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! Von wegen nur 18 Minuten Hintergründe zum gegenwärtigen Arbeitskampf im öffentlichen Dienst Seite 3 ! Gymnasiums-Roulett Nicht nachvollziehbare Pläne um die Zukunft zweier Leipziger Schulen Seite 5 ! Glückwunsch zum 8. März Porträt der indischen Kommunistin und Journalistin Vidya Munsi: „Ich kann nicht akzeptieren, dass Frauenfragen hintenan gestellt werden“ Seite 15 5 5 2006 14. Jahrgang 10. März www. leipzigs- neue.de Nur ein Euro! L INKE Z WEIWOCHENZEITUNG für Politik, Kultur und Geschichte A m 5. Juni 2005 nannte es der damalige Ver- teidigungsminister Struck „realistisch“, dass deutsche Soldaten sterben müssten, wenn sich Deutschland an weltweiten Maßnahmen der NATO und der EU-Battle Groups (mobile EU-Kampf- truppen) beteiligen werde. Er sagte das ganz lax kurz nach einer im Mai 2005 in Brüssel unterzeich- neten Vereinbarung, nach der Deutschland an sechs der 13 geplanten Battle Groups mit je 1500 Soldaten beteiligt sein wird. Die Bundeswehr soll bereits im 1. Halbjahr 2006 die Führung des ersten Verbandes übernehmen. Damit wird die auf Betreiben der BRD im Juni 2003 in Thessaloniki beschlossene Sicher- heitsstrategie der EU, die die Führung von Präven- tivkriegen ausdrücklich befürwortet, umgesetzt. In Kreisen des Auswärtigen Amtes wird unverblümt davon gesprochen, dass sich Deutschland auf die kriegerische Ressourcensicherung im afrikanischen und eurasischen Raum einzurichten habe. Die Entsendung von Bundeswehreinheiten in den Süden Sudans, die im April 2005 vom Bundestag beschlossen wurde, hat mit humanitären Gründen nichts zu tun. Sie soll garantieren, dass der Bau einer von Südsudan über Kenia nach Uganda füh- renden Eisenbahn (ein 2,5 Milliarden Dollar Projekt eines deutschen Unternehmens), die für die Erschließung der Rohstoffe Zentralafrikas von gro- ßer Bedeutung ist, gesichert wird. Unabhängig von „friedensbildenden Maßnahmen“ der Vereinten Nationen operiert deutsches Militär bereits seit längerem außerhalb der Grenzen der BRD. Neben den an offiziellen UN-Aktionen beteilig- ten 6 600 Militärangehörigen und 360 Polizisten (An- gaben nach „Zentrum für internationale Frie- denseinsätze“, Stand vom Mai 2005) befinden sich noch Angehörige der GSG 9 und des KSK (Kom- mando Spezialkräfte) zu Kampfeinsätzen vorwie- gend in Afghanistan und Irak. Einheiten der Bundes- marine operieren seit 2002 am Horn von Afrika, von Somalia bis Pakistan und dem Persischen Golf. • HELMUT ULRICH Sterben eingeplant Denkmal für die Gefallenen des 1. Weltkrieges auf dem Südfriedhof Leipzig. Dort fand sich dann sogar ein Platz für gefallene Leipziger Nazisoldaten (siehe kl. Foto) Dritter Weltkrieg um Rohstoffe tobt Deutschland will ein Denkmal für seine Gefallenen Was nützen Denkmäler des unbekannten Soldaten den Gefallenen? Erst muss der Mensch leben, dann kann seine Ehre geschützt werden. Carl von Ossietzky Foto: Märker Vier Seiten extra zur Leipziger Buchmesse

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!! Von wegen nur 18 MinutenHintergründe zum gegenwärtigen Arbeitskampf imöffentlichen Dienst Seite 3!! Gymnasiums-RoulettNicht nachvollziehbare Pläne um die Zukunftzweier Leipziger Schulen Seite 5

!! Glückwunsch zum 8. MärzPorträt der indischen Kommunistin und JournalistinVidya Munsi: „Ich kann nicht akzeptieren, dassFrauenfragen hintenan gestellt werden“ Seite 15

55552006

14. Jahrgang10. März

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Nurein

Euro!

L I N K E Z W E I W O C H E N Z E I T U N Gfür Politik, Kultur und Geschichte

Am 5. Juni 2005 nannte es der damalige Ver-teidigungsminister Struck „realistisch“, dassdeutsche Soldaten sterben müssten, wenn

sich Deutschland an weltweiten Maßnahmen derNATO und der EU-Battle Groups (mobile EU-Kampf-truppen) beteiligen werde. Er sagte das ganz laxkurz nach einer im Mai 2005 in Brüssel unterzeich-neten Vereinbarung, nach der Deutschland an sechsder 13 geplanten Battle Groups mit je 1500 Soldatenbeteiligt sein wird. Die Bundeswehr soll bereits im 1.Halbjahr 2006 die Führung des ersten Verbandesübernehmen. Damit wird die auf Betreiben der BRDim Juni 2003 in Thessaloniki beschlossene Sicher-heitsstrategie der EU, die die Führung von Präven-tivkriegen ausdrücklich befürwortet, umgesetzt. In

Kreisen des Auswärtigen Amtes wird unverblümtdavon gesprochen, dass sich Deutschland auf diekriegerische Ressourcensicherung im afrikanischenund eurasischen Raum einzurichten habe. Die Entsendung von Bundeswehreinheiten in denSüden Sudans, die im April 2005 vom Bundestagbeschlossen wurde, hat mit humanitären Gründennichts zu tun. Sie soll garantieren, dass der Baueiner von Südsudan über Kenia nach Uganda füh-renden Eisenbahn (ein 2,5 Milliarden Dollar Projekteines deutschen Unternehmens), die für die

Erschließung der Rohstoffe Zentralafrikas von gro-ßer Bedeutung ist, gesichert wird. Unabhängig von „friedensbildenden Maßnahmen“der Vereinten Nationen operiert deutsches Militärbereits seit längerem außerhalb der Grenzen derBRD. Neben den an offiziellen UN-Aktionen beteilig-ten 6 600 Militärangehörigen und 360 Polizisten (An-gaben nach „Zentrum für internationale Frie-denseinsätze“, Stand vom Mai 2005) befinden sichnoch Angehörige der GSG 9 und des KSK (Kom-mando Spezialkräfte) zu Kampfeinsätzen vorwie-gend in Afghanistan und Irak. Einheiten der Bundes-marine operieren seit 2002 am Horn von Afrika, vonSomalia bis Pakistan und dem Persischen Golf.

• HELMUT ULRICH

Sterben eingeplant

Denkmal für die Gefallenen des 1. Weltkrieges auf dem Südfriedhof Leipzig. Dort fand sich dann sogar ein Platz für gefallene Leipziger Nazisoldaten (siehe kl. Foto)

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Deutschland will ein Denkmal für seine Gefallenen

Was nützen Denkmäler des unbekanntenSoldaten den Gefallenen?Erst muss der Mensch leben,dann kann seine Ehre geschützt werden.

Carl von Ossietzky

Foto: Märker

Vier Seiten extra zurLeipziger Buchmesse

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LEIPZIGS NEUE • 5 ‘06 • 10. MÄRZ 20062 • MEINUNGEN

Die Meinungsklöppler und Volksseelen-tieftaucher der Massenmedien waren

sich lange einig: Diese Koalition hat einentollen Start hingelegt. Fast vom Nullpunkt ha-be Frau Merkel das Land in neue lichte Hö-hen des Optimismus geführt. Und das alleinmit einem schlichten Lächeln; einem ziemlichaufgesetzten Grinsen – wie ich es nenne.Jetzt entweicht die Luft langsam aus diesemaufgeblasenen Ballon und es erweist sich,dass man den Menschen selbst bei Einsatzaller Propagandamittel nicht allzu lange einX für ein U vormachen kann. Das konnteauch kaum anders sein. Denn, wir erinnernuns, am Anfang der megageilen Großen Ko-alition stand das scheinbare Paradoxon derWahlniederlage beider bürgerlicher Lager.Und Frau Merkels Gesicht vom Wahlabend– entgleist in der Angst vor dem politischen

Tod – macht mir auch in der Rückschaunoch Spaß.Hinter all dem jedoch stand ein politischerProzess, der noch heute andauert. Wer hät-te vor anderthalb Jahren geglaubt, dass dieMontagsdemonstrationen die Agenda 2010zunächst stoppen würden, dass eine linkeKraft in Fraktionsstärke im Bundestag sitzenwürde, dass ver.di mutig die 38,5-Stunden-Woche verteidigt und – dass der Vizekanzlernicht Westerwelle heißen würde? Das Kapi-tal zumindest nicht. Das hatte schwarz-gelbauf dem Zettel und die Zerschlagung der

Gewerkschaften, der Flächentarife und desKündigungsschutzes schon fest gebucht.Daraus wurde zunächst nichts.Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben.Das Kapital hält – natürlich – an seinem Zielder weiteren Umverteilung von unten nachoben fest, muss daran festhalten, solange esseine Exportstrategie auf dem Weltmarktbeibehält. Die Taktik des Lächelns, verbun-den mit der „Du-bist-Deutschland“-Kampa-gne und dem Gute-Laune-Hype um die Fuß-ball-WM sind Elemente einer Nebelwandhinter der die verschärfte Wiederauflage derAgenda 2010 vorbereitet wird.Langsam kommt Bewegung in die Sache.

Schon wieder wird fast jeden Tag eine neueKürzungs-Sau durchs Dorf getrieben, Finan-zierungslöcher werden entdeckt, unverzügli-ches Regierungshandeln ist angeblich erfor-derlich, Panikstimmung soll erzeugt werden.Ist die Linke, die außerparlamentarische Be-wegung, die Gewerkschaften, die Linkspar-tei im Parlament dem gewachsen?Zur Zeit wohl nicht. Da ist viel historisch „ge-wachsene“ Schwäche, die erst schrittweisebeseitigt werden kann, aber auch kleinmüti-ger Hader. Wer das Parlament verachtet undsich an den Schwierigkeiten von PDS undWASG weidet, den möchte ich daran erin-nern, dass ein einzelner Mann in einemdeutschen Parlament die Stimme der Arbei-terklasse erhoben hat und in der ganzenWelt gehört worden ist, Karl Liebknecht, alser 1914 die Kriegskredite ablehnte.Andere sagen, die Bewegungen kommenund gehen – und suchen die parlamentari-sche Mitarbeit um jeden Preis. Die möchteich fragen: wofür? Wir brauchen nicht nurLinsengerichte, sondern vor allem einenStopp der neoliberalen Politik und eine Wen-de zu demokratischem und sozialen Fort-schritt. An Regierungen, die sich dazu be-kennen, kann man gern teilnehmen.Doch das steht heute nicht an. Dazu fehlt derLinken die Kraft. Aber: Nerven behalten, dieArbeiterklasse hat diese Kraft allemal, wennsie denn nur will.

Auf ein Wort bitteADI REIHER

Redaktion DKP-Zeitung Unsere Zeit

... schreibt zusammen mitanderen linkenBündnispartnern indieser LN-Rubrik

Streit um des Kaisers BartWenn sich gegenwärtig die Stadt Leipzig und die hiesige Ar-beitsagentur in aller Öffentlichkeit und ziemlich lautstark in denHaaren liegen wegen unzureichender Arbeitsangebote an ALGII-Empfänger im Rahmen der gemeinsamen Arbeitsplatzvermittlungfür alle Arbeitslosen, gewinnt man den Eindruck, dass es denBeteiligten, besonders Leipzigs Wirtschaftsdezernenten DetlevSchubert, angesichts der andauerenden kritischen Lage vor allemdarum geht, Schuld abzuweisen und das eigene Image zu wah-ren. Denn man kann sich schwer vorstellen, dass eine Auseinan-dersetzung in Zeitungsspalten besser geeignet sei, eventuelleUnzulänglichkeiten der Kooperation aus dem Wege zu schaffenals unmittelbare Kontakte. Vor allem aber geht dieser Streit am eigentlichen Problem vorbei.Die gesamte Diskussion um die Hartz-Gesetze bis hin zu Hartz IVwar von dem irrigen Gedanken geprägt, mit neuen Organisa-tionsformen und -methoden ein substantielles Problem – dieArbeitslosigkeit als Ergebnis von sozialen Strukturen und Wirt-schaftspolitik – in den Griff zu bekommen. Für viele Regelungender Hartz-Gesetze wurde der Misserfolg schon eingestanden.Eine bessere Verteilung der wenigen verfügbaren Arbeitsplätzemag nicht ohne Bedeutung sein, aber nötig sind vor allem mehrArbeitsplatzangebote. Die sind allerdings kaum ohne neue wirt-schaftspolitische Weichenstellungen zu haben. • G. L.

Arbeitsvermittlung:Vertrag Stadt–

Agentur noch nichtausgereizt

LN. Leipzigs Wirtschaftsdezer-nent Detlev Schubert präzisierteinzwischen seine Ankündigung,den Vertrag der Stadt mit derArbeitsagentur zur gemein-samen Jobvermittlung zu kündi-gen (LVZ 24. Februar). Es seien– unter Hinweis auf das Gutach-ten einer Unternehmensbera-tung – noch längst nicht alleMöglichkeiten innerhalb desbestehenden Vertrags ausge-reizt. Er werde dem Stadtrat imApril einen Vorschlag für diekünftige Gestaltung der Arbeits-vermittlung in der ARGE vorle-gen. Der Vorschlag werde Va-rianten zur optimierten Organi-sation und Aufgabenvernetzungenthalten. (Kommentar S. 2)

Der alltägliche NazismusDer Vorfall: Unübersehbar! Ein Hakenkreuz. Schwarz auf hellemUntergrund. Nicht aus Dummheit gekritzelt, sondern als Pro-vokation gesprayt. Ein Meter in der Diagonale. Hier und heute.Aber genau dort, wo die Nazis schon 1940 Leipziger aus ihrenWohnungen vertrieben und sie in so genannte Judenhäuser ein-pferchten und Monate später deportierten. Nun, Jahrzehnte später, Ende Februar 2006 im Waldstraßen-viertel, regen sich die Bürger auf. Denn in einer Nacht wurdenhier im 100 Meter Abstand noch drei weitere Hakenkreuze ge-schmiert – auch auf Fußwegen. Der Bürgerpolizist des Gebieteswird informiert. Die Reaktion erfolgt rasch. Beamte fotografierenund messen aus. Das Ganze, so ist zu hören, ein Fall für denStaatsschutz.Auf die Frage, wie lange wir diesen Dreck ertragen müssen, einAchselzucken, denn es ist nachmittags vor einem Wochenende.Und die Spezialreiniger sind nicht mehr zu erreichen. Dafürbefahren am Sonnabend und Sonntag wieder zahlreiche Reise-busse aus Deutschland die beschmierte Straße. Leipzig also aufden ersten oder zweiten Blick eine rechte Hochburg für die flüch-tigen Fenstergucker aus zahlreichen Bussen?Zu Wochenbeginn noch immer der gleiche Tatbestand. Der Bür-gerverein des Waldstraßenviertels erwägt Plakate drüberzukle-ben. Auf nassen Fußwegen geht das aber schlecht. An einemDienstag werden die Kreuze erneut vermessen, diesmal durchdas Stadtordnungsamt, welches zufällig vorbeifuhr. ErneutesNachfragen: Wie lange wir das noch ertragen müssen? Eine Not-variante wird gefunden: Aus Hakenkreuz wird Fensterkreuz. Tagsdarauf kommen dann endlich die Profisäuberer. Da es inzwischenschneite, werden die Kreuze auf den Fußwegen der Liviastraßezunächst übersehen. Jetzt sind sie entfernt, auf den Wegen zumgeplanten jüdischen Gemeindezentrum. Ein Vorfall: Unwiederhol-bar? • JOACHIM MICHAEL

Eine Frage an Sieg-fried Schlegel

LN: Sie haben sich für den vakantgewordenen Posten des Leipziger Planungsde-zenten beworben. Als einziger Bewerber, wieman inzwischen hört, mit der dazu erforderli-chen Qualifikation. Das weist sie vor allem alsOstdeutschen aus. Aber die Befähigung für einAmt ist die eine Sache, es dann in einer ziem-lich verfilzten Stadtverwaltung auch ausfüllenzu können, steht auf einem anderen Blatt.Warum wollen Sie sich als Linker dieses Ge-schäft dennoch zumuten?

Siegfried Schlegel: Mein Platz ist in Leipzig –seit 50 Jahren. Ich denke, ich könnte – nicht nur,weil ich hieri aufgewchsen bin – vieles in diesemAmt bürgernäher und effektiver für die Stadt

organisieren. Gewiss, ich bin durch meine 15-jährige ununterbrochene Zugehörigkeit im Leip-ziger Stadtparlament mit Herz und Seele Linkspo-litiker, aber hier geht es nicht nur um Parteienpoli-tik schlechthin, es geht zum Beispiel auch um einetransparente Vergabepraxis, um Regionalplanungund um eine Zusammenarbeit in der Region, ins-besondere mit Halle. Meine Kompetenz leite ichdabei nicht nur aus meiner Arbeit in diversen Aus-schüssen ab, sondern auch aus meiner 35-jährigenberuflichen Tätigkeit in Sachen Wohnungsbau,Planung und praktischer Ausführung. Mein Motto: Geht es dem Oberzentrum gut, gehtes auch dem Umland gut – und umgekehrt. Kurz, Leipzig verdient nach all den für die Bürgeroft nicht nachvollziehbaren, ja auch gegen ihrenWillen durchgesetzten städtebaulichen Maß-nahmen einen Planungsderzernenten, dessen Herzlinks, also mit den Bürgern und unserer Stadtschlägt.

!!

Wir grüßen unsereBuchmessegäste...

... in einer Stadt, deren inter-national bekannte, ihren Rufbegründenden Verlage baldalle verschwunden sind.Erst jüngst wurden die kärgli-chen Überreste des mit Leip-zig untrennbar verbundenenReclam-Verlages gemeucheltund nach „Ditzingen“ ausge-lagert. Nur eine Tafel erinnert im„Reclam-Karree“ noch an denBegründer der Reclam-Uni-versal-Bibliothek, Anton Phi-lipp Reclam (1807 – 1896),der in diesem Gebäude wirkteund arbeitete. Foto: Märker

LN. Während sich – siehe unten – für den Pla-nungsdezerneten bereits ein für dieses Amt be-fähigter Linksparlamentarier beworben hat, wirdderzeit heftig über das Vorschlagrecht für die eben-falls neu zu besetzende Stelle des Sozialdezer-nenten in der Linkspartei diskutiert. Viele plädierenausdrücklich gegen diese Option. Zu ihnen gehörtder linke Experte für Wohungswesen, Prof Tesch.

Er sieht im Zusammenhang mit der Haushalts-sanierung scharfe Auseinandersetzungen und Ein-schnitte voraus, die auch am Sozialen nicht vorbei-gehen und folgert: „Soll ein Politiker der Links-partei.PDS in die Situation gebracht werden, dieseauch noch verteidigen zu müssen? Ich kenne in Lei-pzig und Umland keine Persönlichkeit, die diesenSpagat zwischen Durchsetzung und Kritik an einerverfehlten Sozialpolitik meistern könnte, ohne dassdie Linkspartei.PDS Schaden nähme.“

Linke Sozialpolitik in Leipzig?

Nerven behalten

Gefahr für LWBLN. Zum Redaktionsschluss er-reichte uns noch ein Antrag, dendie Linkspartei-Stadträte Mar-gitta Hollick (Mitglied desLWB-Mieterbeirates und Sieg-fried Schlegel (Mitglied desLWB-Aufsichtsrates) an die am18. März tagende Stadtdelegier-tenkonferenz ihrer Partei rich-ten.Anlass sind die gegenwärtigverstärkten Bestrebungen zumVerkauf der Leipziger Woh-nungs- und Baugesellschaft.Die Mitglieder der Stadtrats-fraktion und im Aufsichtsrat derLWB werden aufgerufen, sichim Stadtrat und seinen Aus-schüssen geschlossen gegen ei-nen Verkauf zu wenden. Falls imStadtrat eine neoliberale Mehr-heit siegt, so die beiden Antrag-steller, soll die Linkspartei einBürgerbegehren gegen den Ver-kauf initiieren und sich Verbün-dete suchen.

Weiteres in der nächsten LN.

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LEIPZIGS NEUE • 5 ‘06 • 10. MÄRZ 2006 THEMA • 3

Die Vereinte Dienstleistungsgewerk-schaft (Ver.di) und die GewerkschaftErziehung und Wissenschaft (GEW)befinden sich mit Kommunen undLändern in einer tarifpolitischenKraftprobe. Entgegen der öffentli-chen Wahrnehmung, es handele sichum eine einheitliche Auseinanderset-zung innerhalb des öffentlichen Dien-stes, geht es um mehrere Konflikt-felder mit unterschiedlichen Akteuren.

Seit mehreren Wochen wehren sichzehntausende Beschäftigte desöffentlichen Dienstes mit massiven

Protesten und Streiks gegen die Angriffeauf ihre Arbeitsbedingungen. Nach demerfolglosen Spitzengespräch zwischenden Gewerkschaften und den Vertreternder Arbeitgeber vom 20. Februar 2006versuchen die Arbeitgeber – allen vorander niedersächsische FinanzministerMöllring (CDU) als Verhandlungsführer– nunmehr auf Zeit zu spielen, um damitdie Streikbewegung auszutrocknen undzu zerschlagen. Ein weiteres Spitzenge-spräch soll jetzt am 10. März 2006 statt-finden. Möglicherweise ist dies schoneine der letzten Chancen, die öffentlichenArbeitgeber zum Erhalt eines einheitli-chen Tarifrechtes im öffentlichen Dienstder Bundesrepublik Deutschland zuzwingen.

(West)-Kommunen:Arbeitszeitvorschriften

gekündigtDie erste Auseinandersetzung wird miteinigen westlichen Kommunalen Arbeit-geberverbänden (KAV) geführt, die dieArbeitszeitregelungen des neuen Tarif-vertrages für den öffentlichen Dienst(TVöD) gekündigt haben. Ihr Ziel: diewöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stun-den auf 40 Stunden zu erhöhen. Es sollsomit eine Angleichung an das Ost-Niveau durchgezogen werden, da dortseit Jahren unverändert die 40 Stunden-woche gilt.Am 13. September 2005 unterzeichnetendie Gewerkschaften mit dem Bund undder Vereinigung der kommunalen Ar-beitgeberverbände (VKA) nach langenVerhandlungen den neuen Tarifvertragfür den öffentlichen Dienst (TVöD).Damit war der in die Jahre gekommeneBundesangestelltentarifvertrag (BATbzw. BAT-Ost) komplett abgelöst. DerVertrag war noch nicht unterschrieben, daforderten schon einige kommunale Ar-beitgebervertreter, die vereinbarten Rege-lungen zur Arbeitszeit im TarifgebietWest (38,5 Wochenstunden) unverzüg-lich wieder aufzukündigen, weil sie län-gere Arbeitszeiten durchsetzen wollten.Drei kommunale Arbeitgeberverbändehaben die Arbeitszeitregelungen gekün-digt: der von Baden-Württemberg, dervon Niedersachsen und die Arbeitsrecht-liche Vereinigung Hamburg. Andere dro-hen damit, ebenfalls zu kündigen. Dievon den Arbeitgebern geplante verlänger-te Arbeitszeit – ohne Lohnausgleich –wird tausende Arbeitsplätze vernichten.Die öffentlichen Arbeitgeber wollen denBürgerinnen und Bürgern weismachen,es gehe angeblich doch nur um 18 Mi-nuten pro Tag. Dieser Demagogie der Ar-beitgeber setzen die GewerkschaftenAufklärung entgegen: Vierzig Stundenarbeiten heißt vier Prozent mehr Arbeits-leistung ohne Bezahlung. Wenn dieBeschäftigten 18 Minuten länger arbei-ten, gibt es vier Prozent mehr Arbeitslose.Rechnerisch wird dadurch jeder 25.Arbeitsplatz überflüssig. Allein im kom-munalen Bereich in Nordrhein-Westfalen

sind heute noch 500 000 Beschäftigtetätig. Wenn diese täglich 18 Minuten län-ger arbeiten, sind 19 500 Jobs in Gefahr.

Länder: Tarifverträge zumUrlaubs- und Weihnachts-

geld gekündigt Die zweite Auseinandersetzung betrifftdie Bundesländer, die bis auf Berlin undHessen, in der Tarifgemeinschaft deut-scher Länder (TdL) organisiert sind. Siehaben bereits im Sommer 2003 die Tarif-verträge zum Urlaubs- und Weih-nachtsgeld gekündigt. Zwar sind Ge-werkschaftsmitglieder, wenn sie zumZeitpunkt der Kündigung des Tarifver-trages im Arbeitsverhältnis standen,durch die unmittelbare Nachwirkung vonTarifverträgen gemäß Tarifvertragsgesetzgeschützt. Dennoch profitieren die Län-der von der Kündigung, denn Neuein-

gestellte, gleich ob Gewerkschaftsmit-glied oder nicht, stehen nicht mehr unterdem Schutz der Nachwirkung. Ange-sichts einer deutlichen Fluktuation spartder Arbeitgeber auf Kosten der Neuein-gestellten. Aber auch wer höhergruppiertwird oder einen befristeten Arbeitsvertragverlängern will, wird oft gezwungen, perEinzelvertrag auf Urlaubs- und Weih-nachtsgeld zu verzichten. In Bereichenmit einem hohen Anteil befristeter Ar-beitsverträge, zum Beispiel bei den Uni-versitäten und Unikliniken, kann das sehrviele Beschäftigte betreffen.

Länder: Arbeitszeitvor-schriften (West) gekündigt

Der dritte Konflikt betrifft ebenfalls dieLänder, denn im März 2004 kündigten siedie Regelungen zur Arbeitszeit für dieLandesangestellten in Westdeutschland,um deren Arbeitszeit ohne Lohnausgleichwie bei den Beamtinnen und Beamten zuverlängern. Dies lässt nur einen Schlusszu: Die Tarifgemeinschaft der Länder be-kommt den Hals nicht voll und betreibtzielgerichtet Arbeitsplatzvernichtung.Jede Stunde Arbeitszeiterhöhung kostetArbeitsplätze.

Länder: Weigerung denneuen Tarifvertrag

zu übernehmenMit diesen Kündigungen der Tarifver-träge zum Urlaubs- und Weihnachtsgeldund zur Arbeitszeit-West haben die Län-

der die Basis der „Prozessvereinbarungzur Neugestaltung des Tarif-rechts“ ver-lassen und fortan an den Ver-handlungenzum neuen Tarifvertrag für den öffentli-chen Dienst (TVöD) nicht mehr teilge-nommen. Die Gewerkschaf-ten fordertendie Länder zwar mehrfach auf, den neuenTarifvertrag ebenfalls zu übernehmen.Doch die Länder, bei denen weiterhin derBundesangestelltentarifvertrag (BATbzw. BAT-Ost) gilt, weigern sich, den mitden Kommunen und dem Bund ausge-handelten neuen Tarifvertrag zu überneh-men. Sie legen sogar noch eine Kohledrauf: Sie wollen den Tarif für den öffent-lichen Dienst verschlechtern. Außerdemwollen sie sich um weitere Angleichungs-schritte für das Tarifgebiet Ost mogeln,denn für die Kommunen war vereinbart,dass es mehrere Angleichungsschrittegibt (1.7.2005: 94 Prozent, 1.7.2006: 95,5Prozent, 1.7. 2007: 97 Prozent). Die voll-

ständige Angleichung – gilt auch für dieTarifgemeinschaft der Länder – wurdebereits im Tarifabschluss von 2003 ver-einbart. Dort waren nämlich noch alle anBord: Bund, Länder, Kommunen. Für dieunteren Vergütungsgruppen soll die voll-ständige Angleichung spätestens am 31.12. 2007 und für die höheren Vergütungs-gruppen am 31. 12. 2009 erfolgen.

FöderalismusreformObwohl es in der gegenwärtigen Aus-einandersetzung vordergründig um An-gestellte geht, sitzen die Beamten mit imselben Boot. Die im Juli 2003 mit demBesoldungs- und Versorgungsanpas-sungsgesetz eingeführte „Öffnungsklau-sel“ machte es Bund und Ländern mög-lich, in ihrem jeweiligen Zuständigkeits-bereich Höhe und Zahlungsmodalitätendes Weihnachts- und Urlaubsgelds fürBeamte eigenständig zu regeln. VomHerbst 2003 an haben die Bundesländerschrittweise das Weihnachts- und Ur-laubsgeld für ihre Beamten gekürzt. AufBasis der Arbeitszeitverordnungen derLänder wurde die wöchentliche Ar-beitszeit der Beamten auf 40, 41 odersogar 42 Stunden (in Bayern) erhöht. Fürdie Beamten beim Bund gilt seit dem 1.Oktober 2004 die 40-Stunden-Woche.Urlaubs- und Weihnachtsgeld wurdengekürzt oder ganz gestrichen. Dies kön-nen die Länder per Gesetz oder Verord-nung einseitig und ohne Beteiligung derGewerkschaften beschließen, da sie sichauf den besonderen Status für Beamteberufen. Den Beamten wird im übrigen

das Streikrecht abgesprochen. Die Ge-werkschaft Erziehung und Wissenschaft(GEW) hat bereits in den neunziger Jah-ren ein Verfahren gegen das deutsche Be-amtenstreikverbot bei der InternationalenArbeitsorganisation, einer Sonderorga-nisation der UNO mit Sitz in Genf, ange-strengt. Und gewonnen. Gleichwohl hältsich die Bundesrepublik nicht daran, weilsie das entsprechende völkerrechtlicheAbkommen bis heute nicht vollständigratifiziert hat. Damit nicht genug: Diegroße Koalition wird das Besoldungs-und Versorgungsrecht vollständig födera-lisieren, also der Regelungshoheit derLänder unterwerfen. Damit wird der Fi-nanzierung nach Kassenlage ein Scheu-nentor geöffnet.

Es geht um mehrLängst geht es den Arbeitgebern nichtmehr „nur“ um die vorgenannten stritti-

gen Punkte. Sie haben Morgenluft gewit-tert. An die Stelle des Schutzes des kol-lektiven Arbeitsrechts durch Tarifver-träge soll der Einzelvertrag treten. DerFlächentarifvertrag wird offensiv in Fra-ge gestellt, sowohl von den Ländern alsauch von den Kommunen. Dagegen weh-ren sich die Beschäftigten. Die Ge-werkschaften ver.di und GEW rufen zuweiteren Streiks und Protestkundgebun-gen auf, denn tariflich geregelte Arbeits-bedingungen müssen erhalten bleiben.Die Arbeitgeber verfolgen das klare Ziel,die Gewerkschaften vorzuführen. Sie set-zen darauf, dass die Streiks in Kürze zu-sammenbrechen. Ihr Ziel ist nicht derFlächentarifvertrag für alle Beschäftig-ten, sondern sie wollen das Diktat der Ar-beitsbedingungen nicht nur für die Be-amtinnen und Beamten, sondern für alleBeschäftigten des öffentlichen Dienstes.Die Antwort der GEW darauf lautet:„Auf einen groben Klotz gehört eingrober Keil.“ Es wird alles daran gesetzt,bis zum nächsten Verhandlungstermin dieStreikaktionen gemeinsam mit Ver.dinochmals zu verschärfen. GEW undVer.di haben in den bisherigen Verhand-lungen versucht, den Arbeitgebern dieAussichtslosigkeit ihres tarifpolitischenAmoklaufes klarzumachen. Am 9. März2006 ruft die GEW zu einer zentralenStreik- und Protestveranstaltung auf. Siesteht unter dem Motto „Aus jeder Bil-dungseinrichtung vertritt ein Pädagoge,eine Pädagogin die Kolleginnen und Kol-legen“. Es bleibt spannend.

• BERND SELLIN

Es gehtummehr ...Hintergründe zum Arbeits-kampf im öffentlichen Dienst

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LEIPZIGS NEUE • 5 ‘06 • 10. MÄRZ 20064 • POLITIK

LN erreichte dieser Tage ein offenerBrief aus der Leipziger Anwalts-kanzlei Costabel & Wenniges an denLeiter des Ordnungsamtes, Dr. Beital,der sich derzeit für den Posten einesBeigeordneten der Stadt Leipzigbewirbt. Die in diesem Brief genann-ten Fakten werfen ein so bezeichnen-des Licht auf Leipziger Zustände, dasswir sie unseren Lesern nicht vorent-halten wollen (redaktionell gekürzt).

Sehr geehrter Herr Beital,auf Grund von Presseberichten haben wirzur Kenntnis genommen, dass Sie sichfür den nach dem Abgang von HerrnTschense vakanten Posten des Beigeord-neten beworben haben. In einem Inter-view mit der LVZ lobten Sie Ihre bisherigeTätigkeit und haben ganz besonders her-vorgehoben, dass die örtliche Ausländerbe-hörde vor ein paar Jahren zu der freund-lichsten und kompetentesten in der Bun-desrepublik gewählt worden ist. (...) Aber: Die Wahrheit sieht – was allen Be-teiligten klar ist – ganz anders aus. DieseBehörde gehört mittlerweile zu den lang-samsten in der Bundesrepublik. Die Be-arbeitung von Anträgen ausländischerMitbürger dauert bis zur Bescheidungdurch die Mitarbeiter Ihrer Behördeunverhältnismäßig lange.Die Bearbeitung eines Antrags auf Ein-bürgerung dauert mittlerweile über ein

Jahr, was im bundesdeutschen Durch-schnitt absolute negative Spitze ist. Di-verse Untätigkeitsklagen sind deshalbbeim hiesigen Verwaltungsgericht anhän-gig. Die Sachbearbeiter, die eigentlich dieEinbürgerungsanträge bearbeiten und be-scheiden sollten, sind zunehmend damitbeschäftigt, für die Rechtsabteilung derStadt und für das VerwaltungsgerichtSachstandsberichte zu fertigen.Darüber hinaus ist festzustellen, dass Mit-arbeiter in dieser wichtigen Behörde nurverkürzt arbeiten, d. h. 30 Stunden im Mo-

nat. Gleichzeitig erlaubt sich die Behördeaber den Luxus, zwei Wachleute einerexternen Wach- und Schließgesellschaftzu beschäftigen, die nichts anderes zu tunhaben, als während der Öffnungszeit imWartebereich zu stehen. Allein die Tat-sache, dass eine externe Security-Firmadie Behörde und ihre Mitarbeiter be-wacht, ist (...) eine Diskriminierung derausländischen Mitbürger Leipzigs, denndiese Maßnahme impliziert – zumindestunterschwellig –, dass es sich bei denausländischen Mitbürgern der Stadt um

potentielle Gewalttäter handelt.Die Aufgabe dieser Wachmänner (...) be-steht während der Umbauphase der Be-hörde und auch noch danach darin, nacheigenem Gutdünken Besuchern den Zutrittzu verweigern und auf der Straße warten zulassen. Unsere Mandanten berichteten uns,dass es den Wachmännern hierbei voll-kommen egal war, ob es draußen kalt waroder ob es regnete oder ob es den Mit-bürgern aus gesundheitlichen Gründennicht zugemutet werden konnte, draußen inKälte und Nässe zu warten. Ist das IhreVorstellung einer kundenfreundlichen undkompetenten Ausländerbehörde?Daher unser Vorschlag, der von allen un-seren Mandanten geteilt wird: BeendenSie diese diskriminierenden Maßnahmenund setzen Sie das damit eingesparteGeld in das Personal ein.Die Bearbeitungszeiten müssen zwin-gend verkürzt werden, damit nicht nochweitere Untätigkeitsklagen, die allesamtGeld und Zeit und Nerven kosten, not-wendig sind. Auch die eine oder andereDienstaufsichtsbeschwerde könnte sovermieden werden.

MIT FREUNDLICHEN GRÜßENRECHTSANWALT STEFAN COSTABEL

Von wegen kompetent und freundlichAusländerbehörde ist kein Aushängeschild für Dezernat-Bewerber Dr. Beital

LN. Der gegenwärtige Leipziger Ord-nungsamtsleiter Beital (CDU), dersich vehement als Beigeordneter inStellung bringt, fordert nun sogar, dieBürger sollten über das Beigeordne-tenamt per Bürgentscheid votieren. Damit, so der stellver-tretende Fraktionsvor-sitzende der Linkspar-tei, Reiner Engelmann, schieße derMann den Vogel ab. So viel Selbst-überschätzung, gepaart mit Unkennt-nis der Rechtslage, habe seit 1990 bis-her noch kein Leipziger Amtsleiter ge-

zeigt: „Wer sich, wie Beital, als kom-petenter Jurist versteht, sollte wenig-stens die Sächsische Gemeindeord-nung kennen, die das Verfahren zurWahl von Beigeordneten regelt. Zu-ständig ist eindeutig der Stadtrat, und

das sollte auch sobleiben. Bürgerbegeh-ren und Bürgerent-

scheide sind wesentliche Instrumen-te direkter Demokratie, sollten abernicht für die Befriedigung persönli-cher Eitelkeiten missbraucht wer-den.“

Vogel abgeschossen

Soviel Abgehobenheit wäreschon ein paar Karnevals-wagen wert gewesen an

diesem 26. Februar in Leipzig.Narren waren schließlich genugunterwegs. Wähler leider nicht.Denn zur Nachwahl der am 5.Februar ergebnislos verlaufen-den OBM-Wahl kamen nur129 243 von rund 407 000 Wahl-berechtigten. Trotz dieser Betei-ligung von nur 31,7 Prozent giltdie Wahl. SPD-Kandidat Burk-hard Jung siegte knapp vor demCDU-Kandidaten, dem Land-tagsabgeordneten Uwe Al-brecht. Dessen Linkspartei-Landtagskollege Dr. DietmarPellmann, der auch langjährigerLeipziger Stadtrat ist, warf nachdem ersten Wahlgang das Hand-tuch (wie auch der Grünen- undder DSU-Kandidat). Immerhinhatte Pellmann zur jüngstenLandtagswahl noch das Di-rektmandat in seinem Wahlkreismit über 30 Prozent geholt –ohne Unterstützung der damalsnoch nicht existierenden WASG(und in einem teils ländlich ge-prägten und durchaus schwarzeingefärbten Wahlkreis). DieWASG aber hatte nun auf einerGesamtmitgliederversammlungmit 91,3 Prozent für den Links-

kandidaten Pellmann votiert –nicht unwesentlich angesichtsnoch kommender Ereignisse ...Ungeachtet nicht weniger Igno-ranten wie ich es bin, die ange-sichts der ziemlich ähnlichenWahlaussagen und der bisheri-gen Erfahrungen mit den beidenverbliebenen Spitzenkandidaten

überzeugt sind, dass es am Endewirklich egal ist, ob im verfilz-ten Leipzig ein SPD- oder einCDU-Mann das Oberbürger-meistergehalt bezieht, gab es na-türlich schon einen ebenso star-ken wie berechtigten Willen,einen CDU-OBM zu verhin-dern. Nur, als Pellmann seineKandidatur zurückzog, war Tau-senden Linkspartei- wie WASG-Anhängern das Objekt ihrer Wahlentzogen worden. Mit wem ich auch sprach, ichstieß fast nur noch auf potentiel-le Nichtwähler. Manche begrün-deten die erste Wahlverweige-rung ihres Lebens ganz dra-stisch, sie hätten ja nun nur dieWahl zwischen Pest und Cho-lera. Tja, dem Volk aufs Maul zu

schauen kann weh tun. Tatsacheist dennoch, die Bürger reden ih-re Stadt nicht mies, wie Tiefen-see suggeriert, ihnen wurde nurschlichtweg übel, als sie nachund nach erfuhren, wie sich eini-ge ihrer „Obertanen“ benahmen,um ein jüngst in LN von Diet-rich Kittner gebrauchtes Wort zu

zitieren.Unabhängig davon akzeptierteman Dietmar Pellmanns Ent-scheidung, beim zweiten Wahl-gang nicht mehr anzutreten undverstand, dass der geachtetePolitiker keinesfalls AlbrechtsChancen erhöhen wollte. Undmancher Linkswähler hat auchden Kompromiss akzeptiert, nunlieber Jung als Albrecht zuwählen, um wenigstens von sei-nem Wahlrecht Gebrauch zumachen. Wobei auch die auffal-lend vielen ungültigen Stimmenvon Wählern, die keinem derKandidaten ihre Stimme gebenwollten, ein bedenkenswertesSignal sind.Die entscheidende Frage aberist: Wie konnte es zum Stimmen-

verlust für die in Leipzig tradi-tionell starke Linke kommen? Einen Zipfel der Wahrheit hatgewiss Sachsens Linkspartei-Chefin Cornelia Ernst nach demersten Wahlgang in einem Inter-view im Neuen Deutschlandgelüftet, als sie feststellte: „Viel-leicht sind wir bei vielen eher alsstarke Opposition gefragt“ undergänzte: „Eine generelle Emp-fehlung in dieser Hinsicht (ge-meint ist eine Wahlempfehlungder Linken für den SPD-Mann –M. W.) ist für die zweitstärksteKraft im Land nicht der richtigeWeg. Wir können nicht auf denKampf um das Bürgermeister-amt verzichten.“ Das aber ist geschehen. Nicht,dass ich mir einen Linken vor-stellen könnte, der ausgerechneteinem an den Zuständen unschul-digen Pellmann zumuten möch-te, den Leipziger Augiasstall aus-zumisten. Das könnte er ohnehinnicht. Aber Wahlstimmen sindschließlich auch ein Ausdruckfür Opposition, für Demokratie,für stärkere Mitsprache bei Ent-scheidungen im Stadtrat.Was die Wahlbeteiligung be-trifft, so ist zu vermuten, dassgerade ein beträchtlicher Teilder 21 867 Leipziger, die beimersten Wahlgang den Linkskan-didaten wählten, nun zu Hauseblieb. Siehe oben, was sollte manwählen? Jungs Ansage, Tiefen-sees Erbe fortsetzen zu wollen,missfiel ebenso wie Albrechtsklare Absicht, städtische Pfrün-

de zu privatisieren.Hinzu kam ein in der LeipzigerLinkspartei jetzt zu verarbeiten-der Frust bei einem gewiss nichtkleinen Teil ihrer Wählerschaftüber die ganz und gar nicht ver-steckte Wahlempfehlung für dieSPD, um CDU-Albrecht zu ver-hindern. Und das, nachdem Jungein Gesprächsangebot nach demersten Wahlgang höhnisch zu-rückgewiesen hatte. Verstört hat dieses Einschwenkenauf Jung, das vielen wie eine An-biederung erschien, gewiss auchWASG-Wähler und -Sympathi-santen: Viele von ihnen habeneben erst der SPD den Rückengekehrt, weil sie deren unsozial-demokratische Politik nicht mehrmitragen können – für die einBurkhard Jung als bisheriger De-zernent manches traurige Beispielgeliefert hat. Nicht einmal dievon der CDU angestrebte Pri-vatisierung weiteren städtischenTafelsilbers wird mit Jung völligzu verhindern sein. Oder?Aber schon fordert wie auf Be-stellung sein Parteifreund Stadt-radt Gunter Müller die Pri-vatisierung der LWB. Tiefenseewollte das ja „bis zum Herbst“,dem vergangenen, selbst schonentschieden haben. Nur weiterso! • MAXI WARTELSTEINER

OBM-Wahl in Leipzig.Das Volk blieb fern Vor allem wohl auch verstörte Linke, denn viele sahen sich ihres Kandidaten beraubt

Nach einer Wahlbeteiligung von lediglich 31,7 Prozentwurde Burkhard Jung von der SPD im

zweiten Wahlgang vom 26. Februar neuer Leipziger Oberbürgermeister. Er erhielt 51,6 Prozent der Stimmen.

Das sind jedoch nur 16 Prozent der Wahlberechtigten.84 Prozent wollten ihn somit nicht als OBM.

Bundesbauminister WolfgangTiefensee (SPD) bezeichneteden Sieg seines NachfolgersBurkhard Jung bei der Leipzi-ger Oberbürgermeisterwahl als„tolles Ergebnis“. Es biete„einen schönen Rückenwind fürdie künftigen Aufgaben“. Unddann hofft Tiefensee noch,dass mit dem Ende des Wahl-kampfes die „öffentliche Mies-macherei“ ein Ende habe.Leipzigs SPD-Chef GunterWeißgerber sprach inzwi-schen gar von einem „fantasti-schen Ergebnis“ ...

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LEIPZIGS NEUE • 5 ‘06 • 10. MÄRZ 2006 POLITIK / ANZEIGE • 5

Der Meinungsforscher Prof. PETER FÖRSTER infor-mierte kürzlich während einerVeranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Leipzigüber die aktuellen Ergebnisseder Befragung junger Ost-deutscher der Jahrgänge1972/73, die er im Rahmeneiner Längsschnittstudie seit1987 regelmäßig auf derBasis von Fragebögen inter-viewt.

Unter dem Titel „Die Dreißig-jährigen heute“ hatte Peter Försterbereits in Leipzigs Neue vom 5.März 2004 ausgewählte Ergebnisseder jährlichen Befragung von Jung-erwachsenen auf ihrem Weg vonder DDR in die Bundesrepubliküber einen Zeitraum von 15 Jahrenvorgelegt. Aus den Resultatenkonnte man eine wachsende Un-zufriedenheit der Mehrheit derBefragten mit der kapitalistischenWirtschaftsordnung und dem politi-schen System der BRD, Zweifel ander Zukunftsfähigkeit der Gesell-schaft und damit verbunden, abneh-mende Zuversicht, ablesen. DieseTrends haben sich, wie der Autorberichtete, in den letzten zwei Jah-ren weiter verstärkt.Als entscheidender Einflussfaktorund Hauptursache der wachsendenEnttäuschung haben sich dabeiimmer mehr persönliche Erfahrun-gen mit der Massenarbeitslosigkeitim Osten erwiesen. Bis zum Jahre 2005 erlebten 94Prozent der Befragten Arbeitslosig-keit selbst oder im Familienbereich.

35 Prozent waren mehrfach, 33 Pro-zent einmal arbeitslos. Die Arbeits-losigkeit zersetzte wie ein VirusSelbstbewusstsein und Le-bens-freude, nährte Ängste vor derZukunft, verstärkte Zweifel undhatte teilweise erhebliche nachteili-ge Folgen für die psychische undphysische Gesundheit der Befrag-ten. Diese negativen Auswirkungensind in amtlichen Statistiken mei-stens nicht ablesbar und werdenvon der Politik unterschätzt und

kleingeredet.Professor Förster berichtete, dassihm neben den Fragebögen zahlrei-che zusätzliche Meinungsäußerun-gen, Briefe und Stellungnahmen derJungerwachsenen vorliegen, ausdenen diese verhängnisvolle Situa-tion hervorgeht. Sie führte dazu,dass die Bereitschaft, Kinder zuhaben, abnimmt, die Angst vor per-sönlicher Notlage und Altersarmut(!) steigt und individuelle Frei-heiten als eingeschränkt empfundenwerden.

Mehr als die Hälfte der Befragtenist deshalb auch der Meinung, dassohne Arbeit keine Freiheit existiert.In diesem Zusammenhang ist esinteressant, dass sozialistischesGedankengut nicht aus den Köpfender jungen Ostdeutschen ver-schwunden ist. 80 Prozent sind derMeinung, dass die eigentlichenMachthaber in der BRD die großenKonzerne und Banken sind, 58 Pro-zent sind überzeugt, dass auchheute noch die Ausbeutung derArbeiter eine Tatsache ist und 52Prozent sagen sogar, es gäbe nochKlassenkampf.Die Bereitschaft zum Widerstandist im Gegensatz zu Enttäuschungund Unzufriedenheit nur langsamgewachsen. 19 Prozent der Be-fragten (1995 – 8%) waren 2005zum aktiven Protest bereit, 10 Pro-zent zum politischen Engagement.Prof. Förster ist für die umfangrei-che und fleißige Arbeit, die er inden letzten Jahren – weitgehend aufsich allein gestellt – leistete, zu dan-ken. Man darf auf die weitere Ent-wicklung seiner Längsschnittstudiein den nächsten Jahren gespanntsein. Die öffentlichkeitswirksameAuswertung der Ergebnisse stehtnoch aus.

• MANFRED BOLS

Eine lebensunfroheGeneration

Wieder wird die Schulnetzplanungder Stadt Leipzig diskutiert. DiePerspektiven und Wege bis 2015sind aufgezeichnet. Im Mai 2006 wir dieser umfangrei-che Plan durch den Stadtrat ver-abschiedet. Zur Zeit wird er in denSchulkonferenzen mit Schülern,Eltern, Lehrern diskutiert unddiese erarbeiten dazu Stellung-nahmen. In den nächsten Wochensoll er in den Stadt-be-zirks-beiräten und Ortschaftsräten unddann im Fachausschuss beratenwerden. Im heutigen LN-Beitrag wendetsich Linkspartei-Stadträtin Margit-ta Hollick nicht nachvollziehbarenPlänen um zwei Leipziger Gymna-sien zu. In weiteren Beiträgen wirdsie sich mit Problemen an Berufs-schulen sowie damit beschäftigen,ob es die Kant- und Weiße -Schulegeschafft haben oder ob sie weiter vom Mitwirkungsentzugbedroht sind.

Burkhard Jung sagte in seinem LN-Interview (LN 4’05), dass Links-fraktion und SPD in vielen schuli-

schen Absichten inhaltlich übereinstim-men, gleichzeitig bekannte er: aber nichtbeim Problem Schulschließungen. Da hater eindeutig recht.Sicher bin ich nicht in den Zwängen einesBeigeordneten oder gar künftigen Ober-bürgermeisters. Denn seit Jahren verlangtdas Sächsische Ministerium für Kultus,Leipzig solle noch mindestens ein Gym-nasium schließen; möglichst sogar zwei.Dabei ist bereits jedes dritte Gymnasiumseit 1995 geschlossen worden. Seit drei

Wahlperioden, nämlich seit die Ostwald-Schule in städtischer Trägerschaft ist (da-mals war Wolfgang Tiefensee Ober-bü-rgermeister), wurde die Sanierung dieserSchule verschleppt. Mehrmals tagte derFachausschuss in der Schule, wurden an-geblich die Geldmittel für die Sanierungeingestellt. Aber passiert ist nichts.Die Ostwald-Schule ist ein Gymnasiumin städtischer Trägerschaft, in dem Schü-lerinnen und Schüler mit mathematisch -naturwissenschaftlichen Begabungen ler-nen. Die Schule gehört in den Leistungs-wettbewerben deutschlandweit zu denerfolgreichsten Gymnasien . Das betrifftMathematik- und Chemie-Schülerolym-piaden ebenso wie Wettbewerbe imBereich der Sprachen, der Musik und desSportes. Bei der Initiative „Jugendforscht“ erhielten die Schülerinnen undSchüler immer sehr gute und gute Prä-dikate.Die äußeren Bedingungen dieser Schuleim Stadtteil Lößnig sind ungünstig. Siebesteht aus zwei Plattenbauschulen, musssaniert werden. Die inneren Bedingungendagegen sind ausgezeichnet. Die Schülerhaben Platz zum Experimentieren, zum

Forschen, zum Lernen. Die Wege zurUniversität zu den Hochschulen, mitdenen sie kooperieren, sind kurz, aberauch Entspannen und sportliche Betäti-gung zwischendurch ist möglich durchdas Landschaftschutzgebiet „Silbersee“.Die Ostwald-Schule hat ihren festen Platzin Lößnig. Die Lernatmosphäre ist sehrgut. Die Ergebnisse, siehe oben, spre-chen für sich.Sicher ist die finanzielle Situation derStadt ungünstig, aber seit sieben Jahrenruft die Verwaltung kaum noch För-dermittel aus Dresden für die Rekon-struktion von Schulen ab. Notwendige Eigenmittel zu Fördermit-teln wurden eher zur Sanierung vonStraßen statt der von Schulen eingesetzt.Die Fraktion der Linkspartei.PDS kriti-seirte das zwar in allen Haushaltsreden,konnte sich aber nicht durchsetzen. Nun soll die Ostwald-Schule endlich bes-sere Bedingungen erhalten, allerdings zuLasten von Schülerinnen und Schülernder Hertz-Schule im Leipziger Osten. ImZeitraum 2008 – 2010 sollen ihre Schü-lerinnen in das Gymnasium nach En-gelsdorf wechseln.

Dieser Umzug kostet mindestens eineMillion Euro, wahrscheinlich mehr.Würde man dieses Geld für das Ostwald-Gymnasium verwenden, wäre zudem derStadtteil aufgewertet und der Schul-Stan-dort erhalten. Studenten der Handelshochschule Leip-zig legten ein Konzept zur möglichenEinwerbung von Mitteln vor, an dem dieStadtverwaltung offenbar uninteressiertist. Aus dieser studentischen Arbeit gehtauch hervor, warum der Gymnasium-Standort Lößnig erhaltenswürdig ist.Schließlich, wer gibt schon so einenerfolgreichen Standort auf?Es ist auch nicht nachzuvollziehen, dasssich für die Schülerinnen und Schüler derHertz-Schule die Bedingungen verändernsollen. Dieses Gymnasium wertet denLeipziger Osten auf, gibt ihm und denStandort Paunsdorf für Familien mit Kin-dern Zukunft. Auch an dieser Schule wirdseit Jahren eine kreative pädagogischeArbeit geleistet. Die Absicht, alle Klassen eventuell nachEngelsdorf umzusetzen, ist nicht durch-setzbar. Engelsdorf hat seine Platzkapa-zität bis 2010 auf jeden Fall ausgelastet.Will man dort etwa investieren? Wozu?Woher kommt das Geld, dass man dochfür die Ostwald-Schule nicht aufbringenkann, oder will? Das wären eine nichtnachvollziehbare schulpolitische Ent-scheidung, aus der für niemandem Nut-zen erwächst.Die Mitglieder der Links-Fraktion werbendeshalb für den Erhalt beider Gymnasienan ihrem Standort, auch wenn der neueOBM und bisherige Schuldezernent eineandere Meinung zu Schulschließungen hat

• MARGITTA HOLLICK

Die Frage ist nicht:

Ostwald-Schule oder Hertz-Schule

Leipzig braucht beide Gymnasien an ihrem Standort

Mehr als die Hälfte derBefragten ist deshalb auch

der Meinung, dass ohneArbeit keine Freiheit existiert.

Die FDJ feiert am 7. März ihren 60.Geburtstag.

Herzlichen Glück-wunsch!

Ja, die Freie Deutsche Jugend gibt es noch. Und dersozialistische Jugendverband ist sogar ziemlich aktiv.Unter www.fdj.de findet sich viel Mutmachendes,auch dieser Standpunkt:„Wollt ihr etwa die DDR wiederhaben?“ fragt manuns und wir sagen:Wir wollen: Einen Staat, in dem man nicht länger vorHartz & Rürup und all den anderen Knechtern undLohndrückern Angst haben muss! Einen Staat, indem das alles, diese verlogene „soziale“ Markt-wirtschaft abgeschafft wird! Einen Staat, in dem esSinn macht, zu lernen, zu studieren, zu arbeiten, wojede Hand, jeder Kopf gebraucht wird, ohne Mas-senarbeitslosigkeit! Einen Staat, in dem Kinder nichtlänger zum Kostenfaktor erniedrigt sind. In dem Frau-en Hochschulen besuchen, statt am Herd zu versau-ern! Einen Staat, den wir gemeinsam planen, selberentscheiden, über den Reichtum, den wir gemeinsamschaffen! Einen Staat ohne eine Hand voll Milliardärehier und Millionen Arme dort! Einen Staat, in dem dieFabriken und all das, was wir erarbeiten, uns gehört!Einen Staat, in dem die Konzerne und Banken, dieSiemens, Daimler & Deutsche Bank, die sich anunserer Arbeit bereichern und zwei Weltkriege ange-zettelt haben, endlich enteignet werden! Einen Staat,in dem der Frieden Grundsatz ist! Einen Staat, derkompromisslos gegen Nazis vorgeht, gegen die mitKnüppeln und die hinter Schreibtischen! Einen Staat,der Menschen nicht abschiebt, sondern sie willkom-men heißt, in dem Völkerfreund-schaft Grundsatz ist!Einen Staat, in dem all denen der Mund verbotenwird, die nach „Ostgebieten“ brüllen und in Lands-mannschaften Blut und Boden frönen! Einen Staat,der überall dort hilft, wo man den Menschen nochbedrängt! Einen Staat eben, für den man sich ande-ren Orts nicht schämen muss. ...

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LEIPZIGS NEUE • 5 ‘06 • 10. MÄRZ 20066 • POLITIK

21. FebruarDresden. Der amtierende Landeschefder rechtsextremen „Republikaner“, Ma-rio Heinz, hat seinen Vorgänger MartinKohlmann wegen der Unterschlagungvon Parteigeldern angezeigt. Die Staat-sanwaltschaft Chemnitz ermittelt in die-ser Sache und wegen Urkundenfälschungim Zusammenhang mit Unterstützer-unterschriften zur Bundestagswahl. 22. FebruarDresden. Vor der Abstimmung im Stadt-rat über den Verkauf der städtischenWohnungsbaugesellschaft Woba an dieFortress Deutschland GmbH warnen derder DGB Dresden, der Deutsche Mieter-bund und eine Mieterinitiative vor dennegativen sozialen, städtebaulichen undfinanziellen Folgen.23. FebruarDresden. Der Präsident der Landes-ärztekammer, Jan Schulze, lehnt namensder Ärzte das am 1. April in Kraft tretendeArzneimittelsparpaket ab, „weil hier nichtmehr der medizinische Bedarf, sonderndie Ökonomie im Vordergrund steht“.Leipzig/Heuersdorf. Die MitteldeutscheBraunkohlegesellschaft kündigt die Ein-

leitung von Grundabtretungsverfahrengegen die Bewohner an, die bis Ende2006 nicht zur Umsiedlung bereit sind.Im Ort wohnen noch 88 Bürger, 43 wei-gern sich umzuziehen.Leipzig. Für die Automesse AMI habensich 450 Aussteller angemeldet. Die Aus-stellungsfläche ist um drei Prozent auf130 000 Quadratmeter gewachsen.Kamenz. Nach Mitteilung des Statisti-schen Landesamtes wurden 2005 inSachsen 166 152 fabrikneue Autos zuge-lassen, 1,4 Prozent mehr als 2004. 85Prozent der neuen Autos sind PKWs.24. FebruarDresden. Umweltschützer ermitteln eineÜberschreitung der Feinstaubkonzentra-tion, die die EU-Grenzwerte um dasDreifache überschreitet.28. FebruarDresden. Im Fall der wochenlang von

einem Sexualstraftäter verschleppten 13-jährigen Stephanie gesteht die PolizeiErmittlungsfehler ein. Wegen eines Re-cherchefehlers eines Ermittlers sei der Tä-ter durch das Fahndungsraster gefallen.Dresden. Die Landesregierung stimmtdem Projekt „Begleitetes Fahren ab 17“zu. Die Ausbildung an Fahrschulen kannmit 16 Jahren begonnen werden.1. MärzDresden. Das von Kultusminister Flathinitiierte Gesetz über die Finanzierungder 295 Freien Schulen in Sachsen, dasbereits vom Kabinett bestätigt werdensollte, ist fraglich geworden. Nicht nurdie Landtagsopposition lehnt das Gesetzwegen der Mittelreduzierung ab, auchAbgeordnete von SPD und CDU könnendie Vorschläge nicht akzeptieren.Dresden. Aus einer Antwort von Finanz-minister Metz auf eine FDP-Anfrage

geht hervor, dass in Sachsen 2005 nur 9,7Prozent der Beamten bis zum 65. Le-bensjahr gearbeitet haben. 2. MärzDresden. Abfallexperten aus Tschechienund Deutschland und Vertreter des Zollsvereinbaren wirksamere Kontrollen zurVermeidung illegaler deutscher Müll-transporte nach Tschechien.Dresden. Eine Studie offenbart neueFakten zur Affäre um die Landesver-sicherungsanstalt: Leitende Mitarbeiterdes Reha-Bereichs haben seit 1993 Ge-schenke der ehemaligen Betreiberin ei-ner Klinik in Brandis angenommen.Borna. Die Stadt zieht die Baugenehmi-gung für eine von Rechtsextremen ge-plante Gedächtnisstätte zurück. Der Bau-herr geht in Widerspruch.3. MärzLeipzig. Mit der Abweisung der Scha-denersatzklage des Unternehmers Haus-bacher über 140 Millionen Euro gegendie Landesbank Sachsen und dessen an-gekündigtem Revisionensantrag geht derlangandauernde Streit, bei dem auch Mi-nisterpräsident Milbradt und Minister Metzunter Druck gerieten, in eine neue Runde.

SSACHSENACHSEN-C-CHRONIKHRONIK21. Februar bis 6. März

Frau Merkel und ihre Große Ko-alition haben gerade ihre erstenhundert Tage beendet. Bei de-nen ist auch der Fasching vor-bei. Bereiten wir uns endgültigauf die Fastenzeit vor und war-ten wir gespannt auf die Oster-eier, die uns diese Koalition ver-stecken wird. Wie es aussieht,könnten sie allesamt faul sein.

*Der seit letztem Sonntag nunendgültig ehemalige LeipzigerOberbürgermeister hätte sichdurchaus Asche auf’s Hauptstreuen können angesichts desvon ihm zu verantwortendenNiedergangs von Leipzig ...Viel Staub aufgewirbelt, kaumetwas dafür bekommen, ist dasFazit seiner Amtszeit. Der Filzin der Stadt verschluckt nochden Lärm um nichts. Zur Ober-bürgermeisterwahl, der Wahlzum zweitwichtigsten Amt imFreistaat, wie Herr Milbradtmeinte, kommt allerdings gera-de noch ein Drittel der Wahl-berechtigten. Und da will mirHerr Stoiber Staub in die Augenblasen mit seinem „die Deut-schen fassen wieder Vertrauen

zur Politik“. Das Vertrauen istversunken – z. B. im tiefen Seeund bei Lehmann in der Grube.

*Manchmal werde ich den Gedan-ken nicht los, dass wir Ost-deutschen Bananen wollten undeine Bananenrepublik bekom-men haben. ... Der OBM wurdeschließlich von etwas mehr als15% der Wahlberechtigten ge-wählt. Und der Kandidat, der100% Leipzig schrie, bewegtedamit nicht einmal mehr ganze14%. Wenn wir eine Entwick-lung zulassen, bei der, wie inLeipzig, am Ende sich nur mehrSPD und CDU als angeblicheAlternativen gegenüberstehen,wenn wir Große Koalitionen alsdie angeblich beste Lösung inschwierigen Zeiten ansehen unddem nichts entgegen zu setzenhaben, werden wir einen Weggehen, der uns am Ende zweiStaatsparteien beschert undnicht nur eine.

*Wir haben eine Polizeiführung,die lässt in falsche Wohnungeneindringen und dabei zweiHunde erschießen. Soll sie aber

dafür sorgen, ein entführtes undgequältes Mädchen zu findenund zu befreien, so fehlen ihrAdressen einschlägig Vorbe-strafter und die Wohnungstürmuss erst ein Schlüsseldienstöffnen. Und dass es unter derSPD keinen Deut besser wäre,zeigen die Zustände in ihremkleinen Artenschutzgebiet Leip-zig. Ich sage nur Olympiabe-werbung, Tschense, Kaminski,LWB, Beschäftigungsgesell-schaft, LVB usw. usw.

*Der Staubaufwirbler Stoiberverkündet uns, die Deutschensind optimistischer geworden.Ich frage welche? Die Hartz-IV-Betroffenen, die Arbeitslosen,die ungeliebten Alten, die per-spektivlosen Jungen?

*Zeigt doch mal jenen, die ausihren Vermögen schon langekeine Verpflichtungen mehr fürdie Allgemeinheit ableiten, we-nigstens, wie wichtig Aschemän-ner sind. Wann bricht eigentlichfür die großen Konzerne und ih-re Aktionäre, Aufsichtsräte undVorstände eine Fastenzeit an?

Zeigt, wie wichtig Aschemänner sind!Aus Peter Porschs Aschermittwochrede in Chemnitz

ZeugnisverweigerungLN. Der Verfassungs- undRechtsausschuss des Landtagesberiet vorige Woche über denAntrag der Linksfraktion.PDS„Pressefreiheit wirksam schüt-zen“. Dabei geht es um die Aus-weitung des Zeugnisverweige-rungsrechts auf Journalisten undihren Schutz vor Ausforschungdurch die Ermittlungsbehörden.Dem Vorschlag wurde miteinem mehrheitlich beschlosse-nen Änderungsantrag von CDUund SPD zugestimmt, wonachdie Staatsregierung beauftragtwird, sich auf Bundesebene füreine Harmonisierung der Vor-schriften zum Zeugnisverwei-gerungsrecht einzusetzen.

Streichkultur In der jüngsten Sitzung desLandtags-Ausschusses fürKultur hat der Sprecher derLinksfraktion.PDS, Dr. VolkerKülow, auf die komplizierteSituation der Kulturhauptstadt-bewerbung aufmerksam ge-macht, die nach den massivenKürzungsvorschlägen des Re-gierungspräsidiums für dieHaushaltskonsolidierung derStadt Görlitz entstanden ist:„Die Horrorstreichliste des Re-gierungspräsidiums, die u. a.die Schließung des GörlitzerTheaters beinhaltet, zeigt dasjanusköpfige Agieren derStaatsregierung bei der Be-werbung. Einerseits erklärt sieimmer wieder verbal ihre volleUnterstützung; andererseitstorpediert das dem Innen-ministerium unterstellte Regie-rungspräsidium faktisch aufder Zielgeraden diese Bewer-bung, indem Görlitz im Kul-turbereich Kürzungen in Millio-nenhöhe zugemutet werden.In diesem Kontext ist es sehrbedauerlich, dass die Mitglie-der der Regierungsfraktionenin der heutigen Ausschuss-sitzung dieses doppelzüngigeSpiel mitgemacht, den verord-neten Zwangskurs zur Haus-haltskonsolidierung rückhalt-los verteidigt und damit Görlitzden Schwarzen Peter zuge-schoben haben. MinisterinLudwig ist nunmehr dringendaufgefordert, mit dem Innen-ministerium eine Regelung zufinden, die die Kulturhaupt-stadtbewerbung nicht weitergefährdet.“

Im Februar wurdesowohl im Leip-ziger Arbeits-agenturbezirk mit79 466 (+ 582) alsauch in ganzSachsen mit 428 413 (+ 8180)die Anzahl der registrierten Er-werbslosen vom Januar noch ein-mal übertroffen. Gegenüber demVorjahr scheint es jeweils eineVerbesserung zu geben, aberdurch die Herausnahme der Ar-beitsgelegenheiten (1-Euro-Jobsnach Hartz IV) aus der Statistikist eine exakte Vergleichbarkeitnicht mehr gegeben. Nachdem MinisterpräsidentMilbradt zu Jahresbeginn be-hauptet hatte, mit der Einführungvon Kombilöhnen könne dieZahl der Arbeitslosen minde-stens halbiert werden, musstejetzt Arbeitsminister Jurk einge-stehen, dass die sächsische Re-gierung gar kein eigenes Kom-bilohn-Modell hat. Der sächsische DGB-Vorsit-zende Hanjo Lucassen zeigtesich angesichts der aktuellenArbeitsmarktzahlen besondersbesorgt über den weiterenAnstieg der Jugendarbeitslo-sigkeit, von der rund 51 000Personen betroffen sind. Er kri-tisierte die Qualität der An-gebote an offenen Stellen, sieseien häufig veraltet.Im Leipziger Agenturbezirk wa-ren im Februar die ABM-Stellen(– 107) und Fortbildungsstellen(– 175) rückläufig. Gestiegen istwieder die Anzahl an Lang-zeitarbeitslosen – um 1374. Obder Zugang an gemeldeten frei-en Stellen gegenüber Januar (+475) und der Bestand an freienStellen (+ 502) einen positivenTrend markiert, muss sich inden nächsten Monaten ersterweisen. • G. L.

Leipziger und sächsischerArbeitsmarkt im Februar

Trist und ohneLichtblicke

LN. Nach dem geplanten Haus-haltsbegleitgesetz 2006 sollendie Bundeszuweisungen für denSchienenpersonennahverkehr inSachsen, die sogenannten Regi-onalisierungsmittel, bis 2009schrittweise um 2,3 MilliardenEuro jährlich auf unter 5 Milli-arden Euro gekürzt werden. „Wenn das wahr würde“, er-klärte MdL Monika Runge,Linksfraktion.PDS, „müsstendie fünf Verkehrsverbünde inSachsen bis 2009 jeden viertenRegionalzug abbestellen. Schonfür das laufende Haushaltsjahrergeben sich riesige Probleme.“Sie weist darauf hin, dass die

Regionalbahnen bereits zweiMonate in dem Rahmen fahren,in dem gemäß Gesetz zur Re-gionalisierung des öffentlichenPersonenverkehrs bisher dieZuweisungen des Bundes er-wartet werden. Insbesondere betroffen wäre derinfolge massenhaften Schul-schließungen seit Beginn desletzten Schuljahres ausuferndeSchülerverkehr. Denn 30 der 53Millionen Euro, die in diesemJahr im Staatshaushalt zurPreisstützung im Schülerver-kehr bereitstehen, stammen ausden Einnahmen an Regionali-sierungsmitteln.

Jeder vierte Regionalzug fiele aus

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LEIPZIGS NEUE • 5 ‘06 • 10. MÄRZ 2006 POLITIK • 7

Dienstagmorgen, 28. Februar.Nachrichtenprogramme melden:Baden- Württembergs Minister-präsident Oettinger habe vorge-schlagen, die Studenten seinesBundeslandes für ein paar Semes-ter nach Ostdeutschland zuschicken, damit sie auch einmal inden Genuss von leeren Hörsälenkommen können. Die sächsischeRegierung habe sich daraufhinwohlwollend zu dem Vorschlaggeäußert und mitgeteilt, dass siedies überprüfen möchte.

Überprüfen wir besser selbst – amBeispiel der Universität Leipzig.Seit der 30prozentigen Haus-

haltssperre von 2003 sind Lehrstühlegestrichen, Veranstaltungen ebenfalls,aber die Studentenanzahl pro Dozent hatsich erhöht. 2005 konnte weder Geld noch Personalaufgebracht werden, um VWL-Diplo-manden eine Verteidigung zu bieten. In Chemie werden vom ersten Semesteran Praktika gekürzt, um wenigstens allenStudierenden auch die Möglichkeit zugeben, sich praktisch im Labor zu betäti-gen. Zudem hat sich die Studentenzahlinnerhalb der letzten fünf Jahre mehr alsverdoppelt. Da keine neuen Betreuer ein-gestellt werden können, gibt es demzu-folge auch keine optimale Betreuung. Vorallem für die Erstsemestler in den Labo-ren wäre dies sehr wichtig. Teilweisemüssen die Assistenten einspringen. Dadie meisten Studenten zum Winter-semester an die Hochschule stürmen,haben die wissenschaftlichen Assistentennur noch im Sommersemester wirklichZeit, sich einer ihrer wichtigsten Auf-gaben zu widmen – dem Forschen. DieAnzahl der Praktikumsstunden ist von 21auf 15 reduziert worden, d. h. die Zeitwurde um ein Viertel gekürzt. Teilweisemüssen studentische Hilfskräfte zusätz-lich dafür sorgen, dass die Betreuunggesichert ist. In verschiedenen Fakultäten werdenPflichtvorlesungen mehrmals gehalten,damit jeder Student der jeweiligen Stu-dienrichtung wenigstens die Chanceerhält, dabei gewesen zu sein. So auch inGermanistik. In diesem Fach kommenauf 3000 Studenten 12 Professoren, einpaar Gastlehrer und Assistenten.Inzwischen sind einige Fächer nur nochüber einen Numerus clausus zu belegen.Unter anderem Germanistik im Lehramt-bereich. So immatrikulieren sich statt1000 pro Jahr nur noch 650 Studenten.Doch auch das Lehrangebot in diesemFach wird spärlicher. Erst kürzlich isteine Professorin verstorben, so dass die-ser Lehrstuhl wieder einmal gestrichen

werden konnte. Meist warten die Uni-versitäten darauf, dass ein Professor einesLehrstuhls abtritt, damit der ganze Lehr-stuhl gestrichen werden kann. So kommtes, dass eine ganze Anzahl von Lehrver-anstaltungen auf einmal nicht mehr ange-boten wird. Die Studenten sind dadurchgezwungen, intensiver als zuvor, Selbst-studium zu betreiben. Mit dem Wegfall der Professorenstellengehen nicht nur die Professoren. Alle wis-senschaftlichen Mitarbeiter und Hilfs-kräfte müssen sich genauso von der Uni-versität verabschieden. In Germanistikfallen bis 2008/09 z. B. vier Stellen weg,an diesen lehrten und forschten auch dreiwissenschaftliche Mitarbeiter, die denStudenten durch Seminare vertrautwaren. Nur eine wissenschaftliche Mitar-beiterin schafft die vollständige Inte-gration ins Institut, die anderen an denbetroffenen Lehrstühlen müssen gehen.

FächersterbenAuch wenn die Lehrveranstaltungennicht mehr angeboten werden, in den Prü-fungen ist das Fach dennoch für eineWeile noch vertreten. Meistens lässt manLehrstühle und unliebsame Fächer ein-fach auslaufen. Beispiel dafür ist die Nie-derlandistik: Seit zwei Jahren gibt eskeine Immatrikulationen mehr. Die Stu-denten, die sich für das Fach immatriku-liert haben, finden immer weniger opti-male Lehrveranstaltungen. Die Uni war-tet nur darauf bis die letzten ihre Prüfungabsolviert haben. Und dann ist es so, als

hätte es dieses Fach niemals gegeben. Ein ähnliches Problem spitzt sich bei denHistorischen Hilfswissenschaften zu. Seitletztem Sommersemester ist es nur nochals Nebenfach möglich, obwohl ungefähr90 Studenten immatrikuliert sind. DiesesFach wird nur noch über Lehr-Vertre-tungen aufrechterhalten, bis es ganz ver-schwindet. Raritäten, die die Uni Leipzig als einebesondere Adresse darstellen, werdenauch nicht immer vor den Einschnittenverschont. So wurde im September 2003im Historischen Seminar der Lehrstuhlfür Byzantinistik gestrichen. Diesen hatteeine wahre Koryphäe innegehabt – Prof.Klaus Peter Matschke. Die Uni war inDeutschland eine der wenigen – wennnicht die Einzige – die diesen Ruf fürByzantinistik genießen konnte. Dochnach seiner Emeritierung wurde derLehrstuhl abgeschafft. Matschke hattesehr wohl mögliche Nachfolger im Auge,aber eben nicht die Strichlistenverfasser.

Kein Geld, kein ExamenEs ist ja nicht einmal mehr Geld fürPflicht-Exkursionen da, so dass die Stu-denten diese aus eigener Tasche bezahlenmüssen. Man stelle sich für die Geogra-phiestudenten eine Exkursion (die auchvorgeschrieben ist) nach Russland vor.Wer von den Pflichtteilnehmern die 1000bis 2000 Euro nicht auftreiben kann, fürden gibt es keine Exkursion und folglichkeine Chance auf Prüfung.Aufgrund der schwindenden Gelder kann

nur noch das allgemeine Programm ange-boten werden, ohne Neuerungen oderExtras. Ein Polylux für vier Seminareoder ein bis zwei Beamer für ein ganzesSeminargebäude ist inzwischen ein schierunfinanzierbarer Luxus.

Vertrags-TricksereienDa die Uni sich unbefristete Lehrkräftenicht leisten kann, ist sie gezwungen zuTricks zu greifen. Im Beamtengesetzsteht, dass Beamte (in diesem Fall: Pro-fessoren) nur für eine gewisse Zeit immerwieder neu an derselben Institution ein-gestellt werden können. Das bedeutet:Werden sie dann nach einer bestimmtenAnzahl von Jahren ein weiteres Mal wie-der eingestellt, könnte ihr befristeterArbeitsvertrag in einen unbefristetenumgewandelt werden. Da unbefristeteStellen höhere Gehälter verlangen, ver-sucht die Universität dem entgegen zuwirken, indem sie nach dieser Anzahl vonJahren eine solche Stelle einfach miteiner neuen Lehrkraft besetzt. Die erhältdann möglicherweise wieder für jeweilsein Semester in dieser bestimmten Zeiteinen unbefristeten Vertrag mit der Uni-versität. Die Lehrkräfte werden also nichtaufgrund gravierender Fehler ihrerseitsnicht mehr eingestellt, sondern weil ihreZeit als befristete Arbeitskräfte einfachabgelaufen ist.Hilfskräfte werden nach und nach gestri-chen und somit auch die Tutorenstellen.Ein Tutorium dient dazu, dass sich derStoff bei dem Studenten verfestigt. Letzt-endlich bedeutet das für den Studentenmehr Selbststudium, weniger Ansprech-partner.Und das, obwohl es gerade Studenten ausdem Historischen Seminar geschafft ha-ben, eine eigene studentische Beratungauf die Beine zu stellen. Ein nicht zu un-terschätzender Vorteil dieses Angebots:Für noch unerfahrene Studenten ist dieHemmschwelle viel niedriger, bei ihres-gleichen Rat einzuholen, als bei einemProfessor, der sich eher mit Härtefällenbeschäftigt. Doch wo kein Geld – da keine Hilfe. Da muss schon mal der Geschäftsführerdes Historischen Seminars mit dem Klin-gelbeutel bei seinen Kollegen vorbei-kommen, damit dieses Extra – eine Bera-tung von Studenten für Studenten – wei-terhin bestehen bleiben kann.Beispiel für solche unversitären Unmög-lichkeiten füllen Seiten. Aber die sächsi-sche Staatsregierung meint, in die über-füllten und dazu finanziell ausgezehrtenUnis noch weitere Studenten stopfen zukönnen. Von Eliteuniversitäten kann dannwirklich keine Rede sein.

• NADJA KELLNER

Macht sich Baden-Württembergs Ministerpräsident lustig über Ost-Universitäten – oder was sonst soll seine Idee?

Kommt her, wirhaben noch Platz!

Während einerDemonstrationaufgebrachterStudeten derBerliner Hum-boldt-Universitätgegen Rotstift-pläne des rot-roten Senats

Leipzig liest! Donnerstag, 16. März, 18.30 Uhr, Leipzig Der fränkische Reiter. Dingsda Verlag Leipzig 2005. Reinhold Andertwird über die frühe Geschichte Mitteldeuschlands singen und erzählen. Harkortstr. 10, Bibliothek, Keller! Freitag, 17. März, 19 Uhr, Leipzig Clemens Burrichter, Detlef Nakath, Gerd-Rüdiger Stephan (Hrsg.) Deutsche Zeitgeschichte von 1945 bis 2000.Gesellschaft - Staat - Politik. Ein Handbuch. Karl Dietz Verlag Berlin 2006. Mit Dr. Detlef Nakath und Prof. Dr. JörgRoesler, Berlin. Moderation: Prof. Dr. Kurt Schneider . Harkortstr. 10! Sonnabend, 18. März, 11 Uhr, Leipzig Michael Benjamin. Das Vermächtnis – Zeugnisse eines Sozialisten. Hrsg. von Werner Wüste, Edition Ost 2006.Harkortstr. 10, Bibliothek, Keller! Sonnabend, 18. März, 11 Uhr, Leipzig Andreas Heyer: Die Utopie steht links! Ein Essay. Zur Geschichte der neuzeitlichen politischen Utopie. Texte 26der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Karl Dietz Verlag Berlin 2006. Mit dem Autor Dr. Andreas Heyer. Harkortstr. 10! Sonntag, 19. März, 11 Uhr, Leipzig Kapitalismuskritik als Verfassungsgebot. Daniela Dahn stellt Thesen aus ihren Büchern vor. In Zusammenarbeit mitAttac Leipzig. Schaubühne Lindenfels, Karl-Heine-Str. 50

... In der vorangegangenen Debatte hatte der Lan-deschef der WASG Andreas Hähle betont, der Prozesszur Bildung einer gemeinsamen Partei sei unumkehr-bar. Es gebe keine andere Chance, ,Althaus und Kon-sorten über den Jordan zu jagen‘. Gemeinsam mitHessen solle ein ,rotes Bollwerk‘ geschaffen werden.Dieser Diktion mochte der Fusionsbeauftragte derLinkspartei, der Bundesabgeordnete Bodo Ramelow,nicht folgen. Er träume nicht von einem roten, sondernvon einem solidarischen Bollwerk in der MitteDeutschlands.“

Über den Thüringer Landesparteitag der Linkspartei. PDS,

NEUES DEUTSCHLAND, 6. März

BEI ANDEREN GELESEN

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LEIPZIGS NEUE • 5 ‘06 • 10. MÄRZ 20068 • LEIPZIGER BUCHMESSE

Ich nehme als 1930 Geborener diesesBuch in die Hand und erinnere michunwillkürlich an die liebenswürdige

und dennoch so schweigsame Frau Gold-mann, die in der Breslauer Andersen-straße 66 einen kleinen armseligen Ladenunterhielt. In ihm konnte ich für bis zu 3Pfennige geringe Süßigkeiten kaufen -für mehr reichte es bei mir nicht, meineEltern waren arm. Eines Tages war derLaden geschlossen und der Vermieterbaute ihn zu einer Wohnung um. FrauGoldmann war Jüdin.Was ich damals nicht verstand, begriffich erst nach dem Faschismus. Filme undTheaterstücke, so Nathan der Weise”, tru-gen dazu bei, wie auch Bücher und zeit-geschichtliche Dokumente. Und jetzt die-ses Buch “Zeugnisse des Holocaust“.Yad Vashem, die Gedenkstätte für Holo-caust und Heldentum, wurde aufgrundeines Gesetzes gegründet, das von derKnesset, dem israelischen Parlament, am28. August 1953 verabschiedet wurde.Dieser Ort am Har HaSikaron, dem Bergdes Gedenkens in Jerusalem, ist das welt-weite jüdische „Zentrum für die Erinne-rung an Holocaust und Heldentum”, einzutiefst bewegendes jüdisches Symbolder Mahnung und Hoffnung für die ganzeWelt, wichtig seit eh und je.Das vorliegende Buch, ein Katalog derüberarbeiteten und erweiterten Ausstel-lung, führt den Leser durch die Etappendes Holocaust, wie sie in Yad Vashemdargestellt sind. Es zeigt die jüdischeWelt vor dem Zweiten Weltkrieg und dieantijüdische Politik der Nationalsozialis-ten, Deutschland als rassistischer Staat.An einer Eisenbahnbrücke prangt großdas Schild „Der Jude ist unser Unglück,

er bleibe uns vom Leibe”. Und bei Hitlerist zu lesen, dass „die Personifikation desTeufels als Sinnbild alles Bösen die leib-haftige Gestalt des Juden annimmt“. Wasdann kam, war voraussehbar: die Ghet-tos, die Deportationen und Vernichtung inden Todeslagern, die Strategie der Endlö-sung”Die mörderischen Befehle, denen übersechs Millionen Juden zum Opfer fielen,wurden in deutscher Sprache gegeben.Die Welt erlebte die Abtötung allermenschlichen Werte in deutschen Men-schen. In Yad Vashem ist es dokumen-tiert, wofür die Überlebenden des Holo-caust ihre persönlichen Erinnerungen,Bilder und Dokumente der Gedenkstätteanvertraut haben. So lese ich: “Die Men-schen sind fort - doch ihre Spuren sindgeblieben.” Auch das ist ein Sieg überden deutschen Faschismus, der nicht nurdie jüdischen Menschen, sondern auchallerorts ihre Lebensspuren ausrottenwollte.Und Juden retteten Juden, und es gabnicht-jüdische Retter, Gerechte unter denVölkern. Ebenso gab es, wie dokumen-tiert wird, Juden in Partisanenverbänden,Widerstandsorganisationen und in denArmeen der Alliierten. Zu letzterengehörte die auf Initiative von WinstonChurchill gebildete Jüdische Brigade,

eine britische Militäreinheit für jüdischeFreiwillige aus Palästina. In der RotenArmee kämpften, das war mir so nichtbekannt, etwa 500 000 jüdische Soldaten.Annähernd 120 000 fielen im Kampf, weitere80 000 wurden als Kriegsgefangene von denDeutschen ermordet. Mehr als 160 000 jüdi-sche Soldaten erhielten militärische Auszeich-nungen, über 150 von ihnen den Titel “Heldder Sowjetunion“, die höchste Auszeichnung,die die Rote Armee zu vergeben hatte.Es ist unmöglich, an dieser Stelle aufalles einzugehen, was das Buch beinhal-tet. Man sollte es als eine Dokumentationbegreifen, die dazu beiträgt, das Anliegen

Yad Vashem zu verinnerlichen, dafür zuwirken, dass sich derartiges nie und nim-mer wiederholen kann. Wer den Holo-caust leugnet oder ihn diffamiert, in wel-cher Art und Weise auch immer, handeltjenseits von geschichtlicher Wahrheit undihrer Lehren.

• KURT SCHNEIDER

Zeugnisse des Holocaust. Gedenken inYad Vashem. Hrsg. von Bella Gutter-man und Avner Shalev. Hergestellt inIsrael. Yad Vashem, Jerusalem/Wall-stein Verlag, Göttingen 2006. 326 S.,1000 Abb., brosch, 24 x 28 cm, 34 Euro

Die mörderischen Befehle wurdenin deutscher Sprache gegeben

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Rund 2150 Aussteller aus 33 Ländernkommen zur diesjährigen Leipziger

Buchmesse auf eine um acht Prozent auf53000 Quadratmeter vergrößert Fläche.„Die großen Verlage investieren wiederstärker in Leipzig, aber noch mehr Zulaufhat die Buchmesse bei den kleineren und mittlerenVerlagen", sagt Oliver Zille, Direktor der LeipzigerBuchmesse. Das zeige sich auch im diesjährigenMesseprogramm: „Leipzig bietet schon seit Jahrendas beste Forum für die junge deutschsprachigeLiteratur. In diesem Jahr setzen wir ganz beson-ders auf neue, innovative Veranstaltungsformen fürjunge Verlage und noch zu entdeckende Autoren.“So machen denn auch 40 junge deutschsprachigeAutorinnen und Autoren die zweite „Lange Leip-ziger Lesenacht“ – kurz L3 – zum Forum für auf-strebende Schriftsteller und neue deutsche Li-teratur. Gelesen wird in Parallelveranstaltungen ab18 Uhr auf allen Bühnen der Moritzbastei. Mit dabeisind Juli Zeh, Clemens Meyer, Leonie Swann undReinald Grebe. Außerdem lesen junge Studierendedes Deutschen Literaturinstitutes Leipzig (DLL)sowie Studenten des Studiengangs KreativesSchreiben/Kulturjournalismus aus Hildesheim.

Vor allem aber ist die Leipziger Buchmesse mitihrem Lesefest „Leipzig liest“, dem größten Lite-raturfest Europas, untrennbar verbunden. An mehrals 250 Spielstätten in der Stadt wird gelesen, dis-kutiert oder einfach nur still genossen. Im diesjähri-gen Rahmenprogramm stehen mehr als 1800 Ver-anstaltungen und über 1500 Mitwirkende. Dabeisind die mit Spannung erwarteten neuen Romanenationaler und internationaler Stars ebenso zu fin-den wie interessante Belletristik-Debüts und zahl-reiche Sachbücher. Umfangreicher denn je stellt sich das internationa-le Messeprogramm dar. So präsentieren sich erst-mals die Länder Slowenien und Ukraine. Zu denukrainischen Autoren gehören Andrej Kurkow,Oksana Sabuschko, Serhij Zhadan und Juri And-ruchowytsch.Die Leipziger Buchmesse ist ( und war schonimmer) für die osteuropäische Buchwelt das Tor

zum Westen. Sie bietet ihnen ein großesForum für die Vermittlung ihrer Literaturenin den deutschsprachigen Buchmarkt",unterstreicht auch Buchmesse-DirektorOliver Zille. Seit dem vergangenen Jahr wird während

der Messeeröffnungs-Veranstaltung auch der Leip-ziger Buchpreis zur Europäischen Verständigungverliehen. In diesem Jahr erhält der ukrainischeSchriftsteller, Dichter, Essayist und Übersetzer JuriAndruchowytsch den mit 15 000 Euro dotiertenPreis. Die Laudatio hält Ingo Schulze. Vergebenwird der Preis seit 1994 von der Stadt Leipzig, derLeipziger Messe GmbH, dem Freistaat Sachsenund dem Börsenverein des Deutschen Buchhan-dels e.V. Mit 82 Ausstellern aus acht Ländern kann die Leip-ziger Antiquariatsmesse im zwölften Jahr ihresBestehens ihre erfolgreiche Entwicklung fortsetzen.Die „Messe in der Messe“ bietet Schätze aus 500Jahren Buchdruckkunst. Das Angebot richtet sichan Bücherliebhaber mit den unterschiedlichstenInteressen, aber auch an Sammler von Kinder- undReiseliteratur. Freunde der Photographie und Gra-phik der Moderne werden mit Sicherheit fündig.

Leipziger BuchmesseLeipziger Buchmesse16. bis 19. März 2006

Vier Jahre war Egon Krenzinhaftiert. Hat ihn die Haft

verändert, fragt ihn ein Inter-viewer zu Anfang des B-ches. Ja,natürlich, antwortet das Ex-Staatsoberhaupt der DDR. „Wersich nicht verändert, bleibtzurück. Standpunkt heißt ja nichtStehpunkt. Das trifft nicht nur aufKnastzeiten zu.“ Egon Krenz beweist diese Ent-wicklung überzeugend in seinemersten Buch nach der Entlassung.In Korrespondenzen, Zeitungsbei-trägen, Gesprächen und Stellung-nahmen, die er zwischen 1990 und2005 zu Papier brachte, bietet er

Kommentare: als Zeitzeuge undZeitgenosse. Egon Krenz steht zudem, was er tat. Und hält unverän-dert an seiner sozialistischen Über-zeugung fest. Das macht ihn fürFreund wie für Feind berechenbar.In seinem Schlusswort vor Gerichträumte er ehrlich ein, dass seineVersuchung manchmal groß ge-wesen sei, „vor der hoffnungslosmoabitischen Art deutscher Ge-schichtsaufarbeitung zu kapitulie-ren“. Aber er tat es nicht. • V .E.

Egon Krenz: Widerworte. AusBriefen und Zeugnissen 1990bis 2005. Edition ost 2006. 288S. 14,90 Euro

Zeitzeuge und Zeitgenosse

Zeichnung von Zinovil Tolkatchev (1903-1977)

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LEIPZIGS NEUE • 5 ‘06 • 10. MÄRZ 2006 LEIPZIGER BUCHMESSE • 9

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Wer in den ersten Nachkriegs-jahren mit Russischlernenbegonnen hat, kennt den „STEI-NITZ“, jenes überaus praktika-ble Lehrbuch, aus dem mannach 26 Lektionen einen schö-nen Überblick über die alsschwer verschrieene Sprachegewinnen und sich notdürftigverständigen konnte. Viele wis-sen auch noch, dass die heutegängige Dudenumschrift russi-scher Namen von WolfgangSteinitz (1905-1967) stammtund er selbst Vizepräsident derAkademie der Wissenschaftenund Verfasser des Furoremachenden Werkes „DeutscheVolkslieder demokratischenCharakters“ war. Dann hört esim Allgemeinen auf. Dass eraber eine der wichtigstenWissenschaftlerpersönlichkeitender DDR in den 50er und 60erJahren war, erkennt man erst ausdiesem Konferenzband zu sei-nem 100. Geburtstag, der sich –man glaubt es kaum – spannendliest. Spannend? Ja, dennführende Vertreter der jeweili-gen Zunft berichten über denVolkskundler, den Slawisten,den Ugrofinnisten, den Lingui-sten, den Wissenschaftspoli-tiker, vor allem aber und immerwieder über den Menschen Stei-nitz. Ich hatte das große Glück, als

junger Slawistik-Assistent mehr-fach mit ihm zusammenzutref-fen, als meine Frau und ich Wla-dimir Tschitscherows Hoch-schullehrbuch „Russische Volks-dichtung“ (1968) übersetzen und

edieren konnten. DieBriefe aus dieser Zeitwerden wie ein Heiligtumbewahrt. Aber erst durch diesenBand erfahre ich, in wel-chen politischen Zwän-gen Steinitz damals, inder Zeit unserer Kor-respondenz, steckte. Alsherausragende Persön-lichkeit und leistungsstar-ker Wissenschaftler hatteund wollte er die Wissen-schaftspolitik der SED ander Akademie durchset-zen, machte mutig aufMissstände (zunehmendeAdministration, Fehler inder Arbeit mit bürgerli-chen Gelehrten) aufmerk-sam und hatte demzufolgeals ZK-Mitglied in derMitte der 50er Jahre direk-te Zusammenstöße mitWalter Ulbricht und dem

Parteiapparat.Steinitz – das wird in diesemBand deutlich – besaß großenMut, zugleich aber auch einaußerordentliches taktisches Ge-

spür, um Ideen durchsetzen zukönnen. Das alles war ihm nichtan der Wiege gewonnen. Ausgroßbürgerlich-jüdischen Ver-hältnissen stammend, wandte ersich frühzeitig einem eng be-grenzten wissenschaftlichen Ge-biet zu, dem Studium der Spra-che und Kultur der Ostjaken. Erwar 1934 bis 1937 als Ethnolo-ge in Westsibirien tätig, danachPolitemigrant in Schweden.Nach seiner Rückkehr nach Ber-lin (1946) entwickelte er eineschier unglaubliche Ar-beits-fähigkeit. Der Band beschreibtausgiebig die Facetten seinesLebens und Schaffens, einAnhang mit Lebensdaten, Na-mensindex und Autorenver-zeichnis rundet das hochinteres-sante Werk ab.• ERHARD HEXELSCHNEIDER

Klaus Steinitz, WolfgangKaschuba (Hrsg.): WolfgangSteinitz Ich hatte unwahr-scheinliches Glück. Ein Lebenzwischen Wissenschaft undPolitik. Karl Dietz VerlagBerlin GmbH 2006. S. 383.19.90 Euro

Ein Leben, das für mehrere gereicht hätte

Brecht’schesWer die legendären Anekdoten (1977bereits bei Reclam erschienen) überden weltbekannten Augsburger liest,der erlebt ein Wechselbad der Gefühle:dieser Kotzbrocken, dieser Charmeur,dieser Unbeugsame, dieser (mitunterfeige, mitunter listige) Kompromissler... Aber vor allem: Lebenslust undLebensweisheit pur – wie seine eige-nen Geschichten vom Herrn K. Aberfür Brecht gab es ja eh nichts Neuesunter der Sonne. • MX

Geschichten vom Herrn B. Gesam-melte Brecht-Anekdoten. Erzählt vonAndré Müller und Gerd Semmer. Eu-lenspiegel Verlag. 126 S,. 14,90 Euro.

Szenen eines Landes. Da schwingt einHauch des berühmten schwedischen IngmarBergmann Projekts „Szenen einer Ehe“ mit.Hoffnung, Irrtum, Schlagabtausch, Tren-nung - in diesem Fall in einem Land. Undtrotzdem geht es natürlich auch um Men-schen: Regisseure, Schauspieler, Zuschauer.Wolfgang Gersch kennt die DDR-Filmszeneseit Jahrzehnten. Schon in den frühen 60erJahren schrieb er Kritiken und Aufsätze fürdie „Deutsche Filmkunst“, die der Hen-schelverlag damals herausgab. Von Gerschstammt auch die interessante Reise„Schweizer Kinofahrten“, die der gleicheVerlag 1984 drucken ließ.Nun noch einmal: Die DDR und ihre Filme.Die Veröffentlichungen zu diesem Themanehmen inzwischen ein großes Bücherregalein. Rechnet man auch die Schriften mit, diebis 1989 herauskamen.Obwohl auf dem neuen Buchdeckel dieberühmten Zimmermänner aus „Spur derSteine“ zum x-ten Mal kräftig ausschreiten,findet sich in der Dokumentation auch der

Satz: Die SED hat nicht nur Filme verboten,sondern auch Filme erlaubt.An 64 Produktionen (davon neun einst ver-botene) erinnert der Autor. Beginnend undendend mit Filmen ohne Publikum. Denn„Freies Land“ wollten 1946 die Zuschauernicht sehen und „Die Architekten“ konnte1990 kaum noch jemand sehen. Dazwischenungezählte berühmte, gute, schlechte, blöde,heitere, nachdenkliche Filme. Und es gabauch eine so genannte Ablenkung mittelsDEFA-Film. Da hat der Autor leider etwasausgeblendet, wenn er die, besonders in den50er Jahren zu beobachtende Ver(klein)bür-gerlichung der DEFA-Produktion, in seinemBuch nicht zur Kenntnis nimmt. Viele irrten, die 1990 voraussagten: All dasverschwände, bis auf wenige Ausnahmen,im Orkus der Filmgeschichte. Inzwischengibt es eine umfängliche Videoedition. Unddie reicht von „Spur der Steine“ (1965) biszu Maetzigs „Ernst Thälmann“ (1955/56).Das Buch ist eine polemische Sehhilfe fürdenjenigen, der manchen Film damals viel-

leicht ganz anders sah und für diejenigen,die noch nie einen DEFA-Film sahen. DerAutor macht neugierig auf Politik und Kul-tur, auf Geschichte und Widersprüche, aufein Land, das es nicht mehr gibt.

•MICHAEL ZOCK

Wolfgang Gersch: Szenen eines Landes-Die DDR und ihre Filme. Aufbau Verlag.2006. 225 S., 22.90 Euro

Spuren eines Landes

Das linkeParteiprojekt

im BlickZur rechten Zeit liegen zwei

Publikationen vor, die fürden Prozess der Genesis einerneuen, vereinigten Linksparteiin Deutschland eine solide Aus-gangsbilanz bieten. Die eine ist eine vielgestaltigeZusammenschau mit Beiträgenvon zehn Autoren zu den Ur-sprüngen der in Gang gekom-menen Entwicklung als Alter-native zur herrschenden neolibe-ralen Politik; eine kurze Chro-nologie der WASG und ihrerKooperation mit der Linkspar-tei.PDS; ein Überblick über Ak-zeptanz und Wählbarkeit desneuen Bündnisses; eine Be-schreibung der wichtigsten poli-tischen Ziele; Thesen zu offenenFragen und Problemen. ZweiExkurse behandeln die neolibe-rale Offensive und ihre Folgensowie Projekte für vereinigteLinksparteien in Portugal undDänemark. Dem schließen sichein Kaleidoskop von Meinungen,weitere ausgewählte Texte undein ausführlicher Quellennach-weis an.Die zweite Publikation resü-miert die wechselhafte und pro-blembehaftete Geschichte derPDS in den westlichen Bundes-ländern. Dargestellt werdenStrukturen und Mitgliedschaft,Schwerpunktthemen der Parteiund ihre Rolle im politischenLeben, Wählerpotentiale undErgebnisse bei Bundestags-,Landtags- und Kommunalwah-len. Detailliert erörtert werdenverschiedene Ursachen ihresscheinbaren Scheiterns im Wes-ten. Im abschließenden Kapitelwird die Frage beantwortet, wasdie PDS West hier in den Pro-zess der Herausbildung einervereinigten Linkspartei einbrin-gen kann und welche Problemesich auf diesem Wege auftun. In19 Punkten werden Vorschlägezur Entwicklung politikfähigerStrukturen, abgeleitet aus positi-ven und negativen Erfahrungen,zusammengefasst. Im AbschnittAusgewählte Problemlagen undoffene Fragen werden eineReihe Ideen zur programmati-schen und politisch-taktischenOrientierung dargelegt.Sicherlich hat der Autor Recht,wenn er feststellt: „Die sich neuformierende demokratische Lin-ke sollte ... bedenken, dass dieschwierigste Wegstrecke nochvor ihr liegt.“ • G. L.

Michael Brie (Hrsg.): DieLinkspartei. Ursprung, Ziele,Erwartungen. Karl Dietz Ver-lag, Berlin 2006. 96 S., 9,90Euro (Rosa-Luxemburg-Stif-tung, Texte Bd. 23)Meinhard Meuche-Mäker:Die PDS im Westen 1990–2005. Schlussfolgerungen füreine neue Linke. Karl DietzVerlag, Berlin 2006. 112 S., 9Euro (Rosa-Luxemburg-Stif-tung, Texte Bd. 25)

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Der unverwüstliche KlausHuhn hat in seinem Spot-

less Verlag nun auch eine Erin-nerung an Michail Gorbatschowveröffentlicht. Darin findet derLeser Beweise, wie der einstigemächtige Generalsekretär derKPdSU den Sozialismus, seineLandsleute und die DDR verriet.Darf und muss daran erinnertwerden? Auch an den 25. Fe-bruar 1986? An jenem Tagblickten viele Menschen rundum den Erdball hoffnungsvollauf Moskau. Michael Gorbat-schow trug auf dem XXVII. Par-teitag der ruhmreichen KPdSUden Delegierten den Rechen-schaftsbericht vor. Prüfen wir nur wenige Gedan-ken im Lichte der vergangenen

zwanzig Jahre. Gorbatschowprophezeite: „Die Beschlüssedes XXVII. Parteitages werdenCharakter und Tempo unsererBewegung auf Jahre, ja aufJahrzehnte hinaus bestimmen,der Bewegung zu einem qualita-tiv neuen Zustand der sowjeti-schen sozialistischen Gesell-schaft.“ Dazu sollte eine „Wen-de“ in den inneren und denäußeren Angelegenheiten füh-ren, die ein „Umdenken“ verlan-ge. Eine Neufassung des Pro-gramms und Änderungen imStatut sollten Grundlage undRahmen bilden. Gorbatschowtrug eine Analyse der Weltpo-

litik vor, in der es hieß: „DieWelt des Kapitals hat die hege-monistische Ideologie und Politik

nicht aufgegeben, ihre Machtha-ber geben sich noch der Hoff-nung auf soziale Revanche hin,wiegen sich noch in der Illusion

der Überlegenheit und Stärke.Nüchterne Einschätzungen derheutigen Entwicklung brechen

sich mit großer Mühe durchAnhäufungen von Vorurteilen imDenken der herrschenden Klas-se Bahn.“ Müsste das Gorbat-schow als hoch dotierter Gastdiverser imperialistischer „Stif-tungen“ heute korrigieren? Wie-derholt er das vor seien Gast(Geld-) gebern? Er beschrieb dieFolgen der nuklearen Konfron-tation und die Methoden impe-rialistischer Politik, bewaffneteInterventionen, Wirtschafts-blockade, subversive Tätigkeit:„Kraft seiner sozialen Naturbringt der Imperialismus stän-dig eine aggressive, abenteuerli-che Politik hervor. Man kannhier von einem ganzen Komplexvon Beweggründen sprechen:von den räuberischen Gelüstender Waffenfabrikanten und ein-flussreichen militärbürokrati-schen Gruppierungen, vom ei-gennützigen Interesse der Mo-nopole an Rohstoffquellen undAbsatzmärkten, von der Furchtder Bourgeoisie vor Wandlun-

gen, die vor sich gehen, undschließlich von Versuchen, dieeigenen, immer akuteren Pro-bleme auf Kosten des Sozialis-mus zu lösen.“ Gorbatschow warnte vor einemRechtsruck in der internationa-len Politik, insbesondere derUSA, kritisierte ihren Druck undihr offenes Diktat gegenüber an-deren Staaten. Am Ende des Re-deabschnitts zur Analyse der in-ternationalen Lage erklärte er:Wir fordern „das kapitalistischeSystem zu einem Wettbewerbauf, einem Wettbewerb bei dau-erhaftem Frieden“. Erst auf demHintergrund der damaligen Hoff-hungen und Chancen für dieMenschheit lässt sich wenig-stens annähernd ermessen, wel-chen Rückschlag die friedlie-bende Mehrheit in der ganzenWelt durch die Kapitulations-politik der Gruppe um Gorbat-schow erlitt. Ein Blick auf dieBeschlüsse und Dokumente desXXVII. Parteitags der KPdSUund das Nachdenken darüberkann heute den eigenen Er-kenntnisprozess fördern.

• HORST SCHNEIDER, Dres-den

Justus von Denkmann: Wahr-heiten über Gorbatschow.Spotless Verlag, Reihe Nr. 183,Berlin 2005. 96 Seiten, 5,10Euro

LEIPZIGS NEUE • 5 ‘06 • 10. MÄRZ 200610 • LEIPZIGER BUCHMESSE

Reinhard BernhofKINDODYSSEE

Seltsam viereckige Kästen: Güterwaggons, Klolochmit Schotterblick, spaltauf die Schiebetür, Stroh

auf dem ich mit offener Ferse saß Waldfeuer der Ferne: verfärbt, graublau Die verlassene Egge, der Grubber, rostrot (Nichts Toteres als Maschinen die der Mensch aufgab)

Der Alte neben mir, das Rascheln im Silberpapier Sein Gesichtsausdruck das eines Geistes von Heiterkeit beherrscht, gleichzeitig leuchtend Ich wunderte mich über die winzigen Kochbläschen auf dem Schokoladenriegel, den er mir gab und wie er zwischen Zunge und Gaumen verging

Einmal der Strahl einer Dynamo Lampe in der Pfütze – der einer Patrouille –

im Dunkel

Bilder Jahrzehnte in mir

Meine Mutter – Fuß vor Fuß in Gegenwind und Leere durch ihre Stirn – trug den Krieg auf dem Rücken: in der hohlen Hand, in den Eingeweiden

Manchmal die Sonne im leuchtenden Korn aus Feuer sah sie das weiß geflochtene Samstagsbrot in ihrer unschlüssigen Netzhaut

Wo sie auch anklopfte, ließ man sie verharren fühlte sie das Warten in sich stehen

Viel zu spät hat nun endlich dieDresdner Bank auch ihre NS-Vergangenheit im Detail aufar-beiteten lassen. In vier Bändenauf 2376 Seiten kommen diezehn Historiker unter Leitungvon Klaus-Dietmar Henke zudem Schluß, daß die DresdnerBank auch anders hätte handelnkönnen. Lange Jahre hat sich dieDresdner Bank geweigert, ob-wohl umfangreiche Aktenbe-stände vorhanden, diese vonWissenschaftlern aufarbeiten zulassen. Zum 120jährigen Beste-hen 1992 erschien noch eineJubiläumsschrift, die das Ver-halten der Bank in der Nazizeitbeschönigte und geschichtsklit-ternd darstellte.Dabei war in Grundzügenbereits nach dem 8. Mai 1945bekannt, daß die Dresdner Bankvon den Großbanken die größteNähe zum NS-Regime hatte.Führend war die Bank auch beider so genannten Arisierung undbei der Ausplünderung derbesetzten Gebiete in Folge desII. Weltkriegs. Und die DresdnerBank war der wichtigste Geld-geber der SS und ihrer Wirt-schaftbetriebe, die sie in KZsangesiedelt hatte. Das Vorstand-mitglied Karl Rasche, SS-Ehre-

noffizier im Range eines Ober-sturmbannführers, wurde alseinziger der Braunen Banker1946 vom InternationalenGerichtshof in Nürnberg zueiner mehrjährigen Haft verur-teilt.Der Historiker Johannes Bährschreibt u.a.: "Das Unternehmenals Ganzes verfolgte seinegeschäftliche Logik mit einemhohen Maß an moralischerIndifferenz." So ist es eben mitBanken. Bedrückend ist nur, wie sich derWandel in der Bank vollzog. DieGründung geht auf dieFinanzdynastie Kaskel zurück,die einmal als die sächsischenRothschilds galten. In der Ban-kenkrise von 1931 wurde dieDresdner Bank ein Sanierungs-fall und wurde vom DeutschenReich übernommen. Das ermög-lichte dem NS-Staat 1935 ihrepolitisch opportunen Männerwie Karl Rasche und EmilMeyer zu installieren.

• KARL-H. WALLOCHKlaus-Dietmar Henke (Hrg):Die Dresdner Bank im DrittenReich. R. Oldenbourg Verlag,München 2006. Vier Bändeim Schuber, 2376 Seiten,79,80 EURO

Die Dresdner Bank warwilliger Partner der Nazis

FLUCHTKIND heißt das neueste Buchdes Leipziger Schriftstellers ReinhardBernhof, das am 16. März bei ERATA Pre-miere hat. Er schreibt über seine Kindheit-sodyssee durch Deutschland: „Im Mittel-punkt das Wasser und das Brot, von denRotkreuzhelferinnen gebracht: die duften-den röschen, fuchsroten Knusten, ihre Rän-der voller Poren, Backbeulen, aufgeplatzt... Diese und viele andere Geschichten, dieich erlebt habe, wurden auch immer wiedervon meiner Mutter erzählt, während sie inder Bibel blätterte, aber nicht klug aus ihrwurde, weil die Bibel nicht darüber redenwollte ...Die Wunden des Krieges vernarben nursehr selten, aber sie wachsen zusammenmit uns und mit unseren Kindern undKindeskindern, die ewig Fragen stellenwerden ... mal laute, mal leise. Aber eineAntwort haben sie bis heute nicht bekom-men. Oder sie werden wieder verschwie-gen.

Reinhard Bernhof: Fluchtkind. Edition Erata, LeipzigerLiteraturverlag, 2006, 16,95 Euro.Lesung am 16.3, 20 Uhr, beim Verlag (Edition Erata) Leipzig, Brockhausstraße 56

Was Gorbatschow vor 20 Jahren sagte

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... und was Gorbatschow im Herbst 1999 an der Univer-sität von Ankara sagte:

Das Ziel meines ganzen Lebens war die Vernichtung desKommunismus, dieser unerträglichen Diktatur gegen die Men-schen. Von meiner Frau, die diese Notwendigkeit noch eherals ich erkannte, wurde ich dabei voll und ganz unterstützt.

Gerade um dieses Ziel zu erreichen, nutzte ich meine Stellungin der Partei und im Lande. ...

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LEIPZIGS NEUE • 5 ‘06 • 10. MÄRZ 2006 LEIPZIGER BUCHMESSE • 11

Einer der ganz Großen derDDR-Literatur: Erwin Strittmat-ter (1912 – 1994). Es sindjedoch nicht nur seine Romane,Erzählungen und Kurzerzählun-gen, die eigenwillig anrühren.Auch die Tagebücher ziehen unshinein in eine pointiert betrach-tete Welt. Notate, Kurzprosa,Alltagssplitter, Reiseerlebnisseergeben als locker aneinander-gereihten Farbtupfer ein subjek-tives Bild eines noch nicht ganzso fernen Landes. Ernst und hei-ter gezeichnet, hintersinnig, zu-weilen philosophisch, lebensbe-jahend, mitunter spitz politischist dieses Mosaik. Es sind

„Wahre Geschichten allerArd(t)“ der Jahre 1967 bis 1969.Die orthografische Ungenauig-keit im Buchtitel stammt ausden Kindertagen von Matthes,dem Sohn Strittmatters. Ironieerlaubt. Der Aufbau Taschen-buch Verlag hat den 1982,damals noch im Aufbau Verlag,erschienenen und längst vergrif-fenen Band jetzt wieder aufge-legt. Denn wir Jüngeren wollenauch unseren Strittmatter lesen ...

• D. M. Erwin Strittmatter, WahreGeschichten aller Ard(t). Auf-bau Taschenbuch Verlag, Ber-lin 2006, 210 S., br., 7,95 Euro

Jack Lang, einstiger französi-scher Kulturminister, womög-

lich nächster Präsidentschafts-kandidat der Sozialistischen Par-tei Frankreichs und glühenderVerehrer von Nelson Mandela,fragt ziemlich zu Beginn seines

Buchs, wieso es geschehen konn-te, „dass in einem Moment derGeschichte, da der Sieg über denRassismus der Nazis den Auf-bruch in eine neue Zeit ankün-digt, der Weiße in Südafrika seineÜberlegenheit geradezu leiden-schaftlich zementiert?“ Dem fas-zinierten Leser dieser Biografieüber den einstigen Gandhi-An-hänger Mandela, der zum ver-zweifelten Verfechter der Gewaltgegen die Monstrosität des Apart-heid-Regime wurde, stellt sich al-lerdings auch die Frage, was an-deres sich derzeit im Befreiungs-kampf der Hamas abspielt?Braucht es wieder Jahrzehnte bisderen Terror – denn nichts ande-res blieb den Schwarzen in Süd-afrika auf dem Weg in die Frei-heit übrig – als grausames, aber

eben letztes Mittel doch irgend-wie an seinen Ursachen gemes-sen wird? So detailliert wie der Welt be-kannt ist, was dem palästinensi-schen Volk angetan und zuge-mutet wird, ebenso wusste dieWelt, welch unvorstellbar grau-samer, demütigender Rassismusdas System der Weißen in Süd-afrika aufrecht erhielt. Ein Sys-tem wohlgemerkt, an dem dieWeltwirtschaft gewinnträchtigpartizipierte. Genannt seien nurdie Gold- und Diamantenminen.Der palästinensische Kinderauf-stand, die Intifada, und der Auf-stand der Schüler von Soweto –die Ursachen ähneln sich. Auchwenn Lang diese Parallele nichtzieht, sie drängt sich auf, machtsein Buch noch beklemmend

aktueller.Allerdings – anders als die Ha-mas – hatte sich der ANC eindem ideologischen Konzept derRegierung entgegenstehendesabsolut antirassistisches Manifestgegeben. Daran hielt er auch nach1960 fest, als Mandela auf demWeg zum sozusagen oberstenGuerillero seiner Landsleutewurde, als er erkannte, dass diegewaltlose Zeit vorbei ist. SeineMaxime wurde Clausewitz’ Satzvom Krieg als Fortsetzung derPolitik mit anderen Mitteln. Fürihn bedeutete das 27 Jahre Kerkerund Zwangsarbeit ... Bis die Herr-schenden ihn brauchten, weil sieohne Mandela schließlich nochviel mehr verloren hätten.

• MAXI WARTELSTEINERJack Lang. Nelson Mandela.Ein Leben für Freiheit und Ver-söhnung. Patmos VerlagGmbH 2006,228 S, 19,90 Euro

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Gandhi half nicht weiter

Strittmatter-Mosaik

Gerry Wolff kam als Waisenach England. Andere aus

seiner Familie landeten in derGaskammer. Als fast 80jährigererzählte er dem etwas jüngerenJuden Wolfgang Herzberg seinfilmreifes Leben – fast chronolo-gisch, aber nur zu gerne ab-schweifend. Doch was wäre die-ses Buch ohne diese Abschwei-fungen, diese listigen, schnurri-gen und unter die Haut gehendenGedanken eines weisen altenMannes, der es nie bereut hat, alsJude zurückgekommen zu seinund in der DDR gelebt undgewirkt zu haben. Tiefsinnig seine Überlegungenzur Schauspielerei, zur Art, dieStücke auf die Bühne zu bringen,beispielsweise zur ganz und gar

falschen Art wie hierzulande Sha-kespeare verstanden und danngespielt werde. Bitter-humorigseine Gedanken über die Verdrä-gung der Deutschen: „Es muss1933 eine merkwürdige Völker-wanderung in Deutschland statt-gefunden haben: Alle guten Deut-schen sind ausgewandert, und esist ein anderer Volksstamm einge-wandert, die Nazis, der dann1945 plötzlich wieder ausgewan-dert ist! Und die guten Deutschensind wieder zurückgewandert...“All die Sauf- und Huren-Künst-lerbiografien, mit denen Buch-läden überhäuft werden, könnengetrost für dieses eine wirklich

Bestseller-würdige Buch von undüber Gerry Wolff (auch SohnThomas steuert Erinnerungenbei) eingestampft werden. Er hatsein Erscheinen nicht mehr er-lebt. Wolff verstarb im vorigenJahr, 84jährig. Es fand sich langekein Verlag für diese mutigen Be-kenntnisse, denen eine CD mitden schönsten Liedern und Chan-sons beigelegt ist, natürlich auchmit seinem Antikriegslied „DieRose war rot“. • MX

Gerry Wolff: Die Rose war rot.Eine Schauspielerlegende erin-nert sich. Hrsg.: Wolfgang Herz-berg. Karl Dietz Verlag Berlin,2006, 159. S., 14,90 Euro

Rot wie die Rose ...

Nachrichten mit Klaus

Kläuschen spricht ... schwärm-ten meine Tanten vor dem Fern-sehgerät. Und sie ertrugen da-mals sogar die drögesten Mit-teilungen der „Aktuellen Kame-ra“, wenn sie von Klaus Feld-mann, schick gescheitelt, nach-denklich lächelnd, mit sympa-thischen Timbre ins Wohn-zimmer artikuliert wurden.

Der Fernsehliebling von einst,mit ungebrochener Popularitätbis heute, veröffentlichte jetzt191 Nachrichtenseiten über seinLeben vor und hinter der Ka-mera. Manchmal wünschte ichmir, er würde alles vorlesen.Knapp, präzise, schnörkellosist das Buch verfasst. Eben voneinem Nachrichtenmann.Geschichten vom kleinen undvom großen Klaus. Aus Leipzig,Weimar und Berlin. Seine An-fänge in der Sprechergruppe desSenders Leipzig, die spätereLehre in der RundfunkschuleWeimar, schließlich die Schein-werfer in Adlershof bis sie erlo-schen. Das Ganze liest sichflott, wenn auch ab und an einSatz wie: „Der Kalte Krieg fandsein Schlachtfeld im Äther...“dazwischenknallt.Selbst die Gerüchteküche wirdbedient. Hat er nun eine „AK“wegen Alkohol versprochenoder nicht? Man kann den Fallnachlesen, an lauen Abendenauf dem Balkon oder vor einemabgeschalteten Fernsehgerät aufder Couch, mit einem Weinglas.

• M. Z.Klaus Feldmann:Das warendie Nachrichten. Verlag:DasNeue Berlin 2006. S.191.14.90 Euro.

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LEIPZIGS NEUE • 5 ‘06 • 10. MÄRZ 200612 • LEIPZIGER BUCHMESSE

Auch die Leipziger Buchmesse steht nicht ganz imZeichen der Fußballweltmeisterschaft in Deutsch-

land. Die Verlage bieten natürlich noch Bücher überandere sportliche Aspekte an.So bringt der Scheunen-Verlag zwei Publikationen ausdem Bereich des Radsports. Beide sind reichhaltig mitbisher auch noch unveröffentlichen Bildern versehen. Erstere ist eine Hommage an den vor wenigen Tagen 75

Jahre alt gewordenen Gustav-Adolf Schur. In dem Buch„Typisch Täve“ kommen Freunde und sportliche Be-gleiter Täves zu Wort. Sie erzählen von Begebenheitenund gemeinsamen Erlebnissen. In allen Geschichtenspiegelt sich die Bescheidenheit und BodenständigkeitTäves wider, der trotz seines Ruhmes nicht nur im OstenDeutschlands, sondern auf der ganzen Welt bekannt ist.Jens Voigt, der Friedensfahrtsieger von 1994 begründetTäves Ruhm: „Immer, wenn er glaubte, seine Kraftreicht nicht mehr, die kommenden Kilometer zu überste-hen, griff er an, wohl wissend, dass es seinen Konkur-renten ebenso ging wie ihm. So demontierte er ganzeRadrennfelder. Seine taktische Einstellung, seine Erfah-rung, sein Einfühlungsvermögen und vor allem sein G-spür für Situationen, das war es, was ihn ausmachte undseinen Ruf begründete. All das zusammen macht ihnauch in der heutigen Zeit, in der man den Radsport nichtunbedingt mit dem der früheren Jahre vergleichen kann,zum Vorbild.“Die zweite Scheunenverlag-Publikation istdem 50. Todestag des Berliner RadsportlersErich Schulz gewidmet. Er starb am 11. Juli1956 während der sechsten Etappe derDDR-Rundfahrt nach einem schwerenSturz. Den älteren Leipziger Radsportfreun-den dürfte er nicht unbekannt sein, gewanner doch am 14. Oktober 1950 das erste nachdem Krieg auf der Leipziger „Scheiben-holz-Rundstrecke“ ausgetragene Straßen-Dauerrennen hinter Motoren – vor 40 000begeisterten Zuschauern. Auch für Tävewar er ein Vorbild, wie zu lesen ist.Auch der AGON Sportverlag feiert einJubiläum. „Fußball WM 1966“ heißt derachte Band der Reihe AGON WM-Ge-schichte. Vor 40 Jahren gewann das Mutter-land des Fußballs, England, seinen einzigenWeltmeistertitel. Die BRD wurde durch

eine bis heute umstrittene Torszene Zweiter. Im Jahr derFußballweltmeisterschaft sicher eine willkommeneErinnerung an interessante WM-Spiele und -Erlebnisse,die die Vorfreude auf das Kommende weiter steigenlässt.

• R. FIEBELKORN

Andreas Ciesielski (Hg.): Typisch Täve. Eine Homma-ge an einen 75jährigen. Scheunen-Verlag, Kückensha-gen 2006. 168 S., 14,90 EuroAndreas Ciesielski (Hg.): Erich Schulz: Sein Leben fürden Radsport. Scheunen-Verlag, Kückenshagen 2006.166 S., 12,50 EuroOlaf Edig, Daniel Meuren, Nicole Selmer: Fußball WM1966. AGON Sportverlag Kassel 2006. 160 S., 24 Euro

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Sport ist entschieden mehr als Fußball

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LEIPZIGS NEUE • 5 ‘06 • 10. MÄRZ 2006 GESCHICHTE • 13

Der erste Nachkriegswinter gingseinem Ende entgegen. Seit reich-lich neun Monaten schwiegen die

Waffen im Herzen Europas. Die nazisti-schen Hauptkriegsverbrecher saßen aufder Anklagebank des InternationalenGerichtshofes in Nürnberg. Nachhaltigwirkten die tiefen Wunden, die das Infer-no des Krieges und der Nazityrannei ge-schlagen hatte. In der sowjetischen Be-satzungszone hatte das Wirken von KPD,SPD, CDU und LDPD, der Gewerkschaf-ten und auch der antifaschistischen Ju-gendausschüsse begonnen, um aus denBergen von Trümmem und tiefer Not her-aus den antifaschistisch-demokratischenNeuaufbau zu organisieren.In dieser Situation trafen sich am 26.Februar 1946 im Sitzungssaal des Berli-ner Magistrats die Mitglieder des Zentra-

len Antifaschistischen Jugendausschus-ses unter Leitung ihres Vorsitzenden,Erich Honecker, um über die Gründungeiner einheitlichen antifaschistisch-demokratischen Jugendorganisation, dieden Namen Freie Deutsche Jugend tra-gen sollte, zu beraten. Dem entsprechen-den Antrag an die Sowjetischen Militä-radministration wurden die Grundsätzeund Ziele „Was will die Freie DeutscheJugend?“ und die Verbandssatzung bei-gefügt. Darin hieß es u. a.: „Wir Jungenund Mädchen ... bekennen uns inDeutschlands bitterster Not zum Neuauf-bau unserer Heimat auf antifaschistisch-demokratischer Grundlage. Uns vereintder heilige Wille, durch gemeinsame An-strengungen die vom Nazismus verschul-dete Not unseres Volkes überwinden zuhelfen.“ Die sowjetische Besatzungs-macht stimmte dem Antrag zu. Der 7.März 1946 wurde so zum Gründungstagder FDJ. Erstmals in der Geschichte derdeutschen Jugendbewegung schlossensich junge Menschen verschiedener so-zialer Herkunft, Berufe und Weltan-schauung in einer einheitlichen Jugend-organisation zusammen.Den ersten Höhepunkt im Gründungs-prozess des Jugendverbandes stellte das1. Parlament der FDJ in der Zeit vom 8.bis 10. Juni 1946 in Brandenburg/Haveldar. 633 Delegierte vertraten die Mitglie-der aus allen Teilen Deutschlands. In dersowjetischen Besatzungszone waren dasbereits 240 000 Mädchen und Jungen,rund ein Zehntel der Jugendlichen imAlter von 14 bis 26 Jahren. Das FDJ-Parlament forderte die Einbeziehung derJugend in den antifaschistisch-demokra-tischen Neuaufbau Deutschlands, denKampf um die Erhaltung des Friedensund die demokratische Einheit Deutsch-lands. Es beschloss die Grundrechte derjungen Generation – politische Rechte,das Recht auf Arbeit und Erholung, dasRecht auf Bildung, das Recht auf Freudeund Frohsinn, die Grundsätze und Zielesowie das Statut der FDJ. Das Parlamenterhielt Grußschreiben von 17 ausländi-schen Jugendorganisationen und Vereini-gungen aus sechs Ländern und wählteErich Honecker zum Vorsitzenden desZentralrates der FDJ. Unter den 15 Mit-gliedern des Sekretariats des Zentralrateswaren 12 Funktionäre, die im ZentralenJugendausschuss mitgearbeitet hatten.Hinzu kamen drei Funktionäre, die derLDPD bzw. der CDU angehörten.So entwickelte sich die FDJ als einheitli-che, selbständige, demokratische Ju-gendorganisation und beendete die jahr-zehntelange Aufspaltung der deutschen

Jugendbewegung. Zu den bedeutendstenmassenwirksamen Ereignissen jener Zeitfür die Mädchen und Jungen gehörtenaußer den Parlamenten das 1. Deutsch-landtreffen 1950 und die III. Weltfest-spiele der Jugend und Studenten imAugust 1951 in Berlin. Ein bedeutendesEreignis stellte auch der am 10. und 11.April 1948 in Zeitz veranstaltete Jungar-beiterkongress dar. Bis weit in die1950er Jahre hinein wirkte die FDJ alsüberparteilicher antifaschistischer Ju-gendverband.An die Traditionen aus der WeimarerRepublik anknüpfend, wurden in denwestlichen Besatzungszonen wieder zahl-reiche Jugendorganisationen und -ver-bände gegründet. Die dort gebildetenOrganisationseinheiten der FDJ gerietenin dem sich entwickelnden Kalten Kriegalsbald ins Schussfeld von Polizei undBehörden. Bereits 1951 wurde die FDJin der BRD verboten.Nach dem FDGB, dem als größte Mas-senorganisation der DDR fast alle Be-schäftigten angehörten, war die FDJ diezweitgrößte Massenorganisation. Bis indie 1950er Jahre als ein Verband wir-kend, der überparteilich, antifaschi-stisch-demokratisch verfasst war und aufdieser Basis die überwiegende Mehrheitder Jugendlichen ab 14 Jahre in seinen

Reihen aufwies, wurde die FDJ imGefolge der inneren Entwicklung derDDR zunehmend und fester in die vonder SED dominierte politische Organisa-tion der Gesellschaft eingebunden. Nach der vorherigen Vertiefung der Spal-tung Deutschlands im Zuge der NATO-Eingliederung der BRD und der folgen-den Bildung der Warschauer-Vertrags-Organisation 1955 sowie im Gefolge derAuseinandersetzungen nach dem XX.Parteitag der KPdSU um den Stalinismusund den stürmischen Ereignissen inPolen und Ungarn im Herbst 1956 er-klärte die SED-Führung die allseitigeStärkung der DDR zur zentralen Aufga-be. Daraus wurde abgeleitet, den Platzder Jugendorganisation beim weiterensozialistischen Aufbau genauer zu be-stimmen. Auf der 16. Tagung des Zen-tralrates der FDJ am 25. April 1957 wur-de die FDJ zur sozialistischen Jugendor-ganisation der DDR erklärt. Damit ent-fiel die bisherige Kennzeichnung alsüberparteiliche Jugendorganisation. DieFDJ galt nunmehr als Kampfreserve derSED. Freilich kam auch mit den folgen-den Jahrzehnten der Nachwuchs für dieBlockparteien CDU, DBD, LDPD undNDPD zum großen Teil aus der Mit-gliedschaft der FDJ.Die FDJ nahm in der politischen Organi-

sation der DDR-Gesellschaft einen be-deutenden Platz ein.In der Volkskammer,in den Bezirks- undKreistagen und weite-ren Volksvertretungenwar der Jugendver-band mit eigenenFraktionen vertreten.Alle Betriebe undEinrichtungen hattendie Pflicht, Jugend-förderungsverträgeaufzustellen und um-zusetzen. Der Jugend-verband verfügte übereine nach WilhelmPieck benannte Ju-gendhochschule amBogensee bei Bernau– bereits am 28. Mai1946 eröffnet – eineSonderschule bei Bä-

renklau, über Bezirksjugendschulen undseit September 1958 über eine zentraleAusbildungsstätte für Freundschaftspio-nierleiter mit gleichzeitiger Qualifikationals Unterstufenlehrer. Die FDJ war eininternational anerkannter Mitgliedsver-band im Weltbund der DemokratischenJugend und nach 1951 im Jahre 1973zum zweiten Mal Ausrichter der Welt-festspiele der Jugend und Studenten inBerlin. Der Jugendverband war mit einerbeträchtlichen Anzahl hauptamtlicherFunktionäre ausgestattet, die von derSED angeleitet und kontrolliert wurden.In allen Schulen und Bildungsstättensowie in den Betrieben und Wohngebie-ten bestanden Organisationseinheiten derFDJ. Sie wirkten nach dem Prinzip desdemokratischen Zentralismus: regelmä-ßige Wahlen und Rechenschaftslegun-gen, Verbindlichkeit zentraler Beschlüs-se. Die Effektivität der FDJ-Grundein-heiten und Gruppen war dort deutlichausgeprägt, wo SED-Funktionäre sowiebetriebliche und staatliche Leitungengezielten Einfluss auf diese ausübten: inSchulen, Ausbildungseinrichtungen,Fach- und Hochschulen und Universitä-ten, in betrieblichen Jugendbrigaden. Inanderen Bereichen standen FDJ-Grup-pen mitunter nur auf dem Papier. NachSchule und Berufsausbildung endete oftdie FDJ-Mitgliedschaft oder verlief all-mählich im Sande.Die FDJ arbeitete vielfach gut zusammenmit Sportgemeinschaften (DTSB) undder Gesellschaft für Sport und Technik(GST). Sie wirkte über Freizeitangebotean den Schulen und über zahlreiche Ju-gendklubs.Belastet wurde das Wirken der FDJdurch politisch-ideologische Überfrach-tung des Jugendlebens, durch mitunterängstliches, ungeschicktes Reagieren aufwestliche Einflüsse – namentlich Musik,Literatur, Tanz –, durch mancherlei Ver-bote und Restriktionen. Hinderlich warauch der Umstand, dass die ansonstenmobilisierend wirkenden großen Treffensowie wiederkehrende Ereignisse – De-monstrationen zum 1. Mal, zum Tag derOpfer des Faschismus, zum 7. Oktober –durch routinehafte politische Rituale be-einträchtigt wurden. Mit dem An-wachsen innerer Probleme in der DDRverstärkten sich diese negativen Erschei-nungen und verursachten Unzufrieden-heit und Missstimmungen unter Teilender Jugend. Infolge der sich in den1980er Jahren verschärfenden Krise derDDR-Gesellschaft brach mit dem damitverbundenen Niedergang ihrer politi-schen Organisation die FDJ weg undlöste sich selbst auf.

Vor 60 Jahren: Gründung der Freien Deutschen Jugend

Das Schicksal der„Kampfreserve“

WilhelmPieck inderJugend-hoch-schule amBogen-see, dieseinenNamentrug

Von WINFRIED STEFFEN

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LEIPZIGS NEUE • 5 ‘06 • 10. MÄRZ 200614 • ZEITGESCHICHTE

nter dem Parteinamen „Wandel undReform“ hat die islamistischeHamas (Abkürzung der arabischen

Worte für „Bewegung des islamischenWiderstandes“) in den Wahlen zum Palä-stinensischen Legislativrat vom 25. Janu-ar mit 74 von 132 Sitzen die absoluteMehrheit erreicht. Dieses bereitet dereuropäischen Politik und der der USAgroßes Kopfzerbrechen. Denn man tutsich schwer, zur Kenntnis zu nehmen,dass sich in fast allen arabischen und isla-

mischen Ländern eine Gesellschaftsop-position im Vormarsch befindet, die ihrepolitischen Ziele auf der Grundlage desIslam formuliert. Man nennt sie Islami-sten. Sie wegen ihrer religiösen Spracheschlechthin mit der Religion des Islam zuidentifizieren, wärefalsch. Es handeltsich im Grunde umeine Protestbewe-gung, die sich inerster Linie gegendie eigenen auto-ritären Regime, ge-gen Unterdrückungund Okkupation –wie in den palästi-nensischen Gebie-ten durch Israel –,gegen Menschen-rechtsverletzungenund soziale Miss-stände richtet. Indem Maße, wie derWesten diese Regi-me unterstützt, inder islamischenWelt militärisch interveniert, Muslimesich immer mehr als die Opfer einer aufKosten der Dritten Welt ablaufendenGlobalisierungspolitik sehen müssen undihre eigenen islamischen kulturellenWerte vom Westen missachtet werden,wachsen antiwestliche Stimmungen. Man sei beeindruckt von den Militärba-sen westlicher Großmächte in muslimi-schen Ländern, von der Dominanz west-licher Großunternehmen und von densich immer weiter streckenden Tentakelnder Supermacht USA, sagte der malaysi-sche Premierminister Badawi auf einerkürzlichen Konferenz in Kuala Lumpur.„Solange es Hegemonie gibt, solangeeine Seite versucht, die andere zu kon-trollieren und zu dominieren, wird derGegensatz zwischen den beiden Zivilisa-tionen fortbestehen“, so Badawi. „Der Islam ist die Lösung“ stand auf denWahlplakaten der Hamas. Islamistenwollen die Misere in ihren Ländern durchBerufung auf das verklärte Idealbildeiner gerechten sozialen Ordnung derZeit des Propheten Mohammed überwin-den. In dieser weit gefächerten und sehrdifferenzierten Bewegung bilden dieTaliban, die Terroristen vom Schlage BinLadens oder die Anhänger der Wiederer-richtung des Kalifats den äußerten radi-kalen Rand. Die Mehrheit ist ehergemäßigt und orientiert auf die Ausnut-zung legaler Wirkungsmöglichkeiten. Dieschrecklichen, in keiner Weise zu billigen-den Terrorakte vom 11. September 2001,von Djerba, Bali, Casablanca, Madrid undLondon sowie eine undifferenzierteBewertung islamistischer Bewegungen auswestlicher Sicht haben aber dazu beizutra-gen, die Islamisten insgesamt als Feindbildaufzubauen. Die meisten islamistischenBewegungen, auch Hamas, haben dieschrecklichen Terrorakte vom 11. Septem-

ber 2001 und die seit dem folgten verur-teilt. Die überwältigende Mehrheit derMuslime ist gegen diesen Terrorismus,akzeptiert aber im Grunde politische Zieleder Botschaften von Osama Bin Laden.

Islamismus ist nichtTerrorismus

Kann man diesen Terrorismus mit einem„langen Krieg“ gegen den radikalen Is-lam, von dem USA-Präsident Bush inseiner Rede über die Lage der Nation am31. Januar sprach, besiegen? Islamistenoder der sogenannte radikale Islam soll-ten nicht mit Terrorismus identifiziert wer-den. Man mag Anschauungen und Metho-den der Islamisten aus gutem Grund ableh-nen, aber statt Krieg gibt es nur die Alter-native friedlicher Koexistenz mit ihnen.Der Dialog mit ihnen könnte dazu beitra-gen, dem Terror den Nährboden zu entzie-hen. Das gilt auch für die Selbstmordatten-tate von Hamas, die auf den Terroristenli-

sten der USA und der EU stehen. Wie sichwestliche Politik in Zukunft gegenüber denislamistischen Bewegungen des Nahenund Mittleren Ostens verhält, ist von ent-scheidender Bedeutung für Europaszukünftiges Verhältnis zur Region südlichdes Mittelmeeres und zur gesamten islami-schen Welt. Wenn der in seinem Ausmaßbeispielslose Proteststurm wegen derMohammed-Karikaturen Ausdruck eineszutiefst gestörten Verhältnisses zwischender islamischen Welt und dem Westen ist(Die Zeit schrieb am 9. Februar sogar von„Weltbürgerkriegsstimmung zwischendem radikalen Islam und dem Westen“),dann ist es höchste Zeit, dass der Westendas Seine tut, noch Schlimmeres zu ver-hindern.

Einseitige BedingungenDoch leider zeigen die bisherigen Reak-tionen der USA und der EuropäischenUnion auf den Wahlsieg der Hamas inden palästinensischen Gebieten einerneutes Mal, dass westliche Politiknicht in der Lage ist, auf den Islamismusso zu reagieren , wie es die Notwendig-keit friedlicher Koexistenz mit der isla-mischen Welt und gleichberechtigteKooperation erfordern würde. Bundes-kanzlerin Merkel und danach Außenmi-nister Steinmeier haben sich bei ihrenjüngsten Besuchen der israelischen Boy-kottlinie angeschlossen, dem WahlsiegerBedingungen gestellt und jeden Kontaktmit Hamas vermieden. Condoleeza Rice,die amerikanischen Außenministerin,hatte sich auf ihrer Nahostreise vor weni-gen Tagen ergebnislos bemüht, Unter-stützung arabischer Staaten für die west-liche Boykottpolitik gegen eine vonHamas geführte palästinensische Regie-rung zu erreichen. Mit Hamas dürfe manerst sprechen, wenn sie die Existenz Isra-

els anerkenne, auf Gewalt verzichte undalle im Rahmen des Osloer Prozesses mitIsrael geschlossenen Verträge respektie-re. So verlautet es von Berlin bis Brüsselund Washington. Aber müsste nicht,damit ein Ende der Gewalt möglich wird,vor allem auch Israel Bedingungen erfül-len, nämlich sich auf die Grenzen von1967 zurückziehen, die Siedlungstätig-keit beenden, die Mauer dort beseitigen,wo sie palästinensisches Gebiet durch-schneidet und jene Bestimmungen vonOslo erfüllen, die es bisher nicht einhält.Davon jedoch war in den Verlautbarun-gen von Frau Merkel und Herrn Stein-meier nichts zu hören. Eine derart einsei-tige Unterstützung einer deutschen Re-gierung für Israel gegen die Palästinenserhat man seit langem nicht erlebt. Hamaswurde von den meisten nicht gewählt,weil aus ihren Reihen Selbstmordattentä-ter kommen, diese werden von den mei-sten Palästinenser abgelehnt und haben

der palästinensischen Sache großenSchaden zugefügt. Hamas wurdegewählt, weil sich von Fatah dominierteBehörden als korrupt und als unfähigerwiesen hatten, die weitere Verschlech-terung der Lebenssituation der Palästi-nenser aufzuhalten und den RückzugIsraels von den besetzten Gebieten zuerreichen.

Für ein neues Herangehen„Es ist Zeit für ein neues Herangehen.Die Welt sollte ohne Vorbedingungen mitHamas sprechen und hören, was die Be-wegung für Ideen hat, um den Konfliktzu lösen“, schrieb der Hamas-Abgeord-nete und Zeitungsherausgeber GhaziHamed im libanesischen Daily Star.Dann wird sich bestätigen, dass Hamas

zu einer realistischen Politik und auch zuKompromissen fähig ist. Den bewaffne-ten Kampf würde sie, wie einige ihrerführenden Vertreter erklärt haben, been-den, wenn Israel sich auf die Grenzenvon 1967 zurückzieht, was die Sicher-heitsratresolution 242 von 1967 fordert. Die Anerkennung des ExistenzrechtesIsraels ist für den Frieden unabdingbar.Man kann aber jetzt noch nicht erwarten,dass Hamas seine 1988 angenommeneCharta ändert. Das wäre sicher erst nacheinem „langen Waffenstillstand“, zu demHamas bereit ist, möglich. Auch die PLO

brauchte zwanzig Jahre dafür. Hamas hatin den letzten 12 Monaten bewiesen, dasssie abgesehen von kleinen, meist von Is-rael provozierten, Zwischenfällen in derLage ist, einen Waffenstillstand effektivdurchzusetzen. Die bisher bekanntenVorstellungen von Hamas sind nicht weitentfernt vom Friedensplan der arabischenGipfelkonferenz in Beirut des Jahres2002. Darin erklärte sich die arabischeSeite bereit, Israel Frieden, Sicherheitund normale Beziehungen zu gewährlei-sten, wenn es sich auf die Grenzen von1967 zurückzieht. Der Plan wurde vonIsrael abgelehnt.

Dialog oder Spirale derGewalt

Sollte das Wahlergebnis auf Dauer nichtakzeptiert und der Dialog abgelehnt wer-den, ist mit einer Spirale der Gewalt bis-her nicht gekannten Ausmaßes zu rech-nen. In der arabischen Welt wird eine

Wiederholung algerischer Ereignisse von1992 befürchtet. Damals gewann eine is-lamistische Bewegung, die FIS (frz.Abkürzung für Islamische Heilsfront),die Parlamentswahlen. Eine Militärdikta-tur trieb die FIS in die Illegalität und esfolgte eine Eskalation von Terror, dieHunderttausenden das Leben kostete. DieNew York Times vom 14. Februar berichtetvon Plänen der USA und Israels zur Desta-bilisierung einer möglichen Hamas-Regie-rung. Das lässt Schlimmes befürchten. Diepalästinensischen Wahlen waren, wie eineWahlbeobachterin feststellte, weitestge-hend frei und fair und sehr gut organisiert.Diese Wahlen haben Vorbildcharakter fürdie gesamte arabische Welt. Was wäre dasfür ein Signal an die autoritären arabi-schen Regimes, aber auch an die Bevölke-

rungen der arabischen Länder, gerade vondenen, die der arabischen Welt „Demokra-tie bringen“ wollen, wenn dem Wahlsie-ger die ihm zustehende Legitimität ver-weigert wird? Die Akzeptanz der Hamashingegen könnte ein erster Schritt in dieRichtung sein, um diesen sinnlosen undnach Einschätzung der USA-Verantwort-lichen noch Jahrzehnte lang zu führenden„Krieg gegen den Terror“ im Interessedes Weltfriedens zu beenden und die so-zialen und politischen Ursachen des Ter-

Das palästinensische Wahlergebnis –

Islamismus als Islamismus als Herausforderung fürHerausforderung für

die Politik desdie Politik desWWestensestens

Von HEINZ-DIETER WINTER

Die bisher bekannten Vorstellungen von Hamas sind nicht weit entfernt vom Friedensplan der arabischen Gipfelkonferenz

in Beirut des Jahres 2002. Darin erklärte sich die arabische Seitebereit, Israel Frieden, Sicherheit und normale Beziehungen zu

gewährleisten, wenn es sich auf die Grenzen von 1967 zurückzieht.Der Plan wurde von Israel abgelehnt.

Fortsetzung auf Seite 15

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LEIPZIGS NEUE • 5 ‘06 • 10. MÄRZ 2006 INTERNATIONALER FRAUENTAG • 15

rorismus durch gemeinsame Anstrengun-gen mit politischen Kräften der islami-schen Welt beseitigen – gemeinsam auchmit Islamisten.

Initiative „Diplomaten fürFrieden mit der

islamischen Welt“Aus tiefer Sorge um den konflikthaftenund friedensbedrohlichen Zustand, indem sich gegenwärtig das Verhältnis desWestens zur islamischen Welt befindet,haben sich vor einem Jahr 28 Botschaftera.D. der DDR und der Bundesrepublikmit einem Schreiben an den Präsidentenund die Abgeordneten des Europäischen

Parlaments gewandt. Sie machten daraufaufmerksam, dass die bisher verfolgtePolitik von Gewalt und Gegengewalt, desvorrangigen Einsatzes militärischer Mit-tel und westlicher Interventionen in isla-mischen Regionen, wie in Afghanistanund Irak die Welt nicht friedlicher, son-dern unsicherer gemacht haben. Es sei einGebot politischer Vernunft, die bisherigeStrategie kritisch zu überprüfen und zurevidieren. Sie schlugen vor, dass Europasofortige Entspannungsschritte unter-nimmt. Für den Nahen Osten müsse derunverzüglichen Regelung des israelisch-palästinensischen Konfliktes und der Be-endigung der Okkupation Iraks Prioritätbeigemessen werden. Die Botschafterschlugen vor, das Zukunftsprofil europäi-scher Politik gegenüber der islamischen

Welt und den dort stattfindenden gesell-schaftlichen Prozessen neu zu bestim-men. Mitte Februar warnten sie in einer Presser-klärung vor einer sich aufbauenden neuenEskalationsstufe im Zusammenhang mitdem Protest gegen die Mohammed-Karika-turen, mit der Weigerung, das Wahlergeb-nis in den palästinensischen Gebieten zuakzeptieren und wegen des zuspitzendenStreits um die iranische Urananreicherung,in dem westliche und israelische Politikerauch einen Militärschlag nicht aus-schließen. Sicherheit darf nicht einseitigaus westlicher Sicht definiert werden, dieSicherheit islamischer Staaten muss in glei-cher Weise gewährleistet werden, insbe-sondere ihre Sicherheit vor neuen Präv-entivkriegen. Die ehemaligen Diplomaten

rufen dazu auf, eine Konfrontation mit derislamischen Welt zu verhindern. Dazu be-darf es eines grundlegenden Wandels derPolitik, der einen perspektivisch tragfähi-gen Ausweg aus dem Terrorismusdilemmaeröffnet, indem er die Ursachen der Krisezwischen islamischer Welt und Westenüberwindet. Sie ist historisch gewachsen,ihre Auflösung bedarf deshalb auch eineslängeren Prozesses – der jedoch jetztbegonnen werden muss.

Fortsetzung von Seite 14

Unser Autor, Dr. Heinz-Dieter Winter,ist Botschafter a.D. und Mitglied desNahost-Forums e.V. In LN 4’06 schrieb er: „Der Karikatu-renprotest und die Zustände in derarabischen Welt“.

Im Februar diesen Jahres wurdeVidya Munsi als erste hauptberuf-liche Journalistin in Bengalendurch die Indische Journalistin-nen-Vereinigung ausgezeichnet.Neben ihrer journalistischenArbeit war die heute 85-jährigejedoch vor allem in der Frauenbe-wegung sehr aktiv.

Vidya Munsi wurde im Dezember1919 im indischen Bombay alsTochter des Anwaltes Dr. Chhag-

anlal Kanuga geboren. Schon sehr früh

spürte sie politische Einflüsse: „Mein On-kel war Arzt. Im Jahre 1919 verbrannte erall seine westlichen Anzüge und anderenSchmuck und trug nur noch Khadi“,erzählt die heute 85-Jährige. Khadi ist einhandgewebter typisch indischer Stoff. Vorallem Mahatma Gandhi hatte das Khadi-Weben propagiert. Er sah darin für dieländliche Bevölkerung die Möglichkeit,ein eigenes Einkommen zu erzielen. „Spä-ter wurde mein Onkel eine führende Per-sönlichkeit in der Kongress-Partei“, erzähltsie weiter. „Er war drei Jahre nacheinanderPräsident des Kongress-Komitees fürGujarat. Viele Beratungen fanden in sei-nem Haus statt und wichtige Persönlich-keiten wie Gandhi trafen sich dort. So lern-te ich bereits als Kind viele führende Mit-glieder der Kongress-Partei kennen.“Doch Vidya Munsi wurde auch sehr frühdurch Frauen geprägt: Eine ihrer Tantenunterstütze die Kongress-Partei und wurdeimmer wieder verhaftet. Bei den erstenWahlen in Indien im Jahr 1937 wurde sieMitglied der gesetzgebenden Versamm-lung für Gujarat. Auch Vidya Munsis Mut-ter war politisch aktiv: Sie beteiligte sicham Boykott ausländischer Bekleidungsge-schäfte und unterstützte die Kongressparteials ehrenamtliche Helferin. Außerdem warsie in einer der ältesten Frauen-Organisa-tionen in Bombay, der Bhagini Samaj,engagiert, betreute dort ein Wohnheim fürarbeitende Frauen.Sie selbst besuchte eine Mädchen-Schule,die sie mit hervorragenden Leistungenabschloss: An der Universität von Bombaywar sie die beste weibliche Studentin unddie drittbeste aller Studenten. „Es war von Anfang an klar, dass ich spä-ter nicht nur Hausfrau sein würde“, erin-nert sich Vidya Munsi. „Da ich keinesfallsbereit war, für die britische Kolonial-Re-gierung zu arbeiten, blieb mir nur eine Tä-tigkeit im Bereich Medizin oder Jura.“ Sieentschied sich für ein Medizin-Studium.„Als Arzt glaubte ich, den Menschen ambesten helfen zu können.“ Sie entschlosssich, in England zu studieren. Im Sommer

1938 fuhr sie – gerade 18 Jahre alt – mitdem Schiff nach England.„Damals war die Lage angespannt. Manhatte Angst vor einem bevorstehendenKrieg“, blickt Vidya Munsi zurück: „Nachdem Münchener Abkommen schien sichdie Lage zu beruhigen, doch der Faschis-mus blieb als Bedrohung bestehen und warein häufiges Gesprächsthema unter unsStudenten.“ In dieser Zeit wuchs ihr politi-sches Interesse. Sie studierte in Newcastleupon Tyne, einer klassischen Arbeiterstadtin Nordengland. „In der Region gab esdamals bereits Karl-Marx-Plätze undLenin-Straßen.“ Sie trat übrigens dann1942 in die Kommunistische Partei ein. „Die Kindersterblichkeit in den Slums vonBombay betrug damals 60 Prozent. Ichhatte das Gefühl, dass ich als Kommunistinmehr erreichen könnte, als wenn ich Ärztinwürde. Ich verlor daher mein Interesse ander Medizin und brach mein Studiumschließlich ab“, erklärt sie und engagiertesich fortan in der indischen Studentengrup-pe innerhalb der KPGB und sprach auf vie-len Versammlungen. Vidya Munsi beteilig-

te sich aktiv an den Vorbereitungen zurGründung des Weltbundes der Demokrati-schen Jugend. Zum Internationalen Frau-entag am 8. März 1945 sprach sie auf einerVersammlung über die „Frauenfrage“. Als im November 1945 der Weltbund derDemokratischen Jugend in London ge-gründet wurde, nahm Vidya Munsi als Se-kretärin der Indischen Studentenvereini-gung AISF teil. Einen Monat später be-suchte sie die Pariser Konferenz, auf derdie Internationale Demokratische Frauen-föderation entstand. Nach ihrer Rückkehrim Januar 1947 flog sie nach Indien zu-rück, um dort die Südostasiatische Jugend-konferenz vorzubereiten. „Die Bedeutungdieser Veranstaltung konnte man kaumüberschätzen. ... Die Imperialisten dachten,es sei der Beginn einer bewaffneten Revo-lution. Innerhalb von zwei Wochen wurdedie Kommunistische Partei Indiens verbo-ten.“ Männer und Frauen kämpften Seitean Seite, es habe keine Diskriminierunggegeben, viele Frauen nahmen führendePositionen ein. „Leider gab es hier in denvergangenen Jahren viele Rückschritte.

Die kreative Energie ist vielleicht einzigar-tig in der Zeit großer Bewegungen – späterlässt sie leider nach“, so Munsi heute kri-tisch.In dieser Zeit lerne Vidya ihren späterenEhemann Sunil Munsi kennen. Im Januar1949 heirateten sie. In den nächsten Jahrenarbeiten Vidya und Sunil Munsi in der Stu-dentenbewegung: Sie schrieben für dieZeitung The Student. Als der Indische Stu-dentenbund AISF seine Büros nach Kal-kutta verlegte, zog auch die junge Familieum. In den folgenden Jahren arbeiteteVidya Munsi als erste weibliche Journali-stin und Korrespondentin für verschiedeneZeitungen. Im Jahre 1953 wurde sie ver-haftet: Im anschließenden Prozess ver-suchte die Staatsanwaltschaft aus ihr her-auszupressen, dass die Zeitung Blitz, fürdie sie arbeitete, ein kommunistischesBlatt sei. Vidya Munsi blieb standhaft undprovozierte damit einen eintägigen Zei-tungsstreik, der sie in Journalistenkreisensehr bekannt werden ließ.Ab 1964 arbeitete Vidya Munsi hauptamt-lich in der Frauenbewegung. „Frauenhaben in der Partei eine besondere Verant-wortung – nämlich der Frauenfrage Vor-rang zu gewähren. Ich kann es nicht akzep-tieren, dass Frauenfragen hintenan gestelltwerden. Es muss ein permanenter Kampfneben allen anderen Kämpfen sein und eswar meine Entscheidung, mich auf diesenbesonderen Kampf zu konzentrieren“,erklärt sie ihre Position entschieden. Immer wieder nahm sie an bedeutendenKonferenzen teil: 1975 reiste sie nach Me-xiko und besuchte die UN-Konferenz zumInternationalen Frauenjahr. Im Jahr 1980repräsentierte sie die Indische Frauenför-deration NFIW auf der Kubanischen Frau-enkonferenz und nahm 1985 an der Konfe-renz in Nairobi teil. „Die Anwesenheit von14 000 Frauen bei dieser Konferenz warsehr beachtlich. Was mich aber viel mehrbeeindruckt hat war, dass niemand aufge-fordert wurde, sich einer bestimmten Mei-nung anzuschließen. Es gab keine Resolu-tionen oder Erklärungen – aber man konn-te sehr viel lernen“, erinnert sich die Frau-enaktivistin. Im Jahr 1987 reiste sieschließlich zur Vietnamesischen Frauen-konferenz.Vidya Munsi lebt heute noch immer inKalkutta. Gelegentlich schreibt sie Bei-träge für die kommunistische ZeitungKalantar. Für die Zukunft sieht sie eingroßes Potential in der Frauenbewegung:„Es entsteht eine breitere Plattform inner-halb der Bewegung“, erklärt sie. „Marxi-sten und Feministen sind nun in der Lagezusammenzuarbeiten. Wir können undmüssen zusammenarbeiten. Je mehr Frau-en gemeinsam mit Männern im generellenKampf für demokratische Rechte und Frei-heit antreten, desto weiter werden sie ihreSache voran bringen und um so besserwerden sie ihre eigenen Kämpfe führen.“

„Ich kann nicht akzeptieren,dass Frauenfragen

hintenan gestellt werden“Frauenaktivistin und Journalistin Vidya Munsi

Von CHRISTIAN FRIEDEWALD

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LEIPZIGS NEUE • 5 ‘06 • 10. MÄRZ 200616 • FEUILLETON

Von den neun vollendeten Sinfoni-en Gustav Mahlers errang die

siebente Sinfonie am spätesten Aner-kennung und wird auch in der Gegen-wart nicht so oft aufge-führt wie die anderen.Deshalb verdient be-sondere Anerkennung,dass Riccardo Chaillysie nach seinem Gast-dirigat vor drei Jahrennun als Gewandhauskapellmeister alserste Mahler-Sinfonie nicht nur ineinem Anrechtskonzert aufführte,sondern sie auch auf seine erste Reisemit dem Orchester mitnahm.Dabei gestaltete Chailly die Sinfonie

mit all ihren Härten, Sehnsüchten,Abgründen und Aufschwüngen. Düs-ter, lastend erklang der Trauermarschdes Beginns. Unerbittlich türmte derDirigent die Gegensätze auf, ließahnen, welche Kraftanstrengung eineÜberwindung fordern wird. Verstören-des und Versöhnliches der beidenNachtmusiken faszinierte, ebenso dasGespenstige des zwischen ihnen ste-henden Scherzos. Und im Finalsatzerhielten, ehe es endlich zum strahlen-den C-Dur-Abschluss des Finalsatzeskommt, die immer neuen Einbrüchebedrohliche Kraft.Das Gewandhausorchester bewältigtedie Anforderungen des Werkes unddes Dirigenten überzeugend. Strei-cher wie Holz- und Blechbläser, aber

auch die Schlagzeuger beeindrucktenmit ihrem einfach wunderbaren Aus-drucks- und Farbreichtum. Nach diesem Ereignis wirkte das 5.

Rundfunk-Matineekonzert mit JunMärkl als Gastdirigenten und LiobaBraun als Solistin matt. War der Diri-gent, der am Abend vorher in derDresdener Semperoper die Premierevon Webers Oper „Euryanthe“ gelei-tet und beide Auftritte im Hin und Herzwischen Dresden und Leipzig vorzu-bereiten hatte, abgekämpft? Es kamnur andeutungsweise zur Geltung,welche Qualitäten das Vorspiel zuRichard Strauss‘ erster Oper „Gun-tram“ besitzt. Auch die Aufführungder Tondichtung „Tod und Ver-klärung“ erreichte nur partiell diedem Werk eigene Expressivität. Imzweiten Programmteil mit denWesendonck-Liedern, dem Vorspielund dem Schlussgesang aus RichardWagners „Tristan und Isolde“ konntedie Solistin nur mit ihrem Pianobeeindrucken.

Erinnerungen erweckte ein Tanz-abend im Kellertheater des

Opernhauses. Zwei Tänzerinnen undzwei Tänzer ließen Einstiges undHeutiges erleben: Ursula Cain, Chri-sta Franze (beide Jahrgang 1927),

Siegfried Prölß (1934) und HorstDittmann (1943). Unter dem Titel„Zeit – Tanzen seit 1927“ wurdeGeschichte lebendig, Tanz im

Behelfstheater „Drei-linden“ und im in-zwischen 45 Jahrealten neuen Opern-haus.Charakteristisch fürdie Generation, die

noch während des Zweiten Weltkrie-ges unter immer komplizierter wer-denden Bedingungen mit unermüdli-chem Einsatz ihre Ausbildung absol-vierte, sind die Worte Ur-sula Cains:Wir wollten aufbauen helfen, etwasNeues beginnen. Da bedurfte es kei-nes großen Aufwands, um Erinnerun-gen an jene Jahre wach werden zu las-sen. Wer Ursula Cain als Julia erlebthatte, sah sie an diesem Abend nachwenigen Bewegungsfiguren in dieserGlanzrolle vor sich, obwohl sie nichtsvon ehedem nachzuahmen versuch-te.Die Vier erzählten aus ihrem Tän-zerleben, begannen mit Lockerungsü-bungen, zeigten Vor-gänge aus derTanzwerkstatt, bewegten sich ingemeinsamen Formationen, im Mit-und Gegeneinander, deuteten augen-zwinkernd auch heute Modisches an.Staunen weckte immer wieder, wiesie ihren Körper beherrschen, wiejung sie mit dem Tanz geblieben sind,obwohl sie nach ihrem Bühnenlebenin anderen Berufen arbeiteten. Nocherwähnenswert: Heike Hennig ist dieIdee und die Choreographie diesesanrührenden Abends zu danken.

Endlich:Eine Galerie für Sitte

WILLI SITTE sollte bereits zu seinem 80.Geburtstag im Nürnberger GermanischenNationalmuseum, dem er bereits 1993, ent-täuscht von den ostdeutschen Bilderstürme-reien, einen großen Teil seines Nachlassesübergeben hatte eine lang vorbereitete Ausstel-lung bekommen. Sie wurde urplötzlich nicht auskünstlerischen, sondern aus politischen Grün-den von kunstfernen Kunstaufsehern auf eineäußerst diffamierende Weise abgesagt.Auf dem Foto unseres langjährigen FotografenGerhard Märker, der Sitte im Jahr 2000 in des-sen Halleschen Atelier erlebte, hält der Malerein Sonderheft der „Gesellschaft zum Schutzvon Bürgerrecht und Menschenrecht“ in derHand, das sie dem Künstler mit Texten, Bildern,Dokumenten als „katalog (K)einer Ausstellung“widmete. Nun anno 2006, der 85.Geburtstagstand an, wurde es manchmal direkt amtlichmit einem Oberbügermeister samt Amtskette,mit einem Bundeskanzler a.D., mit einer Hun-dertschaft von Prominenten und solcher diesich dafür halten. Sitte nahm`s hin, mit der ihmeigenen Art: Nachdenklich, lächelnd, widerbor-stig, mahnend. Endlich gibt es nun in Merseburg eine Willi-Sitte-Galerie.Seine Bilder reizen, schockieren,legen Hintergründiges dar. Sie ziehen an undstoßen ab. Nie eine bloße Angelegenheit fürÄstheten sondern immer mit dem Leben ver-bunden. (LN)

Zunächst ist festzustel-len: Schneechaos

verdrängt lang angekün-digtes „Dresden-Inferno“vom 20.15 Uhr Program-mplatz. Aber: Nach zehnMinuten Schneewehen schaltetendoch noch einmal mal zwei Millio-nen Zuschauer zum ZDF. Das bedeu-tet 32 % Marktanteil. Der ARD-Tat-ort weit abgeschlagen mit 16 %.Fürs erste ist das Kalkül, ein breitesPublikum mit dieser nicht einfachenThematik zu errreichen, aufgegan-gen. Immerhin: Es ist der Pilcher-und Traumschiff-Sendeplatz. Damüssen (Warum eigentlich?) Seh-gewohnheiten bedient werden. Undso wurde eine Marketing-Maschi-nerie, einschließlich Bundesver-dienstkreuzträger Johannes B. Ker-ner, aufgefahren, um über das In-ferno von Elbflorenz zu schwätzen.Das Gesicht des ZDF tat es in dergleichen Unart wie vor Jahren mit

Schülern des Erfurter Gutenberg-Gymnasiums.

Seitenweise haben sich vorab diegroßen Nachrichtenmagazine

und Tageszeitungen mit der bisherteuersten Fernsehproduktion befasstund die Hollywood-Manier desFilms beklagt. So schön Liebes-geschichten im Fernsehen und imKino sind, als Doku-Soap ist Dres-dens Inferno wirklich nicht geeignet.Zumal die Geschichte auch im Detail

ziemlich holpert. Welcher ver-letzte englische Bomberpilotvermag sich vom AbschussortMagdeburg bis in ein DresdnerKrankenhaus zu flüchten,ohne entdeckt zu werden?

Spricht dieser Robert Newman beieiner Begegnung mit dem sächsi-schen Gauleiter Mutschmann so per-fekt Deutsch, dass dieser überhauptnichts merkt?

Bekannte Gesichter in Haupt- undNebenrollen. Da ließ sich nicht

viel Neues entdecken. Wohltuend,dass John Light als Bomberpilot undFelicitas Woll als Krankenschwesternicht täglich auf dem Bildschirmsind. Bei Heiner Lauterbach undWolfgang Stumph trifft das ausunterschiedlichen Gründen nicht zu.Der eine vermarktet zur Zeit seinschlechtes Buch, der andere ist Dau-erkommissar und Postler im ZDFDas bleibt im Gedächtnis und hatNebenrollen im Film beschädigt.

FF dabeiDER FILM- UND FERNSEH-LINK

Von MICHAEL ZOCK

Inferno

Von WERNER WOLF

Musical Hartz IVDie meisten Besucher wurden nicht enttäuscht.Erik Gedeon, der bereits an den „Dresdener We-bern“ mitwirkte, sagte: „In Hartz IV- Das Musical"geht es um den festen Glauben, dass man nicht zuArbeitslosigkeit verdammt ist, und um den Hungernach einem Lebenssinn. Wenn die Menschen imArbeitsamt Lieder aus „My Fair Lady“, „JesusChrist Superstar“ oder „Cats“ singen, ist Hoff-nungslosigkeit und Tristesse der Situation wenig-stens ein Lied lang aufgehoben. Beim Singen kom-men Träume zu ihrem Recht, die zum Widerstandgegen die Hartz IV-Realität werden...". Die Arbeitslosen (Schauspieler) zeigen, dass sie ineinem Konkurrenzverhältnis stehen, in dem jederdes anderen Teufel ist. Sie finden sich zu Schand-taten gegen einzelne von ihnen bereit. Alle machenmit. Nur wenn die Musik erklingt, dann sind sie inder Lage, sich über ihre soziale Stellung zu erhebenund sich menschlich zu verhalten. Das Musical zeigt keinen Ausweg. Selbst wenn derWunsch „Wenn ich einmal reich wär`..“ in Erfül-lung gehen sollte, wird die Welt bleiben wie sie ist.Aber der Besucher wird nachdenklich, ob die vor-handene Sozialordnung überhaupt gewährleistenkann, was sie verspricht: die Würde des Menschenzu achten.

• HILDE PÖßNECK

LN. Auf Antrag von Felix Blochs Erben hat daszuständige Gericht dem Staatsschauspiel untersagt,Songs aus den genannten Musicals, deren Auf-führungsrechte bei Blochs Erben liegen, zu ver-wenden. Blochs Erben bestehen darauf, dass dasDresdner Theater für die Verwendung der Liedereine Lizenz beim Verlag beantragen und bezahlt.Das Theater hatte die Nutzung der Songs bei derGesellschaft für musikalische Aufführungs- undmechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA)angemeldet, womit Felix Blochs Erben nicht ein-verstanden ist.

DreigroschenmusikIm Theater der jungen Welt steht „Die Dreigroschenoper“ aufdem Spielplan. Bettler, Ganoven und Profiteure - sie tummelnund gebärden sich zur Kurt Weills Musik, die aus Kosten-gründen vom Band kommt. Regisseurin Marion Firlus unter-streicht die Doppelbödigkeit, indem sie die Schauspieler selbstoder – gewissermaßen alter ego - mit fast lebensgroßen Figu-ren (gebaut von Hagen Tilp) agieren lässt. Mafia-Typen inSchwarz dirigieren die Menschen, die Marionetten. Ein redu-ziertes Bühnenbild (Gerhard Roch) im Stile einer Varietébüh-ne unterstreicht den Charakter des absurden Welttheaters. DemEnsemble ist Anerkennung zu zollen, denn es wird gesanglichund in Handhabung der Figuren viel gefordert. Christoph Wia-tre, musikalischer Leiter, setzt nicht auf Effekte, sondern ord-net und gestaltet aus einem Guss. • D.M.

Tournee und Tanz

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LEIPZIGS NEUE • 5 ‘06 • 10. MÄRZ 2006 SPORT / ANZEIGE • 17

In Berlin – und nicht nur dort – über-wogen nach dem FußballdebakelWitze. In der CDU/CSU-Fraktion,

so meldete eine Zeitung, habe man sichnachdrücklich für den Einsatz der Bun-deswehr bei der Fußball-WM ausge-sprochen – um die deutschen Spielernotfalls vor den Zuschauern schützenkönnen ...Aber. Wer auch immer welche Meinung oder Kritikäußert, am Ende bleibt selbst bei der Fußball-WM beijedem von zwei Mannschaften bestrittenen Spiel nur einSieger übrig und damit sollten sich endlich alle abfin-den. Ich selbst habe erst einmal erlebt, dass der Siegervorher feststand, weil die zweite Mannschaft fehlte. Daswar 1961 in Genf, als der Spielplan der Eishockey-Welt-meisterschaft auch die Begegnung BRD-DDR enthieltund die angeblich so einheitsbegehrliche Regierung inBonn ihrer Mannschaft verbot, die Eisfläche zu betre-ten. Warum? Weil die Internationale Föderation ihrReglement nicht annullieren wollte, nachdem bei Spiel-schluss das Hissen der Fahne der Siegermannschaftobligatorisch war und dazu auch noch die Hymnegespielt werden musste. Die Hymne der DDR aber soll-te – so war das damals – kein Bundesbürger offiziellanhören müssen. Also blieben die Bundesdeutschen inder Kabine und die DDR stand allein auf dem Eis. Man-fred Buder schoss die Scheibe nach dem Anpfiff aufsbundesdeutsche Tor und da das auch drei Minuten nachdem Anpfiff noch leer war, pfiffen die Schiedsrichter abund erklärten die DDR zum 5:0-Sieger. Derlei ist jedoch nicht mehr in Mode und so wird manauch bei der Fussball-WM immer mit einem Sieger undeinem Verlierer leben müssen. Ganz gleich, wer das ist.Und selbst bei Lloyds in London kann man sich nichtgegen Niederlagen versichern lassen.Nicht mal die US-amerikanische Fernsehgesellschaft

NBC konnte das und die verlor bei den OlympischenWinterspielen in Turin nicht nur ein Spiel, sondern einenBatzen Geld. Der war so dick, das er das olympischeFundament ins Wanken geraten lassen könnte. 613 Mil-lionen Dollar hatte NBC für die Übertragungsrechte be-zahlt, aber die Einschaltquote stürzte um 30 Prozent ab,die erhofften Werbeeinnahmen sanken dadurch rapide,weil jeder Dollar, den eine Werbesendung einträgt aneine Quote gebunden ist. Man könnte mich fragen, obdieses Verlustgeschäft etwa eine Leipziger linke Zei-

tung traurig stimmt und ich würde antworten: Ein we-nig, wenn dadurch Olympia in Gefahr gerät. Von demNBC-Geld leben nämlich das Internationale Olympi-sche Komitee und die Olympischen Spiele und zwar –wie auch Eröffnung und Finale jedem vor Augen führ-ten – auf ziemlich großem Fuß. Kurzum: Es könntegeschehen, dass man demnächst auch im IOC sparenmuss und das könnte Probleme mit sich bringen. Darüber nachdenkend, fiel mir ein, dass Italien schoneinmal Olympische Winterspiele arrangiert hatte undzwar vor einem halben Jahrhundert 1956 in Cortina unddort hatte man nur ein paar Schippen Schnee auf dieHauptstraße schaufeln müssen, um dem legendären Ze-no Colo als letztem Fackelläufer die Abfahrt von denAlpengipfeln bis ins Stadion zu ermöglichen. Dort über-gab er die Fackel dem Eisschnelläufer Guido Caroli undder – heutzutage unvorstellbar – stolperte über ein Kabelund alle im Stadion zitterten mit ihm, dass das olympi-sche Feuer verlöschen könnte. In Turin stolperte niemand, aber es lag auch nirgendsSchnee und es gab keine Piste für einen von Alpengip-feln herabrasenden Fackelläufer. Dafür Tenöre. Schlussmit den Vergleichen. Alles hat sich entwickelt und Olym-pia ist längst zur Soap Opera auf- oder abgestiegen. Geblieben sind die Medaillenzähler! An die 16 Jahre hatman sich über die DDR ereifert, die angeblich Sport nurum dieser Medaillen willen erlaubt hatte. Und jetzt? Inder FAZ las ich: „Wir sind stellvertretend für die sportli-

chen Mitbürger unseres Landes alle begeistert und stolzauf die Leistungen unserer Sportler, hob WolfgangSchäuble ... hervor.“ Und dann hatte er noch hinzuge-fügt: „Auch mit ihrem Auftreten haben die Sportler Ehrefür unser Land eingelegt.“ „Sind noch Fragen?“, pflegte man früher zu fragen.Nein, aber ein paar Antworten hätte ich noch bei derHand. Der Bundesverteidigungsminister Franz JosefJung hatte sie der FAZ gegeben: „Bei der Bundeswehrgeben wir im Jahr fast 27 Millionen Euro aus für die

Sportförderung. Daszahlt sich aus. Ohnediese Sportförderungstünden wir nicht anerster Stelle des Medail-lenspiegels.“ Und derMinister hatte minde-stens einen medaillen-zählenden Adjudanten inseinem Gefolge, denn er

sagte der FAZ und der deutschen Öffentlichkeit auchnoch: „Die Bundeswehr alleine käme bereits auf Platzdrei der Wertung.“ Er meinte die Medaillenwertung undmerkte vorsichtshalber noch an: „Wenn wir die Bundes-wehr nicht hätten, stünden wir im Medaillenspiegel aufPlatz dreizehn.“ Unvorstellbar diese Katastrophe:Deutschland nur Dreizehnter in der Welt. Gerettetwurde das Land also von der Bundeswehr. Der Interviewer erinnerte sich einer Vokabel, die vorrund 60 Jahren in Umlauf gebracht worden war, um dieDDR zu diffamieren: Deren Athleten seien „Staatsama-teure“. Das mochte der Minister 2006 nicht hören: „Ichfinde im übrigen den Begriff Staatsamateur nicht posi-tiv. Als ich in Turin mit dem Biathlon-OlympiasiegerMichael Greis gesprochen habe, habe ich gemerkt, wel-chen Bezug er zu seinem soldatischen Dienst hat.“ Nadenn! Links um, im Gleichschritt ...Bedeutsamer allerdings, als die Verbreitung der Legendevom olympiamededailliengeschmückten dienstbewus-sten Bundessoldaten schien die Tatsache, dass nicht ein-mal während der Turiner Tage der Name des Begründersder modernen Spiele Baron Pierre de Coubertin fiel.Dafür übernahm ein feuerroter Ferrari-Formel-I-Bolideeine Hauptrolle in der Eröffnungszeremonie. Aber esgilt, gerecht zu bleiben: Dass am Ende der Abschluss-feier eine riesige Picasso-Friedenstaube auf dem Rasenformiert wurde, erinnerte doch noch an die Hoffnung,die Olympia verbreiten will. Wieder und wieder ...

Sportkolumne

Wie der Verteidigungsminister die Medaillen holte

VonKLAUS

HUHN

Linke Utopien –die Zukunftdenken Das Krisenjahr 1956

24. März, Freitag, 14 - 17 Uhr

Das Krisenjahr 1956• Prof. Dr. Siegfried PROKOP, BernauZwischen Tauwetter, Frühling und Frost – die DDR inden Monaten nach dem XX. Parteitag der KPdSU• Dr. Jörn SCHÜTRUMPF, Berlin1956 oder die Reformierfähigkeit des Stalinismus• Ingrid ZWERENZ, SchmittenErnst Blochs letzte Vorlesung in Leipzig• Dr. Holger POLITT, Leipzig/WarschauUtopieverlust in Polens Ordnungssozialismus (1956-1989)• Prof Dr. Karl-Heinz GRÄFE, FreitalDie Krise des Stalinismus 1956 in Osteuropa und Chancen linkssozialistischer Entwicklungen17.30 - 19 Uhr Kulturprogramm mit der Gruppe „Quijote“, Chemnitz: „Nur diese eineSchwalbe“ – Lieder von Mikis Theodorakis in deut-scher Sprache

Ab 19 Uhr Empfang anlässlich des 15. Gründungsjubiläums der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen

25. März, Sonnabend, 10 - 17 Uhr

• Prof. Dr. Wolfgang GEIER1956 – Wirklichkeitsverluste und Wahrheitsverweige-rungen. Miszellen zur Diskussion• Prof. Dr. Joachim BIENER, LeipzigDer 4. Schriftstellerkongress am 4.-6. Januar 1956 alsverheißungsvoller Jahresauftakt• Gerhard ZWERENZ, SchmittenBloch in Leipzig – oder die Front zwischen Stalin undHeidegger

Linke Utopien – die Zukunft denken• Prof. Dr. Helmut SEIDEL, LeipzigZum Verhältnis von Utopie und Wissenschaft.Philosophiehistorische Anmerkungen• Dr. Ernst WURL, BerlinZur Beziehung zwischen Politik und Utopie im Lichtegeschichtlicher Erfahrungen• Prof. Dr. Michael BRIE, BerlinOmnia sunt CommuniaDie Zukunft des Kommunismus nach seinem Schei-tern• Dr. Andreas HEYER, HalleSozialismus denken. Zum Stellenwert der postmateri-ellen Utopie• Prof. Dr. Hans-Gert GRÄBEDas „Prinzip Hoffnung“ in der Wissensgesellschaft

VI. Rosa-Luxemburg-Konferenz24./25. März2006Ratskeller der Stadt Leipzig, Lotterstraße 1

Tagungsgebühr 5 Euro, Kostenbeteiligung Speisen Empfang 5 Euro

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LEIPZIGS NEUE • 5 ‘06 • 10. MÄRZ 200618 • POST

Als Teilnehmerin der öffent-lichen Anhörung der Frak-

tion DIE LINKE im Bundestagwurde ich Zeuge ungewöhnli-cher Ereignisse. Das unerwartethohe Interesse von 450 Expertenveranlasste die Fraktion, denVeranstaltungsort zu ändern: Imgrößten verfügbaren Raum desBundestages – im Fraktionssaalder CDU/CSU – debattierte DIELINKE über Wege zur Überwin-dung von Harzt IV. Das gab esnoch nie!Auch der Anlass selbst war einNovum: DIE LINKE lud, ehesie den Rahmenantrag „FürSelbstbestimmung und sozialeSicherheit“ in den Bundestageinbrachte, zur Debatte des Ent-wurfes ein. Dieses Angebot er-reichte nicht nur die üblichen

Experten aus Institutionen undEinrichtungen, aus Gremien derPolitik und Wissenschaft. Auchdie Betroffenen waren anwe-send. Sie verkörperten das ge-samte Spektrum der sozial Enga-gierten und ihre Initiativbe-wegungen. Es wurde nicht überuns gesprochen, sondern mit unsdebattiert! Ein politischer Stil,dessen sich alle unsere Mandats-träger in Gemeinden, Städten und

Ländern annehmen sollten.Und es blieb nicht beim Dis-kutieren. Die Linkspartei.PDSgab ein klares Bekenntnis zuraktiven Unterstützung der sozia-len Protestbewegung – von denMontagsdemonstrationen bis hinzum großen zentralen Protesttagam 03.06.2006 in Berlin!Im 3. Problemkomplex – Fragender Perspektiven sozialen Prote-stes –, gestaltet von Trägern und

Organisatoren der Protestbewe-gungen, dominierte die Erwar-tung an DIE LINKE, deutlicherauch strategische Visionen zuformulieren. Sie darf sich nichtdem neoliberalen „Machbar-keits“-Kriterium unterwerfen.Als Sprecherin der AG „SozialePolitik“ in und bei der Links-partei.PDS-Leipzig, die sich dergleichberechtigten Bündelungund Vernetzung der verschie-denartigen Initiativen und Be-wegungen vor Ort verschriebenhat, vermittelte mir dieser Tagnicht nur neue Kraft und Impul-se. Es wurde meine Gewissheitbestärkt: Eine neue Welt, eineneues Deutschland ist möglich!

PETRA WEIßFUß, LEIPZIG

Neuer Schwung für Überwindung von Hartz IV

Mit neuem Politikstil in ungewöhnlicher Umgebung

Wer es ehrlich meint mit der sooft als Sprechblase ge-

brauchten Demokratie hatte tat-sächlich die Qual der Wahl imLeipziger 2. OBM-Wahlgang.Insofern hatte die Redaktion eineglückliche Hand, unmittelbar vordem 26. Februar zwei unterschied-liche Auffassungen nebeneinanderabzudrucken. Herr Jung hält Wahl-en „für eine staatsbürgerliche Auf-gabe, ohne die die Demokratie zer-fallen würde.“ Die Demokratie zer-fällt jedoch auch dann, wenn manden Wählern keine echte Al-ternative bietet, die ihnen eine Ent-scheidung abverlangt. Herr Jungbezeichnet die hohe Sensibiliät fürsoziale Fragen als eine „Schnitt-menge“ mit der Linkspartei. Diebedrückende soziale Lage vielerLeipziger wäre schon eine klareAbsprache mit dieser Partei wertgewesen. Inwiefern jedoch einesolche Absprache zum wirklichen

Engagement für „diejenigen, dieim Schatten stehen“ den Interessender „gesamten Bürgerschaft“widersprechen soll, bleibt seinGeheimnis.Die Platzierung der Ansicht einigerMitglieder der WASG neben die-sem Interview macht noch etwassichtbar: Kein Wort ist bei Jung zuden in der Diskussion befindlichenPrivatisierungen zu lesen. Wenndie Unterzeichner der Mitteilungdes WASG-Kreisverbandes ihreZweifel anmelden, dass Privatisie-rungen mit diesem SPD-Mann ver-hindert würden, muss einen dasschon deshalb nachdenklichmachen. So gesehen ist Jung wirk-lich keine echte Alternative. Dasscheinen die Leipziger Wählerbzw. Nichtwähler auch so gesehenzu haben ... Auch wenn man sichfreuen kann, dass CDU-Albrechtverhindert wurde.

HARRY PURSCHE, LEIPZIG

Seit vielen Jahren sind wiraufmerksame Leser von

Leipzigs Neue. Sie ist unseresErachtens politikwissenschaft-lich tiefgründig und informativ.Natürlich kann man als Lesernicht immer mit jeder Veröf-fentlichung übereinstimmen.Aber das ist wohl auch gewollt.In der letzten Ausgabe (4’06)haben wir besonders aufmerk-sam die Beiträge zur OBM-Wahl gelesen. Die beiden dar-gebotenen unterschiedlichenPositionen haben uns persön-lich geholfen, eine hoffentlichrichtige Wahlentscheidung zutreffen, die uns beim 2. Wahl-

gang besonders schwer fiel.Man kann der ehrenamtlichen„Links“-Redaktion für diesenützliche Zweiwochenzeitungnur danken. Bitte weiter so! Wirheften die Zeitung laufend abund lesen oft nach. So u. a. denfür das Denken und die Gesprä-che mit Senioren und Jüngerenbemerkenswerten Beitrag „Diemelkenden Rentner“ vom Au-gust letzten Jahres auf Seite 1.Bestimmte Beiträge haben wirauch Bekannten und Freundenin Berlin, Hamburg und Norwe-gen zum Lesen zugeschickt.

DORIS UND RUDOLFSCHEFFLER, LEIPZIG

Was für eine Wahlqual ...LN bis Norwegen geschickt

MANCHE ENTFERNUNGEN SIND ZU GROSS füreine Wanderung. Da steigen wir in den Doppelstockwag-gon eines Regionalzuges, plaudern mit plauderwilligenFahrgästen oder – wenn es daran mangelt – lesen Zeitun-gen. Da stieß ich auf diese Drei-Sätze-Nachricht: „Ebers-walde (dpa) Der vor gut einer Woche bei Eberswalde(Barnim) gefundene Obdachlose ist eines natürlichenTodes gestorben. Die Obduktion habe keinerlei Hinweiseauf ein Fremdverschulden erbracht, sagte eine Po-lizeisprecherin am Donnerstag. Ein Spaziergänger hattedie Leiche des 57jährigen Obdachlosen in einem Wald-stück entdeckt.“ Ich begann nachzudenken. Eine Alltags-Nachrichtvonheute? Ist es ein „natürlicher Tod“, alsObdachloser zu sterben? Natürlich nicht,denn niemand wird als Obdachloser geboren.Und schon plagten mich Fragen nach demmöglichen Lebensweg des 57jährigen. Vielleicht hatte erProbleme in der Schule und verließ sie schon mit 14 Jah-ren? Das wäre dann 1962 gewesen. Ebenso gut konnte eraber auch ein Abitur abgelegt haben. Dann hätte er den Ab-schluss um 1966 feiern können. Seine Chancen, mit die-sem oder jenem Abschluss die Schule verlassen zu haben,standen 50:50, denn in jener Zeit hatte jeder jede Chance.Als sicher dürfte auch gelten, dass er einen Beruf erlernthatte, denn niemandem wurde in jenen Jahren eröffnet:„Tut uns leid, einen Ausbildungsplatz haben wir nicht. Ver-suchen Sie es doch mal mit einer Bewerbung.“ MeineGedanken nahmen viele Kurven und noch mehr Fragehür-den. Wann mag er seine Arbeit verloren haben? MitSicherheit nach 1990. Vielleicht um 1993? Da wäre er 42Jahre alt gewesen. Und nun ohne große Chance, ins ge-wohnte Leben zurückzukehren. Kein Job, kein Urlaub an

heißen Stränden, kein schnelles Auto, vielleicht nicht maleine Familie ... Ich verliere mich. Nun soll er eines „natürlichen Todes“gestorben sein. Am Ende eines nicht ganz natürlichen Le-bens ...ABER ICH GEBE ZU: Viele bewegen ganz andere

Gedanken und Probleme. In Neuruppin nahmen wir malwieder eine „Auszeit“ in einem Gerichtssaal. Der Fall:Eine Frau besaß einen Friesenhengst und entdeckte plötz-lich, dass er ihr nicht mehr gefiel. Also brachte sie ihn aufden Pferdemarkt oder bot ihn im Internet an oder weiß derTeufel, was sie anstellte, um das Pferd loszuwerden. 7500DM kassierte sie, aber eines Tages erwachte die Sehnsuchtnach dem Hengst in ihr und sie kaufte ihn zurück. Für4500 Euro. Das nennt man wohl „Marktwirtschaft“. Aller-dings bezahlte sie die Summe nicht, sondern nur 405 Euround fragen Sie mich nicht, warum gerade 405 Euro undnicht 415? Die Verkäuferin war sauer. Was tun in solchemFall? Man bedient sich des Rechtsstaats und zieht vorGericht. Die Hengstfreundin verlor. Und dann? Geht manin Berufung. Sie behauptete, der Hengst sei schadhaftgewesen. Sein Hoden hätte gefehlt, der Penis sei von

einem Tumor befallen gewesen und obendrein plagte ihnein Bandwurm. Kleist hätte daraus garantiert einen moder-nen „Richter Adam“ geschrieben, aber zunächst musstenGutachter aufgeboten werden. Das mit dem Tumor wardas aufwändigste, weil der Tierarzt lange brauchte, ehe erden erektierten Penis zu sehen bekam. Vielleicht wandern

wir demnächst wieder nach Ruppin, denndas Urteil fällt erst Mitte März, aberinteressieren tut es uns schon. Auch, obder Hengst noch lebt. Dank des Rechts-

staates.UND NOCH EINE WANDERGESCHICHTE habe ichfür Sie. Vielleicht die schönste des Tages. Ich hoffe, Siekönnen mir folgen. Die Straße von Oderberg nach Liepewird saniert. Aufschwung Ost! Also fährt der Bus vonOderberg nach Eberswalde nun wegen der Umleitungdurch einen Nachbarkreis und also müssen die Benutzerder Monatskarte künftig statt 73,50 Euro saftige 147 Euroberappen. Die Hartz-IV-Empfänger toben. Aber derGeschäftsführer der Busgesellschaft tat, als wisse er garnicht wovon die Rede ist. Sein Argument: „Wenn der Flug-platz in München saniert wird, müssen die Fluggäste auchsehen, wie sie von einem Ausweichflugplatz nach Mün-chen kommen.“ Hugh, ich habe gesprochen. Und die Fahr-gäste dürfen bezahlen.

• KLAUS HUHN

Wanderungen durch Neufünfland

Wenn ein 57jähriger Obdachlosereines „natürlichen“ Todes stirbt ...

AlbrechtsBevormundung

Die Wahlplakate mit dem Slo-gan „Mölkau wählt Albrecht“empfand ich als Zumutung fürden immer so oft zitierten„freien“ Bürger. Sie suggerie-

ren eine Wahlentscheidung, dieerst noch getroffen werdenmusste, ignorierten andereMeinungen und sind eine Be-vormundung und Entmün-digung. Ich fühle mich wie denVersuchen einer Drückerkolon-ne ausgesetzt, die ungeliebte

Sachen aufschwatzt und an-schließend die so nicht er-wartete Rechnung präsentiert.So wird kein Vertrauen aufge-baut und Leipzig auch nichtgerettet.

S. LORENZ,LEIPZIG

Auf ihrer jüngsten Tagungsolidarisierte sich die Bun-

des- AG Betrieb & Gewerk-schaft der Linkspartei.PDS mitden Beschäftigten, Betriebsrä-ten und Ver.di im Kampf gegendie Arbeitsplatzvernichtung beider Deutschen Telekom AG.Seit dem Börsengang wurden

bereits 100 000 Stellen vernich-tet. Die angeblich überflüssigenKolleginnen und Kollegenschiebt man in die Beschäf-tigungsgesellschaft Vivento undIhre Tochterfirmen für Call Cen-ter (VCS) und Technischen Ser-vice (VTS) ab. Ein großer Teilarbeitet als Leih- und Zeitarbeiterwieder im Mutterkonzern. DerPersonalabbau wird auf demRücken der Beschäftigten undder Kunden ausgetragen. Monat-lich verliert die Telekom 100 000Kunden. Dennoch möchte derKonzern nochmals 32 000 Stel-len streichen. Mit der Schließungund Zusammenlegung von Call-centern wird versucht, vor allemFrauen in Teilzeit aus der Be-schäftigung zu drängen. Anfahr-ten von bis zu 180 km sind für sieschlicht nicht möglich.

AG BETRIEB&GEWERKSCHAFT

Zeichen stehenauf SturmSolidarität mit Streikenden

Zu LN 4’06: „Wer die Wahl hat ...“ und „Jung ist keine Alternative“

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Dienstag, 14. März, 19 Uhr, DresdenMusikalische Lesung in Bildern: Die Welt inmeinen Augen. Mit Armin Pongs, München undSteve Skaith, Mexico City ***„WIR AG“, Martin-Luther-Str. 21Mittwoch, 15. März, 18 Uhr, LeipzigVortrag und Diskussion: Der politisch-ideologi-sche Differenzierungsprozess in der deutschenArbeiterbewegung während des ersten Weltkrie-ges und seine organisatorischen Auswirkungen.Mit Prof. Dr. Kurt Schneider. In Zusammenarbeitmit Bürgerverein MessemagistraleMessemagistrale, Str. des 18. Oktober 10aDonnerstag, 16. März, 17.30 Uhr, LeipzigVortrag und Diskussion: Zu aktuellen Proble-men in der Ukraine. Mit Dr. Hannes Hofbauer,Wien Harkortstr. 10Montag, 20. März, 16 Uhr,ChemnitzReisebericht und Diskussion: Israel – ein Landohne Freiheit. Mit Karl Friedrich Zais, MdL. InZusammenarbeit mit dem Stadtvorstand DieLinke.PDS ChemnitzVolkssolidarität, Mozartstr. 1Dienstag, 21. März, 17 Uhr, DresdenVeranstaltung anlässlich des 95. DeutschenBibliothekertages in Dresden Der überwachteMensch. Mit Gerd Stumpf und Stephan Stolle,Berlin„WIR AG“, Martin-Luther-Str. 21

Dienstag, 21. März, 18 Uhr, ChemnitzAusstellungseröffnung und BegleitprogrammEine alltägliche Bedrohung - aktueller Antise-mitismus in Deutschland und Europa. Mit Dr.Werner Abel, ChemnitzSoziokukult. Zentrum QUER BEET, Rosenplatz 4Mittwoch, 22. März, 18 Uhr, LeipzigSozialstaat versus Sozialismus im Kontextgesellschaftlicher Veränderungen. Mit Prof. Dr.Dieter Klein, Berlin ***Harkortstr. 10Donnerstag, 23. März, 15 Uhr, LöbauBuchvorstellung Berlin zwischen Ost und West -Erinnerungen eines Diplomaten. Mit dem AutorDr. Joachim Mitdank, Berlin. In Zusammenarbeitmit ISOR und dem Ortsverband Löbau derLinkspartei.PDSLausitzer Granit, Äußere Zittauer Str. 67Freitag, 24., 14-17, Sonnabend, 25. März,10–17 Uhr, LeipzigVI. Rosa-Luxemburg-Konferenz. Linke Utopi-en, die Zukunft denken. Das Krisenjahr 1956.Mit Prof. Dr. Michael Brie, Prof. Dr. JoachimBiener, Prof. Dr. Wolfgang Geier, Prof. Dr. Hans-Gert Gräbe, Prof. Dr. Karl-Heinz Gräfe, Dr.<Andreas Heyer, Dr. Holger Politt, Prof. Dr.Siegfried Prokop, Dr. Jörn Schütrumpf, Prof. Dr.Helmut Seidel, Dr. Ernst Wurl und Ingrid Zwe-renz. Moderation: Gerhard Zwerenz und Dr.Marion Schütrumpf.24. 3., 17 Uhr, Kulturprogramm, ab 19 Uhr Emp-fang anlässlich des 15. Gründungsjubiläums derRosa-Luxemburg-Stiftung SachsenRatskeller, Lotterstr. 1

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23. 3., 16.30 Uhr: Rettet dasRaumschiff Erde – Lernt, aufneue Weise zu denken. Gedankenzum „Potsdamer Manifest“, eineDiskussionsrunde

Isor e. V. führt Beratungen fürRentner und angehende Rentnerdurch, die Mitarbeiter der be-waffneten Organe und der Zoll-verwaltung der DDR waren,sowie für diejenigen, die nachder Neufassung des § 6, Abs. 2und 3 AAÜG neu vom Renten-strafrecht bedroht sind. Die Sprechstunden finden anjedem vierten Mittwoch desMonats von 16 bis 17 Uhr imStadtteilzentrum Messemagi-strale, Straße des 18. Oktober10 a, 04103 Leipzig, statt.

ISOR e. V.Unter diesem Motto findet der diesjährige Ostermarsch vom 14. bis15. April statt. Die Fahradtour führt am ersten Tag nach Zeitz unddann zurück über Hohenmölsen, Lützen und Schkeuditz nach Leip-zig. In Schkeuditz wird wegen der vorgesehenen Nutzung des Flug-hafens für militärische Zwecke Station gemacht. Weitere Informationen: Jeden Freitag ab 16 Uhr, Liebknecht-Haus

„Zukunft braucht Frieden braucht Zukunft“

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5 ‘06 • 10. MÄRZ 200620 • ALLERHAND

64001 DP AG Postvertriebsstück Gebühr bezahltProjekt Linke Zeitung e. V., Braustraße 15, 04107 Leipzig

Der US-Militäretat ist jetzt 45Prozent höher als bei BushsAmtsantritt. DLF 8. 2.

Therese Neumann (Therese vonKonnersreuth) soll selig gespro-chen werden. Sie soll u.a. 35Jahre lang nur Hostien geges-sen haben. Der Seligspre-chungsprozess ist langwierigund teuer. Jetzt kam vom Selig-sprechungsanwalt aus Rom eineRechnung: 26 000 Euro.

Bayerisches Fernsehen 9. 2.

In den Kinder- und Jugendsport-schulen der DDR wurde auchNachwuchsförderung betrieben.(Welche Erkenntnis!) DLF 9. 2.

Großbritannien ist das am bes-ten überwachte Land. Auf jeden14. Briten kommt eine Überwa-chungskamera.

ZDF 9. 2.

Meine kleine Tochter soll eineZukunft haben, wir müssen dieweiße Rasse retten. AlleSchwarzen sind zu beseitigen,das gilt auch für alle Schwulenund Lesben, die uns mit Krank-heiten überziehen. Eine jungeAmerikanerin in einem Film überSkinheads.

3sat 13. 2.

Einkommensstarke leben in derBRD neun Jahre länger als Ein-kommensschwache.

Karl Lauterbach, Rentenexperte.Bayerisches Fernsehen 14. 2.

Dass deutsche Finanzinstituteden Aufstieg der Nazis finanzierthaben, das steht doch in jedemSchulbuch. (Wirklich?)

In Spanien ist die Arbeitslosig-keit von 20 auf 9 Prozent gesun-ken. In keinem anderen EU-Land gibt es so viele befristeteArbeitsverhältnisse. Arbeitsver-träge für 1 bis 2 Tage, für 1 Wo-che oder einen Monat sind keineSeltenheit. Beides DLF 17. 2.

Eine westdeutsche Dach-decker-Berufsgenossenschafthat 12 000 Rentner. Davon sind350 mit 65 Jahren, alle anderenim Durchschnitt mit 58 in Rentegegangen. DLF 18. 2.

... schauen Datenschützerdurchaus besorgt zu, wie Video-überwachung zur Normalität ineiner Stadt wird, die dereinst aufdie Straße ging, um gegen einenÜberwachungsstaat zu prote-stieren. LVZ 18./19.2.

• gefunden von Manfred Erbe

Ekkehard Fritz

Die Unentschlossenen

Herausgeber: Projekt Linke Zeitung e.V.,V. i. S. P.: Rahel Springer

Redaktion: Braustraße 15, 04107 Leipzig,Tel./Fax: 0341 / 21 32 345E-Mail: [email protected]: www.leipzigs-neue.deEinzelpreis: 1 Euro, im Abonnement halb-jährlich (für 13 Ausgaben): 13 Euro

Vertrieb, Abonnement, Abrechnung,Anzeigen, Werbung:

Ralf Fiebelkorn, Büro- und Verlagsservice,Gärtnerstraße 113, 04209 Leipzig.Tel./Fax (Redaktion): 0341 / 21 32 345

Druck: Rollenoffset-Kiel GmbH

Einzelne Beiträge müssen nicht mit der Mei-nung der Redaktion übereinstimmen. Fürunverlangt eingesandte Manuskripte undFotos wird nicht gehaftet.

Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 7. MärzDie nächste Ausgabe erscheint am 24. März

Spendenkontofür Projekt linke Zeitung e. V. bei derSparkasse Leipzig, BLZ: 860 555 92, Konto: 11 50 11 48 40

FUNDSACHEN

Zwei Männer, ein junger und ein alter, wan-derten durch den Wald (oder die Wüste). ImSchatten eines Steins auf einer Lichtung(oder in einer Oase) rasteten sie, schobenihre Tropenhelme ins Genick und genossenBrot, Käse, Wurst und Schnaps, urigdeutsch. Dann rauchten sie. „Sieh mal“, sagte der Jüngere zum Älteren,„da drüben. Der rote Stein! Ist der nicht selt-sam?“Der Ältere setzte sich mühsam auf, rückteseine Sonnenbrille zurecht und sagte dann:„Quatsch! Der Stein ist nicht rot, der istbraun.“

Sie stritten sich eine Weile, ob der Stein nunrot oder braun sei, und ob da nicht eine Ge-fahr lauere. Das trieb ihnen den Schweiß von den Stir-nen, der floss ihnen unter die Brillen und indie Augen, die da brannten und tränten, unddie beiden Männer nahmen die Brillen ab.Und siehe – der Stein war weder rot nochbraun, er war grün. Dem misstrauten beideStreithähne. Und sie gingen hin, um sichGewissheit für spätere Eintracht zu ver-schaffen. Aber sie kratzten am rostrotgerän-derten Grün des Mooses, der den Stein be-deckte, und siehe, der Stein war schwarz..

Welches Lied singen die Knirpse? Wer ist ihr Vater?

??

Viren überall:Brennpunkte im Fernsehen,Schlagzeilen in der Zeitung,Katzen in den Nachrichten,Minister am Telefon,Kanzlerin auf der Insel.

GermanistikstudentStefan Kühn besiegt s e i n e Ängste in Versen...

LN-LebensregelNr. 2006 - 3

Wenn sie unsympathisch sind,dann teilen Sie das bitteunbedingt aller Welt mit,das macht sie sympatisch !

Im Märzen der Bauer...Heinrich Zille

Lösungsspiegel

Nach der Wahl

ist vor der Wahl

Hafünfenneins

In Deutschland nagtdie VogelgrippeAn BundesadlersSchmaler Rippe

Ob links vorbeiOb RechtsparteiDem Virus geht es gutJuchei!

HafünfenneinsVier fünf sechs siebenIm Wasservogelgratis fliegenNoch nicht an MaasDoch schon in MemelDer VogelvirusAuch im Kreml?

HafünfenneinsVier fünf sechs siebenDazu ist insGesetz geschrieben:In der UmgebungBlasser SchwäneHilft nur noch Vogelquarantäne.