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Physik im Kontext – Ein Programm zur Förderung der naturwissenschaftlichen Grundbildung durch Physikunterricht Handreichung für die Unterrichtsentwicklung Granulare Materie I Schüttgut in Ruhe - ein ungewöhnlicher Festkörper Sigrid M. Weber ie Länder Gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung und d IPN

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Physik im Kontext –Ein Programm zur Förderungder naturwissenschaftlichen Grundbildungdurch Physikunterricht

Handreichung für die Unterrichtsentwicklung

Granulare Materie I Schüttgut in Ruhe -ein ungewöhnlicher Festkörper

Sigrid M. Weber

ie Länder

Gefördert durch das Bundesministeriumfür Bildungund Forschung

und d

IPN

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Die Autorin dieser Handreichung ist Dr. . Sigrid M. Weber,Didaktik der Physik und Z-MNU, Universität Bayreuth,95440 Bayreuth, [email protected]

Physik im Kontext wird gefördert durch das BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) und die Länder.

Das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) in Kiel koordiniert das Programm Physik im Kontext und kooperiert mit derHumboldt-Universität Berlin, der Universität Paderborn, der UniversitätKassel und der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.

Projektleiter: Prof. Dr. Manfred Euler Kontakt: Dr. Christoph Thomas Wodzinski, [email protected]: Marianne Müller, [email protected], Tel. 0431 880 4539Internet: www.physik-im-kontext.de

Postadresse:Physik im KontextLeibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften(IPN) an der Universität Kiel Olshausenstraße 62 24098 Kiel

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Granulare Materie I III

Vorwort

Diese Handreichung handelt von Granulaten, auch unter dem Namen gra-

nulare Medien oder Schuttguter bekannt. Sand ist ein typischer Vertreter –

jedem hinreichend bekannt aus Kindertagen. Auch trockener Sand zeigt den –

wie oft behauptet wird – neuen Aggregatzustand dieser Art von Materie, der

weder fest, noch flussig, noch gasformig ist! Granulare Medien konnen all dies

sein: Fest, wenn Sie in Ruhe sind, flussigkeitsartig, wenn sie in fließender Be-

wegung sind, quasi gasformig, wenn ihnen genugend Energie zugefuhrt wird,

wie beispielsweise in einer Staublawine. Das Gebiet der granularen Materie

ist nicht jung. Bereits Faraday (1831) und Reynolds (1885) haben sich damit

beschaftigt. Es hat jedoch in jungster Zeit bei Physikern eine Renaissance

erfahren. Granulare Systeme sind Themen aktuellster Forschung.

In der Darstellung notwendiger Informationen fur die Lehrkraft, die dieses

faszinierende Gebiet in den Unterricht integrieren will, folgt die Handrei-

chung der fachwissenschaftlichen Systematik: In Teil Granulare Mate-

rie I werden grundlegende Informationen uber ruhende trockene Granulate

vermittelt. Auf diesem notwendigen Basiswissen konnen weitere Teile zum

Thema Granulate in Bewegung aufbauen. Kapitel 2 hat das Ziel, der Lehr-

kraft die Aneignung von logisch aufeinander aufbauenden Wissenselementen

in diesem fur den Unterricht in der Schule absolut neuen Gebiet zu erleich-

tern. Fur eine nur kurze Unterrichtssequenz, die quasi nur hineinschnuppern

mochte in dieses faszinierende Terrain nichtlinearer Effekte, ist eine ahnliche

Reihenfolge der Stoffdarbietung nicht zwingend und auch nicht ratsam. Meh-

rere interessante Pfade durch die Welt der ruhenden Granulate sind zu finden,

wie der in Kapitel 6 vorgestellte Lernpfad beweist.

Man sollte nicht vergessen, dass eine ubertriebene fachwissenschaftliche Sys-

tematik im Unterricht Interesse dampft statt weckt. Manche Effekte besitzen

eine hohe Primarmotivation, die zum Einstieg in das Thema Granulate ge-

nutzt werden sollte. Ist das Interesse entfacht, mag man je nach Altersstufe

mehr oder weniger in die Tiefe steigen, um die erfahrenen Phanomene zu er-

klaren zu suchen. Angepasst an das angestrebte Verstandnisniveau wird man

unterschiedliche Modellierungsschwerpunkte setzen. Die Entwicklung einfa-

cher Modellversuche steht haufig am Anfang des Erkenntniswegs, bei Bedarf

gefolgt von vertiefenden theoretischen Betrachtungen.

Speziell ein solches Vorgehen bietet eine Chance, die Methodik des naturwis-

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IV Granulare Materie I

senschaftlichen Arbeitens zu schulen. Ausgehend von interessanten Phano-

menen, kann das Gebiet immer tiefer erschlossen werden. Das tieferschurfen-

de Suchen fordert Kontexte fur althergebrachten Physikstoff zu Tage: Bereits

ruhende Granulate regen an, uber das einfache Teilchenmodell der Sekundar-

stufe hinauszuschreiten, hinein in die Struktur von Metallen oder allgemein

Kristallen; sie bieten Anlasse, sich mit Reibungsphanomenen zu beschaftigen,

dort erlerntes Wissen zu festigen und beziehungsweise oder zu vertiefen. Be-

griffe wie Dichte, Kraft, Druck sind bereits bei Granulaten in Ruhe Voraus-

setzung, um ihre Eigenschaften physikalisch zu fassen. So ist beispielsweise

ohne ein Verstandnis der Druckfortpflanzung in Granulaten die Funktions-

weise einer Sanduhr nicht erklarbar: Pro Zeiteinheit fließt die gleiche Menge

Sand, (fast) unabhangig davon, wie hoch der Sand in der Sanduhr steht. Ein

Anlass den hydrostatischen Druck zu hinterfragen. Lassen Sie es mich noch-

mal betonen: Die Beschaftigung mit Granulaten schafft Anlasse, erworbenes

physikalisches Wissen anzuwenden.1 Mehr noch – sie schafft auch Anlasse

zu erfahren, wie wichtig physikalisches Wissen bei naturlichen und techni-

schen Prozessen ist. Gerade technische Kontexte bringen ins Bewusstsein,

dass Physik alltagsbezogen und berufsrelevant ist. Eine Einschatzung, die

vergangene Schulergenerationen nicht mehrheitlich teilen. Streng genommen

ist jeder in unserer modernen Industriegesellschaft abhangig von physikali-

schen Erkenntnissen und darauf basierenden technischen Entwicklungen. Dies

soll den Beitrag anderer Naturwissenschaften nicht schmalern, aber Physik

ist Basiswissenschaft. Sie kann bereits in der Schule faszinierend sein, wenn

es ihr erlaubt wird. Dies betrifft nicht nur Kontexte, sondern auch die In-

tegration von Aspekten moderner Physik mit ihren Paradigmen und Struk-

turfragen. Methodisch geschickt gewahlte Experimente mit Granulaten – wie

sie in Kapitel 4 zu finden sind – konnen hierzu beitragen.

Damit der Leser dieser Handreichung aufgrund der Stofffulle nicht ein ahn-

liches Motivationsloch erlebt, wie so manche Schulerinnen und Schuler im

Physikunterricht, wird ihm ein Weg durch den Text anempfohlen, der Inter-

esse weckt: Er verschaffe sich als erstes einen Uberblick uber die enthalte-

nen Experimente. Diese sind in Kapitel 4 in eigenen Abschnitten, im Wei-

teren Experimentiermodule (E-Module) genannt, zusammengefasst. Hier ist

zu empfehlen, jeweils mit den Ubersichtsdiagrammen zu Anfang eines jeden

1Im Fall einer integrativen Erarbeitung physikalischer Grundlagen ist auch neues Fach-wissen erschließbar.

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Granulare Materie I V

E-Moduls zu beginnen. Jedem Experiment sind Beispiele beziehungsweise

Anregungen fur lebensweltliche Kontexte vorangestellt. Die Experimentier-

anleitungen des Kapitels 4 wenden sich an Lehrkrafte, nicht an Schuler. Auch

wenn ihre Gliederung fur diesen Zweck nicht ublich ist. Totzdem wurde sie

gewahlt, um das Suchen von Informationen innerhalb eines Versuchs zu er-

leichtern. Einige Beispiele fur Schulerarbeitsblatter in Kapitel 5 sind als me-

thodische Vorschlage fur die Sekundarstufe 1 zu verstehen.

Dieser erste Durchgang durch die vorgestellten Experimente sollte genugend

Neugier geweckt haben, um die Abschnitte, die Basisinformationen enthal-

ten, mit Begeisterung zu studieren. Zwischen diesen Abschnitten findet der

Leser immer wieder Abschnitte, die den Vermerk Vertiefungswissen tragen.

Sie konnen beim ersten Lesen ubergangen werden. Die meisten dieser Vertie-

fungstexte eignen sich als Grundlage fur ein den Stoff vertiefendes Schuler-

referat in der Oberstufe.

Auf die Frage, in welcher Jahrgangsstufe die Experimente eingesetzt werden

konnen, wird in Kapitel 6 naher eingegangen. Hier sei nur darauf hingewie-

sen, dass die Mehrzahl der Experimente schon in der Unterstufe2 erfolgreich

durchzufuhren sind, vorausgesetzt den Schulerinnen und Schulern ist vermit-

telt worden, welches konkrete Ziel sich hinter ihren Anstrengungen verbirgt,

weshalb geeigneten lebensweltlichen Kontexten ein extrem wichtiger Stell-

wert zukommt.

Die Autorin

2In den Jahrgangstufen funf bis sieben

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VI Granulare Materie I

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Inhaltsverzeichnis

1 Granulare Materialien – Orientierung 1

2 Ruhende Granulate – ein attraktives Thema fur den Physik-

unterricht 7

2.1 Packungsdichte und Dilatanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

2.1.1 Das Problem dichter Kugelpackungen – als exemplari-

sche Einfuhrung in den Modellbegriff . . . . . . . . . . 8

2.1.2 Strukturtypen einfachster Packungen – Vertiefungswis-

sen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2.1.3 Vorgange beim Verdichten, der Begriff der Dilatanz . . 12

2.2 Drucklokalisierung, Kraftbrucken . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2.3 Mikromechanik – Vertiefungswissen . . . . . . . . . . . . . . . 22

2.3.1 Mikromechanik – die Problematik mikroskopischer Mo-

delle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

2.3.2 Reibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3 Exemplarische Anwendungen des Dilatanzeffekts in der Tech-

nik 29

3.1 Lostfoamverfahren – ein zukunftsweisendes Gussverfahren im

Uberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

3.2 Gussverfahren – Vertiefungswissen . . . . . . . . . . . . . . . . 30

4 Experimentieranleitungen fur die Hand der Lehrkraft 35

4.1 E-Modul Granulare Packungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

VII

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VIII Granulare Materie I

4.1.1 Modellversuch – Packungsdichte bei zweidimensiona-

len Packungen von Scheiben . . . . . . . . . . . . . . . 43

4.1.2 Modellversuch – zweidimensionale idealisierte Packung

von Scheiben und Dilatanz . . . . . . . . . . . . . . . . 45

4.1.3 Modellversuch – dichteste Packungsstrukturen . . . . . 47

4.1.4 Modellversuch – Struktur einfachster dreidimensiona-

ler Packungen aus Kirschen . . . . . . . . . . . . . . . 49

4.1.5 Modellversuch – Koordinationszahl bei einer dichten

Packung von Erbsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

4.2 E-Modul Verdichtung und Dilatanz . . . . . . . . . . . . . . . 53

4.2.1 Verhalten eines kompaktifizierten Granulats . . . . . . 57

4.2.2 Volumenvergroßerung durch Scherkrafte – Variante A . 61

4.2.3 Volumenvergroßerung durch Scherkrafte – Variante B . 63

4.2.4 Zunahme des Hohlraumvolumens durch Scherkrafte . . 65

4.3 E-Modul Bodendruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

4.3.1 Modellversuch – Verteilung des Bodendrucks in einem

Granulat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

4.3.2 Kraft auf den Boden eines Behalters . . . . . . . . . . 77

4.3.3 Maximaler Bodendruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

4.3.4 Sanduhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

4.4 E-Modul Bruckenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

4.4.1 Gewolbebildung in feinem Sand . . . . . . . . . . . . . 87

4.4.2 Gewolbebildung in einem verstopften Trichter . . . . . 89

4.4.3 Selbsttragender Bogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

4.4.4 Modellversuch – zweidimensionales Kontaktnetzwerk –

Variante A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

4.4.5 Modellversuch – zweidimensionales Kontaktnetzwerk –

Variante B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

5 Arbeitsblatter fur Schuler 97

6 Lernpfade zum Thema Granulate in Ruhe 103

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Kapitel 1

Granulare Materialien –Orientierung

Wer konnte je den Pfad eines Molukuls berechnen? Wie wissen wir, dass

die Erschaffung von Welten nicht durch fallende Sandkorner bestimmt wird.

(Victor Hugo, Les Miserables)

Diese Handreichung bringt mit der faszinierenden Welt der Schuttguter in

Beruhrung, die einerseits ein aktuelles Gebiet wissenschaftlicher Forschung

darstellt und die andererseits jedem vertraut zu sein scheint, sowohl aus den

Kindertagen – Sandburgen ... am Strand oder auf dem Spielplatz – als auch

aus dem Alltag – Salz, Zucker oder Reis ... aus Kuche und Supermarkt.

Unter einem Schuttgut oder auch Granulat wollen wir im Folgenden ein Ma-

terial verstehen, das aus einzelnen Kornern besteht. Jedes Korn ist als ma-

kroskopisches Objekt den Gesetzen der klassischen Mechanik unterworfen.

Die einzelnen Korner selbst sind letztendlich aus vielen Molekulen bezie-

hungsweise Atomen aufgebaut. Ihre Große liegt im Bereich von 10 nm bis

zu einigen Metern. In technischen beziehungsweise praktischen Anwendun-

gen treffen wir typischerweise Partikelgroßen im Bereich von wenigen Mi-

krometern bis Zentimetern an. Die Oberflache dieser Partikel kann beliebig

geformt sein, unregelmaßig oder – wie in manchen unserer Modellexperimen-

te – auch regelmaßig. Ist das Granulat trocken, spielt Kohasion zwischen den

Partikeln keine Rolle. Jede Wechselwirkung, d.h. Kraftubertragung, zwischen

zwei Partikeln setzt bei trockenen Granulaten Beruhrung voraus. Damit wird

sie nur durch Reibung (siehe Abschnitt 2.3.1) und beziehungsweise oder in-

elastische Stoße vermittelt. Daher sind Granulate dissipative Systeme. Das

1

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2 KAPITEL 1. GRANULARE MATERIALIEN – ORIENTIERUNG

bedeutet, dass die mechanischen Energieformen zu einem betrachtlichen An-

teil in Warmeenergie umgewandelt werden konnen. Der Energieerhaltungsatz

der klassischen Mechanik gilt nicht. Die Existenz und genaue Lage der zur

Kraftubertragung notwendigen Kontaktpunkte bestimmt oft fur den Nicht-

fachmann erstaunliche Eigenschaften von ruhenden Granulaten, von denen

einige in den Experimentiermodulen dieser Handreichung (siehe Kapitel 4)

vorgestellt werden.

Generell sind die makroskopischen Eigenschaften von Granulaten, unter Fach-

leuten oft als Granulare Medien bezeichnet, durch die fur Festkorper,

Flussigkeiten und Gase bekannten Gesetze nicht adaquat beschreibbar. Die

Grunde hierfur sind wohl bekannt: Die große Anzahl von Freiheitsgraden so-

wohl eines einzelnen Korns als auch eines granularen Aggregats fuhrt im All-

gemeinen zu irreversiblen1 und hochgradig nichtlinearen2 Wechselwirkungen

zwischen den Kornern. Aus der Sicht der modernen Physik liefern Granulate

Beispiele Komplexer Systeme fern vom Gleichgewicht.

Damit zeigen Granulare Medien viele neue Effekte, die ein Stoff in ei-

nem definierten Aggregatzustand3 nicht besitzt. Sie konnen Haufen bilden,

durch in der Regel schwache Scherkrafte plastisch verformt werden, aber

auch extrem starre Korper bilden. Letztere Eigenschaft wird insbesondere

beim Sintern und bei Gießverfahren (vgl. Kapitel 3) technisch ausgenutzt.

Experimente wie die an einem Stab hangende Flasche (siehe 4.2.2) oder der

Tischtennisschlager aus einem mit Sand gefullten Luftballon (siehe 4.2.1) de-

monstrieren dies eindrucksvoll. Unter geeigneter Energiezufuhr zeigen Gra-

nulate typisches flussigkeitsartiges Verhalten: Sie konnen durch Rohre und

auf geneigten Oberflachen fließen. Ihre Bewegung ist aufgrund der moglichen

Tangentialkomponente der Kontaktkrafte mit lokalen Rotationen einzelner

Korner verknupft.

Wohlbekannte Beispiele fur Granulate in Bewegung sind Sanduhren und

Schnee-4 beziehungsweise Gerolllawinen. Aber auch Vibrationen konnen zu

einer Fluidisierung5 fuhren, weshalb ein Verstandnis des Verhaltens von Gra-

nulaten u.a. fur erdbebensicheres Bauen wichtig ist.

1Die Wechselwirkungen sind nicht ohne weiteres umkehrbar.2Wechselwirkungen solcher Art sind linear, wenn sie durch ein lineares Kraftgesetz, wie

das Gesetz von Hook, modelliert werden konnen.3d.h. in der festen, flussigen oder gasformigen Phase.4Staublawinen zeigen eher gasformiges Verhalten.5Der Begriff Fluid umfasst Flussigkeiten und Gase.

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3

Analysieren wir das diesem Kapitel vorangestellte Zitat von Victor Hugo aus

physikalischer Sicht, so kommen wir zu dem Schluss, dass Strukturen, erzeugt

durch die Bewegung von simplen Sandkornern, Form und Aussehen der Welt,

in der wir leben, zu einem nicht unbetrachtlichen Grad bestimmen sollen.

Diese Behauptung mag weit hergeholt erscheinen, wenn man die synergeti-

schen Eigenschaften Granularer Medien nicht in Betracht zieht. Wenden

wir uns daher kurz dem Gebiet der Synergetik zu, das auch als Lehre vom

Zusammenwirken bekannt ist. Die Synergetik versucht eine theoretische Mo-

dellierung von Systemeigenschaften, z.B. einer Schuttung eines Sandhaufens,

unter Berucksichtigung der Tatsache, dass das Gesamtsystem Eigenschaften

zeigen kann, die auf der Ebene der Teilsysteme, in unserem Beispiel etwa

zwei verschiedenen Korntypen des Schuttungsmaterials, nicht existieren. Ein

auf der Ebene der Untersysteme nicht existierender Effekt ist beispielswei-

se eine Korngroßentrennung beim Schuttvorgang6, die sich je nach System

als totale Separation oder schichtweise Ablagerung der beiden Korntypen

außern kann, wie sie in naturlichem Sandstein zu finden ist. Solche Beispiele

sind typisch fur Granulate in Bewegung. Aufgabe physikalischer Forschung

ist sowohl dieses kollektive (Gesamt-)Verhalten eines granularen Systems zu

untersuchen, was das Bilden neuer Strukturen einschließt, als auch die Statik

und Dynamik auf der Skala einzelner Korner zu klaren. Unterstellen wir also

Victor Hugo, dass er die hoch nichtlinearen Eigenschaften von Sand im Auge

hat. Die damit verbundenen Strukturbildungseffekte sind tatsachlich fur den

Aufbau von materiellen Strukturen wichtig.

Auch wenn zu Zeiten Victor Hugos die europaische Industrialisierung in

Entwicklung war, so konnte er die heutige technische Bedeutung granula-

rer Materialien wohl kaum vorhersehen. Allein ca. 60% der Produkte der

chemischen Industrie sind Granulate und weitere ca. 20% der Produkte ent-

halten pulvrige Bestandteile [2]. Granulare Materialien sind allgegenwartig

im taglichen Leben, nicht nur in der Ernahrung. Sie variieren typischerwei-

se nicht nur in Große und Form, sondern auch in Harte und Dichte. Die

Qualitatsanforderungen an manche Granulate – auch in Bezug auf Homege-

nitat – sind extrem hoch, wie beispielsweise bei Tonern fur Laserdrucker und

Kopierer. Ideale Homogenitat ist ein großes technisches Problem vor allem

bei Mischungen verschiedener Komponenten. Jeder naive Transportvorgang,

6Auch unter dem Begriff kinetisches Sieben gelaufig. Es wird u.a. industriell zur Vor-sortierung von Granulaten eingesetzt.

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4 KAPITEL 1. GRANULARE MATERIALIEN – ORIENTIERUNG

jedes Schutteln fuhrt notwendigerweise zur Entmischung, auch granulare Se-

gregation genannt. Es sind verschiedene technische Verfahren im Einsatz, um

Segregation zu verhindern. Ihre Effektivitat korreliert mit den Investitions-

kosten. In vielen Bereichen ist eine extrem gute Homogenisierung unabding-

bar, wie beispielsweise in der Pharmaindustrie. Entmischungsvorgange zu

verstehen, ist daher auch aus wirtschaftlichen Grunden wichtig. Ein zweiter

Problembereich neben der Speziestrennung bei der industriellen Verarbei-

tung von Granulaten sind Verdichtungs-, Verbackungs- und Verstopfungs-

vorgange. Einfullstutzen und Ausfusse von Silos oder anderen Speichern sind

typische Stellen, wo der Massenfluss von Granulaten blockieren kann. Fur

solche Blockaden sind immer Bruckenbildungseffekte verantwortlich, wie sie

in den Abschnitten 2.2 und 4.4 theoretisch und experimentell vorgestellt wer-

den. Aber auch im Innern von Silos konnen sich Brucken bilden, was zu loka-

len Uberlastungen der Silowande und schließlich zum Bersten des Silos fuhren

kann. Abb. 1.1 zeigt einen solchen Unglucksfall. Schon die Konstruktion ei-

ner einfachen Sanduhr (vgl. 4.3.4) kann einen Einblick in diese Problematik

geben.

Neben der Vermittlung einiger typischer Eigenschaften von Schuttgutern ist

ein weiteres Ziel der Handreichung Granulare Materie, einige fundamentale

Begriffe und Konzepte aus der moderneren Physik7 anhand geeignet aus-

gewahlter Experimente beziehungsweise Versuchsfolgen auf phanomenologi-

scher Ebene unter Einbeziehung des spielerischen Elements zu lehren. Aus

dem Themengebiet Schuttguter in Ruhe sind dies wenige Begriffe: Struk-

tur oder Muster, Stabilitat beziehungsweise Instabilitat eines Zustands sowie

Schwellwert. Beispielsweise muss die Reibungskraft zwischen Granulat und

Wand einen Schwellwert uberschreiten, so dass Bruckenbildung mit all ihren

problematischen Folgen in einem Behalter oder Rohr auftreten kann8. Der

Begriff Struktur kann im Experimentiermodul Granulare Packungen (4.1)

anschaulich fundiert werden. Er ist fundamental fur das Gebiet der Struk-

turbildung, einem Teilgebiet der modernen Physik.

Die Physik der granularen Medien hat den Vorteil, dass sie in der Schule be-

reits mit einer relativ billigen Ausstattung und kostengunstigen Geratschaften

betrieben werden kann. Sie verlangt jedoch in der Regel enorm sorgfaltiges

7Genauer handelt es ich um das Gebiet der nichtlinearen Dynamik, ein diszi-plinubergreifendes, aktuelles und immer mehr an Bedeutung gewinnendes Forschungs-gebiet, wo Strukturbildungseffekte untersucht werden.

8Siehe auch das Problem der Miniaturisierung in den Vorbemerkungen zu Kapitel 4.

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Abbildung 1.1: Ein berstendes Getreidesilo [7]

Arbeiten. Die vorgeschlagenen Experimentiermedien verfugen uber eine hohe

Primarmotivation, nicht nur wegen ihres Alltagsbezugs, sondern auch wegen

der schnellen Weckung von Sachinteresse aufgrund der Faszination mancher

Fragestellungen in Verbindung mit der Anschaulichkeit vieler Experimente.

Das Thema erscheint daher pradestiniert, Schulerinnen und Schuler in na-

turwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen einzufuhren.

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6 KAPITEL 1. GRANULARE MATERIALIEN – ORIENTIERUNG

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Kapitel 2

Ruhende Granulate – einattraktives Thema fur denPhysikunterricht

Ohne irgendeine außere Einwirkung befindet sich ein Haufen trockenen Gra-

nulats in Ruhe. Leichtes Neigen oder Rutteln der Auflageflache andert die

Position der einzelnen Granulatteilchen nicht. Erst wenn solche Storungen zu

groß werden, geraten Teilchen in Bewegung. Prinzipiell lasst dies vermuten,

dass das System nichtlineare Eigenschaften besitzt. Die Existenz von vie-

len metastabilen Zustanden, von Schwellwerten bzw. kritischen Schranken

und Hystereseverhalten zahlen dazu. Im experimentellen Teil dieses Kapi-

tels werden wir einige Experimente kennenlernen, die uns verstehen helfen,

warum und wie ein kompaktifiziertes Granulat1 seine Form bzw. sein Vo-

lumen andert. Was wir dabei zu charakterisieren versuchen, ist die innere

Struktur eines granularen Materials. Die wichtigsten Aspekte bei trockenen

Granulaten sind erstens die Art der Packung der einzelnen Teilchen sowie

der Mechanismus, wie ein Ubergang zwischen verschiedenen Verdichtungs-

zustanden erfolgt, und zweitens der Effekt der Drucklokalisierung, der eine

Folge der packungs- bzw. anordnungsabhangigen Kontaktkrafte zwischen ein-

zelnen ruhenden Teilchen ist. Beide Aspekte sind von technischer Bedeutung.

1Ein typisches Beispiel ist eine Packung vakuumverpackten Kaffepulvers.

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8 KAPITEL 2. RUHENDE GRANULATE

2.1 Packungsdichte und Dilatanz

Gerade die statischen Eigenschaften eines Sandhaufens sind sehr komplex

und mit einfachsten Methoden nicht exakt zu fassen. Dies beginnt bereitsKomplexe Statik

mit der Verteilung der einzelnen Korner im Innern eines Haufens. In der For-

schung verwendete Methoden wie Neutronenstreuung oder ausgefeilte span-

nungsoptische Verfahren stehen in der Schule nicht zur Verfugung. Man

wird also zu extrem einfachen Modellen bzw. Modellexperimenten greifen

mussen. Dies betrifft sowohl das Studieren idealer Packungen als auch ideali-

sierter Kornformen. Naturliche granulare Medien wie beispielsweise granulare

Boden sind fur gewohnlich durch eine zufallige Anordnung irregular geformter

Teilchen verschiedenster Großen charakterisiert. Heterogenitat ist dabei ein

wesentlicher Aspekt. Insofern sind Schlussfolgerungen, gewonnen aus Expe-HeterogenitatnaturlicherGranulate rimenten mit speziellen Modellgranulaten beziehungsweise mit idealisierten

Packungen gleichgearteter Kugeln nicht in jedem Fall auf naturliche Granu-

late anwendbar, obwohl dies in manchen Fallen auch erfolgreich war (u.a.

bei der Vorhersage von Wellengeschwindigkeiten und Resonanzfrequenzen in

Boden).

2.1.1 Das Problem dichter Kugelpackungen – als ex-emplarische Einfuhrung in den Modellbegriff

Als Einstieg in den Problembereich Packungsdichte und Modellbildung wer-

den Erfahrungen von Schulerinnen und Schulern diskutiert. Die Eigenschaft,VerdichtenAlltagzbezug

dass Granulate verdichtet werden konnen und in manchen Fallen auch mussen,

ist aus dem Alltag wohl vertraut: Nach einem Rohrbruch wird die Aufgrabung

mit einer Ruttelmaschine sorgfaltig verdichtet, da sich ansonsten das wieder

eingefullte Material nach einiger Zeit merklich setzt und unerwunschte Del-

len oder Rinnen entstehen. Wird z.B. trockenes Salz oder Zucker in ein Glas

umgefullt, so dass das Glas nicht nur eben voll ist, sondern ein Schuttkegel

entsteht, der uber den oberen Glasrand hinausragt, so lasst sich das Glas

nach einigem Stauchen trotzdem meist verschließen. Woraus die Problemfra-

ge konstruiert werden kann, inwiefern Volumenangaben bei Rezepturen sei es

in der Kuche oder im Chemiebaukasten sinnvoll sind. Gibt es fur jedes Gra-Volumenangabenin Rezepten

nulat eine maximale Verdichtung, also eine dichteste Packung? Die Losung

dieser Fragen kann durch Untersuchung von Modellgranulaten erfolgen. Mo-

dellexperimente sind in den Versuchen 4.1.2, 4.1.4, 4.1.5 und optional 4.1.3

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2.1. PACKUNGSDICHTE UND DILATANZ 9

beschrieben, wo zweidimensionale kreisformige Granulate (Munzen) und re- Erkenntnisge-winnung durchModellexperimentelativ genau spharische sowie annahernd kugelformige Granulate (Kirschen,

Erbsen) eingesetzt werden. Inwieweit die fur diese Spezialfalle gewonnenen

Resultate verallgemeinert werden konnen, ist zu diskutieren.2

2.1.2 Strukturtypen einfachster Packungen – Vertie-fungswissen

Schulerreferat

In der Sekundarstufe 1 wird uber das Teilchenmodell gesprochen, ohne dass

mogliche verschiedene Anordnungen von Teilchen in festen Korpern genauer

diskutiert werden. Regelmaßige Anordnungen von Atomen oder Molekulen,

man spricht in diesem Fall auch von bestimmten Symmetrien, realisiert die

Natur in Kristallen. In der Natur vorkommende Strukturtypen von Kristallen

werden u.a. in der Kristallographie untersucht.

Ein Aggregat von Kugeln identischer Große stellt ein Modell fur Kristalle aus

einer Atomsorte dar. Insofern ist es von Interesse zu klaren, welche einfachen

Packungen von Kugeln gleicher Große theoretisch moglich sind und ob diese

von der Natur realisiert werden.

Werden identische Kugeln auf einer Flache moglichst dicht, also platzsparend

angeordnet, so ergibt sich eine Packung mit folgenden Kennzeichen.

1. Eindimensionale Reihen sich beruhrender Kugeln liegen so nebenein-

ander, dass Kugeln in benachbarten Reihen auf Lucke liegen.

2. Jede Kugel hat sechs Nachbarn.

3. Zwischen je drei sich beruhrenden Kugeln liegt ein Hohlraum bzw. eine

Lucke in der zweidimensionalen Projektion.

4. Die Zahl der Lucken pro Flacheneinheit ist doppelt so groß wie die Zahl

der Kugeln.

Um zu einer dreidimensionalen Packung zu gelangen, wird eine zweite Schicht

auf diese erste gepackt. Die Kugeln dieser zweiten Schicht mussen zwangslaufig

in den Lucken der ersten liegen. Wird wiederum dicht gepackt, so findet man,

dass nur uber jeder zweiten Lucke der ersten Schicht eine Kugel der zweiten

2Eine sinnvolle Moglichkeit, den Modellbegriff im Unterrricht zu vertiefen.

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10 KAPITEL 2. RUHENDE GRANULATE

Schicht liegt. Daher gibt es plotzlich zwei unterschiedliche Typen von Lucken

der ersten Schicht: Typ 1 tragt eine Kugel, Typ 2 liegt unter einer Lucke von

Schicht 2. Eine analoge Klassifizierung ergibt sich fur die Lucken der zweiten

Schicht. Soll nun eine dritte Schicht von Kugeln auf die zweite gelegt werden,

so gibt es folglich zwei unterschiedliche Anordnungen:

(hcp) Die dritte Schicht wird identisch zur ersten gebaut, d.h. ihre Kugeln

liegen uber Kugeln der ersten Schicht (Schichtfolge [1 2 1]), oder

(ccp) sie wird so gebaut, dass ihre Kugeln uber den Lucken der ersten Schicht

liegen, die bisher keine Kugeln der zweiten Schicht tragen

(Schichtfolge [1 2 3]).

Im Fall (hcp) kann die ursprungliche Packung aus zwei Schichten [12] iden-

tisch fortgesetzt werden. Die resultierende Packung ist daher durch eine

Schichtenfolge [12 12 12 ...] charakterisiert. Sie wird als hexagonal dichteste

Packung bezeichnet, da sie eine hexagonale (sechszahlige) Symmetyrie be-

sitzt. Die Abkurzung (hcp) stammt aus dem Englischen von hexagonal close

packing. Jede Kugel besitzt sechs Nachbarn aus der gleichen Schicht sowie

jeweils drei aus der darunterliegenden und der daruberliegenden Schicht, was

insgesamt 12 nachste Nachbarn ergibt.

Definition 1 Die Zahl der nachsten Nachbarn wird als Koordinationszahl

bezeichnet.

Die Koordinationszahl der hexagonal dichtesten Packung ist folglich 12.

Die drei Schichten der Packung (ccp) konnen ebenfalls periodisch fortgesetzt

werden, was zu einer Schichtenfolge [123 123 123 ...] fuhrt. Diese Schichtstruk-

tur heißt kubisch dichteste Packung, da sie eine kubische (wurfelformige)

Symmetrie aufweist. Auch in der kubisch dichtesten Packung hat jede Kugel

die Koordinationszahl 12. Die Abkurzung (ccp) stammt aus dem Englischen

von cubic close packing.

Zur Unterscheidung der beiden dichtesten Kugelpackungen, muss man also

die dritten Nachbarn heranziehen. Weitere Details zu diesen und anderen

Packungsstrukturen findet man in Buchern zur Kristallographie, Stichwor-

te bzw. Suchbegriffe dazu sind u.a. Stapelrichtungen, Elementarzelle eines

Kristallsgitters, Raumgruppen,... .

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2.1. PACKUNGSDICHTE UND DILATANZ 11

Eine große Anzahl von reinen Metallen kristallisiert in den beiden bisher

diskutierten dichtesten Packungsstrukturen. Gold, Kalzium, Nickel, Kupfer,

Silber und Platin haben die gleiche Struktur (ccp). Magnesium, Beryllium,

Kobalt, Zink und Kadmium besitzen eine (hcp)-Packung. Andere Metall-

strukturen existieren, sind aber nicht mehr dichtest gepackt, wie z.B. Wolf-

ram, in dessen Struktur auch Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium, Casium,

Barium und Tantal kristallisieren.

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Abbildung 2.1: Darstellung der in zwei Dimensionen moglichen regelmaßiggeordneten Strukturen von Scheiben mit den Koordinationszahlen drei, vierund sechs

Um in die Problematik verschiedener Packungsarten einzufuhren, konnen

diverse zweidimensionale regelmaßig geordnete granulare Modellkorper aus

Munzen oder Scheiben zusammengesetzt werden (siehe auch Versuch 4.1.1).

Dabei sollte geklart werden, Anregung: Aufgabeals Einstieg

• dass maximal sechs Beruhrpunkte mit benachbarten Scheiben fur eine

Scheibe moglich sind,

• dass es genau drei Packungstypen zweidimensionaler granularer Modell-

korper gibt, die aus regelmaßig angeordneten gleichgroßen Scheiben

aufgebaut und wie folgt charkaterisiert sind:

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12 KAPITEL 2. RUHENDE GRANULATE

1. Koordinationszahl drei, Packungsdichte 0,6046,

2. Koordinationszahl vier, Packungsdichte 0,7854,

3. Koordinationszahl sechs, Packungsdichte 0,9069.

Eine Packungsdichte von 1 ergibt sich bei einer vollstandig bedeckten Flache,

d.h. ohne jeden Hohlraum. Die drei moglichen zweidimensionalen Packungen

von Kreisen sind in Abb. 2.1 skizziert.

2.1.3 Vorgange beim Verdichten, der Begriff der Dila-

tanz

2.1.3.1 Verformungseigenschaften idealisierter Granulate

Bereits das zweidimensionale Modellexperiment 4.1.2 zeigt typische Vorgange

beim Verdichten bzw. allgemein bei der Anderung der Packungsdichte, diezweidimensionalesModellexperiment

unabhangig von der speziellen Kornform auftreten:

1. Anderung des Hohlraumvolumens wahrend des Ubergangs von losen zu

dichteren Packungen und als Folge eine Anderung des vom Granulat

eingenommenen Gesamtvolumens,

2. Anderung von Große und Orientierung von Hohlraumen,

3. Gleiten und Rollen an Kontaktpunkten bei Mikrodeformationen.

Dieses im letzten Punkt genannte Gleiten und Rollen macht die Kraftein-

wirkung an Kontaktpunkten offensichtlich. In trockenen Granuaten konnen

Krafte nur an den Stellen ubertragen werden, wo Partikel sich beruhren. Die-

ses sogenannte Kontaktnetzwerk werden wir u.a. im Abschnitt uber Druck-

lokalisierung 2.2 besprechen.

Die Modellexperimente 4.1.1 und 4.1.2 liefern daruber hinaus einen starken

Hinweis auf die Existenz (mindestens) einer dichtesten Packung bei KugelnExistenz einerdichtesten Packung

gleicher Große, die in Versuch 4.1.3 konstruiert werden wird.3

Insbesondere das Vorstellungsvermogen von jungeren Schulerinnen und Schu-

lern kann unterstutzt werden, wenn die dichteste Packung von fast ideal mo-

nodispersen4 Kugeln durch Ausprobieren mit Perlen, Murmeln oder mit Hilfe

3Abhangig von der Vertiefungsabsicht genugt es die Existenz mindestens einer dichtenPackung zu zeigen, eine Typcharakterisierung ist optional.

4d.i. eine gleichmaßige Großenverteilung von Kornern eines Granulats.

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2.1. PACKUNGSDICHTE UND DILATANZ 13

eines Molekulbaukastens ermittelt wird (siehe auch den Abschnitt 2.1.2 fur

weitere Details). Alternativ kann das Abtraktionsvermogen durch eine Auf-

gabe so gefordert werden, dass Interesse an einem Modellversuch geweckt

wird: Es ist eine zeichnerische Vorhersage der Zahl der nachsten Nachbarn

eines Korns zu einem der Versuche 4.1.4 oder 4.1.5 zu verlangen. In die-

sen Versuchen wird dann die Koordinationszahl in einem dreidimensiona- Koordinationszahlexperimentellermittelnlen angenahert monodispersen Granulat experimentell ermittelt. Eine Ge-

genuberstellung zwischen idealisierter Packungsstruktur und realen Packun-

gen ist insofern wichtig, da in realen Stoffen nie alle theoretisch zu erwar-

tenden Kontaktpunkte existieren. Grunde liegen in der real nicht existieren-

den idealen Monodispersie verbunden mit der Reichweite der Kontaktkrafte:

Minimale Zwischenraume im Mikrometerbereich ubersteigen bereits deren

Reichweite.

Die Auswertung der Modellversuche 4.1.4 und 4.1.5 mit nur angenahert spha- Unordnung vonKontaktpunktenrischen Kornern fuhrt auf die Problematik der ungeordneten raumlichen Ver-

teilung von Kontaktpunkten bei nicht ideal identischen Kugeln. Eine Diskus-

sion von allgemeinen Eigenschaften von Modellen bietet sich an.

2.1.3.2 Verformungseigenschaften realer Granulate

Nach Absolvieren des Experimentiermoduls Granulare Packungen5 wird

die Frage nach den Verformungseigenschaften eines polydispersen6 Materials, Verformung einesGranulats

wie es realer Sand darstellt, aufgeworfen. Erste Aussagen zu diesem Problem

werden aus Verdichtungsexperimenten mit Sand gewonnen (Versuche 4.2.2

und 4.2.3), die eindrucksvoll zeigen, dass ein stark verdichtetes Granulat, auf

Scherkrafte mit einer Volumenvergroßerung reagiert. Beobachtungen solcher

Art wurden bereits von Reynolds (1885) beschrieben, der dafur den Begriff

Dilatanz gepragt hat. Er experimentierte mit einem nicht dehnbaren Um-

schlag, mangels vakuumverpackten Kaffeepulvers (vgl. die Versuche 4.2.1.A

und 4.2.1.B). Abb. 2.2 zeigt die Versuchsobjekte von Experiment 4.2.1.B,

wo Sand durch die Spannung der Luftballonhaut verdichtet wird. Damit der

eindrucksvolle Versuch gelingt, muss die Spannung der Luftballonhaut nach

dem Werfen des Ballons einen Schwellwert7 uberschreiten, so dass eine Vo-

5Welche Versuche hierbei unabdingbar sind, wird bei den Experimentieranleitungen furdie Hand der Lehrkraft in Abschnitt 4.1 diskutiert.

6d.i. eine ungleichmaßige Großenverteilung von Kornern eines Granulats.7siehe Defintion 5 auf Seite 19.

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14 KAPITEL 2. RUHENDE GRANULATE

lumenvergroßerung durch Scherkrafte verhindert wird.

Abbildung 2.2: Ein mit Sand gefullter Luftballon (links) wird zugeknotet undschwungvoll gegen eine glatte Flache geworfen, wobei er sich zu einem relativstarren diskusformigen Objekt (rechts) verformt (Foto S.M. Weber).

Definition 2 Unter Dilatanz verstehen wir die Eigenschaft eines kompakti-

fizierten Granulats, seine Packungsdichte unter der Einwirkung von Scher-Dilatanz

kraften zu verkleinern.

Diesen Effekt kennen Schulerinnen und Schuler vom Wuhlen in einer Kram-

schublade, die nach dieser handfesten Umordnung plotzlich nicht mehr zu

schließen ist. Schulung des Transferdenkens soll dazu fuhren, den Schubla-Alltagserfahrungenintegrieren –Schulung des

Transferdenkens

deneffekt auch in den Versuchen 4.2.4.A und 4.2.4.B wiederzuerkennen. Hier

wird zwar kein trockenes Granulat verwendet, jedoch ist Wasser hier nur ein

Mittel, um die Volumenanderung, speziell in diesem Versuch die Zunahme

des Gesamtvolumens aller Hohlraume, als Folge von Scherung sichtbar zu

machen. Vielen Schulern ist das Phnomen des Trockenlegens nassen Sands

bereits begegnet: Wenn wir am Strand nahe des Wassers in feuchtem Sand

laufen, scheint der Sand um unsere Fussstapfen herum trocken zu werden.

Aufgrund unseres Gewichts hat der Sand unter unseren Fußen sein Volumen

lokal vergroßert, so dass das Oberflachenwasser versickert. Die Volumenzu-

nahme wird als Aufwolbung um die Fußspur sichtbar.

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2.2. DRUCKLOKALISIERUNG, KRAFTBRUCKEN 15

Der Reynoldsche Dilatanzeffekt, wie er oft genannt wird, hat technisch wich-

tige Konsequenzen.8 Der Begriff der Dilatanz steht in enger Verbindung mit

dem Begriff der Porositat. Letztere ist in der Praxis ein grobes Maß fur die Porositat

Packungscharakteristik eines granularen Materials.

Definition 3 Unter Porositat verstehen wir den Volumenbruchteil eines gra-

nularen Materials, der aus Hohlraumen besteht.

Definition 4 Die Hohlraume zwischen den Kornern eines granularen Ma-

terials bezeichen wir auch als Poren.

Zur Kontrolle der Eigenschaften realer Materialien sind Charakteristika der

Poren nutzlicher als die reine Angabe der Packungsdichte. So bestimmen Poren kontrollierenwichtigeEigenschaftenPoren bzw. deren Zahl, Form und innere Oberflache beispielsweise wich-

tige Eigenschaften granularer Boden: u.a. Filterkraft, Permeabilitat (d.h.

Durchlassigkeit bzgl. Gasen und Flussigkeiten), Wasseraufnahmevermogen,

Saugfahigkeit durch Kapillareffekt, Abflusseigenschaften bzgl. Flussigkeiten,

thermische Leitfahigkeit sowie die Gesamtoberflache. Hier bieten sich fur den fachubergreifendeBezuge zurGeographieUnterricht viele fachubergreifende Experimente aus dem Gebiet der Geo-

wissenschaften an. Allerdings arbeiten diese Experimente in der Mehrzahl

nicht mit trockenen Granulaten, sondern mit benetzten, was reale Boden-

verhaltnisse eher modelliert.9

2.2 Drucklokalisierung, Kraftbrucken

Experimente mit verdichteten Granulaten zeigen eindrucksvoll die festkor-

perartigen Eigenschaften granularer Materie. Bereits im letzten Abschnitt

auf S. 13 haben wir erfahren, dass in realen Granulaten die Kontaktpunkte

ungeordnet sind. Die Unordnung geht jedoch weiter, sie betrifft auch die Rei- KontaktpunkteundReibungskraftesind ungeordnet

bungskrafte zwischen den einzelnen Teilchen. Zur Erklarung dieser Tatsache

werden wir ein mikroskopisches Reibungsmodell in Abschnitt 2.3.2 verwen-

den.

Wirkt auf ein verdichtetes Granulat eine außere Kraft, so wird diese ins In-

nere der Packung ubertragen. Diese Fortpflanzung ins Innere muss entlang

8siehe auch Kapitel 39Zur Saugfahigkeit von Modellboden stehen einige einfache Experimentiervorschlage

zur Verfugung [6] (mit Downloadmoglichkeit im WWW).

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16 KAPITEL 2. RUHENDE GRANULATE

eines zufalligen Pfads erfolgen, da nur uber existierende Kontaktpunkte eine

Kraftubertragung moglich ist und die Kontakte ungeordnet sind. DaruberKontaktnetzwerkubertragt Krafte

hinaus wird ein granularer Korper bei Druckerhohung immer starrer. An-

wendungen fur diese mit Belastung wachsende Steifigkeitheit finden wir in

alltaglichen Situationen. Beispielsweise hat der Schotterunterbau unter Ei-

senbahnschienen hohe nichtlineare Elastizitatseigenschaften: Er wird steifer

durch Kompression.

Dies kann bereits mit Hilfe unseres Wissens uber reale Packungen erklart

werden: Die durch außeren Druck zugefuhrte Energie wird in SpannungenDruck erhohtSteifheit

und Reibungsarbeit umgesetzt, ein Teil im Innern, der Rest in der Wech-

selwirkung mit Gefaßwanden oder anderen Begrenzungen. Angenommen wir

kennen zu einem Zeitpunkt den Weg der Kraftubertragung, also das gesamte

Kontaktnetzwerk. Wird der Druck auf diese Konfiguration nun erhoht, begin-

nen sich die Teilchen durch die wachsende Spannung zu verformen; neue Kon-

taktpunkte bilden sich, wobei neue zusatzliche Wege fur die Kraftubertragung

entstehen. Auch wenn die elastischen Eigenschaften der Teilchen bekannt

sind, ist a priori wegen der Unordnung der Kontakte nicht vorhersagbar,

uber welche Kontakte dies geschehen wird. Infolge der zunehmenden Ver-

zweigung von Kraftlinien bei wachsender Last, nimmt die Starrheit eines

Granulats mit steigender Druckspannung zu, was substantielle Abweichun-

gen vom Hookschen, sprich linearen, Verhalten zur Folge hat.

Solche faszinierenden Effekte sind prinzipiell mit polarisationsoptischen Me-

thoden visualisierbar, wobei der sogenannte photoelastische Effekt ausge-

nutzt wird, d.h. eine spannungsinduzierte Doppelbrechung von im spannungs-

freien Zustand isotropen Materialien. Das geeignete Material ist in SchulenSpannungensichtbar machen

in der Regel nicht vorhanden, wie Scheiben oder Zylinder aus klarem Acryl-

glas, die in einer durchsichtigen quasi zweidimensionalen Scherzelle aus festen

Glasplatten unter Druck gesetzt werden. Die Zelle kann z.B. auf dem Over-

headprojektor zwischen gekreuzten Polarisatoren (Polarisationsfolien) plat-

ziert werden. Ein ahnlicher Versuch ist auch mit Acrylglaskugeln moglich,

wenn Sie in ein flussiges Medium mit identischem Brechungsindex, z.B. ein

geeignetes Glyzerin-Wasser-Gemisch, eingebettet werden. Erfreulicherweise

existieren genugend andere interessante experimentelle Optionen fur den

Schulunterricht, um das Thema Krafte und Spannungen im Inneren eines

Granulats zu erschließen.

Einen moglichen Einstieg in die Thematik Kraftverteilung in einem Granu-

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2.2. DRUCKLOKALISIERUNG, KRAFTBRUCKEN 17

lat bietet die Frage, wie hoch man einen Sandhaufen auf eine Betondecke ThemaKraftverteilung –Einstiegeeines Neubaus oder auf den Boden einer Fertiggarage schutten darf, damit

weder die maximal erlaubte Punktbelastung noch die maximale Gesamtlast

uberschritten wird. Typische Werte fur die maximale Punktbelastung liegen

bei 8 kN pro 100 cm2 und 3,5 kN pro m2 sowie von 2,5 t fur die maxima-

le Gesamtlast bei einer Fertiggarage. Vermutlich werden einige Schulerinnen FalscheHypothesen

und Schuler die Hypothesen aufstellen, dass erstens der Druck auf den Bo-

den unter der Spitze bzw. dem Kamm des Haufens am großten sei, da dort

die großte Schichtdicke auf dem Boden liegt, sowie, dass zweitens der Druck

zum Rand zu kontinuierlich abnehme. Dies ist generell nicht der Fall, sondern

hangt im Detail davon ab, wie der Haufen entstanden ist. Genauer heißt dies,

dass der Aufbauvorgang eines Sandhaufens sein Kontaktnetzwerk bestimmt,

weshalb Sandhaufen existieren, die unter dem Kamm ein lokales Minimum

der Bodenkraftverteilung zeigen.

Wenn bereits Lawinen behandelt worden sind, ist es auch moglich, die erlit-

tenen Druckschaden eines unter einem Schneehaufen Verschutteten als Funk-

tion dessen Position abschatzen zu lassen. Es wird eine ahnliche Hypoythese

zu erwarten sein.

Abbildung 2.3: Computersimulation des Kontaktnetzwerkes in einem Granu-lathaufen (nach [5]). Die Starke der Linien kodiert die Große der Kontakt-krafte. Reibungskrafte sind nicht dargestellt.

Entschieden werden muss das Problem experimentell, indem zu messen ver-

sucht wird, welchen Druck ein Sandhaufen auf seine Unterlage ausubt. Eine

Version dieses Experiments, in der Glaskugeln als Granulat sowie Kohlepa-

pier zur Druckregistrierung verwendet werden, findet sich in Versuch 4.3.1.

Die Schwarzung des Kohlepapiers ist ein direktes Maß fur die Hohe des herr- Bodendruckver-teilung sichtbarmachenschenden Bodendrucks durch eine Kugel. Wenn dieser Versuch ohne Pres-

se durchgefuhrt werden muss, ist seine Ausfuhrung relativ diffizil, da bei

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18 KAPITEL 2. RUHENDE GRANULATE

unvorsichtigen Hammerschlagen Querkrafte auftreten, die die Messpunkte

verschieben. Das Ergebnis wiederlegt in jedem Fall die oben genannte Hypo-

these. Stattdessen wird die Existenz von stark belasteten und weniger stark

belasteten Kornern der Bodenschicht gezeigt.

Die noch vorlaufige Hypothese der Existenz eines Kontaktnetzwerks kann

den Versuchsausgang erklaren. Um diese Hypothese zu festigen, ist nebenErklarung durchKontaktnetzwerk

der bereits untersuchten Verteilung der Druckkrafte auf die Bodenflache die

Hohe des Bodendrucks als Funktion der Fullhohe eines Behalters zu studieren

(Versuche 4.3.2 und 4.3.3). Da der Druck auf den Boden ab einer gewissen

Fullhohe konstant bleibt, ist dies ein Hinweis, dass die Behalterwande die

Last aufnehmen, was ein weiteres experimentelles Indiz fur die Existenz von

Kraftpfaden bzw. -brucken liefert. Der durch die Gewichtskraft der einzelnenexperimentellerNachweis vonKraftbrucken Korner ausgeubte Druck auf eine Schicht, muss offensichtlich fast rechtwinklig

zur ursprunglichen Belastung umgeleitet werden.

Dies lasst sich auch theoretisch zeigen, z.B. im Rahmen einer Naherung,

die vor mehr als hundert Jahren entwickelt worden ist (siehe z.B. [1] S. 74

ff). Hierbei wird ein Granulat als kontinuierliches Medium behandelt und

Druckanderungen werden differentiell beschrieben, was nur fur sehr große

Teilchenzahlen sinnvoll ist. Da dazu eine zwar einfache Differentialgleichung

gelost werden muss, bleibt auf Schulniveau nur die Messung10. Der vertikale

Druck pv auf eine Granulatschicht in einem zylindrischen Behalter erreicht

ab einer gewissen Tiefe h einen Sattigungswert ps = ρ g c mit geeigneter

Konstante c, deren genauer Wert hier nicht wesentlich ist. Die Dichte des

granularen Materials ist mit ρ und die Erdbeschleunigung mit g bezeichnet.

Der Verlauf des vertikalen Drucks als Funktion der Schutthohe h uber dem

Messort ist in einer Prinzipskizze in Abb.2.4 als durchgezogene Kurve darge-

stellt. Es ist klar zu erkennen, dass assymptotisch ein Sattigungswert erreicht

wird. Die funktionale Abhangigkeit der Druckzunahme von der Hohe lautet:

pv(h) = ρ g c(

1 − exp(−c h)).

Ein solcher Kurvenverlauf lasst sich auch aus Versuch 4.3.3 gewinnen, wenn

genugend genau und sorgfaltig gemessen werden kann. Dieser Versuch eig-

net sich auch, um die Existenz von Schwellwerten in Granularen Medien zuExistenz vonSchwellwerten

verdeutlichen.

10Es sei denn, man weicht in der Oberstufe auf Computeralgebrasysteme aus.

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2.2. DRUCKLOKALISIERUNG, KRAFTBRUCKEN 19

vertikaler Druck pv0

Hydro-statischerGrenzfall

Sättigungs-bereich

ps

Höh

e h

Abbildung 2.4: Die Abhangigkeit des vertikalen Drucks in einem Silo alsFunktion der Hohe. Die gestrichelte Linie stellt als Vergleich den hydrostati-schen Druck dar. Der assymptotische Wert fur den vertikalen Druck ist mitps bezeichnet.

Definition 5 Wir bezeichnen einen speziellen Wert eines Systemparame-

ters als Schwellwert oder kritischen Wert, wenn bei stetiger Anderung des

Systemparameters, ab diesem Wert eine Anderung des Systemverhaltens in

Erscheinung tritt.

In unserem experimentellen Beispiel ist die Einfullhohe beziehungsweise die

Hohe der Granulatschicht uber der Messstelle des vertikalen Drucks der zu

variierende Systemparameter. Die Anderung des Systemverhaltens besteht

in der Zunahme der Reibungskraft zwischen Granulat und Gefaßwand sowie

der Kontaktkrafte zwischen einzelnen Kornern. Ab einem gewissen Maß an

Verdichtung oder Kompaktifizierung des Granulats entstehen dadurch Kraft-

ketten in Richtung Seitenwand, so dass ein Teil des Gewichts des granularen

Inhalts von den Seitenwanden aufgenommen werden kann.

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20 KAPITEL 2. RUHENDE GRANULATE

Abbildung 2.5: Darstellung der Spannungsverhaltnisse in einem mit Plexi-glaskugeln und einem Glyzerin-Wasser-Gemisch gefullten Behalter (nach [4])

Abb. 2.5 zeigt die Spannungsverhaltnisse in einem mit Plexiglaskugeln geful-

lten Behalter. Es sei angemerkt, dass in der zitierten Publikation die Abbil-

dung auf dem Kopf steht. Die Kugeln werden von oben mit einem Stempel

zusammengepresst. Dunkle Stellen kennzeichnen Orte hoher Spannung und

damit großer wirkender Krafte. Die extreme Belastung bestimmter Stellen

der Behalterwand ist deutlich erkennbar. Die Verzweigung von Kraftlinien

bzw. von Druckkanalen unter wachsender Belastung ist experimentell mehr-

fach gezeigt worden. Die Existenz von Kraftlinien aufgrund von Kontaktket-experimentelleErzeugung von

Gewolben ten kann auch aus einem einfachen Versuch (Versuch 4.4.1) abgeleitet werden,

wo die Gewolbebildung in einem mit sehr feinem trockenen Sand gefullten

Rohr gezeigt wird. Bogenformige Kontaktketten sind fur die Bildung von

Kraftbrucken oder Gewolben notwendig und fuhren unter Umstanden zu ei-

ner großen Kraftubertragung auf Behalterwande.

Definition 6 Unter Drucklokalisierung verstehen wir die Erscheinung ei-

nes erhohten Drucks auf bestimmte Teilchen am Boden oder Rand eines mit

Granulat gefullten Behalters verglichen mit benachbarten Teilchen.

Drucklokalisierung und Bruckenbildung sind Phanomene, die in der Technik

zu vermeiden versucht werden: Drucklokalisierung kann zum Aufbrechen von

Silowanden fuhren (siehe Abb. 1.1 auf S. 5). Einbrechende Gewolbe, z.B. in

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2.2. DRUCKLOKALISIERUNG, KRAFTBRUCKEN 21

Abbildung 2.6: Die Ruine des Aquadukts von Maintenon, erbaut unter Lud-wig XIV im Pariser Becken, ist ein Beispiel von Bogen, die Jahrhunderteuberdauert haben.

Getreidesilos, konnen Silos zusammenbrechen lassen (Silobeben). Der Effekt

der Bruckenbildung fuhrt zu verstopften Abfullanlagen und Einfullstutzen fur

Granulate, wenn sie falsch konstruiert sind. Beispielsweise sind als Abhilfe in

Zement- oder Kalksilos von Betonwerken Ruttler eingebaut.11 Verstopfungen Silobeben,Verstopfungensolcher Art sind aus dem Alltag gelaufig, wenn ein Granulat mit Hilfe eines

Trichters umgefullt wird (vgl. Versuch 4.4.2).

In Granulaten experimentell erzeugte dreidimensionale lasttragende Gewolbe

sind domartig, wie auch numerische Simulationen gezeigt haben. Streng zwei-

dimensionale lasttragende Bogen haben bei gleichmaßig verteilter Last Pa-

rabelgestalt (siehe z.B. [1], S. 60ff), wahrend ein realer freier selbsttragender

Bogen die Form einer (umgekehrten) Kettenlinie hat. In Versuch 4.4.3 wird Kettenlinie – dieForm eines freienBogensdie Stabiltat eines freien Bogens untersucht. Diese beeindruckende Stabilitat

von Bogen machen Bilder von zerstorten Kirchen oder Bruckenkonstruktionen

besonders deutlich. Abb. 2.6 zeigt vier einzelne Bogen des Aquadukts von

Maintenon12, das unter der Herrschaft von Ludwig XIV erbaut worden ist.

11An dieser Stelle sollten sich Schuler uber weitere technisch gute Losungen kundigmachen.

12Nahere Informationen u.a. auf den WWW-Seiten der Stadt Maintenonhttp://www.mairie-maintenon.fr/

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22 KAPITEL 2. RUHENDE GRANULATE

2.3 Mikromechanik – Vertiefungswissen

Dieser Abschnitt soll u.a. dafur sensibel machen, welche prinzipiellen Pro-

bleme bei einer theoretischen Modellierung granularer Medien auftreten. Im

Unterricht an Schulen wird man sich auf wenige eher phonomenologisch an-

setzende Modelle beschranken, d.h. Beschreibungsversuche des Verhaltens

aller Granulatteilchen im Sinne der Newtonschen Mechanik kommen nicht

in Frage. Trotzdem sollen in dieser Handreichung die Ziele einer solchen Mi-

kromechanik kurz umrissen werden, da sie wesentliche Fragestellungen der

Forschung deutlich machen.

2.3.1 Mikromechanik – die Problematik mikroskopi-scher Modelle

Das Hauptproblem der Mikromechanik in granularen Materialien ist eine Ver-

bindung zwischen dem mikroskopischen Response der einzelnen Korner und

dem makroskopischen Verhalten des Materials herzustellen. Wahrend jedes

der Korner als diskretes Teilchen reagiert, kann das Granulat als Kontinuum

aufgefasst werden.13 Ein typisches Volumenelement eines granularen Materi-

als besteht daher aus einer Menge von einzelnen sich beruhrenden Teilchen so-

wie von Hohlraumen zwischen den Partikeln. Bei nicht trockenen Granulaten

sind diese Hohlraume u.U. mit Flussigkeit gefullt. In dieser Mikrostruktur ist

die Hauptursache fur die makroskopische Energiedissipation zu suchen: Die

Arbeit, die auf mikroskopischer Skala durch die Kontaktkrafte zwischen den

Teilchen verrichtet wird. Die Kontaktkrafte sind Reibungskrafte, die zugege-

benermaßen sehr sehr klein pro Kontaktpunkt sind. Insgesamt kann jedoch

eine relativ große Menge an Energie dissipiert werden, wenn eine große Zahl

von Kontakten involviert ist, wie z.B. beim Rutschen eines Haufens. Zur Mo-

dellierung der mikroskopischen Dynamik sind Impulse, Drehmomente und

wirkende außere Krafte zu analysieren. Letztere bewirken Druckkrafte bzw.

Druckpannungen im Inneren, die bei einer statischen Konfiguration lokal im

Gleichgewicht stehen mussen. Im Rahmen der mikroskopischen Kinematik

wird die Bewegung einzelner Teilchen studiert. Dies spielt in den Kapiteln

dieser Handreichung eine Rolle, wo bewegtes Granulat betrachtet wird. An

dieser Stelle nur soviel: Die gesamte Verteilung aller Granulatteilchen wird

13Dies ist insbesondere bei allen Phanomenen wichtig, wo fließende Granulate auftreten.

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2.3. MIKROMECHANIK – VERTIEFUNGSWISSEN 23

durch die Bewegung eines einzelnen (inneren) Teilchens geandert, weshalb

bei energetischen Betrachtungen auch die kinetische Energie von Teilchen

berucksichtigt werden muss.

2.3.2 Reibung

2.3.2.1 Beispiel fur ein phanomenologisches Modell

Ein dem Niveau der Schule angemessenes Modell, ist das der trockenen Rei-

bung. Die makroskopischen Gesetze der Reibung sind erstaunlich einfach und Schulerreferat

prinzipiell Schulstoff. Bereits Leonardo da Vinci betrachtete mehrere Klotze,

die gemeinsam auf einer Unterlage gegen die Reibungskraft zu bewegen wa-

ren, und untersuchte die hierfur notwendige Zugkraft.

Fz Fz

Abbildung 2.7: Leonardo da Vinci’s Zugkraftexperimente nach [1]. In beidenFallen muss eine identische Zugkraft FZ aufgewendet werden, um die dreiKlotze aus der Ruhelage in Bewegung zu setzen.

Weitere Beitrage lieferten u.a. Amonton und Euler. Letzterer fuhrte das Kon-

zept der Haft- und Gleitreibung ein. Heute rangieren diese Gesetze unter dem

Namen von Coulomb, der bereits 1773 einen Aufsatz uber granulare Mate-

rialien publiziert hat. Sie seien hier nochmals fur den Fall des Experiments Coulomb-Reibung

von da Vinci angefuhrt:

• Die Zugkraft, die notwendig ist, um das System (der Klotze) gegenuber

der Unterlage in Bewegung zu setzen, ist proportional zum Gesamtge-

wicht aller Systemteile.

• Die Zugkraft ist unabhangig von der Große der Kontaktflache zwischen

Systemteilen und Unterlage, d.h. fur einen Ziegelstein hangt die not-

wendige Zugkraft, nicht davon ab, auf welcher Seite er aufliegt.

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24 KAPITEL 2. RUHENDE GRANULATE

• Haft- und Gleitreibung mussen insofern unterschieden werden, als je-

der Reibungstyp seinen eigenen Reibungskoeffizienten besitzt. Euler

hat gezeigt, dass der Gleitreibungkoeffizient kleiner gleich dem Haftrei-

bungskoeffizienten sein muss.

2.3.2.2 Beispiel fur ein einfaches mikroskopisches Modell

Eine mikroskopische Erklarung dieser Eigenschaften wurde nicht vor 1950

gegeben (nach [1]). Die Oberflache von Festkorpern weist ublicherweise Rau-

higkeiten im μm-Bereich auf. Diese Unebenheiten sind so klein, dass sie be-

reits durch moderate Spannungen inelastisch deformiert werden, d.h. ihr Ver-

haltern ist plastisch und folgt nicht dem Hookschen Gesetz. Liegen nun zwei

Korper mit der Beruhrflache A auf- bzw. aneinander, so ubt der obere Korper

durch seine Gewichtskraft einen konstanten Druck p auf den unteren aus. Un-

ter diesem konstanten Druck werden die erhabenen Unebenheiten so weit ver-

formt, bis die Ruckstellkraft, hervorgerufen durch ihre plastische Deformati-

on, die durch die Belastung erzeugte Normalkraft N , d.h. die Kraft senkrecht

zur (mittleren) Beruhrflache, kompensiert. Ist dieser Gleichgewichtsszustand

erreicht, so gilt

N = p A.

Gleichzeitig leisten diese Unebenheiten einer Scherkraft FZ Widerstand

FZ = s A,

wobei die Konstante s diesen Scherwiderstand charakterisiert. Da der Haft-

reibungskoeffizient als Quotient aus Zugkraft FZ und Normalkraft N definiert

ist, ergibt sich

μs =s

p,

womit der Haftreibungskoeffizient auf die mikroskopischen Großen Druck p

auf eine Unebenheit und Widerstand s dieser Unebenheit gegenuber Scher-

kraften zuruckgefuhrt worden ist. Das Modell erklart die experimentelle Be-

obachtung, dass sich die Kontaktflachen zwischen zwei aufeinander liegenden

Korpern langsam unter dem Gewicht des oberen Korpers verformen, durch

das plastische Verhalten der Unebenheiten.

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2.3. MIKROMECHANIK – VERTIEFUNGSWISSEN 25

Allerdings ist unsere obige Aussage den Haftreibungskoeffizienten betreffend

nicht fur anistrope Materialien gultig. Beispielsweise weist Graphit eine la-

mellare Struktur auf. Er zeigt einen großen Widerstand gegenuber Deforma-

tion in Richtungen senkrecht zu den Schichten, jedoch einen extrem geringen

bei Scherung parallel zu einer solchen Schicht. Der Einsatz von Graphit als

Schmiermittel in Schlossern oder anderen mechanischen Teilen ist eine direk-

te Folge.

2.3.2.3 Unbestimmtheit der trockenen ReibungUnordnung derReibungskrafte,MemoryeffektIn diesem Abschnitt wollen wir anhand eines einfachen Modells diskutie-

ren, inwiefern eine Aussage uber den genauen Wert der Haftreibungskraft

zwischen zwei Korpern gemacht werden kann. Tatsachlich wird sich eine Un-

bestimmtheit ergeben, wenn die Historie des Systems unbekannt ist. Diese

Tatsache wird uns zu der Erkenntnis fuhren, dass fur den Fall eines ideal tro-

ckenen granularen Aggregats, dessen Bestandteile sich im Kraftegleichgewicht

befinden, die Kontaktkrafte ungeordnet sind.

S

G

Fs

Abbildung 2.8: Ein auf seiner Unterlage ruhender Ziegelstein befindet sichim Kraftegleichgewicht mit einer gedehnten Feder.

Ein quaderformiger Ziegelstein liegt auf einer ebenen horizontalen Unterla-

ge. Uber eine Hooksche Schraubenfeder ist er an einer Wand befestigt, wie

es Abb. 2.8 zeigt. Seine Gewichtskraft G steht mit der Reaktionskraft der

Unterlage S im Gleichgewicht. Fs bezeichne die Haftreibungskraft (statische

Kraft), die der durch die Feder ausgeubten Ruckstellkraft F = −k x das

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26 KAPITEL 2. RUHENDE GRANULATE

Gleichgewicht halt. Damit sind in dieser Konfiguration im Prinzip alle wir-

kenden Krafte genau bekannt. Der genaue Wert von Fs kann jedoch nur an-

gegeben werden, wenn der Spannungs- bzw. Kompressionszustand der Feder

genau bekannt ist. Fur die Elongation der Feder x ist jeder Zustand erlaubt,

solange die Federkraft kleiner als die Haftreibungskraft Fs ist. d.h fur die

Auslenkung x muss gelten

0 ≤ x <μs G

k.

Damit ist die aktuelle Position des Ziegelsteins allein aus den Systempara-

metern G, μs und k nicht bestimmbar. Eine exakte Angabe seiner Position x

erfordert zusatzliche Informationen daruber, wie das System in die aktuelle

Konfiguration gelangt ist.

Da die Federkopplung ein Modell fur Kontaktkrafte zwischen zwei Granulat-

teilchen bzw. Teilchen und Gefaßwand darstellt, konnen wir aus dem Mo-

dell die Hypothese ableiten, das die Reibungskraft zwischen unter Span-

nung stehenden Teilchen in einem granularen Aggregat in weiten Grenzen

variieren kann. Um diese Vermutung zu belegen, sind beliebige Winkel der

Beruhrnormalen zweier Teilchen zur Schwerkraft in die Uberlegung einzube-

ziehen. Dieser allgemeinere Fall ist in Abb. 2.9a dargestellt. Die Unterlage des

Ziegelsteins wird nun um den Winkel α gegen die Horizontale geneigt, womit

der in Abb. 2.9b skizzierte Fall dreier sich beruhrender Teilchen modelliert

wird.

S

G

Fs

α

?

?

G

Abbildung 2.9: (a) Ein auf seiner Unterlage ruhender Ziegelstein befindetsich im Kraftegleichgewicht mit einer gedehnten Feder (links). (b) Ein ku-gelformiges Partikel ruht auf zwei anderen (rechts).

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2.3. MIKROMECHANIK – VERTIEFUNGSWISSEN 27

Zwischen zwei Teilchen sind die Reaktionskrafte normal zur Tangentialebene

durch den Beruhrpunkt wohl bestimmt, falls keine plastische Deformation der

Mikrokontakte vorliegt, ist deren Große durch einfache Vektorzerlegung der

Gewichtskraft G gegeben. Die Krafte in Richtung der Tangentialebene hin-

gegen, d.h. der Reibungswiderstand gegen seitliches Gleiten, ist unbestimmt.

Sein Wert liegt irgendwo zwischen 0 und μs N , wobei N die wirkende Nor-

malkraft bezeichnet. Eine obere Schranke fur die Normalkraft ist sicherlich

diejenige Kraft, die das Teilchen zum Bersten bringt.

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28 KAPITEL 2. RUHENDE GRANULATE

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Kapitel 3

Exemplarische Anwendungendes Dilatanzeffekts in derTechnik

Technische Anwendungen und Problemstellungen sind vorzugliche Mittel, um PraxisrelevanzphysikalischerFragestellungendie Praxisrelevanz physikalischer Fragestellungen ins Bewusstsein zu heben.

Sie bieten sich sowohl als Einstieg bzw. Motivierung als auch als Vertiefung

fur den Abschnitt Dilatanz von Granulaten an. Die zu losende Problemfrage

kann in diesem Fall lauten: Wie kann aus ungebundenem Sand eine Gussform

hergestellt werden.

3.1 Lostfoamverfahren – ein zukunftsweisen-

des Gussverfahren im Uberblick

Eine zukunftsweisende Technologie insbesondere zur Herstellung von Rohren

und Fahrzeugteilen ist ein spezielles Gussverfahren, das sog. Lostfoamverfah-

ren, das den Dilatanzeffekt zur Stabilisierung der Gussform ausnutzt. Seine

Vorteile gegenuber dem althergebrachten Sandguss und Kokillenguss liegen

sowohl in der Wirtschaftlichkeit als auch in der großeren Umweltfreundlich- wirtschaftlich,umweltfreundlichkeit des Prozesses1:

• Reduzierte Herstellungskosten pro Gussteil und hohere Durchsatzraten

im Vergleich zu konventionellen Methoden,

1Eine Erklarung einiger wichtiger Fachbegriffe findet sich in Abschnitt 3.2

29

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30 KAPITEL 3. ANWENDUNGEN IN DER TECHNIK

• verringertes Gewicht der Gussteile vor allem durch die Moglichkeit ge-

ringerer Wandstarken (Materialeinsparung),

• variablere Modellformen, durch Reduzierung der Endformschragen2 (Ver-

zicht auf Bindemittel im Formstoff)

• Integration von Details des fertigen Werkstucks bereits in die Gusspha-

se, wie z.B. Bolzenlocher,

• Moglichkeit der Vermeidung jeglichen Nachbearbeitens der Gussstucke,

• Wiederverwendung des Formsandes zu 95% bis 99% (hohe Umwelt-

freundlichkeit der modernsten Verfahren).

Das Verfahren ist in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts auf der

Basis von Polystyrolmodellen entwickelt und seither weiter verbessert wor-

den. Der Prozess beginnt mit der Herstellung eines Modells des Gussstucks

aus speziellen Kunststoffgranulaten. Mehrere solche Modelle werden zusam-

mengefasst, mit einer feuerfesten Schlichte beschichtet und nach Trocknung

in ungebundenen Quarzsand eingebettet. Die Stabilisierung dieser Sandform

erfolgt allein durch Verdichten mittels Vibrationen (Dilatanzeffekt). Nach

dem Guss ist die Entnahme aus der Gussform relativ einfach, der Form-

sand wird herausgeschuttelt und kann nach Entfernen von Schlichte- und

Kunststoffruckstanden wiederverwendet werden. Wie der Name Lostfoamver-

fahren bereits zeigt, wird das Kunststoffmodell beim Giessvergang zerstort,

dabei werden die flussigen und gasformigen Zersetzungsprounkte des Poly-

merschaums durch die Schlichte kontrolliert in den Formsand abgefuhrt, was

Gussfehler vermeidet.

Das Lostfoamverfahren unterscheidet sich vom herkommlichen Sandguss we-

sentlich, der hohe Mengen an Quarzsanden mit Ton- oder Harzbindemitteln

erfordert. In Abhangigkeit vom verwendeten Bindemittel ist die Wiederauf-

arbeitung des Altsandes kosteninstensiv und nur teilweise moglich.

3.2 Gussverfahren – VertiefungswissenSchulerreferat

Herstellungsverfahren metallischer Korper wohlbestimmter Geometrien sind

fur unser hochtechnisiertes Leben extrem wichtig (u.a. auch im Atomobil-

2Notwendige Schragen des Werkstucks, um es schadlos aus der Form losen zu konnen.

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3.2. GUSSVERFAHREN – VERTIEFUNGSWISSEN 31

und Flugzeugbau). Sie zahlen zu den Aufgaben der Fertigungstechnik. Ein

wichtiges Teilgebiet ist die Gießereitechnik. Moderne Gießverfahren und Guss-

werkstoffe ersetzen zunehmend Schweiß-, Niet- und Schraubkonstruktionen

und fuhren zu hohen Material- und Energieeinsparungen. Um die enormen

Moglichkeiten der Gusstechnik zu verdeutlichen, betrachten wir das Beispiel

einer Airbus-Passagiertur, die aus 64 Frasteilen mit mehr als 500 Nietverbin- integrale Airbus-Passagiertur

dungen gefertigt wird. Aufgrund des spanerzeugenden Herstellungsverfahrens

ist mehr als das Vierfache des Eigengewichts des fertigen Turrahmens an Alu-

miniumlegierung notwendig, was ca. 30 GJ Primarenergie pro Turrahmen

verschlingt. Eine Losung als Integralgussteil ist moglich, d.h. eine einteilig

gegossene Passagiertur fur ein Großraumflugzeug. Eine Studie ergab eine

Materialeinsparung von 56% und eine Energieeinsparung von 51% [3].

Definition 7 Unter Gießen verstehen wir die Herstellung eines metallischen

Festkorpers definierter Geometrie aus einer Metallschmelze. Dabei wird die

Gestalt des Gussstucks durch Formen erzwungen (Formguss).

Definition 8 Eine Form ist ein Negativ eines Gussteils, d.h sie enthalt den

auszugießenden Hohlraum, der ein Abbild des zu erstellenden Gussteils ist.

Sie wird mit Hilfe eines Modells aus dem sog. Formstoff hergestellt.

Definition 9 Ein Modell ist ein Positiv des zu fertigenden Gussstucks, d.h.

ein dreidimensionales Abbild. Es besteht je nach Gussverfahren aus Holz,

Kunstharz, Metall, Polystyrolschaumstoff bzw. einem anderen Spezialkunst-

stoff oder Wachs.

Die Gusstechnik besitzt eine Reihe von Vorteilen, u.a.

• reduzierter Herstellungsaufwand im Vergleich zu spanerzeugenden Ver-

fahren wie Drehen oder Frasen,

• kaum Materialverlust verglichen mit spanabhebenden Verfahren,

• hohe Formvariabilitat,

aber auch Nachteile, die vor allem die Herstellung von Einzelstucken unren-

tabel machen. Dazu zahlen

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32 KAPITEL 3. ANWENDUNGEN IN DER TECHNIK

• die Notwendigkeit eines Modells fur jedes Gussteil sowie

• die u.U. hohen Herstellungskosten des Modells.

Bei den verschiedenen Gussverfahren wird zwischen wiederverwendbaren und

einmal verwendbaren Formen unterschieden. Fur die ersteren sind die Be-

zeichnungen Dauerformen oder auch Kokillen (aus dem Franzosischen fur

Schale) gebrauchlich, die letzteren heißen auch verlorene Formen, da sie nach

der Erstarrung des Gussstucks zerstort werden mussen.

Dauerformen werden in der Regel aus metallischen Werkstoffen gefertigt.

Sie konnen auf sehr unterschiedliche Arten mit Schmelze gefullt werden: Ge-

brauchliche Verfahren arbeiten ohne Druck nur mit der Hilfe der Schwerkraft

(Kokillenguss), mit sehr geringem Druck (Niederdruckkokillengießverfahren)

oder mit relativ hohen Drucken von 100 bis 1200 bar, wobei typische Stro-

mungsgeschwindigkeiten der Schmelze von 10 bis 150 m/s und Formfullzeiten

von 50 bis 200 ms auftreten.

Bei der Gussteilfertigung mit verlorenen Formen bestehen die Formen bis

auf wenige Ausnahmen aus Formstoffen auf Sandbasis, also einem Granu-

lat. Diese Gussverfahren werden daher haufig als Sandgießverfahren bezeich-

net. Beim herkommlichen Sandguss wird die eigentliche Form aus dem sog.

Formgrundstoff mit Hilfe von Bindemitteln erstellt. Ein gut geeigneter Form-

grundstoff ist Quarzsand, der jedoch in diesem Fall mit anorganischem (Ton

und Wasser) oder organischem (z.B. Phenol-Formaldehyd-Harz) Bindemittel

verfestigt wird.

Bei der anorganischen physikalischen Bindung geschieht die Verfestigung rein

mechanisch durch Verdichtung des feuchten Gemisches aus Formgrundstoff

und Bindemittel. Der Guss erfolgt in noch feuchtem Zustand. Die Formstoff-

verdichtung wird durch folgende technische Varianten erreicht

• Rutteln,

• Pressen,

• Vibrationsverdichten,

• Schieß- und Blasverdichtung,

• Vakuumverdichtung,

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3.2. GUSSVERFAHREN – VERTIEFUNGSWISSEN 33

• Luftstrompressen,

• Impulsverdichten mit Luftimpuls- und Gasdruckverdichten.

Bei allen diesen Verfahren werden typische Eigenschaften granularer Mate-

rie ausgenutzt oder versucht gezielt zu steuern. Beispielsweise wird bei der

Schieß- und Blasverdichtung lockerer Formstoff mit Druckluft (0,2 bis 0,3

MPa beim Blasen und 0,4 bis 0,5 MPa beim Schießen) fluidisiert, beschleu-

nigt und mit hoher Geschwindigkeit in den Formkasten geblasen, wodurch

er verdichtet wird. Ein weiteres Beispiel: Beim Verdichten durch Vibrieren

ist die sich einstellende Konvektion3 des Granulats zu berucksichtigen. Die-

se fuhrt u.a. zu einem aufsteigenden Nettofluss des Formstoffs im mittleren

Bereich des Formkastens. Bei ungeeigneten Modellwerkstoffen oder Modell-

formen wird der Druck auf die Modelltrauben im Extremfall so hoch, dass

die Trauben brechen und der Guss misslingt. Dies war ein zu uberwindendes

Problem bei der Entwicklung des Lostfoamverfahrens.

Bei den Verfahren mit chemischer Bindung erfolgt die Verfestigung des Form-

stoffs von Sandformen und Sandkernen durch chemische Reaktionen – ent-

weder kalt oder heiß mit anorganischen oder organischen Bindemitteln. Der

Gießzustand der Form ist trocken. In beiden Fallen ist die Form nur ein-

mal verwendbar. Der Formstoff kann teilweise wiederaufbereitet werden, was

aber Prozesskosten sowie nicht recyclebare Abfallstoffe, wie Filterstaube, ver-

ursacht. Unter gunstigsten Umstanden – zumindest, was die Regeneratmenge

betrifft, – sind dies mehr als 95%. Ein Vergleich der Mengenbilanz der in der

Schmelzerei (Metalle) und in der Formerei (Formen) und Kernmacherei (Ker-

ne) eingesetzten Stoffmengen zeigt, dass das Gesamtvolumen an eingesetz-

ten Formstoffen das umgesetzte Metallvolumen um ein Vielfaches (Beispiel:

Faktor 7) ubersteigt. Einen typischen Formstoffkreislauf fur tongebundene

Formstoffe zeigt Abb. 3.1. Der bei der mechanischen Regeneration dem Kreis-

lauf entzogene Staub ist nicht berucksichtigt. Als Verwertungsmoglichkeiten

von nicht regeneriertem Altsand kommen neben der Deponie noch Wegebau,

Bergbau, wo stillgelegte Schachte verfullt werden, und in beschranktem Ma-

ße Betonherstellung in Frage. Mogliche Verwertungsarten sind eng an die im

Altsand vorhandenen Restverunreinigungen gekoppelt. Metallreste und ge-

gebenenfalls eingelegte Kuhlkokillen werden z.B. beim Eisengussverfahren in

3siehe auch im Teil uber fließende Granulate

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34 KAPITEL 3. ANWENDUNGEN IN DER TECHNIK

Aufbereitung

Formherstellung

Gießen GusskühlungTrennen derStoffkreisäufe

Sandüberlauf

Zerkleinern

mechanischeRegeneration

Bunker

Sieben

Kühlen

Befeuchten

Bunker

flüssiges Metall Verwertung

KaufKauf

Was

ser

Ben

ton

it

Stei

nko

hen

stau

b

Neu

san

d

Reg

ener

at

Kerne

Regenerat

Umlaufsand

AltsandAltsand

Abbildung 3.1: Vereinfachte Darstellung eines Formstoffkreislaufs fur tonge-bundene Formstoffe nach [3]

der Regel durch Magnetabscheider entfernt (siehe Kasten Trennen der Stoff-

kreislaufe). Beim Absieben (siehe Kasten Sieben) werden verbackene Brocken

und eventuell eingesetzte Keramikkorper und exotherme Einspeiser aus dem

Umlaufsand entfernt und dem Regeneratkreislauf zugefuhrt.

Aufbereitungsanlagen fur die Herstellung von harzgebundenen Formstoffen

haben anlagetechnisch bedingt nur eine Regenerationsrate von maximal 70%.

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Kapitel 4

Experimentieranleitungen zustatischen Eigenschaften vonGranulaten fur die Hand derLehrkraft

35

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36 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

Vorbemerkungen zu den Versuchsanleitungen fur Lehrkrafte

Dieses Kapitel enthalt Versuchsanleitungen fur die Hand der Lehrkraft. Sie

sind nach fachwissenschaftlichen Kriterien in vier Klassen gegliedert, die in

den folgenden Ubersichtstabellen mit Experimentiermodul, kurz E-Modul,

bezeichnet werden. Abb. 4.1 zeigt die vier E-Module zur Thematik Schuttgut

in Ruhe. Nahere Details zu den Experimenten werden in den einzelnen E-

Modulen gegeben.

E-Module zur Thematik Schuttgut in Ruhe

GranularePackungen

(4.1)

Verdichtungund

Dilatanz(4.2)

Bodendruckin

Granulaten(4.3)

Brucken-bildung

(4.4)

Abbildung 4.1: Ubersicht uber alle experimentellen Module (E-Module) zumThema Schuttgut in Ruhe. In Klammern sind die Abschnitte angegeben, wodie entsprechenden Experimentieranleitungen enthalten sind.

Generell sind Experimente aufgenommen, die mit Mitteln der Schule oder

zumindest mit einfachsten Mitteln oder Gegenstanden aus dem Alltag durch-

fuhrbar sind. Die statischen Eigenschaften von Granulaten sind anhand dieser

Versuche auf der Ebene der Phanomene erfahrbar. Manche Experimente sindDurch Phanomenelehren

so einfach und verbluffend, dass sie bereits in der Primarstufe mit Erfolg ein-

gesetzt werden konnen. Ziel ist auf dieser Stufe vor allem ein Anfachen des

Erkenntnisstrebens sowie ein erstes Auseinandersetzen mit mikroskopischen

Ursachen makroskopischer Phanomene. Passende Beispiele sind das Werfen

von sandgefullten Luftballons (Versuch 4.2.1) oder das Trockenlegen einer

feuchten Sandoberflache durch Verformen des Aufbewahrungsgefaßes (Ver-

such 4.2.4). Die Einfachheit dieser Experimente bedeutet nicht, dass sie fur

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37

die Sekundarstufen zu primitiv sind. Im Gegenteil – die Ursachen dieser Ef-

fekte zu erforschen, ist eine Herausforderung. Eine Herausforderung insofern,

als bereits erlerntes physikalisches Wissen zur Konstruktion von Hypothesen

und Modellvorstellunge eingesetzt werden muss. Ein typisches Beispiel ist ein

Erklarungsversuch der Gewolbebildung in trockenem Sand (Versuch 4.4.1).

Abbildung 4.2: Zur Erhohung des Reibungskoeffizienten bei miniaturisiertenVersuchen kann ein glattes Kunststoffrohr mit einer Silikonmatte ausgeklei-det werden.

Ein generelles Problem bei Modellexperimenten mit Granulaten sei noch an-

gesprochen, die Miniaturisierung. Einige Versuche fur das Klassenzimmer Das Problem derMiniaturisierung

sind um ein bis zwei Großenordnungen skalierte Versionen realer Probleme.

Bei einer solchen Skalierung gilt leider kein exaktes Ahnlichkeitssgesetz wie

in der Hydrodynamik, wo man z.B. die Luftstromungen um einen Jet anhand

eines verkleinerten Modells im Windkanal genau studieren kann. Schuld tra-

gen nichtlineare Effekte, die zur Ausbildung von Schwellwerten fuhren. Dies

hat Konsequenzen fur die Gelingsicherheit mancher Modellversuche mit Gra-

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38 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

nulaten: Es ist nicht immer moglich, einen Effekt in der Technik an einem

maßstablich verkleinerten Modell zu zeigen, ohne den Granulattyp zu tau-

schen. Er muss so gewahlt werden, dass auch der Reibungskoeffizient der

Miniaturisierung angepasst ist. Betrachten wir als Beispiel eine Skalierung

aller Langendimensionen auf ein Zehntel. Das Volumen und auch das Ge-

wicht werden auf ein Tausendstel vermindert, Oberflachen auf ein Hunderts-

tel. Bei genugend großer Belastung bleibt der Reibungskoeffizient gleich, die

Kontaktkrafte reduzieren sich auf ein Tausendstel. Die sich einstellenden Ori-

entierungen der Kraftketten sind jedoch belastungsabhangig. Bei geringen

Belastungen und ungeandertem Reibungskoeffizienten sind eher horizontal

verlaufende Kraftlinien im Kraftnetzwerk extrem unwahrscheinlich. Dies ist

auch die Hauptursache dafur, dass die Unabhangigkeit des Bodendrucks von

der Fullhohe in einem mit Granulat gefullten Gefaß erst ab einer gewissen

Mindestfullhohe gegeben ist.1 Erfolgreiche Experimente zur Bruckenbildung

in Granulaten sind jedoch an die Existenz von Kraftketten geknupft, die auf

die Behalterwand unter gewolbetypischen Winkeln zulaufen. Experimentelle

Auswege sind nun

• eine Erhohung des Reibungskoeffizienten,

• eine Erhohung der Verdichtung und damit der Spannung im Granulat

oder

• eine Anderung des Aspektverhaltnisses des Modells.

Ein gangiger Weg ist der erste, der auch in einigen Versuchen des E-Moduls

Bruckenbildung (4.4) beschritten wird.

Vorbemerkungen zu den Arbeitsblattern fur Schulerinnen und Schu-

ler

Die Versuchsanleitungen bzw. Arbeitsblatter fur die Hand der Schulerinnen

und Schuler sind je nach Adressatenkreis zu differenzieren. Prinzipiell kann

jedes Experiment auf jede Schulstufe beziehungsweise jedes Alter reduziert

werden.

Ein Leitmotiv sollte alle Anleitungen beherrschen, die schopferische Tatigkeit

der Experimentierenden. Prinzipielle Freiheit bei der eigenstandigen Ver-

1Siehe S. 18 beziehungsweise die Versuche 4.3.2 und 4.3.3.

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suchsplanung und dosierte Hilfen bzw. Anstoße bei Ratlosigkeit sind pro-

bate Mittel, um den forschenden Geist zu wecken und zu erziehen. Ein ge-

dankenloses Arbeiten nach Anleitung ohne Verstandnis fur das eigene Tun,

ohne Kenntnis des Ziels der Bemuhungen rechtfertigt den Zeitbedarf fur

Schulerexperimente oft nicht. Freude am Experimentieren gewinnen, am Su-

chen, Basteln und Tufteln ist ein Ziel, das mit faszinierenden Experimenten

auch aus den nachsten Kapiteln erreicht werden kann. Mit Experimenten, Freude am Suchen,Basteln undTuftelndie Erfahrungen aus der Sandkastenzeit wieder aufgreifen, wo vielleicht der

Sandkuchen wegen des Effekts der Bruckenbildung nicht aus seiner Form zu

losen war.

Einige Ideen zu Arbeitsblattern fur Schulerversuche sind auf den Seiten 99–

101 zu finden.

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40 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

4.1 Experimentiermodul Granulare Packun-

gen

Der fachliche Leitgedanke aller Experimente in diesem E-Modul ist heraus-

zufinden, wie Informationen uber den inneren Aufbau von granularen Ag-

gregaten, sprich Granulathaufen, erhalten werden konnen. Es ist ein Ding

der Unmoglichkeit in einen Haufen aus naturlichem trockenen Sand hinein-

zuschauen, ohne seinen Aufbau zu storen beziehungsweise zu verandern. Es

ist folglich nach Systemen zu fahnden, bei denen dies gelingt. Damit liegt ein

Schwerpunkt des Unterrichts beim Prozess der Strategievermittlung natur-

wissenschaftlichen Erkundens und Arbeitens:

Wenn ich nicht weiß, wie ich ein Problem losen soll, versuche ich verwand-

te Probleme zu finden. Von diesen suche ich mir diejenigen aus, die ich

bewaltigen kann.

Dieser erste Schritt eines Modellbildungsprozesses ist typisch fur naturwis-

senachftliches Arbeiten; er beinhaltet eine Analyse des interessierenden Ob-

jekts: Welche Eigenschaften eines Systems – in unserem Fall z.B. Sandhaufen

im Sandkasten – stehen weiteren Erkenntnissen entgegen? Wohl die meisten

Schulerinnen und Schuler werden darauf einige Antworten zu geben wissen,

die aus physikalischer Sicht wie folgt klassfizert werden konnen.

1. Fehlende Durchsicht zwischen den einzelnen Sandkornern, infolge einer

ungeordneten Packung sowie der

2. Dimension (Kleinheit) der einzelnen Sandkorner,

3. geringer Zusammenhalt des Haufens (aufgrund extrem geringer Kohasion

von trockenem Sand)

Der Modellbildungsprozess wird genau hier ansetzen und Modellsysteme wah-

len, die wenigstens eines der genannten Hindernisse nicht besitzen. Im Ex-

perimentiermodul vorgestellte Maßnahmen sind

• zweidimensionale Modellreduktion (Aggregate aus Munzen oder Schei-

ben),

• geordnete Packungen (aus identischen Kornern),

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4.1. E-MODUL GRANULARE PACKUNGEN 41

• Vergroßern der einzelnen Korner auf das Funfzig- bis Hundertfache,

• Erhohung der Kohasion (durch Druck oder Einbettung).

Abbildung 4.3 gibt einen Uberblick uber die fachlichen Inhalte, die im Expe-

rimentiermodul Granulare Packungen erarbeitet werden konnen. Insbeson-

dere der Lerninhalt Packungsdichte ist zur Erklarung der Experimente des

E-Moduls Kompaktifizierung und Dilatanz (4.2) notwendig.

Fachlicher Leitgedankedes E-Moduls Granulare Packungen:

Informationen uber den inneren Aufbauvon Granulathaufen gewinnen

Hauptprozesse:Vereinfachte Modellsysteme

finden und untersuchenVariation

der Packungs-dichte

(4.1.1, 4.1.2)

StrukturdichtesterPackungen

(4.1.2, 4.1.3)

Anzahlnachster

Nachbarn(4.1.4, 4.1.3)

Lagevon Kontakt-

punkten(4.1.5, 4.1.4)

Abbildung 4.3: Ubersicht uber wesentliche fachliche Inhalte im E-Modul Gra-nulare Packungen (Abschnitt 4.1). In Klammern sind die Abschnitte ange-geben, wo die entsprechenden Experimentieranleitungen zu finden sind.

Ein moglicher Einstieg in die Versuchsreihe ist bereits im Theorieteil (Ab-

schnitt 2.1.1, S. 8f) angesprochen worden, die Frage, ob Volumenangaben

beim Abmessen von Rezepturen prinzipiell zu reproduzierbaren Mischungen

fuhren konnen. Einen alternativen Einstiegskontext bietet die Tatsache, dass

nach einer Aufgrabung wegen Rohrbruchs oder anderen Arbeiten sehr oft

die Straßenoberflache nach einiger Zeit an der Stelle des zugschutteten Gra-

bens eine eingesunkene Delle aufweist. Der Volksmund spricht davon, dass

sich das Erdreich gesetzt hat oder abgesackt ist. Mit beiden Kontexten kann

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42 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

die Frage nach der inneren Struktur eines Granulats initiiert werden, was

den fachlichen Leitgedanken aus Abb. 4.3 in den Raum stellt. Abb. 4.4 zeigt

die experimentellen Basistatigkeiten im E-Modul Granulare Packungen, die

uber die oben angesprochenen Modellbildungsprozesse aus dem Leitgedanken

entwickelt werden.

Leitkontexte des E-Moduls Granulare Packungen:Bodenverdichtung durch eine Ruttelmaschine

Volumenangaben bei Rezepturen(Stauchen eines frisch mit Zucker oder Salz gefullten Glases)

Angestrebte Schulertatigeiten:Erleben, Formulieren von Fragen, Untersuchen, Knobeln, Entdecken;

Systematisch Experimentieren, Konstruieren;

Entwickeln von Hypothesen,Testen von Vorhersagen,

Modellieren;Munzen zu2-dim.

Aggregatenanordnen

(4.1.1, 4.1.2)

Murmelnsukzessive

stapeln(4.1.3)

Kirschgeleedurch-

schneiden(4.1.4)

GetrockneteErbsen in

starrem Gefaßaufquellen

(4.1.5)

Abbildung 4.4: Ubersicht uber Leitkontexte und experimentelle Basisaktivi-taten im E-Modul Granulare Packungen (Abschnitt 4.1). In Klammern sinddie Abschnitte angegeben, wo die entsprechenden Experimentieranleitungenzu finden sind.

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4.1. E-MODUL GRANULARE PACKUNGEN 43

4.1.1 Modellversuch – Packungsdichte bei zweidimen-

sionalen Packungen von ScheibenAnleitungLehrkraftversion:Uberdeckungenmit Scheiben

LebensweltlicheKontexte

1. Quizfrage: Wieviele Centstucke passen maximal ne-

beneinander auf dieses Kassentablett?

2. Quizfrage: Wieviele Stempelabdrucke (eines kreis-

formigen Bilderstempels) passen maximal auf diese

Postkarte?

3. Ausschnitt aus einer rasterelektronenmikroskopischen

Aufnahme eines Facettenauges einer Mucke regt die

Frage nach dem Vorteil der Anordnung der Ein-

zelaugen (Omatidien) an.

Versuchsziel Zeigen, dass die Anzahl von gleich großen Scheiben, die

benotigt wird, um eine F�lache angenahert mit nur einer

Schicht Scheiben zu uberdecken, von der Art der Anord-

nung der Scheiben abhangt.

Versuchsidee Munzen in einen Dosen- oder Schachteldeckel legen

Gerateliste1 ebener Dosen- bzw. Schachtelde-ckel oder 1 kleines Tablett

Munzen, z.B. Centstucke, Pfennigeoder Spielpfennige

Arbeitsauftrag

Aufbau Munzen einer Sorte werden in verschiedenen Variationen

(Packungsstrukturen) – ungeordnet und geordnet – in

einen Dosendeckel nebeneinander gelegt, so dass er gefullt

erscheint. Der Fall, dass Munzen keinen Kontakt zum

Nachbarn haben, sollte vermieden werden.

Versuchs-durchfuhrung

Es werden einige ungeordnete Strukturen sowie die drei

platzsparenden Anordnungen aus Abb. 2.1 ausgelegt. Die

Anzahl der Munzen im Deckel wird pro Packungsstruktur

gezahlt.

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44 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

Versuchs-auswertung

1. Die (Innen-)Flache des Deckels sowie die (Seiten-)Fla-

che einer Munze werden bestimmt.

2. Pro Packungsstruktur wird die von den Munzen ab-

gedeckte Flache ermittelt und das Verhaltnis dieser

Flache zur Flache des Deckels berechnet. Dieses Er-

gebnis wird fachwissenschaftlich als Packungsdichte

der jeweiligen Struktur bezeichnet. Der Begriff Pa-

ckungsdichte muss nicht eingefuhrt werden.

3. Die Packungsdichte wird in Relation zur Anordnung

der Munzen gebracht. Hier bietet sich ein Digitalfoto

der jeweiligen Struktur an.

Versuchsergebnis 1. Die Packungsdichte der regelmaßigen Struktur mit je

drei Nachbarn, d.h. der Koordinationszahl drei, ist in

etwa 0,6.

2. Die Packungsdichte der regelmaßigen Struktur mit je

vier Nachbarn, d.h. der Koordinationszahl vier, ist in

etwa 0,8.

3. Die Packungsdichte der regelmaßigen Struktur mit je

sechs Nachbarn, d.h. der Koordinationszahl sechs, ist

in etwa 0,9.

4. Die Packungsdichte einer ungeordneten Struktur ist

immer kleiner als 0,9.

Fachinformation Siehe Abschnitt 2.1.2, insbesondere S. 11 sowie Abschnitt

2.1.3.1, dort S. 11.

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4.1. E-MODUL GRANULARE PACKUNGEN 45

4.1.2 Modellversuch – zweidimensionale idealisierte Pa-

ckung von Scheiben und DilatanzAnleitungLehrkraftversion:Scherung vonScheiben

LebensweltlicheKontexte

Frage 1: Steckt in gleich großen Spardosen, die alle mit

Centstucken total gefullt sind, jeweils gleich viel Geld?

Frage 2: Bleibt Zucker ubrig, wenn man ein bis zum Rand

gefulltes und gut gestauchtes Glas Haushaltszucker in ein

gleich großes Glas umfullt?

Versuchsziel 1. Zeigen, dass ein zweidimensionaler granularer Mo-

dellkorper aus einer festen Anzahl von gleichgroßen

Scheiben unterschiedlich dicht gepackt werden kann.

2. Zeigen, dass eine Verformung der dichtesten Packung

durch Scheren, eine Volumenvergroßerung zur Folge

hat.n

Versuchsidee Ein Aggregat von Munzen verformen

Versuchsaufbau

Foto derStartkonfiguration

Gerateliste 2 Lineale oder Leisten Klebstoff, Tesafilm oder doppelsei-tiges Klebeband

Munzen, z.B. Centstucke, Pfennigeoder Spielpfennige

ebene Unterlage

Schreibkarton (Blockruckseite)oder Folie

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46 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

Arbeitsauftrag

Aufbau Eine Reihe Munzen wird auf einem Karton2 entlang ei-

nes Lineals aufgereiht und gegen Verrutschen fixiert (z.B.

festgeklebt). Die restlichen Munzen werden auf dem Kar-

ton uber dieser Basislinie so liegend angeordnet, dass eine

Munze jeweils sechs Nachbarn hat (dichteste Packung).

Als Form des gesamten Aggregats ist ein Parallelogramm

gunstig. Der Umriss der durch die Munzen bedeckten

Flache wird auf dem Schreibkarton eingezeichnet. An-

schließend wird der Schreibkarton angekippt bzw. auf ei-

ne schiefe Ebene gelegt, so dass die Reihe festgeklebter

Munzen am weitesten hangabwarts zu liegen kommt.

Versuchs-durchfuhrung

Die Anordnung wird geschert, indem das zweite Lineal an

eine an die Basislinie angrenzende Kante angelegt wird.

Die Scherung erfolgt schrittweise, dabei wird jeweils der

Umriss des Aggregats markiert. Idealerweise kann die Pa-

ckungsstruktur bei jedem Scherschritt mit einer Digital-

kamera festgehalten werden.

Versuchs-auswertung

1. Die jeweils, d.h. pro Scherschritt, von den Munzen

bedeckte Flache wird ermittelt. Falls sorgfaltig ge-

schert worden ist, sind nur Parallelogrammflachen zu

bestimmen.

2. Der jeweilige Flacheninhalt wird in Relation zu der

Anordnung der Munzen gebracht.

3. Die maximal mogliche mit den Munzen zu bedecken-

de Flache wird in Bezug zu der Anordnung der Mun-

zen gebracht.

Versuchsergebnis 1. Gleiten und Rollen an Kontaktpunkten,

2. Anderung der Große einzelner Hohlraume,

3. Anderung des gesamten Hohlraumvolumens von Scher-

schritt zu Scherschritt,

4. Anderung des vom Granulat eingenommenen Gesamt-

volumens (Bruttovolumens).

2am besten horizontal liegend

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4.1. E-MODUL GRANULARE PACKUNGEN 47

4.1.3 Modellversuch – dichteste Packungsstrukturen

von kristallinen MetallenAnleitungLehrkraftversion:Kugeln stapelnLebensweltliche

Kontexte1. Eine Rastertunnelmikroskop-Aufnahme einer Metall-

oberflache regt die Frage nach der Umgebung ei-

nes Metallatoms im Metallinnern an. Wie kann ein

Realmodell eines Metallgitters aus Kugeln aufge-

baut werden?

2. Ein Sußwarenladen spendiert zum funfundzwanzig-

jahrigen Bestehen jedem Kunden ein Schalchen eben

voll mit Schokohaselnussen. Wie bekommt man die

meisten Nusse in die Schale?

Versuchsziel Die Nachbarschaftsverhaltnisse (Packungsstruktur, An-

zahl von Kontaktpunkten) dreidimensional dicht gepack-

ter Kugeln herausfinden.

Versuchsidee Uber einer Schicht dichtgepackter Kugeln mindestens zwei

weitere Schichten aufbauen.

Versuchsaufbau

Foto der erstenSchicht

Geratelistemindestens 100 Stahlkugeln, Mur-meln oder Perlen vorzugsweise indrei Farben

weiche oder leicht klebrige Unterla-ge, Modelliermasse oder Sandbett

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48 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

Arbeitsauftrag

Aufbau Eine Schicht Kugeln moglichst dicht anordnen, so dass

jede an ihrem Ort fixiert ist.

Versuchs-durchfuhrung

Eine zweite und danach dritte Lage von Kugeln auf die

erste Schicht stapeln.

Versuchs-auswertung

1. Die Lage der Hohlraume jeder Schicht werden in Be-

ziehung zu den Hohlraumen in den anderen Schichten

gesetzt.

2. Die beiden grundsatzlich verschiedenen Stapelmog-

lichkeiten fur die dritte Lage werden beschrieben.

3. Optional: Ein Stapel in hcp-Packungsstruktur wird

mit einem in ccp-Packungsstruktur verglichen (vgl.

S. 10).

4. Die Anzahl der nachsten Nachbarn einer Kugel (op-

tional: pro Struktur) wird ermittelt.

5. Optional: Die Durchsicht durch das Aggregat wird

gepruft, was zur Ermittlung der Stapelrichtung(en)

fuhrt (s. S. 10).

Fachinformation Siehe Abschnitt 2.1.2.

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4.1. E-MODUL GRANULARE PACKUNGEN 49

4.1.4 Modellversuch – Struktur einfachster dreidimen-

sionaler Packungen aus Kirschen (Schnitte undAbdrucke von Hohlraumen)

AnleitungLehrkraftversion:Kirschgeleeaufschneiden

LebensweltlicheKontexte

1. Kirschgelee: Ein Realmodell zum Aufessen.

2. Superkirschtorte: Arbeitsanleitung erstellen, wie man

moglichst viele Kirschen zu einem Belag vorgegebe-

ner Dicke verarbeitet.

Versuchsziel Kontaktpunkte zwischen Partikeln einer dreidimensiona-

len Packung herausfinden

Versuchsidee Die Hohlraume eines Modellgranulats ausgießen sowie einen

Schnitt durch ein Modellgranulat ausfuhren.

Versuchsaufbau

Geratelistefeste Kirschen roh oder gekocht Wasser

Tortenguss oder Gelatine (eventu-ell Zucker, falls das Produkt aufge-gessen werden soll)

Topf

Form mit ebenem Boden oder Tor-tenring oder kleine Springform

Kochloffel oder Schneebesen

ebene Unterlage Essloffel

Elektroplatte oder Gasflamme breites scharfes Messer

Arbeitsauftrag

Aufbau Kirschen werden moglichst dicht in mindestens sechs La-

gen in die Form geschichtet, ohne sie zu zerquetschen.

Versuchs-durchfuhrung

Das Aggregat von Kirschen wird mit einem steifen Tor-

tenguss oder Gelatine ubergossen. Nach dem Erkalten

(Kuhlung ist zu empfehlen) wird das Kirschgelee zer-

legt: Erstens werden Kirschen vorsichtig lagenweise ent-

fernt und die Gelatine- bzw. Geleematrix studiert. Zwei-

tens wird das Aggegat (mit einem angefeuchteten Messer)

in Scheiben geschnitten. Nach dem ersten Schnitt wird

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50 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

uberlegt, wo die nachsten Schnitte gunstigerweise zu set-

zen sind, um Aussagen uber Kontaktpunkte, Koordinati-

onszahl (Zahl der nachsten Nachbarn) und Packungsart

gewinnen zu konnen.

Versuchs-auswertung

1. Die Nachbarschaftsverhaltnisse der Modellgranulat-

teilchen (Kirschen) werden abgezeichnet, eventuell

auch fotografiert.

2. Es wird die Anzahl der Lucken und die Zahl von

Kirschen pro Schicht bzw. Flacheneinheit bestimmt.

3. Es wird die Anzahl der nachsten Nachbarn ermittelt.

4. Die Ergebnisse verschiedener Messungen werden ver-

glichen.

Fachinformation Siehe Abschnitt 2.1.2.

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4.1. E-MODUL GRANULARE PACKUNGEN 51

4.1.5 Modellversuch – Koordinationszahl bei einer dich-

ten Packung von ErbsenAnleitungLehrkraftversion:Erbsen aufquellenLebensweltliche

Kontexte1. Historisches: Heraussprengen von Felsblocken durch

Einpressen von trockenen Hulsenfruchten in Risse

und Bohrlocher und anschließendes Quellenlassen

2. Sprengung eines Reagenzglases - vgl. Sicherheitshin-

weise zu diesem Versuch

Versuchsziel Alle Kontaktpunkte zwischen Partikeln einer dreidimen-

sionalen Packung herausfinden

Versuchsidee Ein Modellgranulat zerlegen Diffiziler Versuch

Versuchsaufbau

Gerateliste getrocknete ganze Erbsen Wasser1 Topf oder 1 Dose aus Metall odersehr stabilem Kunststoff alternativ1 Rohr mit Eimer

1 großer Stein

1 Holzloffel Uhr

Arbeitsauftrag

Aufbau Getrocknete ganze Erbsen werden moglichst dicht ge-

packt in ein Gefaß gefullt. Bei Bedarf wird durch Rutteln

verdichtet.

Versuchs-durchfuhrung

Die Erbsen werden mit sauberem Wasser ubergossen und

mit einer Platte und eventuell zusatzlich mit einem Stein

beschwert. Nachdem die Erbsen aufgequollen sind, wer-

den einzelne vorsichtig entnommen und die Anzahl der

Druckstellen durch Nachbarerbsen gezahlt.

Versuchs-auswertung

Es wird eine Statistik der Anzahl der Kontaktpunkte pro

Erbse aufgestellt, was die mittlere Anzahl von nachsten

Nachbarn (Koordinationszahl) sowie die Streuung der Ko-

ordinationszahl liefert.

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52 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

Fachinformation Siehe Abschnitt 2.1.2. Der Versuch geht ursprunglich auf

Reynolds zuruck.

Versuchs-alternative

Alternativ kann ein Rohr verwendet werden, dass vertikal

in einen Wassereimer gestellt und randvoll mit Erbsen

gefullt wird. Eine Beschwerung mit einer Betonplatte ist

notwendig.

Sicherheits-hinweis

Quellende Hulsenfruchte konnen eine beachtliche Spreng-

kraft entwickeln, insbesondere wenn die Zwischenraume

mit unelastischem Material gefullt werden. Glasbehalter

wie Reagenzglaser konnen bersten. Der ubliche Modell-

versuch zur Sprengwirkung verwendet mit Quarzsand ver-

fullte Sojabohnen und dunnwandige Reagenzglaser (ca.

15 - 20 Min. Wartezeit bis zur Rissbildung im Glas).

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4.2. E-MODUL VERDICHTUNG UND DILATANZ 53

4.2 Experimentiermodul Verdichtung und Di-

latanz

Der fachliche Leitgedanke aller Experimente in diesem E-Modul ist heraus-

zufinden, inwiefern die Verformung eines granularen Aggregats dessen innere

Struktur andert. Dabei soll die Information vorwiegend aus makroskopischen

Großen (siehe unten) erschlossen werden, da bei realen dreidimensionalen

Aggregaten ein Einblick ins Innere mit Schulmitteln nicht moglich ist. Ein-

fach ist dies bei einem zweidimensionalen Modellsystem, wie im E-Modul

Granulare Packungen der Modellversuch 4.1.2 zur Dilatanz eines quasi-

zweidimensionalen trockenen Granulats gezeigt hat.

Fachlicher Leitgedankedes E-Moduls Verdichtung und Dilatanz:

Informationen uber die Wirkung einer Verformungauf den inneren Aufbau eines granularen Aggregats gewinnen

Makroskopisch bestimmbare Parameterder granularen Beispielsysteme:

NettovolumenBruttovolumen

HohlraumvolumenPackungsdichte

Variation desVerdichtungsgrads,Existenz kritischer

Verdichtung(4.2.1,4.2.2, 4.2.3)

Bruttovolumen-zunahme durch

Scherkraft ab kriti-scher Verdichtung

(4.2.2, 4.2.3)

Hohlraumvolumen-zunahme durch

Scherkraft ab kriti-scher Verdichtung(4.2.4A, 4.2.4B)

Verdichtungs-verfahren,

Existenz kritischerVerdichtung

(4.2.1, 4.2.2, 4.2.3)

Abbildung 4.5: Ubersicht uber wesentliche fachliche Inhalte im E-Modul Ver-dichtung und Dilatanz (Abschnitt 4.2). In Klammern sind die Abschnitteangegeben, wo die entsprechenden Experimentieranleitungen zu finden sind.

Abb. 4.5 zeigt die fachlichen Inhalte des E-Moduls Verdichtung und Dilatanz.

Leicht zugangliche makroskopischer Parameter eines granularen Systems sind

dessen Nettovolumen und das eingenommene Bruttovolumen, das sich aus

Nettovolumen plus Volumen aller Hohlraume zusammensetzt. Alle in diesem

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54 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

E-Modul enthaltenen Versuche sind durch eine Zunahme des Hohlraumvo-

lumens durch Scherung des Granulats erklarbar. Sie verdeutlichen sehr gut

technische beziehungsweise praktische Anwendungen dieses Effekt bei realem

Sand.

Leitkontexte des E-Moduls Verdichtung und Dilatanz:Bodenverdichten

(u.a. Aufstellen eines Zaunpfostens in blankem Erdreich)Fußspuren am Sandstrand

Angestrebte Schulertatigeiten:Erleben, Formulieren von Fragen, Untersuchen, Knobeln, Entdecken;

Systematisch Experimentieren, Konstruieren;

Entwickeln von Hypothesen,Testen von Vorhersagen,

Modellieren;Verdichten

durch Steigerndes Gefaßdrucks(Luftballonhaut)

(4.2.1B)

Verdichtendurch Rutteln(4.2.2, 4.2.3)

Scherkrafteausuben

(4.2.1A/B, 4.2.2,

4.2.3, 4.2.4A/B)

Wasserstandverandern

(4.2.4A, 4.2.4B)

Abbildung 4.6: Ubersicht uber Leitkontexte und experimentelle Basisaktivi-taten im E-Modul Verdichtung und Dilatanz (Abschnitt 4.2). In Klammernsind die Abschnitte angegeben, wo die entsprechenden Experimentieranlei-tungen zu finden sind.

Bevorzugt man sofort mit dem fachlichen Leitgedanken, Verformung eines

Aggregats, in das E-Modul einzusteigen, so bietet sich Versuch 4.2.1B als

beeindruckender Einstiegsversuch an. Alternativ kann mit einem der vorge-

schlagenen Leitkontexte begonnen werden:

• Das Problem des stabilen Aufstellen eines Zaunpfahls wird mit Ver-

such 4.2.2 modelliert. Insbesondere wird der Einfluss von Querkraften

(Umwerfen eines Zauns) vermessen.

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4.2. E-MODUL VERDICHTUNG UND DILATANZ 55

• Eine Fußspur im feuchten Strand wird etwa anhand eines Fotos pro-

blematisiert und eventuell im Klassenzimmer nachgestellt. Anschließen

konnen die Modellversuche 4.2.4A und 4.2.4B.

Abb. 4.6 zeigt die moglichen experimentellen Basisaktivitaten im E-Modul

Verdichtung und Dilatanz, die notwendig sind, um eine Verstandnis der Prin-

zips der Dilatanz (vgl. Abschnitt 2.1.3.2, S. 13) zu entwickeln.

Einen Vorschlag fur eine Einbettung der Experimente aus den E-Modulen

Granulare Packungen sowie Verdichtung und Dilatanz in einen Lernpfad fin-

det sich in Kapitel 6 auf S. 103.

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56 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

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4.2. E-MODUL VERDICHTUNG UND DILATANZ 57

4.2.1 Verhalten eines kompaktifizierten GranulatsAnleitungLehrkraftversion:Luftballon alsTT-Schlager

LebensweltlicheKontexte

1. Wette: Ein sandgefullter Luftballon als Tischtennis-

schlager (vgl. Versuchsvariante B).

2. Es gelingt relativ leicht, ein in Folie gepacktes, gut

gekuhltes Stuck Butter zu verformen; ein wirklich

dicht verschlossenes Paket vakuumverpackten Kaf-

feepulvers bleibt formstabil.

3. Packungen von vakuumverpackten Hulsen- oder Kor-

nerfruchten sind in fest verschlossenem Zustand nicht

verformbar.

4. Die Herstellung von Gussteilen ist mit einem Ver-

fahren moglich, wo loser Sand ohne Bindemittel als

Gussform eingesetzt wird (vgl. Kapitel 3, insbeson-

dere Abschnitt 3.1). Die hohe Stabilitat einer sol-

chen Form mag unerwartet sein.

Versuchsziel Zeigen, dass ein kompaktifiziertes, d.h. stark verdichtetes

Granulat, formstabil ist.

Versuchsidee Ein stark verdichtetes Granulat verformen.

Versuchsaufbau

Foto der Start-konfiguration

B

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58 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

Gerateliste A Versuchsvariante A1 Paket gemahlenen Rostkaffee

Gerateliste B Versuchsvariante Bfeiner Sand gesiebt (ohne spitzeSteine oder Splitter), z.B. Seesand

1 stabiler, großer Luftballon (Par-tyballon)

Arbeitsauftrag

Variante A –Versuchsdurch-

fuhrung

Ein gut verschlossenes, vakuumverpacktes Paket gemah-

lenen Rostkaffees wird zuerst mit den Handen und dann

durch schwungvolles Werfen auf einen glatten Boden zu

verformen gesucht.

Variante A –Versuchs-

auswertung

Das Paket ist nicht verformbar, ohne es zu zerstoren.

Variante B –Aufbau

Ein Luftballon wird so weit mit Sand gefullt und ver-

knotet, dass die Gummihaut der Fullung nicht nur dicht

anliegt, sondern unter Spannung steht.

Variante B –Versuchsdurch-

fuhrung

Der Luftballon wird kraftvoll auf einen glatten Boden

oder an eine glatte Wand geworfen, so dass er abgeplattet

wird.

Variante B –Versuchs-

auswertung

Ergebnis VarianteB

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4.2. E-MODUL VERDICHTUNG UND DILATANZ 59

Das Verhalten des entstandenen diskus- bzw. fladenfor-

migen Objekts erinnert an eine starre holzerne Scheibe,

deren Stabilitat untersucht wird. Wenn der Versuch gut

gelungen ist, ist der platte sandgefullte Luftballon prinzi-

piell als Tischtennisschlager einsetzbar. Ein Problem da-

bei: Der Knoten ist in der Regel nicht lange luftdicht,

so dass bei Gebrauch als Schlager die Festigkeit schnell

abnimmt.

Alle Varianten –Fachinformation

Siehe Abschnitt 2.1.3, dort insbesondere 2.1.3.2, S. 13.

Die Spannung der Luftballonhaut, d.h. die herrschen-

de Ruckstellkraft dieser Membran, bzw. die Festigkeit

der Pakethulle ist der die Stabilitat begrenzende Fak-

tor. Solange die Haut beziehungsweise die Hulle eine Vo-

lumenvergroßerung durch Scherkrafte verhindern kann,

bleibt der platte sandgefullte Luftballon oder das Paket

Kaffeepulver formstabil. Seine Harte hangt neben dem

Druck in Ballon oder Packung auch vom erzielten Ver-

dichtungsgrad ab und damit insbesondere beim Ballon

vom Verhaltnis von Volumen zu Oberflache. Bei angena-

hert kugelformiger Startform gilt, je platter desto fester.

Variante B –Sicherheits-

hinweis

Bei alteren Luftballons, Ballons mit Produktionsmangeln,

einem zu spitzen Steinchen in der Fullung oder einer

scharfkantigen Unebenheit auf der Aufschlagflache des

geworfenen Ballons kann der Ballon platzen. Als Full-

material ist feiner See- oder Flusssand gut geeignet.

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60 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

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4.2. E-MODUL VERDICHTUNG UND DILATANZ 61

4.2.2 Volumenvergroßerung durch Scherkrafte – Vari-

ante AAnleitungLehrkraftversion:SchwebendeFlasche

LebensweltlicheKontexte

1. Eine Flasche wird an ihrem Inhalt (Sand) aufgehangt.

Das Vorfuhren der schwebenden Flasche (Versuchs-

variante A) spricht fur sich.

2. Aufstellen einer Zaunsaule oder eines Mastes in blan-

kem Erdreich verlangt sehr gute Verdichtung des

Bodens

3. Bei Einschlagen eines Pfahls in gut verdichteten Sand

oder Split - falls dies gelingt - wolbt sich der Boden

um den Pfahl auf.

Versuchsziel Zeigen, dass ein stark verdichtetes trockenes Granulat,

auf Scherkrafte mit einer Volumenvergroßerung reagiert.

Versuchsidee Die Kontaktkrafte zwischen Granulat und einem Testkor-

per durch Scherkrafte stark erhohen.

Versuchsaufbau

Foto derangehobenen

Flasche

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62 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

Gerateliste A Versuchsvariante A1 leere Glasflasche trockener feiner Sand (ohne Staub)1 Rundholz

Arbeitsauftrag

Variante A –Aufbau

Der Holzstab wird bis zum Boden in die mit Sand gefullte

Flasche gesteckt.

Variante A –Versuchs-

durchfuhrung

Der Sand in der Flasche wird erst durch sanftes Stauchen,

dann durch mehrmaliges Klopfen stark verdichtet. Man

beachte dabei, dass der Verdichtungsvorgang exponentiell

verlauft. Der Stab wird langsam angehoben, wobei ein

Drehmoment auf die Sandfullung der Flasche ausgeubt

wird.

Variante A –Ergebnis

Die gesamte Flasche kann – den Stab als Handgriff be-

nutzend – gehoben werden, ohne dass der Holzstab her-

ausrutscht.

Variante A –Versuchs-

auswertung

Der Effekt wird erklart.

Die Gewichtskraft der mit Sand gefullten Flasche muss

durch die Reibungskraft zwischen Stab und Sandfullung

kompensiert werden. Dazu ist eine Erhohung des Drucks

auf den Stab und damit der Normalkraft notwendig. Wirkt

eine Scherkraft auf ein inkompressibles stark verdichtetes

Granulat, so verursacht sie entweder eine Vergroßerung

des Hohlraumvolumens im Granulat oder, falls dies nicht

moglich ist, eine Zunahme des Drucks im Granulat. Die-

ser Druck muss von den Begrenzungswanden (Flasche

und Stab) aufgenommen werden. Die notwendige Scher-

kraft wird leicht erreicht, wenn beim Hebevorgang die

Langsachse des zylindrischen Stabs nicht parallel zur Rich-

tung der Gewichtskraft verlauft.

Fachinformation Siehe Abschnitt 2.1.3, dort insbesondere 2.1.3.2, S. 13.

Sicherheits-hinweis

Bei zu heftigem Stauchen konnen Sprunge in der Flasche

auftreten.

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4.2. E-MODUL VERDICHTUNG UND DILATANZ 63

4.2.3 Volumenvergroßerung durch Scherkrafte – Vari-

ante BAnleitungLehrkraftversion:SchwebendesGlaschen

LebensweltlicheKontexte

Ein im Erdreich fest steckender Pfahl kann nach sukzes-

siver Vergroßerung des Lochdurchmessers – etwa durch

Rutteln oder Drehen – leicht per Hand herausgezogen

werden. Dies ist fur nicht maximal kompaktifiziertes Erd-

reich oder durch eine entsprechende Aufwolbung der Erde

moglich. Ist die Verdichtung und damit der Druck nicht

reduzierbar, wie etwa in einem Betonfundament, wird in

der Regel der Pfahl samt Betonkegel mit Hilfe von Bau-

maschinen aus dem Boden gehoben.

Versuchsziel Zeigen, dass ein stark verdichtetes trockenes Granulat,

auf Scherkrafte mit einer Volumenvergroßerung reagiert.

Versuchsidee Die Kontaktkrafte zwischen Granulat und einem Testkor-

per durch Scherkrafte stark erhohen.

Versuchsaufbau

Foto eineshangenden

Rollrandglases

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64 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

Gerateliste B Versuchsvariante B1 Reagenzglas oder 1 Rollrandglas trockener feiner Sand (ohne Staub)1 starker Draht (z.B. Stahldrahtmit 3mm ©/ )

Arbeitsauftrag

Variante B –Aufbau

Ein rechtwinklig oder V-formig abgewinkelter Draht wird-

leicht schrag bis zum Boden in ein mit Sand gefulltes

Reagenzglas eingefuhrt.

Variante B –Versuchs-

durchfuhrung

Der Sand im Reagenzglas wird durch mehrmaliges sanf-

tes Klopfen stark verdichtet. Der Draht wird langsam

angehoben, wobei automatisch ein Drehmoment auf die

Sandfullung des Glases ausgeubt wird.

Variante B –Ergebnis

Das gefullte Glas kann mittels des Drahtes hochgehoben

oder an einem Bolzen aufgehangt werden, ohne dass der

Draht herausrutscht. Auch ein Schaukeln des Glases soll-

te moglich sein.

Variante B –Versuchs-

auswertung

Wie bei Variante A (siehe Versuch 4.2.2).

Fachinformation Siehe Abschnitt 2.1.3, dort insbesondere 2.1.3.2, S. 13.

Sicherheits-hinweis

Eine gepolsterte Unterlage unter das hangende Glas le-

gen.

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4.2. E-MODUL VERDICHTUNG UND DILATANZ 65

4.2.4 Zunahme des Hohlraumvolumens durch Scher-

krafteAnleitungLehrkraftversion:(A) Sandstrand(B) Steigrohr imSand

LebensweltlicheKontexte

1. Fußspuren am feuchtem Sandstrand erscheinen tro-

ckener als der umgebende Sand.

2. Nach Verdichten einer feuchten Mortelschicht mit

der Kelle erscheint die Oberflache glanzend naß.

Versuchsziel Zeigen, dass bei einem kompaktifizierten, d.h. stark ver-

dichteten Granulat, sich bei Verformung (durch Einwir-

kung von Kraften) das Gesamtvolumen seiner Hohlraume

erhoht.

Versuchsidee Mit Wasser gefullte Hohlraume nehmen bei Volumenver-

großerung zusatzliches Wasser auf.

Versuchsaufbau

Skizze

Gerateliste A Versuchsvariante A1 opake PE-Chemikalienflascheoder eine weiche Getrankeflasche

Sand

Wasser

Gerateliste B Versuchsvariante B1 PE-Chemikalienflasche mit pas-sendem Stopfen, alternativ 1 sta-biler, großer Luftballon

Wasser

1 Steigrohr oder ein Reagenzglas

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66 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

Arbeitsauftrag

Variante A –Aufbau

Eine (halb)durchsichtige weiche Flasche wird zur Halfte

mit Sand gefullt. Es wird Wasser in die Flasche gefullt,

bis der Wasserspiegel ganz knapp oberhalb der Sandober-

flache steht.

Variante A –Versuchs-

durchfuhrung

Zusammendrucken der Seitenwande der Flasche mit den

Fingen lasst den Wasserspiegel in der Flasche soweit sin-

ken, dass die Oberflache trocken liegt.

Variante A –Hinweis

Dieser Versuch ist ein typischer Schulerversuch. Als De-

moversuch eingesetzt ist eine Videokamera zur Sichtbar-

machung des Effekts notwendig.

Variante A –Blick in die

Flaschevor (oben) und

nach (unten) demPressen

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4.2. E-MODUL VERDICHTUNG UND DILATANZ 67

Variante B –Aufbau

Eine PE-Chemikaienflasche wird fast randvoll mit Sand

gefullt. Der Sand ist durch Stauchen der Flasche zu ver-

dichten. Danach wird Wasser eingegossen, bis es fast bis

zum Rand steht. In einen durchbohrten Gummistopfen

wird ein Steigrohr eingefuhrt. Anschließend wird die Fla-

sche mit dem Stopfen so dicht verschlossen, dass keine

Luftblase in der Flasche zuruckbleibt. In das Steigrohr

wird mit einer Spritzflasche soviel Wasser nachgefullt,

dass die Wassersaule im Steigrohr mindestens 10 cm hoch

ist.

Variante B -Versuchs-

durchfuhrung

Zusammendrucken der Seitenwande der Flasche mit den

Fingen lasst den Wasserspiegel im Steigrohr sichtbar ab-

sinken.

Variante B –Modifikation

Statt einer Flasche kann auch eine Gummiblase (starker

Luftballon) verwendet werden.

Alle Varianten –Versuchs-

auswertung

Das Sinken des Wasserspiegels bei Pressdruck wird als

Volumenzunahme der Hohlraume interpretiert.

Fachinformation Siehe Abschnitt 2.1.3, dort insbesondere 2.1.3.2, S. 13.

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68 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

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4.3. E-MODUL BODENDRUCK 69

4.3 Experimentiermodul Bodendruck in Gra-

nulaten

Die E-Module Bodendruck und Bruckenbildung beschaftigen sich beide mit

der Thematik Kraftverteilung in einem Granulat. Der E-Modul Bodendruck

beschrankt sich auf Experimente zur Bestimmung von Kraften auf den Bo-

den eines mit Granulat gefullten Behalters. Allein aus Messungen zum Bo-

dendruck kann bereits die Existenz von Kraftbrucken in einem Granulat

postuliert werden. Insofern legt der E-Modul Bodendruck Grundlagen fur

den folgenden E-Modul Bruckenbildung 4.4, in dem dann das Phanomen der

Gewolbebildung genauer untersucht wird.

Fachlicher Leitgedankedes E-Moduls Bodendruck in Granulaten:Informationen uber Druckverhaltnisse und innere Krafte

in granularen Aggregaten gewinnen

Hauptprozesse:Vereinfachte Modellsysteme finden

und losbar scheinendeFragestellungen untersuchen

Bodendruck-verteilung

(4.3.1)

Kraft aufBoden kleiner

als Gewichtskraft(4.3.2)

Fullstands-abhangigkeit

des Bodendrucks(4.3.3)

Indikator:Ausflussrate

eines Granulats(4.3.4)

Abbildung 4.7: Ubersicht uber wesentliche fachliche Inhalte im E-Modul Bo-dendruck in Granulaten (Abschnitt 4.3). In Klammern sind die Abschnitteangegeben, wo die entsprechenden Experimentieranleitungen zu finden sind.

Abzielend auf den fachlichen Leitgedanken, Informationen uber Druckver-

haltnisse und innere Krafte in granularen Aggregaten zu gewinnen, ist ein

moglicher Einstieg in die Versuchsreihe im Theorieteil (Abschnitt 2.2, S. 16f)

angesprochen worden, die – mit einfachen Mitteln experimentell nur pauschal

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70 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

beantwortbare – Frage, ob die Hohe eines Sandhaufens einen Einfluss auf die

Punktbelastung der Unterlage hat. Neben der Frage der Uberlebenschancen

Verschutteter fuhrt auch das Beobachten einer fließenden Sanduhr zu einer

Problematisierung des Leitgedankens. Im Rahmen der Intention dieses E-

Moduls, nur die notwendigen Grundlagen fur Abschnitt 4.4 zu legen, sind

mogliche quantitative Messungen der Bodendruckverteilung3 nicht notwen-

dig.

Abb. 4.7 gibt eine Ubersicht uber die fachlichen Inhalte, die im E-Modul

Bodendruck experimentell erschlossen werden. Dabei genugt es, diese nur

grob quantitativ – im Sinne von Großenverhaltnisangaben – zu erarbeiten.

Experiment 4.3.3 bietet sich zur genaueren Quantifizierung an.

Leitkontexte des E-Moduls Bodendruck in Granulaten:Uberlebenschancen von Verschutteten

Zeitmessung mit Sanduhr

Angestrebte Schulertatigeiten:Erleben, Formulieren von Fragen, Untersuchen, Knobeln, Entdecken;

Systematisches Experimentieren, Konstruieren;

Entwickeln von Hypothesen,Testen von Vorhersagen,

Modellieren;Granulatlangsam/schnell

zusammenpressen(4.3.1)

maximale Kraftauf Boden

messen(4.3.2)

momentane Kraftauf Boden

messen(4.3.3)

Ausfluss-geschwindigkeit

messen(4.3.4)

Abbildung 4.8: Ubersicht uber Leitkontexte und experimentelle Basisaktivi-taten im E-Modul Bodendruck in Granulaten (Abschnitt 4.3). In Klammernsind die Abschnitte angegeben, wo die entsprechenden Experimentieranlei-tungen zu finden sind.

3Prinzipiell Miniaturkraftsensoren zur Bestimmung der lokalen Bodenbelastung.

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4.3. E-MODUL BODENDRUCK 71

Abb. 4.8 zeigt die experimentellen Basistatigkeiten im E-Modul Bodendruck

in Granulaten.

Einen Vorschlag fur eine Einbettung der Experimente aus den E-Modulen

Granulare Packungen, Verdichtung und Dilatanz sowie Bodendruck und Bru-

ckenbildung in einen Lernpfad gibt Kapitel 6 auf S. 103.

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72 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

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4.3. E-MODUL BODENDRUCK 73

4.3.1 Modellversuch – Verteilung des Bodendrucks in

einem GranulatAnleitungLehrkraftversion:Bodendruckver-teilung

LebensweltlicheKontexte

1. Das Problem der Uberlebenschancen eines unter ei-

nem Sandhaufen verschutteten Kleintieres regt die

Frage nach den Stellen großten Druckes am Boden

eines Sandhaufens an.

2. Die Frage, wie hoch ein Sandhaufen auf einer Beton-

decke eines Neubaus oder ein Kieshaufen auf dem

Boden einer Fertiggarage geschuttet werden darf,

damit die maximal erlaubte Punktbelastung nicht

uberschritten wird, regt eine Diskussion uber die

Ubertragung der Gewichtskraft auf den Boden an.

Versuchsziel Die Druckverteilung am Boden einer Granulatschicht auf

ihre Unterlage herausfinden.

Versuchsidee Den Druck einzelner Granulatteilchen auf die Unterlage

mittels ihres Abdrucks auf Kohlepapier abschatzen. Variante B –Diffiziler Versuch

Versuchsaufbau

Foto Variante APresse mit Rohr

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74 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

Gerateliste A Versuchsvariante A1 Rohrabschnitt ca. 10cm lang, miteiner plan geschliffenen Seite (z.B.HTEM),

1 Blatt Kohlepapier oder anderesDurchschlagpapier

1 Presse mit Stempel SchreibpapierGlaskugeln (©/ 1–2mm) odergesiebter Quarzsand oder andereshartes Granulat, von moglichstgleichmaßiger Große (monodis-pers)

feste ebene Unterlage, z.B. Kunst-stoffplatte mit fester Kartonaufla-ge

Gerateliste B Versuchsvariante B1 Rohrabschnitt ca. 10 – 30cmlang, mit einer plan geschliffenenSeite (z.B. HTEM),

1 Blatt Kohlepapier oder anderesDurchschlagpapier

1 Stempel mit ebenem Boden, derin das Rohr passt, hilfsweise ei-ne dickere Holzscheibe mit einemStuck Kantholz als Schlagbolzen

Schreibpapier

Glaskugeln (©/ 1–2mm) oder ge-siebter Quarzsand oder andereshartes Granulat, von moglichstgleichmaßiger Große

feste ebene Unterlage, z.B. Kunst-stoffplatte mit fester Kartonaufla-ge

1 Holzhammer Stativmaterial bei Bedarf

Arbeitsauftrag

Vorversuch Das Rohr wird mit der planen Seite dicht auf eine durch-

sichtige Platte gesetzt und mit Granulat gefullt. Die Struk-

tur der Fullung wird von unten betrachtet.

Vorversuch –Ergebnis

Kugeln oder Korner liegen dicht gepackt in der untersten

Schicht. Bei Kugeln ist die Packung hexagonal.

Variante A –Aufbau

Mit einer Presse ist der Versuch sicher und einfach durch-

zufuhren. Auch eine kleinere Kasepresse aus Metall mit

zusatzlich eingelegter Bodenplatte eignet sich. Das Rohr

wird mit der planen Seite dicht aufliegend in die Presse

gesetzt, in die zuvor ein Sandwich aus Karton, Schreib-

papier und Kohlepapier gelegt worden ist.

Variante A –Versuchs-

durchfuhrung

Das Rohr wird vorsichtig mit dem Granulat gefullt, der

Stempel der Presse in das Rohr eingefuhrt und langsam

abgesenkt.

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4.3. E-MODUL BODENDRUCK 75

Variante B –Aufbau

In der Regel kann auf Stativmaterial verzichtet werden.

Das Rohr wird mit der planen Seite dicht auf die Un-

terlage gesetzt, auf die zuvor ein Sandwich aus Karton,

einem Blatt Schreibpapier und einem Blatt Kohlepapier

gelegt worden ist. Das Aufsetzen des Rohrs kann durch-

aus mit Druck geschehen. Es wird mit einer Hand oder

Stativmaterial fixiert.

Variante B –Versuchs-

durchfuhrung

Das Rohr wird vorsichtig mit dem Granulat gefullt, der

Stempel aufgesetzt und mit sanftem Druck des Stempels

vorverdichtet. Ein gezielter Schlag mit dem Hammer auf

den Stempel erzeugt einen Abdruck der untersten Lage

Granulat mittels des Kohlepapiers auf dem Schreibpa-

pier.

Alle Varianten –Versuchsergebnis

Bei genugend hohem Druck ergeben sich punktuelle Dun-

kelfarbungen unterschiedlicher Intensitat auf dem Schreib-

papier, d.h. die Druckverteilung ist nicht homogen.

Variante B –Sicherheits-

hinweis

Man weise die Schuerinnen und Schuler gegebenenfalls

darauf hin, keine Glasflasche als Stempel zu verwenden.

Fachinformation Siehe Abschnitt 2.2, dort insbesondere S. 17.

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76 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

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4.3. E-MODUL BODENDRUCK 77

4.3.2 Modellversuch – Kraft auf den Boden eines mit

Granulat gefullten BehaltersAnleitungLehrkraftversion:Kies aufschuttennLebensweltliche

Kontexte1. Ein Bericht uber ein geborstenes4 Silo, dessen Sei-

tenwand aufgerissen ist, regt die Frage an, welcher

Teil des Gesamtgewichts des Inhalts von den Si-

lowanden aufgenommen werden muss.

2. Die Aufgabe, Zeit mit einer Sanduhr zu messen,

zeigt, dass die Zeitskala linear ist. Ein Vergleich mit

einer Auslaufuhr (Wasseruhr) fuhrt zum Problem

des auf dem Ausfluss lastenden Gewichts und damit

zur Abhangigkeit des Bodendrucks eines Granulats

von der Fullhohe (siehe auch Versuch 4.3.4).

Versuchsziel Die Kraft messen, die ein in ein Gefaß gefulltes Granulat

auf den Gefaßboden ausubt.

Versuchsidee Eine Waagschale als Boden eines Gefaßes verwenden.

Versuchsaufbau

Foto des Aufbaus

4Stichwort fur Suchmaschine: silo burst, silo rupture oder bin collapse

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78 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

Gerateliste 1 elektronische Waage,Wagebereich 2 – 3,5 kg, z.B.Mettler

feiner Kies oder anderes grobesGranulat, z.B. Glaskugeln

1 Rohr ca. 30cm lang aus PVCoder Glas, mit einer plan geschlif-fenen Seite

1 großer Hubtisch

1 Silikonmatte zum Auskleiden desRohres, z.B. eine Backmatte

Stativmaterial

Arbeitsauftrag

Vorversuch In einem Vorversuch wird das Gesamtgewicht des zu ver-

wendenden Granulats (mindestens eine halbe Rohrful-

lung) bestimmt. Gleichzeitig sollte die Strecke gemessen

werden, um die sich die Waagschale bei dieser Belas-

tung absenkt. Ist diese Absenkung großer als der hal-

be Durchmesser der verwendeten Korner, ist die Wagge

schlecht geeignet. Eventuell hilft es, ein groberes Material

zu wahlen.

Aufbau Die elektronische Waage wird auf einen Hubtisch gestellt.

Das Rohr wird mit Hilfe von Stativmaterial so befes-

tigt, dass die plane Offnung die Waagschale gerade nicht

beruhrt. Dabei sollte eine Verformung des Rohres am un-

teren Ende vermieden werden. Die Silikonmatte muss in

das Rohr eingelegt werden, um die Haftreibung zwischen

Granulat und glatter Rohrwand zu erhohen.

Versuchs-durchfuhrung

Bei festgehaltener Waagschale wird die Gesamtmenge des

Granulats eingefullt. Anschließend wird die die Waag-

schale belastende Masse bestimmt und notiert. Der Hub-

tisch wir nun in kleinen Schritten bis zu einem halben

Durchmesser eines Granulatteilchens abgesenkt, wobei je-

desmal die Anzeige der Waage abgelesen wird.

Versuchs-auswertung

Aus dem Vergleich bzw. dem Diagramm der Messwerte

geht hervor, dass die Kraft auf die Waagschale bei Ab-

senkung des Hubtisches abnimmt.

Fachinformation Siehe Abschnitt 2.2, dort insbesondere S. 17.

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4.3. E-MODUL BODENDRUCK 79

4.3.3 Modellversuch – Momentaner Bodendruck in ei-

nem mit Granulat gefullten BehalterAnleitungLehrkraftversion:Flummies stapelnLebensweltliche

KontexteDie Fragestellung, warum Zeit mit einer Sanduhr gemes-

sen werden kann, fuhrt zum Problem des auf dem Aus-

fluss lastenden Gewichts und damit zur Abhangigkeit der

Bodenlast in einem mit Granulat gefullten Behalter von

der Fullhohe (siehe auch Versuche 4.3.3 und 4.3.4).

Versuchsziel Die Kraft messen, die ein in ein Gefaß gefulltes Granulat

in Abhangigkeit von der Fullhohe auf den Gefaßboden

ausubt.

Versuchsidee Eine Waagschale als Boden eines Gefaßes verwenden.

Versuchsaufbau

FotoGroßenverhaltnis

von Rohr undFlummies

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80 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

Gerateliste 1 elektronische Waage,Wagebereich 2 kg

Flummies mit weicher, sich kleb-rig anfuhlender Oberflache (durch-sichtiges Material erfullt z.Z. dieseKriterien) alternativ Silikonkugeln

1 Kunststoffrohrabschnitt ca.30cm lang (optimaler Innendurch-messer genau zwei Balldurchmes-ser, z.B. 7 cm HTEM und 35 mmFlummies (30 Stuck))

1 großer Hubtisch

Stativmaterial

Arbeitsauftrag

Vorversuch In einem Vorversuch wird das Gewicht einer Rohrfullung

aus Ballen bestimmt.

Aufbau Die elektronische Waage wir auf einen Hubtisch gestellt.

Das Rohr wird mit Hilfe von Stativmaterial so befes-

tigt, dass die plane Offnung die Waagschale gerade nicht

beruhrt.

Versuchs-durchfuhrung

Das Granulatwird stuckweise eingefullt und nach jedem

Ball das die Waagschale belastende Gewicht bestimmt

und notiert.

Versuchs-auswertung

Aus dem Diagramm der Messwerte wird die Fullhohe be-

stimmt, ab der sich die Kraft auf die Waagschale nicht

mehr andert. Man vergleiche insbesondere die Gewichts-

zunahme pro Ball fur eine ungerade und eine gerade Ge-

samtzahl von Ballen im Rohr.

Versuchs-erganzung

Nachdem das Rohr mit Ballen gefullt ist, wird der Hub-

tisch in kleinen Schritten bis zu einem ganzen (!) Durch-

messer eines Balles abgesenkt, wobei jedesmal die Kraft

auf die Waagschale abgelesen wird.

Fachinformation Ein Teil der Gewichtskraft wird aufgrund der Reibung

zwischen Granulat und Behalterwand auf die Behalterwan-

de ubertragen, was eine hier horizontale Kraftkompo-

nente (Kraftumleitung) voraussetzt. Siehe Abschnitt 2.2,

dort insbesondere S. 17.

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4.3. E-MODUL BODENDRUCK 81

4.3.4 Sanduhr versus WasseruhrAnleitungLehrkraftversion:SandauslaufuhrLebensweltliche

Kontexte1. Historische Auslaufuhren verwenden Wasser oder Sand

als Fullung. Wie misst eine Sanduhr die Zeit im Ver-

gleich zu einer Wasseruhr?

2. Wie sieht die Zeitskala einer Sanduhr aus (siehe auch

Versuche 4.3.2 und 4.3.3)?

Versuchsziel Untersuchen, inwieweit bei einer Sanduhr, die Ausflussra-

te unabhangig von der noch nicht durchgeflossenen Sand-

menge ist.

Versuchsidee Durchgeflossenen Sand wiegen

Versuchsaufbau

Gerateliste 1 Trichter ohne Ausflussrohroder ein Papierkegel mit Aus-flussoffnung, alternativ aucheine mittig zerbrochene großeSanduhr mit kunstlich erzeugterEinfulloffnung oben (z.B. eineSaunauhr).

feiner Sand oder Glaskugeln (100 –300 μm), falls keine fertige Sand-uhr verwendet wird.

1 elektronische Waage 1 AuffangbecherStativmaterial

Arbeitsauftrag

Vorversuch In einem Vorversuch wird das Gewicht einer Trichterful-

lung voll Sand bestimmt und die Waage entsprechend

gewahlt.

Aufbau Der Trichter bzw. der Kegel wird uber der elektronische

Waage fixiert (z.B. in einem Kolbenring). Der Sand wird

eingefullt, wobei die Ausflussoffnung mit einem Finger

verschlossen wird.

Versuchs-durchfuhrung

Gleichzeitig mit dem Freigeben der Ausflussoffnung wird

die Stoppuhr gestartet. In konstanten Zeitabstanden (in

der Regel Minuten abhangig vom Durchmesser der Aus-

flussoffnung) wird das Gewicht der ausgeflossenen Sand-

menge abgelesen und notiert.

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82 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

Versuchs-auswertung

Aus dem annahernd linearen Diagramm der Messwerte

kann auf die Konstanz der Ausflussrate geschlossen wer-

den. Bei genugend kleinen Messintervallen kann versucht

werden, zu zeigen, dass dies erst ab einer Mindestfullhohe

gilt.

Versuchs-erganzung

Eine Auslaufuhr (Wasseruhr) wird als Vergleich vermes-

sen. Dazu kann ein (Kunststoff-)Becher oder ein kleiner

Kunststoffeimer mit Bohrung im Boden sowie ein Mess-

becher verwendet werden.

Fachinformation Siehe Abschnitt 2.2, dort insbesondere S. 17. Die vor-

ausgehenden Versuche des E-Moduls Bodendruck (4.3.2,

insbesondere 4.3.3) erlauben eine Erklarung des Effekts.

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4.4. E-MODUL BRUCKENBILDUNG 83

4.4 Experimentiermodul Bruckenbildung in Gra-

nulaten

Fachlicher Leitgedankedes E-Moduls Bruckenbildung in Granulaten:

Informationen uber das Weiterleiten von Kraften bzw.die Umleitung einer belastenden Kraft in granularen Aggregaten gewinnen

Hauptprozesse:Vereinfachte Modellsysteme

finden und untersuchenGewolbe-bildung inGranulaten

(4.4.1, 4.4.2)

Existenz vonKraftketten(4.4.1, 4.4.2,4.4.4, 4.4.5)

Kraftumleitungauf

Seitenwande(4.4.1, 4.4.2, 4.3.3)

Form einesselbsttragenden

Bogens(4.4.3)

Abbildung 4.9: Ubersicht uber wesentliche fachliche Inhalte im E-Modul Bru-ckenbildung in Granulaten (Abschnitt 4.4). In Klammern sind die Abschnitteangegeben, wo die entsprechenden Experimentieranleitungen zu finden sind.

Der fachliche Leitgedanke der in diesem Modul zusammengefassten Experi-

mente ist, Informationen daruber zu gewinnen, wie Krafte im Innern eines

mit Granulat gefullten Behalters weitergeleitet werden. Diese Fragestellung

ergibt sich zwanglos aus den Experimenten zum Bodendruck, weshalb der

E-Modul Bruckenbildung in enger Verbindung mit dem E-Modul Boden-

druck in Granulaten (4.3) steht: Experimente aus beiden Modulen sollten

bearbeitet werden. Zusatzlich sind als Voraussetzungen fur diesen E-Modul

Grundkenntnisse uber Kontaktkrafte 5 bzw. zumindest das Bewusstsein der

Existenz von Kontaktnetzwerken in granularen Aggregaten notwendig. Zwei

Varianten eines zweidimensionalen Modellversuchs zum Kontaktnetzwerk in

5Einblicke in die Problematik von Kontakten zwischen einzelnen Kornern werden imE-Modul Packungen 4.1 vermittelt (siehe dort insbesondere Versuch 4.1.5).

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84 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

ungeordneten Packungen (Versuche 4.4.4 und 4.4.5) sind daher in diesen E-

Modul aufgenommen.

Die experimentellen Resultate des Abschnitts 4.3 ergeben eindeutig, dass

die durch die Schwerkraft erzeugte Last auf den Boden eines mit Granu-

lat gefullten Behalters ab einer Mindestfullhohe kleiner als die Gewichtskraft

ist.6 Folglich sind horizontale Kraftkomponenten im Innern zu postulieren, so

dass ein Teil der Gewichtskraft von den Behalterwanden aufgenommen wer-

den kann. Diese Tatsache kann durch die Existenz von Kraftketten im Innern

eines Granulats erklart werden, die nicht senkrecht zum Boden verlaufen. Die

experimentellen Aktivitaten im E-Modul Bruckenbildung verfolgen das Ziel,

die Form dieser Kraftketten einsichtig zu machen. Diese Forminformation

kann nur aus der Untersuchung geeignet praparierter miniaturisierter Syste-

me gewonnen werden.

Abb. 4.9 gibt einen Uberblick uber die fachlichen Inhalte, die mit Hilfe der

Experimente des E-Moduls Bruckenbildung relativ schnell erarbeitet werden

konnen. Gunstig ist es, mit der Betrachtung kunstlich erzeugter Materialab-

risse in feinen Granulaten zu beginnen, da die Existenz horizontaler Kraft-

komponenten zum Verklemmen von Granulat in einem Behalter fuhren kann.

Als Leitkontext bietet sich daher die Idee an, den Grenzfall relativ stark ver-

dichteter, und damit verklemmter Granulate zu studieren. Verstopfte Aus-

lassoffnungen von Silos in industriellen Fertigungsanlagen sind typische prak-

tische Beispiele.

Manche Erfahrungen aus der Sandkastenzeit oder aus der Kuche sind eben-

falls durch Kraftumleitungseffekte erklarbar: Der Sandkuchen, der nicht aus

seiner Form zu losen ist, oder der Napfkuchen bzw. ein Pudding, der in seiner

Form abreisst, da er zu stark an der Form haftet.7

Abb. 4.10 zeigt die experimentellen Basistatigkeiten im E-Modul Brucken-

bildung in Granulaten. Sie fuhren uber die Einsicht der Existenz von Kraft-

6An dieser Stelle ist das bereits diskutierte Problem der Miniaturisierung (vgl. S. 37) zubeachten. Kraftumleitung setzt nur ein, falls ein bestimmter Minimalwert (Schwellwert)der Reibungskraft zwischen Granulat und Behalterwand uberschritten wird. Dabei istzu beachten, dass die Große der Reibungskraft auch von der Spannung abhangt, die imGranulat herrscht. Folglich ist der Schwellwert der Mindestfullhohe von der Historie desSystems abhangig, d.h. u.a. vom Einfullvorgang selbst.

7Kuchen oder auch Pudding sind keine Granulate, sie zeigen, dass der Effekt derKraftumleitung auch bei bestimmten viskosen Medien, wie Emulsionen oder Dispersio-nen, auftritt. Viskosiatseffekte spielen bei ruhenden trockenen Granulaten keine Rolle,jedoch bei bewegten.

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4.4. E-MODUL BRUCKENBILDUNG 85

Leitkontexte des E-Moduls Bruckenbildung:

Verstopfung von SilosAbrissflache eines Sandkuchens

Angestrebte Schulertatigeiten:Erleben, Formulieren von Fragen, Untersuchen, Entdecken;

Zielgerichtet Experimentieren, Konstruieren;

Entwickeln von Hypothesen,Testen von Vorhersagen,

Klassifizieren;Abrisszone einesverdichtetenGranulats

klassifizieren(4.4.1, 4.4.2)

Abrisszoneauf Stabilitatuntersuchen(4.4.1, 4.4.2)

Bauteile furselbsttragendenBogen fertigen

(4.4.3)

SelbsttragendenBogen aus

vorgefertigtenTeilen bauen

(4.4.3)

Abbildung 4.10: Ubersicht uber Leitkontexte und experimentelle Basisaktivi-taten im E-Modul Bruckenbildung in Granulaten (Abschnitt 4.4). In Klam-mern sind die Abschnitte angegeben, wo die entsprechenden Experimentier-anleitungen zu finden sind.

brucken zu einem Verstandnis der Gewolbebildung in Abrisszonen.

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86 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

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4.4. E-MODUL BRUCKENBILDUNG 87

4.4.1 Gewolbebildung in feinem SandAnleitungLehrkraftversion:VerstopftesGlaschen

LebensweltlicheKontexte

1. Ein Bericht uber einen Steinbruch, der Steinmehl

zum Verkauf in Silos lagert, fuhrt auf das Problem

verstopfter Auslassoffnungen in Silos.

2. Ein Sandkuchenformchen wird entweder mit feinem

Pulver oder nicht ganz trockenem8 Sand gefullt. An-

schliessend wird so stark verdichtet, dass ein Teil des

Sandkuchens beim Umsturzen des Formchens an der

Form haften bleibt.

Versuchsziel Zeigen, dass ein Granulat in einem Behalter stabile Ge-

wolbe bilden kann.

Versuchsidee Sand in ein durchsichtiges Rohrchen fullen.

Versuchsaufbau

Foto einesReagenzglases

Gerateliste feiner Sand (100 μm) oder Pulver 1 dunnes Reagenzglas oder 1Testrohrchen

1 Auffangschale 1 Stricknadel alternativ 1 Draht, 1Holzspieß oder ein Glimmspan

8um den Schwellwert der Mindestfullhohe fur diesen Effekt abzusenken

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88 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

Arbeitsauftrag

Aufbau Das Reagenzglas bzw. das Rohrchen wird mit Sand gefullt.

Der Sand wird durch mehrmaliges Stauchen verdichtet.

Versuchs-durchfuhrung

Das Rohrchen wird uber der Schale umgedreht, so dass

der Sand herausfallen kann. Bei Bedarf leicht gegen das

Rohrchen klopfen.

Versuchs-auswertung

1. Die Abrissflache des Sandes wird betrachtet und ab-

gezeichnet.

2. Die Stabilitat des Gewolbes wird mit einer Nadel un-

tersucht.

Fachinformation Bei kleinen Kraften bleibt das Gewolbe stabil, bei große-

ren erfolgt ein erneuter Abriss, der wiederum gewolbear-

tig geformt ist.

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4.4. E-MODUL BRUCKENBILDUNG 89

4.4.2 Gewolbebildung in einem verstopften TrichterAnleitungLehrkraftversion:VerstopfterGlastrichter

LebensweltlicheKontexte

1. Ein relativ dunnes undurchsichtiges Kunststoffrohr

wird entweder mit feinem Pulver oder Sand gefullt.

Anschließend wird so stark verdichtet, dass nach An-

heben des Rohres ein Teil der Fullung im Rohr haf-

ten bleibt. Die Frage nach der Ursache der Verstop-

fung liegt auf der Hand.

2. Ein undurchsichtiger Trichter wird mit einem Pulver

verstopft. Das Vorfuhren des verstopften Trichters

regt die Frage nach der Ursache an.

Versuchsziel Zeigen, dass ein Granulat in einem Rohr stabile Gewolbe

bilden kann.

Versuchsidee Durchsichtigen Trichter verstopfen.

Versuchsaufbau

Foto einesTrichters

Gerateliste feiner Sand (100 μm) oder Pulver 1 Glastrichter1 Auffangschale 1 Stricknadel alternativ 1 Draht, 1

Holzspieß oder ein Glimmspan

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90 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

Arbeitsauftrag

Aufbau Der Trichter wird mit einem Finger am Auslauf verschlos-

sen und randvoll mit Sand gefullt. Bei Bedarf wird der

Sand mit einem Loffel verdichtet, so dass der Trichter

verstopft.

Versuchs-durchfuhrung

Der Trichterausfluss wird uber der Schale freigegeben, so

dass ein Teil des Sands aus dem Ausflussrohr herausfallen

kann. Eventuell leicht gegen den Trichter klopfen.

Versuchs-auswertung

1. Die Abrissflache des Sandes wird betrachtet und ab-

gezeichnet.

2. Die Stabilitat des Gewolbes wird mit einer Nadel un-

tersucht, indem von unten und oben im Trichter her-

umgestochert wird.

Versuchs-alternative

Feinstes Pulver, z.B. Mehl, oder leicht feuchter Sand kon-

nen als Notbehelf dienen, wenn kein trockener feiner Sand

zur Verfugung steht.

Fachinformation Bei kleinen Kraften bleibt das Gewolbe stabil, bei großeren

erfolgt ein erneuter Abriss, der wiederum gewolbeartig

geformt ist.

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4.4. E-MODUL BRUCKENBILDUNG 91

4.4.3 Selbsttragender BogenAnleitungLehrkraftversion:SelbsttragenderBogen

LebensweltlicheKontexte

1. Ein Foto einer zerstorten Kirche wird gezeigt.9 Die

Bedeutung der Bogenkonstruktionen als lasttragen-

de Elemente wird problematisiert.

2. Ein Foto eines selbsttragenden Bogens aus Bauklot-

zen wird gezeigt.

Versuchsziel Zeigen, dass aus geeignet geformten Bauklotzen ein selbst-

tragender Bogen gebaut werden kann.

Versuchsidee Bogen in Form einer umgedrehten Kettenlinie bauen. Bastellarbeit

Versuchsaufbau

Bauplanskizze

Gerateliste 1 Seil oder 1 Absperrkette von ca.2 m Lange

1 Kantholz gehobelt, ca. 3–4 cmstark, etwas langer als der fertigeBogen wegen des Verschnitts, al-ternativ auch dunner und kurzer

1 großer Bogen Zeichenpapier 1 feine Sage1 Filzstift 1 Schere1 feines Schleifpapier 1 großer starker Karton oder 1

Platte

Arbeitsauftrag

Aufbau Falls bereits fertige nummerierte Bauklotze zur Verfugung

stehen, werden diese auf einer horizontalen Platte ohne

irgendeinen Kleber zu einem Bogen zusammengefugt.

9z.B. Dom zu Xanten http://www.xanten-web.de/Domstadt/Geschichte2/Zerstoerung03.html

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92 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

Versuchs-durchfuhrung

Die Platte wird langsam vertikal aufgerichtet und dann

weggenommen, wobei die untersten Klotze so fixiert sein

sollten, dass sie nicht zur Seite wegrutschen. Der Bogen

bleibt unter seinem eigenen Gewicht stabil.

Versuchsmaterial– Herstellung

Eine Kooperation mit dem Werk- oder Kunstunterricht

wird empfohlen. In manchen Fallen bietet sich auch eine

praktische Hausarbeit zu einem Schulerreferat an.

1. Ein frei aufgehangtes Seil dient als Vorlage fur einen

Bogen in Form einer Kettenlinie.

2. Die Form des hangenden Seils wird auf Zeichenpapier

oder Karton ubertragen.

(Ein Bogen von 80 – 100 cm Hohe wird als Demons-

trationsversuch empfohlen.)

3. Die Starke des Musterbogens auf dem Zeichenpa-

pier wird an die Starke des zur Verfugung stehenden

Kantholzes angepasst.

4. Der gezeichnete Musterbogen wird achsensymmetrisch

in einzelne Segmente von ca. 10 cm Lange aufgeteilt.

5. Jedes Segment wird durch ein Prisma approximiert,

dessen Hohe der Kantholzdicke entspricht. Es wird

auf dem Plan als Trapez eingezeichnet. Es ist darauf

zu achten, dass benachbarte Trapeze nahtlos anein-

ander grenzen.

6. Die einzelnen Trapeze werden durchnummeriert und

als Schablonen fur prismenformige Bauklotze verwen-

det. Die zurechtgesagten Klotze werden am besten

mit einem Bandschleifer sukzessive passend in die

Endform geschliffen.

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4.4. E-MODUL BRUCKENBILDUNG 93

4.4.4 Modellversuch – Kontaktnetzwerk bei einer un-

geordneten zweidimensionalen Packung von Schei-ben – Variante A

AnleitungLehrkraftversion:Kontaktnetzwerk ALebensweltliche

Kontexte1. Quizfrage: Auf diesem Kassentablett liegen in etwa

gleich viele Eincent- und Zwanzigcentstucke unge-

ordnet nebeneinander? Wieviele der Munzen beruh-

ren sich?

2. Quizfrage: Diese Folie ist mit Abdrucken zweier un-

terschiedlich großer kreisformigen Bilderstempel be-

stempelt. Wieviele der Stempelabdrucke beruhren

sich?

Versuchsziel Zeigen, dass die Verbindungslinien zwischen den Mittel-

punkten zweier sich beruhrender Scheiben ein Netzwerk10

bilden.

Versuchsidee Zwei Sorten unterschiedlich großer Munzen moglichst dicht

nebeneinander in einen Schuhschachteldeckel legen

GeratelisteVersuchsvariante A

1 ebener Dosen- bzw. Schachtelde-ckel oder 1 kleines Tablett

2 Sorten Munzen, z.B. Eincent-und Zwanzigcentstucke

1 Overheadfolie 2 Folienstifte unterschiedlicherFarbe

Arbeitsauftrag

Aufbau Munzen zweier Sorten werden in verschiedenen Variatio-

nen (Packungsstrukturen) – vorzugsweise ungeordnet –

in einen Dosendeckel nebeneinander gelegt, so dass er

gefullt erscheint. Der Fall, dass Munzen keinen Kontakt

zum Nachbarn haben, sollte nicht vermieden werden.

10das sogenannte Kontaktnetzwerk

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94 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

Versuchs-durchfuhrung

Es werden einige ungeordnete Strukturen ausgelegt. An-

schließend wird eine Overheadfolie uber jede Struktur

gedeckt. Die Mittelpunkte aller Munzen werden farblich

markiert, die Kontaktpunkte andersfarbig.

Versuchs-auswertung

1. Die Mittelpunkte je zweier sich beruhrender Munzen

werden mit einem Lineal verbunden.

2. Pro Folie wird das sich ergebende Netzwerk betrach-

tet.

3. Es wird in Bezug auf die Versuche 4.4.1 und 4.4.2 dis-

kutiert, dass eine Ubertragung von Kraften nur uber

Kontaktpunkte moglich ist. Hier bietet sich zusatzlich

ein Digitalfoto der jeweiligen Struktur an.

Fachinformation Siehe Abschnitt 2.2.

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4.4. E-MODUL BRUCKENBILDUNG 95

4.4.5 Modellversuch – Kontaktnetzwerk bei einer un-

geordneten zweidimensionalen Packung von Schei-ben – Variante B

AnleitungLehrkraftversion:Kontaktnetzwerk BLebensweltliche

KontexteAls Anregung kann ein Modell eines zweidimensionalen

Sandlagers vorgefuhrt werden: Zwischen Glasplatte und

Ruckwand eines als quasi-zweidimensionale Kiste prapa-

rierten rahmenlosen Bilderhalters werden unterschiedlich

große Scheiben (Spielpfennige) ungeordnet hineingewor-

fen? Drucken die Scheiben gegen die Wande? Wieviele

der Scheiben beruhren sich?

Versuchsziel Zeigen, dass die Verbindungslinien zwischen den Mittel-

punkten zweier sich beruhrender Scheiben ein Netzwerk11

bilden.

Versuchsidee Zwei Sorten unterschiedlich großer Scheiben moglichst

dicht nebeneinander in eine quasi-zweidimensionale Zelle

fullen.

GeratelisteVersuchsvariante B

1 rahmenloser Bilderhalter (ca.20cm mal 30cm) oder 2 Glasschei-ben

2 Sorten kleine Munzen, alternativSpielpfennige oder selbst gestanztePappscheiben

Papp-, PVC- oder Sperrholzstrei-fen als Abstandshalter

Laubsagezwingen alternativ starkeBastelklammern oder Plattenhal-ter aus der Physiksammlung

Bastelfilz oder dunner Mossgummi bei Bedarf Gewebeband

1 Overheadfolie alternativ eine Di-gitalkamera

2 (Folien-)Stifte unterschiedlicherFarbe

Arbeitsauftrag

Aufbau Aus den beiden Glasscheiben wird eine zweidimensiona-

le Zelle (Kiste) gebaut, die an einer Schmalseite offen

11das sogenannte Kontaktnetzwerk

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96 KAPITEL 4. EXPERIMENTIERANLEITUNGEN

ist. Der Abstand der Platten ist etwas weiter zu wahlen

als die Dicke der verwendeten Munzen. Die Zelle wird

vertikal aufgestellt. Munzen beziehungsweise Spielpfen-

nige werden ungeordnet hineingeworfen, so dass die Zelle

gefullt erscheint. Der Fall, dass Munzen keinen Kontakt

zum Nachbarn haben, darf vorkommen.

Versuchs-durchfuhrung

Es werden einige solcher ungeordneter Packungen erzeugt.

Jede Packung wird mit einer Digitalkamera fotografiert.

Alternativ kann eine Overheadfolie auf die Glasplatte ge-

legt werden. Die Mittelpunkte aller Munzen werden farb-

lich markiert, die Kontaktpunkte andersfarbig.

Versuchs-auswertung

1. Die Mittelpunkte je zweier sich beruhrender Munzen

werden mit einem Lineal verbunden.

2. Pro Packung wird das sich ergebende Netzwerk be-

trachtet.

3. Es wird verfolgt, auf welchem Weg eine Kraft auf die

Rander der Zelle ubertragen werden kann.

4. In Bezug auf die Versuche 4.4.1 und 4.4.2 wird dis-

kutiert, dass eine Ubertragung von Kraften nur uber

Kontaktpunkte zwischen Granulatteilchen moglich ist.

Fachinformation Siehe Abschnitt 2.2.

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Kapitel 5

Anregungen zu Arbeitsblatternfur Schuler

97

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98 KAPITEL 5. ARBEITSBLATTER FUR SCHULER

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99

Dichteste Packung zu 4.1.3 –Niveau beginnendeSekundarstufe 1

Versuchsziel Herausfinden, wie dicht gepackte Kugeln angeordnet sind,

insbesondere von wievielen fremden Kugeln eine Kugel

beruhrt wird.

Versuchsidee Uber einer Schicht dichtgepackter Kugeln mindestens zwei

weitere Schichten aufbauen.

Versuchsaufbau

Skizze

Geratelistemindestens 100 gleich große Stahl-kugeln, Murmeln oder Perlen inverschiedenen Farben

flache Schale mit ebenem Boden,Modelliermasse oder feiner Sand

Arbeitsauftrag

Aufbau Lege gleichartige Kugeln moglichst dicht nebeneinander,

so dass sie nicht wegrollen. Falls Du Schwierigkeiten hast,

lies die Tipps zum Aufbau auf der Ruckseite.

Versuchs-durchfuhrung

Uberlege, was du nacheinander tun konntest, um das Ver-

suchsziel am besten zu erreichen. Falls Du Schwierigkei-

ten hast, lies die Tipps zur Versuchsdurchfuhrung auf der

Ruckseite.

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100 KAPITEL 5. ARBEITSBLATTER FUR SCHULER

Tipps zumAufbau

Damit die Kugeln nicht wegrollen, kannst du sie in ei-

ne dunne Schicht aus feinem Sand oder Modelliermasse

pressen. Suche dazu eine flache Schale mit ebenem Boden

oder einen Schuhkartondeckel und fulle feinen Sand so

hoch ein, dass eingedruckte Kugeln noch zur Halfte sicht-

bar sind. Eine Schicht aus Modelliermasse kann dunner

sein.

Tipps zurVersuchs-

durchfuhrung

Markiere eine Kugel A in der ersten Schicht, indem du

z.B. eine andere Farbe wahlst. Sie dir an, wieviele Nach-

barn aus der ersten Schicht diese Kugel beruhren. Lege

eine zweite am besten andersfarbige Kugel B auf die ers-

te Schicht. Sieh nach, wieviele Kugeln diese eine Kugel

beruhrt. Baue die zweite Schicht fertig und vergleiche die

Anzahl der Nachbarn von Kugel B mit der von Kugel A.

Lege dann eine dritte Lage von Kugeln auf und bestimme

die Gesamtzahl aller Nachbarn von Kugel B.

Versuche zu beschreiben und aufzuzeichenen, wie die Ku-

geln angeordnet sind. Halte deine Ergebnisse schriftlich

fest.

Tipps zumVersuchsprotokoll

Falls deine Mitschuler andere Ergebnisse erzielen sollten,

musst du beweisen, dass du dich nicht geirrrt hast. Dafur

ist es gunstig genau aufzuschreiben, wie du vorgegangen

bist, z. B. in der folgenden Tabelle:

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101

Mein Versuchsprotokoll zur Durchfuhrung

KugelnMaterial

Durchmesser

Anzahl der Nachbarneiner Kugel

in derselben Schicht

in der darunter liegenden Schicht

in der daruber liegenden Schicht

insgesamt

Packung Nr. 1: Lage der Lucken zwischen den Kugeln

Lucken der

2. Schicht liegen uber

3. Schicht

4. Schicht

Packung Nr. 2: Lage der Lucken zwischen den Kugeln

Lucken der

2. Schicht liegen

3. Schicht

4. Schicht

Meine Ergebnisse kurz zusammengefasst

Die Packungen 1 und 2 unterscheiden sich in der .

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102 KAPITEL 5. ARBEITSBLATTER FUR SCHULER

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Kapitel 6

Beispiele von Lernpfaden zurPhysik Granularer Materie inRuhe

Die Versuche der einzelnen Experimentiermodule sind in Kapitel 4 nach fach-

logischen Gesichtspunkten angeordnet. Diese Reihenfolge ist fur eine Un-

terrichtssequenz zu Granulaten in Ruhe nicht zwingend, insbesondere dann

nicht, wenn eine Auswahl aus den Versuchen getroffen werden soll.

Es ist im Prinzip moglich, zur Auflockerung des Physikunterrichts das The-

ma Granulare Materie zu streifen und nur einige der spektakularsten Ver-

suche mit Schulerinnen und Schulern durchzufuhren, wie etwa das Werfen

von Luftballons (4.2.1B) oder das Heben einer sandgefullten Flasche an ei-

nem hineingesteckten Stab (4.2.2). Ein solches Vorgehen eignet sich vor allem

fur die Primarstufe, da es erlaubt, physikalische Neugier zu wecken und das

Staunen zu schulen. So konnen physikalische Lerninhalte auf der Ebene der

Phanomene geschickt mit Faszination durch Neues verknupft werden.

Diese Handreichung hat primar jedoch die Schulung naturwissenschaftli-

chen Arbeitens in den Sekundarstufen zum Ziel. Dies bedingt nicht nur

die Durchfuhrung einzelner Versuche, also das rein experimentelle Hantie-

ren, sondern eine logische Entwicklung der Eigenschaften von ruhenden Gra-

nulaten mittels einer Sequenz oder Sequenzen von Experimenten. In den

Vorbemerkungen zu den einzelnen Experimentiermodulen wird dies genauer

erlautert. Prozessziele, wie beispielsweise Strategien naturwissenschaftlichen

Arbeitens erfahren, bilden einen Schwerpunkt. Vereinfachte Modellsysteme

oder gar Ersatzsysteme finden und untersuchen sind Tatigkeiten, die der

103

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104 KAPITEL 6. LERNPFADE ZUM THEMA GRANULATE IN RUHE

Schulung bedurfen. Dies kann exemplarisch anhand der Thematik Granulare

Medien erfolgen. Sie hat zudem den Vorteil des Neuen fur wohl die meis-

ten Schulerinnen und Schuler. Sie fuhrt weg von einem Naturverstandnis,

dass bereits bei Je-desto-Aussagen lineare Zusammenhange stillschweigend

antizipiert: Doppelte so starke Ursache, hat doppelte Wirkung. Bereits die

Einsicht in die Existenz eines einzigen Schwellwerts fuhrt dieses lineare Den-

ken ad Absurdum.

Abb. 6.1 zeigt einen fur die Sekundarstufe 1 geeigneten Einstieg in die The-

matik der Schuttguter in Ruhe in Form eines Lernpfads. Bei einem Lernpfad

handelt es sich um eine Art Flussdiagramm durch die experimentellen The-

men des Kapitels 4. Der Lernpfad der Abb. 6.1 steigt mit Experimenten aus

dem Experimentiermodul 4.2, Verdichtung und Dilatanz, in die Thematik

ein. Dies ist nicht der einzig mogliche Weg. Er hat jedoch den Vorteil be-

reits durch den Einstiegsversuch zum Thema Dilatanz Neugierde zu wecken.

Besteht die Absicht, das Verstandnis des inneren Aufbaus Granularer Medi-

en zu vertiefen, bietet sich ein Ubergang zum E-Modul Granulare Packun-

gen 4.1 an. Dies wird nach dem unabdingbaren Versuch zur Scherung eines

zweidimensionalen Modellgranulats (4.1.2) empfohlen, wo die Existenz unter-

schiedlicher Packungsdichten bewusst gemacht wird. Der Begriff selbst ist in

der Sekundarstufe 1 nicht einzufuhren. Werden geeignete Interesse erzeugen-

de Kontexte aus der Lebenswelt der Schulerinnen und Schuler aufgegriffen

beziehungsweise angeboten, sind Experimente aus dem E-Modul Granulare

Packungen bereits in der Primarstufe bzw. in den ersten Jahrgangsstufen der

Sekundarstufe 1 einsetzbar.

Der Lernpfad kann durch eine geeignete Struktur der Schulerarbeitsblatter1

so angelegt werden, dass keine besonderen Lernvoraussetzungen notwendig

sind. Dies hilt dem Lehrer die Inhomogenitat bei den experimentellen Vor-

erfahrungen insbesondere aus der Grundschule auszugleichen.

In Abb. 6.2 wird ein Lernpfad zu den Experimentiermodulen Bodendruck

(4.3) und Bruckenbildung (4.4) vorgeschlagen. Wichtige Ziele sind einmal

die Einsicht in das Bestehen eines Kontaktnetzwerks, uber das Krafte auf

Behalterwande umgeleitet werden konnen, und zum andern die Erkenntnis

der Existenz von Schwellwerten, am Beispiel der horizontalen Kraftumlei-

tung. Lernpfad II kann zeitlich direkt an Lernpfad I angeschlossen werden.

1Beispiele siehe das Kapitel 5

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105

Lernpfad I zu E-Modul Verdichtung und Dilatanz (4.2)

Wette:Luftballon alsTT-Schlager

(4.2.1B)

VakuumpackKaffeepulver

(4.2.1A)

SchwebendeFlasche(4.2.2)

Steigrohrim Sand(4.2.4B)

Scherung vonMunzen(4.1.2)

SchwebendesGlaschen(4.2.3)

Sandstrand

(4.2.4A)

Leitgedanke E-Modul 4.2:Wirkung einer Verformung auf den

inneren Aufbau eines Granulats

Leitgedanke E-Modul 4.1:Innerer Aufbau

eines Granulathaufens

Wo noch?

entwickelnLeitgedanken

Modellgranulat verformen

Hohlraume verandern

Wie messbar?

Abbildung 6.1: Lernpfad zu E-Modul 4.2 mit Ubergangsmoglichkeit zu 4.1.Angegeben sind die Kurznamen der entsprechenden Versuche sowie in Klam-mern die Abschnitte, wo die entsprechenden Experimentieranleitungen ent-halten sind.

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106 KAPITEL 6. LERNPFADE ZUM THEMA GRANULATE IN RUHE

Lernpfad II zu den E-Modulen Bodendruck (4.3) undBruckenbildung (4.4)

Sand(auslauf)uhr– Ausflussrate

messen(4.3.4)

Bodendruck-verteilung

(4.3.1)

Flummiesstapeln(4.3.3)

Kiesaufschichten

(4.3.2)

Leitgedanke E-Modul 4.4:Weiter-/Umleiten

einer belastenden Kraft

Bau einerSanduhr, die

verstopft(4.4.2)

VerstopfterGlastrichter

(4.4.2)

Kontakt-netzwerk A

(4.4.4)

Kontakt-netzwerk B

(4.4.5)

Selbst-tragender

Bogen(4.4.3)

VerstopftesGlaschen(4.4.1)

VorbereitungWerken,

Hausarbeit,...(4.4.3)

Leitgedanke E-Modul 4.3:Druckverhaltnisse und Krafte

in granularen Aggregaten

Leitgedanken entwickeln

Hypothese

Leitgedanken entwickeln

Granulatvariieren

Wer nimmt Teil derGewichtskraft auf?

Reale Bogen in Bauwerken

Detailsklaren

Abbildung 6.2: Lernpfad zu den E-Modulen 4.3 und 4.4. Angegeben sind dieKurznamen der entsprechenden Versuche sowie in Klammern die Abschnitte,wo die entsprechenden Experimentieranleitungen enthalten sind.

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107

Ebenso ist es moglich ihn als eigenstandige Unterrichtseinheit durchzufuhren,

vorausgesetzt eventuell auftauchende, uber den Inhalt der Versuche 4.4.4 und

4.4.5 hinausgehende Fragen uber den inneren Aufbau von Granulaten werden

geklart.

Besteht die Absicht, die Thematik Granulare Medien in der Sekundarstufe 2

zu behandeln, ist es moglich viele Experimente im Zuge von Schulerreferaten

zu absolvieren. Beispiele fur einige vertiefende Referatthemen finden sich in

Kapitel 2.

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108 KAPITEL 6. LERNPFADE ZUM THEMA GRANULATE IN RUHE

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Literaturverzeichnis

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Physik, Modellexperimente zum Wassertransport, Polyskript zur Leh-

rerfortbildung in Natur- und Technik des Z-MNU an der Unversitat

Bayreuth, 27. Januar 2005. Download unter http://didaktik.phy.uni-

bayreuth.de/download/naturundtechnik/wasser grundlage/ablauf.html

[7] Zu finden auf vielen Webseiten zur Thematik Granulare Medien, siehe

auch http://www.phy.duke.edu/ bob/images/bincollapse.gif

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110 LITERATURVERZEICHNIS

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Abbildungsverzeichnis

1.1 Ein berstendes Getreidesilo [7] . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

2.1 Darstellung der in zwei Dimensionen moglichen regelmaßig ge-

ordneten Strukturen von Scheiben mit den Koordinationszah-

len drei, vier und sechs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2.2 Ein mit Sand gefullter Luftballon (links) wird zugeknotet und

schwungvoll gegen eine glatte Flache geworfen, wobei er sich zu

einem relativ starren diskusformigen Objekt (rechts) verformt

(Foto S.M. Weber). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

2.3 Computersimulation des Kontaktnetzwerkes in einem Granu-

lathaufen (nach [5]). Die Starke der Linien kodiert die Große

der Kontaktkrafte. Reibungskrafte sind nicht dargestellt. . . . 17

2.4 Die Abhangigkeit des vertikalen Drucks in einem Silo als Funk-

tion der Hohe. Die gestrichelte Linie stellt als Vergleich den

hydrostatischen Druck dar. Der assymptotische Wert fur den

vertikalen Druck ist mit ps bezeichnet. . . . . . . . . . . . . . 19

2.5 Darstellung der Spannungsverhaltnisse in einem mit Plexiglas-

kugeln und einem Glyzerin-Wasser-Gemisch gefullten Behalter

(nach [4]) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

2.6 Die Ruine des Aquadukts von Maintenon, erbaut unter Lud-

wig XIV im Pariser Becken, ist ein Beispiel von Bogen, die

Jahrhunderte uberdauert haben. . . . . . . . . . . . . . . . . 21

2.7 Leonardo da Vinci’s Zugkraftexperimente nach [1]. In beiden

Fallen muss eine identische Zugkraft FZ aufgewendet werden,

um die drei Klotze aus der Ruhelage in Bewegung zu setzen. . 23

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112 ABBILDUNGSVERZEICHNIS

2.8 Ein auf seiner Unterlage ruhender Ziegelstein befindet sich im

Kraftegleichgewicht mit einer gedehnten Feder. . . . . . . . . . 25

2.9 (a) Ein auf seiner Unterlage ruhender Ziegelstein befindet sich

im Kraftegleichgewicht mit einer gedehnten Feder (links). (b)

Ein kugelformiges Partikel ruht auf zwei anderen (rechts). . . 26

3.1 Vereinfachte Darstellung eines Formstoffkreislaufs fur tonge-

bundene Formstoffe nach [3] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

4.1 Ubersicht uber alle experimentellen Module (E-Module) zum

Thema Schuttgut in Ruhe. In Klammern sind die Abschnitte

angegeben, wo die entsprechenden Experimentieranleitungen

enthalten sind. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

4.2 Zur Erhohung des Reibungskoeffizienten bei miniaturisierten

Versuchen kann ein glattes Kunststoffrohr mit einer Silikon-

matte ausgekleidet werden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

4.3 Ubersicht uber wesentliche fachliche Inhalte im E-Modul Gra-

nulare Packungen (Abschnitt 4.1). In Klammern sind die Ab-

schnitte angegeben, wo die entsprechenden Experimentieran-

leitungen zu finden sind. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

4.4 Ubersicht uber Leitkontexte und experimentelle Basisaktivi-

taten im E-Modul Granulare Packungen (Abschnitt 4.1). In

Klammern sind die Abschnitte angegeben, wo die entsprechen-

den Experimentieranleitungen zu finden sind. . . . . . . . . . 42

4.5 Ubersicht uber wesentliche fachliche Inhalte im E-Modul Ver-

dichtung und Dilatanz (Abschnitt 4.2). In Klammern sind die

Abschnitte angegeben, wo die entsprechenden Experimentier-

anleitungen zu finden sind. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

4.6 Ubersicht uber Leitkontexte und experimentelle Basisaktivi-

taten im E-Modul Verdichtung und Dilatanz (Abschnitt 4.2).

In Klammern sind die Abschnitte angegeben, wo die entspre-

chenden Experimentieranleitungen zu finden sind. . . . . . . . 54

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ABBILDUNGSVERZEICHNIS 113

4.7 Ubersicht uber wesentliche fachliche Inhalte im E-Modul Bo-

dendruck in Granulaten (Abschnitt 4.3). In Klammern sind

die Abschnitte angegeben, wo die entsprechenden Experimen-

tieranleitungen zu finden sind. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

4.8 Ubersicht uber Leitkontexte und experimentelle Basisaktivi-

taten im E-Modul Bodendruck in Granulaten (Abschnitt 4.3).

In Klammern sind die Abschnitte angegeben, wo die entspre-

chenden Experimentieranleitungen zu finden sind. . . . . . . . 70

4.9 Ubersicht uber wesentliche fachliche Inhalte im E-Modul Bru-

ckenbildung in Granulaten (Abschnitt 4.4). In Klammern sind

die Abschnitte angegeben, wo die entsprechenden Experimen-

tieranleitungen zu finden sind. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

4.10 Ubersicht uber Leitkontexte und experimentelle Basisaktivi-

taten im E-Modul Bruckenbildung in Granulaten (Abschnitt

4.4). In Klammern sind die Abschnitte angegeben, wo die ent-

sprechenden Experimentieranleitungen zu finden sind. . . . . . 85

6.1 Lernpfad zu E-Modul 4.2 mit Ubergangsmoglichkeit zu 4.1.

Angegeben sind die Kurznamen der entsprechenden Versuche

sowie in Klammern die Abschnitte, wo die entsprechenden Ex-

perimentieranleitungen enthalten sind. . . . . . . . . . . . . . 105

6.2 Lernpfad zu den E-Modulen 4.3 und 4.4. Angegeben sind die

Kurznamen der entsprechenden Versuche sowie in Klammern

die Abschnitte, wo die entsprechenden Experimentieranleitun-

gen enthalten sind. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

Die Abbildungen aus den Experimentieranleitungen in Kapitel 4 sind nicht

aufgenommen.