GLENNA McREYNOLDS Stein und Efeu · 2013. 11. 8. · Satz: Uhl + Massopust, Aalen Druck:...

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GLENNA McREYNOLDS Stein und Efeu

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Page 1: GLENNA McREYNOLDS Stein und Efeu · 2013. 11. 8. · Satz: Uhl + Massopust, Aalen Druck: Elsnerdruck, Berlin Verlagsnummer: 35299 Lektorat: SK Redaktion: Ilse Wagner Herstellung:

GLENNA McREYNOLDS

Stein und Efeu

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Buch

Wales, gegen Ende des zwölften Jahrhunderts. Ceridwen, Tochtereines keltischen Königs und im Besitz magischer Kräfte, und ihrGeliebter Dain haben die Burg von Carn Merioneth verlassen. Nunübernimmt Rhuddlan, der König der Elfen, die Rolle des Drachen-hüters. Doch die Befreiung der Drachen – die Hüter der Zeit undGaranten des Lichts sind – hat nicht den erhofften Frieden nachCarn Merioneth gebracht. Rhuddlan, dessen Elfensinne schärfersind als die der Menschen, ahnt Unheil. Bald schon ist Merionethbedrohter denn je, denn Caerlon, der dunkle Magier, will sich Zu-gang zu den Zeittoren verschaffen, um durch eine Reise in die Ver-gangenheit zu gelangen – dorthin, wo er die Macht an sich reißenkann. Doch allein kann er den Kampf gegen das Elfenvolk nicht auf-nehmen. Also ruft er die Mächte des Bösen zusammen: Kreaturen,die in der Höhlenwelt unter der Erde leben. Sie alle versammelnsich, um Carn Merioneth für immer zu zerstören. Eine gewaltigeSchlacht beginnt, und ihr Ausgang wird über die Zukunft vonCeridwen und Dain entscheiden – und über den Fortbestand der

Welt…

Autorin

Glenna McReynolds wurde bereits mehrfach als Autorin ausge-zeichnet. Nach mehreren erfolgreichen Veröffentlichungen in denUSA eroberte »Kelch und Schwert«, ihr erster historischer Roman,sofort die Bestsellerlisten. Glenna McReynolds lebt mit ihrem Mann

und zwei Kindern in den westlichen Rocky Mountains.

Bisher von der Autorin erschienen

Kelch und Schwert (35227)

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Ins Deutsche übertragenvon Elke Bartels

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Die Originalausgabe erschien unter dem Titel»Dream Stone« bei Bantam Books,

Random House Inc., New York.

Umwelthinweis:Alle bedruckten Materialien dieses Taschenbuches

sind chlorfrei und umweltschonend.Das Papier enthält Recycling-Anteile.

Blanvalet Taschenbücher erscheinen im Goldmann Verlag,einem Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann.

Deutsche Erstveröffentlichung September 2000© der Originalausgabe 1998 by Glenna McReynolds

© der deutschsprachigen Ausgabe 2000 byWilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Bertelsmann GmbHUmschlaggestaltung: Design Team München

Umschlagillustration: F. RegösSatz: Uhl + Massopust, Aalen

Druck: Elsnerdruck, BerlinVerlagsnummer: 35299

Lektorat: SKRedaktion: Ilse Wagner

Herstellung: Heidrun NawrotMade in Germany

isbn 3-442-35299-1www.blanvalet-verlag.de

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Für Stan –immer eine erfrischende Brise,immer eine treibende Kraft.

Dank

Der tief empfundene Dank der Autorin giltElizabeth Barrett, einer äußerst fähigen

und einfallsreichen Lektorin,und Cindy Gerard, Prüfstein der Muse.

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Anmerkung der Autorin

In diesem Roman tauchen neben einer Reihe von walisischenNamen und Wörtern auch einige Ausdrücke aus dem Irischenauf, beides Sprachen, die dem keltischen Sprachstamm an-gehören. Das Walisische wird phonetischer als das Englischegeschrieben, wobei jeder Konsonant nur einen Laut hat. »C«wird beispielsweise immer wie »k« ausgesprochen, wie in»Kerze«; »s« wird immer scharf gesprochen wie im englischen»sit«, niemals weich wie in »nose«; »f« wird stets wie »w« ge-sprochen. Zusätzlich zu den einzelnen Konsonanten werdenDigraphen (Verbindung von zwei Buchstaben zu einem Laut)benutzt, um bestimmte walisische Laute auszudrücken: »dd«wird wie das englische »th« gesprochen, zum Beispiel wie in»breathe« – also weich und stimmhaft –, während »th« denetwas härteren und stimmlosen Klang wie in dem Substantiv»breath« hat. »ff« wird wie »f« gesprochen, zum Beispiel wiein »Film«; »si« wie das englische »sh«, zum Beispiel wie in»shop«; und »ch« stets wie in »Bach«, niemals wie in dem eng-lischen »church«. Der Buchstabe »r« wird im Walisischen ge-rollt. Die Betonung liegt gewöhnlich auf der vorletzten Silbe.

Da ich in diesem Roman viele Fremdwörter und unbekannteNamen für Personen und Orte verwendet habe, habe ich amEnde des Buches ein Glossar hinzugefügt.

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Wales

Irische See Gwynedd

Powys

Maelienydd

Elfael

Gwent

Glamorgan

Deheubarth

Merioneth

Anglesey

RiverBreddLleyn Peninsula

Kam

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Dovey

River

DolwyddelanCastle

CarnMerioneth

(Balor Keep)

Ynys Enlli(Insel derHeiligen)

KlosterStrataFlorida

Rhayader

Llynfi

Usk

Wye

Cardiff

KlosterUsk

WydehawCastle

BreconBeacons

Wald vonWronen

SchwarzeBerge

Dwyryd

Tryfan

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Personen

Ynys Enlli

Nennius – ein MönchGruffudd – ehemaliger Wächter auf Balor Keep

Carn Merioneth

Mychael ab Arawn – Erbe von Carn Merioneth; Sohn von Rhi-annon, die letzte Druidenpriesterin

Madron – Meisterin der ZauberkünsteOwain – Waliser, der mit den Quicken-tree in der Schlacht um

Balor kämpfteEdmee – Tochter von Madron und Rhuddlan

Die Quicken-tree:Rhuddlan – König der tylwyth tegNaas – eine SeherinMoira – eine HeilerinAedyth – eine Heilerin

Die Liosalfar:Trig – Hauptmann/KommandeurLlynya – das ÄtherwesenShayBedwyr – WaffenmeisterWei – stellvertr. HauptmannMathNiaPwyllRoth

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Unergründliche Finsternis

Caradoc – Wyrm-Gebieter; ehemaliger Herrscher von BalorKeep

Varga Von Den Eisendünen – Sha-shakrieg-Lehnsherr aus De-seillign

Slott Von Den Tausend Schädeln – der TrollkönigAilfinn Mapp – Prydion-Magierin

Die Dockalfar – die Dunkel-Elben:Caerlon – ein MagierLacknose DockBlackhand DockFrey DockRatskin DockRedeye Dock

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In einer längst vergangenen Epoche am Rande der Unergründ-lichen Zeit fiel ein Stern zur Erde herab. Er landete jedoch nicht auf der endlosen Wasserfläche der großen Ozeane, son-dern pflügte eine Bahn quer über eine Insel im nördlichenMeer. Scherben und Splitter des glitzernden Himmelskörpersfielen wie Regen auf die Berge hinunter, die der Stern hintersich auswarf, und seit der Zeit schätzten die Bewohner der In-sel die Steine aus Licht, Traumsteine genannt, und das wun-derbare Metall, das aus dem Inneren des Sterns gewonnenwurde. Sie standen nicht allein mit dieser Wertschätzung. Jahr-tausende vergingen, die Erde erlebte ein neues Zeitalter unddann ein weiteres, bis eines Tages aus weiter Ferne ein dunklerSchatten herbeizog, auf der Suche nach dem verlorenen Stern.

Woher der Stern und die Dunkelheit kamen, ist nicht belegt;es gibt nur Aufzeichnungen über den Stern selbst, der immertiefer in den fruchtbaren Mutterboden der Erde eingesunkenwar, bis das umgebende Gestein das Licht des Himmelskörpersnach innen leitete und seine Hitze sich einen Weg durch denErdmantel brannte und dabei einen Durchgang zu einem un-terirdischen See erschloss und einen endlosen Abgrund ins In-nerste der Erde freilegte.

Himmlische Flammen, entzündet durch den feurigen Sturz-flug des Sterns, entfachten Leben in den dunklen Wassern desMeeres, und alle diejenigen, die durch das Feuer des Sterns dasLicht der Welt erblickten, wurden für alle Zeit und wahrheits-getreu die Sternenlicht-Geborenen genannt. Schön von Ange-sicht, mit hoher Stirn und strahlenden Augen, entsprossen sieder Vereinigung von Himmel und Erde und herrschten über dieZeitalter der Wunder: die Quicken-tree, Daur und Ebiurrane,die Kings Wood und Red-leaf, die Wydden und Yr Is-ddwfn.

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Mit dem Herabsinken des dunklen Schattens gingen die ers-ten Zeitalter zu Ende. Die weit verstreuten Stämme der Ster-nenlicht-Geborenen vereinigten sich wieder auf der uraltenFestungsinsel ihrer Geburt, und in den tausend und abertau-send Jahren, die darauf folgten, erforschten sie intensiv dieKunst der Zauberei, um vorübergehende Erleichterung vondem Chaos zu finden, das in der immer währenden Nacht vonDharkkum herrschte. So entstanden in dem Dunklen Zeitalterdie Prydion-Magier und die Sieben Bücher des Wissens undviele andere Dinge der unterschiedlichsten Art, fabriziert inden großen Zauberkesseln der Magier. Zwei dieser Dinge be-saßen jedoch zerstörerische Kräfte. Geboren aus einem einzi-gen Gebräu in einem Schmelztiegel, geschmiedet aus demgroßartigen Metall des Sterns, erwachten ein roter und ein grü-ner Drache fauchend zum Leben und verschlangen die Finster-nis, um nichts als zerfetzte Überreste von Rauch und Gasenübrig zu lassen. Diese versiegelten die Prydion-Magier mitBergkristall im Erdinneren. Die Drachen entließen sie in diegroßen Ozeane der Welt, um schäumend die Wogen aufzu-wühlen und so für den Wechsel der Gezeiten zu sorgen, damitder Mond immer wieder zur Sonne zurückkehrte und der fin-stere Schatten nie wieder zwischen die beiden himmlischenLichtquellen fallen würde.

Aber kampflustige Bestien sind immer hungrig, und nochwährend die Drachen den Laich ihrer ersten Brut an den Uferndes unterirdischen Sees ablegten, schmiedeten die Magier eineinzigartiges Schwert, um sie zu beherrschen – seine Klinge mitunvergleichlichem Sternenmetall getempert, sein Heft mit denSteinen aus Licht besetzt. Dann verhängten sie einen Blutzau-ber über die Völker der Erde, um fortan bis in alle Ewigkeit si-cherzustellen, dass diejenigen, die das Schwert handhabenkonnten, rechtzeitig in Erscheinung treten würden, wannimmer sie gebraucht wurden.

Zwei dieser besonders Befähigten wurden im zwölften Jahr-hundert des Fünften Zeitalters der Menschheit auf der Insel ge-boren, damals als England bekannt, als die Gefahr der Fin-sternis abermals näher rückte: eine Kind-Frau der Yr Is-ddwfn

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und ein Mann, dem Träume von Krieg im Blut lagen – Äther-wesen des Sternenscheins, Sternenlicht-Geborene, gebundendurch himmlische Äther.

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Prolog

September 1198Ynys Enlli, Insel der Heiligen

Wales

Nennius bewegte sich leisen Schrittes über den Fußbodenseiner Einsiedlerzelle, so vorsichtig, dass seine Sandalen keineinziges Staubkörnchen in die Luft wirbelten. Es war ein Aktnatürlicher Grazie für jemanden wie ihn, leichtfüßig über denErdboden zu schreiten, so leichtfüßig, dass es unter den ande-ren Culdee-Mönchen auf der Insel einige gab, die ihn für einenauserwählten Heiligen hielten. Ein paar von ihnen pflegten ihmjedoch eine eher unheilvolle Bestimmung zuzuschreiben, undin Wahrheit war es die letztgenannte Gruppe, der er alle Weis-heit zugestand, die es auf Ynys Enlli zu finden gab.

Ein einzelner Lichtstrahl fiel durch einen Riss in der Zel-lentür und spaltete die Düsterkeit, um einen grob gezimmertenTisch zu beleuchten und die Dinge, die sich darauf türmten:Bücher. Aus Pergament gefertigt und in Eichenholz und Ledergebunden, entstammten viele davon seiner eigenen Feder;einige hatte er aus ihrem in quaternis Zustand auf verstaubtenKlosterregalen gerettet, wo sie, zerfleddert und ohne Einband,in Vergessenheit geraten waren; während er andere schlicht-weg gestohlen und unter seinen Gewändern verborgen hatte,um sie über drei Ozeane hinweg in diesen entlegenen Winkelder Welt zu bringen, wohin ihre Worte ihn geführt hatten –zurück zu dem Ort an den Ufern eines kalten Meeres, wo ersechzehn Jahre zuvor aufgewacht war, verloren und vonWahnsinn verzehrt. In den langen Jahren seiner Wanderschafthatte es ihn in viele ferne, unbekannte Länder verschlagen, be-

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vor er schließlich seine geistige Gesundheit und seine Zielstre-bigkeit zurückerlangt hatte. Mit der neu erwachten Zielstre-bigkeit war auch die Suche nach den Büchern gekommen.Einige der gewichtigen Bände hatte er buchstäblich ausgrabenund den Leichen von Mönchen entreißen müssen, die einst ge-schworen hatten, ihr Wissen mit ins Grab zu nehmen. Eines derBücher war ein Geschenk gewesen, ein kleiner Psalter, den ervor zwei Jahren von einm kahlköpfigen, verdrossenen Kloster-bruder namens Helebore bekommen hatte.

Nennius ging an dem Tisch vorbei zu der Strohmatratze aufdem Fußboden. Er hatte Bruder Helebore vermisst, nachdemer und der Rest der Culdees den ketzerischen Narren von denKlippen ins Meer gestoßen hatten. Nennius’ schlechtes Gewis-sen – und er hatte keine übermäßig starken Schuldgefühle ge-hegt – war jedoch beruhigt worden, denn der kahlköpfige Bru-der war nicht etwa untergegangen und ertrunken, wie sie allegeglaubt hatten, sondern im Wasser getrieben und für ein wei-teres Lebensjahr an den vom Unglück verfolgten Ufern vonMerioneth angeschwemmt worden – zumindest behauptetedas der Mann, der auf dem Strohsack lag.

Nennius kniete sich neben die Pritsche. Müde, vor Angsthalb wahnsinnige Augen blickten ihm aus einem wetterge-gerbten Gesicht entgegen, das fast gänzlich von einem zotteli-gen Bart und langem, strähnigem Haar verborgen war. DieBrüder William und Theo hatten den Wandersmann in Nen-nius’ Klause am südöstlichen Strand der Insel gebracht und da-mit Nennius’ selbstauferlegte Einsamkeit und seinen Friedengestört. Nicht, dass er ihnen diese Störung übel genommenhätte. Wohin sonst sollte man einen tobenden Irren bringen alszu jemandem, der sich bestens mit den Grillen und Phantaste-reien labiler Gemüter auskannte, besonders wenn besagter Ir-rer auch noch den Namen dieses Experten auf den Lippenführte? Nennius, Nennius, hatte der Mann ununterbrochen ge-brüllt, als er während des Mittagsoffiziums mit beiden Fäustenan die Kirchentür gehämmert hatte.

In einem unzusammenhängenden Schwall wirrer, hektischhervorgestoßener Worte hatte der Mann sich als Gruffudd be-

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zeichnet, Garnisonswache von Balor im Cymraeg-Königreichvon Merioneth an der Küste von Wales, einziger Überlebendereiner Schlacht gegen Dämonen, die in der Hölle stattgefundenhatte, während in dem Land droben der Frühling erblühte. Erhatte von einer Burg gesprochen, auf der ein Keiler herrschte,und von blauen Lichtstrahlen, die so scharf wie Messer schnit-ten; von Frauen, die wie Todesfeen an der Seite ihrer Männerkämpften, und von einem geisterhaft bleichen, kahlköpfigenTeufelspriester ohne Augenbrauen und mit einem Mund vollerverfaulter Zähne, dem Leibarzt des Keilers, der tief unten imErdinneren eines entsetzlichen Todes gestorben war, in Stückezerquetscht von einer riesigen Kreatur, so grauenvoll, dass diebloße Erinnerung daran unerträglich war – und Nennius hattekein einziges Wort dieser phantastischen Schilderung bezwei-felt. Tatsächlich hatte er Mühe gehabt, seine wachsende Erre-gung zu zügeln, als sich die Geschichte entwickelt hatte.

»Ruh dich aus, mein Sohn«, sagte er beschwichtigend,während er die Stirn des Mannes mit einem warmen, feuchtenTuch wusch. »Du bist hier in Sicherheit.«

»In Sicherheit?« Eine große, zittrige Hand tastete nach Nen-nius’ Kutte und klammerte sich an den Stoff. »Helebore hatEuch verflucht! Das müsst Ihr doch wissen. Er hat Euch ver-flucht und verhext und Satan persönlich angerufen, um Euchmit den Flammen ewiger Verdammnis zu fesseln. Er sagte, Ihrhättet ihn wegen der Dinge, die er wusste, zu ermorden ver-sucht. Das ist der Grund, warum ich gekommen bin, Pater.«

»Um zu sehen, ob er mit seinen Verwünschungen Erfolg gehabt hat?«, erkundigte sich Nennius, eher belustigt alsschockiert.

»Nein, Pater! Nein, niemals«, beteuerte Gruffudd, währender seinen Griff verstärkte. »Ich habe für Euch gebetet, habe umEure Rettung von seiner gottlosen Niedertracht gebetet. Gebe-tet… gebetet, dass Ihr mich retten würdet. Helebore und seinabartiger Glaube haben nichts als Unheil über Balor gebracht,denn jetzt ist es unwiederbringlich verloren, und kein einzigerMann ist am Leben geblieben, um die Geschichte zu erzählen,kein Einziger außer mir.«

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»Bist du dir da so sicher? Wenn du überlebt hast, vielleichthat dann auch noch ein anderer den Weg aus der Hölle gefun-den.« Er wischte dem Wachmann behutsam mit dem feuchtenTuch über beide Wangen.

»Nein«, erwiderte Gruffudd mit rauer, gepresst klingenderStimme. »Alle, die bei dem Kampf umkamen, wurden von denDämonen mit den Lichtschwertern ins Meer gezerrt. Wenn ir-gendeiner von ihnen noch Atem in sich gehabt hätte, dannwäre er ertrunken, bevor er ihn hätte finden können.«

Ist vielleicht auch ganz gut so, dachte Nennius.»Ins Meer? Du meinst, in die Irische See?«, fragte er und

tupfte die Schweißperlen ab, die sich auf der Stirn des Mannesbildeten.

»Nein, nicht der wilde, offene Ozean, sondern ein dunklesunterirdisches Meer, tief unterhalb des Landes, das einst Balorhieß. Es ist eine todbringende Quelle, Pater. Der Strand ist vonSchwarzwasserwellen überspült und in einen unheimlichenpurpurfarbenen Lichtschein getaucht von dem Feuer, das imInneren der Klippen brennt. Ich fürchte, es ist die Höhle von…von…« Die Stimme des Mannes brach.

»Von?«, soufflierte Nennius. Als der Mann keine Antwortgab, setzte er ihm noch stärker zu. »Ist das der Ort, wo duden…« Gruffudd schnitt ihm abrupt das Wort ab, indem erNennius bei seinem Skapulier packte und seinen Kopf zu sichherunterzog. »Sprecht es nicht aus, Pater!«, keuchte der Wach-mann, von plötzlicher Panik erfüllt. »Helebore hat die Bestiegerufen, und sie hat ihn getötet. Ich kann in Gedanken nochimmer seine gequälten Schreie hören.« Der Mann schwiegeinen Moment, während er die Augen argwöhnisch zu Schlit-zen verengte und zur Tür hinüberblickte. »Ja, ich kann ihnnoch immer schreien hören, kann noch immer sehen, wie ihndie Bestie mit sich schleift. Das Bild verfolgt mich unablässig,Pater, Tag und Nacht. Es lässt mir einfach keine Ruhe. Ihrmüsst dafür sorgen, dass es verschwindet.« Sein Blick kehrtewieder zu Nennius zurück, und in seiner Stimme schwang jetztein Unterton von Verzweiflung mit. »Wenn es irgendjemandengibt, der den Albtraum vertreiben kann, dann seid Ihr das. Ihr

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allein seid noch übrig, der die Schwärze von Helebores Seelekannte. Nur Ihr und… und ich.«

»Ja«, pflichtete Nennius ihm ruhig bei. »Wir beide, du undich. Leider hatte der arme Bruder Helebore ein schwarzesHerz, dem nach schlimmen Taten gelüstete.«

»Sehr schlimmen Taten«, erwiderte Gruffudd und senktedann seine Stimme zu einem vertraulichen Flüstern. »Vielleichtsogar noch schlimmer, als ihr ahnt, Pater. Auf Befehl des Kei-lers brachte Helebore eine Hexe nach Balor, ein zartes, schö-nes Mädchen namens Ceridwen… obwohl nicht sie diejenigewar, die uns alle ins Verderben stürzte. Ich dachte, es wäre Gier,aber es war Blasphemie, reine Blasphemie, dass er unbedingtdas Blut der Hexe brauchte, das uns immer wieder in dieHöhlen hinunterführte, möge Gott mir verzeihen.«

»Du hast Helebore begleitet, als er die Höhlen suchte?«,fragte Nennius, ohne dem Geschwätz des Mannes von einerangeblichen Hexe sonderlich viel Glauben zu schenken. Män-ner hatten schon immer festgestellt, dass sie dringend Frauenbrauchten, besonders zarte und schöne. Und eine Hexe, daswusste er, konnte alles Mögliche sein, je nach Laune und Mo-tiv des in Bedrängnis geratenen Mannes. Nur eines war sie sel-ten, nämlich das, was man in ihr zu sehen glaubte. Schon somanches Königreich war wegen eines schönen Gesichts zer-fallen; manchmal durchaus zu Recht, wie er sehr gut wusste.Und manchmal auch zu Unrecht, wie er sogar noch besserwusste.

Eine verschwommene Erinnerung regte sich am Rande sei-nes Bewusstseins, ein flüchtiges Bild von einer Frau, die sichmit raschen Schritten von ihm entfernte und durch eine trost-lose Landschaft wanderte, eingehüllt von wirbelnden Sand-wolken, während sich ihr Umhang im Wind bauschte und einSchimmer goldener Haut und noch goldeneren Haares zwi-schen den weißen Falten des locker geschlungenen Turbansaufblitzte, der auf ihre Schultern herabwallte. Fort von ihm.

Nennius fluchte im Stillen und biss die Zähne zusammen,dann wandte er seine Gedanken wieder der Gegenwart zu.Frauen waren eine Gefahr, besonders holde und schöne. Und

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was Blut anging – es war ein elementares Elixier, brauchbar füralle möglichen Dinge und nutzlos für ebenso viele andere.

Gruffudd nickte und löste seinen Griff um das Skapulier.Seine Hand fiel wieder auf die Strohmatratze zurück. »Ich warfrüher einmal sehr stark, der stärkste von den Männern, diedem Keiler von Balor dienten, und ich war derjenige, der demLeibarzt über die Felsstürze half, die den Weg in die Höhlenblockierten. Aber ich schwöre bei Gott, ich habe damals nichtgewusst, wonach er suchte. Höchstwahrscheinlich hat er es aufGold abgesehen, sagte ich mir, oder auf Silber oder Edelsteine,aber bis zu dem Tag, als die Dämonenkrieger mit den blauenLichtschwertern kamen und uns so tief hinunterführten, fan-den wir nichts außer einem brodelnden Teich in der Mitte einerriesigen Höhle. Helebore gefiel der Teich recht gut, aber ichdachte mir, dass er schon etwas Besseres als das finden müsste,um sein Versprechen gegenüber dem Keiler zu halten und ihnmit Reichtümern zu überhäufen.«

»Dann glaubte der Herrscher von Balor also, durch Hele-bores Geheimnisse reich zu werden«, murmelte Nennius,während er ein Lächeln verbarg. Auch ihn hatte es früher ein-mal nach jenem Reichtum gelüstet, der kostbaren Metallenund Juwelen innewohnte.

Schweißperlen hatten sich auf Gruffudds Wangen gesam-melt, und Nennius wischte sie behutsam ab.

»Unvorstellbar reich, so reich, dass es seine kühnstenTräume überstieg, unser aller Träume, das hatte der Leibarztuns versprochen. Aber alles, was er uns gab, waren Tod undSchrecken.« Ein heftiges Zittern überlief Gruffudd, und erdrehte den Kopf und vergrub sein Gesicht in der rauen Woll-decke, die das Stroh bedeckte. »Ihr habt ganz sicherlich nie-mals solche Wesen gesehen, Pater, solche Furcht einflößendenKreaturen, wie ich sie in der unterirdischen Dunkelheit gese-hen habe. Riesige, über und über mit Schleim bedeckte Bestien,die sich ringeln und krümmen. Sch-sch-schlangen«, stotterteer. »Sch-schlangen von monströser Größe, die durch die tiefs-ten, finstersten Orte in der Erde kriechen und alles platt wal-zen, was sich ihnen in den Weg stellt. Wenn sie nicht das Werk-

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