Goethe-Jahrbuch Band€¦ · 350 Giovanni Sampaolo: »Proserpinens Park«. Goethes...

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Transcript of Goethe-Jahrbuch Band€¦ · 350 Giovanni Sampaolo: »Proserpinens Park«. Goethes...

  • Goethe-Jahrbuch 2005Band 122

  • GOETHE- JAHRBUCHIm Auftrag

    des Vorstands der Goethe-Gesellschaft

    herausgegeben

    von

    Werner Frick, Jochen Golz und Edith Zehm

    EINHUNDERTZWEIUNDZWANZIGSTER BAND

    DER GESAMTFOLGE

    2005

    WALLSTEIN VERLAG

  • Redaktion: Dr. Petra OberhauserMit 8 Abbildungen

    Gedruckt mit Unterstützungdes Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien

    und des Thüringer Kultusministeriums

    Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

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    Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier

    © Wallstein Verlag, Göttingenwww. wallstein-verlag.de

    Vom Verlag gesetzt aus der SabonUmschlag: Willy Löffelhardt

    Druck und Verarbeitung: Hubert & Co, Göttingen

    ISBN 10: 3-89244-884-1ISBN 13 (Print): 978-3-89244-884-6

    ISBN 13 (E-Book, pdf): 978-3-8353-2195-3

    ISSN: 0323-4207

  • Inhaltsverzeichnis

    13 Vorwort

    15 Rede des Präsidenten der Goethe-Gesellschaft zur Eröffnung der 79. Haupt-versammlung

    Dr. habil. Jochen Golz

    20 Grußwort des Ministerpräsidenten des Freistaates Thüringen Dieter Althaus

    22 Grußwort des Oberbürgermeisters der Stadt Weimar Dr. Volkhardt Germer

    25 Vorträge während der 79. Hauptversammlung

    25 Rüdiger Safranski »daß es, dem Vortreflichen gegenüber keine Freyheit giebt als die Liebe«.

    Über die Freundschaft zwischen Schiller und Goethe

    36 Andreas Beyer »Wir sind keine Griechen mehr«. Goethe und Schiller als Denkmal in Weimar

    43 Gesa von Essen »eine Annäherung, die nicht erfolgte«? Die schwierigen Anfänge eines Dich-

    terbundes

    62 Mathias Mayer Ökonomie und Verschwendung in der klassischen Lyrik Goethes: »Episteln«

    und »Amyntas«

    76 Günter Saße »Gerade seine Unvollkommenheit hat mir am meisten Mühe gemacht«.

    Schillers Briefwechsel mit Goethe über »Wilhelm Meisters Lehrjahre«

    92 Matthew Bell Anonymität und Autorschaft in den »Xenien«

  • 6

    107 Norbert Oellers Goethes Anteil an Schillers »Wallenstein«

    117 Peter-André Alt Agon und Autonomie. Zu den Tragödientheorien Goethes und Schillers

    137 Lesley Sharpe Schillers »Egmont«-Bearbeitung im theatralischen Kontext

    147 Benedikt Jeßing Schillers Rezeption von Goethes »Iphigenie«

    162 Helmut Koopmann Weimarer Nachbarschaften. Goethe, Schiller – und die anderen 176 Terence James Reed »Lieben Sie mich, es ist nicht einseitig«. Die Korrespondenz zwischen Goe-

    the und Schiller

    187 Martina Lauster Vom Körper der Kunst. Goethe und Schiller im Urteil Heines, Börnes,

    Wienbargs und Gutzkows (1828-1840)

    202 Irmela von der Lühe »Zutrauliche Teilhabe« – Goethe und Schiller in der Essayistik Thomas

    Manns

    215 Abhandlungen

    215 Peter-Henning Haischer Ruine oder Monument? Goethes Lebenswerk im Spiegel seiner Gotik-Stu-

    dien

    230 Julia M. Nauhaus »das vortreffliche Miniaturbild auf einer Tasse« – Ludwig Sebbers’ Goethe-

    porträt als Jubiläumsstich des Verlags Breitkopf & Härtel zur Goethe-Säku-larfeier von 1849

    243 René Jacques Baerlocher Bemerkungen zu Werner Heisenbergs Goethebild

    263 Günter Häntzschel Goethe in München

    Inhalt

  • 7

    279 Dokumentationen und Miszellen

    279 Terence James Reed »vom Fernen ins Nahe« – ein Rückblick auf Literatur zum Schiller-Jahr

    2005

    286 Elke Richter Das »Straßburger Konzeptheft« – zur Überlieferung von zehn Briefen und

    einem Werkfragment Goethes aus den Jahren 1770 und 1771

    297 Judith Steiniger Zu Goethes »sensibilia«-Schema

    302 Dorothee von Hellermann Weimar und Erfurt im Oktober 1808 – beschrieben von Karl Morgenstern

    aus Dorpat (Teil 2)

    316 Judith Steiniger / Silke Henke Die Handschriften von Goethes szenischer Bearbeitung des »Faust« für

    Anton Fürst Radziwill im Archiwum Głowne Akt Dawnych in Warschau

    325 Holger Vietor Das Hexen-Einmaleins – der Weg zur Entschlüsselung

    328 Rüdiger Scholz Entgegnung zu Günter Jerouschek: Skandal um Goethe? In: GJb 2004,

    S. 253-260

    330 Günter Jerouschek Erwiderung auf Rüdiger Scholz

    334 Rezensionen

    334 Tina Hartmann: Goethes Musiktheater. Singspiele, Opern, Festspiele, »Faust«

    Besprochen von Dieter Borchmeyer

    340 Katrin Seele: Goethes poetische Poetik. Über die Bedeutung der Dichtkunst in den »Leiden des jungen Werther«, im »Torquato Tasso« und in »Wilhelm Meisters Lehrjahren«

    Besprochen von Franziska Schößler

    342 Birgit Hansen: Frauenopfer. Mörderische Darstellungskrisen in Euripides’ »Iphigenie in Aulis« und Goethes »Iphigenie auf Tauris«

    Besprochen von Bernhard Zimmermann

    Inhalt

  • 8

    345 Hee-Ju Kim: Der Schein des Seins. Zur Symbolik des Schleiers in Goethes »Wilhelm Meisters Lehrjahre«

    Besprochen von Werner Keller

    347 Hellmut Ammerlahn: Imagination und Wahrheit. Goethes Künstler-Bildungs-roman »Wilhelm Meisters Lehrjahre«. Struktur, Symbolik, Poetologie

    Besprochen von Günter Saße

    348 Jang-Hyok An: Goethes »Wahlverwandtschaften« und das Andere der Ver-nunft. Die Mikro- und Makrokonstellation der Andersheit als atopische Gegeninstanz zum Identitätszwang

    Besprochen von Dorothee Kimmich

    350 Giovanni Sampaolo: »Proserpinens Park«. Goethes »Wahlverwandtschaf-ten« als Selbstkritik der Moderne

    Besprochen von Gerhard Lauer

    353 Holger Helbig: Naturgemäße Ordnung. Darstellung und Methode in Goethes Lehre von den Farben

    Besprochen von Jutta Müller-Tamm

    355 Safia Azzouni: Kunst als praktische Wissenschaft. Goethes »Wilhelm Mei-sters Wanderjahre« und die Hefte »Zur Morphologie«

    Besprochen von Waltraud Maierhofer

    357 Ulrich Gaier: Johann Wolfgang Goethe: »Faust. Der Tragödie Zweiter Teil«. Erläuterungen und Dokumente

    Besprochen von Sabine Doering

    360 Faust-Jahrbuch. Begründet von Bernd Mahl. Bd. I, hrsg. von Bernd Mahl u. Tim Lörke

    Besprochen von Werner Frick

    360 Adolf Muschg: Der Schein trügt nicht. Über Goethe Besprochen von Terence James Reed

    361 Dieter Borchmeyer: Schnellkurs Goethe Besprochen von Werner Frick

    362 Cristina Ricca: Goethes musikalische Reise in Italien Besprochen von Dieter Martin

    364 Astrid Tschense: Goethe-Gedichte in Schuberts Vertonungen. Komposition als Textinterpretation

    Besprochen von Thorsten Valk

    Inhalt

  • 9

    367 Von der Pansophie zur Weltweisheit. Goethes analogisch-philosophische Konzepte. Hrsg. von Hans-Jürgen Schrader u. Katharine Weder in Zusam-menarbeit mit Johannes Anderegg

    Besprochen von Barbara Neymeyr

    368 Dirk Kemper: »ineffabile«. Goethe und die Individualitätsproblematik der Moderne

    Besprochen von Gerhard Sauder

    370 Klaudia Hilgers: Entelechie, Monade und Metamorphose. Formen der Ver-vollkommnung im Werk Goethes

    Besprochen von Klaus Disselbeck

    373 Peter Braun: Corona Schröter. Goethes heimliche Liebe Besprochen von Rose Unterberger

    374 Dagmar von Gersdorff: Marianne von Willemer und Goethe. Geschichte einer Liebe

    Besprochen von Anke Bosse

    376 Joachim Berger: Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739-1807). Denk- und Handlungsräume einer ›aufgeklärten‹ Herzogin

    Besprochen von Heide Hollmer

    377 Walter Müller-Seidel, Wolfgang Riedel (Hrsg.): Die Weimarer Klassik und ihre Geheimbünde

    Besprochen von Christine Herrmann

    379 W. Daniel Wilson (Hrsg.): Goethes Weimar und die Französische Revolu-tion. Dokumente der Krisenjahre

    Besprochen von Gerhard Müller

    382 Michaela Haberkorn: Naturhistoriker und Zeitenseher. Geologie und Poe-sie um 1800. Der Kreis um Abraham Gottlob Werner

    Besprochen von Thomas Pittrof

    384 Igor J. Polianski: Die Kunst, die Natur vorzustellen. Die Ästhetisierung der Pflanzenkunde um 1800 und Goethes Gründung des botanischen Gartens zu Jena im Spannungsfeld kunsttheoretischer und botanischer Diskussionen der Zeit

    Besprochen von Gerhard Wagenitz

    385 Uwe Heckmann: Die Sammlung Boisserée. Konzeption und Rezeptionsge-schichte einer romantischen Kunstsammlung zwischen 1804 und 1827

    Besprochen von Thomas Weidner

    Inhalt

  • 10

    388 Wolfgang Wittkowski: Goethe. Homo homini lupus. Homo homini deus. Über deutsche Dichtungen 2

    Besprochen von Katharina Grätz

    389 Detlev Kopp, Hans-Martin Kruckis (Hrsg.): Goethe im Vormärz Besprochen von Hartmut Steinecke

    391 Franz Josef Wiegelmann: Johann Wolfgang von Goethe. Leben, Werk und Wirkungsgeschichte im Spiegelbild der Presse seit 1832. Mit einem Vorwort von Katharina Mommsen

    Besprochen von Norbert Oellers

    393 Hans-Gerd von Seggern: Nietzsche und die Weimarer Klassik Besprochen von Fred Lönker

    394 Ernst Cassirer: Nachgelassene Manuskripte und Texte. Bd. 11: Goethe-Vorlesungen (1940-1941). Hrsg. von John Michael Krois

    Besprochen von Andrea Albrecht

    397 Aus dem Leben der Goethe-Gesellschaft

    397 In memoriam

    401 Bericht über die 79. Hauptversammlung vom 18. bis 21. Mai 2005

    404 Tätigkeitsbericht des Präsidenten

    414 Geschäftsbericht des Schatzmeisters für die Jahre 2003 und 2004

    417 Bericht der Kassenprüfer für die Geschäftsjahre 2003 und 2004

    419 Satzung der Goethe-Gesellschaft in Weimar e. V.

    424 Wahlordnung der Goethe-Gesellschaft in Weimar e. V.

    425 Versammlungsordnung für Mitgliederversammlungen der Goethe-Gesell-schaft in Weimar e. V.

    427 Vertragsentwurf zwischen der Goethe-Gesellschaft in Weimar und der Stif-tung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen

    435 Ehrung mit der Goldenen Goethe-Medaille

    Inhalt

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    436 Rede von Herrn Prof. Dr. Hans-Jürgen Schings beim Empfang der Goethe-Medaille

    438 Verleihung der Ehrenmitgliedschaft

    445 Bericht über das Symposium junger Goetheforscher am 18. Mai 2005

    447 Bericht über den Sommerkurs der Goethe-Gesellschaft vom 13. bis 27. Au-gust 2005 in Weimar

    449 Rede des Präsidenten anläßlich der Festveranstaltung zum 120jährigen Gründungsjubiläum der Goethe-Gesellschaft am 28. August 2005 im Goe-the- und Schiller-Archiv

    461 Grußwort des Oberbürgermeisters der Stadt Weimar anläßlich der Festver-anstaltung zum 120jährigen Gründungsjubiläum der Goethe-Gesellschaft am 28. August 2005 im Goethe- und Schiller-Archiv

    463 Rede des Vorsitzenden der Goethe-Gesellschaft Chemnitz Siegfried Arlt an-läßlich der Eröffnung der Ausstellung »120 Jahre Goethe-Gesellschaft – die deutschen Goethe-Gesellschaften stellen sich vor« am 29. August 2005 im Städtischen Museum Marienbad

    466 Rede der Geschäftsführerin der Goethe-Gesellschaft Chemnitz Dr. Helga Bonitz anläßlich der Eröffnung der Ausstellung »120 Jahre Goethe-Gesell-schaft – die deutschen Goethe-Gesellschaften stellen sich vor« am 29. Au-gust 2005 im Städtischen Museum Marienbad

    468 Stipendiatenprogramm im Jahr 2005

    469 Dank für Zuwendungen im Jahr 2005

    472 Tätigkeitsberichte der Ortsvereinigungen für das Jahr 2004

    495 Aus dem Leben ausländischer Goethe-Gesellschaften Januar–Dezember2004

    502 Ausschreibungstext zur Vergabe von Goethe-Stipendien

    503 Die Mitarbeiter dieses Bandes

    506 Goethe-Bibliographie 2004 mit Namenregister

    Inhalt

  • 12

    563 Liste der im Jahr 2005 eingegangenen Bücher

    566 Abbildungsnachweis

    567 Siglen-Verzeichnis

    569 Manuskripthinweise

    Inhalt

  • Vorwort

    Das Jahr 2005 stand im Zeichen Schillers, und für die Goethe-Gesellschaft war es nahezu selbstverständlich, daß auch sie sich in den Jubiläumsreigen einreihen würde. Freilich nahm sie für sich das Recht in Anspruch, Schillers auf ihre eigene Weise zu gedenken: Goethes Schiller – Schillers Goethe, so lautete das Thema der 79. Hauptversammlung unserer Gesellschaft, und die damit angedeutete Perspek-tive der Wechselseitigkeit war auch im Programm der wissenschaftlichen Konfe-renz wahrzunehmen, deren Vorträge im ersten Teil des Jahrbuchs nachzulesen sind.

    Es lag in der Intention der Veranstalter, das Bündnis der »Geistesantipoden« Goethe und Schiller nach möglichst vielen Richtungen hin untersuchen zu lassen, seine Entwicklung in der Lebensgeschichte beider ebenso zu verfolgen wie die wechselseitige Teilnahme an der Arbeit am künstlerischen Werk. Und es sollte beileibe nicht verschwiegen werden, daß dieses Bündnis auch im »Menschlich-All-zumenschlichen« die Wohl- und Mißwollenden von Weimar affiziert hat. Als Goe-the in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts die Edition seines Briefwechsels mit Schiller vorbereitete und 1828/29 herausbrachte, setzte er dem Freunde und noch zu Lebzeiten sich selbst ein Denkmal sui generis – knapp dreißig Jahre später wurde Ernst Rietschels klassisch gewordenes steinernes Denkmal auf dem Platz vor dem Weimarer Theater eingeweiht. Auch nach Goethes Tod sollte die Aus-einandersetzung um die deutsche ›Kunstperiode‹, die im klassischen Jahrzehnt 1794-1805 ihren Höhepunkt gefunden hatte, nicht verstummen. Heinrich Heine und Thomas Mann stellen dafür prominente Zeugen dar.

    Auf die alte und müßige Frage nach Rang und Reihenfolge der Weimarer Dios-kuren hat schon Goethe am 12. Mai 1825 im Gespräch mit Eckermann geantwor-tet: »Nun streitet sich das Publikum seit zwanzig Jahren, wer größer sei: Schiller oder ich, und sie sollten sich freuen, daß überall ein paar Kerle da sind, worüber sie streiten können«. Schiller, so darf man vermuten, hat sich in mancher Hinsicht als Goethe ebenbürtig empfunden, letztlich aber das Künstlertum des Freundes als dem seinigen überlegen anerkannt. Wie anders sonst ist die anrührende Wendung im Brief an Goethe vom 2. Juli 1796 zu erklären, die Rüdiger Safranski seinem Festvortrag vorangestellt hat: »daß es, dem Vortreflichen gegenüber keine Freyheit giebt als die Liebe«.

    Safranskis Schiller-Buch war ebenso wie das von Sigrid Damm bereits im Jahre 2004 erschienen, das eigentliche Gedenkjahr gewissermaßen präludierend. Die-sem Auftakt ist eine vielstimmige Sinfonie gefolgt. Selten, so kann man bilanzie-

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    ren, hat ein Autor der Vergangenheit stärker im Mittelpunkt des öffentlichen Inter-esses gestanden als Schiller im Jubiläumsjahr 2005; Goethe war 1999 eine ver-gleichbare Aufmerksamkeit nicht zuteil geworden. Die Leser des Goethe-Jahr-buchs, so glaubten wir, haben ein Recht darauf, einen Wegweiser durch die jüngst erschienene Schiller-Literatur zu erhalten. Daß ein solcher Rückblick angesichts des gebotenen knappen Umfangs nur die Gestalt eines sehr persönlichen Essays – persönlich auch in Auswahl und Wertung – annehmen kann, liegt auf der Hand. Terence James Reed gibt Anstöße zum Weiterlesen über den Tag hinaus.

    Ein kontroverses, die Gemüter bewegendes Thema war in den Jahrbüchern 2002 und 2003 zur Diskussion gestellt worden: Goethes Rolle beim Prozeß gegen die Kindsmörderin Johanna Catharina Höhn – ein Thema, das nicht zuletzt durch Sigrid Damms Recherche-Roman über Christiane stärker ins öffentliche Bewußt-sein gelangt war. Die von René Jacques Baerlocher und Volker Wahl vorgelegte Dokumentation »Das Kind in meinem Leib« hat, so meinen wir, überzeugend den Vorwurf widerlegt, Goethe habe persönlich ein Todesurteil unterzeichnet; über-dies hat sie durch die Einbettung des Geschehens in einen sorgfältig rekonstruier-ten historischen Zusammenhang ein angemessenes Verständnis von Goethes Han-deln ermöglicht. Parallel dazu hatte der Freiburger Germanist Rüdiger Scholz, als Opponent von Baerlocher bereits zuvor im Goethe-Jahrbuch 2003 hervorgetreten, eine eigene kommentierte Dokumentation zur gleichen Problematik veröffentlicht, und der Jenaer Jurist Günter Jerouschek hat beide Publikationen im Goethe-Jahr-buch 2004 unter dem Titel Skandal um Goethe? besprochen. Scholz fühlte sich dadurch zur nochmaligen Entgegnung herausgefordert. Wir dokumentieren seine Stellungnahme im vorliegenden Jahrbuch und geben Jerouschek Gelegenheit zur Erwiderung. Damit aber sei die Debatte geschlossen.

    Von Anbeginn, ein Blick in ältere Goethe-Jahrbücher bezeugt es, hat unsere Gesellschaft Goethes theoretisches und praktisches Verhältnis zur Natur in ihr Wirken einbezogen. Bedeutende Naturwissenschaftler haben dem Vorstand der Goethe-Gesellschaft angehört, darunter auch der Nobelpreisträger Werner Hei-senberg. Dessen lebenslanger Auseinandersetzung mit Goethe war ein Beitrag von Helmut Rechenberg im Jahrbuch 2003 gewidmet. Die jetzt veröffentlichte Studie von René Jacques Baerlocher ist als Entgegnung und Weiterführung zugleich an-zusehen. Vielleicht regt sie dazu an, im Jahrbuch in eine Aussprache einzutreten über die wahrhaft beunruhigenden Fragen, die von Baerlocher gestellt werden.

    Der Bedeutung des Themas Goethe und die Natur wird die Gesellschaft auch in anderer, umfassenderer Weise Rechnung tragen. Sie hat – nachdem die Hauptver-sammlung 2005 durch das Schiller-Jubiläum in gewisser Weise thematisch voraus-bestimmt war – diesen großen Themenkomplex zum Gegenstand ihrer 80. Haupt-versammlung im Jahr 2007 gewählt. Damit soll Goethes Universalität in ihrer Einheit von Kunstschaffen, Natur- und Geschichtsdenken erneut in das allgemeine Bewußtsein gerückt und in ihrer bleibenden Bedeutung gewürdigt werden.

    Die Herausgeber

    Vorwort

  • Rede des Präsidenten der Goethe-Gesellschaft zur Eröffnung der 79. Hauptversammlung

    DR. HABIL. JOCHEN GOLZ

    Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Althaus,meine Damen und Herren Abgeordnete,Magnifizenzen,meine sehr verehrten Damen und Herren,liebe Studenten,liebe Freunde der Goethe-Gesellschaft,

    im Namen des Vorstandes der Goethe-Gesellschaft darf ich Sie alle zu unserer Hauptversammlung herzlich begrüßen.

    Es ist ein in mehrfacher Hinsicht ›glückliches Ereignis‹, das uns in diesen Mai-tagen, im 120. Jahr des Bestehens unserer Gesellschaft, wiederum in Weimar zu-sammengeführt hat. Ein ›glückliches Ereignis‹ hat Goethe rückblickend seine Be-gegnung mit Schiller am 20. Juli 1794 in Jena genannt, und wenn in früheren Jahrzehnten im Vorstand der Goethe-Gesellschaft ernsthaft erwogen wurde, ob es angebracht sei, in einem Schiller-Jahr die Mitglieder in Weimar zu versammeln, so bedurfte es dieses Mal keines langen Nachdenkens, um die diesjährige Haupt-versammlung unter ein Thema zu stellen, das freilich, und dieses Privileg erlauben wir uns, den Bund des Ernstes und der Liebe zwischen Schiller und Goethe zu-nächst in Goethes Perspektive wahrnimmt: Goethes Schiller – Schillers Goethe.

    Glücklich ist unser Zusammentreffen auch darum zu nennen, weil – wie so häufig schon – auch diesmal unsere Mitglieder der Einladung nach Weimar zahl-reich gefolgt sind. Etwa 700 Gäste aus zwanzig Ländern darf ich heute herzlich willkommen heißen.

    Es ist mir eine besondere Freude, Herrn Dieter Althaus, den Ministerpräsiden-ten des Freistaates Thüringen, begrüßen zu können. Vor zwei Jahren hatte Herr Althaus am Tage der festlichen Eröffnung erst wenige Tage sein hohes Amt inne und war, aller frischen Bürden ungeachtet, zu uns gekommen. In diesem Jahr können wir schon so etwas wie eine kleine Tradition stiften, und ich darf der Hoffnung Ausdruck geben, daß der erste politische Repräsentant Thüringens, des Sitzlandes unserer Gesellschaft, auch künftig der Goethe-Gesellschaft seinen Zuspruch und seine Unterstützung zuteil werden läßt. Herzlich zu danken haben wir für die Möglichkeit, am Goethe-Stipendium des Ministerpräsidenten teilhaben zu dürfen. Ehemalige Goethe-Stipendiaten des Ministerpräsidenten sind auch in diesem Jahr nach Weimar gekommen. Herzlich darf ich Sie in unserer Mitte willkommen hei-ßen und in meinen Gruß ungarische Studenten einschließen, die dank der Unter-stützung des Freistaats Thüringen die Reise nach Weimar antreten konnten.

    Mein herzlicher Willkommensgruß gilt dem diesjährigen Empfänger unserer Goethe-Medaille, Herrn Prof. Dr. Hans-Jürgen Schings, seinem Laudator, Herrn

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    Prof. Dr. Jochen Schmidt, sowie allen Repräsentanten des öffentlichen Lebens, die uns heute die Ehre ihrer Anwesenheit erweisen und von denen ich, sehen Sie mir dies bitte nach, nur wenige persönlich begrüßen kann. Herzlich begrüße ich den Präsidenten des Thüringer Verfassungsgerichtshofs, Herrn Dr. Hans-Joachim Bauer, den Oberbürgermeister der Stadt Weimar, Herrn Dr. Volkhardt Germer, sowie die Vertreterin der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Me-dien, Frau Dagmar Taucar. An dieser Stelle darf ich auch einen herzlichen Gruß an den Generalintendanten des Deutschen Nationaltheaters Weimar, Herrn Stephan Märki, richten und damit meinen Dank verbinden für die Gastfreundschaft, die er uns in seinem Haus zu sehr freundlichen Konditionen gewährt hat.

    Was wir eingangs hörten, meine sehr verehrten Damen und Herren, war der erste Satz aus dem Trio für Violine, Violoncello und Klavier in D-Dur op. 70 Nr. 1 von Ludwig van Beethoven, dessen Satzbezeichnung »Allegro vivace e con brio« (lebhaft und mit Feuer) und dessen (wenn auch irreführender) Beiname »Geister-trio« ein gutes Omen für unsere Tagung darstellen sollten, denn ein ›Gespräch der Geister‹ soll uns in den kommenden Tagen vereinigen. Es spielte das Weimarer Liszt-Trio, eine sehr renommierte, international erfahrene Kammermusikvereini-gung, mit Andreas Lehmann (Violine), Tim Stolzenburg (Cello) und Christian Wilm Müller (Klavier). Herr Stolzenburg, nur von ihm weiß ich es, nimmt zur Zeit eine Gastprofessur im fernen koreanischen Seoul wahr, wo auch viele kluge und engagierte Goethe-Freunde leben.

    Unser Ehrenpräsident, Herr Prof. Dr. Werner Keller, fehlt in diesem Jahr in unserer Mitte. Die Rücksicht auf seine angegriffene Gesundheit hat ihm Entsagen auferlegt. Seine herzlichen Grüße und seine guten Wünsche für unsere 79. Haupt-versammlung darf ich Ihnen allen übermitteln. Von Herzen wünschen wir ihm baldige Wiederherstellung seiner Gesundheit. Unsere Gesellschaft, eingangs sprach ich bereits davon, steht im 120. Jahr, und vielen von Ihnen ist bewußt, daß sich die Gründungsfeierlichkeiten am 20. und 21. Juni 1885 in Weimar unter der Schirmherrschaft des Großherzogs Carl Alexander von Sachsen-Weimar und Eisenach vollzogen, der ebenso wie seine Gemahlin, Großherzogin Sophie, die Erbauerin des Goethe- und Schiller-Archivs und Protektorin der Weimarer Goe-the-Ausgabe, die Pflege und Bewahrung der »Schätze der nationalen Literatur« – so die Worte der Großherzogin in ihrem Testament – als kulturpolitische Ver-pflichtung verstand. Großherzog Carl Alexanders Ururenkel, Prinz Michael von Sachsen-Weimar und Eisenach, hat meine Einladung leider nicht wahrnehmen können, weil er zur Stunde an einer Beratung des Stiftungsrates der Wartburg-Stiftung teilnimmt, wünscht unserer Hauptversammlung aber Erfolg und einen guten Verlauf.

    Es gehört zu den herausragenden Merkmalen unserer Gesellschaft, daß sie ihre zu DDR-Zeiten im wesentlichen formale Internationalität, die im Jahre 1967 frei-lich ihr Überleben garantiert hat, nach 1990 in eine reale und wahrhaftige hat verwandeln können. Inzwischen existieren 36 Goethe-Gesellschaften auf allen Kontinenten – selbst im fernen Australien – , und herzlich darf ich Vorsitzende und Vertreter von Goethe-Gesellschaften aus fünfzehn Ländern begrüßen. Doch wäre meine Freude über die Anwesenheit unserer ausländischen Gäste unvollständig, wenn ich nicht hinzufügte, daß es gelungen ist, jeweils zwei bis drei Studenten aus

    Jochen Golz

  • 17

    diesen Ländern nach Weimar einzuladen. Ich darf sie in meinen Willkommens-gruß von Herzen einbeziehen.

    Hier ist auch der angemessene Ort, all den Institutionen Dank zu sagen, die unseren ausländischen Gästen die Teilnahme ermöglicht haben: der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Unterstützung ausländischer Referenten, Diskus-sionsleiter und Korreferenten, der Jubiläumsstiftung der Credit Suisse Group, die einen Begegnungsabend im Zeichen Wilhelm Tells für Studenten und junge Wis-senschaftler mit einem namhaften Betrag gefördert hat, der Robert Bosch Stif-tung, der Marga und Kurt Möllgaard-Stiftung im Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, dem Freistaat Thüringen, der Kulturstiftung des Bundes, der Beauf-tragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Firma Lötfolien GmbH Stuttgart und der Sparkasse Mittelthüringen. Es ist mir eine große Freude, meinen Dank auch im Namen unserer jungen Gäste aussprechen zu können. Herzlicher Dank gebührt ebenfalls den Förderern unseres Stipendiatenprogramms, das in diesem Jahr elf junge Wissenschaftler nach Weimar führt: dem Stiftungsfonds Deutsche Bank im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und, noch einmal sei sie genannt, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

    Gestern bereits kamen die von uns eingeladenen Nachwuchswissenschaftler auf dem Symposium junger Goetheforscher zu Wort. Ihr reges Interesse, meine Da-men und Herren, an dieser Veranstaltung hat bewiesen, daß wir auf gutem Wege sind – ich habe viel Lobendes über den gestrigen Tag gehört – und uns darin be-stärkt fühlen können, dem nunmehr schon dritten Symposium weitere folgen zu lassen. Allen aktiven Teilnehmern des gestrigen Symposiums gilt mein herzlicher Willkommensgruß.

    Seit einigen Wochen schon, meine sehr verehrten Damen und Herren, herrscht Aufbruchstimmung an der deutschen Ideen-Börse: Schiller boomt. In den großen deutschen Tageszeitungen erscheinen ganze Folgen von Essays, lange Nächte wer-den für den in Schwaben geborenen großen Wahlthüringer arrangiert, 24 Stunden hat ihm 3sat am 1. Mai eingeräumt, Weimar und Jena stehen natürlich mit ›Schil-lerndem‹ aller Art nicht zurück; glaubt man einem schwäbisch-pfiffigen Werbe-spruch, dann hat sich Schiller zum Feiern nach Schwaben verabschiedet, doch uns allen zum Trost hat er sich pünktlich zum 9. Mai in Weimar zurückgemeldet. Es gehört in das Bild einer bunten Medienlandschaft, daß neben Klugem und Buchens-wertem auch manches Törichte zu sehen und zu hören war und ist.

    Erstaunlich aber bleibt die Tatsache eines großen allgemeinen Schiller-Aufruhrs und einer regen Schiller-Betriebsamkeit, erstaunlich ebenso der Umstand, daß lange vor dem eigentlichen Jubiläum schon Schiller-Bücher in großer Zahl auf den Markt gebracht worden sind, Bücher für alle Gelegenheiten. Da steht die gehalt-volle Monographie neben dem Schnellkurs Schiller, ein Schiller für Kinder (nicht zu unterschätzen) neben der Anatomie von Schillers ›Doppelliebe‹. Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen. Ein großes Schiller-Magazin präsentiert sich uns, aus dem jeder nach Geschmack und Bedarf auswählen kann.

    Spätestens hier gerät der Goethefreund ins Grübeln, und nicht ohne Wehmut blickt er auf das Goethejahr 1999 zurück, dessen publizistischer Ertrag, erinnere ich mich richtig, mit der Schillerbuchproduktion dieses Jahres 2005 nicht vergli-chen werden kann.

    Rede des Präsidenten der Goethe-Gesellschaft

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    Woran, so fragt man sich, mag das liegen? Sollte es so sein, daß Schillers mit-reißender Idealismus einer orientierungslosen Gegenwart oder – frei nach Fried-rich Dürrenmatt – ernsten und schwierigen Zeiten stärkere geistige Wegmarken setzte als – nun mit Thomas Mann zu reden – Goethes »Antäus-Natur«?1 Daß Schillers so oft belächeltes Pathos, die rhetorische Pracht seiner Diktion rascheren Zugriff, rascheres Verstehen möglich machte als die skeptisch-ironische Sprache insbesondere des alten Goethe? Daß verjährte Klischees aufleben: hier der vor-wärtsstürmende, pathetisch-leidenschaftliche, von Schulden und Krankheit ge-beutelte Schiller, Wortführer einer stets ungebärdigen, freiheitsdurstigen Jugend, dort der das All-Leben beschwörende, in jedweder Sicherheit lebende Goethe, der Vermittler und vermeintliche Versöhnler, zu Toleranz und Verständnis Mah-nende? So viele Fragen, leicht ließen sich weitere hinzufügen, und so viele Ant-worten. Lassen wir an dieser Stelle aber Goethe zu Wort kommen, der Johann Peter Eckermann zufolge am 12. Mai 1825 das damals schon aktuelle Problem für sich so entschieden hat: »Nun streitet sich das Publikum seit zwanzig Jahren, wer größer sei: Schiller oder ich, und sie sollten sich freuen, daß überall ein paar Kerle da sind, worüber sie streiten können« (MA 19, S. 145). Nicht ohne Bedacht haben wir diesen Satz als Motto unserer Tagung gewählt.

    Nun ist uns freilich bewußt, daß Goethe den Streit nicht sonderlich geschätzt hat, und wir sind darum gut beraten, uns eine Tagebuchnotiz des sehr alten Goe-the vom 3. Januar 1832 in Erinnerung zu rufen: »Streiten soll man nicht, aber das Entgegengesetzte faßlich zu machen ist Schuldigkeit« (WA III, 13, S. 200). Das mag als Motto für die wissenschaftliche Konferenz des heutigen und des morgigen Tages Geltung haben, wo sich in sechzehn Arbeitsgruppen Wissenschaftler aus neunzehn Ländern – das geographische Spektrum reicht über Kontinente hinweg, von Kolumbien bis nach Japan – über die ›Geistesantipoden‹ Goethe und Schiller verständigen werden, deren Arbeitsbündnis recht eigentlich das konstituiert hat, was wir heute ›Weimarer Klassik‹ nennen – ein glückliches Ereignis fürwahr in der deutschen Geistesgeschichte.

    Zunächst aber stand die Beziehung beider Dichter unter keinem glücklichen Stern. Dem aus Italien zurückgekehrten Goethe war der Dichter der Räuber zu-wider, Schiller wiederum fühlte sich von Goethe zurückgewiesen und befand sich zeitweise, wie er dem Brief an den Freund Christian Gottfried Körner vom 2. Fe-bruar 1789 anvertraute, in einer »ganz sonderbare[n] Mischung von Haß und Liebe« (SNA 25, S. 193 f.). Dann jedoch, gute fünf Jahre später, die Wendung im Sommer 1794: erst Schillers freundlich-diplomatische Einladung an Goethe, an seiner neuen Zeitschrift Die Horen mitzuarbeiten, und dessen bereitwillige Zu-sage, dann das Abendgespräch am 20. Juli 1794, dem weitere wohl gefolgt sind und – davon ermutigt und beflügelt – Schillers großer Geburtstagsbrief vom 23. August 1794, eine wahre Sternstunde deutscher Epistolographie, und Goethes vier Tage später erfolgende, immer noch leicht distanzierte Antwort. »Haben wir uns wechselseitig«, so heißt es darin, »die Punckte klar gemacht wohin wir gegen-

    1 Thomas Mann: Gesammelte Werke. Bd. 10. Berlin, Weimar 1965, S. 788.

    Jochen Golz

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    wärtig gelangt sind; so werden wir desto ununterbrochner gemeinschaftlich arbei-ten können« (WA IV, 10, S. 184). Schiller mußte schon diese Antwort als großes Glück empfinden, doch erst sein Aufenthalt Anfang September 1794 im Haus am Frauenplan befestigte beide in der Überzeugung, »gemeinschaftlich arbeiten« zu können, und legte das Fundament für das produktivste Arbeitsbündnis, das die deutsche Literatur kennt.

    »Sie haben mir eine zweyte Jugend verschafft und mich wieder zum Dichter gemacht, welches zu seyn ich so gut als aufgehört hatte« (WA IV, 13, S. 7), heißt es in Goethes Brief an Schiller vom 6. Januar 1798, und dieser Satz hätte ebenso von Schiller geschrieben werden können. Schillers Tod am 9. Mai 1805 zerriß die Le-bens- und Arbeitsgemeinschaft beider Dichter. Goethe hat den Tod des Freundes tief betrauert. »Ich dachte mich selbst zu verlieren, und verliere nun einen Freund und in demselben die Hälfte meines Daseyns« (WA IV, 19, S. 8), so die ergreifende Bekundung im Brief an Carl Friedrich Zelter vom 1. Juni 1805. Goethes künst-lerische Transponierung seiner Trauerarbeit – im Epilog zu Schillers Glocke, mög-licherweise in der Gestalt des Euphorion im zweiten Teil des Faust, in den Terzinen Im ernsten Beinhaus, in der Einrichtung seines Briefwechsels mit Schiller – stellt nicht nur einen Grenzpunkt seiner Existenz dar, sondern bildet auch einen Rah-men im thematischen Spektrum unserer Konferenz, und zugleich weist sie hinüber in die Wirkungsgeschichte der Weimarer ›Geistesantipoden‹, denn Goethes Aus-gabe seines Briefwechsels mit Schiller etwa besitzt exemplarischen Charakter, stellt ein Legat an die Nachwelt dar. »Ein Bund wechselseitiger Bewunderung von Geist und Natur ist diese großartige Freundschaft«, so lautet Thomas Manns Ur-teil in seinem Versuch über Schiller,2 vorgetragen – in knapperer Redeform – am 8. Mai 1955 in Stuttgart und – fast genau auf den Tag vor fünfzig Jahren – in die-sem Raum am 14. Mai 1955 in Weimar, wenige Wochen vor Thomas Manns Tod am 12. August 1955 in Zürich.

    Präludiert wird das Thema unserer Konferenz durch den Festredner des heuti-gen Vormittags, Herrn Prof. Dr. Rüdiger Safranski, den ich herzlich willkommen heiße. Er hat seinem Vortrag über die Freundschaft zwischen Schiller und Goethe ein Zitat aus Schillers Brief an Goethe vom 2. Juli 1796 vorangestellt: daß es »dem Vortreflichen gegenüber keine Freyheit giebt als die Liebe« (SNA 28, S. 235). Ein schöner und wahrer Satz, ein Satz von nobler Zurückhaltung. Ist er nicht auch dazu angetan, unser Verhältnis zu den beiden Weimarer Dioskuren, unser Ver-hältnis zur Kunst überhaupt zu bezeichnen?

    Lassen Sie uns in diesen Tagen und künftighin Schillers Bekenntnis in eine Ma-xime unseres Handelns verwandeln. In solchem Sinne sei unserer Hauptversamm-lung ein produktiver und harmonischer Verlauf, seien ihr dauerhafte Erkenntnisse und beglückende Begegnungen gewünscht.

    2 Ebd., S. 789.

    Rede des Präsidenten der Goethe-Gesellschaft

  • Grußwort des Ministerpräsidenten des Freistaates Thüringen

    DIETER ALTHAUS

    Liebe Goethe-Freunde aus Weimar, Thüringen und der ganzen Welt!Ich freue mich, Sie heute in der »literarischen Residenz« in der Mitte Europas, hier in Weimar begrüßen zu dürfen.

    Zum wiederholten Mal in diesem Jahr stehen Weimar und seine Klassiker im Mittelpunkt. Vor wenigen Tagen, am 9. Mai 2005, haben wir an diesem Ort, im Deutschen Nationaltheater, Schillers gedacht. In seinem vielbeachteten Festvor-trag hat Professor Safranski gezeigt, daß Schillers Wirken und seine Arbeit noch heute Gültigkeit besitzen.

    Auch auf der 79. Hauptversammlung der Goethe-Gesellschaft ist Schiller das Hauptthema. Sie haben sich in Weimar getroffen, um die hart erkämpfte Freund-schaft zwischen Goethe und Schiller in den Blick zu nehmen – eine Freundschaft, die diese Stadt, dieses Land, die deutsche Geistesgeschichte geprägt hat. Fast sech-zehn Jahre nach dem Mauerfall ist es immer noch eine große Freude, daß die Mitglieder der Goethe-Gesellschaft in Freiheit zusammenkommen können – Frei-heit, die nicht nur für Weimar, für Thüringen und für Deutschland bezeichnend und prägend ist, sondern Freiheit, die auch die europäische Einigung ermöglicht hat. Europa war immer eine wichtige Zielperspektive sowohl für Schiller als auch für Goethe.

    Wenn Sie sich in den kommenden Tagen in Vorträgen und Diskussionen mit der Freundschaft zwischen Goethe und Schiller auseinandersetzen, dann tun Sie das mit Goethe-Kennern aus ganz Europa – gerade auch aus Ost- und Mittelosteuropa. Mein Vorgänger, Dr. Bernhard Vogel, hat 1992 ein Goethe-Stipendium ins Leben gerufen, das jährlich vergeben wird. Die Goethe-Gesellschaft macht sich um die Betreuung unserer Goethe-Stipendiaten verdient. Es sind junge Wissenschaftler vor allem aus Osteuropa, die hier die Möglichkeit erhalten, Studien an den Origi-nalquellen zu betreiben. Ich bedanke mich für Ihr Engagement!

    Sie sind aktiv, wenn es darum geht, junge Menschen zusammenzuführen und jungen Menschen die Klassiker nahezubringen. Ich denke an die Goethe-Sommer-schule im August 2005, wo Abiturienten aus Deutschland und Polen in Weimar arbeiten werden. Und ich denke an den Goethe-Sommerkurs für Studenten, der ebenfalls im August 2005 in Weimar stattfindet.

    Herzlichen Dank auch für Ihr besonderes Engagement zum Wiederaufbau der zerstörten Herzogin Anna Amalia Bibliothek – ein Engagement, das die Goethe-Freunde in der ganzen Welt verbindet.

    Diese Beispiele machen deutlich, daß die Aufgabe der Goethe-Gesellschaft weit übers Forschen hinausgeht. Sie waren und sind stets bemüht, die Verbindungen, die Goethes Werk zwischen Menschen vieler Nationen geschaffen hat, zu pflegen und auszubauen. Sie wecken Begeisterung für Goethe: für seine Werke, für sein

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    Leben. Daß Sie Ihre Aufgabe so engagiert erfüllen können, wäre ohne die wieder-gewonnene Freiheit in Deutschland und in Osteuropa undenkbar – eine Freiheit, für die insbesondere Schiller sein Leben lang gestritten hat.

    Ich bin dankbar, daß wir gerade in diesem Jahr auf die spannungsvolle Ge-schichte dieser Stadt, dieses Landes und auf die deutsche Geschichte insgesamt aufmerksam machen können – eine Ambivalenz, die in kaum einer anderen Stadt so deutlich wird wie hier in Weimar. Wir haben vor wenigen Tagen des 60. Jahres-tages der Befreiung des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald gedacht. Der Ettersberg ist ein Ort, an dem unvorstellbares Grauen, Menschenverachtung und klassische Kultur so dicht beieinander lagen. Daß wir heute auf diese Ge-schichte nicht nur zurückschauen, sondern daraus auch lernen müssen, bleibt eine entscheidende Aufgabe – für uns und für die nachfolgenden Generationen.

    Liebe Goethe-Freunde, ich bedanke mich dafür, daß Sie erneut in so großer Zahl nach Weimar gekommen sind. Ich weiß, daß Ihnen diese Stadt eine gute Gastgebe-rin sein wird. Ich hoffe, daß Sie neben dem vollen Programm auch die Chance haben, Weimar zu erleben – eine Stadt, die sich freut, in der Mitte Deutschlands, in der Mitte Europas wieder ein Stück weit den kulturellen Platz einnehmen zu können, den sie in der Historie lange Zeit hatte. Herzlich willkommen in Thürin-gen, in Weimar! Kommen Sie wieder – Sie sind gern gesehene Gäste!

    Grußwort des Ministerpräsidenten Thüringens

  • Grußwort des Oberbürgermeisters der Stadt Weimar

    DR. VOLKHARDT GERMER

    Sehr geehrter Ministerpräsident des Freistaates Thüringen, Herr Althaus,sehr geehrter Präsident der Goethe-Gesellschaft, Herr Dr. Golz,liebe Goethe-Freunde aus nah und fern,meine sehr geehrten Damen und Herren!

    Auch die Goethe-Forschung kommt im Schiller-Jahr 2005 – wie ihr interessantes und vielfältiges Tagungsprogramm belegt – um den Freund nicht herum.

    Über eintausend Briefe haben sie sich geschrieben, mehr als sechzig Wochen gegenseitiger Besuche miteinander verbracht, bis Schiller 1799 nach Weimar über-siedelte. »Sie haben mir eine zweite Jugend verschafft und mich wieder zum Dich-ter gemacht, welches zu sein ich so gut als aufgehört hatte«, resümierte Goethe den fruchtbaren Austausch. Ein Bruchteil dieses inspirierenden Brief-Schatzes, der auf Veranlassung Goethes »über Materien eröffnet« wurde, »die beide interessierten«, macht das Goethe- und Schiller-Archiv gegenwärtig für kurze Zeit sichtbar.

    Die Dichter waren nicht gleich groß, ihre Ansicht der »Materien«, ihre Lebens- und Arbeitsweisen zum Teil sehr verschieden, was die Forscher – je nach zeitgülti-gem Blickwinkel und zuletzt auf die Statur bezogen – immer wieder feststellten. Mitunter wurden sie sogar als Alternative zueinander gehandelt, als Antipoden, für oder gegen die man sich zugunsten des jeweils anderen entscheiden mußte – etwa für den armen idealistischen Menschheitsdichter, gegen den großen poeti-schen Egoisten und höfisch bestallten Opportunisten. Völlig außer acht lassend, oder schlimmer, selbst opportunistisch mitdenkend, daß gerade der so Geschol-tene mit seiner Idee von ›Weltliteratur‹ für nationale und jede andere Form von Inanspruchnahme nicht taugte.

    Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller verkehrten auf Augenhöhe, wie Ernst Rietschel es 1857 mit seinem Denkmal in Weimar eindrucksvoll symbolisch darstellte. In den Maximen und Reflexionen heißt es: »Freundschaft kann sich bloß praktisch erzeugen, praktisch Dauer gewinnen. Neigung, ja sogar Liebe hilft alles nichts zur Freundschaft. Die wahre, die tätige, produktive besteht darin, daß wir gleichen Schritt im Leben halten, daß e r meine Zwecke billigt, ich die seinigen und daß wir so unverrückt zusammen fortgehen, wie auch sonst die Differenz unserer Denk- und Lebensweise sein möge«.

    Der vielzitierte ›Geist von Weimar‹, der nicht zuletzt auf Goethes und Schillers Wirken und Zusammenwirken basiert, darf kein dienstbarer und anpassungsfähi-ger sein. Er wehrt sich dauerhaft gegen politischen Mißbrauch und läßt sich nicht in kleine Fläschchen für Touristen abfüllen.

    Die Goethe-Gesellschaft hat in ihrem Gründungsaufruf von 1885 die »Pflege und Förderung der idealen Güter« verankert. Auf das Putzen des Sockels hat sie sich seitdem weniger verstanden. Gerade schickt sie sich an, den beiden Großen in

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    Weimar behutsam die Hand entgegenzustrecken, um ihnen den Schritt von dem-selben zu erleichtern. Nur so können sie befragt werden, in den nächsten Tagen und kommenden Jahren. Auf die Gesprächsprotokolle dürfen wir gespannt sein. Und, ich bin sicher, nach oben finden sie – durch den Dialog verjüngt – allein zu-rück.

    Grußwort des Oberbürgermeisters der Stadt Weimar

  • VORTRÄGE WÄHRENDDER 79. HAUPTVERSAMMLUNG

    RÜDIGER SAFRANSKI

    »daß es, dem Vortreflichen gegenüber keine Freyheit giebt als die Liebe«. Über die Freundschaft zwischen Schiller und Goethe*

    Seitdem Schiller in seiner Jugend den Werther gelesen hatte und den bewunderten Dichter damals im Dezember 1779 bei der Abschlußfeier an der Karlsschule neben Karl Eugen und dem Weimarer Herzog auf der festlich geschmückten Empore hatte stehen sehen, war Goethe Schiller stets gegenwärtig geblieben. In Schillers ersten Monaten in Weimar 1787 hatte es keine Geselligkeit gegeben, bei der nicht von Goethe die Rede war. Herder hatte ihn bei einem gemeinsamen Spaziergang einmal den »göttlichen« genannt. Schiller hatte auch manches Mißgünstige zu hören bekommen: daß Goethe seine Amtsgeschäfte vernachlässigt habe, daß es ihm als Dichter an Ausdauer fehle, daß seine Italienreise eigentlich eine Flucht war, daß er die Frau von Stein schnöde verlassen habe, um im Süden ein Lotter-leben zu führen, daß er unzuverlässig und wankelmütig sei und daß man über-haupt zuviel Aufhebens von ihm mache.

    Inzwischen, am 18. Juni 1788, war Goethe aus Italien zurückgekehrt und Schil-ler war gespannt darauf, ihm endlich einmal persönlich zu begegnen. Er hatte jetzt Selbstbewußtsein genug – »Doch fühle ich meinen Genius wieder«, schrieb er an Christian Gottfried Körner am 5. Juli 1788 – , um dem großen Mann ohne Scheu unter die Augen zu treten. Die Gelegenheit dazu ergab sich, als Goethe auf dem Gut der Charlotte von Stein im benachbarten Kochberg am 6. September zu Gast war. Charlotte von Lengefeld, Schillers spätere Frau, besuchte ihre Patentante, um zu veranlassen, daß die Gesellschaft von dort aus für einen Tag nach Rudolstadt herüberkommt. Schillers hochgespannte Erwartungen erfüllen sich nicht. Noch entwickelt sich aus dieser Begegnung keine persönliche Beziehung.

    Goethe war damals in einer gedrückten Stimmung. Nachdem er »freie Lebens-luft« in Italien geatmet hatte, war er wieder in die engen Verhältnisse Weimars zurückgekehrt. Er schildert später sein Befinden in den ersten Monaten der Einge-wöhnung:

    * Festvortrag, gehalten auf der 79. Hauptversammlung der Goethe-Gesellschaft in Wei-mar 2005. Die Schiller-Zitate folgen der SNA. Zitate werden im Text generell nicht nachgewiesen, damit der Redecharakter des Beitrags erhalten bleibt.

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    Aus Italien dem formreichen war ich in das gestaltlose Deutschland zurückge-wiesen, heiteren Himmel mit einem düsteren zu vertauschen; die Freunde, statt mich zu trösten und wieder an sich zu ziehen, brachten mich zur Verzweiflung. Mein Entzücken über entfernteste, kaum bekannte Gegenstände, mein Leiden, meine Klagen über das Verlorne schien sie zu beleidigen, ich vermißte jede Teil-nahme, niemand verstand meine Sprache. In diesen peinlichen Zustand wußt’ ich mich nicht zu finden […].

    Goethe hatte sich bei seiner Rückkehr aus Italien unterwegs während der Kut-schenfahrt einige Maßregeln für sein künftiges Verhalten notiert: »Verbergen – des gegenwärtigen Zustands […] Nicht von Italien vergleichsweise zu sprechen«. Aber mißmutig, wie er war, mußte er bei den Lengefelds in Rudolstadt dann doch, um sich überhaupt einigermaßen umgänglich zu zeigen, das Gespräch auf Italien brin-gen. »Er spricht gern und mit leidenschaftlichen Erinnerungen von Italien«, schreibt Schiller an Körner am 12. September 1788 in einem Brief, worin er diesen Tag mit Goethe ausführlich schildert. Er bedauert, daß es zu einem persönlichen Gespräch nicht gekommen war, und schreibt erklärend dazu: »[…] freilich war die Gesellschaft zu groß und alles auf seinen Umgang zu eifersüchtig, als daß ich viel allein mit ihm hätte seyn oder etwas anders als allgemeine Dinge mit ihm sprechen können«.

    Schiller täuscht sich oder will sich täuschen. Hinderlich war nicht nur die Ab-lenkung durch die anderen Gäste, sondern bei diesem ersten Zusammentreffen mied Goethe eine wirkliche Begegnung. Später gibt Goethe darüber die Auskunft, er sei bei seiner Rückkehr aus Italien erschrocken über das hohe Ansehen gewesen, das Schiller in der Öffentlichkeit genoß. Ihm aber galt Schiller immer noch als Autor der Räuber, eines Stückes, das ihm »verhaßt« war. Er sah ihn als ein »kraft-volles, aber unreifes Talent«, das gerade die »ethischen und theatralischen Para-doxen von denen ich mich zu reinigen gestrebt, recht im vollen hinreißenden Strome über das Vaterland ausgegossen hatte«. Er erinnerte ihn zu sehr an die eigenen Tollheiten des Sturm und Drang, und Schillers spätere Entwicklung hatte er noch nicht zur Kenntnis genommen. Und nun mußte er bemerken, daß Schillers Ansehen auch unter seinen Freunden gewachsen war. Selbst Karl Ludwig von Kne-bel lag ihm mit dem Lob Schillers in den Ohren, und bei Charlotte von Stein, die ihm auch aus anderen Gründen beschwerlich geworden war, hörte er viel Gutes über einen Autor, der ihm mißfiel.

    In der höflichen Zurückhaltung Goethes lag also mehr bewußte Absicht, als Schiller ahnte. Aber vielleicht ahnte er es doch, denn in seiner Schilderung dieses denkwürdigen und doch auch enttäuschenden Tages macht sich einiger Unmut bemerkbar. Das beginnt schon bei der Beschreibung von Goethes äußerer Erschei-nung:

    Sein erster Anblick stimmte die hohe Meinung ziemlich tief herunter, die man mir von dieser anziehenden und schönen Figur beigebracht hatte. Er ist von mittlerer Größe, trägt sich steif und geht auch so, sein Gesicht ist verschloßen […].

    Rüdiger Safranski

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    Schillers nüchternes Resümee dieser ersten Begegnung:

    […] ich zweifle, ob wir einander je sehr nahe rücken werden. Vieles was m i r jezt noch interessant ist, was ich noch zu wünschen und zu hoffen habe, hat seine Epoche bei ihm durchlebt, er ist mir, (an Jahren weniger als an Lebens-erfahrungen und Selbstentwicklung) so weit voraus, daß wir unterwegs nie mehr zusammen kommen werden, und sein ganzes Wesen ist schon von anfang her anders angelegt als das meinige, seine Welt ist nicht die meinige, unsere Vorstellungsarten scheinen wesentlich verschieden. Indeßen schließt sichs aus einer solchen Zusammenkunft nicht sicher und gründlich. Die Zeit wird das weitere lehren.

    Die Enttäuschung über die erste Begegnung wirkte nach und verwandelt sich schließlich in eine Haß-Liebe. Am 2. Februar 1789 schrieb er an Körner:

    Oefters um Goethe zu sein, würde mich unglücklich machen: er hat auch gegen seine nächsten Freunde kein Moment der Ergießung, er ist an nichts zu fassen; ich glaube in der That, er ist ein Egoist in ungewöhnlichem Grade. Er besitzt das Talent, die Menschen zu fesseln, […] aber sich selbst weiß er immer frei zu be-halten. Er macht seine Existenz wohlthätig kund, aber nur wie ein Gott, ohne sich selbst zu geben […]. Ein solches Wesen sollten die Menschen nicht um sich herum aufkommen lassen. Mir ist er dadurch verhaßt, ob ich gleich seinen Geist von ganzem Herzen liebe und groß von ihm denke. Ich betrachte ihn wie eine stolze Prude, der man ein Kind machen muß, um sie vor der Welt zu demüthigen […].

    Schiller – der Mann, Goethe – die Frau, die es zu penetrieren gilt. Solche wüsten Tagträume kommen aus dem Ressentiment. Was in ihm vorgeht, hat Schiller schon früher geschildert am Beispiel des Bösewichts Franz Moor, der mit der Natur ha-dert, die ihn benachteiligt hat im Vergleich zu Karl, dem Begünstigten. Schiller kennt den Haß, der daraus entspringt – er hat seine Folgen in den Räubern geschil-dert.

    Dieser Mensch, dieser Göthe ist mir einmal im Wege, und er erinnert mich so oft, daß das Schicksal mich hart behandelt hat. Wie leicht ward s e i n Genie von seinem Schicksal getragen, und wie muß i c h biss auf diese Minute noch kämp-fen! […] Aber ich habe noch guten Muth, und glaube an eine glückliche Revo-lution für die Zukunft! (an Körner, 9.3.1789)

    Noch hat er nicht jene wunderbare Formel gefunden:

    Wie lebhaft habe ich bey dieser Gelegenheit erfahren, […] daß es, dem Vortref-lichen gegenüber keine Freyheit giebt als die Liebe. (an Goethe, 2.7.1796)

    Diese Formel bezeichnet die produktive Befreiung vom Ressentiment. Statt mit seinem Schicksal zu hadern und sich im Neid zu verzehren, wählt man besser die Offensive der Liebe. Aber so weit ist es noch nicht. Vorerst wählt Schiller einen anderen Weg. Er wird, so nimmt er sich vor, nicht mehr die sich messenden ver-gleichenden Seitenblicke auf Goethe werfen; er wird sich auf seine Kräfte besin-nen, das Beste aus sich machen, vielleicht daß sich dann eine Situation der Ge-

    Über die Freundschaft zwischen Schiller und Goethe

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    meinsamkeit ergibt. Was die Freundschaft mit Goethe betrifft, so gilt für ihn: treffen, ohne zu zielen. Mit Schillers Worten, in einem Brief an Karoline von Beul-witz vom 25. Februar 1789:

    Wenn ich auf einer wüsten Insel oder auf dem Schiff mit ihm [Goethe] allein wäre, so würde ich allerdings weder Zeit noch Mühe scheuen diesen verworre-nen Knäuel seines Karakters aufzulösen. Aber da ich nicht an dises einzige We-sen gebunden bin, da jeder in der Welt, wie Hamlet sagt, seine Geschäfte hat, so habe ich auch die meinigen; und man hat wahrlich zu wenig b a a r e s Leben, um Zeit und Mühe daran zu wenden, Menschen zu entziffern, die schwer zu entziffern sind. […] Es ist eine Sprache, die alle Menschen verstehen, diese ist, gebrauche deine Kräfte. Wenn jeder mit seiner ganzen Kraft wirkt, so kann er dem andern nicht verborgen bleiben. Dieß ist m e i n Plan. Wenn einmal meine Lage so ist, daß ich alle meine Kräfte wirken laßen kann, so wird er und andre mich kennen, wie ich seinen G e i s t jetzt kenne.

    Schiller wird also zunächst seinen Weg allein gehen, abwartend und nur wie von Ferne zu Goethe hinüberblickend. Goethe seinerseits hält ebenfalls Abstand, wenn auch sein Interesse und seine Anteilnahme an der Entwicklung Schillers wachsen. Es sind vor allem Wilhelm von Humboldt und Johann Gottlieb Fichte, die bei Goethe für ihn gute Stimmung machen.

    Fichte hatte Goethes Neugier auf die gegenwärtige Philosophie geweckt. Er werde ihm Dank erweisen, schrieb er am 24. Juni 1794 an Fichte, »wenn Sie mich endlich mit den Philosophen versöhnen, die ich nie entbehren und mit denen ich mich niemals vereinigen konnte«. An Fichtes Philosophie war ihm sympathisch die energische Betonung der Tathandlung des Subjekts und seines Strebens und Ge-staltens. Um diese Zeit nahm er unter seine Maximen und Reflexionen den Grund-satz auf, wonach man sich stets zu fragen habe: »Ist es der Gegenstand oder bist du es, der sich hier ausspricht?«.

    Goethes Annäherung an die Philosophie hatte die Nebenwirkung, daß sich der von ihm gefühlte Abstand zu Schiller, diesem »theoretischen Kopf«, wie er ihn nennt, verringerte. Dies – zusammen mit dem Willen, den ästhetischen Kreis gegen den politischen Umtrieb fester zu schließen – schuf die Voraussetzung, daß bei Goethe jener Brief eine günstige Wirkung zeitigte, den er Mitte Juni 1794 empfing. Es war Schillers Einladung an ihn, dem Herausgeberkreis der neu gegründeten Zeitschrift Die Horen beizutreten:

    Der Entschluß Euer Hochwohlgebohren, diese Unternehmung durch Ihren Bey-tritt zu unterstützen, wird für den glücklichen Erfolg derselben entscheidend seyn, und mit größter Bereitwilligkeit unterwerfen wir uns allen Bedingungen unter welchen Sie uns denselben zusagen wollen. (an Goethe, 13.6.1794)

    Mit dem Zeitschriftenprojekt Die Horen wollte Schiller etwas zustande bringen, was es bisher noch nicht gegeben hat: eine Versammlung der ersten Köpfe der Na-tion. Ob es ihm wirklich gelang, kann dahingestellt bleiben; jedenfalls war nun endlich die Situation da, die er in dem Brief an Karoline anvisiert hatte, nämlich daß sich von der Sache her – jenseits eines verkrampften persönlichen Werbens und Ablehnens – eine Zusammenarbeit ergeben konnte.

    Rüdiger Safranski

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    Einige Tage läßt Goethe verstreichen, ehe er antwortet. Zwar hatte er sofort begriffen, daß sich hier eine Gelegenheit bietet, nicht nur dem literarischen Leben allgemein, sondern auch dem eigenen Schaffen neue Impulse zu geben, und auch die Annäherung Schillers erfreute ihn – zu Charlotte von Kalb äußerte er im Brief vom 28. Juni 1794, Schiller würde »freundlicher und zutraulicher gegen uns Wei-maraner« – , und doch zögert er, vielleicht weil er ahnt, daß jetzt etwas anfängt, das er zwei Monate später eine neue »Epoche« in seinem Leben nennen wird. Mit Sorgfalt – es haben sich mehrere Briefentwürfe erhalten – formuliert er am 24. Juni 1794 seine Antwort in einer Mischung aus Diplomatie und Konfession:

    Ich werde mit Freuden und von ganzem Herzen von der Gesellschaft seyn.Sollte unter meinen ungedruckten Sachen sich etwas finden das zu einer sol-

    chen Sammlung zweckmäßig wäre, so theile ich es gerne mit; gewiß aber wird eine nähere Verbindung mit so wackern Männern, als die Unternehmer sind, manches, das bey mir ins Stocken gerathen ist, wieder in einen lebhaften Gang bringen.

    Goethe läßt sich also im Sommer 1794 für die Mitarbeit an den Horen gewinnen. Am 20. Juli, einem Sonntag, kommt Goethe nach Jena, um am Nachmittag in der von ihm kürzlich mitbegründeten Naturforschenden Gesellschaft einen Vortrag über Botanik anzuhören. Schiller, dem das Thema eher fernliegt, hat sich auch eingefunden. Draußen ist es heiß, im alten Schloß, wo die Versammlung stattfin-det, angenehm kühl. Nach dem Vortrag kurze Aussprache, dann Stühlerücken, plaudernde Gruppen, man begibt sich hinaus, inzwischen ist es Abend geworden, denn der Referent hat lange und langweilig gesprochen, und nun überlassen wir Goethe das Wort, der im Rückblick 1817 unter dem Titel Glückliches Ereignis die Begegnung und das erste lange Gespräch mit Schiller schildert:

    […] wir gingen zufällig beide zugleich heraus, ein Gespräch knüpfte sich an, er schien an dem Vorgetragenen Teil zu nehmen, bemerkte aber sehr verständig und einsichtig und mir sehr willkommen, wie eine so zerstückelte Art die Natur zu behandeln, den Laien, der sich gern darauf einließe, keineswegs anmuten könne.

    Ich erwiederte darauf: […] daß es doch wohl noch eine andere Weise geben könne die Natur nicht gesondert und vereinzelt vorzunehmen, sondern sie wir-kend und lebendig, aus dem Ganzen in die Teile strebend darzustellen. Er wünschte hierüber aufgeklärt zu sein, verbarg aber seine Zweifel nicht, er konnte nicht eingestehen daß ein solches, wie ich behauptete, schon aus der Erfahrung hervorgehe.

    Wir gelangten zu seinem Hause, das Gespräch lockte mich hinein; da trug ich die Metamorphose der Pflanzen lebhaft vor, und ließ, mit manchen charakteri-stischen Federstrichen, eine symbolische Pflanze vor seinen Augen entstehen. Er vernahm und schaute das alles mit großer Teilnahme, mit entschiedener Fas-sungskraft; als ich aber geendet, schüttelte er den Kopf und sagte: das ist keine Erfahrung, das ist eine Idee. Ich stutzte, verdrießlich einigermaßen: denn der Punkt der uns trennte, war dadurch aufs strengste bezeichnet. Die Behauptung aus Anmut und Würde fiel mir wieder ein, der alte Groll wollte sich regen, ich

    Über die Freundschaft zwischen Schiller und Goethe