBN 978-3-89401-758-3 2990 Euro

Irrefuumlhrende Verharmlosung

Gilbert Achcars Buch bdquoDie Araber und der Holocaustldquo das 2009 urspruumlng-lich auf Franzoumlsisch erschienen ist ist nach der arabischen und der englischen Uumlbersetzung nun auch auf Deutsch er-haumlltlich Achcar ist Professor fuumlr Ent-wicklungsstudien und internationale Beziehungen an der bdquoSchool of Oriental and African Studiesldquo in London Sein Buch ist der Versuch einer Ehrenrettung

der arabischen Nationen vor dem Vor-wurf des kollektiven Antisemitismus Die Pressestimmen dazu uumlberbieten sich gegenseitig in ihrem Lob Der Au-tor will einen differenzierten Blick auf die arabische Rezeption des Holocaust vermitteln Er behandelt dazu zwei gro-szlige Zeitabschnitte bdquoDie Zeit der Shoahldquo und bdquoDie Zeit der Nakbaldquo was sinnge-maumlszlig jeweils bdquoDie Zeit der Katastropheldquo bedeutet Damit deutet sich bereits eine Problematik an Die Verhaumlltnisbestim-mung von Holocaust und Staatsgruumln-dung Israels Im Holocaust sieht Achcar das einzige und obendrein heftig miss-brauchte Argument fuumlr die Staatsgruumln-dung (S 243 ua) sowie fuumlr den bdquodeut-schen Philosemitismusldquo (S 266) Dabei uumlbergeht er andere wichtige Gruumlnde fuumlr die Unterstuumltzung der israelischen

Anliegen Er geht davon aus dass die Staatsgruumlndung unrechtmaumlszligig erfolgt sei (S 138 153) Deswegen war aus sei-ner Sicht auch jeder Verteidigungskrieg dieses Staates illegitim (S 34f) Israel sei ein bdquokolonialer Siedlerstaat europauml-ischen Ursprungsldquo (S 32) Auszligerdem sieht Achcar in den Juden kein Volk sondern eine Religionsgemeinschaft Sie haumltten zwar eine Art nationale Identi-taumlt entwickelt koumlnnten aber aumlhnlich wie Christen und Muslime kein Land beanspruchen (S 265) Die Vorstellung von einer bdquoEinstaatenloumlsungldquo die der Autor zu praumlferieren scheint mit einer juumldischen Minderheit die unbehelligt unter arabischer Herrschaft lebt ist im besten Fall eine naive Utopie Achcar gibt an denjenigen zu widersprechen die aus der Geschichte einen immer da-

gewesenen unabaumlnderlichen arabischen beziehungsweise islamischen Antisemi-tismus konstruiert haumltten und die Ara-ber heute insgesamt als Antisemiten und Nazis abstempelten Er gibt eine Fuumllle von Quellen an und kann vielleicht je-nen den Wind aus den Segeln nehmen die alle Araber als praumldestinierte Nazi-kollaborateure darstellen Kritikwuumlrdig ist die geflissentliche Vernachlaumlssigung der Beschreibung der aktuellen Zu-staumlnde in der arabischen Welt bdquoHaupt-thema ist schlieszliglich die historische Beziehung der Araber zum Holocaust als er stattfand weniger ihre aktuelle Beziehung zur historischen Erinnerung an die Shoahldquo (S 169) Man kann aus der Lektuumlre die Erkenntnis mitnehmen dass zur Zeit des Zweiten Weltkrieges die meisten Araber nicht mit der na-

Die Araber und der HolocaustGilbert Achcar

Carmen Matussek

Rez

ensi

onen

glauben amp denken heute 22012 357 8 6 uuml

tionalsozialistischen Judenverfolgung einverstanden waren was aber kaum jemand angezweifelt hat Wer von der gleichzeitigen Zusammenarbeit einiger hochrangiger Araber mit dem Nazire-gime nichts wusste wird daruumlber eben-falls umfassend informiert selbst wenn Achcar viele Fakten nur nennt um sie anschlieszligend zu relativieren

Erschwerend fuumlr eine Kritik ist dass der Autor seine Meinung haumlufig nicht mit eigenen Worten kundtut sondern ganz im Sinne postmodernen Stils weit-gehend unkommentiert Zitate anein-anderreiht die Ruumlckschluumlsse auf seine Sicht zulassen Meint er tatsaumlchlich dass Palaumlstina als Ort fuumlr die Staats-gruumlndung Israels lediglich ein zufaumlllig da herumschwimmendes bdquoFloszligldquo war (S 26) und dass Israel vor dem Sechs-Tage-Krieg 1967 bdquokaum in ernster Gefahrldquo (S 219) war Zumindest behauptet er mit Nachdruck dass bdquomanche Judenldquo sich 1948 in Palaumlstina gaumlnzlich zu Unrecht bdquovon der Vernichtungldquo bedroht gefuumlhlt haumltten (S 178) und dass Israel damals bdquoalleinldquo fuumlr die bdquoGewalt verantwortlichldquo gewesen sei (S 234f) Auch hier han-delt es sich um ein Zitat das er aber aus-druumlcklich bejaht

Zudem formuliert Achcar seine Aussa-gen oft als Fragen und negativ wodurch ihre Essenz vernebelt wird bdquoWarum ist es weniger schockierend wenn man er-oberte Voumllker die besetzt entwurzelt und zu Fluumlchtlingen gemacht wurden

mit den Nazis vergleicht als wenn man eine Besatzungsarmee die Gebiete von vier Nachbarlaumlndern erobert hat mit diesem Vergleich belegtldquo (S 223) Man denke sich den Satz im Umkehrschluss bdquoOder was ist uumlber jene Araber zu sa-gen die den Holocaust aus lauter Wut oder einer Art hilfloser Aufschneiderei leugnen um so ihre innere Spannung loszuwerden erzeugt durch einen sbquojuumldi-schen Staatlsquo der sie aus einer uumlberwaumll-tigenden Uumlberlegenheitsposition heraus erdruumlcktldquo (S 262)

Vier Hauptgruppen bei Arabern

Achcars Forschungsgegenstand ist aber nicht die Holocaustleugnung des einen oder anderen Palaumlstinensers sondern bdquoder Araberldquo die es natuumlrlich bdquonicht gibtldquo (S 39) zumindest nicht als Antise-miten wohl aber als Betroffene des Ho-locaust und der juumldischen Immigration nach Palaumlstina (S 11) Die Araber will er in vier politische Hauptstroumlmungen unterteilt wissen Bei deren Aufzaumlhlung fragt man sich unwillkuumlrlich ob die Reihenfolge als Rangordnung gedacht ist 1 Westlich orientierte Liberale 2 Marxisten 3 Nationalisten 4 Reak-tionaumlre undoder fundamentalistische Panislamisten (S 40) Erst sehr viel spaumlter und in einem Nebensatz werden die Marxisten als das bezeichnet was sie

waren eine bdquowinzige Minderheitenstrouml-mungldquo (S 82) Wie selbstverstaumlndlich scheint Achcar davon auszugehen dass Antisemitismus in der ersten Gruppe keine groszlige Rolle spielte Dabei erwaumlhnt er nicht dass beispielsweise Al-Aqqad der zu den groszligen Liberalen zaumlhlt (S 103) und sich kritisch zum Hitlerregime geaumluszligert hatte ein wohlwollendes Vor-wort zu At-Tunisis arabischer Uumlberset-zung der bdquoProtokolle der Weisen von Zionldquo von 1951 geschrieben hat Bil-dung bdquoAufklaumlrungldquo und Antisemitis-mus schlieszligen sich damals wie heute nicht aus

Den flaumlchendeckenden Antisemitis-mus in der arabischen Welt verharmlost Achcar mal als Spannungsventil mal als Antiimperialismus (S 188f) dann als Provokation (S 254) als bloszlige Reaktion (S 255f) und als Bildungsluumlcke (S 247 261) Nassers Antisemitismus tut er als bdquoIgnoranzldquo ab (S 195f) dessen Holo-caustleugnung als ein Versehen (S 207) Ahmad Hussein Gruumlnder und Anfuumlh-rer der Bewegung bdquoJunges Aumlgyptenldquo disqualifiziert sich als ernstzunehmen-der Antisemit laut Achcars Darlegung durch seine politische Sprunghaftigkeit (S 81) Auch Al-Gaylani Premiermi-nister des Koumlnigreichs Irak und gluuml-hender Bewunderer der Nazis wird als Antisemit wider Willen vorgestellt Die bdquoArroganz Londonsldquo sei bdquofuumlr Gaylanis Radikalisierung verantwortlichldquo gewe-sen und somit waumlre er bdquoim eigentlichen

Sinne kein Anhaumlnger Hitlerdeutsch-landsldquo (S 90) Den Relativierungen und Verdrehungen scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein Die Ernennung von Hajj Amin al-Husseini der sich wie kein an-derer Araber aktiv in die bdquoEndloumlsung der Judenfrageldquo eingebracht hat zum Mufti Jerusalems sei fuumlr die zionistische Be-wegung ein bdquounschaumltzbarer Dienstldquo ge-wesen (S 129) Zudem habe er mit der Mobilisierung von 200000 Muslimen fuumlr den bdquoKampf der Achsenmaumlchteldquo und anderen Taumltigkeiten weit weniger erreicht als er sich vorgenommen hatte (S 144) Achcar bringt es fertig umfas-sendes Material uumlber die Machenschaf-ten des Muftis zusammenzutragen und ihn hernach als bdquounbedeutendldquo hinzu-stellen und das bdquoBeduumlrfnisldquo bdquozahlreicher Autorenldquo zu bemaumlngeln bdquoden Mufti (hellip) zu verunglimpfenldquo (S 148) Gleich-zeitig schreibt Achcar ihm aber selbst so viel Einfluss zu dass dieser als bdquoreligi-oumlse Autoritaumltldquo mit seinen Radioreden und seiner eigenwilligen Auslegung des Islam bdquoein jahrhundertealtes Erbe der Koexistenz zunichteldquo gemacht habe (S 150f) Als unbedeutend beschreibt Ach-car auch die zahlreichen deutschen Na-tionalsozialisten die nach 1945 in der arabischen Welt besonders in Aumlgypten ihre politischen Karrieren fortgesetzt haben (S 201)

Uumlberhaupt seien ndash das ist die Kern-these des Buches ndash am arabischen Anti-semitismus vor allem die Juden schuld

Die Araber und der Holocaust

36 7 8 6 uuml

bdquoIm Gegensatz dazu sind die antisemiti-schen Aumluszligerungen die heutzutage aus der arabischen Welt kommen meist kultureller Ruumlckstaumlndigkeit geschuldete Phantastereien in denen sich die tiefe Frustration einer unterdruumlckten Nation aumluszligert Die Verantwortung dafuumlr ist in der Tat der Mehrheit sbquoder Judenlsquo Palaumlsti-nas und spaumlter dem sbquojuumldischen Staatlsquo Is-rael zuzuschreiben den diese begruumlndet habenldquo (S 242)

Was bdquoAntisemitismusldquo versus bdquoAnti-zionismusldquo betrifft unterscheidet Ach-car sogar zwischen der antisemitischen und der antizionistischen (also legiti-mierenden weil bdquonichtrassistischenldquo) Lesart der bdquoProtokolle der Weisen von Zionldquo (S 197f) Nun ist aber die Pro-pagierung einer zionistischen Weltver-schwoumlrung nicht weniger antisemitisch als die einer juumldischen Der Antisemitis-mus von bdquokulturell ruumlckstaumlndigenldquo und bdquounterdruumlcktenldquo Menschen ist nicht weniger moumlrderisch als der von privile-gierten Und Achcar beantwortet nicht die Frage inwiefern antisemitische Propaganda in Algerien den Vereinig-ten Arabischen Emiraten oder bei ara-bischen Migranten in Europa ndash durch alle Bevoumllkerungsschichten hindurch ndash mit Ohnmachtsgefuumlhlen gegenuumlber den Israelis zusammenhaumlngen soll Dabei weiszlig er sehr wohl dass man unterschei-den kann zwischen einem Ressenti-ment das der Feindbildgenese in einem realen Konflikt entspringt und einem

das das Ergebnis gezielter Propaganda ist Obwohl bekanntlich in den arabi-schen nicht den israelischen Schulbuuml-chern offen Hetze betrieben wird legt der Autor die Betonung auf die israeli-sche Verantwortung

Beispiel fuumlr intellektuelle Verweigerung

Achcars Buch ist ungeeignet wenn man sich uumlber den Antisemitismus in der arabischen Welt und das dortige Phaumlnomen der Holocaustleugnung in-formieren moumlchte Es ist ein Beispiel fuumlr intellektuelle Verweigerung gegenuumlber den Gruumlnden fuumlr die eingefahrene Lage auch wenn er die Araber sehr wohl zur Selbstkritik mahnt (S 279) Auf dem Gipfel der Geschmacklosigkeit unter-stellt Achcar dem bdquoMiddle East Media Research Instituteldquo (MEMRI) das in einer Sammlung von Zitaten Kari-katuren und Videos das Ausmaszlig des arabischen Antisemitismus abzubilden versucht bdquoGenugtuungldquo bei der Arbeit Als weitere Beispiele fuumlr bdquoantiarabischeldquo Agitatoren nennt er Meir Litvak und Esther Webman Yehoshafat Harkabi und Matthias Kuumlntzel Sie alle sind Autoren die ganz sicher nicht zu den antiislamischen Polemikern zaumlhlen und hier waumlrmstens empfohlen seien Ein Leser der Harkabi Kuumlntzel und Achcar nebeneinander liest und sich ein biss-

chen bei MEMRI uumlber den alltaumlglichen Wahnsinn des arabischen Antisemitis-mus informiert kann sich selbst ein realistisches Bild machen Neben den Beispielen die hier exemplarisch vor-gestellt wurden finden sich bei Achcar durchaus auch lesenswerte Informati-onen in bekoumlmmlicher professioneller Aufbereitung Aufgrund dieser Zitate und der selektiven Wahrnehmung ist fuumlr mich das Buch einer fairen Beur-teilung des Konflikts abtraumlglichUumlber die Rezensentin Carmen Matussek ist Islamwissenschaftlerin Historikerin und freie Journalistin Sie publiziert und referiert zu den Schwerpunktthemen Is-rael Nahostkonflikt Islamismus Islam und Antisemitismus Ihre Abschlussarbeit hat sie uumlber antijuumldische Verschwoumlrungs-propaganda in den arabischen Medien geschrieben und sie 2012 veroumlffentlicht Kontakt carmenmatussekwebde

Carmen Matussek

Studienzentrum in Muumlnchen

mehr infos unterwwwbucerdemuenchenhtml

glauben amp denken heute 22012 377 8 6 uuml

Warum Gerechtigkeit Timothy Keller

Dr Daniel Facius

Timothy Keller Warum Gerechtigkeit Gottes Groszligzuumlgigkeit soziales Handeln und was ich tun kann Gieszligen Brun-nen-Verlag 2012 201 Seiten ISBN 978-3765511790 1499 Euro

Timothy Keller presbyterianischer Pastor und Professor fuumlr praktische Theologie am Westminster Semina-ry hierzulande vor allem durch sein apologetisches Werk bdquoWarum Gottldquo bekannt hat mit bdquoWarum Gerechtig-keitldquo nunmehr ein Werk vorgelegt das seinem Forschungsschwerpunkt der praktischen Theologie entspringt Der vom Brunnen-Verlag gewaumlhlte Titel ist dabei offenbar dem Versuch geschuldet einen Zusammenhang mit dem Vorgaumlnger herzustellen Der Originaltitel bdquoGenerous Justiceldquo (dt bdquoGroszligzuumlgige Gerechtigkeit Wie Got-tes Gnade uns gerecht machtldquo) trifft

den Inhalt etwas besser Als Zielgruppe nennt Keller (S 10ff) junge Christen mit diakonischem Anliegen skepti-sche Christen die mit dem Thema bdquoGerechtigkeit uumlbenldquo den Verlust ge-sunder Lehre und falsche Schwerpunk-te assoziieren Christen die sich dem Thema bdquoGesellschaftstransformationldquo verschrieben haben (der deutsche He-rausgeber nennt hier Theologen wie Tobias Faix und Johannes Reimer S 174) sowie Anhaumlnger der aggressiven Atheisten die der Meinung sind dass bdquoReligion die Welt vergiftetldquo Diesen Gruppen so Keller fehlt irgendwo der Blick dafuumlr dass die Botschaft der Bi-bel und das Eintreten fuumlr Gerechtigkeit zusammengehoumlren (S 13)

Keller beginnt sinnvollerweise mit einem theoretischen Teil in dem er definiert was bdquoGerechtigkeit uumlbenldquo

bedeutet und sich entsprechende Aus-sagen des Alten und Neuen Testa-ments vornimmt Dabei geraumlt Kellers Ausgangsthese etwas steil Micha 68 lautet bei Keller (in der fuumlr exegetische Feinheiten eher weniger sensiblen hier aber zumeist gebrauchten bdquoHoffnung fuumlr Alleldquo-Uumlbertragung) bdquoHaltet euch an das Recht begegnet anderen mit Guumlteldquo

Dies sehe aus wie zwei verschiedene Dinge bdquoaber sie sind nicht verschiedenldquo (S 24) Das ist durchaus hinterfrag-bar zumal nicht einmal die von Kel-ler angegebene Quelle diese Behaup-tung unterstuumltzt Das hebraumlische jPvm (mishpat) gibt Keller mit bdquoMenschen gerecht bzw fair behandelnldquo (S 25) wieder Dies mag zwar grundsaumltzlich zutreffend sein es ist aber wohl eher eine Aufforderung an die staatlichen

Autoritaumlten Gleichheit vor dem Ge-setz zu gewaumlhrleisten als ein Aufruf an die Gesellschaft zur Armenversorgung Abgeleitet von jpv (shapat) bdquorichten zum Recht verhelfenldquo hat es eindeutig einen justitiellen Hintergrund und be-schreibt das korrekte Verstaumlndnis von Regierung (vgl Theological Wordbook of the Old Testament S 948) ohne dass es auf den Akt der Rechtspre-chung verengt werden darf

Subjekte des Shapat-Handelns sind jedoch Koumlnige oder Richter es voll-zieht sich in dem die Ursache einer Stoumlrung zwischen zwei Gruppen durch einen bdquoRichtendenldquo beseitigt wird (vgl THAT Band 2 Sp 1001) Auch wenn jPvm tatsaumlchlich oft im Verbund mit dsx (chesedh Guumlte) erscheint sollten die verschiedenen Bedeutungsspektren gewahrt werden Wenn Keller bdquoGe-

38 7 8 6 uuml

rechtigkeit uumlbenldquo als bdquoVerteidigung der Menschen mit der geringsten oumlkonomi-schen und gesellschaftlichen Kraftldquo de-finiert (S 26) dann greift das zu kurz gibt aber den Teilaspekt von bdquoGerech-tigkeitldquo wieder um den es Keller nun hauptsaumlchlich gehen wird

Uumlberzeugend gelingt die Gruumlndung von gerechtem Handeln im Wesen Got-tes In der Tat ist es vielsagend dass Gott als bdquoVater der Waisen und Helfer der Witwenldquo (Psalm 686) vorgestellt wird Gerade im Kontrast zu antiken Goumlttern die sich mit Koumlnigen und Priestern und Helden identifizieren wird die Einma-ligkeit Jahwes deutlich der sich zu den Ausgestoszligenen und Machtlosen stellt Grundsaumltzlich richtig ist es auch auf den Gemeinschaftsaspekt von Gerech-tigkeit hinzuweisen der durch das heb-raumlische hqdc (tzedaqah) zum Ausdruck kommt (das sich fuumlr Kellers Argumen-tation besser eignet als jPvm) Werden beide Worte wie es oumlfter geschieht zu-sammen verwendet will Keller dies mit bdquosoziale Gerechtigkeitldquo wiedergeben Hier wird am Beispiel Hiobs erlaumlutert wie ein bdquorechtschaffenesldquo Leben aussieht ndash ein lohnenswerter und herausfordern-der Einblick

Ob aber privates groszligzuumlgiges Geben wirklich als zwingender Bestandteil von bdquoGerechtigkeitldquo qualifiziert werden soll-te Keller ist sich offenbar im Klaren daruumlber dass diese Behauptung sehr weit geht (S 34) tut aber exegetisch we-

nig um sie zu untermauern Dass ein froumlhliches Geben Gott gefaumlllt ist un-bestreitbar Aber ist es wirklich bdquounge-rechtldquo nicht bdquogroszligzuumlgigldquo zu sein Wel-che Eigenbedeutung kommt Begriffen wie Guumlte oder Barmherzigkeit noch zu wenn das was sie beschreiben notwen-diger Bestandteil von bdquoGerechtigkeitldquo ist Eine solche Abgrenzung leistet Kel-ler nicht Am Beispiel Israels im Alten Testament zeigt Keller wie Gott die Gerechtigkeitsfrage in einem theokra-tischen Nationalstaat loumlst Er zeigt auf dass die heutige Anwendung allgemein guumlltiger Prinzipien viel Raum fuumlr Inter-pretationen laumlsst und nicht ohne weite-res in die Form eines bestimmten poli-tischen Systems gegossen werden kann

Bedenkenswert sind auch die Aus-fuumlhrungen zu Ursachen von Armut die Keller teils in der Gesellschaft (Ras-sismus Korruption Wucher) teils in Schicksalsschlaumlgen (Unfaumllle Naturka-tastrophen) und teils in charakterlichen Defiziten (Faulheit Disziplinlosigkeit) verortet (S 47ff) Bei der Betrachtung des Neuen Testaments liegt sein Schwer-punkt auf der Art und Weise wie Jesus den Armen begegnet ndash und wie er priva-te Moral und soziale Gerechtigkeit zu-sammen denkt (S 64) Dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter wird ein eigenes Kapitel gewidmet (S 70ff)

Im zweiten Teil des Buches wird es praktisch Wieso sind Appelle an die Vernunft ja selbst an die Liebe nicht

in der Lage Menschen dauerhaft zu bdquoGerechtenldquo zu machen Dem Dilem-ma einer relativistischen Moderne eine Begruumlndung fuumlr die Notwendigkeit rechtschaffenen Verhaltens zu liefern stellt Keller zwei biblische Grundmoti-vationen gegenuumlber die freudige Ehr-furcht angesichts der Guumlte von Gottes Schoumlpfung und die Erfahrung der Gna-de Gottes in der Erloumlsung (S 85)

Hier kommt es zur Verknuumlpfung von Diakonie und Evangelium die in der Erfahrung Kellers gipfelt dass bdquoMen-schen die das Evangelium der Gnade ergriffen haben und geistlich arm ge-worden sind merken wie es ihre Her-zen zu den materiell Armen zu ziehen beginntldquo (S 101)

Die wuumlnschenswerte Folge bdquoGerech-tigkeit als Lebenselementldquo (S 106) Dies kann sich vielfaumlltig aumluszligern wobei Keller drei Stufen der Hilfe skizziert (S 109) Soforthilfe Hilfe zur Entwicklung und soziale Reformen Waumlhrend Soforthilfe noch grundsaumltzlich von jedem geleis-tet werden kann ist Hilfe zur Selbst-hilfe zeitraubender und komplizierter soziale Reformen durch Einzelne gar nicht umsetzbar Keller wird hier relativ praktisch wenn er etwa den Umgang mit ganzen Problemvierteln beschreibt (S 111ff) oder konkrete Fragen auf-wirft vor denen hilfswillige Gemein-den fruumlher oder spaumlter stehen werden (S 127ff) Wie viel sollten wir helfen Wem sollten wir helfen Unter welchen

Bedingungen Auf welche Weise Hier wird auch die Rolle der Evangelisation erlaumlutert (S 129) wobei Keller davor warnt Diakonie nur als Mittel zu de-ren Zweck zu betrachten Dabei wirbt er durchaus auch fuumlr die Zusammenarbeit mit Anhaumlngern anderer Religionen und Weltanschauungen in bdquounaufdringli-cher Kooperation und respektvoller Provokationldquo (S 145) Hier gluumlckt ein interessantes Kapitel das die Schwaumlchen einer rein saumlkularen Gerechtigkeitskon-zeption entlarvt

Insgesamt gelingt Keller ein starker Beitrag zum Thema bdquoSoziale Gerechtig-keitldquo das der gerade in Deutschland so omnipraumlsenten Debatte um diesen Be-griff wichtige Impulse zu geben vermag auch wenn nicht jedes der zahlreichen aus amerikanischem Kontext stammen-den Beispiele (etwa in Bezug auf die Rassenfrage) hierzulande von gleicher Brisanz ist

Zudem ist das Buch praktisch genug um auch persoumlnlich herausfordernd zu sein Auch wenn nicht jede theoretische Annahme oder jede konkrete Schluss-folgerung vollstaumlndig zu uumlberzeugen vermag ist Kellers Plaumldoyer fuumlr einen ausgewogenen Mittelweg zwischen Ruumlckzug aus der Welt und utopischen Traumlumen von einer erloumlsten Kultur mehr als beachtlich

Dr Daniel Facius

glauben amp denken heute 22012 397 8 6 uuml

Steven Paas Christian Zionism Exa-mined A Review of Ideas on Israel the Church and the Kingdom NuumlrnbergHamburg VTR PublicationsRVB 2012 135 Seiten ISBN 978-3941750869 1499 Euro

Gut ist an diesem Buch dass es genuuml-gend Stoff zu ernsthaften spannenden Diskussionen bietet Steven Paas fordert alle heraus die in der Gruumlndung des Staates Israel von 1948 ein Zeichen der Endzeit und eine Erfuumlllung der bibli-schen Verheiszligungen sehen Somit traumlgt das Buch zur eigenen selbstkritischen Urteilsfindung bei wenn es denn nicht nur von solchen gelesen wird die aus dem theologischen Lager von Steven Paas stammen Denn der Autor legt seiner Studie eine reformiert-konfessio-nelle Hermeneutik zugrunde Er legt die ganze Bibel aus der Sicht des einen Gna-denbundes aus der in Christus zentriert

ist Damit macht Steven Paas gegenuumlber dem Christlichen Zionismus klar dass es zum Beweis der eigenen Bibeltreue nicht nur darauf ankommt Bibelstellen zu zitieren Vielmehr muss jeder auch die von ihm benutzte Hermeneutik of-fen legen welche aufzeigt wie die dispa-raten Aussagen der Bibel in einen groumlszlige-ren Zusammenhang gebracht und erst dadurch auf redliche Weise verstanden werden koumlnnen Mit seiner Verortung in einer reformiert-konfessionellen Dog-matik wird Paas zu einem Opponenten des praumlmilleniaristischen Dispensati-onalismus dem er eine Aufloumlsung des einen Gnadenbundes in zahlreiche bdquodispensationsldquo vorwirft (S 61) Doch mit einer heilsgeschichtlich motivierten Wuumlrdigung des juumldischen Volkes nach dem Holocaust ist der Dispensationalis-mus fuumlr pietistisch-erweckliche Chris-ten derart plausibel geworden dass er fast schon als Synonym zum Begriff

sbquoEvangelikalismuslsquo gebraucht wird Die-se Plausibilitaumlt ist ja nicht unbegruumlndet Und damit kommen wir schon zu ei-ner Schwachstelle der Argumentation von Steven Paas Denn die historischen Ereignisse des Holocausts und der is-raelischen Staatsgruumlndung scheinen die Positionen des Christlichen Zionismus zu bestaumltigen Das muumlssen wir zunaumlchst einmal anerkennen Gerade als Chris-ten die aus Deutschland stammen haben wir schmerzvoll wahrzunehmen dass in der Zeit zwischen 1933 und 1945 keine Kirche Gemeinde christliche Be-wegung oder protestantische Gruppe geschlossen gegen den Nationalsozia-lismus opponiert hat Es waren immer nur Einzelne die die Ungeheuerlichkeit der Judenverfolgung erkannten und kri-tisierten Auch die klassische konfessio-nelle Dogmatik fuumlr die sich Steven Paas starkmacht hat den Holocaust nicht verhindern koumlnnen

Dem Niederlaumlnder Steven Paas der in Afrika lebt mag man verzeihen dass ihn die Ausmaszlige des Holocausts nicht besonders beschaumlftigen Als ein Christ der in Deutschland wohnt frage ich mich allerdings welche theologischen Entwicklungen die nationalsozialisti-sche Judenverfolgung beguumlnstigt haben und inwiefern sie deshalb Fehlentwick-lungen waren Und viele Christen fra-gen sich das Ergebnis dieses Fragens ist beispielsweise dass die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern der ich angehoumlre ihre Verfassung in diesem Jahr um diesen Satz ergaumlnzt hat bdquoDie Kirche ist aus dem biblischen Gottesvolk Israel hervorgegangen und bezeugt mit der Heiligen Schrift dessen bleibende Erwaumlh-lungldquo Der Hinweis auf die bdquobleibende Erwaumlhlungldquo fasst Aussagen des Paulus zusammen (wie Roumlm 111) und wehrt damit die klassische Enterbungstheorie ab wonach das juumldische Volk ndash wie man

Christian Zionism ExaminedSteven Paas

Dr Gerhard Gronauer

40 7 8 6 uuml

fruumlher sagte ndash unter dem Fluch des Got-tesmordes stehe und das Heil komplett auf die heidenchristliche Kirche uumlber-gegangen sei Diese Enterbungstheorie (bei Paas replacement theory) brachte den christlichen Antijudaismus hervor an welchem der moderne Antisemitismus anknuumlpfen konnte

Viele progressive Christen aus dem Umfeld des juumldisch-christlichen Dia-logs die Paas auch unter dem Begriff sbquoChristlicher Zionismuslsquo subsumiert schlieszligen nun aus der bdquobleibenden Er-waumlhlungldquo dass die Juden einen separa-ten Heilsweg haumltten und Jesus Christus nicht mehr braumluchten Das ist fuumlr mich die spannendste Stelle im Buch bdquoChris-tian Zionism Examinedldquo dass Paas sei-nen reformierten Ansatz von der klassi-schen replacement theory unterscheidet auch wenn er mit diesem Versuch bei progressiven Christen nicht durch-kommen wird Denn im Gegensatz zu jenen denkt der Autor nicht gleich an das sbquoheidenchristlichlsquo-antijuumldische Uumlberlegenheitsgefuumlhl der antiken und der mittelalterlichen Kirche bdquoKircheldquo ist fuumlr Paas ein rein innerbiblischer Be-griff den er auf die Urgeschichte im Buch Genesis zuruumlckdatiert und der somit alle Menschen umfasst die dem Gnadenbund Gottes angehoumlren Noah Abraham Israel und die christlichen Gemeinden des Neuen Testaments Im Fortlauf der biblischen Offenba-rung weitet sich der Bund Gottes von

einer Beziehung zu einzelnen Familien (Noah Abraham) uumlber das Volk Israel hin zur ganzen Welt Damit sind wir bei dem bdquouniversalenldquo Charakter der christlichen Botschaft welcher sich im christlich-juumldischen Gespraumlch stets den Vorwurf gefallen lassen muss die Juden zu bdquoenterbenldquo Diesen Vorwurf weist Paas zuruumlck denn mit der Uni-versalitaumlt des Gnadenangebots ist Isra-el keineswegs ausgeschlossen bdquofrom the covenantal salvation promises of Godldquo (S 23) Zu Paaslsquo Abwehr der klassischen replacement theory gehoumlrt auch dass er das traditionelle Diktum praumlzisiert alle biblischen Verheiszligungen seien in Chris-tus erfuumlllt Die Verheiszligungen sind nicht durch das Leben des irdischen Jesus oder mit dessen Auferstehung erfuumlllt sondern werden erst mit dem zweiten Kommen Jesu Christi erfuumlllt sein

Hier lohnt es sich jedenfalls theo-logisch weiterzuarbeiten Und solche Gedanken anzustoszligen gehoumlrt zu den Staumlrken von Paas genauso wie sein Hinweis auf die Uumlberpruumlfung der ei-genen Hermeneutik Auch legt er seine Finger in die Wunden des Christlichen Zionismus indem er dessen argumenta-tive Schwachstellen hervorhebt Die bi-blischen Landverheiszligungen werden im Neuen Testament nicht erwaumlhnt oder gar bestaumltigt der Fortlauf der biblischen Offenbarung laumluft bereits im Alten Testament auf eine Universalisierung und Spiritualisierung der Gottesverhei-

szligungen hinaus keine alttestamentliche Ruumlckkehrverheiszligung deckt sich mit der Gruumlndung des Staates Israel 1948

Gleichermaszligen weist die Studie bdquoChristian Zionism Examinedldquo selbst eine Reihe von Schwachstellen auf so-dass dieses Buch nicht nur Begeisterung ausloumlst Absolut irritierend ist dass Paas den Begriff sbquoChristlicher Zionismuslsquo nur scheinbar klar definiert (bdquoIt is an ideolo-gy of being fascinated in an extraordinary way by ethnic geographic and religious features of post-Biblical Israelldquo S 12) In Wirklichkeit wendet er den Begriff recht unterschiedslos auf alle Christen an die in seinen Augen ein bdquoheterodoxesldquo also wahrheitswidriges Verstaumlndnis von Ju-dentum Israel oder Palaumlstina haben Christliche Zionisten sind dann nicht nur zeitgenoumlssische Freunde des Staates Israel auf der Basis einer bestimmten heilsgeschichtlichen Theologie (so wie ich den Terminus definieren wuumlrde) sondern gleichermaszligen Philosemiten wie Antisemiten friedliche Palaumlstina-Pilger wie grausame Kreuzfahrer Mit dieser Ausdehnung des Begriffs wider-spricht Paas sich faktisch selber setzt er sich doch in seinen dogmatischen Kapi-teln vor allem mit der Heilsgeschichte des Dispensationalismus auseinander Nach Paaslsquo Logik muumlsste dann auch die palaumlstinensische Befreiungstheolo-gie zum Christlichen Zionismus gehouml-ren hat doch auch sie eine Auffassung von bdquoLandldquo und bdquoHeimatldquo die uumlber die

reformiert-orthodoxe Lehre hinausgeht Wenn uumlberhaupt dann nimmt Paas aber die arabischen Voumllker (wie die afri-kanischen) nur als Opfer des westlichen Imperialismus wahr und versteigt sich zu dem unseligen Vergleich dass Zio-nismus bdquoa system of racial favouritism or apartheidldquo (S 118) sei

Und wie bereits erwaumlhnt findet Paas kein Verstaumlndnis dafuumlr dass der Christ-liche Zionismus fuumlr manche Christen nach 1945 ein plausibles theologisches System geworden ist Weil er das nicht verstehen kann vermag er es auch nicht zu erklaumlren und muss deshalb zu dem abgedroschenen Argument des sbquoSchuld-komplexeslsquo greifen (S 118) Gut bleibt an diesem Buch dass es genuumlgend Stoff zu ernsthaften spannenden Diskussio-nen bietet Gerade innerhalb der evan-gelikalen Bewegung Bezeichnend ist dass Paas als Kronzeugen seiner eige-nen Position mehrfach den Rektor der Internationalen Hochschule Liebenzell Prof Dr Volker Gaumlckle zitiert und ihn sogar im Vorwort wuumlrdigt Nun gibt es im Liebenzeller Gemeinschaftsverband einen bdquoArbeitskreis Israelldquo der seiner Internetpraumlsenz nach ein bdquoBewusstsein schaffen (will) fuumlr die heilsgeschicht-liche Bedeutung Israelsldquo Wie gesagt Stoff fuumlr genuumlgend Diskussionen pro und contra Christlicher Zionismus selbst unter Freunden

Dr Gerhard Gronauer

glauben amp denken heute 22012 417 8 6 uuml

Fuumlr Froumlmmigkeit in FreiheitGerhard Lindemann

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Gerhard Lindemann Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit Die Geschichte der Evangeli-schen Allianz im Zeitalter des Liberalis-mus (1846ndash1879) Theologie Forschung und Wissenschaft Bd 24 Muumlnster Lit Verlag 2011 1064 Seiten 978-3825889203 12990 Euro

Seit meiner Dissertation zu Theodor Christlieb von 1985 und der kurz da-rauf erschienenen Arbeit von Hans Hauzenberger hat zwar der metho-distische Forscher Karl-Heinz Vogt zu Christlieb selbst und zum Thema Allianz und Religionsfreiheit einiges Neues beigetragen aber insgesamt fehlten die groszligen Fortschritte in der Forschungsgeschichte zur Allianz in Deutschland seit 25 Jahren ja fuumlr die Zeit vor dem 2 Weltkrieg weltweit Auch zur Fruumlhgeschichte der Welt-

weiten Evangelischen Allianz ist laumln-ger nichts substantiell Neues erforscht worden Und auch zur Geschichte der Religionsfreiheit im 19 Jahrhundert allgemein haben sich die Forscher nicht gerade uumlberschlagen Und nun dieses ausgezeichnete Mammutwerk

Ein groszligformatiges Buch mit 947 Seiten reinem Text mit groszligem Satz-spiegel und kleiner Schrift Die Heidel-berger Habilitationsschrift von 2004 wird dem Ruf das die Deutschen die dicksten aller Buumlcher schreiben ge-recht Bisweilen detailversessen alles minutioumls aus den Akten und zeitgenoumls-sischen Zeitungen belegend wird das Buch dadurch zu der gruumlndlichsten (und besten) Darstellung der Vor- und Fruumlhgeschichte der Evangelischen Al-lianz Die Weltweite Evangelische Al-

lianz vertritt heute 600 Mio Christen weltweit davon nur noch ein Bruchteil deutscher Zunge Schade dass dem groumlszligten Teil dieser Menschen deswe-gen dieser Schatz verborgen bleiben wird denn eine englische Uumlbersetzung dieser Textmenge waumlre zwar dringend erforderlich ist aber leider sehr un-wahrscheinlich

Das Werk behandelt soweit aus den Quellen rekonstruierbar 1 die eigent-liche Geschichte wie Versammlun-gen Kampagnen und internationale Ausbreitung die jeweils in die groszlige Zeitgeschichte eingeordnet werden 2 die Rolle der entscheidenden Persoumln-lichkeiten und 3 die Arbeitsschwer-punkte der Allianz (dabei vor allem Glaubens- und Gewissensfreiheit Ge-betswoche Mission Publikationen)

Wer dabei eine einzelne Thematik verfolgen moumlchte ndash etwa die Geschich-te der internationalen Allianzgebets-woche jeweils zu Beginn des Jahres ndash kann dies uumlber die uumlbersichtliche Gliederung und den Index sehr gut tun Auch wer die Geschichte der Al-lianz bis 1879 in solch unterschied-lichen Laumlndern wie Groszligbritannien Deutschland den skandinavischen Laumlndern Kanada Australien Suumldafri-ka der Tuumlrkei dem Iran Indien oder Japan verfolgen will wird hier fuumlndig Zu vielen Details findet sich hier erst-mals ein Beleg (z B Einsatz der fruumlhen Evangelischen Allianz fuumlr Tierschutz) und selbst zu Christlieb habe ich Neues gefunden dass meine Dissertation er-gaumlnzt (Christlieb und Versoumlhnung mit Frankreich in New York [S 747ndash752]

42 7 8 6 uuml

Christliebs Einsatz gegen Opium-handel [S 856ndash858] Geschichte der Westdeutschen Evangelische Allianz [S 921ndash922]) Lindemann sieht die Allianz gleich zu Beginn als erste orga-nisierte Form der Oumlkumene als einzig wirklich oumlkumenische Organisation die aus der Erweckungsbewegung des 19 Jahrhunderts entsprang (S 15) Er weist nach dass die Allianz selbst in ihren fruumlhen Dokumenten haumlufig das Wort bdquoecumenicalldquo verwendete (S 938 u ouml) bdquoSie schuf ein Klima das die Gruumlndung von Vorgaumlngerorgani-sationen des Oumlkumenischen Rates der Kirchen (OumlRK) ermoumlglichteldquo (S 945) Er kritisiert dass geschichtliche Dar-stellungen der modernen Oumlkumene oft sehr spaumlt einsetzen und sowohl die Allianz als auch einige ihrer fuumlhrenden Vertreter als Vorreiter der Einheit der Christen uumlbergehen (S 21)

Lindemann sieht die Allianz als Teil der transnationalen Froumlmmigkeitsbe-wegung der Erweckungen nach dem Pietismus (S 25) die man nicht ein-fach pauschal als bdquoantiaufklaumlrerischldquo oder bdquoantimodernldquo beurteilen darf (S 25) sondern die etwa in Fragen der Re-ligionsfreiheit oder des Antisklaverei-kampfes (S 28ndash29) auch ihrer Zeit voraus war Gespeist aus Erweckungen in ganz unterschiedlichen Sprach- und Kulturkreisen zeichnete sie sich wie der Pietismus bdquodurch ein weitverzweig-tes Netz internationaler Kontakte und Verbindungen ausldquo (S 33) Ob man die

Gruumlndung oumlkumenischer Strukturen unabhaumlngig von der Allianz wirklich allein auf die bdquozunehmende sbquoFunda-mentalisierunglsquo der Allianz 1880ldquo (S 945) in Form der Ablehnung der Bi-belkritik und der Zuwendung zur Hei-ligungsbewegung zuruumlckfuumlhren kann wie Lindemann ganz am Ende eher beilaumlufig sagt wage ich zu bezweifeln Ich vermute dass eine ebenso gruumlnd-liche Arbeit zur Zeit nach 1880 eben-falls eine andere sbquoAllianzlsquo hervortreten lieszlige wie die Allianz die Lindemann bis 1879 darstellt die ebenso dem gaumln-gigen Klischee nicht entspringt

Doch Lindemann hat Recht wenn er fortfaumlhrt bdquoDoch lebte das Gedan-kengut der Allianz in der Oumlkumene fortldquo (S 946) Uumlberhaupt passen die Schlussworte zur Evangelischen Alli-anz heute die eine gute fruumlhe und eine schlechtere spaumltere und heutige Allianz andeuten nicht so ganz zum Duktus des Buches Aber nach 945 uumlberaus fairen Seiten in der Darstellung der Al-lianz aus den Quellen sollte man diese verhaltene Kritik liebevoll beherzigen zumal die daraus gezogenen Empfeh-lungen schon teilweise umgesetzt wer-den

Insgesamt schreibt Lindemann aus freundlich-kritischer Distanz So kri-tisiert er etwa die groszlige Naumlhe vieler Evangelikaler zum herrschenden Adel in der Zeit der Revolutionen 184849 (S 152ndash158) worin die Evangelikalen sich nicht von den Kirchen ihrer Zeit

unterschieden Haumlufiger hilft er positi-ve Bilder zu differenzieren So bestand etwa schon bei Gruumlndung der Evange-lischen Allianz Einigkeit in der Verur-teilung der Sklaverei ndash der Kampf ge-gen die Sklaverei gehoumlrte unverruumlckbar zur Geschichte der sbquoEvangelicalslsquo aber inwiefern Sklaverei duldende Gruppen und Personen Mitglied werden durften war diesseits und jenseits des Atlanti-schen Ozeans umstritten (S 65ndash72 110ndash129 159) 1846 wurden sie alle ausgeladen spaumlter teilweise zugelassen dann mit der Abschaffung der Sklave-rei in den USA endguumlltig verbannt (S 693) Noch nie wurden diese kompli-zierten Details im Einzelnen belegt

Auch zur Entstehung der Glaubens-basis wird viel neues Material geliefert

bdquoMan verstand sich als eine Verbin-dung von Einzelpersonen und legte in diesem Zusammenhang auf die persoumln-liche Glaubensentscheidung des Ein-zelnen Wert und betonte das Recht auf individuelle Bibellektuumlre Mit diesem Grundaxiom hing auch die scharfe Abgrenzung vom Katholizismus so-wie hochkirchlichen Gruppierungen im Protestantismus zusammen die Sakramente und die Institution Kir-che als objektiv vorgegebene Groumlszligen betrachteten und der Entscheidung des Einzelnen voranstellten Hingegen galt fuumlr die Allianz in ihrer in London ver-abschiedeten sbquoGlaubensbasislsquo die goumltt-lich inspirierte Schrift als sakrosankt deren freie Pruumlfung dem Einzelnen

jedoch zugestanden wurdeldquo (S 205) Spannend ist die Entstehung der ers-ten Glaubensbasis (S 87ndash98) Meines Erachtens haumltte man noch deutlicher darauf hinweisen koumlnnen dass die bei-den ersten Saumltze eine bis heute zentrale Spannung bewirken bdquo1 The Divine Inspiration Authority and Sufficiency of the Holy Scriptures 2 The Right and Duty of Private Judgement in the Interpretation of the Holy Scripturesldquo (S 98)

Einerseits ist dies eine unverruumlckbare Festlegung andererseits ein extremer Pluralismus der jeden Glaumlubigen ver-pflichtet die Grundlage selbst auszu-legen

Exkurs Die Evangelikalen sind durch zwei Paare entgegengesetzter Pole gekennzeichnet und man wird ihnen nicht gerecht wenn man jeweils nur einen der Pole sieht Einerseits ist das die von den Evangelischen ererbte Zentralitaumlt der Heiligen Schrift Andererseits ist es der aus Luthers Frage sbquoWie bekomme ich einen gnauml-digen Gottlsquo hervorgegangene Heilsin-dividualismus Es geht darum dass jeder Mensch seine persoumlnliche Bezie-hung zu Gott hat und daraus ergibt sich als Korrektur zur Zentralitaumlt der Schrift die Berechtigung ja Verpflich-tung jedes Christen die Heilige Schrift selbst zu studieren und auszulegen womit er mit jedem noch so gebildeten evangelikalen Theologen auch seinem

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 437 8 6 uuml

Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit

Pastor gleichauf steht So vereint die evangelikale Welt die dogmatische Enge dank der Bibelfrage mit einer enor-men demokratischen Weite weil jeder theologisch mitreden darf Die zweite Spannung ist die zwischen Mission und Religionsfreiheit Aus der enormen Be-tonung der persoumlnlichen Beziehung zu Jesus entstand sowohl die starke Beto-nung der bdquoZeugnispflichtldquo als auch die starke Betonung der Religionsfreiheit Das Konzept der Freiwilligkeit praumlgte nicht nur die Freikirchen sondern auch den innerkirchlichen Pietismus fuumlr den Glaube nicht nur etwas Aumlu-szligerliches Ererbtes sein duumlrfte sondern etwas persoumlnlich Erfahrenes Dazu aber kann man niemand zwingen ja Zwang macht die Moumlglichkeit zunichte eine wirklich eigenstaumlndige persoumlnliche Um-kehr zu Gott zu vollziehen Also lieber eine kleinere Kirche mit uumlberzeugten Mitgliedern als eine groszlige mit vielen Mitgliedern die nur dank gesellschaftli-chem familiaumlrem oder sonstigem Druck dazugehoumlren

Neubestimmung des Verhaumllt-nisses der Evangelischen Alli-anz zur katholischen Kirche

Lindemann geht auf die antikatholi-schen Tendenzen und Aktivitaumlten in Groszligbritannien ein in denen die Alli-anz zum Teil wurzelt (S 45ndash50) Aller-

dings weist er schluumlssig nach was mein groumlszligtes Aha-Erlebnis beim Lesen des Buches war Es waren kaum die dog-matischen Unterschiede die im Mit-telpunkt standen sondern die Allianz repraumlsentierte mit ihrem Eintreten fuumlr Glaubens- und Gewissensfreiheit ih-rer teilweise radikalen teilweise noch verhaltenen Trennung von Kirche und Staat und ihrer Vorrangstellung der frei-willigen persoumlnlichen Bekehrung ndash was jeden Zwang in der Mission oder reli-gioumlsen Zwang seitens des Staates aus-schloss ndash das komplette Gegenteil zur ultramontanistischen katholischen Kir-che die Religionsfreiheit entschieden verwarf den Staat als Diener der Kirche zumindest in Fragen von Religion und Ethik sah und die oumlrtlichen Katholiken staumlrker denn je an die geistliche aber auch politische Fuumlhrung des Papstes band ndash alles Positionen die die katho-lische Kirche offiziell erst im 2 Vati-kanischen Konzil aufgab aber schon nach den beiden Weltkriegen jeweils immer mehr zuruumlckfahren musste So wie es im bismarckschen Kulturkampf in Deutschland weniger um Glaubens-inhalte als um die Machtfrage und den politischen Einfluss der Kirche(n) ging so stand im Zentrum der Allianz ndash so Lindemann ndash dass der Ultramontanis-mus bdquoals eine Verschwoumlrung gegen die geistige Entwicklung und geistige Frei-heit der Menschheitldquo (S 49) erachtet wurde (S 321ndash337)

Konsequenterweise setzte man sich vom Gruumlndungsjahr an auch fuumlr verfolgte Katholiken in protestantischen Laumln-dern ein und unterstuumltzte antikatholisch orientierte Regierungen nicht in ihrem Tun (S 205) Uumlbrigens wurde 1846 be-wusst bei der Gruumlndung keine Nichtzu-lassung von Katholiken formuliert (S 131) Als sich die Allianz 1858 mit einer Delegation gegen Schweden wandte dessen oberstes Gericht der Koumlnigliche Gerichtshof 6 Frauen die zum Katho-lizismus konvertiert waren des Landes verwiesen hatte und die Allianz Religi-onsfreiheit fuumlr diese Katholiken forder-te gab es europaweit einen Sturm der Entruumlstung auszligerhalb der Allianz (S 295ndash300) Die Allianz war wesentlich daran beteiligt dass der schwedische Reichstag die Strafen fuumlr das Verlassen der lutherischen Staatskirche 1860 ab-schaffte Lindemann schreibt

bdquoDurch ihre Konzentration auf dog-matische und geistliche Elemente un-terschied sich die Allianz von anderen anti-katholischen Gruppierungen Uumlberdies machte das Engagement fuumlr die waadtlaumlndische Freikirche deutlich dass die Vereinigung sich nicht von ei-nem blinden Katholikenhass leiten lieszlig sondern sich auch gegen eine diploma-tische und militaumlrische Unterstuumltzung von Regierungen aussprechen konnte die das Prinzip der Religionsfreiheit nicht achteten auch wenn sie sich mit dem Katholizismus im Konflikt be-

fanden Sir Culling Eardley stellte in diesem Zusammenhang klar dass po-litische Freiheit ohne Religionsfreiheit undenkbar und auch nicht unterstuumlt-zenswert sei ndash nach Auffassung des Lon-doner Allianzkomitees handelte es sich dabei um das sbquoheiligste unter den Men-schenrechtenlsquoldquo (S 205ndash206)

bdquoDie Evangelische Allianz erwies sich bereits in ihrer Gruumlndungsphase keines-wegs als eine rein antikatholische Bewe-gung Vorrangig war das Interesse an einer Einheit unter den Christen waumlh-rend aktuelle Ereignisse und Entwick-lungen eher als ausloumlsende Faktoren fuumlr den Schritt zu dem protestantischen Zu-sammenschluss anzusehen sind Als we-sentliche Ziele galten die Evangelisation der Welt sowie vor allem aus amerika-nischer Perspektive auch der Wunsch durch die grenzuumlberschreitende Zusam-menarbeit zum Frieden unter den Voumll-kern beizutragenldquo (S 205)

Neues zur Geschichte der Religionsfreiheit

Als das herausragende Thema der Alli-anz erweist Lindemann den Einsatz ge-gen Verfolgung aus religioumlsen Gruumlnden und fuumlr die Religionsfreiheit die noch nie so gruumlndlich dargestellt wurde (bes S 141ndash151 205ndash321 592ndash645 773ndash811 858 868ndash913) Besonders inter-essant sind auch die Erkenntnisse zum

44 7 8 6 uuml

Einsatz der Allianz fuumlr die Religions-freiheit die Lindemann aus den Akten des britischen bdquoForeign Officeldquo gewann

Am staumlrksten stand in den Jahren 1849 bis 1858 der Einsatz fuumlr aus religioumlsen Gruumlnden Verfolgte im Mittelpunkt (S 207) da die Allianz sich zunutze mach-te dass Auszligenpolitik Thema der Presse und der entstehenden Parlamente wur-de (S 207)

Waumlhlen wir als Beispiel den Einsatz fuumlr den vom Katholizismus zum Protes-tantismus konvertierten Italiener Signor Giacinto Achilli (1803ndash1893) der des-wegen lebenslaumlnglich von der roumlmischen Inquisition inhaftiert war und der in einem fast einjaumlhrigen diplomatischen Tauziehen unter Beteiligung des briti-schen und franzoumlsischen Auszligenminis-ters der Medien der eigenen Zeitung und zahlreicher Delegationen schlieszlig-lich durch einen Trick von den Franzo-sen aus Rom befreit und nach England uumlberstellt wurde (S 208ndash223)

Vorgaumlnge wie diese stellt Lindemann wiederholt minutioumls dar Sie wurden wenn sie uumlberhaupt bekannt waren bis-her noch nie in ihren einzelnen Schrit-ten nachvollzogen und belegen wie gut organisiert mit Regierungen und Medi-en vernetzt und ihrer Zeit voraus dieser Aspekt der Evangelischen Allianz war Lindemann schreibt

bdquoBei ihrem Einsatz fuumlr aus Glaubens-gruumlnden Benachteiligte profitierte die Allianz eindeutig von der zunehmenden

Pluralisierung vor allem der britischen Gesellschaft und der Entstehung einer breiteren Medienoumlffentlichkeit die die Einflussnahme von sbquoPressure Groupslsquo auf auszligenpolitische Entscheidungspro-zesse zulieszlig Man merkte bald dass in bestimmten Faumlllen das gemeinsame Agieren uumlber Laumlndergrenzen hinweg noch Erfolg versprechender zu sein schien und wie zum Beispiel erstmals im Fall des Italieners Achilli zu einem gemeinsamen Handeln von Regierun-gen fuumlhren konnte Zugleich konnte der Verweis auf die englische oumlffentliche Meinung Staaten von Repressionen auf Andersglaumlubige abhalten sie beenden oder zumindest abmildern Nicht nur durch den Gebrauch neuer Methoden in diesem Engagement hatte die Evan-gelische Allianz an einem Modernisie-rungsprozess des Protestantismus im 19 Jahrhundert einen Anteilldquo (S 943)

Die Britische Allianz erreichte etwa durch eine Denkschrift an den preu-szligischen Koumlnig gegen die Baptistenver-folung dass der aus Berlin vertriebene Fuumlhrer der Baptisten Johann Gerhard Oncken nach Berlin zuruumlckkehren konnte (S 235ndash237) Mit Schreiben der britischen Koumlnigin und des preuszligischen Koumlnigs setzte man 1852 dem toskani-schen Groszligherzog Leopold II in einer Audienz wegen der Inhaftierung eines Ehepaars namens Madiai zu bdquoDie De-putation stieszlig europaweit auf eine star-ke Resonanzldquo (S 254) Und selbst der

gestrenge Lutheraner Ernst-Wilhelm Hengstenberg wahrhaftig kein Freund der Allianz ruumlhmte das Vorgehen denn es habe den katholischen Vorwurf die Protestanten seien hoffnungslos zerspal-ten widerlegt Hier habe man mit einer Stimme gesprochen (S 254) Die Sache weitete sich bis in die USA aus andere italienische Fuumlrsten wurden ebenso ak-tiv wie der franzoumlsische Kaiser bis das Ehepaar Madiai schlieszliglich nach einem Jahr 1853 freigelassen wurde Besonders deutlich wird wie eng der Gedanke ei-ner Oumlkumene der Protestanten mit der Religionsfreiheit verbunden war Ge-meinsamkeit macht stark

Wie konfessionell groszligzuumlgig man war zeigt sich auch darin dass man sich beim Sultan nicht nur fuumlr Konvertiten vom Islam zum Protestantismus ein-setzte sondern auch fuumlr die griechisch-orthodoxe Kirche (S 300) Im Iran setzte man sich fuumlr Nestorianer ein (S 610ndash613) Nach der Hinrichtung eines Konvertiten 1853 aktivierte die Allianz in Zusammenarbeit mit der Tuumlrkischen Allianz ihre Kontakte in zahlreichen eu-ropaumlischen Regierungen bis schlieszliglich 1856 Sultan Abduumllmecid I ndash sicher in Zusammenhang mit der komplizier-ten Politik zwischen dem Osmaischen Reich und den Westmaumlchten ndash in einem Edikt den Protestanten groumlszligere Freihei-ten zugestand und die Todesstrafe fuumlr Konversion abschaffte (S 300ndash319) 1874ndash1875 fuumlhrte eine weitere groszlige Kampagne eine Allianzdelegation bis

zum tuumlrkischen Auszligenminister Dip-lomaten sogar bis zum Sultan deren Auswirkungen aber umstritten sind (S 879ndash902) Lindemann schreibt dass fuumlr die Niederschlagung der Prozesse gegen Pastoren im Baltikum durch den Za-ren bdquoder Londoner Vorstoszlig der Allianz verantwortlich gewesenldquo sei (S 800) Das Verwirrspiel um den Versuch eines Treffens mit dem Zaren der schlieszliglich seinen Auszligenminister vorschickte wird bei Lindemann aufgeloumlst (S 779ndash800)

Auch die Audienzen die die Allianz beim preuszligischen Koumlnig erhielt etwa 1855 in Koumlln oder 1857 im Rahmen der Berliner Allianzkonferenz bei Fried-rich Wilhelm IV (S 286f) drehten sich immer um die Religionsfreiheit in Deutschland Dasselbe gilt fuumlr Gesprauml-che des Allianzsekretaumlrs die er mit dem deutschen Kaiser Wilhelm I und dem Reichskanzler Otto v Bismarck 1875 fuumlhrte (S 919) Eine Allianzdeputation bei Kaiser Franz Joseph I in der Hof-burg und anschlieszligende Gespraumlche beim Ministerpraumlsidenten und beim Kultusminister im Jahr 1879 fuumlhrten zu spuumlrbaren Erleichterungen fuumlr Pro-testanten 1880 sogar zu deren rechtli-cher Anerkennung als Kirchen sowie fast nebenbei zu Erleichterungen fuumlr die Freikirchen in Wien (S 913)

Dasselbe gilt auch fuumlr den Besuch der gesamten Teilnehmerschaft der New Yorker Konferenz beim amerikani-schen Praumlsidenten Ulysses S Grant und seinem Kabinett 1873 (S 755ndash756)

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 457 8 6 uuml

nur dass die amerikanische Regierung nicht mehr von der Religionsfreiheit uumlberzeugt werden musste Man be-denke dass das alles zu einer Zeit ge-schah als die angestammten Kirchen alle noch weit davon entfernt waren ihren Staatskirchenstatus aufzugeben geschweige denn Religionsfreiheit fuumlr alle zu gestatten oder sie gar selbst zu fordern Wenn Religionsfreiheit damals gefordert wurde dann meist von Juden religioumlsen Minderheiten und Atheisten nicht aber von sehr religioumlsen Vertretern der vorherrschenden Religion Welchen Beitrag die Evangelische Allianz zur Re-ligionsfreiheit in Deutschland geleistet hat ist bisher noch nirgends gewuumlrdigt worden

Grundsaumltzliches

Die Homburger Konferenz fuumlr Religi-onsfreiheit von 1853 war ein Meilen-stein der Allianzgeschichte und der To-leranz in Deutschland und Europa (S 263ndash267) Zentrales Ergebnis war die Ablehnung jeder kirchlichen Gewalt gegen Separatisten und die Ablehnung jeglicher Inanspruchnahme staatlicher Gewalt durch Kirchen gegen andere (S 266) ndash ein Meilenstein der Entwicklung des Rechtes auf Religionsfreiheit Dies galt zudem bewusst nicht nur fuumlr Chris-ten sondern fuumlr alle Religionen was na-tuumlrlich zu internen Kontroversen und zu scharfer Kritik seitens protestantischer

Staatskirchen fuumlhrte (S 267ndash272) ohne dass die Allianz deswegen von dem Grundsatz abruumlckte

1861 stellt ein franzoumlsischer Pastor erstmals eine ganz neue These auf die sich mehr und mehr in der Allianz durchsetze dass naumlmlich bdquodie Religi-onsfreiheit staatliche Ordnung und den ihr innewohnenden Frieden garantiertldquo (S 592) Unterdruumlckung der individuel-len Religionsfreiheit dagegen Revoluti-on und Unfrieden naumlhre und dem Staat seine gottgegebene Grundlage entziehe

Interessanterweise bestaumltigt eine in-ternationale wissenschaftliche Unter-suchung genau dies Religionsfreiheit foumlrdert eine friedliche Gesellschaft deren Unterdruumlckung foumlrdert Unruhe und Gewalt und praktisch alle religioumls gefaumlrbten terroristischen Bewegungen der Welt kommen aus solchen Laumlndern [Brian J Grim Roger Finke The Price of Freedom Denied Religious Persecu-tion and Conflict in the Twenty-First Century Cambridge Cambridge Uni-versity Press 2010 und meinen Kom-mentar dazu unter httpwwwthomas-schirrmacherinfoarchives1792]

Lindemann schreibt bdquoMit ihrem Engagement fuumlr die Reli-gionsfreiheit leistete die Allianz deren angloamerikanischer Fluumlgel sich nicht mit bloszliger Toleranz zufriedengab sondern das oumlffentliche Bekennen des Glaubens als ein Grundrecht ansah auch der Durchsetzung der buumlrgerli-chen Freiheiten in den betreffenden

Laumlndern einen bemerkenswerten Dienst und trug zur Entstehung einer europauml-ischen Zivilgesellschaft nicht unwesent-lich bei Allerdings kam es in diesem Bereich auch zu Konflikten mit der britischen Regierung die im Blick auf Indien vorrangig an der Beherrschbar-keit des Landes interessiert war und im Falle des Osmanischen Staats insbeson-dere von globalstrategischen sowie von oumlkonomischen und Handelsinteressen geleitet war Letztere begannen seit der Mitte des 19 Jahrhunderts die britische Auszligenpolitik verstaumlrkt zu beeinflussen Zudem laumlsst sich auf der Regierungsseite eine deutliche Zuruumlckhaltung gegenuumlber dem evangelikalen Missionsverstaumlndnis nachweisen Das Gesamtengagement der Allianz erwies sich hingegen durch die Erweiterung seiner Bezugspunkte und -orte bis hin nach Russland und Japan als kongruent zur globalen Dau-erpraumlsenz Groszligbritanniens Im Un-terschied zur britischen Auszligenpolitik mischte man sich jedoch immer wieder auch in europaumlische Religionskonflikte ein waumlhrend man mit Ausnahme der italienischen Einigung hinsichtlich poli-tischer Spannungen wie den seit 1864 von Preuszligen gefuumlhrten Kriegen analog zur Haltung der britischen Regierung Zuruumlckhaltung uumlbte oder sie gar wie im Falle des polnischen Aufstandes von 186364 der keineswegs frei von reli-gioumlsen Komponenten war ignorierteldquo (S 943)

Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit

46 7 8 6 uuml

Witness of the bodyMichael L Budde amp Karen Scott (Hrsg)

Wolfgang Haumlde

Michael L Budde amp Karen Scott (Hrsg) Witness of the body The past present and future of Christian martyrdom Grand Rapids MI Eerdmans (The Eerdmans Ekklesia series) 2011 238 Seiten ISBN 978-0802862587 1799 Euro

Klar wird die Absicht dieser Samm-lung von Aufsaumltzen im Vorwort defi-niert naumlmlich bdquodas Maumlrtyrertum an einen zentraleren Ort im Selbstver-staumlndnis der Kirche zuruumlckzubringenldquo (S vii) sowie das Maumlrtyrertum nicht nur bdquoals ein Objekt von Faszination und Grauenldquo zu sehen sondern ihm bdquowieder seinen Platz in der taumlglichen Praxis der Kircheldquo (S viii) zu geben Ich kann diese Ziele von ganzem Her-zen bejahen

Geschrieben ist das Buch fuumlr eine westliche Leserschaft der der Gedan-ke an Martyrium zum groumlszligten Teil fremd ist Leider fehlen Autoren die in der Mehrheitswelt leben Sie haumlt-

ten aus ihrer anderen Perspektive zu-saumltzliche Einsichten beitragen koumlnnen Auszligerdem wird konfessionelle Breite von Meinungen zwar postuliert (bdquoGe-lehrte von jenseits der konfessionellen Scheiden der Christenheitldquo S ix) aber nach dem was ich uumlber den Hinter-grund der Autoren feststellen konnte nicht wirklich erreicht denn die groszlige Mehrheit der Verfasser wird von US-amerikanischen Katholiken gestellt

Nicht alle Artikel scheinen die glei-che Relevanz fuumlr das Thema zu haben Ich frage mich zum Beispiel ob der Ar-tikel bdquoDas Gerichtsurteil der Eucharis-tie im Prozess gegen Jean d Arcldquo (Ann W Astell S 82ndash106) von groumlszligerer Be-deutung dafuumlr ist dem Maumlrtyrertum den ihm angemessenen Platz in der heutigen Kirche zuruumlckzugeben

Es ist eine Staumlrke dieser Aufsatz-sammlung nicht nur die Maumlrtyrer der Fruumlhen Kirche zu behandeln sondern z B im Teil III (bdquoMaumlrtyrertum zerstoumlrt

die Kircheldquo) auch auf die Verfolgung von Christen durch Christen beson-ders im Zeitalter von Reformation und Gegenreformation einzugehen Brad S Gregory (bdquoVerfolgung oder Straf-verfolgung Maumlrtyrer oder Pseudomaumlr-tyrer Die Zeit der Reformation Ge-schichte und theologisches Nachden-kenldquo S 107ndash124) kritisiert zu Recht dass es von einem Standpunkt im 21 Jahrhundert mit seiner Konzentration auf die Menschenrechte allzu leicht sei die Strafverfolgung mutmaszliglicher Hauml-retiker im 16 Jahrhundert anzupran-gern ohne die Grundvoraussetzungen jener Zeit wirklich verstanden zu ha-ben Allerdings empfand ich in diesem Artikel manchmal zu viel Verstaumlndnis fuumlr die Verfolger Unter den elf Arti-keln uumlber Maumlrtyrertum ragen fuumlr mich zwei als Houmlhepunkte heraus Der Ar-tikel von Stephen Fowl Theologiepro-fessor am Loyola-College in Maryland bdquoDer Vorrang des Zeugnisses des Lei-

bes vor dem Maumlrtyrertum bei Paulusldquo (S 43ndash60) liefert das Stichwort fuumlr den Titel des ganzen Buches Fowl ist ein Vertreter der Schule der bdquotheologischen Auslegung der Schriftldquo Er versucht m E erfolgreich das Maumlrtyrertum in den breiteren Zusammenhang von Roumlmer 121ndash2 zu stellen wo Christen dazu aufgerufen werden ihre bdquoLeiber als ein lebendiges Opfer hinzugebenldquo Jeder Christusglaumlubige ist also zum bdquoZeugnis des Leibesldquo aufgerufen Dieses Zeugnis ist die Hingabe unseres ganzen Seins fuumlr Gottes Willen und Gottes Ehre Diese Hingabe mag zum Maumlrtyrer-tum fuumlhren oder auch nicht bdquoGlaumlubige koumlnnen und sollten immer am Zeugnis des Leibes teilhaben Ob die Autoritauml-ten sie dafuumlr toumlten werden oder nicht liegt weitgehend nicht in ihrer Handldquo (S 44) Der zweite Houmlhepunkt ist fuumlr mich bdquoLohnt es sich fuumlr irgendetwas zu sterben Maumlrtyrertum Exterioritaumlt und Politik nach dem bloszligen Lebenldquo

glauben amp denken heute 22012 477 8 6 uuml

(S 171ndash189) von D Stephen Long Theologieprofessor an der Marquette-Universitaumlt und Geoffrey Holdsclaw

Die Autoren stellen fest dass die west-lichen saumlkularen Gesellschaften aus ih-rer politischen Philosophie alle Ziele eli-miniert haben die houmlher als das Leben sind Es herrscht die Angst dass dann wenn man bdquoPolitik in irgendeinem tran-szendenten Zielldquo begruumlnden wuumlrde eine bdquomilitaristische Gesellschaft erzeugtldquo wuumlrde (S 171) Als Ergebnis dieser Sor-ge ist bdquohellip die einzige rationale dogma-tische Position von der politisches Den-ken seinen Ausgang nehmen sollte die Bewahrung des Lebensldquo (S 173)

Sehr tiefgehend zeigt der Aufsatz wie eine neue Hingabe an lehrmaumlszligige Wahr-heit d h daran Gottes Willen houmlher zu setzen als unser Leben die Grundlage unserer gegenwaumlrtigen politischen Phi-losophie in Frage stellen wuumlrde und da-her als Bedrohung aufgefasst wird

Deutlicher haumltten die Verfasser ma-chen muumlssen dass die Frage bdquoWofuumlr lohnt es sich zu sterbenldquo nicht unwei-gerlich zur Frage bdquoWofuumlr lohnt es sich zu toumltenldquo fuumlhrt (S 171) und dass es zwar eine Gemeinsamkeit zwischen radikalen Muslimen und hingegebenen Christen ist lehrmaumlszligige Wahrheit uumlber das Le-ben zu setzen dass es aber entscheiden-de Unterschiede darin gibt worin die jeweiligen Wahrheiten bestehen

Witness of the body Werbung

Pro Mundis

Geistliche Impulse

Theologische Akzente

Ergaumlnzungen zur Ethik

Philosophische Anstoumlszlige

und vieles mehr

wwwbucerde

Besuchen Sie einmal unsere Internetseite Das Martin Bucer Seminar bietet im Internet unter dem Hauptmenuuml bdquoRessourcenldquo eine Vielzahl von kostenlosen Materialien zum Herunterladen an Diese koumlnnen die per-soumlnliche Weiterbildung sehr bereichern und auch geistliche Impulse geben So finden Sie unter anderem die Zeittafel uumlber Zwingli und Bucer von Gerhard Gronauer (MBS Text 86) oder den Beitrag bdquoDie Hinwendung Oumlster-reichs zum Christentumldquo von Frank Hinkel-mann (MBS Text 87) Es erwarten Sie viele andere interessante und bibliografisch ver-wertbare Aufsaumltze in den Reihen Geistliche Impulse Theologische Akzente Pro Mundis und Ergaumlnzungen zur Ethik Reformiertes Fo-rum und Hope for Europe

Im Bereich Bonner Querschnitte den Sie auch unter dem Hauptmenuuml bdquoRessourcenldquo finden ist zudem ein Archiv der Pressein-formationen des Seminars und der mit ihm verbundenen Institute untergebracht

MARTIN BUCER SEMINAR onlineMBS-Texte

48 7 8 6 uuml

Falling wallsndash the year 198990 Einstuumlrzende Mauern ndash das Jahr 198990Klaus Koschorke

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Klaus Koschorke Falling walls ndash the year 198990 as a turning point in the histo-ry of world Christianity Einstuumlrzende Mauern ndash das Jahr 198990 als Epo-chenjahr in der Geschichte des Weltchris-tentums (Studien zur auszligereuropaumlischen Christentumsgeschichte 15) Wiesbaden Harrassowitz Verlag 2009 451 Seiten ISBN 978-3-447-05995-4 5400 Euro

Dass sbquodie Wendelsquo 198990 also der Fall der Berliner Mauer die Aufloumlsung des Sowjetimperiums das Ende der bipo-laren Weltordnung und das Ende der Apartheid in Suumldafrika auf allen Kon-tinenten tiefgreifende politische oder wirtschaftliche Folgen hatte ist unbe-stritten Doch wie sah die Rolle der Christenheit dabei aus und welche Fol-gen hatte sie fuumlr die Weltchristenheit Dass Christen und Kirchen in die Vor-

bereitung der Wende in Deutschland in-volviert waren ist gruumlndlich untersucht Bei der Welle der Demokratisierungen 1989ndash1993 spielten Kirchen eine fuumlh-rende Rolle (in Rumaumlnien etwa begann die Revolution mit dem Widerstand ge-gen die politisch motivierte Zwangsver-setzung des reformierten Pfarrers Laacuteszlo Toumlkes in Timisoara S 64) die Zahl der fuumlhrenden christlichen Persoumlnlichkeiten in der Politik nahm stark zu Zur Fra-ge nach der Weltchristenheit gehoumlrt in diesem Zusammenhang aber auch die Darstellung der neuen Religionsfreiheit in vielen Laumlndern und die Abloumlsung des Kommunismus als Hauptbeschraumlnker der Religionsfreiheit durch den Islam wobei es in islamischen ebenso wie in anderen Laumlndern haumlufig zu einer neuen gefaumlhrlichen Allianz von Religion und Nationalismus kam

Die 4 Internationale Muumlnchen-Frei-sing-Konferenz 2008 fuumlhrte zu diesem Zweck Forscher aus vier Kontinenten zahlreichen Fachrichtungen und Kon-fessionen zusammen Die 23 deutschen oder englischen Forschungsbeitraumlge (plus Einfuumlhrung durch den Heraus-geber und Zusammenfassung durch einen Konferenzbeobachter) die fast ausnahmslos regionale nationale und dabei oft konfessionelle Schwerpunkte setzen stellen derzeit die umfassendste Darstellung zum Thema dar Ihr Ni-veau ist uumlberwiegend sehr hoch meist mit einer Fuumllle von in deutschen Bib-liotheken schwer zugaumlnglichen Quel-len belegt Es gibt Ausnahmen so ist ausgerechnet der Beitrag zu Suumldafrika nur eine vierseitige Zusammenfassung (S 89ff) Etliche Beitraumlge leiden in ihrer Wissenschaftlichkeit unter der konfessi-

onellen Einseitigkeit der Autoren Es ist natuumlrlich unmoumlglich hier zu jedem der Beitraumlge einige Saumltze zu schreiben Fuumlr den Leser der wissen will ob seine Regi-on oder Thematik behandelt wird seien grob die Themen aufgelistet DDR Po-len Rumaumlnien Osteuropa Suumldafrika Aumlthiopien Afrika Suumldkorea China Vietnam Kuba Zentralamerika Ar-gentinienUruruguayChile Brasilien Lateinamerika USA allgemein Fun-damentalismus Befreiungstheologie Pfingstbewegung Lutherische Kirchen

Bedauerlich ist dass nicht alle Autoren das gesamte konfessionelle Spektrum ab-decken So mag man ja noch verstehen dass zu Polen der Protestantismus nicht dargestellt wird dass er zu China fehlt ist unverstaumlndlich so lesenswert der Bei-trag von Roman Malek ist Uumlberhaupt lassen die meisten katholischen Autoren

glauben amp denken heute 22012 497 8 6 uuml

andere Konfessionen uumlberwiegend links liegen waumlhrend die protestantischen Autoren die nichtprotestantischen Kir-chen wenigstens mit darstellen wenn auch selten angemessen Angesichts der Gesamtthematik des Buches ist die kon-fessionelle und theologische Einseitig-keit etlicher Einzelbeitraumlge erstaunlich Evangelikale und Pfingstler immerhin ein Drittel der Weltchristenheit erschei-nen uumlberwiegend als negative Klischees auch wenn die Spannbreite der Darstel-lungen von billiger Polemik bis hin zu gut belegten Fehlentwicklungen reicht Manche Kritik ist berechtigt ndash wenn auch oft weniger Ergebnis belegter For-schung als einfach Meinung des jeweili-gen Autors etwa dass in den charisma-tischen Bewegungen bdquoChristianity as a Shopping Mallldquo etabliert wurde (James R Cochrane S 109ndash110) oder pfingst-liche Politiker in Brasilien sich bdquonicht als kompetenter oder ethisch verlaumlsslicher erwiesen als andereldquo (Rudolf von Sinner S 330) Wenn auch nichtamerikanische Evangelikale vieles kritisch sehen was im evangelikalen Bereich in den USA geschieht so helfen Sammeltoumlpfe wie die bdquoRechtsevangelikalen Neofunda-mentalisten und Pfingstsektenldquo (S 21) bei der Aufarbeitung sicher nicht

Manchmal schlaumlgt eine westliche theologisch liberale Sichtweise verzer-rend durch etwa wenn es heiszligt dass konservative Anglikaner versuchten die afrikanischen Kirchen fuumlr ihre Zwecke

einzuspannen (S 17) Den Neuauf-bruch groszliger anglikanischer Kirchen in Afrika als amerikanisch zu erklaumlren ist schlicht falsch offenbart aber auch einen Patriarchalismus der der Realitaumlt nicht gerecht wird Es sind umgekehrt stark wachsende afrikanische anglika-nische Nationalkirchen wie in Uganda die den kleinen konservativen Fluumlgel der Anglikaner in den USA zum Wider-stand anstiften

Anselm K Min (S 195ndash214) schreibt den koreanischen Kirchen aller Konfes-sionen zwar berechtigte und gewichtige Anfragen ins Stammbuch ndash wenn auch von den USA aus ndash seine Leistung als Historiker ist aber schwach seine Kritik an allem was rechts von ihm steht ist heftig aber nicht belegt Er wird der Di-versitaumlt des konservativen Protestantis-mus und der evangelikalen Bewegung nicht gerecht und spiegelt eher seine eige-ne theologische Position als eine wissen-schaftliche Erforschung der Kirchenge-schichte wider Die stabilisierende Rolle nicht aller aber vieler evangelikaler Gruppen fuumlr die koreanische Demokra-tie und die vergleichsweise positive Rol-le eines evangelikalen Praumlsidenten wird gar nicht erwaumlhnt Typisch klischeehaft wird der Fundamentalismus mit Anti-Intellektualismus und dogmatischer Intoleranz gleichgesetzt (S 210) ndash das haben die groszligen reformierten Hoch-schulen Koreas sicher nicht alle verdient Und wer im wissenschaftlichen Kontext

von bdquoFundamentalismusldquo spricht moumlge bitte angesichts der ungezaumlhlten Defini-tionen und den meist emotionalen oder gar vernichtenden Bedeutungen erst einmal sagen was er eigentlich darunter versteht Das uumlberschwaumlngliche Lob des koreanischen Katholizismus im Gegen-satz zum Protestantismus der korrupt materialistisch individualistisch und der koreanischen Kultur nicht angepasst sei (S 212) wirkt in seiner schwarz-wei-szligen Pauschalisierung trotz des gewissen Wahrheitskerns fast schon komisch

Die groszlige Ausnahme ist hier ndash wie nicht anders aufgrund seiner Buumlcher zu erwarten ndash der unbedingt lesenswerte Beitrag von Michael Hochgeschwender zu den USA (S 351ndash371) eigentlich fuumlr das Thema bdquoEvangelikaleldquo ja das schwie-rigste Land Doch Hochgeschwender schreibt informiert belegt differenziert bei allen Vor- und Nachteile sehend uumlber alle Konfessionen und Richtungen gleichermaszligen fair Hochgeschwen-der sieht generell den Schwerpunkt der enormen Religiositaumlt und Spiritualitaumlt in den USA darin dass sie bdquomit einer radikalen Konsequenz die weltweit ih-resgleichen sucht zur Ware umfunktio-niertldquo (S 368) wurde und wird

Am anderen Ende des Spektrums zu Hochgeschwender steht der britische Theologe Kevin Ward der eigentlich bdquoPluralism and fundamentalism as challenges for the African Churchesldquo (S 157ndash176) aber uumlberwiegend nur die

Spaltung der anglikanischen Weltge-meinschaft darstellt das Thema seiner Uumlberschrift also verfehlt hat nicht nur weil er nirgends definiert was die bei-den Begriffe seines Themas eigentlich bedeuten sondern eigentlich immer nur zwei Lager beschreibt die man dann wohl den beiden Themen zuordnen soll was der enormen Vielfalt der afrikani-schen Christenheit kaum gerecht wird Auf welcher Seite Ward selbst steht zeigt seine Verteidigung der Forderung von Erzbischof Williams die Scharia in Teilen Groszligbritanniens zuzulassen Kommt die Kritik daran wirklich nur von Konservativen die sich nicht mit der Realitaumlt der multikulturellen Gesell-schaft abfinden wollen (S 173) Wards Kritik an der Kritik der nigerianischen Bischoumlfe an Williams geht voumlllig daran vorbei dass die Frage der Guumlltigkeit der Scharia fuumlr die anglikanische Kirche in Nigeria keine akademische sondern eine existentielle Frage ist kein den theologischen Stroumlmungen rechts oder links zuzuordnendes Thema

Sehr interessant sind die Beitraumlge die die Folgen der bdquoWendeldquo fuumlr die Befrei-ungstheologie und den Weltkirchenrat diskutieren Sergo Silva (S 335ndash350) haumllt die These die Befreiungstheologie habe ohne real existierende sozialistische Laumlnder stark an Bedeutung verloren fuumlr grundfalsch Seine Argumente sind aber fast ausschlieszliglich theologisch (sie ist weiter berechtigt und noumltig) nicht his-

Falling wallsndash the year 198990

50 7 8 6 uuml

torisch oder soziologisch (Auch hier ist uumlbrigens bedauerlich dass Evangelikale wie Rene Padilla oder Samuel Escobar und ihre juumlngeren Nachfolger uumlberhaupt nicht in den Blick kommen) Die Base-ler Missionswissenschaftlerin Christine Lienemann-Perrin (S 373ndash392) vertritt die entgegengesetzte These ndash und dies gut belegt ndash vor allem am Beispiel Ko-reas Suumldafrikas und Lateinamerikas Sie geht davon aus dass die groszligen be-freiungstheologischen Entwuumlrfe durch kontextuelle lokale Entwuumlrfe abgeloumlst wurden

Viggo Mortensen (S 429ndash441) be-schreibt ausgehend von den lutherischen Kirchen die tiefgreifende Veraumlnderung innerhalb der oumlkumenischen Bewegung nach 1989 Denn bdquoinnerhalb der oumlku-menischen Bewegung hingen viele am sozialistischen Traumldquo (S 440) Dieser sei laumlngst ausgetraumlumt (aumlhnlich Hart-mut Lehmann S 446)

Die Entwicklung ginge von der Be-tonung der sichtbaren Einheit hin zur versoumlhnten Vielfalt vom Konsens (fast um jeden Preis) hin zum sichtbaren Pro-fil und Bekenntnis Dass die Veraumlnde-rungen auch den Dauerstreit zwischen Evangelikalen und Weltkirchenrat be-endet haben und es heute eine gute Zu-sammenarbeit mit der weltweiten Evan-gelischen Allianz in vielen Fragen gibt wird nicht erwaumlhnt auch wenn dies ge-nau die These des Autors unterstreicht Kritisch angemerkt sei noch dass die in

der Einfuumlhrung gut angesprochene Fra-ge der Religionsfreiheit die durch die sbquoWendelsquo ein ganz neues Thema wurde aber sich auch international ganz an-ders ohne den kommunistischen Block darstellt (etwa durch die zunehmende Verquickung von Religion und Natio-nalismus ndash darunter auch Beispiele eines christlichen Nationalismus) im Buch fast voumlllig fehlt

Dabei haumltte das Thema mindestens ei-nen eigenen Beitrag verdient gehabt und haumltte alle anderen Beitraumlge durchziehen muumlssen Denn die praktische Lage der Religionsfreiheit weltweit als auch der internationale theoretische Diskurs zum Thema hat sich in den letzten drei Jahrzehnten von der sbquoWendelsquo ausgehend grundlegend gewandelt und christliche Kirchen sind unmittelbar von beidem uumlberall betroffen

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher Werbung

glauben amp denken heute ist eine Zeitschrift fuumlr Freunde des Martin Bu-cer Seminars und fuumlr alle Menschen die sich dem christlichen Glauben ver-bunden fuumlhlen 2 x im Jahr erscheint glauben amp denken heute online und kann unter wwwbucereu herun-tergeladen werden glauben amp denken heute veroumlffentlicht theologische Beitrauml-ge sowie diverse BuchrezensionenReservieren Sie sich noch heute eine Werbeflaumlche in glauben amp denken heute und Ihre Anzeige wird in der naumlchsten Ausgabe online freigeschaltet Ihre Bestellung und Anzeige senden Sie bitte per E-Mail an Manfred Feldmann ManfredFeldmannbucerde

Beispiel Hiermit bestelle ich die Werbeflaumlche A (AshyG) Die Anshyzeige (Anhang beigefuumlgt) soll 1x (2x) im Jahr erscheinen

Betriebssystem Apple Macintosh WindowsLinux uaDateiformat JPEG GIF bei einer Aufloumlsung von houmlchstens 150 dpi

Anzeige 257 x 170 mmSeite 1 SatzspiegelPreis 125 Euro

Anzeige 192 x 170 mmSeite 34 SpaltenPreis 100 Euro

Anzeige 125 x 170 mmSeite 24 SpaltenPreis 75 Euro

Anzeige 59 x 170 mmSeite 14 SpaltePreis 50 Euro

Anzeige 125 x 83 mmSeite 28 SpaltenPreis 35 Euro

Anzeige 59 x 83 mmSeite 18 SpaltePreis 20 Euro

Anzeige 297 x 210 mmSeite 1 ganze SeitePreis 150 EuroA

B

C

D

E

F

G

glauben amp denken heute 22012 517 8 6 uuml

Neuere Buumlcher uumlber Konstantin den GroszligenPeter Leithart Klaus M Girardet

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Peter Leithart Defending Constanti-ne The Twilight of an Empire and the Dawn of Christendom Downers Grove (IL) IVP Academic 2010 373 Seiten ISBN 978-0830827220 2199 Euro

Peter J Leithart hat ein Buch zur Ehrenrettung Kaiser Konstantins ge-schrieben das sich vor allem gegen die Thesen des amerikanischen Mennoni-ten John Howard Yoder (1927ndash1997) wendet fuumlr den Konstantin der In-begriff des Abfalls des Christentums von seinen pazifistischen Urspruumlngen und fuumlr das jahrhundertlange Uumlbel des Staatskirchentums und der Ketzerver-folgung stand

Leithart will dabei keinen originauml-ren Forschungsbeitrag liefern sondern die viel positivere Beschreibung in der Fachliteratur und den Wandel des

Konstantinbildes in der Wissenschaft den tief verwurzelten Vorurteilen vie-ler heutiger Christen entgegenhalten In einer enormen Vielfalt breitet er Forschungsliteratur der letzten hun-dert Jahre in den Fuszlignoten aus und zeigt dass der tatsaumlchliche Konstantin weder mit dem bejubelten christlichen Kaiser des Mittelalters noch mit dem Buhmann der Aufklaumlrung aber auch freikirchlicher Autoren etwas zu tun hat Konstantin ist nur aus der Reali-taumlt des 4 Jahrhunderts heraus zu ver-stehen und konnte nicht wissen was die Zukunft bringen wuumlrde Gemessen daran war er ndash so Leithart ndash uumlberzeug-ter Christ und fand einen Weg zwi-schen der Foumlrderung des christlichen Glaubens und der Religionsfreiheit der nichtchristlichen Bevoumllkerungsmehr-heit Dabei muumlsse man aber immer die

ganze Breite der erforschten Ereignisse beruumlcksichtigen So gibt es unuumlberseh-bare und nennenswerte Einfluumlsse des Christentums auf seine Gesetzgebung andererseits ebenso voumlllig davon unbe-einflusste Bereiche

Waumlhlen wir etwa die Architektur (S 112ndash125) als Beispiel fuumlr die bdquoKom-plexitaumltldquo (S 113) und bdquoMehrdeutig-keitldquo (S 114) des Wirkens Konstantins Einerseits baute der Kaiser jede Menge oumlffentlicher Bauten die durchaus mit roumlmischer und griechischer religioumlser Kunst geschmuumlckt waren Andererseits stand der Kirchenbau in Rom und dann in Byzanz im Zentrum seines persoumlnli-chen Interesses Ein typisches Beispiel ist der Konstantinbogen in Rom Ei-nerseits unterscheidet er sich im ersten Moment nicht von anderen derartigen Bauten Ein unmittelbarer christlicher

Bezug fehlt von den teilweise christli-chen Militaumlrzeichen der abgebildeten Offiziere abgesehen Andererseits wird nirgends den roumlmischen Goumlttern ge-dankt am auffaumllligsten nicht Jupiter wie bis dahin uumlblich Eine Jupiterfi-gur ist zwar zu sehen aber Konstantin wendet ihr den Ruumlcken zu Vielmehr wird dem groszligen Gott gedankt der sich Konstantin offenbart hat Das ver-standen die Christen christlich fuumlr die anderen war es nicht automatisch ein Affront

Auch christliche Symbole sind ein schoumlnes Beispiel So standen sie auf Muumlnzen oder Standarten nach 312 laumlnger neben aumllteren religioumlsen Symbo-len die sie erst allmaumlhlich abloumlsten bis schlieszliglich die menschlich dargestell-ten heidnischen Gottheiten aumlhnlich wie spaumlter im Mittelalter nur noch als

52 7 8 6 uuml

mythischer Schmuck dienten (S 71ndash79) War Konstantins Uumlbertritt zum Chris-tentum eine sbquoechtelsquo Bekehrung Leithart betont zu Recht dass die Frage ist was das damals bedeutete (S 79ndash80) Kons-tantin nahm etwa persoumlnlich die chris-tologische Entscheidung von Nizaumla an (S 89ndash90) was heute fuumlr uns bedeut-samer ist als damals Hier haumltte Leithart viel deutlicher ndash wie Girardet in den im Folgenden besprochenen Werken ndash da-rauf verweisen koumlnnen dass Bekehrung vor allem bedeutete den Goumltzendienst aufzugeben Viel staumlrker haumltte herausge-arbeitet werden muumlssen welche zentrale Rolle der Verzicht auf das Opfer zu Ju-piter nach dem Sieg uumlber die Mitkaiser spielt (S 66ndash67) Hier zitiert Leithart zwar eine deutsche Quelle von 1955 die er aber wohl nicht lesen konnte Die umfangreichen deutschen Studien dazu kennt er nicht (siehe unten)

Auch bei anderen Fragen ist Leithart auf der richtigen Spur haumltte aber mit deutschen Quellen bessere Belege an-fuumlhren und die Bedeutung der Ergeb-nisse staumlrker herausstellen koumlnnen So geht Leithart davon aus dass die eigent-liche Kreuzesvision Konstantins bereits 310 in Grand in den Vogesen (heute in Frankreich) stattfand wahrscheinlich als bdquoRinghaloldquo (S 77ndash78) die neuesten Belege dafuumlr fuumlhrt er aber nicht an

Erfreulicherweise bezeichnet Leithart das bdquoEdikt von Mailandldquo als bdquoFiktionldquo (S 98ndash99) Tatsaumlchlich vereinbarten die

beiden Kaiser Konstantin und Licinus nach einem Treffen in Mailand in ei-nem Brief vom Juni 313 aus Nikomedia die Ruumlckgabe von konfisziertem Kir-chengut und die Religionsfreiheit der Christen nicht aber deren Vorrangstel-lung geschweige denn eine Stellung als Staatsreligion (S 99ndash100) Tatsaumlchlich hat Konstantin die Freiheit der Nicht-christen nicht beschraumlnkt

Je laumlnger je mehr geht es Leithart aber nicht nur um eine Ehrenrettung Kons-tantins sondern darum ihn als Vorbild fuumlr christliche Politik hinzustellen Aus Leitharts Sicht gilt bdquoKonstantin liefert uns in vielerlei Hinsicht ein Modell fuumlr christliche politische Praxisldquo [bdquoConstan-tine provides in many respects a model for Christian political practiceldquo] (S 11) Die Aussage dass Konstantin in vie-ler Hinsicht fuumlr christliches politisches Handeln steht geht natuumlrlich weit uumlber das hinaus was Leithart belegt und be-sonders was er widerlegt Zwar ist zu wuumlrdigen dass Konstantin aus christ-licher Motivation auch Gesetze huma-nisiert und brutale Elemente der roumlmi-schen Kultur beendet hat Auch hat es Konstantin geschafft das Christentum zu foumlrdern ohne die Religionsfreiheit der anderen einzuschraumlnken Aber ob das fuumlr seine Vorbildfunktion reicht Und haumltte man dann nicht gruumlndlicher diskutieren muumlssen ob die Foumlrderung des Christentums als vom Staatsober-haupt gewuumlnschter Religion und Reli-

gionsfreiheit wirklich gleichzeitig moumlg-lich sind und inwiefern ein Christ als Staatslenker die Politik praumlgen sollte und kann

Ausfuumlhrlich belegt Leithart dass die Sicht von Yoder und anderen die Fruumlhe Kirche sei vollstaumlndig pazifistisch gewe-sen und habe erst durch oder nach Kon-stantin ihre Sicht geaumlndert dass man nicht in der roumlmischen Armee dienen koumlnne einseitig ist Tatsaumlchlich gab es um diese Fragen eine breite Diskussion in der Fruumlhen Kirche Schon vor Kon-stantin bis zuruumlck zur Zeit der Apos-tel dienten Christen als Soldaten und Offiziere in der roumlmischen Armee (S 255ndash278) die ja zugleich die Polizeige-walt innehatte Aber auch hier ist es ein weiter Weg zur Vorbildfunktion Kon-stantins die auch ohne Pazifismus die Frage klaumlren muumlsste wie das Verhaumlltnis der christlichen Kirche zu legalen Ins-titutionen des staatlichen Gewaltmono-pols sein sollte

Ich persoumlnlich haumltte mir eine klarere Trennung in einen historischen Teil zu Konstantin und einen ethischen Teil zum Verhaumlltnis von Kirche und Staat gewuumlnscht Da Yoder die beiden Fragen bis zur Unkenntlichkeit vermischt folgt ihm Leithart wenn es bei ihm auch viel einfacher ist die Gedanken zum einen oder anderen voneinander zu trennen

Eigentlich handelt es sich fuumlr mich sogar um vier Fragenkomplexe die hier verschwimmen 1 Was ist historisch

zur Konstantinbiografie zuverlaumlssig zu sagen 2 Wie viel des spaumlteren mittelal-terlichen christlichen Europas geht auf Konstantin zuruumlck und wie viel nicht heiszligt also das konstantinische Zeitalter zu Recht so oder nicht 3 Was ist gut und richtig ndash das heiszligt wie sollte es ide-alerweise biblisch-theologisch sein Und 4 Wie ist im Licht des Ideals Konstan-tin die spaumltere Entwicklung des Mittel-alters zu bewerten oder kann man eine solche Bewertung gar nicht vornehmen

Durch die starke Fixierung des Buches auf Yoder vor allem im hinteren Teil (S 254ndash342) und dem angekuumlndigten Wechsel von der Biografie zur Polemik im Laufe des Buches (S 10ndash11) wird das Buch leider auch sehr auf den ame-rikanischen Bereich zugeschnitten und ist gerade im hinteren Teil fuumlr Christen in Europa oder im globalen Suumlden nicht relevant

Drei Buumlcher von Girardet

Dem Buch von Leithart moumlchte ich drei Werke von Klaus M Girardet gegen-uumlberstellenA) Klaus M Girardet Der Kaiser und sein Gott Das Christentum im Denken und in der Religionspolitik Konstantins des Groszligen Millenium-Studien 27 Ber-lin de Gruyter 2010 212 Seiten ISBN 978-3110227888 7495 Euro

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 537 8 6 uuml

Neuere Buumlcher uumlber Konstantin den Groszligen

B) Klaus M Girardet (Hg) Kaiser Kon-stantin der Groszlige Historische Leistung und Rezeption in Europa Bonn Ru-dolf Habelt 2007 darin bes Klaus M Girardet bdquoDas Christentum in Denken und in der Politik Kaiser Konstantin d Grldquo S 29ndash54 208 Seiten ISBN 978-3774934740C) Klaus M Girardet Die konstantini-sche Wende Voraussetzungen und geistige Grundlagen der Religionspolitik Kons-tantins des Groszligen Darmstadt Wissen-schaftliche Buchgesellschaft 2006 2002 204 Seiten ISBN 978-3534191161 4990 Euro

Stellen wir dem Buch von Leithart die Buumlcher zu Konstantin des deutschen Forschers Klaus Girardet gegenuumlber Grund fuumlr die intensive Erforschung Konstantins auf deutscher Seite ist un-ter anderem dass Trier zeitweise dessen Hauptstadt war

Girardet unterscheidet drei For-schungsrichtungen (A S 22ndash24) 1 Auffassung dass Konstantin bereits von Haus aus Christ war oder sich 310 bis 312 oder uumlber einen noch laumlngeren Zeitraum dem Christentum zuwandte 2 Auffassungen dass sich Konstan-tin zwar dem Monotheismus undoder Sonnenkult mit gewissen christlichen Elementen zuwandte nicht aber Christ nach damaligen und heutigen Maszligstauml-ben wurde 3 Die Auffassung dass es weder fuumlr die erste noch fuumlr die zweite Auffassung Hinweise gibt

Girardet beantwortet in einem eigenen Beitrag die Frage bdquoChristliche Kaiser vor Konstantinldquo (C S 13ndash38) sehr uumlber-zeugend negativ anhand jedes einzelnen Kaisers und seiner Familien vor Kons-tantin

Girardet lehnt treffend moderne Maszligstaumlbe dafuumlr ab ob Konstantins Be-kehrung sbquoechtlsquo sbquoaufrichtiglsquo oder sbquorichtiglsquo war und Konstantin sbquorechtglaumlubiglsquo wur-de (C S 59) Er geht davon aus dass das herausragende Kennzeichen des Christ-seins und Christwerdens in der Antike und im 4 Jahrhundert die bdquoAbsage an den Goumltterkultldquo (C S 60) gewesen sei Also muumlsse vor allem gefragt werden ob Konstantin diese vollzogen habe bdquoDie Verweigerung des Goumltzenopfersldquo durch Konstantin sei gut belegt (C S 60ndash71 A S 78ndash88) ndash unter anderem direkt nach dem Sieg uumlber seine Mitkaiser da Kon-stantin am Ende des Triumphzuges (der streng genommen keiner war da keine Feinde sondern ein Mitkaiser besiegt wurde) in Rom am 2910312 fuumlr alle erkennbar nicht als Ende und Houmlhe-punkt das uumlbliche Dankopfer an Jupi-ter Optimus Maximus auf dem Kapitol darbrachte sondern direkt in seinen Pa-last zog

Dafuumlr findet Girardet viele Belege So sieht der heidnische Historiker Zosimos (II 72) in der Unterlassung des Dank-opfers an Jupiter den Grund fuumlr den Beginn des politischen Niedergangs von Rom (C S 70) Das Dankopfer an Ju-

piter fehlt auch auf dem 315 errichteten Konstantinbogen auf dem statt Jupiter der bdquoinstinctu divinitatisldquo der Einge-bung der Gottheit gedankt wird

Auffaumlllig ist ab 312 in Berichten oder eben auf dem Konstantinbogen das erstmals der Gott der den Sieg verur-sachte keinen Namen hat sondern all-gemein bdquosumma divitasldquo und aumlhnlich heiszligt (C S 68)

Kurz nach der Verweigerung des Dankopfers an Jupiter 312 erscheinen erste Muumlnzen mit dem Christogramm (B S 42) Alles spricht dafuumlr dass es bereits Christuszeichen auf dem Helm des Kaisers und den Feldzeichen gab (A S 64ndash67) wobei das Christuszeichen wohl nicht das heute vertraute Kreuz war sondern das Chi-Rho

Girardet geht ausfuumlhrlich auf die drei zentralen Texte zur Vision des Christus-zeichens an der Milvischen Bruumlcke ein (A S 30ndash40) Nirgends wird gesagt so Girardet dass die Vision erst an der Bruumlcke geschah (A S 49ndash51) Vielmehr duumlrfte Konstantin bereits 310 einen so-genannten bdquoRinghaloldquo in Grand in den (heute franzoumlsischen) Vogesen gesehen haben den dann sein militaumlrisches Be-gleitkommando auch sehen konnte Ein Halo ist ein atmosphaumlrischer Lichtef-fekt durch Brechung bzw Reflexion von Licht an Eiskristallen Er kann die Form einer inneren kleineren Sonne mit vier Strahlen in alle Richtungen wie ein Kreuz annehmen

Giradet liefert auszligerdem viele Belege aus Konstantins fruumlhen Reden ab 312 fuumlr seine Parteinahme fuumlr das Chris-tentum (A S 89ndash123) Die spaumlte Tau-fe Konstantins ist fuumlr ihn normal und damals uumlblich gewesen zumal Kon-stantin offensichtlich davon ausging dass er nach der Taufe nicht mehr das kaiserliche Purpur tragen koumlnne (A S 106ndash107)

Interessant ist auch Girardets Dar-stellung bdquoNichtchristen im Denken und Handeln Konstantinsldquo (C S 113ndash133 siehe auch A S 137ndash139) Konstantin hat das Christentum niemandem auf-gezwungen und lieszlig den Heiden ihre Freiheit Wie Leithart sieht er bei Kons-tantin das Element der Religionsfreiheit in einem Maszlige gegeben wie es dies bei den roumlmischen Kaisern vorher nicht gab

Aufsaumltze

Schauen wir noch auf einige der von Girardet herausgegebenen Aufsaumltze Ti-ziana J Chiusi (bdquoDer Einfluss des Chris-tentums auf die Gesetzgebung Konstan-tinsldquo S 55ndash64 in Klaus M Girardet [Hg] Kaiser Konstantin der Groszlige A a O) zeigt die Ambivalenz der Gesetz-gebung Konstantins Strengere Gesetze fuumlr die Flucht von Sklaven stehen ne-ben Gesetzen zur humanen Behandlung der Sklaven und der Beguumlnstigung ihrer Freilassung (B S 60) Deutlich christ-lich beeinflusst sind die Abschaffung

54 7 8 6 uuml

der Todesstrafe durch Kreuzigung das Verbot von Brandmalen im Gesicht das Verbot der Gladiatorenspiele (B S 61) oder die Einfuumlhrung des Sonntags als Ruhetag eine eindeutige Foumlrderung und Werbung fuumlr das Christentum (B S 63)

Wegweisend finde ich die drei grund-legenden Veraumlnderungen des Christen-tums die Konstantin bewirkt hat wie sie Karl-Heinz Ohlig (bdquoStrukturelle Aus-wirkungen der Konstantinischen Wende auf das Christentumldquo S 75ndash86 In Klaus M Girardet [Hg] Kaiser Kons-tantin der Groszlige A a O) benennt und erlaumlutert die Sakralisierung die Ver-rechtlichung und die Hellenisierung des Christentums

Die Sakralisierung des Christentums betraf vor allem die Rolle der Kirche ihre Aumlmter und die Sakramente da seit-dem die von sakralen Maumlnnern geleitete kultische Praxis im Mittelpunkt steht (B S 81) Die Verrechtlichung des Chris-tentums ist in der katholischen Kirche bis heute erhalten und grundlegend (B S 82) Die weitreichendsten Folgen hatte aber nach Ohlig die Hellenisierung des Christentums (B S 85) Auf alle diese Fragen etwa geht Leithart nicht ein

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher Werbung

Glaube braucht Wissen

Unser Konzept

Mit neuen Dienstleistungen und Zugangs-wegen zu biblischen und serioumlsen Inhalten verstehen wir uns als ein attraktives An-gebot fuumlr Menschen von heute die mehr uumlber Gott Ethik Naturwissenschaft fuumlrs alltaumlgliche Leben wissen wollen Denn Gottes Wort gehoumlrt in den Alltag Genau hier setzt GENiaLeBuecherde an

Unsere Ziele

Die gesellschaftliche Religiositaumlt hat in unserer Zeit neue individuelle Wege ge-funden Dafuumlr benoumltigen die Menschen all-tagstaugliche biblische verlaumlssliche Quel-len und Mittel GENiaLeBuecherde bietet Inhalte und Informationsquellen fuumlr das alltaumlgliche Leben von Einzelnen und Ge-meinschaften an Wir verbinden Internet und Gedrucktes

Unser Weg

GENiaLeBuecherde geht hierbei nicht nur den Weg des klassischen Handels son-dern unterstuumltzt bewusst christliche Ins-titutionen indem GENiaLeBuecherde fuumlr diese Partner neue Vertriebswege schafft bzw vorhandene ausweitet Diese Part-ner sind ua auch Institutionen (Werke Vereine) die von Zuwendungen (Spenden) getragen werden

Die Zeit ist reif fuumlr diese Kreativi-taumlt fuumlr diese neuen Zugangswege und Kommunikationsmittel

Viel Freude beim Stoumlbern auf unseren Seiten

wir praumlsentieren bull Buumlcher bull CDs amp DVDs bull Kalender amp Zeitplansysteme bull ein Antiquariat bull Sonderposten bull Message Shirts bull Tipps amp Downloads und vieles mehr

Wo und wie bekommt man einen leichtenZugang zu biblischem serioumlsem Wissen

glauben amp denken heute 22012 557 8 6 uuml

Novum Testamentum Graece x 28

Carsten Friedrich

Barbara Aland u a (Hrsg) Novum Tes-tamentum Graece 28 revidierte Aufla-ge Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 2012 1008 Seiten bzw 1219 Seiten (mit Woumlrterbuch) ISBN 978-3438051400 bzw 978-3438051592 28 bzw 35 Euro

Ein langes Warten fand im September ein Ende Die 28 Auflage des Nestle-Aland ist erschienen Das Novum Tes-tamentum Graece ist als wissenschaft-liche Ausgabe des Neuen Testaments in seiner griechischen Ursprache ein Standardwerk (neben dem UBS Greek New Testament) Es dient weltweit als Grundlage fuumlr Uumlbersetzungen und wis-senschaftliches Arbeiten Nach seinen fruumlheren Herausgebern Eberhart Nestle und Kurt Aland wird es bis heute oft-mals einfach bdquoNestle-Alandldquo genannt (abgekuumlrzt NA)

Revidierter Text in den Katholischen Briefen

Die bisherige 27 Auflage (NA27) war 1993 erschienen Ihr lag der unveraumln-derte Text der 26 Auflage von 1979 zugrunde Damals wurde nur der Ap-parat einer weitgehenden Revision un-terzogen Damit liegt nun mit der 28 Auflage (NA28) nach 33 Jahren erst-mals eine Ausgabe mit Textaumlnderungen vor Wer nun meint nach 33 Jahren ei-nen komplett revidierten Text des Neu-en Testaments erwarten zu duumlrfen der irrt Die Revision des Textes betrifft nur die bdquoKatholischen Briefeldquo also den Brief des Jakobus die beiden Petrus-Briefe die drei Briefe des Johannes und den Judas-Brief Fuumlr diesen Teil des Neuen Testaments liegt naumlmlich mittlerweile

die Editio Critica Maior (ECM) vor die bisher umfangreichste auf Vollstaumlndig-keit abzielende Aufarbeitung der textli-chen Bezeugung des NT1 Die Entschei-dungen der ECM (in der 2 Auflage) wurden fuumlr NA28 uumlbernommen womit sich der Text gegenuumlber NA27 an insge-samt 34 Stellen aumlndert Eine komplette Auflistung dieser Stellen findet sich in der Einfuumlhrung zu NA28 auf Seite 6 Drei dieser Aumlnderungen seien hier als Beispiele aufgefuumlhrt

1Petr 416

NA27 εἰ δὲ ὡς Χριστιανός μὴ αἰσχυνέσθω δοξαζέτω δὲ τὸν θεὸν ἐν τῷ ὀνόματι τούτῳ

Wenn aber jemand als Christ [leidet V15] so schaumlme er sich nicht son-

dern mache Gott durch diesen Namen [bdquoChristldquo] Ehre

NA28 ECM2 εἰ δὲ ὡς Χριστιανός μὴ αἰσχυνέσθω δοξαζέτω δὲ τὸν θεὸν ἐν τῷ μέρει τούτῳWenn aber jemand als Christ [leidet V15] so schaumlme er sich nicht sondern mache Gott in dieser Angelegenheit Ehre

2Petr 218

NA27 uperogka gar mataiothtoj fqeggomenoi deleazousin en epiqummiaij sarkoj aselgeiaij touj ovligwj avpofeugontaj touj evn planh| avnastrefomenouj

Denn indem sie hochfahrende Reden fuumlhren hinter denen nichts ist locken

56 7 8 6 uuml

sie im Taumel fleischlicher Begierden durch Ausschweifungen solche an sich die sich eben erst von den im Irrwahn Wandelnden abgekehrt hatten (Menge)

NA28 ECM ὑπέρογκα γὰρ μα-ταιότητος φθεγγόμενοι δελεάζουσιν ἐν ἐπιθυμίαις σαρκὸς ἀσελγείαις τοὺς ὄντως ἀποφεύγοντας τοὺς ἐν πλάνῃ ἀναστρεφομένους Denn indem sie hochfahrende Reden fuumlhren hinter denen nichts ist locken sie im Taumel fleischlicher Begierden durch Ausschweifungen solche an sich die sich wirklich von den im Irrwahn Wandelnden abgekehrt hatten (nach Menge abgewandelt)

Judas 5

NA27 Ὑπομνῆσαι δὲ ὑμᾶς βούλομαι εἰδότας [ὑμᾶς] πάντα ὅτι [ὁ] κύριος ἅπαξ λαὸν ἐκ γῆς Αἰγύπτου σώσας τὸ δεύτερον τοὺς μὴ πιστεύσαντας ἀπώλεσενIch will euch aber erinnern obwohl ihr dies alles schon wisst dass der Herr nachdem er dem Volk das eine Mal aus Aumlgypten geholfen hatte das andere Mal die umbrachte die nicht glaubten (Lu-ther 84)

NA28 ECM Ὑπομνῆσαι δὲ ὑμᾶς βούλομαι εἰδότας ὑμᾶς ἅπαξ πάντα ὅτι Ἰησοῦς λαὸν ἐκ γῆς Αἰγύπτου σώσας τὸ δεύτερον τοὺς μὴ πιστεύσαντας ἀπώλεσεν

Ich will euch aber erinnern obwohl ihr alles ein fuumlr allemal wisst dass Jesus nachdem er dem Volk das aus Aumlgypten geholfen hatte das andere Mal die um-brachte die nicht glaubten (nach Lu-ther 84 abgewandelt)

In den Katholischen Briefen wurde je-doch nicht nur der Text der ECM uumlber-nommen Auch der Apparat wurde auf der Basis der ECM grundlegend neu konstruiert So entfaumlllt bei den Katho-lischen Briefen beispielsweise das Sigel

fuumlr den Mehrheitstext zugunsten des Sigels bdquoByzldquo (Byzantischer Text)

Eine Uumlbergangsloumlsung

Dass sich die textlichen Aumlnderungen nur auf die Katholischen Briefe erstre-cken macht deutlich dass es sich bei NA28 um eine Uumlbergangsloumlsung han-delt Denn bdquoauf lange Sichtldquo soll das gesamte NT in dieser Weise uumlberarbei-tet werden so die Herausgeber die ihr Vorgehen als bdquozweigleisige Revisionldquo be-schreiben3 Aber schon die Herausgabe dieser Uumlbergangsloumlsung als 28 Auflage macht deutlich dass bis zum eigentli-chen Ziel noch viele Jahre vergehen wer-den und bis dahin eben diese Variante (bzw weitere Auflagen mit jeweils er-weiterten Textrevisionen) der Standard sein wird den keiner umgehen kann der sich mit dem griechischen Urtext des NT beschaumlftigen will

Revision des gesamten Apparats

Allerdings gibt es auch Neuerungen die sich nicht nur auf die Katholischen Brie-fe beschraumlnken sondern den gesamten NA28 betreffen So liegt der gesamten Ausgabe eine Revision des kritischen Apparats zugrunde die diesen uumlber-sichtlicher und einfacher nutzbar ma-chen soll Die wichtigsten Aumlnderungen diesbezuumlglich sind folgendebullthinspthinspErstmalsthinsp wurdenthinsp diethinsp Lesartenthinsp derthinsp

neu entdeckten Papyri 117ndash127 verzeichnet

bullthinspthinspDiethinsp Unterscheidungthinsp vonthinsp staumlndigenthinspZeugen erster und zweiter Ordnung wurde aufgegeben um bisher da-mit verbundene Unklarheiten zu beseitigen

bullthinspthinspImthinspApparatthinspwerdenthinspzudemthinspkeinethinspKon-jekturen (verbessernde Eingriffe in den Text) mehr zitiert Diese werden in Zukunft mit Quelle in einem ge-sonderten Verzeichnis fuumlr den Nestle Aland digital (siehe Abschnitt unten) zur Verfuumlgung gestellt

bullthinspthinspVariantenthinsp imthinsp textkritischenthinsp Apparatthinspwerden so weit moumlglich ausgeschrie-ben und ohne Einbettung von Subva-rianten dargestellt

bullthinspthinspWeilthinspbisherthinspoftthinspmissverstandenthinspwurdethinspauch auf die Abkuumlrzungen pc (pauci) und al (alii) verzichtet

bullthinspthinspDiethinsp Verknupfungthinsp vonthinsp Apparatnotie-rungen mit et und sed wurde aufge-loumlst Die Bezeugungen werden jetzt getrennt notiert

bullthinspthinspLateinischethinsp Abkurzungenthinsp undthinsp Zwi-schentexte wurden reduziert und im Abkuumlrzungsverzeichnis uumlbersetzt

bullthinspthinspDiethinsp Editionumthinsp differentiaethinsp (Appen-dix III in NA27) die einen Uumlber-blick uumlber die Textentscheidungen der wichtigsten neuzeitlichen Ausgaben des griechischen NT im Vergleich zu NA27 bot entfaumlllt bei NA28 weil eine Uumlberarbeitung unverhaumlltnismauml-szligig aufwendig gewesen waumlre

bullthinspthinspDiethinspVerweisstellenthinspamthinspaumluszligerenthinspRandthinspwurden auf ihre Aussagekraft hin uumlberpruumlft

Die hier aufgelisteten Aumlnderungen ma-chen deutlich dass es den Herausgebern mit ihrer Zielstellung durchaus ernst ist den NA28 benutzerfreundlicher zu machen Angaben die bisher in ihrer Art und Weise irritierend und unnouml-tig kompliziert waren wurden fuumlr den NA28 deutlich verbessert Dass natuumlr-lich auch der NA28 noch ein sehr kom-plexes Werk ist das den Benutzern eine intensive Beschaumlftigung abverlangt ist selbstverstaumlndlich4 Dies ist sowohl der Materie an sich als auch der Zielstel-lung der Autoren geschuldet bdquodie in der Ausgabe vorliegende Rekonstrukti-on des griechischen Ausgangstextes kri-tisch nachvollziehbar und uumlberpruumlfbar zu machenldquo5

Carsten Friedrich

glauben amp denken heute 22012 577 8 6 uuml

Nestle Aland digital

Viele Benutzer wird es erfreuen dass es den NA28 auch in digitaler Form ge-ben wird ndash und zwar samt Apparat Die Herausgeber verfolgen mit dem Nestle Aland digital hauptsaumlchlich zwei Ziel-stellungen6 zum einen im Hinblick auf die Aktualitaumlt der gebotenen Informati-onen Korrekturen und neue Notierun-gen sollen via Internet innerhalb kurzer Zeit zur Verfuumlgung gestellt werden zum anderen im Hinblick auf die Klarheit der Praumlsentation und die Verknuumlpfung mit weiteren Dokumenten und Daten So sollen beispielsweise Abkuumlrzungen und Sigel in eingeblendeten Fenstern erklaumlrt werden Daruumlber hinaus soll es eine Verknuumlpfung mit den vollstaumlndi-gen Transkripten und Fotos der ein-bezogenen Handschriften geben Wie oben schon erwaumlhnt soll auszligerdem ein Verzeichnis aller Konjekturen samt deren Quellen in der digitalen Variante enthalten sein

Das Erscheinen des Nestle Aland di-gital ist fuumlr 2013 angekuumlndigt Es soll ihn dann fuumlr PC Mac und Smartphone fuumlr ca 30 Euro geben Bis dahin darf man gespannt warten inwieweit sich die wirklich vielversprechenden Ankuumln-digungen der Herausgeber erfuumlllen

Novum Testamentum Graece x 28 Werbung

Struktur

14 selbstaumlndige Studienzentren in 6 Laumln-dern mit einheimischen Traumlgervereinen

5 uumlbergreifende Institute

Rektor Prof Dr Thomas Schirrmacher

Dekane Thomas Kinker ThD (USA) Titus Vogt lic theol

Mission durch Forschung

Internationales Institut fuumlr Religionsfreiheit (Partner Weltweite Ev Allianz)

Studienprogramm mit Schwerpunkt Islam zusammen mit dem Institut fuumlr Islamfragen

Institut fuumlr Lebens- und Familienwissenschaft

Institut fuumlr Notfallseelsorge Sterbebegleitung und Trauerseelsorge

Institut fuumlr Seelsorgeausbildung

Martin Bucer Seminar

infobucerdewwwbucerde

hellip damit die Heiligen zugeruumlstet werden zum Werk des Dienstes

Epheser 412

1 bdquoDie Editio Critica Maior dokumentiert die griechi-sche Textgeschichte des ersten Jahrtausends anhand der uumlberlieferungsgeschichtlich wichtigen griechi-schen Handschriften alten Uumlbersetzungen und neu-testamentlichen Zitate in der antiken christlichen Li-teratur Auf der Basis genealogischer Untersuchungen des erstmals mit dieser Vollstaumlndigkeit aufbereiteten Materials wird der Text neu rekonstruiert Die Aus-wahl der Handschriften beruht auf einer Auswertung der gesamten Primaumlruumlberlieferungldquo URL httpwwwuni-muensterdeNTTextforschungProjektehtml [Stand 23102012] Ausfuumlhrlichere Informati-onen zur ECM finden sich unter URL httpwwwuni-muensterdeNTTextforschungECMhtml2 Griechischer Bibeltext aus Barbara Aland u a (Hrsg) Novum Testamentum Graece 28 revidierte Auflage Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 20123 bdquohellip so muss fuumlr die uumlbrigen neutestamentlichen Schriften mit der Neukonstitution des Textes so lan-ge gewartet werden bis mit dem Fortschreiten der Ar-beit an der ECM die dafuumlr noumltigen Materialien und Erkenntnisse vorliegen Die sich daraus ergebende relative Uneinheitlichkeit der 28 Auflage ist unver-meidlich will man die neuen Erkenntnisse aus der Arbeit an der ECM in die Handausgaben einflieszligen lassen obwohl solche nur fuumlr einen Teilbereich des Neuen Testaments vorliegenldquo Holger Strutwolf im Vorwort zum NA284 Die Deutsche Bibelgesellschaft gibt deshalb eine gesonderte Einfuumlhrung zum NA28 heraus David Trobisch Die 28 Auflage des Nestle-Aland Eine Einfuumlhrung Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 2013 Leider ist es nicht gelungen diese Einfuumlhrung zeitgleich mit dem NA28 auf den Markt zu bringen Aus dem urspruumlnglich angekuumlndigten Veroumlffentli-chungstermin November 2012 ist mittlerweile Fruumlh-jahr 2013 geworden Weitere Informationen zu dieser Einfuumlhrung finden sich unter URL httpwwwbibelonlinedeproductsWissenschaftliche-Bibelaus-gabenUrtexte-Neues-TestamentDie-28-Auflage-des-Nestle-Aland-eine-Einfuehrunghtml 5 NA28 A a O S 2 6 NA28 A a O S 3f

Anmerkungen

Gemeinde- und berufsbegleitend

Studenten bleiben in ihren Gemeinden

Anleitung zum eigenstaumlndigen Denken

Vom Wachstum der weltweiten Gemeinde Jesu lernen

Lehre und Forschung Lernen und selbst entwickeln

Das heiszligt das Alte und Bewaumlhrte kennen lernen und voumlllig Neues erforschen

Fundierte Ausbildung fuumlr das Reich Gottes

Studenten werden an Forschung beteiligt die christ-liche Ethik in das Herz der Gesellschaft traumlgt z B durch unsere erfolgreichen Institute

Internationales Institut fuumlr Religionsfreiheit (Partner Weltweite Ev Allianz)

Institut fuumlr Islamfragen (Partner Deutschsprachige Evang Allianzen)

Eigenes Studienprogramm mit Schwerpunkt Islam

Eigenes Studienprogramm mit Schwerpunkt Seelsorge

Institut fuumlr Lebens- und Familienwissenschaft

Institut fuumlr christliche Weltanschauung (Apologetik)

Mission durch Forschung

Abwanderung von Mitarbeitern verhindern

Wir gruumlnden Studienzentren gern in Regionen mit wenig ausgepraumlgter christlicher Infra-struktur wo wir die Abwanderung wichtiger Mitarbeiter im Reich Gottes in sowieso gut versorgte Regionen verhindern wollen z B Studienzentren in Chemnitz und Berlin fuumlr die neuen Bundeslaumlnder (keine Abwanderung nach Westen)

Studienzentrum Innsbruck und Linz zusammen mit dem Evangelikalen Bildungswerk in Oumlster-reich (keine Abwanderung nach Deutschland)

Studienzentrum Istanbul (keine Abwanderung in die USA)

weitere Infolsquos unter wwwbucereu

  1. Schaltflaumlche1
  2. Schaltflaumlche2
  3. Schaltflaumlche3
  4. Schaltflaumlche4
  5. Schaltflaumlche5
  6. Schaltflaumlche6
  7. Schaltflaumlche7
  8. Schaltflaumlche8
  9. Schaltflaumlche9
  10. Schaltflaumlche10
  11. Schaltflaumlche11
  12. Schaltflaumlche12
  13. Schaltflaumlche13
  14. Schaltflaumlche14
  15. Schaltflaumlche15
  16. Schaltflaumlche16
  17. Schaltflaumlche17
  18. Schaltflaumlche18
  19. Schaltflaumlche19
  20. Schaltflaumlche20
  21. Schaltflaumlche21
  22. Schaltflaumlche22
  23. Schaltflaumlche23
  24. Schaltflaumlche24
  25. Schaltflaumlche25
  26. Schaltflaumlche26
  27. Schaltflaumlche27
  28. Schaltflaumlche28
  29. Schaltflaumlche29
  30. Schaltflaumlche30
  31. Schaltflaumlche31
  32. Schaltflaumlche32
  33. Schaltflaumlche33
  34. Schaltflaumlche34
  35. Schaltflaumlche35
  36. Schaltflaumlche36
  37. Schaltflaumlche38
  38. Schaltflaumlche39
  39. Schaltflaumlche40
  40. Schaltflaumlche41
  41. Schaltflaumlche42
  42. Schaltflaumlche43
  43. Schaltflaumlche44
  44. Schaltflaumlche45
  45. Schaltflaumlche46
  46. Schaltflaumlche47
  47. Schaltflaumlche48
  48. Schaltflaumlche49
  49. Schaltflaumlche50
  50. Schaltflaumlche51
  51. Schaltflaumlche52
  52. Schaltflaumlche53
  53. Schaltflaumlche54
  54. Schaltflaumlche55
  55. Schaltflaumlche56
  56. Schaltflaumlche57
  57. Schaltflaumlche58
  58. Schaltflaumlche59
  59. Schaltflaumlche60
  60. Schaltflaumlche61
  61. Schaltflaumlche62
  62. Schaltflaumlche63
  63. Schaltflaumlche64
  64. Schaltflaumlche65
  65. Schaltflaumlche66
  66. Schaltflaumlche67
  67. Schaltflaumlche68
  68. Schaltflaumlche69
  69. Schaltflaumlche70
  70. Schaltflaumlche71
  71. Schaltflaumlche72
  72. Schaltflaumlche73
  73. Schaltflaumlche74
  74. Schaltflaumlche75
  75. Schaltflaumlche76
  76. Schaltflaumlche77
  77. Schaltflaumlche78
  78. Schaltflaumlche79
  79. Schaltflaumlche80
  80. Schaltflaumlche81
  81. Schaltflaumlche82
  82. Schaltflaumlche83
  83. Schaltflaumlche84
  84. Schaltflaumlche37
Page 7: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen

glauben amp denken heute 22012 77 8 6 uuml

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden

In 1Kor 121 schreibt Paulus bdquoWas aber die geistlichen Gaben betrifft Ge-schwister will ich nicht dass ihr ohne Kenntnis seidldquo Sechs Kernaussagen sollen uns deswegen in die wich tige Thematik der Geistesgaben einfuumlh ren

1 These Nicht nur die Gaben sonshydern auch die Auf gaben und die Auswirkungen unseres Dienstes sind sehr unterschied lichIn 1Kor 123ndash6 stellt Paulus die Gna-dengaben in den groumlszligeren Zusam-menhang unseres Dienstes fuumlr Gott bdquoEs gibt aber Verschiedenheiten der Gnadengaben aber es ist derselbe Geist und es gibt Verschiedenheiten der Dienste und es ist derselbe Herr und es gibt Ver schiedenheiten der Wir-kungen aber es ist derselbe Gott der alles in allen wirktldquo Paulus stellt damit je dem Bereich die Person der Dreiei-nigkeit gegenuumlber die in besonde rer Weise dafuumlr zustaumlndig ist Wir koumln-nen uns 1Kor 123ndash6 fol gendermaszligen veranschau lichen

Die Dreieinigkeit und die Gaben in 1Kor 123ndash6

bdquoverschiedene Gnadengabenldquo bdquoein Geistldquo bdquoverschiedene Diensteldquo bdquoein Herrldquobdquoverschiedene Wirkungenldquo bdquoein Gottldquo

Der Heilige Geist schenkt die Geistes-gaben also die Voraussetzungen fuumlr den Dienst Jesus Christus ist das Vor-bild fuumlr den Dienst schlechthin und

Gott der Vater ist der der alles wirkt und damit auch uumlber die Auswirkun-gen des Dienstes entscheidet Wir koumln-nen das Schema von 1Kor 123ndash6 also mit eigenen Worten folgen dermaszligen wie dergeben

Die Dreieinigkeit und die Gaben in 1Kor 123ndash6

verschiedene Voraussetzungen zum Dienst

Heiliger Geist

verschiedene Dienste

Jesus der Herr

verschiedene Ausshywirkungen des Dienstes

Gott der Vater

Einmal angenommen zwei Christen haumltten zwei voumlllig gleiche Geistesga-ben dann hieszlige das noch lange nicht dass sie dieselbe Aufgabe also densel-ben Dienst haumltten Und angenommen zwei Christen haumltten zwei voumlllig gleiche Gaben und zwei voumlllig gleiche Diens-te koumlnnten sich die Ergebnisse dieser Dienste doch immer noch stark un-terscheiden Wenn also zwei Evange-listen theoretisch zur gleichen Zeit am gleichen Ort evangelisieren koumlnnten koumlnnte es immer noch sein dass der eine eine Erweckung ausloumlst waumlh rend der andere dem Herrn fuumlr ein einziges seelsor gerliches Gespraumlch als Er gebnis seiner Anspra che dankt

In diesem Zusammenhang ist auch wichtig dass dieselbe Gabe in unter-schiedlichem Maszlige verliehen werden kann Paulus bezeichnet in Roumlm 123 wie in Eph 47+16 die Gnadengaben mit dem Begriff bdquoMaszligldquo (= bdquoZuge-messenesldquo) naumlmlich das bdquoMaszlig des Glaubensldquo (Roumlm 123) bzw in Eph 47 das bdquoMaszlig der Gabe des Christusldquo Die Gabe des Evangelisten oder Leh-rers kann in unterschiedlichem Maszlige verliehen werden und wachsen was mit ein Grund dafuumlr ist weswegen der Einsatz derselben Gabe durch verschie-dene Christen ganz unter schiedlichen sbquoErfolglsquo hat

2 These Der Einsatz der Gnadengashyben ist selbstverstaumlndlicher Be standshyteil des Glaubenslebens da jeder Christ eine Gabe empfaumlngtbdquoSo wie jeder eine Gnadengabe emp-fangen hat so dient damit einander als gute Verwalter der verschiedenartigen Gnade Gottes Wenn jemand redet so als Ausspruumlche Gottes wenn jemand dient so aus der Kraft die Gott dar-reicht damit in allem Gott verherr-licht werde durch Jesus Christus dem die Herr lichkeit ist und die Macht in alle Ewigkeit Amenldquo (1Petr 410ndash11) Petrus fasst wieder einmal knapp zu-sammen was Paulus ausfuumlhr lich und teilweise schwerer ver staumlndlich behan-delt (vgl die Aussage von Petrus uumlber Paulus in 2Petr 315ndash16) Petrus lehrt

bullthinspthinspdassthinsp jederthinsp Christthinsp einethinsp Gnadengabethinsphat

bullthinspthinspdassthinsperthinspdemthinspHerrnthinspbdquosoldquothinspundthinspnichtthinspan-ders dienen soll

bullthinspthinspdassthinsp derthinsp Christthinsp nurthinsp bdquoVerwalterldquothinsp derthinspGnade Gottes ist (Verwalter legen Rechenschaft ab und sind nicht die Herren der Gabe)

bullthinspthinspdassthinspdiethinspGabenthinspzumthinspDienstthinspamthinspande-ren gedacht sind

bullthinspthinspdassthinsp diethinsp Gabenthinsp zurthinsp VerherrlichungthinspGottes nicht zur Selbstverherrli-chung gedacht sind

3 These Die Listen der Geistesgashyben im Neuen Testament sind nicht vollstaumlndig sondern nennen nur Beispiele Deswegen kann es durchshyaus Gaben geben die im Neuen Tesshytament nicht genannt werdenDa jede Gabenliste im Neuen Tes-tament nur eine Auswahl der Gaben darbietet und sich viele der genannten Gaben uumlberschneiden will keine eine vollstaumlndige Liste aller moumlglichen Ga-ben vorlegen sondern nur Beispiele nennen Auch wenn einige Gaben (z B sbquoLehrerlsquo und sbquoPro phetlsquo und die an-deren in Eph 411 genannten Gaben) sehr haumlufig genannt und offensichtlich immer benoumltigt werden gibt es keine Gabe die immer genannt wird Des-wegen ist es meines Erachtens berech-tigt auch solche Gaben festzustellen die namentlich nicht im Neuen Testa-ment genannt werden (z B die Gabe

8 7 8 6 uuml

der Gast freundschaft oder die Gabe des Troumlstens) Einige dieser nicht ge-nannten Gaben kommen uumlbrigens in der Bibel in der Praxis in anderen Zusammenhaumlngen oder im Alten Tes-tament vor etwa die Gabe Lieder zu dichten (z B Da vid) oder Sprichwor-te zu verfassen (z B Sa lomo) oder die Gabe der kuumlnstlerischen Gestaltung und der Schnitzkunst fuumlr das Haus des Herrn (2Mose 311ndash6 3530ndash35)

Die in den neutestamentlichen Listen erwaumlhn ten Geistesgaben

1Petr 411 Reden und Dienen [allge-meine Eintei lung]Eph 411 Apostel Propheten Evange-listen Hirten und LehrerRoumlm 126ndash8 Prophezeiender Dienen-der Lehrer Ermahnender Gebender Vorstehender Barmherzigkeit Uumlbender 1Kor 128ndash10 Wort der Weisheit Wort der Erkenntnis Glaube Heilun-gen Wunderwirkungen Prophetie Geistesunterscheidung Sprachenrede Uumlbersetzung der Spra chenrede1Kor 1228ndash30 Apostel Propheten Wundertaumlter Lehrer Heilungen Hil-feleistungen Leitung verschiedene Ar-ten der Sprachen rede Uumlbersetzung der Sprachenrede1Kor 131ndash3 Zungenrede Prophetie Geheimnisse und Erkenntnisse wissen Glauben Speise geben Marty rium

1Kor 1426 Psalm Lehre Sprachen-rede Offenbarung Uumlbersetzung der SprachenredeZusaumltzlich gibt es in der Praxis groszlige Unterschiede zwischen Christen die dieselbe Gabe haben also etwa zwi-schen den einzelnen sbquoEvangelistenlsquo Ei-nige Evangelisten sind fuumlr das persoumlnli-che Gespraumlch begabt andere fuumlr einen Vortrag vor groszligen Mengen wieder andere als Buchautoren Ich erinnere mich wie Billy Graham erzaumlhlte wie schwer es ihm fiele einzelne Menschen auf das Evangelium hin anzusprechen Deswegen genuumlgt es nicht sich einfach einer der im Neuen Testament genann-ten Gaben zuzuordnen Entscheidend ist die tatsaumlchliche Begabung wie sie sich in der Praxis des Glaubens und der Gemeinde erweist

4 These Jeder Gabe die nicht jeder ausuumlben soll und darf entspricht eine allgemeine Aufforderung an alle ChristenDie Gaben heben also nur aus dem Bereich der das Glaubensleben aller Christen ausmachen soll einzelne Be-reiche und Auf gaben besonders herausAlle sollen dieneneinige haben die Gabe des Dienstesalle sollen glaubeneinige haben die Gabe des Glaubensalle sollen barmherzig seineinige haben die Gabe der Barmher-zigkeit

alle sollen sich gegenseitig ermahneneinige haben die Gabe der Ermahnungalle duumlrfen um Heilung beteneinige haben die Gabe der Heilungalle sollen das Evangelium weitergebeneinige haben die Gabe des Evangelistenalle sollen Rechenschaft von ihrem Glauben ablegeneinige haben die Gabe der Lehrealle sollen Gott anbeteneinige haben die Gabe der Sprachen-redealle sollen die Geister unterscheideneinige haben die Gabe der Geistesun-terscheidung

5 These Deswegen bedeutet der Besitz einer Gabe nicht dass man etwas als einziger tun soll oder als einzi ger tun kann sondern dass man von Gott zu einer bestimmten Aufshygabe be sonders bevollmaumlchtigt istDiese Bevollmaumlchtigung zu erkennen ist die wesentliche Frage wenn man seine eigene Gabe oder die anderer erkennen und verstehen will Die Bevollmaumlchti gung kommt meines Er-achtens darin zum AusdruckbullthinspthinspdassthinspmanthinspanthinspeinerthinspAufgabethinspbesonderethinsp

Freude hat (ja Christsein darf auch einmal etwas sbquoSpaszliglsquo machen)

bullthinspthinspdassthinsp manthinsp dieserthinsp Aufgabethinsp wiethinsp vonthinspselbst nachgeht

bullthinspthinspdassthinsp manthinsp einethinsp Aufgabethinsp besondersthinspgut macht wobei jedoch sbquogutlsquo an der

Wirkung auf an dere bemessen wer-den muss

bullthinspthinspdassthinspmanthinspbeimthinspEinsetzenthinspdieserthinspGabethinspsbquoNutzenlsquo her vorbringt Gott also den Dienst segnet

Einige praktische Beispiele moumlgen dies erlaumlutern Ich bin gerne gastfreundlich Doch meine Gastfreundlichkeit ge-schieht so sbquogeraumluschvolllsquo dass es jeder bemerkt Wie gerne halte ich jedoch schwierige Besprechungen bei Christen ab die die Gabe der Gastfreundschaft haben Sie schaffen durch ihre Gast-freundschaft eine warme friedliche At-mosphaumlre wobei man ihre Gegenwart fast gar nicht wahrnimmt und schon gar nicht als stoumlrend empfindet

Wer die Gabe des Lehrens hat wird dies unter anderem daran merken dass er wie von selbst Stunden damit zubringt bestimmte Fragen anhand der Bibel zu beantworten oder Grund-satzfragen mit anderen zu diskutieren und dass wenn er seine sbquoLouml sungenlsquo vortraumlgt andere ploumltzlich feststellen dass sie endlich den Zusammenhang der Bibel erfasst haben denn bdquodie An-mut der Spra che foumlrdert das Lehrenldquo (Spr 1621) Hier macht die intensive Arbeit Freude und fuumlhrt zu dem sbquoEr-folglsquo dass Menschen die Bibel nicht nur verstehen sondern auch ausleben Wer da gegen keine Freude am intensi-ven Bibelstudium hat Menschen nur sbquoanpredigtlsquo und nie erlebt dass Men-schen sbquoverstehenlsquo und ihr Leben dar-

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 97 8 6 uuml

Auch Pastoren sollten nach Geistesgaben ausgesucht werden Werbung

aufhin entsprechend aumlndern duumlrfte wohl kaum die Gabe der Lehre haben und uumlber kurz oder lang zum reinen Theoretiker werden oder frustriert die bibli sche Lehre fuumlr nicht praktikabel halten

Wer sich immer zu seinen Diensten zwingen muss wer nie sbquoFruchtlsquo sieht wer sich im Dienst unerfuumlllt sieht oder sogar neidisch wird sollte sich nicht nur fragen ob ihm die Frucht des Geis-tes fehlt sondern auch ob er wirklich seine Gabe im Einsatz hat deren richti-ger Gebrauch zur Zufriedenheit uumlber die Herrschaft Gottes auch in der Zu-teilung der Gaben fuumlhrt

6 These Die Verschiedenartigkeit der Gaben bedroht die Einheit der Gemeinde sobald die Frucht des Geistes nicht die Ausuumlbung der Gashyben des Geistes bestimmtGott macht uns zu bdquoVerwalternldquo (1Petr 410) seiner Gaben und nimmt sie uns gnaumldigerweise nicht sofort weg wenn wir hochmuumltig eigensinnig oder lieb-los sind Die Gaben sind auch gerade deswegen sbquoGnadengabenlsquo weil Gott sie uns nicht sofort wegnimmt wenn wir sie missbrauchen oder wenn wir in Suumlnde leben

Daraus folgt aber auch dass der Be-sitz und der Einsatz von Gei stesgaben keine Garantie fuumlr ein geistliches Leben sind Der geistli che Stand eines Chris-ten kann nicht an den Geistesgaben sondern nur an den Geistes fruumlchten

(Gal 522) abgelesen werden Das ist das Thema von 1Kor 13 Paulus will dass die Korinther um die Geistesga-ben eifern (1Kor 1231 141) aber in der Liebe (1Kor 131ndash13) zeigt er ihnen bdquoeinen Weg noch weit daruumlber hinausldquo (1Kor 1231b vgl 141) also direkt vor und nach dem Kapitel uumlber die Liebe in 1Kor 13 Deswegen ermahnen Pau-lus und Petrus in allen Texten uumlber die Gei stesgaben zur Einheit zur Liebe aber auch dazu nicht so zu leben wie die Welt

Vergleich des Textzusammenhangs der wichtigsten Texte zu den GeisshytesgabenErmahnung zur LiebeRoumlm 129ndash21 Eph 41ndash3+15-16 1Petr 48ndash9 1Kor 12ndash14 131ndash141GnadengabenRoumlm 123ndash8 Eph 48+11 1Petr 410ndash11 1Kor 121ndash133Nicht wie die Welt lebenRoumlm 121ndash2 Eph 41+17ndash24 1Petr 4(7) 1Kor 121ndash3Einheit im LeibRoumlm 124ndash5 Eph 43ndash6+12ndash16 1Petr 4(8) 1Kor 1212ndash31 141ndash33

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

ist Rektor des Martin Bucer Seminars und lehrt dort Ethik und Missions- und Religionswissenschaften Er ist auszliger-dem Professor fuumlr Religionssoziologie an der Staatlichen Universitaumlt Ora-dea Rumaumlnien und hat einen Lehr-stuhl fuumlr Internationale Entwicklung an der ACTS University in Bangalore Indien

1 Vgl bdquoSchluss mit der gabenvernichtenden Pas-torenfalleldquo In Klaus Eickhoff Harmlos Kraft-los Ziellos Die Krise der Predigt ndash und wie wir sie uumlberwinden Witten Brockhaus 2009 S 267ndash276 insgesamt S 267ndash324 bes S 300ndash313 zu gabenspezifische Predigten mit fuumlnf Schwer-punkten nach Eph 4 12 apostolisch prophetisch evangelistisch seelsorgerlich lehrhaft2 Geglaumlttete und aktualisierte Fassung aus Thomas Schirrmacher Der Roumlmerbrief VTR 2001

Institut fuumlr Lebens- undFamilienwissenschaften

wwwbucereuilfwhtml

Anmerkungen

10 7 8 6 uuml

Evangelisation und Calvinismus

Prof Dr Clair Davis

Welche ist die beste Theologie fuumlr die Evangelisation Da der Missionsbefehl im Zentrum dessen steht was ein glaumlu-biger Christ tut muss die bdquobeste Theo-logie der Evangelisationldquo die richtige Theologie sein die einzig gute Theolo-gie Koumlnnte der Calvinismus die richtige Antwort sein Dieser glaubt die Bibel sage dass wir ohne Christus tief im In-neren Suumlnder seien und nichts mit Gott zu tun haben wollen Ebenso glaubt er dass jemand ausschlieszliglich durch den Heiligen Geist zu Christus gelangen koumlnne da es uns unmoumlglich sei irgend-etwas selber zu unserer Rettung beizu-steuern Wie koumlnnte dies im Rahmen der Evangelisation funktionieren Was koumlnnten Glaumlubige tun auszliger am Rand zu stehen und abzuwarten ob etwas pas-siert oder nicht Wie koumlnnen sie anders als gleichguumlltig sein da es nichts mit ihnen und Gottes Berufung fuumlr sie zu

tun hat Wenn sich alles darum dreht was Gott tut koumlnnte der Missionsbefehl nur eine Floskel sein

Koumlnnte man die Lage auch anders be-trachten Man koumlnnte doch sagen dass im Herzen eines Suumlnders immer noch etwas Goumlttliches ist das lebendig und gut erhalten ist etwas das willens und faumlhig ist gute Entscheidungen zu tref-fen Es kann ja auch gar nicht anders sein denn wie sonst koumlnnte sich irgend-jemand fuumlr Christus entscheiden Diese Denkweise der Pelagianismus hat viele attraktive Aspekte Pelagius kam vom ernsthaften und intensiv betenden kelti-schen Norden Groszligbritanniens und war erstaunt uumlber den faulen und nachlaumlssig gefuumlhrten christlichen Glauben den er in Italien kennenlernte Daher rief er die Menschen dazu auf ernsthaft und re-chenschaftspflichtig mit ihrem Glauben umzugehen Ergibt das keinen Sinn

Dennoch Verwirrung kommt auf so-bald das Wort bdquoUnfaumlhigkeitldquo auch fuumlr Christen als Ausrede fuumlr ihre Suumlndhaf-tigkeit verwendet wird Doch das kann nicht stimmen denn Glaumlubige haben die Kraft des auferstandenen Christus in ihren Herzen die ihnen vom Heili-gen Geist gegeben wurde das groszligarti-ge Geschenk das weiterhin ausgegeben wird Wenn man mit Christus vereint ist ist man faumlhig bdquodie Welt das Fleisch und den Teufelldquo (dieses Zitat stammt aus dem Book of Common Prayer der Anglikanischen Kirche) zu bekaumlmp-fen und zu besiegen denn Jesus ist der bdquovon der dunklen Staumltte auferstandene Siegerldquo (Vers eines amerikanischen Kir-chenliedes) Der Teufel ist immer noch am Leben aber besiegt und das Leben ist weiterhin voller Versuchungen ndash und Niederlagen Wenn man diese Nieder-lagen als gegeben hinnimmt und sich

an sie gewoumlhnt wird ein aumluszligerst faules Christentum entstehen Pelagius hat-te vollkommen recht uumlber einen solch bdquochristlichenldquo Unglauben geschockt zu sein

Augustinuslsquo Geschichte war eine an-dere Er war ein radikaler Nicht-Glaumlu-biger und er wusste alles daruumlber Er wusste deswegen alles uumlber konsequente Gottlosigkeit da er selber so gut darin war ndash auf viele raffinierten Arten Da-rum war es einfacher fuumlr ihn zu sehen was die Bibel uumlber Gottes Gnade sagt nur Gott konnte sein verdrehtes die Wahrheit negierendes Herz aumlndern

Hilft das nicht die Probleme zu er-kennen Wenn es um das Leben als Christ geht ist es vollkommen richtig dass man aufhoumlren muss die Schuld von sich zu weisen und anfangen muss Verantwortung zu uumlbernehmen ndash ob-wohl ein Groszligteil dieser Verantwortung

glauben amp denken heute 22012 117 8 6 uuml

Evangelisation und Calvinismus

darin besteht Gott anzurufen bdquoZeige mir meine Suumlnde Vergib mir meinen selbstgenuumlgsamen Stolz Zeige mir wie groszlig Jesus istldquo Der Geist veraumlndert un-ser Herz aber wir sind verantwortlich und rechenschaftspflichtig Das Leben ist ein Kampf voller Danksagungen Dies koumlnnte besser verstanden werden und dem wird so sein wenn Jesus wie-derkehrt

Doch wenn man dieses bdquoLeben eines Glaumlubigenldquo auf das Leben eines rebelli-schen Schuld von sich weisenden Un-glaumlubigen abfaumlrben laumlsst der Jesus mei-den will dann entsteht Verwirrung da dieser anders ist Er ist ohne Gott und ohne Hoffnung weil er so sein moumlch-te Um zu Jesus kommen zu koumlnnen muumlsste er zugeben dass er Jesus braucht ndash doch warum sollte er das zugeben Er ist selbstsicher er ist sich selbst genug und ein viel besserer Mensch als alle an-deren die er kennt

Wie koumlnnte sich das aumlndern Was koumlnnen wir tun um das zu aumlndern Was sollten wir sagen Das jedenfalls weiszlig ich Was auch immer wir solch einem Menschen sagen zuerst sollten wir un-seren Herrn bitten bdquoVater sende Deinen Geist um sein Herz zu erweichen um ihm seine Beduumlrftigkeit zu zeigen Lehre mich Vater nicht selbstgerecht zu sein sondern ein sbquoBettler [zu sein] der einem anderen Bettler mitteilt wo es Brot gibtlsquo (Zitat des Bischofs D T Niles) Hilf mir zuzuhoumlren Vaterldquo

Von Jay und Holly Eastman lerne ich seit einiger Zeit wie man zuhoumlrt Sie sind Missionare in Ostberlin und ha-ben dort 10 Jahre zugehoumlrt und nun gibt Gott die Ernte Wenn jemand nicht zuhoumlrt koumlnnte es sein dass er denkt er vertrete Gott der immer mit Voll-macht redet Das ist der Grund weswe-gen wir alle die Evangelien wieder lesen und sehen muumlssen wie Jesus zu Suumln-dern spricht Er warnt sie vor Stolz und Selbstgerechtigkeit und sagt ihnen dass er nicht gekommen ist die bdquoGerechtenldquo wie sie es sind zu retten sondern Suumln-der Er fragt die Frau am Brunnen nach Wasser wohl wissend dass sie dort zu einer ungewoumlhnlichen Zeit ist da sie von rechtschaffenen Leuten abgewiesen wurde Er tadelt Stolz und honoriert Demut und Beduumlrftigkeit In einem Evangelium sagt er bdquoSelig sind die da geistlich arm sindldquo in einem anderen nur bdquoSelig seid ihr Armenldquo Ich versu-che zu verstehen was das bedeutet Ich denke das ist das Wichtigste was wir lernen muumlssen

Wie koumlnnen wir zuhoumlren Wie koumlnnen wir Armut erkennen die offenkundige Armut und die andere Art von Armut Wie wuumlrden wir sie bei uns erkennen Setzen wir unser Vertrauen in Christus oder in uns selber ndash mit einer Jesus-Fassade Ich denke das stand immer im Zentrum der Erweckungsbewegung und wie koumlnnte es wahre Evangelisation geben ohne Erweckung

Ich ermutige Sie die zentralen Stellen von Jonathan Edwardslsquo bdquoTreatise on Religious Affectionsldquo (dt etwa bdquoAb-handlung uumlber glaumlubige Zuneigungldquo) zu lesen und uumlber sie zu beten Das hilft so sehr uns zu zeigen wo unser Herz wirklich steht Danach schauen Sie sich eine predigtartige Version dessel-ben Themas von George Whitefield an (siehe dazu URL httpwwwccelorgcceledwardsaffectionsviviiihtml und httpwwwccelorgccelwhitefieldser-monsxxvhtml)

Ich denke das ist die Antwort Wie kann man zuhoumlren wie kann man ein beduumlrftiges Herz zu Jesus fuumlhren wenn man es nicht selber regelmaumlszligig tut

Zuruumlck zum Calvinismus Ist dies nicht genau das was er im Innersten ist Er ist definitiv nicht akademische Arro-ganz die uns selber immer wieder ver-gewissert wie viel besser wir die Bibel lesen als all die bdquoUnreinenldquo Viel mehr ist er eine Einstellung des Herzens die Jesus in all seiner Herrlichkeit sieht staunend dass er uns liebt die Unreins-ten von allen die so viel verstehen und so wenig darauf reagieren Wenn wir uns Jesus und seiner Liebe und unserer eigenen Unliebenswuumlrdigkeit bewusst sind dann koumlnnen wir zuhoumlren Dann koumlnnen wir mit Guumlte und Demut die Liebe zu Gott teilen Dann werden wir gelernt haben dass es nicht darum geht wie erpicht wir darauf sind Jesus zu lie-ben und ihn bei uns zu haben sondern

vielmehr werden wir erkennen dass wir ein Haufen von fruumlhen bdquoAugustinu-senldquo sind erfinderisch in unserem Un-glauben und unserer Uumlberheblichkeit Demut gegenuumlber den Evangelien und der Calvinismus ndash das ist ein und die-selbe Sache Sie sind so uumlberwaumlltigend dieselbe Sache dass wir nur in dieser dunklen Welt das Wort bdquoCalvinismusldquo verwenden muumlssen um einfach sagen zu koumlnnen bdquoAmazing grace How sweet the soundldquo ndash bdquoErstaunliche Gnade wie suumlszlig ist der Klangldquo

Prof Dr Clair Davis

spielte bei Gruumlndung und Aufbau des Martin Bucer Seminars eine wichti-ge Rolle als Berater Mittler und Be-fuumlrworter Dazu hielt er auch etliche Gastvorlesungen in Deutschland In diesem Zusammenhang wurde sein Buch bdquoWenn der Glaube Gestalt ge-winnt Beitraumlge zur Praxis des Chris-tenlebensldquo (Bonn VKW 2004 112 Seiten Pb ISBN 978-3-932829-90-1 830 Euro) uumlbersetzt (erhaumlltlich hier httpwwwgenialebuecherdewenn-der-glaube-gestalt-gewinnthtml) Die Uumlbersetzung dieses Arti-kels stammt von Kathrin Bentley

12 7 8 6 uuml

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

Prof Dr Stephen J Wellum

Warum das Leben und Denken von Francis Schaeffer studieren1

Diese Frage kann auf zwei Arten gestellt werden Erstens Warum studieren wir uberhaupt eine historische Figur Und zweitens Warum reflektieren wir im Besonderen uber das Leben und Den-ken von Francis Schaeffer Was macht letzten Endes gerade ihn im Vergleich zu anderen so wichtig Die schlichte Antwort auf die erste Frage ist dass wir durch christliche Maumlnner und Frauen die uns vorangegangen sind lernen und herausgefordert werden Es ist uberaus klar dass in der Schrift Men-schen die uns als Vorbild dienen sei es positiv oder auch negativ ein Thema sind Paulus ermuntert Timotheus sei-nem Vorbild zu folgen wie er Christus

folgt (vgl 2Tim 310ndash13) Hebraumler 11 beschreibt uns die bdquoRuhmeshalleldquo des Glaubens um uns zu ermutigen in der Hingabe an den Herrn und im Dienst fur ihn fortzuschreiten Wenn wir das Leben gottesfurchtiger Maumlnner und Frauen untersuchen und zwar sowohl ihre Staumlrken als auch ihre Schwaumlchen dann lernen wir wie wir dem Herrn heute besser dienen koumlnnen Und oft werden wir dabei von auszligergewoumlhnli-chen Mitstreitern die danach strebten in ihrem Leben dem Herrn von ganzem Herzen zu dienen aus unserer geistli-chen Lethargie geweckt Auszligerdem ist es wichtig historische Gestalten unserer Zeit ebenso wie solche aus der ferneren Vergangenheit zu studieren Warum Aus dem einfachen Grund dass Men-schen unserer Zeit uns dabei helfen auf die speziellen Probleme und Her-ausforderungen unserer Tage und nicht

einfach auf die Probleme einer fruheren Aumlra angemessen zu reagieren In diesem Sinne besteht eine Parallele zum Betrei-ben von Theologie Denn genauso wie staumlndig Theologie geschrieben werden muss um das unwandelbare Wort auf eine sich wandelnde Welt anzuwenden so mussen wir Zeitgenossen studieren die uns helfen koumlnnen treu und kom-promisslos auf die Herausforderungen zu reagieren mit denen die Kirche ge-genwaumlrtig konfrontiert ist

Warum aber sollten wir gerade Fran-cis Schaeffer studieren Die Antwort auf diese zweite Frage ist dass es wahr-scheinlich keine Gestalt gibt die die evangelikale Bewegung in der zweiten Haumllfte des zwanzigsten Jahrhunderts staumlrker bewegt und beeinflusst hat als Francis Schaeffer Michael Hamilton kommentiert den Einfluss von Francis Schaeffer auf die evangelikale Bewe-

gung und sagt dabei Folgendes uber sein Leben und sein Werk

Als Francis Schaeffer im Jahr 1965 erst-mals auf der amerikanischen Buhne erschien wussten Evangelikale kaum was sie mit ihm anfangen sollten Sein christlicher Glaube war im Feuerofen der Kontroverse zwischen Fundamentalisten und Modernisten in den 1930er Jahren geformt worden und er war ein eingetra-genes Mitglied der absolut fundamenta-listischen Bible Presbyterian Church Er verteidigte leidenschaftlich die Idee der Irrtumslosigkeit der Schrift eine Lehre die in evangelikalen Kreisen schon etwas ins Rutschen geraten war Dennoch war er kein gewoumlhnlicher fundamentalisti-scher Prediger Er und seine Frau Edith lebten seit 10 Jahren in einer Studenten-gemeinschaft die sie in den Schweizer Alpen begonnen hatten Wenn er Vorle-sungen hielt trug er alpine Wanderklei-

Zum 100

Geburtstag von

Francis Schaeffer

glauben amp denken heute 22012 137 8 6 uuml

dung ndash Kniebundhosen Kniestrumpfe Wanderschuhe 1972 hatte er zu seiner schon vorher eigentumlichen Erschei-nung auch noch langes Haar und einen weiszligen buscheligen Ziegenbart am Kinn Das Sonderbarste war dass er selten die Bibel zitierte Er war eher geneigt uber die philosophische Bedeutung von Henry Miller zu reden (der damals als der por-nographischste Schriftsteller in der ame-rikanischen Literatur betrachtet wurde)

Waumlhrend der naumlchsten zwei Jahrzehnte organisierte das Ehepaar Schaeffer einen vielseitigen Dienst der den amerika-nischen Evangelikalismus neu formte Wahrscheinlich hat abgesehen von C S Lewis und Billy Graham kein Intellek-tueller das Denken der Evangelikalen tiefer gepraumlgt Zusammen brachten die Schaeffers die Idee des bewussten Lebens in christlicher Gemeinschaft in Umlauf Sie stieszligen die Evangelikalen aus ihrem kulturellen Ghetto inspirierten ein Heer Evangelikaler ernsthafte Wissenschaftler zu werden ermutigten Frauen ihre Rol-len als Mutter und Hausfrau anzuneh-men waren Mentoren fuhrender Koumlpfe der Neuen Christlichen Rechten und verliehen einer populaumlren evangelikalen Opposition gegen Abtreibung Stabilitaumlt2

Auf aumlhnliche Art und Weise fasst Ha-rold O J Brown die Wirkung und den Einfluss Francis Schaeffers zusammen indem er feststellt

Es gibt keinen anderen christlichen Denker unserer Zeit der so viele grund-

legende intellektuelle philosophische und theologische Fragen in Angriff ge-nommen hat wie Schaeffer es tat Er tat das jedoch nicht im Bemuhen eine um-fassende Philosophie der Geschichte zu konstruieren wie etwa Oswald Speng-ler (bdquoDer Untergang des Abendlandesldquo) oder Arnold Toynbee (bdquoDer Gang der Weltgeschichteldquo)

Selbst seine Spezialthemen behandelte Schaeffer nicht als theoretische Prob-leme die in ein umfassendes Weltbild zu passen hatten sondern als Fragen die jeder Mensch individuell beant-worten muss um Sinn fur sein Leben zu finden Es gibt nicht viele christliche Denker die sich mit so vielen groszligen Themen der Theologie und der Philo-sophie beschaumlftigt haben wie Schaeffer und niemand anders hat so sehr ihre Be-deutung fur uns aufgedeckt Schaeffer behandelte sie als entscheidend fur das Verstehen unseres eigenen Lebens und seiner Bedeutung und nicht nur als Abs-traktionen die einem Seminar fur Fort-geschrittene vorbehalten sind Schaeffer wollte und das war fur einen tiefen Denker ungewoumlhnlich einfache Leute mit den groszligen Fragen der Philosophie und Theologie und den entsprechenden Konsequenzen vertraut machen3

Zusaumltzlich koumlnnen wir unsere For-schung uber Francis Schaeffer noch staumlrker dadurch rechtfertigen dass wir seine Bedeutung und seinen Einfluss in drei wichtigen Bereichen feststellen

dem persoumlnlichen dem theologischen und dem sozialen Bereich4 Was den persoumlnlichen Bereich betrifft so erfolgte der Einfluss Schaeffers anfaumlnglich nicht durch akademische bildende Institutio-nen und auch nicht durch das Verlags-wesen Seinen groumlszligten Einfluss erlangte er durch den persoumlnlichen Kontakt mit Einzelnen die er kennenlernte und de-ren Leben er veraumlnderte Man kann also sagen dass sein Einfluss nicht darauf be-ruhte dass er zum evangelikalen Estab-lishment gehoumlrte sondern im Gegenteil vielmehr darauf dass er von diesem un-abhaumlngig war Fur Schaeffer waren per-soumlnliche Evangelisation und Jungerschaft keine Klischees

Durch sein Leben und seinen Dienst im Schweizer LrsquoAbri weit entfernt von Amerika beruhrten er und seine Frau Edith das Leben von zahllosen einzelnen Menschen Von ihnen sollten viele spaumlter evangelikale Leiter in Schlusselpositionen werden Fur diejenigen von uns die da-nach streben Maumlnner und Frauen fur das Evangelium zu gewinnen waumlre es sicher-lich weise aus dem Leben eines solchen Mannes Lehren zu ziehen und neu die Bedeutung des persoumlnlichen Kontaktes in unseren Begegnungen mit Menschen zu entdecken5 Aus einem theologischen Blickwinkel erkennen wir Schaeffers Bedeutung daran dass er maszliggeblich daran beteiligt war gerade die Evange-likalen aufzurufen zentrale Wahrheiten ernstzunehmen Bei ihnen bestand die

Tendenz diese Wahrheiten weniger zu betonen oder sogar zu verleugnen An-gesichts einer zunehmenden Neigung zu einem umfassenden Pluralismus und einer Verleugnung der Wahrheit in der akademischen Theologie in der Kirche und in der allgemeinen Kultur forderte Schaeffer die evangelikale Bewegung be-sonders dazu heraus ihre Hingabe an das Konzept der Wahrheit ndash oder wie er es nannte bdquowahre Wahrheitldquo ndash neu geltend zu machen Deshalb trat er im wahrsten Sinne des Wortes bis zu seinem Sterbe-bett eindeutig fur die volle Autoritaumlt und Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift ein Zu der Frage nach der bdquowahren Wahr-heitldquo gehoumlrten fur ihn auch solche ent-scheidenden Themen wie die Historizitaumlt von 1Mo 1ndash11 die Lehre von der Schoumlp-fung die zentrale Bedeutung der Lehre von Gott und die Ausschlieszliglichkeit von Jesus Christus als dem Weg der Wahr-heit und dem Leben6

Auch die Tatsache dass er sich gegen die Theologie der Neoorthodoxie7 wand-te die einige Evangelikale anzunehmen begonnen hatten hat etwas damit zu tun Er glaubte dass sie die Wahrheit und Wahrhaftigkeit des Evangeliums unterhoumlhlen wurde Heute mussen wir wahrscheinlich mehr als je zuvor die theologischen Herausforderungen durchdenken die uns Schaeffer hinter-lassen hat Hatte er Recht Falls ja gibt es Dinge die wir bei unserem Versuch fur die Wahrheit des Evangeliums einzuste-

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

14 7 8 6 uuml

hen heute von ihm lernen koumlnnen Auch fur unsere Uumlberlegungen im sozialen Be-reich ist Schaeffer eine wichtige Gestalt Als in den 70er Jahren Evangelikale an der sozialen Front wenig unternahmen forderte er Millionen Evangelikale fast im Alleingang dazu auf eine aktive Rol-le bei der Gestaltung ihrer Gesellschaft und deren Werte zu ubernehmen Er gab ihnen dazu auch eine theologische Begrundung8 Wie Brown beobachtet bdquowar die Entscheidung des Obersten Ge-richtshofes der USA zum Fall Roe gegen Wade 1973 die Abtreibung auf Verlan-gen erlaubt fur Schaeffer eine Art Funke im Pulverfassldquo9 Seit langem hatte Schaef-fer die Leute darauf verwiesen dass das Weltbild des nachchristlichen Westens auf eine Entwertung des menschlichen Lebens zusteuerte Die Roe gegen Wade-Entscheidung war daher fur ihn ein ent-scheidender Ruf zum Handeln

1979 produzierte er zusammen mit C Everett Koop und Franky Schaeffer die Filmreihe bdquoWhatever Happened to the Human Raceldquo die dabei half schlaumlfrige Evangelikale zum Handeln zu mobilisie-ren und sie dazu herauszufordern sich auf der politischen Buhne zu engagieren Es ist keine Uumlbertreibung zu sagen dass das Aufkommen von Schwangerschafts-konfliktberatungszentren die Entste-hung des Rates fur christliches Handeln (Christian Action Council) und der Moralischen Mehrheit (Moral Majori-ty) direkt mit dem Einfluss von Francis

Schaeffer in Verbindung stehen Doch was waren seine Grunde fur soziales Handeln Waren sie zulaumlssig Und was koumlnnen wir von ihm bei dem Versuch lernen heute unserem Herrn gehorsam zu sein Es gibt aber noch einen letzten Grund warum wir das Leben und Den-ken Francis Schaeffers studieren sollten

Die uneinheitlichen Reaktionen evan-gelikaler Gelehrter auf ihn oumlffnen ein Fenster durch das wir die zunehmend gespaltene evangelikale Bewegung se-hen koumlnnen Lane Dennis kommentiert verschiedene Kritiker die Schaeffers Denken bdquoanmaszligenden Schwulstldquo bdquosim-plistischldquo bdquoVerkummerungldquo und bdquokindi-sche Verknupfung unbestaumltigter Urteileldquo benannt haben und merkt an dass bdquoman gewoumlhnlicherweise diese Art von Adjek-tiven in houmlflicher oder gelehrter Kon-versation nicht houmlrt offensichtlich hat Schaeffer einen blanken Nerv beruhrtldquo10 Interessanterweise stellt Dennis fest dass diese Art von Reaktion meist von Aka-demikern in evangelikalen Colleges zu kommen scheint und weniger von evan-gelikalen Gelehrten aus saumlkularen Schu-len11 Warum Warum diese negativen Reaktionen aus gewissen Bereichen der evangelikalen Bewegung besonders von Akademikern Einige beantworten diese Frage mit der Feststellung dass Schaeffer kein richtiger bdquoGelehrterldquo war und dass dies der Grund fur manche der negati-ven Reaktionen gewesen sei Aus einer Vielzahl von Grunden genugt diese Ant-

wort jedoch nicht12 Es scheint vielmehr dass Michael Hamilton auf dem richti-gen Weg ist wenn er argumentiert dass die verschiedenartigen Reaktionen auf Schaeffer negativ und positiv eine be-achtliche Spaltung innerhalb der evange-likalen Bewegung widerspiegeln Scha-effer vertritt in den Worten Hamiltons bdquodie rauere Kanteldquo der evangelikalen Be-wegung im Gegensatz zu Billy Graham und anderen die die bdquoweichere Kanteldquo vertreten Die bdquoweichere Kanteldquo ist der Teil der evangelikalen Bewegung der die bdquogemaumlszligigte Mitteldquo vertritt ndash eine Mitte die versucht Kontroversen zu entschaumlr-fen und jedem wohlgesonnen ist der zur Zusammenarbeit mit allen denen bereit zu sein scheint die ihn das Evangelium predigen lassen13

Auf der anderen Seite vertritt Schaeffer die Seite der evangelikalen Bewegung die bereit ist mit anderen fur gemeinsame soziale Anliegen eine Allianz einzugehen nicht aber wenn es um die Verkundigung des Evangeliums geht Diese Seite orien-tiert sich so sehr an der Frage nach der Wahrheit dass sie erkennt dass schein-bar bdquogeringfugigeldquo Verschiebungen der Lehre bedeutsam sind und sehr ernst ge-nommen werden mussen Es ist eine Sei-te die zu einer bdquoliebevollen Konfrontati-onldquo in Fragen von Wahrheit und Leben aufruft weil es sonst zu Kompromissen in Bezug auf das Evangelium komme Aber ich bin davon uberzeugt dass wir uns heute mit ihr identifizieren mussen

Heute ist die evangelikale Bewegung in vielen Fragen darunter auch in einigen wichtigen Lehrfragen gespalten So ist es in dieser Zeit weise uber das Leben und Denken Francis Schaeffers nachzu-denken einem Diener des Herrn der in seiner Generation fest einstand fur das Evangelium damit wir lernen koumlnnen wie wir dies in unserer Generation ver-mehrt tun koumlnnen14 Ich schlage vor dass wir das Leben und Denken Schaeffers in folgender Weise betrachten Zunaumlchst werden wir mit einer kurzen Chronolo-gie seines Lebens beginnen um uns zu erinnern Fur manche Leser mag dies eine erste Einfuhrung in sein Leben sein Umfeld und seinen Dienst sein

Zum Zweiten werden wir vier Lehren die wir aus Schaeffers Denken ziehen koumlnnen hervorheben und ausfuhrlicher betrachten Schlieszliglich werden wir uns mit zwei Lehren beschaumlftigen die wir aus seinem Leben und seinem Dienst ziehen koumlnnen

Eine kurze Chronologie des Lebens Francis Schaeffers15

Die fruhen Jahre

bull Francis Schaeffer wurde am 30 Januar 1912 in Germantown in Pennsylvania geboren Er war das einzige Kind sei-ner Eltern die zur Arbeiterklasse ge-houmlrten Seine Vorfahren stammten aus

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 157 8 6 uuml

Deutschland Schaeffers Eltern legten ein Lippenbekenntnis zum Christen-tum ab Er selbst betrachtete sich je-doch nicht als jemand der in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen ist

bull Aus eigenem Antrieb besuchte er eine liberale presbyterianische Kirche Nach seinem Bekenntnis fand er je-doch im liberalen Christentum kei-nerlei befriedigende Antworten auf die grundlegenden Fragen des Lebens Das fuhrte dazu dass er waumlhrend sei-ner High-School-Jahre zum Agnos-tiker wurde Waumlhrend seiner spaumlten Jahre auf der High School begann er philosophische Literatur zu lesen um Antworten auf die Lebensfragen zu finden Aus Neugierde las er auch die Bibel Nachdem er beginnend mit dem 1 Buch Mose sechs Monate lang die Bibel gelesen hatte wurde er im Jahr 1930 Christ Er war uberzeugt dass die Bibel wahr ist und dass sie die einzigen angemessenen Antworten auf die grundlegenden philosophischen Fragen des Lebens bietet

bull Nach seiner Bekehrung verlieszlig er die Berufsschule um sich in Abendkur-sen auf das College vorzubereiten Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er in der Schule schwache Leistungen gezeigt Jetzt verbesserten sich seine Noten merklich Gegen den Wunsch seines Vaters begann er 1931 am Hampden-Sydney College in Virginia zu stu-

dieren Er absolvierte 1935 mit der Note magna cum laude Er wurde zum bdquoherausragenden Christenldquo seiner Klasse gewaumlhlt

bull Der geschichtliche und theologi-sche Hintergrund dieser Zeit waren die Auseinandersetzungen zwischen Fundamentalisten und Modernis-ten In den fruhen 1930er Jahren war Schaeffers eigene Denomination die Northern Presbyterian Church so-wohl in den Ausbildungsstaumltten als auch in den Gemeinden dabei ausei-nanderzubrechen Interessanterweise sprach bei einer Gelegenheit im Jahr 1932 ein bezahlter junger Redner daruber warum die Bibel nicht Gottes Wort und Jesus nicht Gottes Sohn sei Waumlhrend der nachfolgenden Diskus-sionszeit erhob sich Schaeffer als jun-ger Christ um das historische Chris-tentum so gut er es konnte zu vertei-digen Zu seiner Uumlberraschung gab es nur eine weitere Person die aufstand und sehr deutlich von der Bibel her und unter Benutzung von Werken J Gresham Machens seine Position ver-teidigte Ihr Name war Edith Seville Am 26 Juli 1935 heirateten Francis und Edith

Jahre auf dem Seminar

bull Im Herbst 1935 trat Francis Schaef-fer in das Westminster Theological Seminary ein Westminster war 1929

von J Gresham Machen und anderen fuhrenden Presbyterianern gegrundet worden die versuchten eine konserva-tive Alternative zum theologischen Li-beralismus zu bieten Waumlhrend seiner Zeit in Westminster wurde Schaeffer stark durch die Werke von Machen Cornelius Van Til und Allan Mac-Rae vom Biblical Theological Semi-nary gepraumlgt Interessanterweise sah Schaeff er sich selbst als jemand der in den Fuszligstapfen des auf Denkvor-aussetzungen aufbauenden apologe-tischen Programms Van Tils geht In spaumlteren Jahren gab es leider einen Riss zwischen den beiden Maumlnnern besonders von Van Tils Seite

bull 1936 enthob die Northern Presbyte-rian Church Machen wegen seines konservativen Standpunktes des Am-tes Das fuhrte zu konservativen Ab-spaltungen von der Denomination von denen auch Schaeffer betroffen war Leider wurde aufgrund mancher Konflikte innerhalb der konservati-ven Gruppen in Westminster im Jahr 1937 ein neues Seminar gegrundet das Faith Theological Seminary in Wilmington in Delaware unter der Leitung von Allan MacRae Scha-effer zog um zum Faith Theological Seminary um dort seine Studien im Jahre 1938 abzuschlieszligen Schaeffer hat spaumlter im Ruckblick auf diese Zeit manche der Zaumlnkereien und internen Streitigkeiten zu denen es unter den

Konservativen kam bedauert Spaumlter hat er zur Notwendigkeit einer bdquolie-bevolle Konfrontationldquo aufgerufen die gleichzeitig fur Wahrheit und fur sichtbare Liebe eintritt

Jahre als Pastor

bull Von 1938ndash1948 war Schaeffer Pastor verschiedener presbyterianischer Ge-meinden in Grove City und Chester Pennsylvania und ebenso in St Louis Missouri Waumlhrend ihrer Zeit in St Louis begannen er und Edith eine Or-ganisation mit dem Namen bdquoChild-ren for Christldquo (Kinder fur Christus) ndash ein evangelistischer Dienst unter Kindern der sich schlieszliglich auch in anderen Kirchen und Denominatio-nen ausbreitete

bull Im Jahr 1947 wurde Schaeffer vom Unabhaumlngigen Ausschuss fur Pres-byterianische Mission und von der Abteilung fur Auszligenbeziehungen des Amerikanischen Rates Christlicher Kirchen ausgesandt um die geistli-chen Bedurfnisse der Jugendlichen und die Konfrontation der Kirche mit dem theologischen Liberalismus im Nachkriegseuropa zu bewerten Als Ergebnis seiner drei Monate in Europa spurte Schaeffer dass Gott seine Fa-milie rief in Europa zu dienen

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

16 7 8 6 uuml

Der Umzug nach Europa

bull 1948 zogen die Schaeffers nach Lau-sanne in der Schweiz um als Missi-onare in Europa zu arbeiten Damals hatten die Schaeffers drei Toumlchter Priscilla Susan und Deborah Ihr Sohn Franky wurde 1952 geboren

bull Als sie nach Europa kamen grundeten sie zuerst bdquoChildren for Christldquo fur die Mission unter Kindern Schaeffer warnte auch weiter vor den Gefahren des theologischen Liberalismus und ebenso vor der raffinierten Bedrohung durch die Neoorthodoxie 1949 zogen die Schaeffers in das Bergdorf Cham-peacutery in der Schweiz

bull 1951 geriet Schaeffer aus mindestens zwei Grunden in eine tiefe geistli-che Lebenskrise Erstens sah er im Leben derer die fur das historische Christentum kaumlmpften nicht die Kraft des Evangeliums und das be-unruhigte ihn Zweitens erkannte er dass die Erfahrung des Herrn in seinem eigenen Leben nicht so pul-sierend war wie fruher Diese Krise brachte ihn dazu noch einmal alles zu uberdenken ndash sogar die Wahrheit des Christentums Aus diesem Erlebnis heraus kam Schaeffer zu dem festen Schluss dass es gute und ausreichende Grunde gab zu wissen dass der Gott der Bibel wirklich existiert und dass das Christentum wahr ist Er gelangte auch zu einem tieferen Verstaumlndnis fur

das vollbrachte Werk Christi und das Werk des Heiligen Geistes im Leben der Glaumlubigen Aus diesem Erlebnis heraus wurde spaumlter auch sein Buch bdquoTrue Spiritualityldquo geboren Mehr als das ndash aus dieser Krise heraus wurde LrsquoAbri geboren Schaeffer sagte immer dass ohne diese Zeit des Kampfes da-rum bdquoRealitaumlt im christlichen Leben zu findenldquo LrsquoAbri niemals entstanden waumlre

bull 1955 zogen die Schaeffers durch eine Reihe wunderbarer Umstaumlnde in das Chalet Les Meacutelegravezes in Hueacutemoz in der Schweiz Sie erhielten nicht nur die notwendigen Finanzen um das Cha-let zu kaufen Ihnen wurden auch die Visa bewilligt um in der Schweiz zu bleiben nachdem ihnen vorher von der Schweizer Regierung mitgeteilt worden war sie haumltten das Land dau-erhaft zu verlassen

LrsquoAbri (bdquoDie Zufluchtldquo)

bull Die LrsquoAbri-Gemeinschaft wurde of-fiziell im Jahr 1955 geboren Es be-gann mit Freunden Priscillas die aus der Universitaumlt in das Haus der Schaeffers kamen und Fragen uber das Christentum die Wahrheit und das Leben stellten LrsquoAbri arbeitete mit vier Grundprinzipien (1) Sie wurden nicht um Geld bitten sondern ihre Bedurfnisse Gott mitteilen (2) Sie wurden nicht um Mitarbeiter wer-

ben sondern abhaumlngig davon sein dass Gott die richtigen Leute senden wurde (3) Sie wurden nur kurzfris-tig planen um von Gottes Leitung abhaumlngig zu sein und (4) Sie wurden nicht sich selbst bekanntmachen son-dern Gott vertrauen dass er ihnen Menschen in Not senden wurde

bull Zuerst wurden Treffen und Gottes-dienste im Haus der Schaeffers abge-halten Dann wurden sie in eine ver-lassene protestantische Kirche verlegt Durch Mundpropaganda verbreitete sich die Nachricht unter Universitaumlts-studenten dass es einen Ort in den Schweizer Alpen gebe wo man ehrli-che Antworten auf die tiefsten Fragen des Lebens bekommen koumlnne Inner-halb kurzer Zeit kamen jedes Wo-chenende Studenten nach LrsquoAbri Es enstand eine Struktur von Mahlzei-ten Spaziergaumlngen Gespraumlchen und einem Sonntagsgottesdienst die alle darauf ausgerichtet waren eine Atmo-sphaumlre zu schaffen die das Gespraumlch uber philosophische und religioumlse Ge-danken anregen sollte

bull Am staumlrksten betonte LrsquoAbri ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen im Kontext von gastfreundlicher Um-gebung und sichtbarer Liebe In den fruhen Tagen dachte man nicht ein-mal an Bucher Filme und Tonbaumln-der Die Tonbaumlnder kamen zuerst nur durch ein zwischen einigen Blumen verstecktes Mikrofon zustande mit

dem die Gespraumlche jenes Abends auf-gezeichnet wurden Erst als Schaef-fer erkannte dass die Tonbaumlnder ge-braucht werden konnten um andere zu erreichen gab er zoumlgerlich seine Erlaubnis zum Beginn des Tonband-programms Schlieszliglich kamen Men-schen nach LrsquoAbri um zu studieren und zu arbeiten Schon 1957 kamen jedes Wochenende 25 Leute

bull LrsquoAbri dehnte sich uber die Schweiz hi-naus aus 1958 begann es in England Heute befinden sich LrsquoAbris uberall auf der Welt in Australien Holland Indien Sudkorea und Schweden und ebenso in den USA in Massachusetts und Minnesota16

bull Bis 1960 war LrsquoAbri in einem sol-chen Maszlige gewachsen dass es die Aufmerksamkeit des Time-Magazins auf sich zog Tonbaumlnder wurden nun weltweit verteilt und Schaeffer er-hielt Einladungen aus Europa und Nordamerika Das waren gleichzeitig schwierige Zeiten in LrsquoAbri Als mehr und mehr Studenten kamen wurden Geld und Lebensmittel knapp

bull 1965 reiste Schaeffer zuruck nach Nordamerika und hielt Vorlesungen in Boston Dann fuhr er zum Whea-ton College und hielt Vorlesungen die spaumlter die Grundlage fur sein Buch bdquoThe God Who is Thereldquo (dt bdquoGott ist keine Illusionldquo) wurden Damals schaumltzten ihn die Studenten unge-heuer die akademische Welt war je-

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 177 8 6 uuml

doch viel behutsamer darin ihn zu ak-zeptieren Am Wheaton College sprach er zum Beispiel uber Themen von de-nen die meisten Menschen in evange-likalen Kreisen niemals gehoumlrt hatten oder uber die sie nicht diskutieren durf-ten wie etwa die Filme von Ingmar Bergman und Fedrico Fellini und die Schriften von Albert Camus Jean-Paul Sartre und Martin Heidegger

bull Waumlhrend der naumlchsten zehn Jahren wurden die Schaeffers zu einer der be-kanntesten Familien in der evangelika-len Bewegung Francis veroumlffentlichte zahlreiche Bucher und Broschuren von denen die meisten aus Vorlesungen entstanden die er seit der Grundung von LrsquoAbri gehalten hatte Edith ver-oumlffentlichte eine Anzahl von Buchern uber Ehe Familie Theologie und die Geschichte von LrsquoAbri17

Die 70er Jahre

bull Im Jahr 1974 sprach Schaeffer auf der Internationalen Konferenz fur Welt-evangelisation in Lausanne Schweiz wo er stark die Bedeutung der Irrtums-losigkeit der Bibel betonte Spaumlter im Jahr 1977 half er den Internationalen Rat fur Biblische Irrtumslosigkeit zu grunden

bull Ebenfalls in den 70er Jahren begann er aufgrund der Roe gegen Wade-Ent-scheidung des Obersten Gerichtshofs der USA seine Stimme gegen Abtrei-

bung zu erheben 1977 startete er eine Tour durch 22 Staumldte mit Seminaren und Ansprachen zu der Filmreihe bdquoWie koumlnnen wir denn lebenldquo Er begann ebenfalls die Arbeit an der Filmreihe bdquoWhatever Happened to the Human Raceldquo zusammen mit C Everett Koop und Franky Schaeffer die zu einer Tour mit Ansprachen im Jahr 1979 fuhrte

bull Schaeffers Kulturkritik und seine Verteidigung des historischen Chris-tentums lieszligen ihn in seinen Werken auch zu Themen wie Reinheit in Lehre und Leben Abtreibung Euthanasie Oumlkologie Krieg und Frieden sowie Burgerrechte seine Stimme erheben Schaeffer sprach sich lange und hart gegen das Eintreten der Kirche fur den Status Quo aus Er richtete sich be-sonders gegen ihre Annahme der ame-rikanischen Lebensphilosophie die seit den 50er Jahren die Gesellschaft durchdrungen hatte naumlmlich die Phi-losophie dass man nur fur bdquopersoumln-lichen Frieden und Wohlstandldquo lebt Er rief nach einer neuen Generation von Christen die wirklich bdquorevolutio-naumlrldquo sein sollten in ihrem Eintreten fur Wahrheit sowohl in der Lehre als auch im Leben

Die 80er Jahre

bull In den 1980er Jahren wurde Schaeffer aufgrund von dem was als Verschie-bung zum bdquoKonservativismusldquo wahr-

genommen wurde zunehmend von evangelikalen Akademikern und poli-tisch liberalen Evangelikalen entfrem-det Das geschah besonders aufgrund seiner Veroumlffentlichung bdquoA Christian Manifestoldquo (1981) das nicht nur den Aufstieg der bdquoMoral Majorityldquo lobte sondern auch Christen dazu aufrief ge-gen Abtreibung einzustehen und falls noumltig zivilen Ungehorsam zu prakti-zieren Interessanterweise sah Schaeffer selbst keine Verschiebung in seinem Denken gegenuber den 70er Jahren Er sah vielmehr seine Arbeit in den 80er Jahren als die logische Fortsetzung seiner Entscheidung die Wahrheit zu praktizieren und die Herrschaft Christi uber das gesamte Leben herauszuarbei-ten sei es das Leben im Mutterleib in der Kirche oder im Houmlrsaal

bull Im Jahr 1984 als er immer noch ge-gen den 1978 bei ihm diagnostizier-ten Krebs kaumlmpfte unternahm er buchstaumlblich auf dem Sterbebett eine Rundreise durch 13 Staumldte bei der er zehn christliche Colleges besuchte Dies geschah in Zusammenhang mit seinem letzten Buch The Great Evan-gelical Disaster (dt Die groszlige Anpas-sung Der Zeitgeist und die Evange-likalen) Auf seiner letzten Rundreise sprach er leidenschaftlich im Namen des Evangeliums warnte dabei und flehte die evangelikale Gemeinde an weder in der Lehre noch in der Praxis Kompromisse in Bezug auf die Auto-

ritaumlt der Bibel einzugehen Er nannte dabei sogar Namen derer von denen er glaubte dass sie das getan haumltten Er rief eine neue Generation von Christen dazu auf fur die Wahrheit einzutreten in seinen Worten bdquoRadikale fur Chris-tusldquo zu sein

bull Am 15 Mai 1984 einen Monat nach-dem die Rundreise abgeschlossen war starb er in Rochester Minnesota

Lehren die wir aus dem Denken Francis Schaeffers ziehen koumlnnen

Ideen haben Konsequenzen

Eines der groszligen Vermaumlchtnisse des Werkes Francis Schaeffers war es uns zu zeigen dass bdquoIdeen Konsequenzen ha-benldquo18 Auch wenn seine Analyse nicht in allen Teilen vollstaumlndig korrekt war hatte Schaeffer doch ganz Recht darin dass die westliche Gesellschaft eine bdquoLi-nie der Verzweiflungldquo erlebt hatte ndash einen langsamen Prozess durch den Ideen hi-nuntersickerten von der Philosophie zur Kunst zur Musik zur allgemeinen Kul-tur und schlieszliglich zur Theologie19 Das kulturelle Durcheinander in dem wir le-ben kam nicht aus dem Nichts sondern hat eine lange Geschichte

Wie Schaeffer uns immer wieder erin-nert hat gibt es bei der Entfaltung von Ideen einen Einfluss in die Geschichte

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

18 7 8 6 uuml

ndash sei es zum Guten oder zum Schlech-ten Zusaumltzlich lehrte uns Schaeffer dass wir um unsere Gegenwart zu verstehen auch den Lauf der Geistesgeschichte er-fassen mussen die uns vorausging Dies betrifft auch die Auswirkungen die sie auf uns hat und haben wird wenn die Menschen schlieszliglich gemaumlszlig ihren Glaubensuberzeugungen handeln Ei-gentlich warnte uns Schaeffer dass wir wenn wir die Geistesgeschichte nicht durchdenken werden wir nicht nur un-sere eigene Zeit missverstehen sondern wir werden auch zu unserem gegen-waumlrtigen Zeitalter nichts Konstruktives zu sagen haben werden Wir werden unvermeidlich dem sprichwoumlrtlichen Frosch im Wassertopf gleichen der die Tatsache nicht wahrnimmt dass das Wasser langsam erhitzt wird und dass das Ergebnis wenn er nicht sofort aus dem Topf springt Zerstoumlrung sein wird

Fur christliche Leiter Pastoren und Lehrer ist diese Lehre von aumluszligerster Wichtigkeit Wenn wir unserem Herrn und seinem Volk treu bleiben wollen wenn wir unserer Generation etwas Loh-nendes sagen wollen wenn wir die sein wollen die wirklich ihre Zeit verstehen und zu den draumlngenden Fragen des Ta-ges Stellung nehmen wollen dann wird das nicht weniger erfordern als ein tief-gehendes Verstaumlndnis des Tages und des Zeitalters in dem wir zu dienen und zu arbeiten berufen sind Doch nicht nur das es erfordert ebenso eine ganze Hin-gabe an den Herrn und sein Wort In

diesem Zusammenhang zitierte Schaef-fer oft und gerne die beruhmte Aussage Martin Luthers

Wenn ich auch mit der lautesten Stimme und klarsten Darlegung jedes Stuck der Wahrheit Gottes bekenne mit Ausnahme genau jenes kleinen Punktes den die Welt und der Teufel im Mo-ment angreifen dann bezeuge ich nicht Christus wie lautstark auch immer ich mich zu ihm bekenne Die Treue eines Soldaten beweist sich da wo gerade der Kampf wutet Auszligerhalb des Kampfes an der Front standhaft zu sein ist nichts anderes als Flucht und Schande wenn man am entscheidenden Punkt zuruckweicht20

Das war fur Francis Schaeffer keine Theorie Fur ihn war das eine Sache auf Leben und Tod Wir mussen so warnte er die Wichtigkeit von bdquoIdeenldquo begrei-fen um unsere Zeiten recht zu verste-hen Wenn wir das nicht tun werden wir naumlmlich vom bdquoGeist unserer Zeitldquo hinweggefegt werden ohne auch nur zu merken was uns geschieht

Der Kampf des Tages Die Idee der Wahrheit

Was war demnach fur Schaeffer die bdquoSchlusselideeldquo die wir heute begreifen mussen Was sollte die Kirche aus ei-ner Analyse der Geistesgeschichte ler-nen um dem Herrn heute treu bleiben zu koumlnnen Was ist unser Kampf Fur

Schaeffer ist die Antwort unstrittig Un-ser Kampf heute ist ein Kampf fur die Idee und das Konzept von Wahrheit an sich

Die heute zwischen den Generationen aufgebrochene Kluft ist zum groumlszligten Teil durch einen Wandel im Wahr-heitsverstaumlndnis entstanden Wo immer wir hinschauen herrscht dieses neue Verstaumlndnis vor Es umgibt uns als ein nahezu fugenloser Meinungsblock auf allen Gebieten sei es in den Kunsten in der Literatur oder auch nur beim Lesen von Zeitungen und Wochenschriften wie Spiegel Weltwoche Welt am Sonn-tag Sunday Times LlsquoExpreszlig de Paris Elsevierlsquos Weekblad und anderen mehr Von allen Seiten her spuren wir den Wurgegriff einer neuen Methodologie ndash und mit Methodologie meinen wir die Art und Weise wie wir an Wahrheits-erkenntnis und Wissen herangehen Es ist erstickend wie der dichteste Londo-ner Nebel Und sowenig sich der Nebel durch Waumlnde und Turen abhalten laumlsst so wenig koumlnnen wir uns der vorherr-schenden Meinung entziehen Das geht so weit dass wir in unseren eigenen vier Waumlnden nicht mehr klar sehen und uns doch nicht erklaumlren koumlnnen was eigent-lich geschehen ist Die Tragik unserer heutigen Situation liegt darin dass die neue Einstellung zur Wahrheit Maumlnner und Frauen in ihren Lebensgrundlagen erschuttert hat ohne dass sie sich jemals Rechenschaft uber den neuen Kurs ge-geben haben Die jungen Menschen

werden zunaumlchst im Rahmen des alten Wahrheitsverstaumlndnisses erzogen Dann geraten sie unter den Einfluss der mo-dernen Auffassung Mit der Zeit wer-den sie unsicher weil sie die ihnen vor-gelegte Alternative nicht durchschauen Diese Unsicherheit fuhrt zu Verwirrung und bald zu einem inneren Zerbruch ndash unglucklicherweise nicht nur bei jun-gen Menschen sondern auch bei vielen Pfarrern Lehrern Evangelisten und Missionaren So ist wie ich meine die veraumlnderte Auffassung uber den Weg der zu Erkenntnis und Wahrheit fuhrt das entscheidende Problem das sich der Christenheit heute stellt21

In der Literatur der Gegenwart sei sie philosophisch wissenschaftlich litera-risch oder theologisch wird fur das auf was Schaffer sich bezieht oft der Begriff bdquoPostmodernismusldquo gebraucht Auch wenn Schaeffer selbst niemals den Be-griff benutzte sah er den Inhalt voraus und beschrieb ihn bevor der Gebrauch des Begriffs Mode wurde22 Schaeffer hatte eine Gabe das zu tun Oft konnte er bdquosehenldquo wohin Ideen gingen weil er die Maxime ernst nahm bdquoIdeen haben Konsequenzenldquo Im heutigen Gebrauch bezeichnet bdquoPostmodernismusldquo eine Denkweise die fest verknupft ist mit der Verleugnung von Wahrheit in jedem objektiven universalen Sinn Er wird oft dem bdquoModernismusldquo gegenubergestellt der viel vom Geist der Aufklaumlrung wi-derspiegelt einem Geist der interessan-

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 197 8 6 uuml

terweise viel vom Christentum entliehen hat Wie das Christentum so glaubte auch er dass Wahrheit objektiv und uni-versal sei und dass die Vernunft durch Forschung und Untersuchung Wahrheit erlangen koumlnne Anders als das Chris-tentum versuchte er jedoch Wahrheit ohne Abhaumlngigkeit von Gott und sei-nem gesprochenen Wort zu entdecken Statt dem christlichen Motto bdquoGlaube sucht zu verstehenldquo zu folgen und die Prioritaumlt der goumlttlichen Offenbarung zu unterstreichen versuchte der Modernis-mus dem Programm bdquoIch verstehe um zu glaubenldquo zu folgen In diesem Sinn versuchte der Modernismus dann alle Wahrheitsanspruche seien sie philoso-phischer oder theologischer Art unter der bdquoAutoritaumltldquo des menschlichen Ver-standes unabhaumlngig von Gottes Wort zusammenzufassen Der Postmodernis-mus auf der anderen Seite ist in Wirk-lichkeit logisch zu Ende gedachter Mo-dernismus und ist sich daher erkenntnis-theoretisch seines Ausgangs und seines Ergebnisses viel bewusster23 In diesem Sinn nimmt der Postmodernismus das Projekt der Aufklaumlrung ernst das sein Zentrum im autonomen Selbst hat Dann aber kommt er zu Recht und iro-nischerweise zu dem Schluss dass wenn die Sicht der Aufklaumlrung richtig ist die Wahrheit niemals universal sein koumlnne Warum Der einfache Grund ist dass endliche Menschen und Gemeinschaf-ten zu sehr historisch positioniert und

soziologisch abhaumlngig sind als dass sie jemals einen bdquoGesichtspunkt mit Gottes Augeldquo d h einen objektiven universa-len unbefangenen Gesichtspunkt liefern koumlnnten Wahrheit kann letztlich nicht das sein was der Modernismus von ihr zu sein erwartete sie muss vielmehr perspektivisch provisorisch und endlich sein Letztendlich ist sie das was die Ge-meinschaft am houmlchsten bewertet d h sie ist pragmatisch

Falls der Postmodernismus wahr ist sind naturlich alle Behauptungen von Einzelnen oder Gemeinschaften bdquodie Wahrheitldquo zu kennen notwendigerweise falsch ndash tatsaumlchlich eine interessante Iro-nie Postmodernismus ist im Tiefsten ein Misstrauen gegen jeden der sagt bdquoSo ist esldquo oder bdquoDas ist die Wahrheitldquo und als solcher neigt er zu einem umfassenden Pluralismus Relativismus und Skepti-zismus So erinnert uns D A Carson daran dass heute bdquoder einzige absolute Glaube der Glaube an den Pluralismusldquo ist24 ndash d h jedermanns Gesichtspunkt ist willkommen ob er nun philosophi-sche moralische oder religioumlse Themen betrifft Auch wenn Francis Schaeffer niemals das Wort bdquoPostmodernismusldquo gebrauchte warnte er uns vor der Idee und ihren Konsequenzen Eigentlich war es diese bdquoIdeeldquo die er kontinuier-lich in seinen Buchern und Vortraumlgen herausgearbeitet hat damit wir sie ver-stehen und begreifen Im Kern so vieler Themen mit denen die Kirche konfron-

tiert ist so argumentierte er liegt eine erkenntnistheoretische Verschiebung die im Denken und in der Kultur des Westens stattgefunden hat ndash eine Ver-schiebung die wir nun Postmodernis-mus nennen eine Verschiebung weg von der Wahrheit oder von dem was er bdquowahre Wahrheitldquo nannte25

Wenn wir diese Verschiebung nicht verstehen sie nicht ernst nehmen und ihr nicht entgegentreten so warnte er uns auch dann werden wir nicht den Kampf unserer Tage als gute Soldaten Jesu Christi kaumlmpfen Am Ende werden unser Lehren Predigen unsere Apologe-tik und unsere Evangelisation auf taube Ohren stoszligen weil sie nicht angemessen unsere Generation ansprechen

Unsere Generation wird die Darbie-tung des Evangeliums entweder als ein Relikt einer vergangenen Aumlra oder in den Kategorien einer postmodernen Gesellschaft houmlren und daher das Evan-gelium relativieren26 Was heute letzt-lich auf dem Spiel steht so behauptete Schaeffer ist ein Kampf um das gesamte Weltbild Nicht laumlnger geht es bei dem Kampf fur das Evangelium um diesen oder jenen Punkt sondern um die ge-samte Struktur und den Rahmen ndash ein Kampf bei dem es nach Ausmaszligen und Konsequenzen um Leben und Tod geht Es ist diese letzte Beobachtung die neu von Francis Schaeffer gelernt werden muss Schaeffers groszliges Anliegen war die Verkundigung des Evangeliums und

der Aufbau der Kirche Er wollte treu zu seiner Generation in solch einer Weise sprechen dass das Evangelium als das gehoumlrt wurde was es wirklich war Des-halb muhte er sich darum Menschen die Geistesgeschichte verstehen zu lassen ndash nicht um der Neugierde willen son-dern mit dem Ziel ihre Zeit besser zu verstehen Bei aller berechtigten Debat-te uber die Genauigkeit von Schaeffers Interpretation solcher Leute wie Thomas von Aquin Georg Friedrich Hegel Souml-ren Kierkegaard verschiedener Kunstler und Musiker und sogar Karl Barths er-kennen die meisten an dass Schaeffers Gesamtanalyse korrekt ist ndash eine Analy-se die zu oft sowohl in ihren theoreti-schen als auch praktischen Auswirkun-gen vergessen worden ist

Ohne Berucksichtigung aller Details lag Schaeffer darin richtig die erkennt-nistheoretischen Verschiebungen zu be-tonen die in der westlichen Gesellschaft stattgefunden hatten Verschiebungen die unglaubliche praktische Konsequen-zen haben Wir wollen kurz drei dieser praktischen Auswirkungen hervorhe-ben vor denen Schaeffer uns warnte und die fur die Kirche heute von besonderer Wichtigkeit sind

Die Verschiebung zur Erfahrung

Mit dem Verlust der Wahrheit geht eine zunehmende Verschiebung zur Erfah-rung einher zu einer Erfahrung aller-

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

20 7 8 6 uuml

dings die oft ohne Inhalt und Wahr-heit ist In seiner Analyse des westlichen Denkens vertritt Schaeffer die Auffas-sung dass der moderne Mensch zuneh-mend begann die Welt auf eine natu-ralistische Art zu betrachten27 In der Wissenschaft gab es eine Verschiebung von der Ansicht dass es eine Gleichfoumlr-migkeit naturlicher Ursachen in einem kontrollierten System gebe durch die Gott das System staumlndig erhaumllt und so-gar eingreifen kann wenn er sich dazu entscheidet hin zu der Sicht dass es ein geschlossenes System gebe dass Gott ausschlieszligt In der Philosophie beson-ders in der des Westens gab es einen wachsenden aufklaumlrerischen Impuls hin zum bdquoRationalismusldquo28 das heiszligt zu ei-ner Geisteshaltung die versuchte durch die menschliche Vernunft eine einheitli-che Sicht von Welt und Leben zu liefern

Dies geschah in einer solchen Wei-se dass die Vernunft zunehmend un-abhaumlngig von goumlttlicher Offenbarung funktionierte Diese Verschiebungen fuhrten jedoch wie Schaeffer behaup-tete schlieszliglich zu einer dichotomen Sicht der Wirklichkeit die er bdquodas Un-ter- und das Obergeschossldquo nannte Das laumlsst sich belegen durch Dialektiken wie die der Spaltung in bdquoNatur-Freiheit und bdquoPhaumlnomenon-Noumenonldquo bei Imma-nuel Kant29 Das Problem bei dieser dialektischen Sicht der Wirklichkeit so behauptet Schaeffer besteht darin dass sie uns mit einer schrecklich gespaltenen

Sicht von der Welt zurucklaumlsst Die un-abhaumlngig von der goumlttlichen Offenba-rung handelnde menschliche Vernunft hat keine Moumlglichkeit zu begrunden wie diese naturalistische determinierte auf Ursache und Wirkung aufbauende unpersoumlnliche Welt im bdquoUntergeschossldquo (d h im Bereich der bdquoNaturldquo) dem bdquoObergeschossldquo (d h dem Bereich der bdquoFreiheitldquo) in dem wir versuchen Sinn Werte Ziele und Freiheit zu finden eine vernunftgemaumlszlige Grundlage geben kann Was sollen also die Menschen tun Leben sie konsequent nach den Schlussfolgerungen zu denen sie ihre Vernunft im bdquoUntergeschossldquo gefuhrt hat ndash naumlmlich dass sie determiniert und ohne Bedeutung sind Nun man-che versuchen das Nach der Lehre der Schrift jedoch so beobachtet Schaeffer ist diese Sicht der Wirklichkeit falsch alle Menschen sind nach dem Bild Got-tes gemacht

Es ist daher nahezu unmoumlglich mit solch einer Sicht zu leben Die Men-schen geben daher in der Praxis die Moumlglichkeit einer Vereinigung dieser dichotomen Bereiche auf d h sie geben die Hoffnung auf Wahrheit im Sinne einer einheitlichen Weltsicht auf und bewegen sich dann auf Irrationalitaumlt zu Sie argumentieren fur Sinn Werte Ziele und Freiheit tun dies jedoch ohne eine vernunftgemaumlszlige Grundlage Sie le-ben im bdquoGlaubenldquo mit einem Glauben jedoch der wenig oder keinen Inhalt

und kein vernunftgemaumlszliges Fundament hat Sie setzen in das bdquoObergeschossldquo wie Schaeffer wiederholt betonte eine Konzentration auf Erfahrung eine Er-fahrung allerdings die fur alles offen ist eine Erfahrung die so verschiedenartig sein kann wie Drogen und Sex in den 1960er Jahren und New-Age- Spirituali-taumlt in den 1980ndash90er Jahren30 Fur Scha-effer ist daher die beste Charakterisie-rung bdquopost-modernerldquo Menschen (oder wie er es nannte bdquomoderner modernerldquo Menschen) dass sie mit der Dichotomie zwischen dem bdquoUnter- und dem Ober-geschossldquo leben Fur ihn war das nicht nur eine schlaue Feststellung es war das Herzstuck der Sache Welche prak-tischen Folgen hat das heute fur uns Eine massive Folgewirkung hat das so behauptet Schaeffer fur unsere Evange-lisation Bei unserer Verkundigung des Evangeliums mussen wir uns bestaumlndig daran erinnern dass wir zu Menschen predigen die mit dieser Dichotomie le-ben Und wenn wir nicht vorausahnen wie sie houmlren werden was wir sagen gehen wir das Risiko ein mit ihnen nicht auf geeignete Weise zu kommuni-zieren Wir riskieren es sogar Bekehrte zu machen die an Jesus bdquoglaubenldquo als lediglich eine weitere bdquoObergeschossldquo-Erfahrung losgeloumlst von Wahrheit Ver-nunftgemaumlszligheit und Wirklichkeit Und Schaeffers Kritik an der evangelikalen Bewegung konzentrierte sich genau auf diesen Punkt Auf der einen Seite war

er besorgt dass Evangelikale bei ihrer Evangelisation Lehre und Inhalt zu-gunsten von Erfahrung herunterspiel-ten Wenn wir Menschen zum retten-den Glauben rufen mussen wir ihnen klarmachen dass die Wirklichkeit des Evangeliums bdquowahre Wahrheitldquo weiter-gibt Wir mussen dabei Menschen mit dem bdquoGott der keine Illusion istldquo kon-frontieren

Die Menschen mussen begreifen dass Glaube kein blinder Sprung ist sondern verwurzelt und gegrundet ist in der Wahrheit Erfahrung ist wich-tig und Schaeffer betonte diese Tatsa-che stark Aber Erfahrung darf nicht losgeloumlst von der Wahrheit sein31 Auf der anderen Seite war er im Bereich der akademischen Theologie besorgt dass Evangelikale zu viel aus der Theologie der Neoorthodoxie ubernahmen Er glaubte es sei ein Fehler gigantischen Ausmaszliges mit Karl Barth eine Position zu vertreten die die Moumlglichkeit sol-cher Fehler in der Schrift einraumlumt die nicht unseren Glauben an den Herrn Jesus Christus negativ beeinflussen Er sah Barths Theologie als ein weiteres Beispiel dafur an wie das zeitgenoumlssi-sche Denken die Wirklichkeit dichoto-misiert und bdquoGlaubenldquo und Theologie von vernunftgemaumlszliger Begrundung und verifizierbarer Geschichte scheidet32 In diesen Punkten liegt Schaeffer richtig Die evangelikale Bewegung darf beson-ders heute die Themen Wahrheit Inhalt

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 217 8 6 uuml

und Lehre nicht vergessen Erfahrung ist wichtig Aber Erfahrung muss im-mer in der Wahrheit des Wortes Gottes begrundet sein Ausgehend von der Ten-denz unserer Generation sich auf Erfah-rung zu berufen mussen wir vorsichtig sein dass wir uns nicht an unsere Zeit anpassen Es ist sehr wichtig was wir glauben und letztendlich an wen wir glauben Nicht jeder bdquoGlaubeldquo oder jede bdquoGlaubensformldquo sind gleichwertig Das fuhrt mich zu einer zweiten praktischen Folge vor der uns Schaeffer warnte

Die Herausforderung des religioumlsen Pluralismus

Mit dem Verlust der Wahrheit werden eine zunehmende Betonung des religiouml-sen Pluralismus und ein Herunterspielen der Ausschlieszliglichkeit des Evangeliums einhergehen Wenn Schaeffer uber reli-gioumlsen Pluralismus sprach bezog er sich nicht auf die empirische Beobachtung dass es viele Religionen auf der Welt gibt und dass es sogar im Westen wo das Christentum einst vorherrschend war ein zunehmendes Wachstum von Religionen gibt Er bezog sich viel-mehr auf die Geisteshaltung die nicht zulaumlsst dass irgendeine Religion wahr oder besser als die andere ist Er sah dies als eine praktische Konsequenz aus der Verleugnung der Wahrheit an Wir die wir am Anfang des 21 Jahrhunderts le-ben werden mit dieser Haltung uberall

konfrontiert Wenn die Southern Bap-tist Vollversammlung Gebetsbriefe ver-sendet und darin sagt dass Juden und Hindus evangelisiert werden mussen weil sie verloren sind dann koumlnnen wir uns vorstellen welche Art von Reaktio-nen sie auszligerhalb der Kirche und leider auch bei denen die sich mit der Kirche identifizieren hervorrufen Bei Schaef-fer ist an diesem Punkt interessant dass er das bereits vor langer Zeit in den 1960er Jahren kommen sah33 Als eine wichtige Begleiterscheinung des Verlus-tes der Wahrheit sah er voraus dass ein umfassender Pluralismus an ihre Stelle gesetzt wurde Und Teil unserer Beru-fung in unserer Generation ist es an diesem Punkt fest zu stehen und einen ausschlieszliglichen Christus ohne Kom-promisse in einem inklusiven pluralis-tischen Zeitalter zu verkundigen

Die Entwertung des menschlichen Lebens

Mit dem Verlust der Wahrheit geht eine dritte praktische Folge einher naumlmlich die Entwertung des menschlichen Le-bens Ich habe das schon oben erwaumlhnt und werde unten darauf hinweisen Es ist jedoch wichtig aufzuzeigen dass Schaeffers Vorhersage der nachchrist-liche Westen werde beginnen das Le-ben zu entwerten eine Vorhersage war die in seiner Analyse der Verschiebung von Ideen weg vom einem christlichen

Verstaumlndnis der Welt zu einem mo-dernen und schlieszliglich postmodernen Verstaumlndnis der Wirklichkeit verwurzelt war Schaeffer hatte die Menschen seit Jahren gewarnt dass das Weltbild des Westens sich in Richtung auf eine In-terpretation der Wirklichkeit allein im Sinne eines unpersoumlnlichen geschlosse-nen Systems bewege Naturlich war die Folge davon nicht nur dass Chemie und Physik innerhalb eines bdquogeschlos-senen Systemsldquo interpretiert wurden sondern das gleiche geschah mit den Geisteswissenschaften der Psychologie Soziologie der Literaturwissenschaft und sogar der Theologie Darin lag eine massive Wende zum Unpersoumlnli-chen und das so sagte Schaeffer vo-raus wurde zu einer Entwertung des menschlichen Seins fuhren Naturlich lag Schaeffers Vorhersage genau richtig Ethische Fragen und heute ubliche De-batten (uber Abtreibung Kindestoumltung Euthanasie Klonen) sind saumlmtlich Be-lege fur den Ausverkauf des Wertes des menschlichen Lebens Aus diesem Grund nahm Schaeffer eben diesen Standpunkt an der sozialen Front ein Es war nicht ein Standpunkt fernab von seiner Theologie vielmehr unterstrich er ihn genau aus dem Grund weil er sah dass Ideen Konsequenzen haben und dass die Wahrheit zum Handeln ruft Wie ich festgestellt habe ist Schaeffers staumlndige Betonung dass bdquoIdeen Kon-sequenzen habenldquo eines seiner groszligen

Vermaumlchtnisse das zu vernachlaumlssigen eine groszlige Gefahr bedeutet Auszligerdem mussen wir von Schaeffer lernen heu-te unserem Herrn treu zu bleiben und das Evangelium in einer solchen Weise zu verkundigen dass es wirkungsvoll zu den Menschen spricht Wir mussen Christen dafur auszurusten ihre Welt zu verstehen und in ihr auf eine solche Weise zu leben dass sie nicht von ihr gepraumlgt werden Er lehrte uns dass dies nicht lediglich akademische Fragen sind sondern Fragen auf Leben und Tod

Die Wichtigkeit des Denkens in Weltbildern

Francis Schaeffer lehrte uns nicht nur dass bdquoIdeen Konsequenzen habenldquo Er erinnerte uns auch daran dass die ent-scheidenden bdquoIdeenldquo um die die Debatte geht letztlich eine Frage des Weltbildes sind Das ist zwar keine neue Beobach-tung aber eine die bis vor kurzem oft vernachlaumlssigt wurde34 Ausgehend von den ungeheuren Verschiebungen die in der Gesellschaft stattgefunden haben ist es wichtig zu erkennen dass wir in einem Kampf stehen bei dem es nicht nur um diesen oder jenen Punkt der christlichen Wahrheit geht Es geht um ganze Systeme von Weltbildern die im Widerstreit liegen Schaeffer sprach von diesen Unterschieden der Weltbilder als von Unterschieden der Denkvorausset-zungen35 Er vertrat die Auffassung dass

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

22 7 8 6 uuml

im Westen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts jeder ndash Christen und Nichtchristen gleicherweise ndash unter dem starken Einfluss einer christlichen Sicht der Wirklichkeit von den grundlegend selben Denkvoraussetzungen ausging Auch wenn man argumentieren koumlnn-te dass die Nichtchristen aufgrund ihrer Zuruckweisung des christlichen Weltbildes kein Recht haumltten von die-sen Denkvoraussetzungen auszugehen koumlnnte man doch sagen dass es eine Ge-meinsamkeit im Denken gab Als aber schlieszliglich die Menschen begannen in einer konsequenteren Weise nach ihren Denkvoraussetzungen zu handeln und sie das noch weiter von dem christli-chen Weltbild wegfuhrte merkten viele Christen nicht was geschehen war Und so passierte was Schaeffer folgenderma-szligen kommentiert

bdquoDie Fluten von saumlkularem Denken und liberaler Theologie uberschwemmten die Kirche weil die Leiter die Bedeutung des Kampfes gegen das Bundel falscher Denkvoraussetzungen nicht verstanden Sie kaumlmpften weitgehend auf dem fal-schen Territorium und hinkten daher elend hinterher statt in der Verteidi-gung und der Kommunikation vorne zu sein Dies ist eine wirkliche Schwaumlche die unter den Evangelikalen selbst heute schwierig zu korrigieren istldquo36

Der Mangel in Weltbildern zu denken ist auszligerdem so argumentiert Schaef-fer zuruckzufuhren auf die Art unserer

Ausbildung sei sie christlicher oder sauml-kularer Art Er beobachtete scharfsin-nig dass wir in unserer Ausbildung oft zu einer Spezialisierung neigen ohne die Wechselbeziehungen zwischen den Disziplinen zu sehen und einen Uumlber-blick zu gewinnen d h ohne das Welt-bild zu sehen Dadurch stehen wir in der Gefahr die Beziehungen verschiedener Ideen zueinander nicht zu sehen und so auch die Konsequenzen der Ideen nicht wahrzunehmen Schaeffer stellt fest

Eine groszlige Schwaumlche unseres heutigen Bildungssystems ist das mangelnde Ver-staumlndnis der naturlichen Beziehungen zwischen den Disziplinen Wir betrei-ben unsere Wissenschaften als waumlren sie beziehungslose parallel nebeneinander herlaufende Linien Diese Fachblind-heit begegnet uns sowohl im christlichen als auch im weltlichen Bildungswesen und deshalb wurden die christlichen Kreise von dem groszligen Erdrutsch in unserer Generation uberrascht Wir ha-ben unsere Exegese als Exegeten unsere Theologie als Theologen Philosophie als Philosophen betrieben Wir studierten Kunst als Kunst und Musik als Mu-sik ohne daran zu denken dass dies alles Lebensaumluszligerungen des Menschen sind und dass Lebensaumluszligerungen des Menschen niemals beziehungslos neben-einander herlaufende Parallelen sein koumlnnen37

Das ist eine wichtige Lektion die wir besonders in unseren Tagen lernen

mussen In vielerlei Hinsicht sind wir wieder dort wo Paulus in Athen zu ei-ner Zuhoumlrerschaft und einem Umfeld predigte das pluralistisch heidnisch und dem Christentum in Bezug auf sein Weltbild fremd war (Apostelgeschichte 17) Aus diesem Grund vertritt Schaef-fer unter Berufung auf Texte wie Apg 17 wiederholt die Auffassung dass wir bdquoPrauml-Evangelisationldquo betreiben mussen was er eng mit Apologetik verband Er vertrat die Auffassung dass es zwei Ziele der Apologetik gebe Erstens das christliche Weltbild gegen Angriffe zu verteidigen und Menschen Grunde zu nennen warum wir glauben das das Christentum wahr sei Es gibt aber noch ein zweites Ziel der Apologetik das eng mit Evangelisation verbunden ist Wir mussen naumlmlich das Evange-lium unserer Generation in Begriffen die sie verstehen kann weitergeben Teil unserer Aufgabe in Evangelisation und Apologetik ist es daher das Evangelium als das darzubieten was es wirklich ist innerhalb des Weltbildes der Menschen unserer Generation Nur dann werden Menschen die Anspruche und Forde-rungen die das Evangelium an sie stellt richtig houmlren38

Das wirkte sich im Leben Schaeffers praktisch so aus dass er in seiner Evan-gelisation und seiner Darbietung des christlichen Glaubens nicht mit bdquoNimm Jesus als Retter aufldquo begann Stattdes-sen pflegte er dort zu beginnen wo die Schrift beginnt Er fing mit der Lehre

von Gott an damit die Weltbildstruk-turen des christlichen Glaubens zu er-richten die in der Lehre von der Schoumlp-fung der Offenbarung und dem histo-rischen Sundenfall grunden und dann und wirklich erst dann ging er zur Erlouml-sung uber dazu die Menschen auf den Herrn Jesus Christus zu verweisen der allein ihre einzige Hoffnung ist39 Wa-rum Wie Paulus in Athen wusste er Wenn er nicht zuerst einen biblischen Bezugsrahmen d h ein Weltbild ent-wickelte wurde die Verkundigung des Evangeliums keinen Sinn ergeben und seine Zuhoumlrer wurden das Evangelium nicht als das houmlren was es wirklich ist in seinen eigenen Kategorien und in sei-nen eigenen Begriffen Schaeffer hatte wie Paulus das groszlige Anliegen dass das Evangelium nicht faumllschlich aufgegeben oder in einen anderen fremden Welt-bildrahmen umgedeutet werden wurde weil das nur zu einer Entstellung der Botschaft des Evangeliums fuhrt Um Jesus Christus nicht nur als einen wei-teren Gott oder Retter sondern als aus-schlieszliglichen Herrn Retter und Richter besonders in unserem pluralistischen postmodernen inklusiven Zeitalter dar-zubieten war es zwingend wie Schaef-fer sah ein biblisch-theologisches Rah-menwerk aufzubauen das in der Hand-lung der Schrift verwurzelt ist Er sah also dass es entscheidend war in einem Weltbild zu denken das in dem einen Gott der wirklich bdquoda istldquo verwurzelt und gegrundet ist In Wahrheit war das

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 237 8 6 uuml

wozu uns Schaeffer aufrief und was er in seinem eigenen Leben vorbildhaft dar-stellte das Treiben von Theologie Im weitesten Sinne ist es die Aufgabe der Theologie die ganze Schrift auf die Fra-gen des Lebens anzuwenden Sie muss innerhalb der Kategorien der Struk-turen und der Lehren der Schrift dem Handlungsablauf der Schrift folgen und ihn auf die Welt anwenden Sie muss aus dem Weltbild der Schrift heraus leben und dieses biblisch-theologische Rah-menwerk uber alle anderen Weltbilder stellen

Kurz gesagt muss sie neu lernen wie man bdquodie Gedanken Gottes ihm nach-denktldquo und bdquojeden Gedanken in den Gehorsam gegen Christus gefangen-nimmtldquo40 Das war Schaeffers Staumlrke und das ist eine andere entscheidende Lektion die wir von ihm lernen mussen Ich bin von Folgendem uberzeugt Die Tatsache dass Schaeffer staumlndig auf der Weltbildebene gedacht hat erklaumlrt wa-rum er so unerbittlich darauf bestand dass Evangelikale an gewissen Punkten der Lehre keine Kompromisse einge-hen durfen Weil er erkannte dass der christliche Glaube ein Weltbild war und dass seine Einzelteile als ein Gan-zes bdquozusammenhingenldquo war er sehr be-sorgt wenn evangelikale Gelehrte an einigen dieser scheinbar bdquounbedeuten-denldquo Punkten nagten So war es ihm zum Beispiel ein groszliges Anliegen dass Adam als eine historische Gestalt und

der Sundenfall als ein Ereignis in Raum und Zeit angesehen wurden und dass die ersten Kapitel des 1 Buches Mose nicht ihrer Geschichtlichkeit beraubt wurden Warum Weil er zu Recht sah dass wir die Bibel zu ihren eigenen Be-dingungen annehmen mussen dass wir diese entscheidenden Ausgangspunkte beibehalten mussen die die Bausteine fur den Rest der Geschichte sind

Denn sonst wurde nicht nur das Welt-bild des historischen Christentums zu-sammenbrechen sondern letzten Endes wurde der christliche Glaube selbst zu nicht mehr als einer weiteren Sache im bdquoObergeschossldquo werden fern von ver-nunftgemaumlszliger Begrundung von der Wahrheit und vom dem Gott der wirk-lich bdquoda istldquo41 Auf dem Spiel steht mit anderen Worten nicht nur ein Punkt der Lehre sondern der ganze Anspruch des Weltbildes und in Wirklichkeit das Evangelium Wenn wir von Schaeffer an diesem Punkt lernen wollen muss unser Denken Lehren Predigen und Leben viel mehr bdquoweltbildlichldquo sein In unse-rem Kampf heute geht es um ganze Sys-teme von Weltbildern Daher mussen wir in unserem Lehren und Predigen haumlrter daran arbeiten den Menschen zu zeigen wie die Teile der Schrift als ein schlussiges Ganzes zusammenhaumln-gen und wie diese Teile zur Bildung eines Weltbildes fuhren Es gilt aber noch mehr In unserer Evangelisation im Sprechen zu einer Kultur die zuneh-

mend mit fremden Weltbildern operiert und wenig uber den christlichen Glau-ben weiszlig mussen wir neu lernen das Evangelium innerhalb seines eigenen Weltbildes weiterzugeben indem wir mit dem Gott beginnen der bdquokeine Il-lusion istldquo

Die Zentralitaumlt der Lehre von Gott

Francis Schaeffer war ein wahrhaft gottzentrierter Mann Das galt nicht nur fur seine persoumlnliche Andacht und sein persoumlnliches Leben das galt auch in Bezug auf sein Denken42 Es ist auf-schlussreich dass schon die Titel seiner Bucher (z B bdquoGott ist keine Illusionldquo bdquoUnd er schweigt nichtldquo) die Tatsache illustrieren dass fur Schaeffer all die Antworten des Lebens Sinn Moral Bedeutung und Werte in dem persoumln-lich-unendlichen dreieinigen Gott der Schrift verwurzelt und gegrundet sind Interessanterweise gibt es ein logisches Fortschreiten in diesen Lektionen Sie sind nicht willkurlich oder planlos Was ist mit der westlichen Kultur geschehen Laut Schaeffer hat sich der moderne Mensch von dem Gott der Schrift ab-gewandt Weil er das tat hatten die fremden Weltbilder die wir in unserer postmodernen Kultur um uns herum sehen gewisse Folgen Was ist dann die Loumlsung fur unser Problem Wohin

sollen wir uns wenden um die Dichoto-mien in unserem Geistesleben die Ent-fremdung in unserem persoumlnlichen Le-ben und die Unpersoumlnlichkeit in unserer Gesellschaft zu uberwinden Zuruck zu dem dreieinigen Gott der Schrift Denn es ist nur er der persoumlnlich-unendliche Gott der der Schoumlpfer Erhalter und der vorhersehende Herr ist der Gott der spricht bei dem wir die Antworten auf die Fragen des Lebens finden koumlnnen In ihm allein gibt es intellektuelle Ant-worten weil er die Quelle der Wahrheit und der Maszligstab fur sie ist

Aber auch Vergebung Heilung Rechtfertigung und Erloumlsung gibt es nur in ihm Fur Schaeffer ist Gott nicht nur die transzendentale Notwendigkeit fur Sinn Wahrheit und Werte Er ist auch unser Teil Er ist der Gott der kei-ne Illusion ist der erkannt geliebt und angebetet werden kann

Genau an diesem Punkt mussen wir von Schaeffer lernen Erstens mussen wir neu lernen wie zentral die Lehre von Gott fur unser christliches Weltbild ist Wir mussen das besonders deshalb lernen weil wir in einer Zeit des religi-oumlsen Pluralismus leben in der das Wort bdquoGottldquo im Wesentlichen bedeutungs-los und inhaltslos geworden ist Wir mussen den Mut haben aufzustehen und den einen Gott und keinen ande-ren zu verkunden Wir brauchen sogar in der evangelikalen Welt Mut in der zurzeit eine Debatte uber die Lehre von

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

24 7 8 6 uuml

Gott tobt um zu sagen dass nicht alle Vorstellungen von Gott gleich sind43 Es ist nur der Gott der Schrift wie er im historischen Christentum dargeboten wird der keine Illusion ist

Zweitens jedoch mussen wir neu ler-nen dass unsere Lehre von Gott nicht nur theoretisch sein darf Dieser Gott muss auch unser Teil sein Er muss der eine sein der unser Denken und unser Leben in Beschlag nimmt In unserem Lehren Predigen und Leben muss der Gott der Schrift unsere Leidenschaft und unsere Freude sein

Die Notwendigkeit biblischer Autoritaumlt und Irrtumslosigkeit

Wahrscheinlich haben nur wenige Evangelikale leidenschaftlicher uber Irrtumslosigkeit die Autoritaumlt der Bi-bel und die Lehre von der Inspiration gesprochen als Francis Schaeffer Er hat nicht nur bei der Bildung des bdquoInternati-onalen Rates fur Biblische Irrtumslosig-keitldquo mitgewirkt sondern auch daruber gelehrt gepredigt und geschrieben wie sehr die Autoritaumlt der Bibel eine Frage mit Wasserscheiden-Charakter ist Er hatte keine Zeit fur Evangelikale die nur Lippenbekenntnisse zur Autoritaumlt der Bibel ablegten und gleichzeitig das neu definierten was Irrtumslosigkeit historisch gesehen fur die Kirche be-

deutete und sie dabei durch hermeneu-tische Fragestellungen vernebelten oder die Anspruche der Bibel bezuglich ih-rer selbst unterhoumlhlten Die interessante Frage die sich jetzt stellt ist Warum Warum war Schaeffer die Autoritaumlt der Bibel ein solches Anliegen

Die Antwort sollte uns nicht uberraschen Sie war ihm darum ein solches Anliegen weil die Lehre von der Schrift so grundlegend fur das christli-che Weltbild und den Gott der Schrift ist Fur Schaeffer ist es der Gott der Bi-bel ndash der persoumlnliche unendliche drei-einige Gott ndash der die transzendentale Notwendigkeit fur Sinn Bedeutung Werte und Wahrheit ist Wir lernen diesen Gott nicht nur kennen weil er da ist sondern auch weil er zu uns ge-sprochen hat ndash er schweigt nicht Und weil Gott so ist wie die Schrift ihn zeigt ndash der Schoumlpfer Erhalter und Herr des Universums ndash haben wir intellektuell kein Problem damit zu bekraumlftigen dass Gott absolut dazu in der Lage ist sich uns selbst zu offenbaren und zu garan-tieren dass das was die irdischen Ver-fasser der Schrift freimutig schreiben genau dem entspricht was er geschrie-ben haben wollte Auszligerdem scheint das der Anspruch der Schrift bezuglich ihrer selbst zu sein44 So ist die Autoritaumlt der Bibel exegetisch theologisch und phi-losophisch sinnvoll Sie ist intellektuell glaubhaft ein wesentlicher Bestandteil der gesamten Weltbildstruktur Und

sie ist theologisch notwendig wenn wir Wahrheit haben und theologische Leh-ren begrunden wollen45 Ohne eine hohe Meinung von der Schrift verleugnen wir was die Schrift uber sich selbst sagt und unterhoumlhlen die Grundlage auf der wir Theologie treiben und die Grundfra-gen des Lebens beantworten koumlnnen46 Das ist der Grund warum Schaeffer zunehmend mehr uber Evangelikale be-unruhigt war die von einer hohen Mei-nung uber die Schrift abruckten oder sie unterhoumlhlten Sein letztes Buch das er buchstaumlblich auf seinem Sterbebett geschrieben hat versuchte die evange-likale Gemeinde aufgrund einiger der gerade dargelegten Grunde vor Kom-promissen bezuglich der biblischen Au-toritaumlt zu warnen Er schreibt

Die Evangelikalen sehen sich in unseren Tagen einer Wasserscheide gegenuber die die Natur der biblischen Inspiration und Autoritaumlt betrifft hellip Innerhalb der evangelikalen Welt gibt es eine Anzahl von Menschen die ihre Ansichten uber die Unfehlbarkeit der Bibel abaumlndern so dass die unumschraumlnkte Autoritaumlt der Bibel vollstaumlndig untergraben wird Aber dies geschieht in einer sehr spitzfin-digen Art und Weise Wie der Schnee der Seite an Seite auf der Gebirgskette liegt scheinen die neuen Ansichten uber die Autoritaumlt der Bibel oft nicht so sehr weit von dem entfernt zu sein was die Evangelikalen bis vor kurzem immer noch glaubten Aber ebenso wie der

Schnee der Seite an Seite auf dem Ge-birgskamm liegt enden die neuen An-sichten schlieszliglich wenn man sie kon-sequent verfolgt Tausende von Meilen von den alten entfernt

Was auf den ersten Blick nur ein klei-ner Unterschied zu sein scheint wird zuletzt zu einem sehr bedeutenden Unterschied Es macht wie wir wohl erwarten werden einen groszligen Unter-schied aus was die Theologie die Lehre und die geistlichen Fragen angeht aber es entscheidet auch grundsaumltzlich uber die alltaumlglichen Dinge im Leben eines Christen und uber die Art wie wir uns als Christen unserer Umwelt gegenuber zu verhalten haben Mit an-deren Worten wenn wir in bezug auf die unumschraumlnkte Autoritaumlt der Bibel einen Kompromiss eingehen dann wird dies mit der Zeit einen Einfluss darauf haben was es im theologischen Sinne heiszligt ein Christ zu sein und dieser Kompromiss wird auch Auswirkungen darauf haben wie wir in dem gesamten Spektrum des menschlichen Lebens un-ser Leben fuhren47

Es sollte uns nicht uberraschen dass verschiedene Evangelikale Schaeffers Darstellung als bdquoEntweder-Oderldquo nicht akzeptiert haben Scott Burson und Jerry Walls denken zum Beispiel dass er seine Sache ubertrieben habe Sie fragen ob Irrtumslosigkeit wirklich fur die Evangelikalen die Frage mit Wasserscheiden-Charakter ist und sie

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 257 8 6 uuml

antworten negativ48 Sie vertreten die Auffassung dass Gott sich weniger um den genauen Wortlaut der Schrift gekummert habe und mehr um die bdquoVerlaumlsslichkeit im Wesentlichen ihrer Gesamtbotschaftldquo49 Sie haben Probleme mit zwei Praumlmissen der Schaefferschen Argumentation (1) Dass die Bibel bis in die einzelnen Woumlrter hinein genau das enthaumllt was Gott sich wunscht (2) dass Gott praumlzise kontrollieren kann was menschliche Verfasser schreiben ohne ihre Freiheit wegzunehmen Die-se Praumlmissen scheinen einen impliziten Determinismus einzuschlieszligen ver-bunden mit einer kompatibilistischen Sicht von der menschlichen Freiheit50 Hinter dieser Kritik lauert die implizite Annahme einer libertarianischen Sicht von menschlicher Freiheit die das Ver-staumlndnis einer Begrenzung der souverauml-nen Kontrolle Gottes uber die Welt mit sich bringt51

Wichtig an dieser Beobachtung ist dass Burson und Walls zu Recht feststellen dass Schaeffers hohe Meinung von der Schrift und seine Verteidigung der Irr-tumslosigkeit ein gewisses Konzept von der Souveraumlnitaumlt Gottes und seiner Be-ziehung zu seinen Geschoumlpfen beson-ders zu den Verfassern der Schrift erfor-dert Schaeffer wurde als einer der eine festen Standpunkt von der goumlttlichen Souveraumlnitaumlt und der Herrschaft und Regierung Gottes in dieser Welt vertrat daruber nicht uberrascht sein Weil er

von einer reformatorischen Theologie her argumentierte hatte er anerkannt dass die Lehre von der Irrtumslosigkeit eng verbunden ist mit unserer Sicht von Gott Wie wir oben bemerkt ha-ben als wir die Gottzentriertheit von Schaeffers Denken kommentierten war die Lehre von Gott der entscheidende Ausgangspunkt bei seinem Verstaumlndnis und seiner Verteidigung des christli-chen Glaubens Fur ihn war nicht ein-fach irgendein Gott gut genug Es war nur der persoumlnlich-unbegrenzte (d h souveraumlne) dreieinige Gott der Schrift der allein die Grundlage fur Wahrheit und Wissen ist und der allein wenn er es so erwaumlhlt sich selbst in einer Wei-se die gaumlnzlich verlaumlsslich wahr und vertrauenswurdig ist offenbaren kann52 Was jedoch Schaeffer gestoumlrt haumltte ist die Schwaumlchung der unbegrenzten oder souveraumlnen Natur Gottes die jetzt in einigen Bereichen der evangelikalen Be-wegung vertreten wird53 Gestoumlrt haumltte ihn dieser Trend weil er von ganzem Herzen der scharfsinnigen Beobach-tung J I Packers zugestimmt haumltte

Die gewoumlhnliche Apologetik fur die Au-toritaumlt der Bibel ist an einer zu engen Front taumltig Wie wir gesehen haben ist Glauben an den Gott der reformatori-schen Theologie die noumltige Denkvoraus-setzung des Glaubens an die Schrift als bdquogeschriebenes Wort Gottesldquo Und ohne diesen Glauben verliert das bdquosola scrip-turaldquo als das von Gott gelehrte Prinzip

der Autoritaumlt mehr oder weniger seine Bedeutung hellip wir durfen niemals die Tatsache aus dem Blick verlieren dass unsere Lehre von Gott entscheidend fur unser Konzept von der Schrift ist und dass es in unserer Kontroverse mit einem groszligen Teil der modernen Theologie ge-rade hier ist wo man sich der entschei-denden Schlacht stellen muss und we-niger in Beziehung zum Phaumlnomen der Schrift54

Zweifellos koumlnnte und musste viel mehr uber Schaeffers Darstellung und Verteidigung der Lehre von der Irr-tumslosigkeit gesagt werden55 Aber es soll genugen zu sagen dass fur ihn die Autoritaumlt der Bibel eine Frage von gigantischen Ausmaszligen mit Wasser-scheiden-Charakter war Das war eine Frage die eng mit seiner umfassenden Verteidigung des christlichen Welt-bildes verknupft war Er glaubte dass ohne sie das christliche Weltbild sich aufzuloumlsen beginnen wurde ausgehend von der Lehre von Gott56 Und darin so bin ich uberzeugt hatte er Recht Wir mussen heute neu lernen dass die Lehre von der Irrtumslosigkeit der Schrift fur Evangelikale nicht nur eine von mehre-ren Alternativen ist Sie ist ein wesentli-cher Bestandteil dessen was christlicher Glaube ist Das abzuschwaumlchen bedeu-tet das Ganze zu unterhoumlhlen

Lehren die wir aus dem Leben Francis Schaeffers ziehen

Am Ende seines Lebens schrieb Schaef-fer die folgenden Worte

bdquoWorauf kommt es wirklich anldquo Was ist es das fur mein Leben und fur Ihr Leben so wichtig ist daszlig es die Priori-taumlten fur alles bestimmt was wir tun Unserem Herrn Jesus wurde ebendiese Frage gestellt und er antwortete bdquoDu sollst den Herrn deinen Gott lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand Dies ist das erste Ge-bot Das zweite aber ist ihm gleich Du sollst deinen Naumlchsten lieben wie dich selbst An diesen zwei Geboten haumlngt das ganze Gesetz und die Propheten (Matthaumlus 2237ndash40)ldquo

Hier wird gesagt worauf es wirklich ankommt ndash den Herrn unseren Gott zu lieben seinen Sohn zu lieben und ihn als unseren Erloumlser persoumlnlich an-genommen zu haben Und wenn wir ihn lieben dann tun wir das was ihm gefaumlllt es bedeutet ebenfalls sein Wesen der Heiligkeit und Liebe in unserem Leben Gestalt annehmen zu lassen seiner Wahrheit treu zu bleiben jeden Tag mit dem lebendigen Christus zu leben ein Leben des Gebets zu fuhren Die andere Haumllfte dessen worauf es wirklich ankommt besteht darin un-seren Naumlchsten zu lieben Beides gehoumlrt

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

26 7 8 6 uuml

zusammen es kann nicht voneinander getrennt werden hellip Und wenn wir un-seren Naumlchsten so lieben wie Christus das moumlchte dann moumlchten wir unserem Naumlchsten sicherlich das Evangelium weitersagen daruber hinaus werden wir den Wunsch haben Gottes Liebe in allen unseren Beziehungen zu unserem Naumlchsten durchscheinen zu lassen

Aber hier houmlrt es nicht auf Evangeli-sation ist vorrangig aber sie stellt nicht die Grenze unserer Arbeit dar und kann in der Tat nicht vom Rest des christ-lichen Lebens getrennt werden Wir mussen zuerst anerkennen und dann nach der Tatsache handeln dass Chris-tus wenn er unser Erloumlser ist auch Herr in allen Lebensbereichen ist Er ist un-ser Herr nicht nur in religioumlsen Dingen oder in kulturellen Bereichen wie den bildenden Kunsten und der Musik son-dern auch Herr unseres intellektuellen Lebens unseres Geschaumlftslebens unserer Beziehung zur Gesellschaft und unserer Haltung zum moralischen Zusammen-bruch unserer Kultur hellip Christus die Herrschaft uber unser Leben zu geben bedeutet dass wir uns ganz direkt und praktisch gegen den Zeitgeist stellen der unsere Welt regiert der sich fort-waumlhrend ausbreitet und den Anspruch erhebt autonom zu sein indem er auf seinem Weg alles zerstoumlrt was uns lieb und teuer ist57

In diesem Zitat erhaschen wir einen Blick auf einen Teil vom Leben Francis

Schaeffers und auf Lehren die wir aus diesem Leben ziehen koumlnnen Zweifellos ist es wahr dass Schaeffer nicht vollkom-men war das ist niemand Wir sehen jedoch in seinem Leben eine Person mit Integritaumlt einen Mann der versuchte das zu leben und dem entsprechend zu handeln was er glaubte und lehrte Ins-besondere strebte er danach den Herrn und seinen Naumlchsten zu lieben und da-durch sein Leben bestaumlndig sowohl im Denken als auch im Handeln unter die Herrschaft Jesu Christi zu bringen Wir wollen der Reihe nach diese Gebiete be-trachten

Liebe den Herrn deinen Gott

Wie oben festgestellt war Schaeffer ein Mann fur den Gott im Zentrum stand Das war nicht nur wahr in Be-zug auf sein Denken sondern auch fur sein Leben Ob man nun seine Werke liest oder seine Bandaufzeichnungen houmlrt eine tiefe Hingabe an den Herrn ist ganz offenkundig Hier ist einer der nicht nur uber Gott redet sondern der ihn tief kennt Selbst der Anfang von LrsquoAbri wurde in einer geistlichen Krise geboren bei der es darum ging Gott auf eine tiefere Art kennenzulernen Schaeffer erzaumlhlt in bdquoGeistliches Leben ndash Was ist dasldquo noch einmal wie er sich selbst 1951ndash1952 in einer geistli-chen Krise befand und wie aus dieser Krise heraus LrsquoAbri geboren wurde Er

entdeckte waumlhrend dieser Zeit was es bedeutete sich in unserem gegenwaumlrti-gen Leben und in der staumlndigen Abhaumln-gigkeit vom Geist Gottes im Gebet auf das vollbrachte Werk Christi zu verlas-sen Und das war fur ihn keine bloszlige Rhetorik LrsquoAbri selbst war im Gebet verwurzelt und gegrundet ein sichtba-res Zeugnis fur die Existenz Kraft und Gnade Gottes58

Wir sehen in Schaeffer auch einen Mann der danach strebte gleichzei-tig die Heiligkeit Gottes und die Liebe Gottes darzustellen wenn das auch auf unvollkommene Weise geschah Er war im Denken und Leben ein Mann des Mutes und des Mitgefuhls Er sprach viel uber die Notwendigkeit von bdquoliebe-voller Konfrontationldquo und er zeigte das in seinem Leben Harold O J Brown berichtet zum Beispiel von wenigstens drei Bereichen in denen Schaeffer ent-gegen der aktuellen Stroumlmung Stellung bezog und zwar weitgehend aufgrund des Verlangens den Herrn zu ehren von ganzem Herzen mit ganzer Seele mit ganzem Verstand und aller Kraft

Erstens stellte er sich gegen die Theo-logie Karl Barths Wie oben bemerkt bekehrte sich Schaeffer in den 1930er Jahren und erhielt damals auch seine theologische Ausbildung Zu jener Zeit war evangelikale Theologie aus einer Vielzahl von Grunden die weitgehend aus den fundamentalistisch-modernis-tischen Kontroversen jener Zeit stamm-

ten fast nicht existent Nach dem Zwei-ten Weltkrieg erfreute sich die evangeli-kale Bewegung jedoch unter Gelehrten wie F F Bruce und Carl F H Henry sowie unter dem evangelistischen Dienst von Billy Graham einer Wiedergeburt

Brown berichtet dass Schaeffer ein Teil dieser Bewegung sein und einen Status der Beruhmtheit haumltte erlangen koumlnnen er entdeckte jedoch Maumlngel und Kompromisse die ernst genug wa-ren den Evangelikalismus als Bewegung zu untergraben Was sah er Er sah den wachsenden Einfluss der Neoorthodoxie auf die evangelikale Theologie Attrak-tiv an Barth war dass er ebenso wie die Evangelikalen viele von Akademikern aufgestellte liberale Thesen kritisierte Dadurch fuhlten sich manche Evange-likale zu den orthodoxen Elementen in Barths Theologie hingezogen nahmen aber nur langsam die negativen Punkte wahr Schaeffer bemerkte aber nicht nur dass Barths Einfluss in Europa zuzuneh-men begann sondern auch dass Barths Theologie wenn sie angenommen wurde die evangelikale Theologie un-tergraben wurde59 Wo lag Barth schief Schaeffer vertrat die Auffassung dass Barth eine unangemessene Sicht von der Autoritaumlt der Bibel hatte Er gestand die theoretische Moumlglichkeit von Fehlern in der Schrift zu und untergrub dadurch die Grundlagen evangelikaler Theolo-gie Barths Kritik am Liberalismus war hilfreich Seine Glaubensgrundlagen

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 277 8 6 uuml

waren aber wackelig und genau darauf wies Schaeffer hin Schaeffer sah wahr-scheinlich klarer als irgendjemand an-deres dass man Barths Theologie besser nicht ubernehmen sollte60 Brown fasst das auf diese Weise zusammen

Ohne Zweifel war Barth antiliberal und bekraumlftigte die zentralen Lehren des christlichen Glaubens Sein Versagen darin die Unfehlbarkeit der Bibel und die Historizitaumlt der Evangelienberichte geltend zu machen bedeutete jedoch dass seine Bekraumlftigungen auf seiner charismatischen Autoritaumlt und nicht auf der Schrift beruhten Aufgrund seines Versagens darin die Grundlagen der biblischen Autoritaumlt die von Generati-onen zerstoumlrerischer Kritik untergraben worden waren abzustutzen war Barth nicht in der Lage eine zweite Genera-tion von protestantischen Theologen in dem Glauben den er selbst lehrte zu begrunden sein groumlszligter Einfluss bleibt der unter Evangelikalen und Konserva-tiven die schon wissen was sie glauben Zweifellos sind Barths Bekraumlftigungen ermutigend aber seine Grundlagen sind unzureichend und es waumlre gefaumlhr-lich ihn als einen theologischen Fuhrer zu waumlhlen Es ist bemerkenswert dass Schaeffer das vor drei Jahrzehnten ent-deckte waumlhrend einige evangelikale Leiter heute Barth als Antwort auf den modernen Unglauben bdquoentdeckenldquo61

Zweitens und das war wahrscheinlich fur manche Evangelikale sogar stoumlren-

der als sein Standpunkt gegen Barth schaffte es Schaeffer nicht die evange-listischen Methoden Billy Grahams von ganzem Herzen zu begrussen Das lag nicht daran dass Schaeffer etwa gegen Evangelisation war oder dass Graham nicht genugend klar fur die Autoritaumlt der Bibel eintrat Er hatte vielmehr zweifache Bedenken Zum einen war es fur Schaeffer alarmierend dass Gra-ham nicht genugend zwischen denen unterschied die am historischen Chris-tentum festhielten und denen die sich zum Liberalismus oder der roumlmisch-katholischen Theologie hielten und zu schnell mit ihnen zusammenarbeitete62 Zum Zweiten hatte er die Sorge dass Grahams Evangelisation nicht die gan-ze Person beruhrte d h dass sie dazu neigte lediglich zu einer emotionalen Entscheidung aufzurufen ndash einer Erfah-rung des bdquoObergeschossesldquo ndash die letzten Endes nur Pseudobekehrte produzieren wurde63 Wie Brown feststellt wurde Schaeffers Kritik am Ansatz Grahams nicht der weiten Oumlffentlichkeit darge-boten sie wurde jedoch bald bekannt Er wurde von manchen Leitern in der evangelikalen Bewegung wie etwa Carl Henry und Harold Lindsell kritisiert und von anderen als zu separatistisch abgeschrieben64 Schaeffer aber erkann-te etwas was zu viele nicht zu sehen vermochten Was nutzt bdquoErfolgldquo in der Evangelisation wenn sie nicht wahre Be-kehrte hervorbringt Besonders in dieser

Zeit mit den massiven Verschiebungen die in der Gesellschaft stattgefunden haben muss die evangelikale Bewe-gung zu bdquosoliden Grundlagen und zu guten Gefuhlenldquo aufrufen65 Wie Brown scharfsinnig beobachtet hat der Evan-gelikalismus in jenen fruhen Jahren nur deshalb ein Gefuhl der Staumlrke und Stabilitaumlt erlangt weil bdquoviele von Gra-hams Bekehrten spaumlter durch die Schule des disziplinierten Denkens Schaeffers gingenldquo66 Drittens gab es sein mutiges Eintreten fur die Rechte der Ungebo-renen Es ist wichtig zu erkennen dass Schaeffers sozialer Aktivismus nicht unabhaumlngig von seiner Verteidigung der Wahrheit und des Evangeliums war Wie schon oben festgestellt war die Roe gegen Wade-Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA im Jahr 1973 ein Pulverfass fur Schaeffer Sie war ein alarmierender Beweis dafur dass die Ideen der Aufklaumlrung began-nen praktische Auswirkungen darauf zu haben wie Menschen sich gegensei-tig sahen Schaeffer hatte bereits eine geraume Zeit lang vorausgesagt dass bei dem Verlust der christlichen Sicht von Realitaumlt im Westen eine der mas-sivsten Folgewirkungen der Verlust der Achtung vor dem menschlichen Leben sein werde Und genau das symbolisierte Roe gegen Wade fur Schaeffer Wenn er also mit herzlich wenigen anderen dieses Problem auf die Straszlige trug dann tat er das aus einem tiefen Emp-

finden der Liebe zu Gott und zu seinem Wort und ebenso aus Liebe zu seinem Naumlchsten Wahrheit erfordert Handeln Anfaumlnglich begruszligten aber nicht alle Evangelikale besonders nicht solche in Leitungspositionen Schaeffers Stand-punkt Wie Brown bemerkt wurde er mit der Veroumlffentlichung von bdquoA Chris-tian Manifestoldquo zum ersten Mal als ein politisch Konservativer gebrandmarkt Und das brachte ihm Angriffe von ei-ner wachsenden Zahl politisch liberaler Evangelikaler ein67 Brown stellt fest

Schaeffers zunehmend unverblumtes Engagement fur speziell konservative Anliegen in den letzten zwei Jahren sei-nes Lebens stoumlrte die Evangelikalen die ihm nicht zustimmten weil sie seinen Einfluszlig in der allgemeinen christlichen Oumlffentlichkeit erkannten Zusaumltzlich veraumlrgerte es andere die ihm im All-gemeinen zustimmten weil sie Streit vermeiden und ihre eigene Akzeptanz in der allgemeinen Oumlffentlichkeit nicht gefaumlhrden wollten Als Folge davon be-fand sich Schaeffer am Ende seines Le-bens noch einmal in der Position die er in den 1960er Jahren eingenommen hatte bevor sein Name zum Gemeingut wurde der Stimme eines Rufers in der Wuste68

Hier koumlnnen wir wieder von Schaeffer ler-nen Auch wenn es ihn einen hohen Preis kostete stand er fur die Sache von Wahr-heit und Leben ein Sein praktisches so-ziales Handeln war nicht getrennt von

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

28 7 8 6 uuml

seinen Glaubensuberzeugungen und seiner Liebe zum Herrn vielmehr floss das eine aus dem anderen In einer Zeit wo es so leicht ist inmitten von Druck Kompromisse zu schlieszligen und einzu-knicken wenn das Laufen schwierig wird ist Schaeffer ein Vorbild Er war wie die Alten der Vergangenheit bereit Gott mit seinem ganzen Sein zu lie-ben in den Schwierigkeiten des Lebens Charakter zu zeigen und der Wahrheit Gottes gehorsam zu sein

Liebe deinen Naumlchsten wie dich selbst

Wie Schaeffer in dem obigen Zitat fest-stellt sind die Liebe zu Gott und die Liebe zum Naumlchsten eng ineinander verflochten

bdquoWenn wir unseren Naumlchsten lieben wie Christus will dass wir unseren Naumlchsten lieben dann werden wir mit Sicherheit auch das Evangelium unse-rem Naumlchsten weitergeben wollen und daruber hinaus werden wir das Gesetz Gottes in all unseren Beziehungen mit unserem Naumlchsten darstellen wollenldquo69

Naturlich wird niemand der diesseits der Vollendung lebt jemals dieses Ide-al erreichen In Francis (und in Edith) Schaeffer sehen wir jedoch einen Men-schen der wenigstens versuchte vor-bildhaft fur uns etwas von dem zu le-ben wonach wir streben Wir sehen dies besonders in drei Bereichen

Zum Ersten zeigte Schaeffer seine Liebe zum Naumlchsten darin dass er versuchte ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen zu geben In seiner Broschure bdquoTwo Con-tents Two Realitiesldquo behauptet Schaef-fer dass es vier Dinge gebe die absolut notwendig sind wenn Christen sich den Herausforderungen unserer Zeit stellen wollen (1) Gesunde Lehre (2) Ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen (3) Wah-re Geistlichkeit und (4) die Schoumlnheit menschlicher Beziehungen In der Be-sprechung von (1) und (2) betont er die Notwendigkeit in Bezug auf gesunde Lehre keine Kompromisse zu schlieszligen aber gleichzeitig Zeit mit Menschen zu verbringen und zu versuchen ihre Fragen zu beantworten Er beklagt die Haltung mancher in der Kirche die den Eindruck vermitteln dass wir keine Fragen stellen durfen und nur glauben mussen Das so sagt er ist immer falsch Es ist falsch weil es Menschen nicht als ganzheitliche Personen ansieht die sowohl intellektu-elle als auch geistliche Antworten brau-chen70 Es ist besonders falsch in einer Zeit die nicht an die Wahrheit glaubt zu sagen dass wir die Wahrheit haben sich dann aber nicht die Zeit zu neh-men wirkliche und schwierige Fragen zu beantworten Das beansprucht naturlich nicht nur eine Menge an Zeit und Bemuhung es erfordert auch Mitgefuhl Menschen dort zu treffen wo sie sind Fragen zu beantworten ist harte Arbeit Schaeffer sagt das so

Als Christen mussen wir genug Liebe und Mitgefuhl aufbringen um auf die Fragen unserer Zeitgenossen zu houmlren Zu viele von uns werden von dem fal-schen Ehrgeiz geplagt alle Fragen spon-tan zu beantworten ndash als koumlnne man ei-nen Trichter ans Ohr setzen alle Daten und Fakten einfuttern und dann loszie-hen und alle Diskussionen gewinnen So geht es aber nicht

Fragen zu beantworten ist harte Ar-beit Koumlnnen Sie alle Fragen beantwor-ten Nein aber Sie mussen sich darum bemuhen Houmlren Sie zunaumlchst einmal mit Anteilnahme zu welche Fragen Ihr Gegenuber bewegen und versuchen Sie dann Antworten zu geben Wissen Sie keine Antwort dann machen Sie sich auf die Suche Lesen Sie und uberlegen Sie so lange bis Sie moumlgliche Antworten gefunden haben

Nicht jeder ist berufen die Fragen von Intellektuellen zu beantworten Aber ob wir mit Akademikern oder mit Dockarbeitern sprechen die Aufgabe ist immer dieselbe Waumlhrend meines zwei-ten Pfarramtes gehoumlrten viele Hafenar-beiter zu meiner Gemeinde und seither weiszlig ich dass sie dieselben grundlegen-den Fragen haben wenn sie sie auch anders formulieren

Antworten sind nicht Erloumlsung Dazu kommt das Wirken des Heiligen Geistes Dennoch sind wir dafur verantwortlich ndash und darum geht es mir in diesem Zu-sammenhang ndash genug Mitgefuhl auf-

zubringen um zu beten und die harte Arbeit zu tun die notwendig ist um die aufrichtigen Fragen zu beantworten71

Das waren fur Schaeffer nicht nur leere Worte sie spiegelten sein Leben wider72 Fur unzaumlhlbare Menschen die nach LrsquoAbri kamen versuchte Schaeffer das in die Tat umzusetzen was er lehrte Staumlndig ist eine der Klagen die ich von Studenten am Seminar houmlre dass Pro-fessoren und sogar Pastoren keine Zeit fur sie haben Sie haben ehrliche Fragen die Zeit und Aufmerksamkeit erfordern aber oft sind wir zu beschaumlftigt um zu helfen Wie Schaeffer uns erinnerte sind wir jedoch berufen unseren Naumlchs-ten zu lieben Fur christliche Leiter Pastoren und Lehrer ist sicherlich ein Weg auf dem sich das zeigen muss die verbrachte Zeit die erwiesene Fursorge und die gegebenen ehrlichen Antwor-ten an echte Menschen die in einem postmodernen Zeitalter nicht weniger als dies verdienen

Eine zweite Art wie die Schaeffers ihre Liebe zu anderen zeigten geschah durch Gastfreundschaft In LrsquoAbri oumlffneten sie ihr Haus fur einzelne Menschen und das war sicher nicht einfach Als Schaef-fer spaumlter daruber nachdenkt stellt er fest dass bdquoungefaumlhr in den ersten drei Jahren von LrsquoAbri alle unsere Hochzeits-geschenke vernichtet wurden Unsere Laken wurden zerrissen Loumlcher wurden in unsere Teppiche gebrannt Einmal waumlre fast ein ganzer Vorhang verbrannt

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 297 8 6 uuml

weil jemand in unserem Wohnzimmer geraucht hatte hellip Drogen kamen in unser Haus Leute erbrachen sich in un-seren Raumlumenldquo73 Ich will damit nicht sagen dass jeder das tun muss was die Schaeffers taten Wir sehen jedoch in ih-rem Leben zwei Menschen die das Ge-bot ernst nahmen sowohl Gott als auch den Naumlchsten zu lieben Eine Geschich-te nach der anderen in LrsquoAbri dreht sich darum wie diese sichtbare Liebe entscheidend dafur war Menschen zu Christus zu bringen74 Evangelisation darf nicht davon getrennt werden wie wir den ganzen Menschen mit unseren Worten und unseren Taten behandeln

Zum Dritten strebte Schaeffers Le-ben danach ein wundervolles Gleich-gewicht zwischen Wahrheit und Lie-be darzustellen Er stand fest fur das Evangelium aber waumlhrend er das tat strebte er danach die Menschen denen er diente in Beziehungen von Mensch zu Mensch zu lieben und zu verstehen Brown vergleicht Francis Schaeffer mit Athanasius einem anderen Vorbild aus der Vergangenheit der wusste was es heiszligt fur die Wahrheit einzutreten Brown erzaumlhlt wie Schaeffer versuchte das Gleichgewicht zwischen Wahrheit und Liebe zu halten Er stellt fest

Wie Athanasius nahm Schaeffer ndash besonders in seinen letzten Jahren ndash Standpunkte ein die manche als unmaumlszligig und unflexibel bezeichnen wurden Wir wissen nicht wirklich wie

Athanasius mit Menschen auf einer per-soumlnlichen Ebene umging Es ist moumlglich dass er mit Einzelnen so streng war wie er es mit ihrer Theologie war In Schaeffers Fall wissen wir jedoch dass die Haumlrte seiner Uumlberzeugungen in Be-ziehungen von Mensch zu Mensch wie auch in der oumlffentlichen Debatte immer durch Liebe und Verstaumlndnis gemildert wurde Er behandelte die mit denen er zutiefst uneins war bestaumlndig mit Rucksicht und Liebe Francis Schaeffer hielt nicht nur die Stellung fur biblische Orthodoxie in seiner Generation wie Athanasius das getan hatte Vielleicht noch wichtiger ist dass Schaeffer der naumlchsten Generation nicht nur zeigte dass sie Stellung beziehen muss sondern wo sie sie beziehen muss und wie sie das tun kann naumlmlich in den Worten des Paulus bdquodie Liebe in Wahrheit zu re-denldquo (Eph 415) Er hat uns gezeigt dass bdquocontra mundumldquo (dt bdquogegen die Weltldquo) einzutreten ein wesentlicher Teil davon ist bdquopro Christoldquo (dt bdquofur Christusldquo) zu seinldquo75

Hier ist eine weitere Lehre die wir zie-hen mussen besonders wir die wir als Leiter in der Kirche dienen Jede Gene-ration muss fur die Wahrheit eintreten aber wir mussen das in Liebe tun Heute houmlren wir viel uber die Liebe eine harte und kompromisslose Stellungnahme fur die Wahrheit wird daruber oft vernach-laumlssigt In einer Zeit die es dringend nouml-tig hat die Wahrheit zu houmlren koumlnnen

wir an diesem Punkt nicht schwanken Wir durfen jedoch auch nicht ins ande-re Extrem fallen Sowohl Wahrheit als auch Liebe sind notwendig Und Francis Schaeffer ist an diesem Punkt ein hilf-reiches Vorbild Ein Mann mit Uumlber-zeugungen verwurzelt und gegrundet in Gottes Wort ein Mann der aus ers-ter Hand wusste was bdquoliebevolle Kon-frontationldquo bedeutet ein Mann der da-nach strebte den Herrn seinen Gott zu lieben und seinen Naumlchsten wie sich selbst und im Denken und Handeln die Herrschaft Jesu uber sein gesamtes Leben darzustellen Moumlgen wir lernen das gleiche zu tun

Letztendlich war Francis Schaeffer ein gefallener unvollkommener Mann gerettet durch die Gnade Gottes Er machte wie wir alle viele Fehler Aber er war eine einzigartige Einzelperson von Gott begabt fur seine Generation Er sagte oft dass Gott nicht jemanden mit auszligergewoumlhnlichen Gaben gebrau-chen muss Gott kann stattdessen einen toten Holzstock in der Hand des Mose gebrauchen wenn er das will In einer sehr denkwurdigen Predigt sagte er das so

Obwohl wir begrenzt und schwach an Begabung koumlrperlicher Energie und psychischer Staumlrke sind sind wir nicht weniger als ein Holzstock Aber wie der Stab des Mose der Stab Gottes werden musste muss das was ich bin zum ich Gottes werden Dann kann ich nutzlich

werden in den Haumlnden Gottes Die Schrift betont dass viel von wenig kom-men kann wenn das Wenige wahrhaft Gott geweiht ist Im wahren geistlichen Sinn gibt es keine kleinen Leute und groszlige Leute sondern nur geweihte und nicht geweihte Leute Das Problem fur jeden von uns ist es die Wahrheit auf uns selbst anzuwenden hellip Wer sich selbst fur eine kleine Person an einem kleinen Ort haumllt kann wenn er sich Christus hingibt und in seinem gesam-ten Leben unter Seiner Herrschaft lebt durch Gottes Gnade den Fluss unserer Generation aumlndern Und wenn wir aumllter werden und wissen wie schwach wir sind und dann zuruckschauen und sehen dass wir irgendwie von Gott ge-braucht wurden dann sollten wir der Stab sein der bdquovon Freude uberraschtldquo ist76

Aus dem Denken und Leben Francis Schaeffers gibt es viel zu erwaumlgen und zu lernen Nur papageienhaft alles nachzu-plappern was er sagte wurde ihn nicht ehren Er haumltte das nicht gewollt Wir mussen stattdessen von ihm lernen wie wir wirkungsvoller in unserer Zeit die-nen koumlnnen so wie er es in seiner tat Dabei mussen unser Verstand und un-ser Herz fest in der Schrift verwurzelt und gegrundet sein Wir mussen lei-denschaftlich fur das Evangelium sein bereit die Fragen unserer Zeit in Treue gegenuber unserem groszligen Gott anzu-gehen Das waumlre der houmlchste Tribut den

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

30 7 8 6 uuml

1 Wenn nicht anders vermerkt werden alle Zitate aus den Schriften Francis Schaeffers entnommen Francis A Schaeffer The Complete Works of Fran-cis A Schaeffer Crossway Books 19852 Michael S Hamilton bdquoThe Dissatis-faction of Francis Schaeffer thirteen years after his death Schaefferrsquos visi-on and frustrations continue to haunt Evangelicalismldquo In Christianity Today 1997 S 223 Harald O J Brown Standing Against the World Westchester Crossway 1986 S 15ndash164 Diese drei Bereiche des Einflusses Schaeffers sind entnommen aus Brown A a O S 19ndash255 Fur mehr Informationen uber den per-soumlnlichen Einfluss von Francis Schaeffer im Leben von verschiedenen Personen vgl die Kapitel in Teil 2 von Lane T Dennis Francis A Schaeffer Portraits of the Man and His Work Westchester Ill Crossway Books 1986 S 129ndash205 Vgl in diesem Zusammenhang auch ei-nige der persoumlnlichen Korrespondenzen zwischen Schaeffer und verschiedenen Leuten uber eine Vielzahl von Themen in Francis A Schaeffer und Lane T Dennis Letters of Francis A Schaeffer Spiritual Reality in the Personal Chris-tian Life Westchester Ill Crossway Books 19856 Francis Schaeffers letztes Werk The Great Evangelical Disaster (Die groszlige Anpassung Der Zeitgeist und die Evan-gelikalen) wurde nur Monate bevor er an Krebs starb veroumlffentlicht In diesem Werk versuchte er die Evangelikalen zu warnen und sie instaumlndig zu bitten in Bezug auf die Autoritaumlt der Bibel und die Ausschlieszliglichkeit des Evangeli-ums keine Kompromisse zu schlieszligen Er nannte sogar verschiedene Namen

derer von denen er glaubte sie haumltten an diesen Punkten Kompromisse ge-schlossen Gleichzeitig rief er eine neue Generation von Christen dazu auf als bdquoRadikale fur die Wahrheitldquo in unserer Zeit Stellung zu beziehen bdquoThe Great Evangelical Disasterldquo wurde neu ver-oumlffentlicht in Francis A Schaeffer The Complete Works of Francis A Schaef-fer Bd 4 A a O S 301ndash4117 bdquoNeoorthodoxieldquo ist eine theologische Bewegung die in den 1920er Jahren begann und bis heute weitergeht auch wenn ihr hauptsaumlchlicher Einfluss in der weiteren theologischen Welt von den 1920er bis zu den 1970er Jahren lag Sie ist verbunden mit einer Anzahl von Theologen wie Rudolf Bultmann Emil Brunner Reinhold Niebuhr und Paul Tillich Am bekanntesten ist je-doch die Verbindung zur Theologie des Schweizer Theologen Karl Barth Zu weiteren Informationen uber bdquoNeoor-thodoxieldquo s David F Ford (Hrsg) The Modern Theologians 2 Aufl Oxford Blackwell 1997 S 21ndash102 C A Bax-ter bdquoNeo-Orthodoxyldquo In Sinclair Fer-guson et al (Hrsg) New Dictionary of Theology Downers Grove InterVarsity Press 1988 S 456ndash4578 Zu diesem Thema siehe besonders Francis A Schaeffer Wie koumlnnen wir denn leben Aufstieg und Niedergang der westlichen Kultur 5 Aufl Holz-gerlingen Haumlnssler 2000 Francis A Schaeffer Bitte laszlig mich leben Fur Menschlichkeit in unmenschlicher Gesellschaft Telos-Bucher 1205 Neu-hausen-Stuttgart Haumlnssler 1981 Fran-cis A Schaeffer A Christian Manifesto 1st trade pbk Wheaton Ill Crossway Books Published in association with Nims Communications 20059 Brown Standing Against the World A a O S 2310 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 102 Die Kritiken die Dennis er-

waumlhnt sind die von Wells Ronald A Wells bdquoFrancis Schaefferrsquos Jeremiad A Review Articleldquo In The Reformed Journal Mai 198211 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 227 Fn 512 Dennis Francis A Schaeffer Por-traits of the Man and His Work A a O S 102ndash126 Dennisrsquo ausgezeichnete Diskussion dieser ganzen Frage ist sehr hilfreich weil er die Frage umfassend anspricht ob Schaeffer ein bdquoGelehrterldquo war und ob diese Frage der wirkliche Grund fur die negative Reaktion auf seine Gedanken ist13 Vgl Hamilton bdquoThe Dissatisfaction of Francis Schaefferldquo A a O S 3014 Es ist wohl bekannt dass der Evange-likalismus eine uber eine Anzahl wich-tiger Lehrfragen zerspaltene Bewegung ist Zur Diskussion uber einige dieser Lehrspaltungen aus einer Vielfalt von Blickwinkeln vergleiche bdquoEvangelical Megashiftldquo In Chritianity Today 19 Februar 1990 S 12ndash17 Kenneth S Kantzer und Carl F H Henry (Hrsg) Evangelical Affirmations Grand Ra-pids Zondervan 1990 Millard Erick-son The Evangelical Left Grand Ra-pids Baker 1997 Roger Olsson bdquoThe Future of Evangelical Theologyldquo In Christianity Today 9 Februar 1998 S 40ndash42 Elmer M Colyer (Hrsg) Evangelical Theology in Transition Downers Grove Inter-Varsity Press 1999 Stanley Grenz Renewing the Center Grand Rapids Baker 2000 John D Woodbridge et al This We Be-lieve Grand Rapids Zondervan 200015 Fur weitere Materialien die das Leben Francis Schaeffers sehr viel detaillierter skizzieren vgl David Porter bdquoFrancis Schaefferldquo In John D Woodbridge (Hrsg) Great Leaders of the Christian Church Chicago Moody Press 1988 S 362ndash366 Colin Duriez bdquoFrancis

Schaefferldquo In Walter A Elwell Hand-book of Evangelical Theologians Grand Rapids Baker 1993 S 245ndash259 und Dennis Portraits of the Man and His Work A a O S 207ndash211 Vgl auch die Lebensgeschichte der Schaeffers erzaumlhlt von Edith Schaeffer in Llsquo Abri Gottes Wirklichkeit heute erlebt 4 Aufl Wup-pertal Oncken Verlag 1975 und The Tapestry The life and times of Francis and Edith Schaeffer Waco Tex Word Books 198116 Zu weiteren Informationen uber den Dienst der LrsquoAbri Gemeinschaft heute vgl URL httpwwwlabriorg17 Fur eine vollstaumlndige Liste von Bu-chern Kassetten und Videos von Francis und Edith Schaeffer vgl URL httpwwwlabriorg18 Dieses Thema zieht sich durch Schaef-fers Bucher hindurch vgl aber beson-ders Francis A Schaeffer Gott ist keine Illusion 3 Aufl Wuppertal Brockhaus Verlag 1974 Francis A Schaeffer und er schweigt nicht Ist eine Philoso-phie ohne Gott realistisch 1 Taschen-buchausg Wuppertal Genf Zurich Basel Brockhaus Verlag 1975 Schaef-fer Wie koumlnnen wir denn leben A a O Schaeffer Bitte laszlig mich leben A a O19 Es ist viel debattiert worden uber die Genauigkeit von Schaeffers Analyse von Denken Kunst Musik und Kultur des Westens Auch wenn es zweifellos wahr ist dass er an einigen Punkten ein va-ges und stark verallgemeinertes Bild gemalt hat ist gleichzeitig anerkannt worden dass sich das bdquogroszlige Bildldquo das er gezeichnet hat als grundlegend richtig erwiesen hat Mehr zu diesen Aufsaumltzen findet sich bei Roland Nash The Life of the Mind and the Way of Life Westchester Ill Crossway Books 1986 S 53ndash69 bzw 101ndash126 Vgl auch einige der hilfreichen Kommentare von Duriez in Dennis Francis A Schaeffer Portraits of the Man and His Work A a O S 252ndash259

Prof Dr Stephen J Wellum

Anmerkungenman einem Mann zollen kann der in seinem Denken und Leben mehr als al-les danach strebte unter der Herrschaft Jesu Christi allein zur Ehre Gottes zu leben

Prof Dr Stephen J Wellum

ist auszligerordentlicher Professor am bdquoThe Southern Baptist Theological Seminaryldquo in Louisville Kentucky (USA) Er ist ein beliebter Redner auf Konferenzen Autor mehrerer Ar-tikel und Buchbeitraumlge und Mitver-fasser (gemeinsam mit Peter Gentry) von bdquoKingdom Through Covenant A Biblical-Theological Understanding of the Covenantsldquo (Crossway 2012) Sein Artikel erschien ursprunglich als Stephen J Wellum bdquoFrancis A Schaeffer (1912ndash1984) Lessons from His Thought and Lifeldquo In SBJT Vol 6 No 2 (2002) S 4ndash32 Die Uumlbersetzung erfolgte durch Wolfgang Haumlde Redaktionell bearbeitet wurde der Beitrag von Christian Pletsch und Deike Sumann

glauben amp denken heute 22012 317 8 6 uuml

20 Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 1421 Ebd S 822 Ebd S 8ndash923 Zu mehr uber Postmodernismus sei er populaumlr oder differenziert vgl die folgenden Werke Gene E Veith Jr Postmodern Times Wheaton Cross-way 1994 David Dockery (Hrsg) The Challenge of Postmodernism Grand Rapids Baker 1995 Stanley J Grenz A Primer on Postmodernism Grand Ra-pids Eerdmans 1996 D A Carson The Gagging of God Grand Rapids Zonder-van 1996 Kevin Vanhoozer Is There a Meaning in This Text Grand Rapids Zondervan 1998 und Millard Erickson Truth or Consequences The Promise and Perils of Postmodernism Downers Gro-ve InterVarsity Press 2001 sowie The Postmodern World Wheaton Crossway 200224 Carson The Gagging of God A a O S 1925 Schaeffers Gebrauch des Ausdrucks bdquowahre Wahrheitldquo veranschaulicht seine Besorgnis dass der Begriff bdquoWahrheitldquo nicht laumlnger das bedeutete was er immer bedeutet hatte Um also wirkungsvoll mit einer Generation zu kommunizieren die nicht an Wahrheit glaubt praumlgte er diesen Ausdruck um eine objektive uni-versale der Wirklichkeit entsprechende Sicht von Wahrheit zu kommunizieren26 Vgl dazu auch Carson The Gagging of God A a O S 13ndash54 u 419ndash51427 Zu dieser Analyse vgl besonders Fran-cis A Schaeffer Preisgabe der Vernunft Kurze Analyse der Ursprunge und Ten-denzen des modernen Denkens 5 Aufl GenfWuppertal Brockhaus Verlag 198528 Der Begriff bdquoRationalismusldquo kann fur verschiedene Leute verschiedene Dinge bedeuten Fur manche ist es ein Begriff der sich auf eine erkenntnistheoretische Schule bezieht die als bdquoKontinentaler

Rationalismusldquo bekannt ist im Gegen-satz zu anderen Schulen wie dem bdquoBri-tischen Empirismusldquo oder Immanuel Kants bdquoTranszendentalem Idealismusldquo Fur andere bezieht er sich einfach auf eine Person die den Gebrauch der Ver-nunft uberbetont Was jedoch Schaeffer betrifft so gebraucht er den Begriff in Bezug auf bdquojede Philosophie oder jedes Gedankensystem das vom Menschen alleine ausgeht beim Versuch einen ein-heitlichen Sinn des Lebens zu findenldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 200) Mit an-deren Worten bdquoRationalismusldquo bezieht sich auf eine Geisteshaltung auf einen philosophischen Ansatz der Menschen als die letzte Autoritaumlt in Fragen von Wahrheit und Wirklichkeit betrachtet und das dann gegen das Christentum setzt das Gott und sein Wort als die letz-te Autoritaumlt fur Fragen von Wahrheit und Wirklichkeit betrachtet29 Schaeffers Analyse des westlichen Den-kens als einer schrittweise Entwicklung einer Anzahl dialektischer Spannungen aumlhnelt sehr der Analyse von Herman Dooyewwerd A Critique of Theoretical Thought 4 Bde Philadelphia Presbyte-rian and Reformed 1953ndash58 Viel ver-dankt sie seinem ehemaligen Professor Cornelius Van Til dessen Gedanken sich in Werken befinden wie A Christian Theory of Knowledge Phillipsburg Pres-byterian and Reformed 1969 und A Sur-vey of Christian Epistemology Philadel-phia Presbyterian and Reformed 196930 Vgl Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 19ndash94 Fur Schaeffer war diese Analyse ein Herzstuck seiner Apologetik Immer wieder versuchte er den Men-schen zu helfen sich erkenntnistheore-tisch der Implikationen ihrer Denkvor-aussetzungen bewusster zu werden Da-bei versuchte er zu zeigen dass alle Welt-bilder auszliger dem Christentum letztlich in sich inkonsequent sind und es daher nahezu unmoumlglich ist sie in der Praxis

auszuleben Zu weiteren Informationen uber das Wesen und die Methodologie von Schaeffers Apologetik vgl Gott ist keine Illusion A a O S 132ndash18131 Dieses Thema zieht sich durch alle Schriften Schaeffers hindurch und eben-so durch seine auf Band aufgenommenen Vorlesungen Vgl besonders seine Ton-band-Vorlesung mit dem Titel bdquoGrund-legende Probleme denen wir gegenuber stehenldquo Teil 1 und 2 Alle Tonbaumlnder Schaeffers und die der LrsquoAbri Fellowship koumlnnen gekauft werden durch Sound Word Associates PO Box 2036 Ches-terton IN 46304 oder uber httpwwwsoundwordcom oder sind kostenlos im LlsquoAbri ideas library verfugbar URL httpwwwlabri-ideas-libraryorg 32 Es ist viel daruber diskutiert worden ob Schaeffer Barth richtig interpretiert und verstanden hat Ohne Zweifel gibt es bei Barth viel mehr Nuancen als Schaef-fer in seinen Buchern erwaumlhnt und uber Barths Theologie kann und muss viel mehr gesagt werden Ich wurde jedoch behaupten dass Schaeffers grundlegende Analyse richtig ist besonders an den von ihm betonten Punkten Fur eine tiefer ge-hende Behandlung von Barths Theologie die einer aumlhnlichen Beurteilung folgt vgl Cornelius Van Til Christianity and Barthianism Nutley Presbyterian and Reformed 197733 Vgl die auf Band aufgenommenen Vor-lesungen Schaeffers mit den Titeln bdquoBasic Problems We Faceldquo (Grundlegende Prob-leme denen wir gegenuberstehen) bdquoEx-clusive Christ in an Inclusive Ageldquo (Der ausschlieszligliche Christus in einem Zeit-alter das alles einschlieszligt) bdquoRelativism in the 20th Centuryldquo (Relativismus im 20 Jahrhundert) und bdquoVatican Council IIldquo (Das Zweite Vatikanische Konzil) In den Vorlesungen uber das Zweite Va-tikanische Konzil analysiert Schaeffer einfuhlsam die Verschiebungen die in der roumlmisch-katholischen Theologie vor sich gingen bis hin zu einem bdquoinklusive-

renldquo Verstaumlndnis von Heil zu Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils im Jahr 196234 Der Begriff bdquoWeltbildldquo ist heute mitt-lerweile dank des Einflusses von Men-schen wie Francis Schaeffer ublich Fur ein populaumlres Werk das uns hilft Ideen aus der Perspektive von Weltbildstruktu-ren zu sehen vgl James Sire The Univer-se Next Door 3 Aufl Downers Grove InterVarsity Press 199735 In der Apologetik wird das Wort bdquoDenkvoraussetzungldquo (Praumlsuppositi-on) nicht immer auf die gleiche Art ge-braucht Es ist wichtig sich daran zu erinnern und leider wird das oft verges-sen in Debatten uber methodologische Unterschiede zwischen verschiedenen apologetischen Ansaumltzen innerhalb der evangelikalen Apologetik Schaeffer zum Beispiel benutzte den Begriff mit Bezug auf bdquoeinen Glauben oder eine Theorie die angenommen wird bevor der naumlchs-te Schritt in der Logik entwickelt wirdldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 201 [Anm In der dt Ausgabe fehlt die Erklaumlrung]) In diesem Sinne dienen bdquoDenkvorausset-zungenldquo als Hypothesen die unabhaumlngig verifiziert werden mussen durch solche Dinge wie Logik historische Beweise pragmatische Eignung usw Gordon Clark Three Types of Religious Philoso-phy 2nd Jefferson Md Trinity Foun-dation 1989 S 121ndash123 gebrauchte den Begriff um sich auf bdquoAxiomeldquo des Gedankensystems einer Person zu bezie-hen die unbeweisbar sind weil sie dog-matisch postuliert werden als ein erstes Prinzip das zu demonstrieren es nichts Grundlegenderes gibt Andererseits ge-brauchte Cornelius Van Til den Begriff mit Bezug auf die letztgultigen Kriterien eines Weltbildes die nicht jenseits ver-nunftgemaumlszliger Beweisbarkeit liegen d h sie sind transzendentale Gegebenheiten uber die man streiten und sie verteidi-gen muss Wie Van Til feststellt bdquoEin

wahrhaft transzendentales Argument nimmt jede Erfahrungstatsache die es untersuchen moumlchte und versucht zu bestimmen was die Denkvoraussetzung dieser Tatsache sein muss um es zu dem zu machen was es istldquo (Cornelius Van Til A Survey of Christian Epistemology Philadelphia Presbyterian and Refor-med 1969 S 10 u vgl S 201) Zu ei-ner hilfreichen Diskussion daruber wie der Begriff Denkvoraussetzung in der christlichen Apologetik gebraucht wird vgl Greg L Bahnsen Van Tilrsquos Apologe-tic Readings and Analysis Phillipsburg N J PampR Pub 1998 S 461ndash69736 Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 1037 Schaeffer Preisgabe der Vernunft A a O S 11ndash1238 Schaeffer sprach davon mit dem Begriff bdquoPrauml-Evangelisationldquo Christliche Apolo-getik so argumentiert er hat zwei Ziele (1) das Evangelium zu verteidigen und (2) das Evangelium auf eine Art weiterzuge-ben dass die jeweilige Generation es ver-stehen kann Beim Gebrauch des Begriffs bdquoPraumlevangelisationldquo bezog er sich auf (2) Schaeffers Anliegen war es dass bei unse-rer Darbietung des Evangeliums beson-ders beim Leben in einer zunehmend bi-blisch analphabetischen und postchristli-chen Kultur die Menschen Wissen uber das Evangelium brauchen bevor sie zum Glauben kommen Daher ist Praumlevange-lisation noumltig Wie er feststellt bdquokommt die Einladung zu handeln [das heiszligt an Christus zu glauben] erst nachdem eine angemessene Wissensgrundlage gegeben wurde hellip Wissen geht dem Glauben vor-aus Das ist entscheidend fur das Verste-hen der Bibel bdquoZu sagen (und das sollten Christen) dass nur jener Glaube wahrer Glaube ist der an Gott auf der Grundlage von Wissen glaubt bedeutet etwas zu sa-gen das in der Welt des zwanzigsten Jahr-hunderts eine Explosion verursachtldquo (The Complete Works of Francis A Schaeffer A a O Bd 1 S 153ndash154)

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben

32 7 8 6 uuml

39 Vgl zum Beispiel Schaeffer Gott ist keine Illusion A a O S 96ndash160 Francis A Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houmlren Genfer Bibelgesellschaft 2004 und verschiedene Bandaufnahmen wo er das diskutiert etwa in bdquoBasic Problems We Faceldquo und bdquoBefore the Beginningldquo40 Der Ausdruck bdquodie Gedanken Got-tes ihm nachdenkenldquo war ein starker Schwerpunkt im Denken Cornelius Van Tils dem Apologetiklehrer Schaeffers am Westminster Theological Seminary Zu einer hilfreichen Diskussion dieser Wen-dung bei Van Til auch mit Anwendung auf Schaeffers Denken vgl Bahnsen Van Tillsquos Apologetic A a O S 220ndash26041 Dieses Argument wird besonders entwickelt in Francis A Schaeffer Ge-nesis in Raum und Zeit Wuppertal Brockhaus Verlag 1976 und Francis A Schaeffer Die groszlige Anpassung Der Zeitgeist und die Evangelikalen Asslar Schulte u Gerth 198842 Fur die Zentralitaumlt der Lehre von Gott im Leben Schaeffers vgl solche Werke wie Francis A Schaeffer Geistliches Leben ndash Was ist das Wuppertal R Brockhaus Verlag 1975 Schaeffer Un-sere Welt soll sein Wort houmlren A a O Schaeffer Die grosse Anpassung A a O43 Man muss einfach an die tobende De-batte innerhalb der evangelikalen Theolo-gie uber bdquoOffenen Theismusldquo (engl Open Theism) denken und an den Versuch bdquoOffener Theistenldquo die Lehre von Gott neu zu definieren und zu revidieren Vgl dazu die verschiedenen Bucher von bdquoOf-fenen Theistenldquo wie etwa Clark Pinnock et al The Openness of God Downers Grove InterVarsity Press 1994 John Sanders The God Who Risks Dow-ners Grove InterVarsity Press 1998 und Gregory A Boyd God of the Possible Grand Rapids Baker 2000 Im Hinblick auf eine Antwort und kompetente Kritik vgl Bruce A Ware Godrsquos Lesser Glory

Wheaton Crossway 2000 und John M Frame No Other God Phillipsburg Presbyterian and Reformed 200144 Zu dem was die Schrift von sich selbst behauptet vgl Wayne Grudem bdquoScripturersquos Self-Attestation and the Problem of Formulating a Doctrine of Scriptureldquo In D A Carson und John D Woodbridge (Hrsg) Scripture and Truth Grand Rapids Zondervan 1983 S 19ndash59 John Frame bdquoScripture Speaks for Itselfldquo In John Warwick Mont-gomery (Hrsg) Godrsquos Inerrant Word Minneapolis Bethany 1974 S 178ndash200 Sinclair Ferguson bdquoHow Does The Bible Look at Itselfldquo In Harvie Conn (Hrsg) Inerrancy and Hermeneutic Grand Ra-pids Baker 1988 S 47ndash6645 Schaeffers Argument an diesem Punkt grundet sich auf die erkenntnistheoreti-sche Notwendigkeit der Irrtumslosigkeit d h ohne einen irrtumslosen Text gibt es keinen Weg theologische Lehren zu begrunden Was meint Schaeffer damit Schaeffers Argument ist nicht dass man der Bibel nirgendwo trauen koumlnne wenn sie an einem Punkt falsch laumlge Offen-sichtlich ist dieses Argument falsch Nur weil die Bibel moumlglicherweise an einem Punkt falsch liegt heiszligt das noch nicht dass sie nicht verlaumlsslich ist in vielem von dem was sie an anderen Stellen die be-staumltigt werden koumlnnen lehrt Er meinte vielmehr Folgendes Wenn die Schrift nicht in allem was sie bekraumlftigt irr-tumslos ist wie koumlnnen wir dann irgend-eine in der Schrift behauptete Wahrheit wissen Eine in der Schrift behauptete theologische Wahrheit koumlnnte geglaubt werden sie mag sogar wahr sein aber wie kann sie gewusst werden wenn die Schrift Irrtumer erhaumllt Letztendlich wird die Schrift nicht als unsere letzte Autoritaumlt dienen koumlnnen wenn sie nicht in allem was sie behauptet vertrauenswurdig und verlaumlsslich ist46 Schaeffer Die groszlige Anpassung A a O 149

47 Ebd S 60ndash6148 Vgl Scott R Burson und Jerry L Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer Lessons for A New Century From the Most Influential Apologists of Our Time Downers Grove Ill InterVarsity Press 1998 S 11449 Ebd S 135ndash13650 Ebd S 13551 Es gab zuletzt viele Diskussionen uber die Folgen einer libertarianischen Sicht von menschlicher Freiheit fur das Kon-zept von der goumlttlichen Souveraumlnitaumlt und daher uber die Beziehung zwischen Gott und der Schrift David Basinger und Randall Basinger brachten in bdquoInerran-cy Dictation and the Free Will Defen-seldquo (In Evangelical Quarterly 55 (1983) S 177ndash180) die Diskussion in Gang indem sie die Auffassung vertraten dass jemand nicht gleichzeitig am Libertaria-nismus und an der Irrtumslosigkeit fest-halten koumlnnte wenn man sich nicht auf eine Theorie von der Inspiration als Dik-tat berufen wolle Burson und Walls be-ziehen sich positiv auf das Argument der Basingers und versuchen dann Schaeffer ins Lager des Libertarianismus zu stecken und so eine Inkonsequenz in Schaef-fers Denken darzulegen Die Frage ob Schaeffer ein Libertarianer war ist sehr schwer zu beurteilen Schaeffer arbeitete nicht mit einer praumlzisen Definition von menschlicher Freiheit besonders nicht in der Art wie wir es heute in der phi-losophischen und theologischen Literatur finden Schaeffers Anliegen war vielmehr die Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen zu betonen im Kontrast zu dem Determinismus von Leuten wie B F Skinner Gleichzeitig behielt er aber eine starke Wahrnehmung der souveraumlnen Herrschaft und Regierung Gottes uber die Welt Ich bin sicher dass Schaeffer die Art wie Libertarianer ihre Auffas-sung heute darlegen und besonders wie sie diese auf die Lehre von der Schrift (vgl Basingers Auffassung) angewandt

haben ohne Umschweife abgelehnt haumlt-te Zu einer tiefer gehenden Diskussion uber die Beziehung zwischen goumlttlicher Souveraumlnitaumlt und menschlicher Freiheit in ihrer Anwendung auf die Schrift vgl meine Artikel bdquoThe Importance of the Nature of Divine Sovereignty for Our View of Scriptureldquo In The Southern Baptist Journal of Theology Vol 4 No 2 (2000) S 76ndash90 und bdquoDivine Sovereign-ty-Omniscience Inerrancy and Open Theism An Evaluationldquo In Journal of the Evangelical Theological Society (Juni 2002)52 Vgl Schaeffer Und er schweigt nicht A a O S 88ndash8953 Vgl Fn 5154 J I Packer bdquosbquoSola Scripturalsquo in History and Todayldquo In John Warwick Montgo-mery Godlsquos Inerrant Word An Interna-tional Symposium on the Trustworthi-ness of Scripture Minneapolis Bethany Fellowship 1974 S 6055 Einige aktuelle Werke die eine hohe Meinung von der Schrift verteidigen sind zum Beispiel D A Carson und John Woodbridge (Hrsg) Scripture and Truth and Hermeneutics Authority and Canon Grand Rapids Zondervan 1986 Norman Geisler (Hrsg) Inerran-cy Grand Rapids Zondervan 1980 J M Boice (Hrsg) The Foundation of Biblical Authority Grand Rapids Zon-dervan 1978 Harvie M Conn (Hrsg) Inerrancy und Hermeneutic A Tradi-tion a Challenge a Debate Michigan Baker Books 1988 Gordon Lewis und Bruce Demarest (Hrsg) Challenges to Inerrancy Chicago Moody 1984 Earl Radmacher und Robert Preus (Hrsg) Hermeneutics Inerrancy and the Bible Grand Rapids Zondervan 1984 Carl F H Henry God Revelation and Au-thority 6 Bde Waco Word 1976ndash8356 Vgl zu diesem Punkt Schaeffers Be-sprechung in Schaeffer Die groszlige An-passung A a O S 60ndash62

57 Ebd S 53ndash5458 Zu der Geschichte hinter LrsquoAbri und wie es geboren und mit Gebet aufrecht-erhalten wurde vgl Schaeffer Llsquo Abri A a O59 Damit will ich nicht sagen dass nicht manche Evangelikale Barths Theologie kritisierten Aber Schaeffer zusammen mit Van Til war es wichtig dass sich die evangelikale Theologie von Barth unterscheiden wurde selbst wenn Barth viele ausgezeichnete Einwaumlnde gegen den Liberalismus aussprach Sowohl Van Til als auch Schaeffer waren besorgt uber das Gesamtpaket von Barths Denken dass nach ihrer Uumlberzeugung das historische Christentum untergraben wurde Zu Van Tils harter Reaktion auf Barth vgl Christianity and Barthianism Nutley Presbyterian and Reformed 1977 Vgl auch John Frames praumlgnante Zusammen-fassung von Van Tils Problem und seine Ablehnung der Theologie Barths auch parallel zur Reaktion Schaeffers in John M Frame Cornelius Van Til An Analy-sis of His Thought Phillipsburg N J P amp R Publication 1995 S 353ndash36960 Das heiszligt nicht dass Schaeffer der Einzige war der Barth an diesem Punkt kritisierte Ich habe schon Van Til als ei-nen anderen entschlossenen Kritiker er-waumlhnt und es gab noch weitere61 Brown Standing Against the World A a O S 20ndash2162 Vgl Iain Hamish Murray Evangeli-calism Divided A Record of Crucial Change in The Years 1950 to 2000 Edin-burgh UKCarlisle Pa Banner of Truth Trust 2000 S 50 Fn 5 u S 76ndash77 Vgl auch die Stellen wo Schaeffer seine Sorge daruber formuliert dass die evangelikale Bewegung im Bereich der Evangelisation mit solchen zusammenarbeitet die in ih-rer Theologie nicht evangelikal sind in Francis A Schaeffer Kirche am Ende des 20 Jahrhunderts 2 Aufl Genf [u a] Haus der Bibel [u a] 1973 S 38ndash45

Prof Dr Stephen J Wellum

glauben amp denken heute 22012 337 8 6 uuml

Die grosse Anpassung A a O S 86ndash87 und Schaeffer und Dennis Letters of Francis A Schaeffer A a O S 7263 Vgl Brown Standing Against the World A a O S 21ndash22 Viel von der Kritik Schaeffers an Graham in diesem Punkt ist nicht direkt aufgeschrieben worden Wir wissen es von denen die Schaeffer persoumlnlich kannten und eben-so aus Andeutungen daruber in Schaef-fers Schriften Vgl zu diesem Punkt Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houml-ren A a O und Die grosse Anpassung A a O S 85ndash8764 Brown Standing Against the World A a O S 21ndash2265 Brown Standing Against the World A a O S 21 Schaeffer stellt fest bdquoWas nutzt es daszlig der Protestantismus zah-lenmaumlszligig immer mehr zunimmt wenn aber eine so groszlige Zahl derer die den Namen sbquoevangelikallsquo tragen nicht mehr an dem festhalten was den Protestantis-mus evangelikal macht Wenn dem kein Einhalt geboten wird dann sind wir dem Anspruch der Bibel den sie in Bezug auf sich selbst erhebt nicht treu ergeben und wir sind auch nicht ehrlich gegenuber dem was Jesus Christus in Bezug auf die Bibel geltend macht Aber ebenso ndash und das durfen wir nie vergessen ndash werden wir und unsere Kinder nicht fur die vor uns liegenden schweren Zeiten gewappnet sein wenn dies so weitergehtldquo (Die groszlige Anpassung A a O S 85)66 Brown Standing Against the World A a O S 21ndash2267 Ebd S 2468 Ebd S 2569 Schaeffer Die grosse Anpassung A a O S 54ndash5570 Schaeffer betont stark dass die evange-likale Bewegung mit dem ganzen Men-schen umgehen muss ndash mit Verstand Wille Gefuhlen Herz und Seele Als er bei einer Gelegenheit gefragt wurde wie er sich selbst betrachte als Theologe

Philosoph oder als Apologet sagte er er sei ein Evangelist Er sah jedoch seine Evangelisation nicht als geschieden von den groszligen intellektuellen und kultu-rellen Fragen des Lebens an weil Men-schen ganzheitliche Wesen sind Er stellt fest bdquoMenschen sagen oft sbquoWas bist dulsquo Und manchmal sage ich sbquoNun ich bin ganz einfach ein Evangelistlsquo Manchmal denke ich jedoch nicht dass die Men-schen verstanden haben dass das nicht bedeutet dass ich an einen Evangelisten im Kontrast zum sorgfaumlltigen Umgang mit philosophischen intellektuellen oder kulturellen Fragen denke Ich bin kein professioneller akademischer Philosoph ndash das ist nicht meine Berufung und ich bin froh die Berufung zu haben die ich habe und bin genauso froh dass manche andere Leute andere Berufungen haben Aber wenn ich sage dass ich ein Evange-list bin heiszligt das nicht dass ich glaube meine Philosophie usw sei nicht gultig Ich glaube sie ist es hellip Ich sage aber dass sich all das kulturelle intellektuelle oder philosophische Material nicht davon trennen laumlsst Menschen zu Christus zu fuhren Ich denke mein Reden uber Me-taphysik Moral und Erkenntnistheorie zu gewissen Individuen ist genauso Teil meiner Evangelisation wie der Moment wo ich ihnen zeige dass sie moralisch schuldig sind und ihnen sage dass Chris-tus fur sie am Kreuz starb Ich sehe oder fuhle da keine Dichotomie Dies ist mei-ne Philosophie und jenes ist meine Evan-gelisation Die ganze Sache ist Evange-lisation an Menschen die gefangen sind in der zweiten Verlorenheit uber die wir sprachen Die zweite Verlorenheit ist die dass sie keine Antworten auf die Fragen nach Sinn Ziel und so weiter haben hellip Fur mich besteht eine Einheit aller Wirk-lichkeit und wir koumlnnen entweder sagen dass jeder Studienbereich ein Teil der Evangelisation ist hellip oder wir koumlnnen sagen dass es keine wahre Evangelisation gibt die nicht die gesamte Wirklichkeit und das ganze Leben betrifftldquo (The Com-

plete Works of Francis A Schaeffer Bd 1 A a O S 185ndash187)71 Schaeffer Unsere Welt soll sein Wort houmlren A a O S 23ndash2472 Vgl Schaeffer und Dennis Letters of Francis A Schaeffer A a O u Teil 2 von Burson und Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer A a O S 131ndash20573 Zitiert in Hamilton bdquoThe Dissatisfac-tion of Francis Schaefferldquo A a O S 2574 Ich moumlchte den Leser noch einmal ver-weisen auf Teil 2 von Burson und Walls C S Lewis amp Francis Schaeffer A a O S 131ndash20575 Brown Standing Against the World A a O S 2676 Francis A Schaeffer Jeder ist von Be-deutung 16 Predigten fur das 20 Jahr-hundert Neuhausen Stuttgart Haumlnssler 1982 S 13 u 21

Francis A Schaeffer (1912ndash1984) Lehren aus seinem Denken und Leben Werbung

bdquoldquoAusbildung und Theologie sind

fuumlr den Menschen da nicht der Mensch fuumlr Ausbildung und Theologie

MARTIN BUCER SEMINARMARTIN BUCER SEMINAR

Theologie studieren in Chemnitz

34 7 8 6 uuml

Gilbert Achcar Die Araber und der Ho-locaust Der arabisch-israelische Krieg der Geschichtsschreibungen Edition Nauti-lus 368 S ISBN 978-3-89401-758-3 2990 Euro

Irrefuumlhrende Verharmlosung

Gilbert Achcars Buch bdquoDie Araber und der Holocaustldquo das 2009 urspruumlng-lich auf Franzoumlsisch erschienen ist ist nach der arabischen und der englischen Uumlbersetzung nun auch auf Deutsch er-haumlltlich Achcar ist Professor fuumlr Ent-wicklungsstudien und internationale Beziehungen an der bdquoSchool of Oriental and African Studiesldquo in London Sein Buch ist der Versuch einer Ehrenrettung

der arabischen Nationen vor dem Vor-wurf des kollektiven Antisemitismus Die Pressestimmen dazu uumlberbieten sich gegenseitig in ihrem Lob Der Au-tor will einen differenzierten Blick auf die arabische Rezeption des Holocaust vermitteln Er behandelt dazu zwei gro-szlige Zeitabschnitte bdquoDie Zeit der Shoahldquo und bdquoDie Zeit der Nakbaldquo was sinnge-maumlszlig jeweils bdquoDie Zeit der Katastropheldquo bedeutet Damit deutet sich bereits eine Problematik an Die Verhaumlltnisbestim-mung von Holocaust und Staatsgruumln-dung Israels Im Holocaust sieht Achcar das einzige und obendrein heftig miss-brauchte Argument fuumlr die Staatsgruumln-dung (S 243 ua) sowie fuumlr den bdquodeut-schen Philosemitismusldquo (S 266) Dabei uumlbergeht er andere wichtige Gruumlnde fuumlr die Unterstuumltzung der israelischen

Anliegen Er geht davon aus dass die Staatsgruumlndung unrechtmaumlszligig erfolgt sei (S 138 153) Deswegen war aus sei-ner Sicht auch jeder Verteidigungskrieg dieses Staates illegitim (S 34f) Israel sei ein bdquokolonialer Siedlerstaat europauml-ischen Ursprungsldquo (S 32) Auszligerdem sieht Achcar in den Juden kein Volk sondern eine Religionsgemeinschaft Sie haumltten zwar eine Art nationale Identi-taumlt entwickelt koumlnnten aber aumlhnlich wie Christen und Muslime kein Land beanspruchen (S 265) Die Vorstellung von einer bdquoEinstaatenloumlsungldquo die der Autor zu praumlferieren scheint mit einer juumldischen Minderheit die unbehelligt unter arabischer Herrschaft lebt ist im besten Fall eine naive Utopie Achcar gibt an denjenigen zu widersprechen die aus der Geschichte einen immer da-

gewesenen unabaumlnderlichen arabischen beziehungsweise islamischen Antisemi-tismus konstruiert haumltten und die Ara-ber heute insgesamt als Antisemiten und Nazis abstempelten Er gibt eine Fuumllle von Quellen an und kann vielleicht je-nen den Wind aus den Segeln nehmen die alle Araber als praumldestinierte Nazi-kollaborateure darstellen Kritikwuumlrdig ist die geflissentliche Vernachlaumlssigung der Beschreibung der aktuellen Zu-staumlnde in der arabischen Welt bdquoHaupt-thema ist schlieszliglich die historische Beziehung der Araber zum Holocaust als er stattfand weniger ihre aktuelle Beziehung zur historischen Erinnerung an die Shoahldquo (S 169) Man kann aus der Lektuumlre die Erkenntnis mitnehmen dass zur Zeit des Zweiten Weltkrieges die meisten Araber nicht mit der na-

Die Araber und der HolocaustGilbert Achcar

Carmen Matussek

Rez

ensi

onen

glauben amp denken heute 22012 357 8 6 uuml

tionalsozialistischen Judenverfolgung einverstanden waren was aber kaum jemand angezweifelt hat Wer von der gleichzeitigen Zusammenarbeit einiger hochrangiger Araber mit dem Nazire-gime nichts wusste wird daruumlber eben-falls umfassend informiert selbst wenn Achcar viele Fakten nur nennt um sie anschlieszligend zu relativieren

Erschwerend fuumlr eine Kritik ist dass der Autor seine Meinung haumlufig nicht mit eigenen Worten kundtut sondern ganz im Sinne postmodernen Stils weit-gehend unkommentiert Zitate anein-anderreiht die Ruumlckschluumlsse auf seine Sicht zulassen Meint er tatsaumlchlich dass Palaumlstina als Ort fuumlr die Staats-gruumlndung Israels lediglich ein zufaumlllig da herumschwimmendes bdquoFloszligldquo war (S 26) und dass Israel vor dem Sechs-Tage-Krieg 1967 bdquokaum in ernster Gefahrldquo (S 219) war Zumindest behauptet er mit Nachdruck dass bdquomanche Judenldquo sich 1948 in Palaumlstina gaumlnzlich zu Unrecht bdquovon der Vernichtungldquo bedroht gefuumlhlt haumltten (S 178) und dass Israel damals bdquoalleinldquo fuumlr die bdquoGewalt verantwortlichldquo gewesen sei (S 234f) Auch hier han-delt es sich um ein Zitat das er aber aus-druumlcklich bejaht

Zudem formuliert Achcar seine Aussa-gen oft als Fragen und negativ wodurch ihre Essenz vernebelt wird bdquoWarum ist es weniger schockierend wenn man er-oberte Voumllker die besetzt entwurzelt und zu Fluumlchtlingen gemacht wurden

mit den Nazis vergleicht als wenn man eine Besatzungsarmee die Gebiete von vier Nachbarlaumlndern erobert hat mit diesem Vergleich belegtldquo (S 223) Man denke sich den Satz im Umkehrschluss bdquoOder was ist uumlber jene Araber zu sa-gen die den Holocaust aus lauter Wut oder einer Art hilfloser Aufschneiderei leugnen um so ihre innere Spannung loszuwerden erzeugt durch einen sbquojuumldi-schen Staatlsquo der sie aus einer uumlberwaumll-tigenden Uumlberlegenheitsposition heraus erdruumlcktldquo (S 262)

Vier Hauptgruppen bei Arabern

Achcars Forschungsgegenstand ist aber nicht die Holocaustleugnung des einen oder anderen Palaumlstinensers sondern bdquoder Araberldquo die es natuumlrlich bdquonicht gibtldquo (S 39) zumindest nicht als Antise-miten wohl aber als Betroffene des Ho-locaust und der juumldischen Immigration nach Palaumlstina (S 11) Die Araber will er in vier politische Hauptstroumlmungen unterteilt wissen Bei deren Aufzaumlhlung fragt man sich unwillkuumlrlich ob die Reihenfolge als Rangordnung gedacht ist 1 Westlich orientierte Liberale 2 Marxisten 3 Nationalisten 4 Reak-tionaumlre undoder fundamentalistische Panislamisten (S 40) Erst sehr viel spaumlter und in einem Nebensatz werden die Marxisten als das bezeichnet was sie

waren eine bdquowinzige Minderheitenstrouml-mungldquo (S 82) Wie selbstverstaumlndlich scheint Achcar davon auszugehen dass Antisemitismus in der ersten Gruppe keine groszlige Rolle spielte Dabei erwaumlhnt er nicht dass beispielsweise Al-Aqqad der zu den groszligen Liberalen zaumlhlt (S 103) und sich kritisch zum Hitlerregime geaumluszligert hatte ein wohlwollendes Vor-wort zu At-Tunisis arabischer Uumlberset-zung der bdquoProtokolle der Weisen von Zionldquo von 1951 geschrieben hat Bil-dung bdquoAufklaumlrungldquo und Antisemitis-mus schlieszligen sich damals wie heute nicht aus

Den flaumlchendeckenden Antisemitis-mus in der arabischen Welt verharmlost Achcar mal als Spannungsventil mal als Antiimperialismus (S 188f) dann als Provokation (S 254) als bloszlige Reaktion (S 255f) und als Bildungsluumlcke (S 247 261) Nassers Antisemitismus tut er als bdquoIgnoranzldquo ab (S 195f) dessen Holo-caustleugnung als ein Versehen (S 207) Ahmad Hussein Gruumlnder und Anfuumlh-rer der Bewegung bdquoJunges Aumlgyptenldquo disqualifiziert sich als ernstzunehmen-der Antisemit laut Achcars Darlegung durch seine politische Sprunghaftigkeit (S 81) Auch Al-Gaylani Premiermi-nister des Koumlnigreichs Irak und gluuml-hender Bewunderer der Nazis wird als Antisemit wider Willen vorgestellt Die bdquoArroganz Londonsldquo sei bdquofuumlr Gaylanis Radikalisierung verantwortlichldquo gewe-sen und somit waumlre er bdquoim eigentlichen

Sinne kein Anhaumlnger Hitlerdeutsch-landsldquo (S 90) Den Relativierungen und Verdrehungen scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein Die Ernennung von Hajj Amin al-Husseini der sich wie kein an-derer Araber aktiv in die bdquoEndloumlsung der Judenfrageldquo eingebracht hat zum Mufti Jerusalems sei fuumlr die zionistische Be-wegung ein bdquounschaumltzbarer Dienstldquo ge-wesen (S 129) Zudem habe er mit der Mobilisierung von 200000 Muslimen fuumlr den bdquoKampf der Achsenmaumlchteldquo und anderen Taumltigkeiten weit weniger erreicht als er sich vorgenommen hatte (S 144) Achcar bringt es fertig umfas-sendes Material uumlber die Machenschaf-ten des Muftis zusammenzutragen und ihn hernach als bdquounbedeutendldquo hinzu-stellen und das bdquoBeduumlrfnisldquo bdquozahlreicher Autorenldquo zu bemaumlngeln bdquoden Mufti (hellip) zu verunglimpfenldquo (S 148) Gleich-zeitig schreibt Achcar ihm aber selbst so viel Einfluss zu dass dieser als bdquoreligi-oumlse Autoritaumltldquo mit seinen Radioreden und seiner eigenwilligen Auslegung des Islam bdquoein jahrhundertealtes Erbe der Koexistenz zunichteldquo gemacht habe (S 150f) Als unbedeutend beschreibt Ach-car auch die zahlreichen deutschen Na-tionalsozialisten die nach 1945 in der arabischen Welt besonders in Aumlgypten ihre politischen Karrieren fortgesetzt haben (S 201)

Uumlberhaupt seien ndash das ist die Kern-these des Buches ndash am arabischen Anti-semitismus vor allem die Juden schuld

Die Araber und der Holocaust

36 7 8 6 uuml

bdquoIm Gegensatz dazu sind die antisemiti-schen Aumluszligerungen die heutzutage aus der arabischen Welt kommen meist kultureller Ruumlckstaumlndigkeit geschuldete Phantastereien in denen sich die tiefe Frustration einer unterdruumlckten Nation aumluszligert Die Verantwortung dafuumlr ist in der Tat der Mehrheit sbquoder Judenlsquo Palaumlsti-nas und spaumlter dem sbquojuumldischen Staatlsquo Is-rael zuzuschreiben den diese begruumlndet habenldquo (S 242)

Was bdquoAntisemitismusldquo versus bdquoAnti-zionismusldquo betrifft unterscheidet Ach-car sogar zwischen der antisemitischen und der antizionistischen (also legiti-mierenden weil bdquonichtrassistischenldquo) Lesart der bdquoProtokolle der Weisen von Zionldquo (S 197f) Nun ist aber die Pro-pagierung einer zionistischen Weltver-schwoumlrung nicht weniger antisemitisch als die einer juumldischen Der Antisemitis-mus von bdquokulturell ruumlckstaumlndigenldquo und bdquounterdruumlcktenldquo Menschen ist nicht weniger moumlrderisch als der von privile-gierten Und Achcar beantwortet nicht die Frage inwiefern antisemitische Propaganda in Algerien den Vereinig-ten Arabischen Emiraten oder bei ara-bischen Migranten in Europa ndash durch alle Bevoumllkerungsschichten hindurch ndash mit Ohnmachtsgefuumlhlen gegenuumlber den Israelis zusammenhaumlngen soll Dabei weiszlig er sehr wohl dass man unterschei-den kann zwischen einem Ressenti-ment das der Feindbildgenese in einem realen Konflikt entspringt und einem

das das Ergebnis gezielter Propaganda ist Obwohl bekanntlich in den arabi-schen nicht den israelischen Schulbuuml-chern offen Hetze betrieben wird legt der Autor die Betonung auf die israeli-sche Verantwortung

Beispiel fuumlr intellektuelle Verweigerung

Achcars Buch ist ungeeignet wenn man sich uumlber den Antisemitismus in der arabischen Welt und das dortige Phaumlnomen der Holocaustleugnung in-formieren moumlchte Es ist ein Beispiel fuumlr intellektuelle Verweigerung gegenuumlber den Gruumlnden fuumlr die eingefahrene Lage auch wenn er die Araber sehr wohl zur Selbstkritik mahnt (S 279) Auf dem Gipfel der Geschmacklosigkeit unter-stellt Achcar dem bdquoMiddle East Media Research Instituteldquo (MEMRI) das in einer Sammlung von Zitaten Kari-katuren und Videos das Ausmaszlig des arabischen Antisemitismus abzubilden versucht bdquoGenugtuungldquo bei der Arbeit Als weitere Beispiele fuumlr bdquoantiarabischeldquo Agitatoren nennt er Meir Litvak und Esther Webman Yehoshafat Harkabi und Matthias Kuumlntzel Sie alle sind Autoren die ganz sicher nicht zu den antiislamischen Polemikern zaumlhlen und hier waumlrmstens empfohlen seien Ein Leser der Harkabi Kuumlntzel und Achcar nebeneinander liest und sich ein biss-

chen bei MEMRI uumlber den alltaumlglichen Wahnsinn des arabischen Antisemitis-mus informiert kann sich selbst ein realistisches Bild machen Neben den Beispielen die hier exemplarisch vor-gestellt wurden finden sich bei Achcar durchaus auch lesenswerte Informati-onen in bekoumlmmlicher professioneller Aufbereitung Aufgrund dieser Zitate und der selektiven Wahrnehmung ist fuumlr mich das Buch einer fairen Beur-teilung des Konflikts abtraumlglichUumlber die Rezensentin Carmen Matussek ist Islamwissenschaftlerin Historikerin und freie Journalistin Sie publiziert und referiert zu den Schwerpunktthemen Is-rael Nahostkonflikt Islamismus Islam und Antisemitismus Ihre Abschlussarbeit hat sie uumlber antijuumldische Verschwoumlrungs-propaganda in den arabischen Medien geschrieben und sie 2012 veroumlffentlicht Kontakt carmenmatussekwebde

Carmen Matussek

Studienzentrum in Muumlnchen

mehr infos unterwwwbucerdemuenchenhtml

glauben amp denken heute 22012 377 8 6 uuml

Warum Gerechtigkeit Timothy Keller

Dr Daniel Facius

Timothy Keller Warum Gerechtigkeit Gottes Groszligzuumlgigkeit soziales Handeln und was ich tun kann Gieszligen Brun-nen-Verlag 2012 201 Seiten ISBN 978-3765511790 1499 Euro

Timothy Keller presbyterianischer Pastor und Professor fuumlr praktische Theologie am Westminster Semina-ry hierzulande vor allem durch sein apologetisches Werk bdquoWarum Gottldquo bekannt hat mit bdquoWarum Gerechtig-keitldquo nunmehr ein Werk vorgelegt das seinem Forschungsschwerpunkt der praktischen Theologie entspringt Der vom Brunnen-Verlag gewaumlhlte Titel ist dabei offenbar dem Versuch geschuldet einen Zusammenhang mit dem Vorgaumlnger herzustellen Der Originaltitel bdquoGenerous Justiceldquo (dt bdquoGroszligzuumlgige Gerechtigkeit Wie Got-tes Gnade uns gerecht machtldquo) trifft

den Inhalt etwas besser Als Zielgruppe nennt Keller (S 10ff) junge Christen mit diakonischem Anliegen skepti-sche Christen die mit dem Thema bdquoGerechtigkeit uumlbenldquo den Verlust ge-sunder Lehre und falsche Schwerpunk-te assoziieren Christen die sich dem Thema bdquoGesellschaftstransformationldquo verschrieben haben (der deutsche He-rausgeber nennt hier Theologen wie Tobias Faix und Johannes Reimer S 174) sowie Anhaumlnger der aggressiven Atheisten die der Meinung sind dass bdquoReligion die Welt vergiftetldquo Diesen Gruppen so Keller fehlt irgendwo der Blick dafuumlr dass die Botschaft der Bi-bel und das Eintreten fuumlr Gerechtigkeit zusammengehoumlren (S 13)

Keller beginnt sinnvollerweise mit einem theoretischen Teil in dem er definiert was bdquoGerechtigkeit uumlbenldquo

bedeutet und sich entsprechende Aus-sagen des Alten und Neuen Testa-ments vornimmt Dabei geraumlt Kellers Ausgangsthese etwas steil Micha 68 lautet bei Keller (in der fuumlr exegetische Feinheiten eher weniger sensiblen hier aber zumeist gebrauchten bdquoHoffnung fuumlr Alleldquo-Uumlbertragung) bdquoHaltet euch an das Recht begegnet anderen mit Guumlteldquo

Dies sehe aus wie zwei verschiedene Dinge bdquoaber sie sind nicht verschiedenldquo (S 24) Das ist durchaus hinterfrag-bar zumal nicht einmal die von Kel-ler angegebene Quelle diese Behaup-tung unterstuumltzt Das hebraumlische jPvm (mishpat) gibt Keller mit bdquoMenschen gerecht bzw fair behandelnldquo (S 25) wieder Dies mag zwar grundsaumltzlich zutreffend sein es ist aber wohl eher eine Aufforderung an die staatlichen

Autoritaumlten Gleichheit vor dem Ge-setz zu gewaumlhrleisten als ein Aufruf an die Gesellschaft zur Armenversorgung Abgeleitet von jpv (shapat) bdquorichten zum Recht verhelfenldquo hat es eindeutig einen justitiellen Hintergrund und be-schreibt das korrekte Verstaumlndnis von Regierung (vgl Theological Wordbook of the Old Testament S 948) ohne dass es auf den Akt der Rechtspre-chung verengt werden darf

Subjekte des Shapat-Handelns sind jedoch Koumlnige oder Richter es voll-zieht sich in dem die Ursache einer Stoumlrung zwischen zwei Gruppen durch einen bdquoRichtendenldquo beseitigt wird (vgl THAT Band 2 Sp 1001) Auch wenn jPvm tatsaumlchlich oft im Verbund mit dsx (chesedh Guumlte) erscheint sollten die verschiedenen Bedeutungsspektren gewahrt werden Wenn Keller bdquoGe-

38 7 8 6 uuml

rechtigkeit uumlbenldquo als bdquoVerteidigung der Menschen mit der geringsten oumlkonomi-schen und gesellschaftlichen Kraftldquo de-finiert (S 26) dann greift das zu kurz gibt aber den Teilaspekt von bdquoGerech-tigkeitldquo wieder um den es Keller nun hauptsaumlchlich gehen wird

Uumlberzeugend gelingt die Gruumlndung von gerechtem Handeln im Wesen Got-tes In der Tat ist es vielsagend dass Gott als bdquoVater der Waisen und Helfer der Witwenldquo (Psalm 686) vorgestellt wird Gerade im Kontrast zu antiken Goumlttern die sich mit Koumlnigen und Priestern und Helden identifizieren wird die Einma-ligkeit Jahwes deutlich der sich zu den Ausgestoszligenen und Machtlosen stellt Grundsaumltzlich richtig ist es auch auf den Gemeinschaftsaspekt von Gerech-tigkeit hinzuweisen der durch das heb-raumlische hqdc (tzedaqah) zum Ausdruck kommt (das sich fuumlr Kellers Argumen-tation besser eignet als jPvm) Werden beide Worte wie es oumlfter geschieht zu-sammen verwendet will Keller dies mit bdquosoziale Gerechtigkeitldquo wiedergeben Hier wird am Beispiel Hiobs erlaumlutert wie ein bdquorechtschaffenesldquo Leben aussieht ndash ein lohnenswerter und herausfordern-der Einblick

Ob aber privates groszligzuumlgiges Geben wirklich als zwingender Bestandteil von bdquoGerechtigkeitldquo qualifiziert werden soll-te Keller ist sich offenbar im Klaren daruumlber dass diese Behauptung sehr weit geht (S 34) tut aber exegetisch we-

nig um sie zu untermauern Dass ein froumlhliches Geben Gott gefaumlllt ist un-bestreitbar Aber ist es wirklich bdquounge-rechtldquo nicht bdquogroszligzuumlgigldquo zu sein Wel-che Eigenbedeutung kommt Begriffen wie Guumlte oder Barmherzigkeit noch zu wenn das was sie beschreiben notwen-diger Bestandteil von bdquoGerechtigkeitldquo ist Eine solche Abgrenzung leistet Kel-ler nicht Am Beispiel Israels im Alten Testament zeigt Keller wie Gott die Gerechtigkeitsfrage in einem theokra-tischen Nationalstaat loumlst Er zeigt auf dass die heutige Anwendung allgemein guumlltiger Prinzipien viel Raum fuumlr Inter-pretationen laumlsst und nicht ohne weite-res in die Form eines bestimmten poli-tischen Systems gegossen werden kann

Bedenkenswert sind auch die Aus-fuumlhrungen zu Ursachen von Armut die Keller teils in der Gesellschaft (Ras-sismus Korruption Wucher) teils in Schicksalsschlaumlgen (Unfaumllle Naturka-tastrophen) und teils in charakterlichen Defiziten (Faulheit Disziplinlosigkeit) verortet (S 47ff) Bei der Betrachtung des Neuen Testaments liegt sein Schwer-punkt auf der Art und Weise wie Jesus den Armen begegnet ndash und wie er priva-te Moral und soziale Gerechtigkeit zu-sammen denkt (S 64) Dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter wird ein eigenes Kapitel gewidmet (S 70ff)

Im zweiten Teil des Buches wird es praktisch Wieso sind Appelle an die Vernunft ja selbst an die Liebe nicht

in der Lage Menschen dauerhaft zu bdquoGerechtenldquo zu machen Dem Dilem-ma einer relativistischen Moderne eine Begruumlndung fuumlr die Notwendigkeit rechtschaffenen Verhaltens zu liefern stellt Keller zwei biblische Grundmoti-vationen gegenuumlber die freudige Ehr-furcht angesichts der Guumlte von Gottes Schoumlpfung und die Erfahrung der Gna-de Gottes in der Erloumlsung (S 85)

Hier kommt es zur Verknuumlpfung von Diakonie und Evangelium die in der Erfahrung Kellers gipfelt dass bdquoMen-schen die das Evangelium der Gnade ergriffen haben und geistlich arm ge-worden sind merken wie es ihre Her-zen zu den materiell Armen zu ziehen beginntldquo (S 101)

Die wuumlnschenswerte Folge bdquoGerech-tigkeit als Lebenselementldquo (S 106) Dies kann sich vielfaumlltig aumluszligern wobei Keller drei Stufen der Hilfe skizziert (S 109) Soforthilfe Hilfe zur Entwicklung und soziale Reformen Waumlhrend Soforthilfe noch grundsaumltzlich von jedem geleis-tet werden kann ist Hilfe zur Selbst-hilfe zeitraubender und komplizierter soziale Reformen durch Einzelne gar nicht umsetzbar Keller wird hier relativ praktisch wenn er etwa den Umgang mit ganzen Problemvierteln beschreibt (S 111ff) oder konkrete Fragen auf-wirft vor denen hilfswillige Gemein-den fruumlher oder spaumlter stehen werden (S 127ff) Wie viel sollten wir helfen Wem sollten wir helfen Unter welchen

Bedingungen Auf welche Weise Hier wird auch die Rolle der Evangelisation erlaumlutert (S 129) wobei Keller davor warnt Diakonie nur als Mittel zu de-ren Zweck zu betrachten Dabei wirbt er durchaus auch fuumlr die Zusammenarbeit mit Anhaumlngern anderer Religionen und Weltanschauungen in bdquounaufdringli-cher Kooperation und respektvoller Provokationldquo (S 145) Hier gluumlckt ein interessantes Kapitel das die Schwaumlchen einer rein saumlkularen Gerechtigkeitskon-zeption entlarvt

Insgesamt gelingt Keller ein starker Beitrag zum Thema bdquoSoziale Gerechtig-keitldquo das der gerade in Deutschland so omnipraumlsenten Debatte um diesen Be-griff wichtige Impulse zu geben vermag auch wenn nicht jedes der zahlreichen aus amerikanischem Kontext stammen-den Beispiele (etwa in Bezug auf die Rassenfrage) hierzulande von gleicher Brisanz ist

Zudem ist das Buch praktisch genug um auch persoumlnlich herausfordernd zu sein Auch wenn nicht jede theoretische Annahme oder jede konkrete Schluss-folgerung vollstaumlndig zu uumlberzeugen vermag ist Kellers Plaumldoyer fuumlr einen ausgewogenen Mittelweg zwischen Ruumlckzug aus der Welt und utopischen Traumlumen von einer erloumlsten Kultur mehr als beachtlich

Dr Daniel Facius

glauben amp denken heute 22012 397 8 6 uuml

Steven Paas Christian Zionism Exa-mined A Review of Ideas on Israel the Church and the Kingdom NuumlrnbergHamburg VTR PublicationsRVB 2012 135 Seiten ISBN 978-3941750869 1499 Euro

Gut ist an diesem Buch dass es genuuml-gend Stoff zu ernsthaften spannenden Diskussionen bietet Steven Paas fordert alle heraus die in der Gruumlndung des Staates Israel von 1948 ein Zeichen der Endzeit und eine Erfuumlllung der bibli-schen Verheiszligungen sehen Somit traumlgt das Buch zur eigenen selbstkritischen Urteilsfindung bei wenn es denn nicht nur von solchen gelesen wird die aus dem theologischen Lager von Steven Paas stammen Denn der Autor legt seiner Studie eine reformiert-konfessio-nelle Hermeneutik zugrunde Er legt die ganze Bibel aus der Sicht des einen Gna-denbundes aus der in Christus zentriert

ist Damit macht Steven Paas gegenuumlber dem Christlichen Zionismus klar dass es zum Beweis der eigenen Bibeltreue nicht nur darauf ankommt Bibelstellen zu zitieren Vielmehr muss jeder auch die von ihm benutzte Hermeneutik of-fen legen welche aufzeigt wie die dispa-raten Aussagen der Bibel in einen groumlszlige-ren Zusammenhang gebracht und erst dadurch auf redliche Weise verstanden werden koumlnnen Mit seiner Verortung in einer reformiert-konfessionellen Dog-matik wird Paas zu einem Opponenten des praumlmilleniaristischen Dispensati-onalismus dem er eine Aufloumlsung des einen Gnadenbundes in zahlreiche bdquodispensationsldquo vorwirft (S 61) Doch mit einer heilsgeschichtlich motivierten Wuumlrdigung des juumldischen Volkes nach dem Holocaust ist der Dispensationalis-mus fuumlr pietistisch-erweckliche Chris-ten derart plausibel geworden dass er fast schon als Synonym zum Begriff

sbquoEvangelikalismuslsquo gebraucht wird Die-se Plausibilitaumlt ist ja nicht unbegruumlndet Und damit kommen wir schon zu ei-ner Schwachstelle der Argumentation von Steven Paas Denn die historischen Ereignisse des Holocausts und der is-raelischen Staatsgruumlndung scheinen die Positionen des Christlichen Zionismus zu bestaumltigen Das muumlssen wir zunaumlchst einmal anerkennen Gerade als Chris-ten die aus Deutschland stammen haben wir schmerzvoll wahrzunehmen dass in der Zeit zwischen 1933 und 1945 keine Kirche Gemeinde christliche Be-wegung oder protestantische Gruppe geschlossen gegen den Nationalsozia-lismus opponiert hat Es waren immer nur Einzelne die die Ungeheuerlichkeit der Judenverfolgung erkannten und kri-tisierten Auch die klassische konfessio-nelle Dogmatik fuumlr die sich Steven Paas starkmacht hat den Holocaust nicht verhindern koumlnnen

Dem Niederlaumlnder Steven Paas der in Afrika lebt mag man verzeihen dass ihn die Ausmaszlige des Holocausts nicht besonders beschaumlftigen Als ein Christ der in Deutschland wohnt frage ich mich allerdings welche theologischen Entwicklungen die nationalsozialisti-sche Judenverfolgung beguumlnstigt haben und inwiefern sie deshalb Fehlentwick-lungen waren Und viele Christen fra-gen sich das Ergebnis dieses Fragens ist beispielsweise dass die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern der ich angehoumlre ihre Verfassung in diesem Jahr um diesen Satz ergaumlnzt hat bdquoDie Kirche ist aus dem biblischen Gottesvolk Israel hervorgegangen und bezeugt mit der Heiligen Schrift dessen bleibende Erwaumlh-lungldquo Der Hinweis auf die bdquobleibende Erwaumlhlungldquo fasst Aussagen des Paulus zusammen (wie Roumlm 111) und wehrt damit die klassische Enterbungstheorie ab wonach das juumldische Volk ndash wie man

Christian Zionism ExaminedSteven Paas

Dr Gerhard Gronauer

40 7 8 6 uuml

fruumlher sagte ndash unter dem Fluch des Got-tesmordes stehe und das Heil komplett auf die heidenchristliche Kirche uumlber-gegangen sei Diese Enterbungstheorie (bei Paas replacement theory) brachte den christlichen Antijudaismus hervor an welchem der moderne Antisemitismus anknuumlpfen konnte

Viele progressive Christen aus dem Umfeld des juumldisch-christlichen Dia-logs die Paas auch unter dem Begriff sbquoChristlicher Zionismuslsquo subsumiert schlieszligen nun aus der bdquobleibenden Er-waumlhlungldquo dass die Juden einen separa-ten Heilsweg haumltten und Jesus Christus nicht mehr braumluchten Das ist fuumlr mich die spannendste Stelle im Buch bdquoChris-tian Zionism Examinedldquo dass Paas sei-nen reformierten Ansatz von der klassi-schen replacement theory unterscheidet auch wenn er mit diesem Versuch bei progressiven Christen nicht durch-kommen wird Denn im Gegensatz zu jenen denkt der Autor nicht gleich an das sbquoheidenchristlichlsquo-antijuumldische Uumlberlegenheitsgefuumlhl der antiken und der mittelalterlichen Kirche bdquoKircheldquo ist fuumlr Paas ein rein innerbiblischer Be-griff den er auf die Urgeschichte im Buch Genesis zuruumlckdatiert und der somit alle Menschen umfasst die dem Gnadenbund Gottes angehoumlren Noah Abraham Israel und die christlichen Gemeinden des Neuen Testaments Im Fortlauf der biblischen Offenba-rung weitet sich der Bund Gottes von

einer Beziehung zu einzelnen Familien (Noah Abraham) uumlber das Volk Israel hin zur ganzen Welt Damit sind wir bei dem bdquouniversalenldquo Charakter der christlichen Botschaft welcher sich im christlich-juumldischen Gespraumlch stets den Vorwurf gefallen lassen muss die Juden zu bdquoenterbenldquo Diesen Vorwurf weist Paas zuruumlck denn mit der Uni-versalitaumlt des Gnadenangebots ist Isra-el keineswegs ausgeschlossen bdquofrom the covenantal salvation promises of Godldquo (S 23) Zu Paaslsquo Abwehr der klassischen replacement theory gehoumlrt auch dass er das traditionelle Diktum praumlzisiert alle biblischen Verheiszligungen seien in Chris-tus erfuumlllt Die Verheiszligungen sind nicht durch das Leben des irdischen Jesus oder mit dessen Auferstehung erfuumlllt sondern werden erst mit dem zweiten Kommen Jesu Christi erfuumlllt sein

Hier lohnt es sich jedenfalls theo-logisch weiterzuarbeiten Und solche Gedanken anzustoszligen gehoumlrt zu den Staumlrken von Paas genauso wie sein Hinweis auf die Uumlberpruumlfung der ei-genen Hermeneutik Auch legt er seine Finger in die Wunden des Christlichen Zionismus indem er dessen argumenta-tive Schwachstellen hervorhebt Die bi-blischen Landverheiszligungen werden im Neuen Testament nicht erwaumlhnt oder gar bestaumltigt der Fortlauf der biblischen Offenbarung laumluft bereits im Alten Testament auf eine Universalisierung und Spiritualisierung der Gottesverhei-

szligungen hinaus keine alttestamentliche Ruumlckkehrverheiszligung deckt sich mit der Gruumlndung des Staates Israel 1948

Gleichermaszligen weist die Studie bdquoChristian Zionism Examinedldquo selbst eine Reihe von Schwachstellen auf so-dass dieses Buch nicht nur Begeisterung ausloumlst Absolut irritierend ist dass Paas den Begriff sbquoChristlicher Zionismuslsquo nur scheinbar klar definiert (bdquoIt is an ideolo-gy of being fascinated in an extraordinary way by ethnic geographic and religious features of post-Biblical Israelldquo S 12) In Wirklichkeit wendet er den Begriff recht unterschiedslos auf alle Christen an die in seinen Augen ein bdquoheterodoxesldquo also wahrheitswidriges Verstaumlndnis von Ju-dentum Israel oder Palaumlstina haben Christliche Zionisten sind dann nicht nur zeitgenoumlssische Freunde des Staates Israel auf der Basis einer bestimmten heilsgeschichtlichen Theologie (so wie ich den Terminus definieren wuumlrde) sondern gleichermaszligen Philosemiten wie Antisemiten friedliche Palaumlstina-Pilger wie grausame Kreuzfahrer Mit dieser Ausdehnung des Begriffs wider-spricht Paas sich faktisch selber setzt er sich doch in seinen dogmatischen Kapi-teln vor allem mit der Heilsgeschichte des Dispensationalismus auseinander Nach Paaslsquo Logik muumlsste dann auch die palaumlstinensische Befreiungstheolo-gie zum Christlichen Zionismus gehouml-ren hat doch auch sie eine Auffassung von bdquoLandldquo und bdquoHeimatldquo die uumlber die

reformiert-orthodoxe Lehre hinausgeht Wenn uumlberhaupt dann nimmt Paas aber die arabischen Voumllker (wie die afri-kanischen) nur als Opfer des westlichen Imperialismus wahr und versteigt sich zu dem unseligen Vergleich dass Zio-nismus bdquoa system of racial favouritism or apartheidldquo (S 118) sei

Und wie bereits erwaumlhnt findet Paas kein Verstaumlndnis dafuumlr dass der Christ-liche Zionismus fuumlr manche Christen nach 1945 ein plausibles theologisches System geworden ist Weil er das nicht verstehen kann vermag er es auch nicht zu erklaumlren und muss deshalb zu dem abgedroschenen Argument des sbquoSchuld-komplexeslsquo greifen (S 118) Gut bleibt an diesem Buch dass es genuumlgend Stoff zu ernsthaften spannenden Diskussio-nen bietet Gerade innerhalb der evan-gelikalen Bewegung Bezeichnend ist dass Paas als Kronzeugen seiner eige-nen Position mehrfach den Rektor der Internationalen Hochschule Liebenzell Prof Dr Volker Gaumlckle zitiert und ihn sogar im Vorwort wuumlrdigt Nun gibt es im Liebenzeller Gemeinschaftsverband einen bdquoArbeitskreis Israelldquo der seiner Internetpraumlsenz nach ein bdquoBewusstsein schaffen (will) fuumlr die heilsgeschicht-liche Bedeutung Israelsldquo Wie gesagt Stoff fuumlr genuumlgend Diskussionen pro und contra Christlicher Zionismus selbst unter Freunden

Dr Gerhard Gronauer

glauben amp denken heute 22012 417 8 6 uuml

Fuumlr Froumlmmigkeit in FreiheitGerhard Lindemann

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Gerhard Lindemann Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit Die Geschichte der Evangeli-schen Allianz im Zeitalter des Liberalis-mus (1846ndash1879) Theologie Forschung und Wissenschaft Bd 24 Muumlnster Lit Verlag 2011 1064 Seiten 978-3825889203 12990 Euro

Seit meiner Dissertation zu Theodor Christlieb von 1985 und der kurz da-rauf erschienenen Arbeit von Hans Hauzenberger hat zwar der metho-distische Forscher Karl-Heinz Vogt zu Christlieb selbst und zum Thema Allianz und Religionsfreiheit einiges Neues beigetragen aber insgesamt fehlten die groszligen Fortschritte in der Forschungsgeschichte zur Allianz in Deutschland seit 25 Jahren ja fuumlr die Zeit vor dem 2 Weltkrieg weltweit Auch zur Fruumlhgeschichte der Welt-

weiten Evangelischen Allianz ist laumln-ger nichts substantiell Neues erforscht worden Und auch zur Geschichte der Religionsfreiheit im 19 Jahrhundert allgemein haben sich die Forscher nicht gerade uumlberschlagen Und nun dieses ausgezeichnete Mammutwerk

Ein groszligformatiges Buch mit 947 Seiten reinem Text mit groszligem Satz-spiegel und kleiner Schrift Die Heidel-berger Habilitationsschrift von 2004 wird dem Ruf das die Deutschen die dicksten aller Buumlcher schreiben ge-recht Bisweilen detailversessen alles minutioumls aus den Akten und zeitgenoumls-sischen Zeitungen belegend wird das Buch dadurch zu der gruumlndlichsten (und besten) Darstellung der Vor- und Fruumlhgeschichte der Evangelischen Al-lianz Die Weltweite Evangelische Al-

lianz vertritt heute 600 Mio Christen weltweit davon nur noch ein Bruchteil deutscher Zunge Schade dass dem groumlszligten Teil dieser Menschen deswe-gen dieser Schatz verborgen bleiben wird denn eine englische Uumlbersetzung dieser Textmenge waumlre zwar dringend erforderlich ist aber leider sehr un-wahrscheinlich

Das Werk behandelt soweit aus den Quellen rekonstruierbar 1 die eigent-liche Geschichte wie Versammlun-gen Kampagnen und internationale Ausbreitung die jeweils in die groszlige Zeitgeschichte eingeordnet werden 2 die Rolle der entscheidenden Persoumln-lichkeiten und 3 die Arbeitsschwer-punkte der Allianz (dabei vor allem Glaubens- und Gewissensfreiheit Ge-betswoche Mission Publikationen)

Wer dabei eine einzelne Thematik verfolgen moumlchte ndash etwa die Geschich-te der internationalen Allianzgebets-woche jeweils zu Beginn des Jahres ndash kann dies uumlber die uumlbersichtliche Gliederung und den Index sehr gut tun Auch wer die Geschichte der Al-lianz bis 1879 in solch unterschied-lichen Laumlndern wie Groszligbritannien Deutschland den skandinavischen Laumlndern Kanada Australien Suumldafri-ka der Tuumlrkei dem Iran Indien oder Japan verfolgen will wird hier fuumlndig Zu vielen Details findet sich hier erst-mals ein Beleg (z B Einsatz der fruumlhen Evangelischen Allianz fuumlr Tierschutz) und selbst zu Christlieb habe ich Neues gefunden dass meine Dissertation er-gaumlnzt (Christlieb und Versoumlhnung mit Frankreich in New York [S 747ndash752]

42 7 8 6 uuml

Christliebs Einsatz gegen Opium-handel [S 856ndash858] Geschichte der Westdeutschen Evangelische Allianz [S 921ndash922]) Lindemann sieht die Allianz gleich zu Beginn als erste orga-nisierte Form der Oumlkumene als einzig wirklich oumlkumenische Organisation die aus der Erweckungsbewegung des 19 Jahrhunderts entsprang (S 15) Er weist nach dass die Allianz selbst in ihren fruumlhen Dokumenten haumlufig das Wort bdquoecumenicalldquo verwendete (S 938 u ouml) bdquoSie schuf ein Klima das die Gruumlndung von Vorgaumlngerorgani-sationen des Oumlkumenischen Rates der Kirchen (OumlRK) ermoumlglichteldquo (S 945) Er kritisiert dass geschichtliche Dar-stellungen der modernen Oumlkumene oft sehr spaumlt einsetzen und sowohl die Allianz als auch einige ihrer fuumlhrenden Vertreter als Vorreiter der Einheit der Christen uumlbergehen (S 21)

Lindemann sieht die Allianz als Teil der transnationalen Froumlmmigkeitsbe-wegung der Erweckungen nach dem Pietismus (S 25) die man nicht ein-fach pauschal als bdquoantiaufklaumlrerischldquo oder bdquoantimodernldquo beurteilen darf (S 25) sondern die etwa in Fragen der Re-ligionsfreiheit oder des Antisklaverei-kampfes (S 28ndash29) auch ihrer Zeit voraus war Gespeist aus Erweckungen in ganz unterschiedlichen Sprach- und Kulturkreisen zeichnete sie sich wie der Pietismus bdquodurch ein weitverzweig-tes Netz internationaler Kontakte und Verbindungen ausldquo (S 33) Ob man die

Gruumlndung oumlkumenischer Strukturen unabhaumlngig von der Allianz wirklich allein auf die bdquozunehmende sbquoFunda-mentalisierunglsquo der Allianz 1880ldquo (S 945) in Form der Ablehnung der Bi-belkritik und der Zuwendung zur Hei-ligungsbewegung zuruumlckfuumlhren kann wie Lindemann ganz am Ende eher beilaumlufig sagt wage ich zu bezweifeln Ich vermute dass eine ebenso gruumlnd-liche Arbeit zur Zeit nach 1880 eben-falls eine andere sbquoAllianzlsquo hervortreten lieszlige wie die Allianz die Lindemann bis 1879 darstellt die ebenso dem gaumln-gigen Klischee nicht entspringt

Doch Lindemann hat Recht wenn er fortfaumlhrt bdquoDoch lebte das Gedan-kengut der Allianz in der Oumlkumene fortldquo (S 946) Uumlberhaupt passen die Schlussworte zur Evangelischen Alli-anz heute die eine gute fruumlhe und eine schlechtere spaumltere und heutige Allianz andeuten nicht so ganz zum Duktus des Buches Aber nach 945 uumlberaus fairen Seiten in der Darstellung der Al-lianz aus den Quellen sollte man diese verhaltene Kritik liebevoll beherzigen zumal die daraus gezogenen Empfeh-lungen schon teilweise umgesetzt wer-den

Insgesamt schreibt Lindemann aus freundlich-kritischer Distanz So kri-tisiert er etwa die groszlige Naumlhe vieler Evangelikaler zum herrschenden Adel in der Zeit der Revolutionen 184849 (S 152ndash158) worin die Evangelikalen sich nicht von den Kirchen ihrer Zeit

unterschieden Haumlufiger hilft er positi-ve Bilder zu differenzieren So bestand etwa schon bei Gruumlndung der Evange-lischen Allianz Einigkeit in der Verur-teilung der Sklaverei ndash der Kampf ge-gen die Sklaverei gehoumlrte unverruumlckbar zur Geschichte der sbquoEvangelicalslsquo aber inwiefern Sklaverei duldende Gruppen und Personen Mitglied werden durften war diesseits und jenseits des Atlanti-schen Ozeans umstritten (S 65ndash72 110ndash129 159) 1846 wurden sie alle ausgeladen spaumlter teilweise zugelassen dann mit der Abschaffung der Sklave-rei in den USA endguumlltig verbannt (S 693) Noch nie wurden diese kompli-zierten Details im Einzelnen belegt

Auch zur Entstehung der Glaubens-basis wird viel neues Material geliefert

bdquoMan verstand sich als eine Verbin-dung von Einzelpersonen und legte in diesem Zusammenhang auf die persoumln-liche Glaubensentscheidung des Ein-zelnen Wert und betonte das Recht auf individuelle Bibellektuumlre Mit diesem Grundaxiom hing auch die scharfe Abgrenzung vom Katholizismus so-wie hochkirchlichen Gruppierungen im Protestantismus zusammen die Sakramente und die Institution Kir-che als objektiv vorgegebene Groumlszligen betrachteten und der Entscheidung des Einzelnen voranstellten Hingegen galt fuumlr die Allianz in ihrer in London ver-abschiedeten sbquoGlaubensbasislsquo die goumltt-lich inspirierte Schrift als sakrosankt deren freie Pruumlfung dem Einzelnen

jedoch zugestanden wurdeldquo (S 205) Spannend ist die Entstehung der ers-ten Glaubensbasis (S 87ndash98) Meines Erachtens haumltte man noch deutlicher darauf hinweisen koumlnnen dass die bei-den ersten Saumltze eine bis heute zentrale Spannung bewirken bdquo1 The Divine Inspiration Authority and Sufficiency of the Holy Scriptures 2 The Right and Duty of Private Judgement in the Interpretation of the Holy Scripturesldquo (S 98)

Einerseits ist dies eine unverruumlckbare Festlegung andererseits ein extremer Pluralismus der jeden Glaumlubigen ver-pflichtet die Grundlage selbst auszu-legen

Exkurs Die Evangelikalen sind durch zwei Paare entgegengesetzter Pole gekennzeichnet und man wird ihnen nicht gerecht wenn man jeweils nur einen der Pole sieht Einerseits ist das die von den Evangelischen ererbte Zentralitaumlt der Heiligen Schrift Andererseits ist es der aus Luthers Frage sbquoWie bekomme ich einen gnauml-digen Gottlsquo hervorgegangene Heilsin-dividualismus Es geht darum dass jeder Mensch seine persoumlnliche Bezie-hung zu Gott hat und daraus ergibt sich als Korrektur zur Zentralitaumlt der Schrift die Berechtigung ja Verpflich-tung jedes Christen die Heilige Schrift selbst zu studieren und auszulegen womit er mit jedem noch so gebildeten evangelikalen Theologen auch seinem

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 437 8 6 uuml

Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit

Pastor gleichauf steht So vereint die evangelikale Welt die dogmatische Enge dank der Bibelfrage mit einer enor-men demokratischen Weite weil jeder theologisch mitreden darf Die zweite Spannung ist die zwischen Mission und Religionsfreiheit Aus der enormen Be-tonung der persoumlnlichen Beziehung zu Jesus entstand sowohl die starke Beto-nung der bdquoZeugnispflichtldquo als auch die starke Betonung der Religionsfreiheit Das Konzept der Freiwilligkeit praumlgte nicht nur die Freikirchen sondern auch den innerkirchlichen Pietismus fuumlr den Glaube nicht nur etwas Aumlu-szligerliches Ererbtes sein duumlrfte sondern etwas persoumlnlich Erfahrenes Dazu aber kann man niemand zwingen ja Zwang macht die Moumlglichkeit zunichte eine wirklich eigenstaumlndige persoumlnliche Um-kehr zu Gott zu vollziehen Also lieber eine kleinere Kirche mit uumlberzeugten Mitgliedern als eine groszlige mit vielen Mitgliedern die nur dank gesellschaftli-chem familiaumlrem oder sonstigem Druck dazugehoumlren

Neubestimmung des Verhaumllt-nisses der Evangelischen Alli-anz zur katholischen Kirche

Lindemann geht auf die antikatholi-schen Tendenzen und Aktivitaumlten in Groszligbritannien ein in denen die Alli-anz zum Teil wurzelt (S 45ndash50) Aller-

dings weist er schluumlssig nach was mein groumlszligtes Aha-Erlebnis beim Lesen des Buches war Es waren kaum die dog-matischen Unterschiede die im Mit-telpunkt standen sondern die Allianz repraumlsentierte mit ihrem Eintreten fuumlr Glaubens- und Gewissensfreiheit ih-rer teilweise radikalen teilweise noch verhaltenen Trennung von Kirche und Staat und ihrer Vorrangstellung der frei-willigen persoumlnlichen Bekehrung ndash was jeden Zwang in der Mission oder reli-gioumlsen Zwang seitens des Staates aus-schloss ndash das komplette Gegenteil zur ultramontanistischen katholischen Kir-che die Religionsfreiheit entschieden verwarf den Staat als Diener der Kirche zumindest in Fragen von Religion und Ethik sah und die oumlrtlichen Katholiken staumlrker denn je an die geistliche aber auch politische Fuumlhrung des Papstes band ndash alles Positionen die die katho-lische Kirche offiziell erst im 2 Vati-kanischen Konzil aufgab aber schon nach den beiden Weltkriegen jeweils immer mehr zuruumlckfahren musste So wie es im bismarckschen Kulturkampf in Deutschland weniger um Glaubens-inhalte als um die Machtfrage und den politischen Einfluss der Kirche(n) ging so stand im Zentrum der Allianz ndash so Lindemann ndash dass der Ultramontanis-mus bdquoals eine Verschwoumlrung gegen die geistige Entwicklung und geistige Frei-heit der Menschheitldquo (S 49) erachtet wurde (S 321ndash337)

Konsequenterweise setzte man sich vom Gruumlndungsjahr an auch fuumlr verfolgte Katholiken in protestantischen Laumln-dern ein und unterstuumltzte antikatholisch orientierte Regierungen nicht in ihrem Tun (S 205) Uumlbrigens wurde 1846 be-wusst bei der Gruumlndung keine Nichtzu-lassung von Katholiken formuliert (S 131) Als sich die Allianz 1858 mit einer Delegation gegen Schweden wandte dessen oberstes Gericht der Koumlnigliche Gerichtshof 6 Frauen die zum Katho-lizismus konvertiert waren des Landes verwiesen hatte und die Allianz Religi-onsfreiheit fuumlr diese Katholiken forder-te gab es europaweit einen Sturm der Entruumlstung auszligerhalb der Allianz (S 295ndash300) Die Allianz war wesentlich daran beteiligt dass der schwedische Reichstag die Strafen fuumlr das Verlassen der lutherischen Staatskirche 1860 ab-schaffte Lindemann schreibt

bdquoDurch ihre Konzentration auf dog-matische und geistliche Elemente un-terschied sich die Allianz von anderen anti-katholischen Gruppierungen Uumlberdies machte das Engagement fuumlr die waadtlaumlndische Freikirche deutlich dass die Vereinigung sich nicht von ei-nem blinden Katholikenhass leiten lieszlig sondern sich auch gegen eine diploma-tische und militaumlrische Unterstuumltzung von Regierungen aussprechen konnte die das Prinzip der Religionsfreiheit nicht achteten auch wenn sie sich mit dem Katholizismus im Konflikt be-

fanden Sir Culling Eardley stellte in diesem Zusammenhang klar dass po-litische Freiheit ohne Religionsfreiheit undenkbar und auch nicht unterstuumlt-zenswert sei ndash nach Auffassung des Lon-doner Allianzkomitees handelte es sich dabei um das sbquoheiligste unter den Men-schenrechtenlsquoldquo (S 205ndash206)

bdquoDie Evangelische Allianz erwies sich bereits in ihrer Gruumlndungsphase keines-wegs als eine rein antikatholische Bewe-gung Vorrangig war das Interesse an einer Einheit unter den Christen waumlh-rend aktuelle Ereignisse und Entwick-lungen eher als ausloumlsende Faktoren fuumlr den Schritt zu dem protestantischen Zu-sammenschluss anzusehen sind Als we-sentliche Ziele galten die Evangelisation der Welt sowie vor allem aus amerika-nischer Perspektive auch der Wunsch durch die grenzuumlberschreitende Zusam-menarbeit zum Frieden unter den Voumll-kern beizutragenldquo (S 205)

Neues zur Geschichte der Religionsfreiheit

Als das herausragende Thema der Alli-anz erweist Lindemann den Einsatz ge-gen Verfolgung aus religioumlsen Gruumlnden und fuumlr die Religionsfreiheit die noch nie so gruumlndlich dargestellt wurde (bes S 141ndash151 205ndash321 592ndash645 773ndash811 858 868ndash913) Besonders inter-essant sind auch die Erkenntnisse zum

44 7 8 6 uuml

Einsatz der Allianz fuumlr die Religions-freiheit die Lindemann aus den Akten des britischen bdquoForeign Officeldquo gewann

Am staumlrksten stand in den Jahren 1849 bis 1858 der Einsatz fuumlr aus religioumlsen Gruumlnden Verfolgte im Mittelpunkt (S 207) da die Allianz sich zunutze mach-te dass Auszligenpolitik Thema der Presse und der entstehenden Parlamente wur-de (S 207)

Waumlhlen wir als Beispiel den Einsatz fuumlr den vom Katholizismus zum Protes-tantismus konvertierten Italiener Signor Giacinto Achilli (1803ndash1893) der des-wegen lebenslaumlnglich von der roumlmischen Inquisition inhaftiert war und der in einem fast einjaumlhrigen diplomatischen Tauziehen unter Beteiligung des briti-schen und franzoumlsischen Auszligenminis-ters der Medien der eigenen Zeitung und zahlreicher Delegationen schlieszlig-lich durch einen Trick von den Franzo-sen aus Rom befreit und nach England uumlberstellt wurde (S 208ndash223)

Vorgaumlnge wie diese stellt Lindemann wiederholt minutioumls dar Sie wurden wenn sie uumlberhaupt bekannt waren bis-her noch nie in ihren einzelnen Schrit-ten nachvollzogen und belegen wie gut organisiert mit Regierungen und Medi-en vernetzt und ihrer Zeit voraus dieser Aspekt der Evangelischen Allianz war Lindemann schreibt

bdquoBei ihrem Einsatz fuumlr aus Glaubens-gruumlnden Benachteiligte profitierte die Allianz eindeutig von der zunehmenden

Pluralisierung vor allem der britischen Gesellschaft und der Entstehung einer breiteren Medienoumlffentlichkeit die die Einflussnahme von sbquoPressure Groupslsquo auf auszligenpolitische Entscheidungspro-zesse zulieszlig Man merkte bald dass in bestimmten Faumlllen das gemeinsame Agieren uumlber Laumlndergrenzen hinweg noch Erfolg versprechender zu sein schien und wie zum Beispiel erstmals im Fall des Italieners Achilli zu einem gemeinsamen Handeln von Regierun-gen fuumlhren konnte Zugleich konnte der Verweis auf die englische oumlffentliche Meinung Staaten von Repressionen auf Andersglaumlubige abhalten sie beenden oder zumindest abmildern Nicht nur durch den Gebrauch neuer Methoden in diesem Engagement hatte die Evan-gelische Allianz an einem Modernisie-rungsprozess des Protestantismus im 19 Jahrhundert einen Anteilldquo (S 943)

Die Britische Allianz erreichte etwa durch eine Denkschrift an den preu-szligischen Koumlnig gegen die Baptistenver-folung dass der aus Berlin vertriebene Fuumlhrer der Baptisten Johann Gerhard Oncken nach Berlin zuruumlckkehren konnte (S 235ndash237) Mit Schreiben der britischen Koumlnigin und des preuszligischen Koumlnigs setzte man 1852 dem toskani-schen Groszligherzog Leopold II in einer Audienz wegen der Inhaftierung eines Ehepaars namens Madiai zu bdquoDie De-putation stieszlig europaweit auf eine star-ke Resonanzldquo (S 254) Und selbst der

gestrenge Lutheraner Ernst-Wilhelm Hengstenberg wahrhaftig kein Freund der Allianz ruumlhmte das Vorgehen denn es habe den katholischen Vorwurf die Protestanten seien hoffnungslos zerspal-ten widerlegt Hier habe man mit einer Stimme gesprochen (S 254) Die Sache weitete sich bis in die USA aus andere italienische Fuumlrsten wurden ebenso ak-tiv wie der franzoumlsische Kaiser bis das Ehepaar Madiai schlieszliglich nach einem Jahr 1853 freigelassen wurde Besonders deutlich wird wie eng der Gedanke ei-ner Oumlkumene der Protestanten mit der Religionsfreiheit verbunden war Ge-meinsamkeit macht stark

Wie konfessionell groszligzuumlgig man war zeigt sich auch darin dass man sich beim Sultan nicht nur fuumlr Konvertiten vom Islam zum Protestantismus ein-setzte sondern auch fuumlr die griechisch-orthodoxe Kirche (S 300) Im Iran setzte man sich fuumlr Nestorianer ein (S 610ndash613) Nach der Hinrichtung eines Konvertiten 1853 aktivierte die Allianz in Zusammenarbeit mit der Tuumlrkischen Allianz ihre Kontakte in zahlreichen eu-ropaumlischen Regierungen bis schlieszliglich 1856 Sultan Abduumllmecid I ndash sicher in Zusammenhang mit der komplizier-ten Politik zwischen dem Osmaischen Reich und den Westmaumlchten ndash in einem Edikt den Protestanten groumlszligere Freihei-ten zugestand und die Todesstrafe fuumlr Konversion abschaffte (S 300ndash319) 1874ndash1875 fuumlhrte eine weitere groszlige Kampagne eine Allianzdelegation bis

zum tuumlrkischen Auszligenminister Dip-lomaten sogar bis zum Sultan deren Auswirkungen aber umstritten sind (S 879ndash902) Lindemann schreibt dass fuumlr die Niederschlagung der Prozesse gegen Pastoren im Baltikum durch den Za-ren bdquoder Londoner Vorstoszlig der Allianz verantwortlich gewesenldquo sei (S 800) Das Verwirrspiel um den Versuch eines Treffens mit dem Zaren der schlieszliglich seinen Auszligenminister vorschickte wird bei Lindemann aufgeloumlst (S 779ndash800)

Auch die Audienzen die die Allianz beim preuszligischen Koumlnig erhielt etwa 1855 in Koumlln oder 1857 im Rahmen der Berliner Allianzkonferenz bei Fried-rich Wilhelm IV (S 286f) drehten sich immer um die Religionsfreiheit in Deutschland Dasselbe gilt fuumlr Gesprauml-che des Allianzsekretaumlrs die er mit dem deutschen Kaiser Wilhelm I und dem Reichskanzler Otto v Bismarck 1875 fuumlhrte (S 919) Eine Allianzdeputation bei Kaiser Franz Joseph I in der Hof-burg und anschlieszligende Gespraumlche beim Ministerpraumlsidenten und beim Kultusminister im Jahr 1879 fuumlhrten zu spuumlrbaren Erleichterungen fuumlr Pro-testanten 1880 sogar zu deren rechtli-cher Anerkennung als Kirchen sowie fast nebenbei zu Erleichterungen fuumlr die Freikirchen in Wien (S 913)

Dasselbe gilt auch fuumlr den Besuch der gesamten Teilnehmerschaft der New Yorker Konferenz beim amerikani-schen Praumlsidenten Ulysses S Grant und seinem Kabinett 1873 (S 755ndash756)

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 457 8 6 uuml

nur dass die amerikanische Regierung nicht mehr von der Religionsfreiheit uumlberzeugt werden musste Man be-denke dass das alles zu einer Zeit ge-schah als die angestammten Kirchen alle noch weit davon entfernt waren ihren Staatskirchenstatus aufzugeben geschweige denn Religionsfreiheit fuumlr alle zu gestatten oder sie gar selbst zu fordern Wenn Religionsfreiheit damals gefordert wurde dann meist von Juden religioumlsen Minderheiten und Atheisten nicht aber von sehr religioumlsen Vertretern der vorherrschenden Religion Welchen Beitrag die Evangelische Allianz zur Re-ligionsfreiheit in Deutschland geleistet hat ist bisher noch nirgends gewuumlrdigt worden

Grundsaumltzliches

Die Homburger Konferenz fuumlr Religi-onsfreiheit von 1853 war ein Meilen-stein der Allianzgeschichte und der To-leranz in Deutschland und Europa (S 263ndash267) Zentrales Ergebnis war die Ablehnung jeder kirchlichen Gewalt gegen Separatisten und die Ablehnung jeglicher Inanspruchnahme staatlicher Gewalt durch Kirchen gegen andere (S 266) ndash ein Meilenstein der Entwicklung des Rechtes auf Religionsfreiheit Dies galt zudem bewusst nicht nur fuumlr Chris-ten sondern fuumlr alle Religionen was na-tuumlrlich zu internen Kontroversen und zu scharfer Kritik seitens protestantischer

Staatskirchen fuumlhrte (S 267ndash272) ohne dass die Allianz deswegen von dem Grundsatz abruumlckte

1861 stellt ein franzoumlsischer Pastor erstmals eine ganz neue These auf die sich mehr und mehr in der Allianz durchsetze dass naumlmlich bdquodie Religi-onsfreiheit staatliche Ordnung und den ihr innewohnenden Frieden garantiertldquo (S 592) Unterdruumlckung der individuel-len Religionsfreiheit dagegen Revoluti-on und Unfrieden naumlhre und dem Staat seine gottgegebene Grundlage entziehe

Interessanterweise bestaumltigt eine in-ternationale wissenschaftliche Unter-suchung genau dies Religionsfreiheit foumlrdert eine friedliche Gesellschaft deren Unterdruumlckung foumlrdert Unruhe und Gewalt und praktisch alle religioumls gefaumlrbten terroristischen Bewegungen der Welt kommen aus solchen Laumlndern [Brian J Grim Roger Finke The Price of Freedom Denied Religious Persecu-tion and Conflict in the Twenty-First Century Cambridge Cambridge Uni-versity Press 2010 und meinen Kom-mentar dazu unter httpwwwthomas-schirrmacherinfoarchives1792]

Lindemann schreibt bdquoMit ihrem Engagement fuumlr die Reli-gionsfreiheit leistete die Allianz deren angloamerikanischer Fluumlgel sich nicht mit bloszliger Toleranz zufriedengab sondern das oumlffentliche Bekennen des Glaubens als ein Grundrecht ansah auch der Durchsetzung der buumlrgerli-chen Freiheiten in den betreffenden

Laumlndern einen bemerkenswerten Dienst und trug zur Entstehung einer europauml-ischen Zivilgesellschaft nicht unwesent-lich bei Allerdings kam es in diesem Bereich auch zu Konflikten mit der britischen Regierung die im Blick auf Indien vorrangig an der Beherrschbar-keit des Landes interessiert war und im Falle des Osmanischen Staats insbeson-dere von globalstrategischen sowie von oumlkonomischen und Handelsinteressen geleitet war Letztere begannen seit der Mitte des 19 Jahrhunderts die britische Auszligenpolitik verstaumlrkt zu beeinflussen Zudem laumlsst sich auf der Regierungsseite eine deutliche Zuruumlckhaltung gegenuumlber dem evangelikalen Missionsverstaumlndnis nachweisen Das Gesamtengagement der Allianz erwies sich hingegen durch die Erweiterung seiner Bezugspunkte und -orte bis hin nach Russland und Japan als kongruent zur globalen Dau-erpraumlsenz Groszligbritanniens Im Un-terschied zur britischen Auszligenpolitik mischte man sich jedoch immer wieder auch in europaumlische Religionskonflikte ein waumlhrend man mit Ausnahme der italienischen Einigung hinsichtlich poli-tischer Spannungen wie den seit 1864 von Preuszligen gefuumlhrten Kriegen analog zur Haltung der britischen Regierung Zuruumlckhaltung uumlbte oder sie gar wie im Falle des polnischen Aufstandes von 186364 der keineswegs frei von reli-gioumlsen Komponenten war ignorierteldquo (S 943)

Fuumlr Froumlmmigkeit in Freiheit

46 7 8 6 uuml

Witness of the bodyMichael L Budde amp Karen Scott (Hrsg)

Wolfgang Haumlde

Michael L Budde amp Karen Scott (Hrsg) Witness of the body The past present and future of Christian martyrdom Grand Rapids MI Eerdmans (The Eerdmans Ekklesia series) 2011 238 Seiten ISBN 978-0802862587 1799 Euro

Klar wird die Absicht dieser Samm-lung von Aufsaumltzen im Vorwort defi-niert naumlmlich bdquodas Maumlrtyrertum an einen zentraleren Ort im Selbstver-staumlndnis der Kirche zuruumlckzubringenldquo (S vii) sowie das Maumlrtyrertum nicht nur bdquoals ein Objekt von Faszination und Grauenldquo zu sehen sondern ihm bdquowieder seinen Platz in der taumlglichen Praxis der Kircheldquo (S viii) zu geben Ich kann diese Ziele von ganzem Her-zen bejahen

Geschrieben ist das Buch fuumlr eine westliche Leserschaft der der Gedan-ke an Martyrium zum groumlszligten Teil fremd ist Leider fehlen Autoren die in der Mehrheitswelt leben Sie haumlt-

ten aus ihrer anderen Perspektive zu-saumltzliche Einsichten beitragen koumlnnen Auszligerdem wird konfessionelle Breite von Meinungen zwar postuliert (bdquoGe-lehrte von jenseits der konfessionellen Scheiden der Christenheitldquo S ix) aber nach dem was ich uumlber den Hinter-grund der Autoren feststellen konnte nicht wirklich erreicht denn die groszlige Mehrheit der Verfasser wird von US-amerikanischen Katholiken gestellt

Nicht alle Artikel scheinen die glei-che Relevanz fuumlr das Thema zu haben Ich frage mich zum Beispiel ob der Ar-tikel bdquoDas Gerichtsurteil der Eucharis-tie im Prozess gegen Jean d Arcldquo (Ann W Astell S 82ndash106) von groumlszligerer Be-deutung dafuumlr ist dem Maumlrtyrertum den ihm angemessenen Platz in der heutigen Kirche zuruumlckzugeben

Es ist eine Staumlrke dieser Aufsatz-sammlung nicht nur die Maumlrtyrer der Fruumlhen Kirche zu behandeln sondern z B im Teil III (bdquoMaumlrtyrertum zerstoumlrt

die Kircheldquo) auch auf die Verfolgung von Christen durch Christen beson-ders im Zeitalter von Reformation und Gegenreformation einzugehen Brad S Gregory (bdquoVerfolgung oder Straf-verfolgung Maumlrtyrer oder Pseudomaumlr-tyrer Die Zeit der Reformation Ge-schichte und theologisches Nachden-kenldquo S 107ndash124) kritisiert zu Recht dass es von einem Standpunkt im 21 Jahrhundert mit seiner Konzentration auf die Menschenrechte allzu leicht sei die Strafverfolgung mutmaszliglicher Hauml-retiker im 16 Jahrhundert anzupran-gern ohne die Grundvoraussetzungen jener Zeit wirklich verstanden zu ha-ben Allerdings empfand ich in diesem Artikel manchmal zu viel Verstaumlndnis fuumlr die Verfolger Unter den elf Arti-keln uumlber Maumlrtyrertum ragen fuumlr mich zwei als Houmlhepunkte heraus Der Ar-tikel von Stephen Fowl Theologiepro-fessor am Loyola-College in Maryland bdquoDer Vorrang des Zeugnisses des Lei-

bes vor dem Maumlrtyrertum bei Paulusldquo (S 43ndash60) liefert das Stichwort fuumlr den Titel des ganzen Buches Fowl ist ein Vertreter der Schule der bdquotheologischen Auslegung der Schriftldquo Er versucht m E erfolgreich das Maumlrtyrertum in den breiteren Zusammenhang von Roumlmer 121ndash2 zu stellen wo Christen dazu aufgerufen werden ihre bdquoLeiber als ein lebendiges Opfer hinzugebenldquo Jeder Christusglaumlubige ist also zum bdquoZeugnis des Leibesldquo aufgerufen Dieses Zeugnis ist die Hingabe unseres ganzen Seins fuumlr Gottes Willen und Gottes Ehre Diese Hingabe mag zum Maumlrtyrer-tum fuumlhren oder auch nicht bdquoGlaumlubige koumlnnen und sollten immer am Zeugnis des Leibes teilhaben Ob die Autoritauml-ten sie dafuumlr toumlten werden oder nicht liegt weitgehend nicht in ihrer Handldquo (S 44) Der zweite Houmlhepunkt ist fuumlr mich bdquoLohnt es sich fuumlr irgendetwas zu sterben Maumlrtyrertum Exterioritaumlt und Politik nach dem bloszligen Lebenldquo

glauben amp denken heute 22012 477 8 6 uuml

(S 171ndash189) von D Stephen Long Theologieprofessor an der Marquette-Universitaumlt und Geoffrey Holdsclaw

Die Autoren stellen fest dass die west-lichen saumlkularen Gesellschaften aus ih-rer politischen Philosophie alle Ziele eli-miniert haben die houmlher als das Leben sind Es herrscht die Angst dass dann wenn man bdquoPolitik in irgendeinem tran-szendenten Zielldquo begruumlnden wuumlrde eine bdquomilitaristische Gesellschaft erzeugtldquo wuumlrde (S 171) Als Ergebnis dieser Sor-ge ist bdquohellip die einzige rationale dogma-tische Position von der politisches Den-ken seinen Ausgang nehmen sollte die Bewahrung des Lebensldquo (S 173)

Sehr tiefgehend zeigt der Aufsatz wie eine neue Hingabe an lehrmaumlszligige Wahr-heit d h daran Gottes Willen houmlher zu setzen als unser Leben die Grundlage unserer gegenwaumlrtigen politischen Phi-losophie in Frage stellen wuumlrde und da-her als Bedrohung aufgefasst wird

Deutlicher haumltten die Verfasser ma-chen muumlssen dass die Frage bdquoWofuumlr lohnt es sich zu sterbenldquo nicht unwei-gerlich zur Frage bdquoWofuumlr lohnt es sich zu toumltenldquo fuumlhrt (S 171) und dass es zwar eine Gemeinsamkeit zwischen radikalen Muslimen und hingegebenen Christen ist lehrmaumlszligige Wahrheit uumlber das Le-ben zu setzen dass es aber entscheiden-de Unterschiede darin gibt worin die jeweiligen Wahrheiten bestehen

Witness of the body Werbung

Pro Mundis

Geistliche Impulse

Theologische Akzente

Ergaumlnzungen zur Ethik

Philosophische Anstoumlszlige

und vieles mehr

wwwbucerde

Besuchen Sie einmal unsere Internetseite Das Martin Bucer Seminar bietet im Internet unter dem Hauptmenuuml bdquoRessourcenldquo eine Vielzahl von kostenlosen Materialien zum Herunterladen an Diese koumlnnen die per-soumlnliche Weiterbildung sehr bereichern und auch geistliche Impulse geben So finden Sie unter anderem die Zeittafel uumlber Zwingli und Bucer von Gerhard Gronauer (MBS Text 86) oder den Beitrag bdquoDie Hinwendung Oumlster-reichs zum Christentumldquo von Frank Hinkel-mann (MBS Text 87) Es erwarten Sie viele andere interessante und bibliografisch ver-wertbare Aufsaumltze in den Reihen Geistliche Impulse Theologische Akzente Pro Mundis und Ergaumlnzungen zur Ethik Reformiertes Fo-rum und Hope for Europe

Im Bereich Bonner Querschnitte den Sie auch unter dem Hauptmenuuml bdquoRessourcenldquo finden ist zudem ein Archiv der Pressein-formationen des Seminars und der mit ihm verbundenen Institute untergebracht

MARTIN BUCER SEMINAR onlineMBS-Texte

48 7 8 6 uuml

Falling wallsndash the year 198990 Einstuumlrzende Mauern ndash das Jahr 198990Klaus Koschorke

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Klaus Koschorke Falling walls ndash the year 198990 as a turning point in the histo-ry of world Christianity Einstuumlrzende Mauern ndash das Jahr 198990 als Epo-chenjahr in der Geschichte des Weltchris-tentums (Studien zur auszligereuropaumlischen Christentumsgeschichte 15) Wiesbaden Harrassowitz Verlag 2009 451 Seiten ISBN 978-3-447-05995-4 5400 Euro

Dass sbquodie Wendelsquo 198990 also der Fall der Berliner Mauer die Aufloumlsung des Sowjetimperiums das Ende der bipo-laren Weltordnung und das Ende der Apartheid in Suumldafrika auf allen Kon-tinenten tiefgreifende politische oder wirtschaftliche Folgen hatte ist unbe-stritten Doch wie sah die Rolle der Christenheit dabei aus und welche Fol-gen hatte sie fuumlr die Weltchristenheit Dass Christen und Kirchen in die Vor-

bereitung der Wende in Deutschland in-volviert waren ist gruumlndlich untersucht Bei der Welle der Demokratisierungen 1989ndash1993 spielten Kirchen eine fuumlh-rende Rolle (in Rumaumlnien etwa begann die Revolution mit dem Widerstand ge-gen die politisch motivierte Zwangsver-setzung des reformierten Pfarrers Laacuteszlo Toumlkes in Timisoara S 64) die Zahl der fuumlhrenden christlichen Persoumlnlichkeiten in der Politik nahm stark zu Zur Fra-ge nach der Weltchristenheit gehoumlrt in diesem Zusammenhang aber auch die Darstellung der neuen Religionsfreiheit in vielen Laumlndern und die Abloumlsung des Kommunismus als Hauptbeschraumlnker der Religionsfreiheit durch den Islam wobei es in islamischen ebenso wie in anderen Laumlndern haumlufig zu einer neuen gefaumlhrlichen Allianz von Religion und Nationalismus kam

Die 4 Internationale Muumlnchen-Frei-sing-Konferenz 2008 fuumlhrte zu diesem Zweck Forscher aus vier Kontinenten zahlreichen Fachrichtungen und Kon-fessionen zusammen Die 23 deutschen oder englischen Forschungsbeitraumlge (plus Einfuumlhrung durch den Heraus-geber und Zusammenfassung durch einen Konferenzbeobachter) die fast ausnahmslos regionale nationale und dabei oft konfessionelle Schwerpunkte setzen stellen derzeit die umfassendste Darstellung zum Thema dar Ihr Ni-veau ist uumlberwiegend sehr hoch meist mit einer Fuumllle von in deutschen Bib-liotheken schwer zugaumlnglichen Quel-len belegt Es gibt Ausnahmen so ist ausgerechnet der Beitrag zu Suumldafrika nur eine vierseitige Zusammenfassung (S 89ff) Etliche Beitraumlge leiden in ihrer Wissenschaftlichkeit unter der konfessi-

onellen Einseitigkeit der Autoren Es ist natuumlrlich unmoumlglich hier zu jedem der Beitraumlge einige Saumltze zu schreiben Fuumlr den Leser der wissen will ob seine Regi-on oder Thematik behandelt wird seien grob die Themen aufgelistet DDR Po-len Rumaumlnien Osteuropa Suumldafrika Aumlthiopien Afrika Suumldkorea China Vietnam Kuba Zentralamerika Ar-gentinienUruruguayChile Brasilien Lateinamerika USA allgemein Fun-damentalismus Befreiungstheologie Pfingstbewegung Lutherische Kirchen

Bedauerlich ist dass nicht alle Autoren das gesamte konfessionelle Spektrum ab-decken So mag man ja noch verstehen dass zu Polen der Protestantismus nicht dargestellt wird dass er zu China fehlt ist unverstaumlndlich so lesenswert der Bei-trag von Roman Malek ist Uumlberhaupt lassen die meisten katholischen Autoren

glauben amp denken heute 22012 497 8 6 uuml

andere Konfessionen uumlberwiegend links liegen waumlhrend die protestantischen Autoren die nichtprotestantischen Kir-chen wenigstens mit darstellen wenn auch selten angemessen Angesichts der Gesamtthematik des Buches ist die kon-fessionelle und theologische Einseitig-keit etlicher Einzelbeitraumlge erstaunlich Evangelikale und Pfingstler immerhin ein Drittel der Weltchristenheit erschei-nen uumlberwiegend als negative Klischees auch wenn die Spannbreite der Darstel-lungen von billiger Polemik bis hin zu gut belegten Fehlentwicklungen reicht Manche Kritik ist berechtigt ndash wenn auch oft weniger Ergebnis belegter For-schung als einfach Meinung des jeweili-gen Autors etwa dass in den charisma-tischen Bewegungen bdquoChristianity as a Shopping Mallldquo etabliert wurde (James R Cochrane S 109ndash110) oder pfingst-liche Politiker in Brasilien sich bdquonicht als kompetenter oder ethisch verlaumlsslicher erwiesen als andereldquo (Rudolf von Sinner S 330) Wenn auch nichtamerikanische Evangelikale vieles kritisch sehen was im evangelikalen Bereich in den USA geschieht so helfen Sammeltoumlpfe wie die bdquoRechtsevangelikalen Neofunda-mentalisten und Pfingstsektenldquo (S 21) bei der Aufarbeitung sicher nicht

Manchmal schlaumlgt eine westliche theologisch liberale Sichtweise verzer-rend durch etwa wenn es heiszligt dass konservative Anglikaner versuchten die afrikanischen Kirchen fuumlr ihre Zwecke

einzuspannen (S 17) Den Neuauf-bruch groszliger anglikanischer Kirchen in Afrika als amerikanisch zu erklaumlren ist schlicht falsch offenbart aber auch einen Patriarchalismus der der Realitaumlt nicht gerecht wird Es sind umgekehrt stark wachsende afrikanische anglika-nische Nationalkirchen wie in Uganda die den kleinen konservativen Fluumlgel der Anglikaner in den USA zum Wider-stand anstiften

Anselm K Min (S 195ndash214) schreibt den koreanischen Kirchen aller Konfes-sionen zwar berechtigte und gewichtige Anfragen ins Stammbuch ndash wenn auch von den USA aus ndash seine Leistung als Historiker ist aber schwach seine Kritik an allem was rechts von ihm steht ist heftig aber nicht belegt Er wird der Di-versitaumlt des konservativen Protestantis-mus und der evangelikalen Bewegung nicht gerecht und spiegelt eher seine eige-ne theologische Position als eine wissen-schaftliche Erforschung der Kirchenge-schichte wider Die stabilisierende Rolle nicht aller aber vieler evangelikaler Gruppen fuumlr die koreanische Demokra-tie und die vergleichsweise positive Rol-le eines evangelikalen Praumlsidenten wird gar nicht erwaumlhnt Typisch klischeehaft wird der Fundamentalismus mit Anti-Intellektualismus und dogmatischer Intoleranz gleichgesetzt (S 210) ndash das haben die groszligen reformierten Hoch-schulen Koreas sicher nicht alle verdient Und wer im wissenschaftlichen Kontext

von bdquoFundamentalismusldquo spricht moumlge bitte angesichts der ungezaumlhlten Defini-tionen und den meist emotionalen oder gar vernichtenden Bedeutungen erst einmal sagen was er eigentlich darunter versteht Das uumlberschwaumlngliche Lob des koreanischen Katholizismus im Gegen-satz zum Protestantismus der korrupt materialistisch individualistisch und der koreanischen Kultur nicht angepasst sei (S 212) wirkt in seiner schwarz-wei-szligen Pauschalisierung trotz des gewissen Wahrheitskerns fast schon komisch

Die groszlige Ausnahme ist hier ndash wie nicht anders aufgrund seiner Buumlcher zu erwarten ndash der unbedingt lesenswerte Beitrag von Michael Hochgeschwender zu den USA (S 351ndash371) eigentlich fuumlr das Thema bdquoEvangelikaleldquo ja das schwie-rigste Land Doch Hochgeschwender schreibt informiert belegt differenziert bei allen Vor- und Nachteile sehend uumlber alle Konfessionen und Richtungen gleichermaszligen fair Hochgeschwen-der sieht generell den Schwerpunkt der enormen Religiositaumlt und Spiritualitaumlt in den USA darin dass sie bdquomit einer radikalen Konsequenz die weltweit ih-resgleichen sucht zur Ware umfunktio-niertldquo (S 368) wurde und wird

Am anderen Ende des Spektrums zu Hochgeschwender steht der britische Theologe Kevin Ward der eigentlich bdquoPluralism and fundamentalism as challenges for the African Churchesldquo (S 157ndash176) aber uumlberwiegend nur die

Spaltung der anglikanischen Weltge-meinschaft darstellt das Thema seiner Uumlberschrift also verfehlt hat nicht nur weil er nirgends definiert was die bei-den Begriffe seines Themas eigentlich bedeuten sondern eigentlich immer nur zwei Lager beschreibt die man dann wohl den beiden Themen zuordnen soll was der enormen Vielfalt der afrikani-schen Christenheit kaum gerecht wird Auf welcher Seite Ward selbst steht zeigt seine Verteidigung der Forderung von Erzbischof Williams die Scharia in Teilen Groszligbritanniens zuzulassen Kommt die Kritik daran wirklich nur von Konservativen die sich nicht mit der Realitaumlt der multikulturellen Gesell-schaft abfinden wollen (S 173) Wards Kritik an der Kritik der nigerianischen Bischoumlfe an Williams geht voumlllig daran vorbei dass die Frage der Guumlltigkeit der Scharia fuumlr die anglikanische Kirche in Nigeria keine akademische sondern eine existentielle Frage ist kein den theologischen Stroumlmungen rechts oder links zuzuordnendes Thema

Sehr interessant sind die Beitraumlge die die Folgen der bdquoWendeldquo fuumlr die Befrei-ungstheologie und den Weltkirchenrat diskutieren Sergo Silva (S 335ndash350) haumllt die These die Befreiungstheologie habe ohne real existierende sozialistische Laumlnder stark an Bedeutung verloren fuumlr grundfalsch Seine Argumente sind aber fast ausschlieszliglich theologisch (sie ist weiter berechtigt und noumltig) nicht his-

Falling wallsndash the year 198990

50 7 8 6 uuml

torisch oder soziologisch (Auch hier ist uumlbrigens bedauerlich dass Evangelikale wie Rene Padilla oder Samuel Escobar und ihre juumlngeren Nachfolger uumlberhaupt nicht in den Blick kommen) Die Base-ler Missionswissenschaftlerin Christine Lienemann-Perrin (S 373ndash392) vertritt die entgegengesetzte These ndash und dies gut belegt ndash vor allem am Beispiel Ko-reas Suumldafrikas und Lateinamerikas Sie geht davon aus dass die groszligen be-freiungstheologischen Entwuumlrfe durch kontextuelle lokale Entwuumlrfe abgeloumlst wurden

Viggo Mortensen (S 429ndash441) be-schreibt ausgehend von den lutherischen Kirchen die tiefgreifende Veraumlnderung innerhalb der oumlkumenischen Bewegung nach 1989 Denn bdquoinnerhalb der oumlku-menischen Bewegung hingen viele am sozialistischen Traumldquo (S 440) Dieser sei laumlngst ausgetraumlumt (aumlhnlich Hart-mut Lehmann S 446)

Die Entwicklung ginge von der Be-tonung der sichtbaren Einheit hin zur versoumlhnten Vielfalt vom Konsens (fast um jeden Preis) hin zum sichtbaren Pro-fil und Bekenntnis Dass die Veraumlnde-rungen auch den Dauerstreit zwischen Evangelikalen und Weltkirchenrat be-endet haben und es heute eine gute Zu-sammenarbeit mit der weltweiten Evan-gelischen Allianz in vielen Fragen gibt wird nicht erwaumlhnt auch wenn dies ge-nau die These des Autors unterstreicht Kritisch angemerkt sei noch dass die in

der Einfuumlhrung gut angesprochene Fra-ge der Religionsfreiheit die durch die sbquoWendelsquo ein ganz neues Thema wurde aber sich auch international ganz an-ders ohne den kommunistischen Block darstellt (etwa durch die zunehmende Verquickung von Religion und Natio-nalismus ndash darunter auch Beispiele eines christlichen Nationalismus) im Buch fast voumlllig fehlt

Dabei haumltte das Thema mindestens ei-nen eigenen Beitrag verdient gehabt und haumltte alle anderen Beitraumlge durchziehen muumlssen Denn die praktische Lage der Religionsfreiheit weltweit als auch der internationale theoretische Diskurs zum Thema hat sich in den letzten drei Jahrzehnten von der sbquoWendelsquo ausgehend grundlegend gewandelt und christliche Kirchen sind unmittelbar von beidem uumlberall betroffen

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher Werbung

glauben amp denken heute ist eine Zeitschrift fuumlr Freunde des Martin Bu-cer Seminars und fuumlr alle Menschen die sich dem christlichen Glauben ver-bunden fuumlhlen 2 x im Jahr erscheint glauben amp denken heute online und kann unter wwwbucereu herun-tergeladen werden glauben amp denken heute veroumlffentlicht theologische Beitrauml-ge sowie diverse BuchrezensionenReservieren Sie sich noch heute eine Werbeflaumlche in glauben amp denken heute und Ihre Anzeige wird in der naumlchsten Ausgabe online freigeschaltet Ihre Bestellung und Anzeige senden Sie bitte per E-Mail an Manfred Feldmann ManfredFeldmannbucerde

Beispiel Hiermit bestelle ich die Werbeflaumlche A (AshyG) Die Anshyzeige (Anhang beigefuumlgt) soll 1x (2x) im Jahr erscheinen

Betriebssystem Apple Macintosh WindowsLinux uaDateiformat JPEG GIF bei einer Aufloumlsung von houmlchstens 150 dpi

Anzeige 257 x 170 mmSeite 1 SatzspiegelPreis 125 Euro

Anzeige 192 x 170 mmSeite 34 SpaltenPreis 100 Euro

Anzeige 125 x 170 mmSeite 24 SpaltenPreis 75 Euro

Anzeige 59 x 170 mmSeite 14 SpaltePreis 50 Euro

Anzeige 125 x 83 mmSeite 28 SpaltenPreis 35 Euro

Anzeige 59 x 83 mmSeite 18 SpaltePreis 20 Euro

Anzeige 297 x 210 mmSeite 1 ganze SeitePreis 150 EuroA

B

C

D

E

F

G

glauben amp denken heute 22012 517 8 6 uuml

Neuere Buumlcher uumlber Konstantin den GroszligenPeter Leithart Klaus M Girardet

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

Peter Leithart Defending Constanti-ne The Twilight of an Empire and the Dawn of Christendom Downers Grove (IL) IVP Academic 2010 373 Seiten ISBN 978-0830827220 2199 Euro

Peter J Leithart hat ein Buch zur Ehrenrettung Kaiser Konstantins ge-schrieben das sich vor allem gegen die Thesen des amerikanischen Mennoni-ten John Howard Yoder (1927ndash1997) wendet fuumlr den Konstantin der In-begriff des Abfalls des Christentums von seinen pazifistischen Urspruumlngen und fuumlr das jahrhundertlange Uumlbel des Staatskirchentums und der Ketzerver-folgung stand

Leithart will dabei keinen originauml-ren Forschungsbeitrag liefern sondern die viel positivere Beschreibung in der Fachliteratur und den Wandel des

Konstantinbildes in der Wissenschaft den tief verwurzelten Vorurteilen vie-ler heutiger Christen entgegenhalten In einer enormen Vielfalt breitet er Forschungsliteratur der letzten hun-dert Jahre in den Fuszlignoten aus und zeigt dass der tatsaumlchliche Konstantin weder mit dem bejubelten christlichen Kaiser des Mittelalters noch mit dem Buhmann der Aufklaumlrung aber auch freikirchlicher Autoren etwas zu tun hat Konstantin ist nur aus der Reali-taumlt des 4 Jahrhunderts heraus zu ver-stehen und konnte nicht wissen was die Zukunft bringen wuumlrde Gemessen daran war er ndash so Leithart ndash uumlberzeug-ter Christ und fand einen Weg zwi-schen der Foumlrderung des christlichen Glaubens und der Religionsfreiheit der nichtchristlichen Bevoumllkerungsmehr-heit Dabei muumlsse man aber immer die

ganze Breite der erforschten Ereignisse beruumlcksichtigen So gibt es unuumlberseh-bare und nennenswerte Einfluumlsse des Christentums auf seine Gesetzgebung andererseits ebenso voumlllig davon unbe-einflusste Bereiche

Waumlhlen wir etwa die Architektur (S 112ndash125) als Beispiel fuumlr die bdquoKom-plexitaumltldquo (S 113) und bdquoMehrdeutig-keitldquo (S 114) des Wirkens Konstantins Einerseits baute der Kaiser jede Menge oumlffentlicher Bauten die durchaus mit roumlmischer und griechischer religioumlser Kunst geschmuumlckt waren Andererseits stand der Kirchenbau in Rom und dann in Byzanz im Zentrum seines persoumlnli-chen Interesses Ein typisches Beispiel ist der Konstantinbogen in Rom Ei-nerseits unterscheidet er sich im ersten Moment nicht von anderen derartigen Bauten Ein unmittelbarer christlicher

Bezug fehlt von den teilweise christli-chen Militaumlrzeichen der abgebildeten Offiziere abgesehen Andererseits wird nirgends den roumlmischen Goumlttern ge-dankt am auffaumllligsten nicht Jupiter wie bis dahin uumlblich Eine Jupiterfi-gur ist zwar zu sehen aber Konstantin wendet ihr den Ruumlcken zu Vielmehr wird dem groszligen Gott gedankt der sich Konstantin offenbart hat Das ver-standen die Christen christlich fuumlr die anderen war es nicht automatisch ein Affront

Auch christliche Symbole sind ein schoumlnes Beispiel So standen sie auf Muumlnzen oder Standarten nach 312 laumlnger neben aumllteren religioumlsen Symbo-len die sie erst allmaumlhlich abloumlsten bis schlieszliglich die menschlich dargestell-ten heidnischen Gottheiten aumlhnlich wie spaumlter im Mittelalter nur noch als

52 7 8 6 uuml

mythischer Schmuck dienten (S 71ndash79) War Konstantins Uumlbertritt zum Chris-tentum eine sbquoechtelsquo Bekehrung Leithart betont zu Recht dass die Frage ist was das damals bedeutete (S 79ndash80) Kons-tantin nahm etwa persoumlnlich die chris-tologische Entscheidung von Nizaumla an (S 89ndash90) was heute fuumlr uns bedeut-samer ist als damals Hier haumltte Leithart viel deutlicher ndash wie Girardet in den im Folgenden besprochenen Werken ndash da-rauf verweisen koumlnnen dass Bekehrung vor allem bedeutete den Goumltzendienst aufzugeben Viel staumlrker haumltte herausge-arbeitet werden muumlssen welche zentrale Rolle der Verzicht auf das Opfer zu Ju-piter nach dem Sieg uumlber die Mitkaiser spielt (S 66ndash67) Hier zitiert Leithart zwar eine deutsche Quelle von 1955 die er aber wohl nicht lesen konnte Die umfangreichen deutschen Studien dazu kennt er nicht (siehe unten)

Auch bei anderen Fragen ist Leithart auf der richtigen Spur haumltte aber mit deutschen Quellen bessere Belege an-fuumlhren und die Bedeutung der Ergeb-nisse staumlrker herausstellen koumlnnen So geht Leithart davon aus dass die eigent-liche Kreuzesvision Konstantins bereits 310 in Grand in den Vogesen (heute in Frankreich) stattfand wahrscheinlich als bdquoRinghaloldquo (S 77ndash78) die neuesten Belege dafuumlr fuumlhrt er aber nicht an

Erfreulicherweise bezeichnet Leithart das bdquoEdikt von Mailandldquo als bdquoFiktionldquo (S 98ndash99) Tatsaumlchlich vereinbarten die

beiden Kaiser Konstantin und Licinus nach einem Treffen in Mailand in ei-nem Brief vom Juni 313 aus Nikomedia die Ruumlckgabe von konfisziertem Kir-chengut und die Religionsfreiheit der Christen nicht aber deren Vorrangstel-lung geschweige denn eine Stellung als Staatsreligion (S 99ndash100) Tatsaumlchlich hat Konstantin die Freiheit der Nicht-christen nicht beschraumlnkt

Je laumlnger je mehr geht es Leithart aber nicht nur um eine Ehrenrettung Kons-tantins sondern darum ihn als Vorbild fuumlr christliche Politik hinzustellen Aus Leitharts Sicht gilt bdquoKonstantin liefert uns in vielerlei Hinsicht ein Modell fuumlr christliche politische Praxisldquo [bdquoConstan-tine provides in many respects a model for Christian political practiceldquo] (S 11) Die Aussage dass Konstantin in vie-ler Hinsicht fuumlr christliches politisches Handeln steht geht natuumlrlich weit uumlber das hinaus was Leithart belegt und be-sonders was er widerlegt Zwar ist zu wuumlrdigen dass Konstantin aus christ-licher Motivation auch Gesetze huma-nisiert und brutale Elemente der roumlmi-schen Kultur beendet hat Auch hat es Konstantin geschafft das Christentum zu foumlrdern ohne die Religionsfreiheit der anderen einzuschraumlnken Aber ob das fuumlr seine Vorbildfunktion reicht Und haumltte man dann nicht gruumlndlicher diskutieren muumlssen ob die Foumlrderung des Christentums als vom Staatsober-haupt gewuumlnschter Religion und Reli-

gionsfreiheit wirklich gleichzeitig moumlg-lich sind und inwiefern ein Christ als Staatslenker die Politik praumlgen sollte und kann

Ausfuumlhrlich belegt Leithart dass die Sicht von Yoder und anderen die Fruumlhe Kirche sei vollstaumlndig pazifistisch gewe-sen und habe erst durch oder nach Kon-stantin ihre Sicht geaumlndert dass man nicht in der roumlmischen Armee dienen koumlnne einseitig ist Tatsaumlchlich gab es um diese Fragen eine breite Diskussion in der Fruumlhen Kirche Schon vor Kon-stantin bis zuruumlck zur Zeit der Apos-tel dienten Christen als Soldaten und Offiziere in der roumlmischen Armee (S 255ndash278) die ja zugleich die Polizeige-walt innehatte Aber auch hier ist es ein weiter Weg zur Vorbildfunktion Kon-stantins die auch ohne Pazifismus die Frage klaumlren muumlsste wie das Verhaumlltnis der christlichen Kirche zu legalen Ins-titutionen des staatlichen Gewaltmono-pols sein sollte

Ich persoumlnlich haumltte mir eine klarere Trennung in einen historischen Teil zu Konstantin und einen ethischen Teil zum Verhaumlltnis von Kirche und Staat gewuumlnscht Da Yoder die beiden Fragen bis zur Unkenntlichkeit vermischt folgt ihm Leithart wenn es bei ihm auch viel einfacher ist die Gedanken zum einen oder anderen voneinander zu trennen

Eigentlich handelt es sich fuumlr mich sogar um vier Fragenkomplexe die hier verschwimmen 1 Was ist historisch

zur Konstantinbiografie zuverlaumlssig zu sagen 2 Wie viel des spaumlteren mittelal-terlichen christlichen Europas geht auf Konstantin zuruumlck und wie viel nicht heiszligt also das konstantinische Zeitalter zu Recht so oder nicht 3 Was ist gut und richtig ndash das heiszligt wie sollte es ide-alerweise biblisch-theologisch sein Und 4 Wie ist im Licht des Ideals Konstan-tin die spaumltere Entwicklung des Mittel-alters zu bewerten oder kann man eine solche Bewertung gar nicht vornehmen

Durch die starke Fixierung des Buches auf Yoder vor allem im hinteren Teil (S 254ndash342) und dem angekuumlndigten Wechsel von der Biografie zur Polemik im Laufe des Buches (S 10ndash11) wird das Buch leider auch sehr auf den ame-rikanischen Bereich zugeschnitten und ist gerade im hinteren Teil fuumlr Christen in Europa oder im globalen Suumlden nicht relevant

Drei Buumlcher von Girardet

Dem Buch von Leithart moumlchte ich drei Werke von Klaus M Girardet gegen-uumlberstellenA) Klaus M Girardet Der Kaiser und sein Gott Das Christentum im Denken und in der Religionspolitik Konstantins des Groszligen Millenium-Studien 27 Ber-lin de Gruyter 2010 212 Seiten ISBN 978-3110227888 7495 Euro

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher

glauben amp denken heute 22012 537 8 6 uuml

Neuere Buumlcher uumlber Konstantin den Groszligen

B) Klaus M Girardet (Hg) Kaiser Kon-stantin der Groszlige Historische Leistung und Rezeption in Europa Bonn Ru-dolf Habelt 2007 darin bes Klaus M Girardet bdquoDas Christentum in Denken und in der Politik Kaiser Konstantin d Grldquo S 29ndash54 208 Seiten ISBN 978-3774934740C) Klaus M Girardet Die konstantini-sche Wende Voraussetzungen und geistige Grundlagen der Religionspolitik Kons-tantins des Groszligen Darmstadt Wissen-schaftliche Buchgesellschaft 2006 2002 204 Seiten ISBN 978-3534191161 4990 Euro

Stellen wir dem Buch von Leithart die Buumlcher zu Konstantin des deutschen Forschers Klaus Girardet gegenuumlber Grund fuumlr die intensive Erforschung Konstantins auf deutscher Seite ist un-ter anderem dass Trier zeitweise dessen Hauptstadt war

Girardet unterscheidet drei For-schungsrichtungen (A S 22ndash24) 1 Auffassung dass Konstantin bereits von Haus aus Christ war oder sich 310 bis 312 oder uumlber einen noch laumlngeren Zeitraum dem Christentum zuwandte 2 Auffassungen dass sich Konstan-tin zwar dem Monotheismus undoder Sonnenkult mit gewissen christlichen Elementen zuwandte nicht aber Christ nach damaligen und heutigen Maszligstauml-ben wurde 3 Die Auffassung dass es weder fuumlr die erste noch fuumlr die zweite Auffassung Hinweise gibt

Girardet beantwortet in einem eigenen Beitrag die Frage bdquoChristliche Kaiser vor Konstantinldquo (C S 13ndash38) sehr uumlber-zeugend negativ anhand jedes einzelnen Kaisers und seiner Familien vor Kons-tantin

Girardet lehnt treffend moderne Maszligstaumlbe dafuumlr ab ob Konstantins Be-kehrung sbquoechtlsquo sbquoaufrichtiglsquo oder sbquorichtiglsquo war und Konstantin sbquorechtglaumlubiglsquo wur-de (C S 59) Er geht davon aus dass das herausragende Kennzeichen des Christ-seins und Christwerdens in der Antike und im 4 Jahrhundert die bdquoAbsage an den Goumltterkultldquo (C S 60) gewesen sei Also muumlsse vor allem gefragt werden ob Konstantin diese vollzogen habe bdquoDie Verweigerung des Goumltzenopfersldquo durch Konstantin sei gut belegt (C S 60ndash71 A S 78ndash88) ndash unter anderem direkt nach dem Sieg uumlber seine Mitkaiser da Kon-stantin am Ende des Triumphzuges (der streng genommen keiner war da keine Feinde sondern ein Mitkaiser besiegt wurde) in Rom am 2910312 fuumlr alle erkennbar nicht als Ende und Houmlhe-punkt das uumlbliche Dankopfer an Jupi-ter Optimus Maximus auf dem Kapitol darbrachte sondern direkt in seinen Pa-last zog

Dafuumlr findet Girardet viele Belege So sieht der heidnische Historiker Zosimos (II 72) in der Unterlassung des Dank-opfers an Jupiter den Grund fuumlr den Beginn des politischen Niedergangs von Rom (C S 70) Das Dankopfer an Ju-

piter fehlt auch auf dem 315 errichteten Konstantinbogen auf dem statt Jupiter der bdquoinstinctu divinitatisldquo der Einge-bung der Gottheit gedankt wird

Auffaumlllig ist ab 312 in Berichten oder eben auf dem Konstantinbogen das erstmals der Gott der den Sieg verur-sachte keinen Namen hat sondern all-gemein bdquosumma divitasldquo und aumlhnlich heiszligt (C S 68)

Kurz nach der Verweigerung des Dankopfers an Jupiter 312 erscheinen erste Muumlnzen mit dem Christogramm (B S 42) Alles spricht dafuumlr dass es bereits Christuszeichen auf dem Helm des Kaisers und den Feldzeichen gab (A S 64ndash67) wobei das Christuszeichen wohl nicht das heute vertraute Kreuz war sondern das Chi-Rho

Girardet geht ausfuumlhrlich auf die drei zentralen Texte zur Vision des Christus-zeichens an der Milvischen Bruumlcke ein (A S 30ndash40) Nirgends wird gesagt so Girardet dass die Vision erst an der Bruumlcke geschah (A S 49ndash51) Vielmehr duumlrfte Konstantin bereits 310 einen so-genannten bdquoRinghaloldquo in Grand in den (heute franzoumlsischen) Vogesen gesehen haben den dann sein militaumlrisches Be-gleitkommando auch sehen konnte Ein Halo ist ein atmosphaumlrischer Lichtef-fekt durch Brechung bzw Reflexion von Licht an Eiskristallen Er kann die Form einer inneren kleineren Sonne mit vier Strahlen in alle Richtungen wie ein Kreuz annehmen

Giradet liefert auszligerdem viele Belege aus Konstantins fruumlhen Reden ab 312 fuumlr seine Parteinahme fuumlr das Chris-tentum (A S 89ndash123) Die spaumlte Tau-fe Konstantins ist fuumlr ihn normal und damals uumlblich gewesen zumal Kon-stantin offensichtlich davon ausging dass er nach der Taufe nicht mehr das kaiserliche Purpur tragen koumlnne (A S 106ndash107)

Interessant ist auch Girardets Dar-stellung bdquoNichtchristen im Denken und Handeln Konstantinsldquo (C S 113ndash133 siehe auch A S 137ndash139) Konstantin hat das Christentum niemandem auf-gezwungen und lieszlig den Heiden ihre Freiheit Wie Leithart sieht er bei Kons-tantin das Element der Religionsfreiheit in einem Maszlige gegeben wie es dies bei den roumlmischen Kaisern vorher nicht gab

Aufsaumltze

Schauen wir noch auf einige der von Girardet herausgegebenen Aufsaumltze Ti-ziana J Chiusi (bdquoDer Einfluss des Chris-tentums auf die Gesetzgebung Konstan-tinsldquo S 55ndash64 in Klaus M Girardet [Hg] Kaiser Konstantin der Groszlige A a O) zeigt die Ambivalenz der Gesetz-gebung Konstantins Strengere Gesetze fuumlr die Flucht von Sklaven stehen ne-ben Gesetzen zur humanen Behandlung der Sklaven und der Beguumlnstigung ihrer Freilassung (B S 60) Deutlich christ-lich beeinflusst sind die Abschaffung

54 7 8 6 uuml

der Todesstrafe durch Kreuzigung das Verbot von Brandmalen im Gesicht das Verbot der Gladiatorenspiele (B S 61) oder die Einfuumlhrung des Sonntags als Ruhetag eine eindeutige Foumlrderung und Werbung fuumlr das Christentum (B S 63)

Wegweisend finde ich die drei grund-legenden Veraumlnderungen des Christen-tums die Konstantin bewirkt hat wie sie Karl-Heinz Ohlig (bdquoStrukturelle Aus-wirkungen der Konstantinischen Wende auf das Christentumldquo S 75ndash86 In Klaus M Girardet [Hg] Kaiser Kons-tantin der Groszlige A a O) benennt und erlaumlutert die Sakralisierung die Ver-rechtlichung und die Hellenisierung des Christentums

Die Sakralisierung des Christentums betraf vor allem die Rolle der Kirche ihre Aumlmter und die Sakramente da seit-dem die von sakralen Maumlnnern geleitete kultische Praxis im Mittelpunkt steht (B S 81) Die Verrechtlichung des Chris-tentums ist in der katholischen Kirche bis heute erhalten und grundlegend (B S 82) Die weitreichendsten Folgen hatte aber nach Ohlig die Hellenisierung des Christentums (B S 85) Auf alle diese Fragen etwa geht Leithart nicht ein

Prof Dr Dr Thomas Schirrmacher Werbung

Glaube braucht Wissen

Unser Konzept

Mit neuen Dienstleistungen und Zugangs-wegen zu biblischen und serioumlsen Inhalten verstehen wir uns als ein attraktives An-gebot fuumlr Menschen von heute die mehr uumlber Gott Ethik Naturwissenschaft fuumlrs alltaumlgliche Leben wissen wollen Denn Gottes Wort gehoumlrt in den Alltag Genau hier setzt GENiaLeBuecherde an

Unsere Ziele

Die gesellschaftliche Religiositaumlt hat in unserer Zeit neue individuelle Wege ge-funden Dafuumlr benoumltigen die Menschen all-tagstaugliche biblische verlaumlssliche Quel-len und Mittel GENiaLeBuecherde bietet Inhalte und Informationsquellen fuumlr das alltaumlgliche Leben von Einzelnen und Ge-meinschaften an Wir verbinden Internet und Gedrucktes

Unser Weg

GENiaLeBuecherde geht hierbei nicht nur den Weg des klassischen Handels son-dern unterstuumltzt bewusst christliche Ins-titutionen indem GENiaLeBuecherde fuumlr diese Partner neue Vertriebswege schafft bzw vorhandene ausweitet Diese Part-ner sind ua auch Institutionen (Werke Vereine) die von Zuwendungen (Spenden) getragen werden

Die Zeit ist reif fuumlr diese Kreativi-taumlt fuumlr diese neuen Zugangswege und Kommunikationsmittel

Viel Freude beim Stoumlbern auf unseren Seiten

wir praumlsentieren bull Buumlcher bull CDs amp DVDs bull Kalender amp Zeitplansysteme bull ein Antiquariat bull Sonderposten bull Message Shirts bull Tipps amp Downloads und vieles mehr

Wo und wie bekommt man einen leichtenZugang zu biblischem serioumlsem Wissen

glauben amp denken heute 22012 557 8 6 uuml

Novum Testamentum Graece x 28

Carsten Friedrich

Barbara Aland u a (Hrsg) Novum Tes-tamentum Graece 28 revidierte Aufla-ge Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 2012 1008 Seiten bzw 1219 Seiten (mit Woumlrterbuch) ISBN 978-3438051400 bzw 978-3438051592 28 bzw 35 Euro

Ein langes Warten fand im September ein Ende Die 28 Auflage des Nestle-Aland ist erschienen Das Novum Tes-tamentum Graece ist als wissenschaft-liche Ausgabe des Neuen Testaments in seiner griechischen Ursprache ein Standardwerk (neben dem UBS Greek New Testament) Es dient weltweit als Grundlage fuumlr Uumlbersetzungen und wis-senschaftliches Arbeiten Nach seinen fruumlheren Herausgebern Eberhart Nestle und Kurt Aland wird es bis heute oft-mals einfach bdquoNestle-Alandldquo genannt (abgekuumlrzt NA)

Revidierter Text in den Katholischen Briefen

Die bisherige 27 Auflage (NA27) war 1993 erschienen Ihr lag der unveraumln-derte Text der 26 Auflage von 1979 zugrunde Damals wurde nur der Ap-parat einer weitgehenden Revision un-terzogen Damit liegt nun mit der 28 Auflage (NA28) nach 33 Jahren erst-mals eine Ausgabe mit Textaumlnderungen vor Wer nun meint nach 33 Jahren ei-nen komplett revidierten Text des Neu-en Testaments erwarten zu duumlrfen der irrt Die Revision des Textes betrifft nur die bdquoKatholischen Briefeldquo also den Brief des Jakobus die beiden Petrus-Briefe die drei Briefe des Johannes und den Judas-Brief Fuumlr diesen Teil des Neuen Testaments liegt naumlmlich mittlerweile

die Editio Critica Maior (ECM) vor die bisher umfangreichste auf Vollstaumlndig-keit abzielende Aufarbeitung der textli-chen Bezeugung des NT1 Die Entschei-dungen der ECM (in der 2 Auflage) wurden fuumlr NA28 uumlbernommen womit sich der Text gegenuumlber NA27 an insge-samt 34 Stellen aumlndert Eine komplette Auflistung dieser Stellen findet sich in der Einfuumlhrung zu NA28 auf Seite 6 Drei dieser Aumlnderungen seien hier als Beispiele aufgefuumlhrt

1Petr 416

NA27 εἰ δὲ ὡς Χριστιανός μὴ αἰσχυνέσθω δοξαζέτω δὲ τὸν θεὸν ἐν τῷ ὀνόματι τούτῳ

Wenn aber jemand als Christ [leidet V15] so schaumlme er sich nicht son-

dern mache Gott durch diesen Namen [bdquoChristldquo] Ehre

NA28 ECM2 εἰ δὲ ὡς Χριστιανός μὴ αἰσχυνέσθω δοξαζέτω δὲ τὸν θεὸν ἐν τῷ μέρει τούτῳWenn aber jemand als Christ [leidet V15] so schaumlme er sich nicht sondern mache Gott in dieser Angelegenheit Ehre

2Petr 218

NA27 uperogka gar mataiothtoj fqeggomenoi deleazousin en epiqummiaij sarkoj aselgeiaij touj ovligwj avpofeugontaj touj evn planh| avnastrefomenouj

Denn indem sie hochfahrende Reden fuumlhren hinter denen nichts ist locken

56 7 8 6 uuml

sie im Taumel fleischlicher Begierden durch Ausschweifungen solche an sich die sich eben erst von den im Irrwahn Wandelnden abgekehrt hatten (Menge)

NA28 ECM ὑπέρογκα γὰρ μα-ταιότητος φθεγγόμενοι δελεάζουσιν ἐν ἐπιθυμίαις σαρκὸς ἀσελγείαις τοὺς ὄντως ἀποφεύγοντας τοὺς ἐν πλάνῃ ἀναστρεφομένους Denn indem sie hochfahrende Reden fuumlhren hinter denen nichts ist locken sie im Taumel fleischlicher Begierden durch Ausschweifungen solche an sich die sich wirklich von den im Irrwahn Wandelnden abgekehrt hatten (nach Menge abgewandelt)

Judas 5

NA27 Ὑπομνῆσαι δὲ ὑμᾶς βούλομαι εἰδότας [ὑμᾶς] πάντα ὅτι [ὁ] κύριος ἅπαξ λαὸν ἐκ γῆς Αἰγύπτου σώσας τὸ δεύτερον τοὺς μὴ πιστεύσαντας ἀπώλεσενIch will euch aber erinnern obwohl ihr dies alles schon wisst dass der Herr nachdem er dem Volk das eine Mal aus Aumlgypten geholfen hatte das andere Mal die umbrachte die nicht glaubten (Lu-ther 84)

NA28 ECM Ὑπομνῆσαι δὲ ὑμᾶς βούλομαι εἰδότας ὑμᾶς ἅπαξ πάντα ὅτι Ἰησοῦς λαὸν ἐκ γῆς Αἰγύπτου σώσας τὸ δεύτερον τοὺς μὴ πιστεύσαντας ἀπώλεσεν

Ich will euch aber erinnern obwohl ihr alles ein fuumlr allemal wisst dass Jesus nachdem er dem Volk das aus Aumlgypten geholfen hatte das andere Mal die um-brachte die nicht glaubten (nach Lu-ther 84 abgewandelt)

In den Katholischen Briefen wurde je-doch nicht nur der Text der ECM uumlber-nommen Auch der Apparat wurde auf der Basis der ECM grundlegend neu konstruiert So entfaumlllt bei den Katho-lischen Briefen beispielsweise das Sigel

fuumlr den Mehrheitstext zugunsten des Sigels bdquoByzldquo (Byzantischer Text)

Eine Uumlbergangsloumlsung

Dass sich die textlichen Aumlnderungen nur auf die Katholischen Briefe erstre-cken macht deutlich dass es sich bei NA28 um eine Uumlbergangsloumlsung han-delt Denn bdquoauf lange Sichtldquo soll das gesamte NT in dieser Weise uumlberarbei-tet werden so die Herausgeber die ihr Vorgehen als bdquozweigleisige Revisionldquo be-schreiben3 Aber schon die Herausgabe dieser Uumlbergangsloumlsung als 28 Auflage macht deutlich dass bis zum eigentli-chen Ziel noch viele Jahre vergehen wer-den und bis dahin eben diese Variante (bzw weitere Auflagen mit jeweils er-weiterten Textrevisionen) der Standard sein wird den keiner umgehen kann der sich mit dem griechischen Urtext des NT beschaumlftigen will

Revision des gesamten Apparats

Allerdings gibt es auch Neuerungen die sich nicht nur auf die Katholischen Brie-fe beschraumlnken sondern den gesamten NA28 betreffen So liegt der gesamten Ausgabe eine Revision des kritischen Apparats zugrunde die diesen uumlber-sichtlicher und einfacher nutzbar ma-chen soll Die wichtigsten Aumlnderungen diesbezuumlglich sind folgendebullthinspthinspErstmalsthinsp wurdenthinsp diethinsp Lesartenthinsp derthinsp

neu entdeckten Papyri 117ndash127 verzeichnet

bullthinspthinspDiethinsp Unterscheidungthinsp vonthinsp staumlndigenthinspZeugen erster und zweiter Ordnung wurde aufgegeben um bisher da-mit verbundene Unklarheiten zu beseitigen

bullthinspthinspImthinspApparatthinspwerdenthinspzudemthinspkeinethinspKon-jekturen (verbessernde Eingriffe in den Text) mehr zitiert Diese werden in Zukunft mit Quelle in einem ge-sonderten Verzeichnis fuumlr den Nestle Aland digital (siehe Abschnitt unten) zur Verfuumlgung gestellt

bullthinspthinspVariantenthinsp imthinsp textkritischenthinsp Apparatthinspwerden so weit moumlglich ausgeschrie-ben und ohne Einbettung von Subva-rianten dargestellt

bullthinspthinspWeilthinspbisherthinspoftthinspmissverstandenthinspwurdethinspauch auf die Abkuumlrzungen pc (pauci) und al (alii) verzichtet

bullthinspthinspDiethinsp Verknupfungthinsp vonthinsp Apparatnotie-rungen mit et und sed wurde aufge-loumlst Die Bezeugungen werden jetzt getrennt notiert

bullthinspthinspLateinischethinsp Abkurzungenthinsp undthinsp Zwi-schentexte wurden reduziert und im Abkuumlrzungsverzeichnis uumlbersetzt

bullthinspthinspDiethinsp Editionumthinsp differentiaethinsp (Appen-dix III in NA27) die einen Uumlber-blick uumlber die Textentscheidungen der wichtigsten neuzeitlichen Ausgaben des griechischen NT im Vergleich zu NA27 bot entfaumlllt bei NA28 weil eine Uumlberarbeitung unverhaumlltnismauml-szligig aufwendig gewesen waumlre

bullthinspthinspDiethinspVerweisstellenthinspamthinspaumluszligerenthinspRandthinspwurden auf ihre Aussagekraft hin uumlberpruumlft

Die hier aufgelisteten Aumlnderungen ma-chen deutlich dass es den Herausgebern mit ihrer Zielstellung durchaus ernst ist den NA28 benutzerfreundlicher zu machen Angaben die bisher in ihrer Art und Weise irritierend und unnouml-tig kompliziert waren wurden fuumlr den NA28 deutlich verbessert Dass natuumlr-lich auch der NA28 noch ein sehr kom-plexes Werk ist das den Benutzern eine intensive Beschaumlftigung abverlangt ist selbstverstaumlndlich4 Dies ist sowohl der Materie an sich als auch der Zielstel-lung der Autoren geschuldet bdquodie in der Ausgabe vorliegende Rekonstrukti-on des griechischen Ausgangstextes kri-tisch nachvollziehbar und uumlberpruumlfbar zu machenldquo5

Carsten Friedrich

glauben amp denken heute 22012 577 8 6 uuml

Nestle Aland digital

Viele Benutzer wird es erfreuen dass es den NA28 auch in digitaler Form ge-ben wird ndash und zwar samt Apparat Die Herausgeber verfolgen mit dem Nestle Aland digital hauptsaumlchlich zwei Ziel-stellungen6 zum einen im Hinblick auf die Aktualitaumlt der gebotenen Informati-onen Korrekturen und neue Notierun-gen sollen via Internet innerhalb kurzer Zeit zur Verfuumlgung gestellt werden zum anderen im Hinblick auf die Klarheit der Praumlsentation und die Verknuumlpfung mit weiteren Dokumenten und Daten So sollen beispielsweise Abkuumlrzungen und Sigel in eingeblendeten Fenstern erklaumlrt werden Daruumlber hinaus soll es eine Verknuumlpfung mit den vollstaumlndi-gen Transkripten und Fotos der ein-bezogenen Handschriften geben Wie oben schon erwaumlhnt soll auszligerdem ein Verzeichnis aller Konjekturen samt deren Quellen in der digitalen Variante enthalten sein

Das Erscheinen des Nestle Aland di-gital ist fuumlr 2013 angekuumlndigt Es soll ihn dann fuumlr PC Mac und Smartphone fuumlr ca 30 Euro geben Bis dahin darf man gespannt warten inwieweit sich die wirklich vielversprechenden Ankuumln-digungen der Herausgeber erfuumlllen

Novum Testamentum Graece x 28 Werbung

Struktur

14 selbstaumlndige Studienzentren in 6 Laumln-dern mit einheimischen Traumlgervereinen

5 uumlbergreifende Institute

Rektor Prof Dr Thomas Schirrmacher

Dekane Thomas Kinker ThD (USA) Titus Vogt lic theol

Mission durch Forschung

Internationales Institut fuumlr Religionsfreiheit (Partner Weltweite Ev Allianz)

Studienprogramm mit Schwerpunkt Islam zusammen mit dem Institut fuumlr Islamfragen

Institut fuumlr Lebens- und Familienwissenschaft

Institut fuumlr Notfallseelsorge Sterbebegleitung und Trauerseelsorge

Institut fuumlr Seelsorgeausbildung

Martin Bucer Seminar

infobucerdewwwbucerde

hellip damit die Heiligen zugeruumlstet werden zum Werk des Dienstes

Epheser 412

1 bdquoDie Editio Critica Maior dokumentiert die griechi-sche Textgeschichte des ersten Jahrtausends anhand der uumlberlieferungsgeschichtlich wichtigen griechi-schen Handschriften alten Uumlbersetzungen und neu-testamentlichen Zitate in der antiken christlichen Li-teratur Auf der Basis genealogischer Untersuchungen des erstmals mit dieser Vollstaumlndigkeit aufbereiteten Materials wird der Text neu rekonstruiert Die Aus-wahl der Handschriften beruht auf einer Auswertung der gesamten Primaumlruumlberlieferungldquo URL httpwwwuni-muensterdeNTTextforschungProjektehtml [Stand 23102012] Ausfuumlhrlichere Informati-onen zur ECM finden sich unter URL httpwwwuni-muensterdeNTTextforschungECMhtml2 Griechischer Bibeltext aus Barbara Aland u a (Hrsg) Novum Testamentum Graece 28 revidierte Auflage Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 20123 bdquohellip so muss fuumlr die uumlbrigen neutestamentlichen Schriften mit der Neukonstitution des Textes so lan-ge gewartet werden bis mit dem Fortschreiten der Ar-beit an der ECM die dafuumlr noumltigen Materialien und Erkenntnisse vorliegen Die sich daraus ergebende relative Uneinheitlichkeit der 28 Auflage ist unver-meidlich will man die neuen Erkenntnisse aus der Arbeit an der ECM in die Handausgaben einflieszligen lassen obwohl solche nur fuumlr einen Teilbereich des Neuen Testaments vorliegenldquo Holger Strutwolf im Vorwort zum NA284 Die Deutsche Bibelgesellschaft gibt deshalb eine gesonderte Einfuumlhrung zum NA28 heraus David Trobisch Die 28 Auflage des Nestle-Aland Eine Einfuumlhrung Stuttgart Deutsche Bibelgesellschaft 2013 Leider ist es nicht gelungen diese Einfuumlhrung zeitgleich mit dem NA28 auf den Markt zu bringen Aus dem urspruumlnglich angekuumlndigten Veroumlffentli-chungstermin November 2012 ist mittlerweile Fruumlh-jahr 2013 geworden Weitere Informationen zu dieser Einfuumlhrung finden sich unter URL httpwwwbibelonlinedeproductsWissenschaftliche-Bibelaus-gabenUrtexte-Neues-TestamentDie-28-Auflage-des-Nestle-Aland-eine-Einfuehrunghtml 5 NA28 A a O S 2 6 NA28 A a O S 3f

Anmerkungen

Gemeinde- und berufsbegleitend

Studenten bleiben in ihren Gemeinden

Anleitung zum eigenstaumlndigen Denken

Vom Wachstum der weltweiten Gemeinde Jesu lernen

Lehre und Forschung Lernen und selbst entwickeln

Das heiszligt das Alte und Bewaumlhrte kennen lernen und voumlllig Neues erforschen

Fundierte Ausbildung fuumlr das Reich Gottes

Studenten werden an Forschung beteiligt die christ-liche Ethik in das Herz der Gesellschaft traumlgt z B durch unsere erfolgreichen Institute

Internationales Institut fuumlr Religionsfreiheit (Partner Weltweite Ev Allianz)

Institut fuumlr Islamfragen (Partner Deutschsprachige Evang Allianzen)

Eigenes Studienprogramm mit Schwerpunkt Islam

Eigenes Studienprogramm mit Schwerpunkt Seelsorge

Institut fuumlr Lebens- und Familienwissenschaft

Institut fuumlr christliche Weltanschauung (Apologetik)

Mission durch Forschung

Abwanderung von Mitarbeitern verhindern

Wir gruumlnden Studienzentren gern in Regionen mit wenig ausgepraumlgter christlicher Infra-struktur wo wir die Abwanderung wichtiger Mitarbeiter im Reich Gottes in sowieso gut versorgte Regionen verhindern wollen z B Studienzentren in Chemnitz und Berlin fuumlr die neuen Bundeslaumlnder (keine Abwanderung nach Westen)

Studienzentrum Innsbruck und Linz zusammen mit dem Evangelikalen Bildungswerk in Oumlster-reich (keine Abwanderung nach Deutschland)

Studienzentrum Istanbul (keine Abwanderung in die USA)

weitere Infolsquos unter wwwbucereu

  1. Schaltflaumlche1
  2. Schaltflaumlche2
  3. Schaltflaumlche3
  4. Schaltflaumlche4
  5. Schaltflaumlche5
  6. Schaltflaumlche6
  7. Schaltflaumlche7
  8. Schaltflaumlche8
  9. Schaltflaumlche9
  10. Schaltflaumlche10
  11. Schaltflaumlche11
  12. Schaltflaumlche12
  13. Schaltflaumlche13
  14. Schaltflaumlche14
  15. Schaltflaumlche15
  16. Schaltflaumlche16
  17. Schaltflaumlche17
  18. Schaltflaumlche18
  19. Schaltflaumlche19
  20. Schaltflaumlche20
  21. Schaltflaumlche21
  22. Schaltflaumlche22
  23. Schaltflaumlche23
  24. Schaltflaumlche24
  25. Schaltflaumlche25
  26. Schaltflaumlche26
  27. Schaltflaumlche27
  28. Schaltflaumlche28
  29. Schaltflaumlche29
  30. Schaltflaumlche30
  31. Schaltflaumlche31
  32. Schaltflaumlche32
  33. Schaltflaumlche33
  34. Schaltflaumlche34
  35. Schaltflaumlche35
  36. Schaltflaumlche36
  37. Schaltflaumlche38
  38. Schaltflaumlche39
  39. Schaltflaumlche40
  40. Schaltflaumlche41
  41. Schaltflaumlche42
  42. Schaltflaumlche43
  43. Schaltflaumlche44
  44. Schaltflaumlche45
  45. Schaltflaumlche46
  46. Schaltflaumlche47
  47. Schaltflaumlche48
  48. Schaltflaumlche49
  49. Schaltflaumlche50
  50. Schaltflaumlche51
  51. Schaltflaumlche52
  52. Schaltflaumlche53
  53. Schaltflaumlche54
  54. Schaltflaumlche55
  55. Schaltflaumlche56
  56. Schaltflaumlche57
  57. Schaltflaumlche58
  58. Schaltflaumlche59
  59. Schaltflaumlche60
  60. Schaltflaumlche61
  61. Schaltflaumlche62
  62. Schaltflaumlche63
  63. Schaltflaumlche64
  64. Schaltflaumlche65
  65. Schaltflaumlche66
  66. Schaltflaumlche67
  67. Schaltflaumlche68
  68. Schaltflaumlche69
  69. Schaltflaumlche70
  70. Schaltflaumlche71
  71. Schaltflaumlche72
  72. Schaltflaumlche73
  73. Schaltflaumlche74
  74. Schaltflaumlche75
  75. Schaltflaumlche76
  76. Schaltflaumlche77
  77. Schaltflaumlche78
  78. Schaltflaumlche79
  79. Schaltflaumlche80
  80. Schaltflaumlche81
  81. Schaltflaumlche82
  82. Schaltflaumlche83
  83. Schaltflaumlche84
  84. Schaltflaumlche37
Page 8: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 9: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 10: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 11: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 12: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 13: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 14: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 15: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 16: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 17: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 18: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 19: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 20: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 21: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 22: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 23: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 24: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 25: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 26: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 27: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 28: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 29: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 30: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 31: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 32: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 33: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 34: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 35: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 36: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 37: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 38: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 39: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 40: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 41: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 42: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 43: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 44: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 45: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 46: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 47: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 48: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 49: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 50: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 51: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 52: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 53: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 54: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 55: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 56: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 57: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen
Page 58: glauben & denken heute - Martin Bucer Seminar · 2012. 12. 20. · • Francis A. Schaeffer (1912–1984): Lehren aus seinem Denken und Leben 12 (Prof. Dr. Stephen J. Wellum) Rezensionen