Griechische Volksmärchen

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Αρχή του παραμυθιού, καλησπέρα της αφεντιάς σας. Das Märchen beginnt. Guten Abend, Euer Gnaden! Ελληνικά λαϊκά παραμύθια Griechische Volksmärchen dtv zweisprachig

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Griechische Volksmärchen

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Page 1: Griechische Volksmärchen

Αρχή του παραμυθιού, καλησπέρα της αφεντιάς σας.

Das Märchen beginnt.Guten Abend, Euer Gnaden!

Ελληνικάλαϊκά

παραμύθιαGriechische

Volksmärchen

dtv zweisprachig

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Die Volksmärchen der Griechen gehören zur europäischen Märchenwelt, also gibt es darin viele altvertraute Gestalten und Geschehnisse. Aber es gibt auch noch Reste antiker Überlieferung, und die jahrhundertelange Herrschaft der Türken hat interessante orientalische Spuren hinterlassen. Natürlich ist auch sonst - wie in allen Märchen-Schätzen anderer Nationen - einiges Überraschende zu finden.

Efrossini Kalkasina, in Deutschland lebende Neugriechisch- Lehrerin, hat die Märchen dieses Taschenbuches als Kind erzählt bekommen, hauptsächlich von ihrer Großmutter. Sie überliefert die erinnerten alten Stoffe bis in die Details genau. Doch sie schreibt in der Sprachform, wie sie ihren eigenen Kindern und ihren erwachsenen Schülern etwas erzählt. Die Verse und formelhaften Wendungen freilich, die ein Märchen über die bloße Geschichten-Erzählung hinaus­heben, sind uralter Wortlaut.

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Η νεράιδα 6 Die Nereide 7

Ο Κοντορεβιθούλης 1 6 Kicher erbsling 17

Η μηλιά του βασιλιά 24 Der Apfelbaum des Königs 25

Οι δώδεκα μήνες 4°Die zwölf Monate 41

Η γλάστρα με το βασιλικό 48 Der Basilikumstock 49

Η Πούλια και ο Αυγερινός $6 Siebengestirn und Morgenstern 57

Η χηναρού 66 Die Gänsemagd 67

Η Μαριωρίτσα 72 Marioritsa 73

Ο Φιορεντίνος γ8 Fiorentinos 79

Τα στοιχήματα του φλαουτατζή Die Wetten des Flötenspielers 87

Τα λυωμένα παπούτσια 92 Die zerschlissenen Schuhe 93

Οι καλικάντζαροι 98 Die Poltergeister 99

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Das Märchen beginnt.Guten Abend, Euer Gnaden.

Es war einmal vor langer Zeit, da lebte ein junger Hirt. Als er ins Heiratsalter kam, redete seine Mutter immerzu auf ihn ein, er solle ein Mädchen aus dem Dorf wählen. Ihm aber ge­fiel keines.

«Mutter, ich werde eine Nereide nehmen.»Einmal, als er seine Schafe auf die Weide trieb, traf er zwei

Brüder, die sich zankten. Er fragte sie nach dem Grund, und sie erklärten ihm, daß sie von ihrem Vater zwei Erbstücke erhalten hätten und nicht wüßten, wie sie diese verteilen sollten. Das eine war eine Zauberkappe, die einen unsichtbar macht, sobald man sie auf setzt. Das andere war ein Paar Schnabelschuhe, mit denen man mit einem Schritt ganze Berge überspringt; jeder der beiden Brüder wollte die Kap­pe. Da riet ihnen der junge Mann, die Streitfrage anders zu lösen:

«Ihr lauft beide zu jenem Brunnen dort. Wer als Erster ankommt, gewinnt die Kappe, der andere bekommt die Schnabelschuhe. Die zwei Brüder waren einverstanden und begannen auf das Zeichen des Hirten zu laufen so schnell sie konnten. Der Hirt zog die Schnabelschuhe an und setzte sich die Kappe auf. Er wurde unsichtbar, und die beiden Brüder, die ihre Torheit erkannten, versöhnten sich und machten ihrem Zank ein Ende.

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Danach verging einige Zeit. Es war bald Vollmond, und der Junge beschloß, seine Schafe bei der Nereidenquelle auf die Weide zu treiben. Wer weiß, ob nicht Nereiden kommen, dachte er. Er ließ die Schafe zurück, setzte sich die Kappe auf, legte sich in der Nähe der Quelle unter einen Baum und wartete.

Und wirklich, um Mitternacht kamen zehn wunderschöne Nereiden. Sie hängten ihre Schleier an einen Baum und begannen zu tanzen, zu spielen und zu baden. Alle waren sie sehr schön, aber eine von ihnen gefiel dem jungen Mann ganz besonders.

Da sprach plötzlich eine der Nereiden: «Es riecht nach Menschenfleisch.»

Sogleich hörte der Tanz auf und alle schauten sich um. Sie sahen aber niemanden und die Älteste beruhigte sie:

«Pah, der Wind bringt wohl den Geruch von irgendwo weither.»

Sie begannen wieder zu tanzen. Da erhob sich der Junge vorsichtig, ging zu dem Baum, an dem die Schleier hingen, nahm den der schönen Nereide und steckte ihn sich un­ters Hemd.

Nach einiger Zeit hielt die älteste Nereide im Tanz inne, denn es nahte die Morgendämmerung, und da mußten sie fort. Alle nahmen ihre Schleier, aber die Schöne suchte und suchte und fand ihn nicht. Sie rief den anderen Nereiden, und die anderen halfen ihr suchen, aber sie fanden den Schleier nicht.

«Wir müssen fort», sprachen sie, nahmen ihre Schleier und verschwanden. Die Schöne blieb allein zurück.

Der Hirt wartete noch, bis die ersten Sonnenstrahlen auf sie fielen, denn er wußte, daß dann eine gewöhnliche Frau aus ihr wird. Jetzt erst nahm er seine Kappe ab und zeigte sich.

«Da ist dein Schleier», sprach er zu der Nereide, «ich habe ihn, und du sollst meine Frau werden.»

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Beim Anblick des Schleiers blieb ihr nichts andetes übrig,als dem Hirten zu folgen.

Als sie in seinem Häuschen ankamen, rief der Hirt seine Mutter und stellte ihr die Schwiegertochter vor. Die Mutterumarmte sie und sprach:

«Recht hattest du, mein Sohn. Die Frau, die du bekommst,ist wunderschön, wie eine Nereide.» ,

Die beiden heirateten. Aber nur der Hirt war glücklich und zufrieden, während seine Frau immer ein trauriges Gesicht

machte. ,Als einige Tage später ein Kirchfest gefeiert wurde, sagte

der Hirt zu seiner Frau, sie solle sich ankleiden, um mit ihm aufs Fest zu gehen, sie wollten als Neuvermählte tanzen, damit die Leute sie sähen und sie ihre unglückliche Stim­mung loswürde. Da sprach die Frau zu ihm.

«Wenn es so ist, gib mir meinen Schleier, damit ich noch schöner bin und die Leute dich beneiden.»

Mit Hartnäckigkeit überzeugte sie ihn; sie versprach ihm, daß sie ihm nicht entfliehen werde. Da zog er den Schleier hervor und gab ihn ihr. Sie legte ihn an und erstrahlte am ganzen Körper. Auf dem Fest lachte und sang sie, und dieLeute bewunderten sie.

Nach Mitternacht, während des Tanzes, begann sie sich hm und her zu wenden und plötzlich in die Höhe zu erheben. Der Mann begriff seinen Fehler und rief :

«Warum verläßt du mich? Du hast mir doch dem Wort

86«Du hättest mir besser nicht geglaubt! Wenn du mich aber finden willst: ich wohne im gläsernen Schloß. Um dorthin zu gelangen, wirst du vierzig Paar eisenbeschlagene Schuhe ver­brauchen», antwortete sie und verschwand.

Der Mann kehrte verzweifelt nach Hause zuruck. Er wollte weder essen noch trinken - nichts. Er ging zum Schuster und bestellte vierzig Paar eisenbeschlagene Schuhe. Als sie fertig waren, zog er fort.

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Unterwegs traf er eine alte Frau; er fragte sie, ob sie wisse, wo das gläserne Schloß sei. Die Frau zeigte ihm einen Feldweg, der durch ausgetrocknete Schluchten und an gefähr­lichen Abgründen vorbei führte. So ging er seinen schwie­rigen und abenteuerlichen Weg, bis auch das letzte Paar Schuhe beinahe verbraucht war. Da sah er in der Ferne etwas glänzen. Er erkannte, daß dies das Schloß war, das er suchte. Er setzte seine Kappe auf, um nicht gesehen zu werden, und machte sich wieder auf den Weg.

Im Schloßhof saßen Löwen, Bären und andere Tiere, alle zahm und zufrieden, ohne jemandem etwas zuleide zu tun. Der junge Mann ging vorsichtig zwischen ihnen hindurch. Er trat in das Schloß, das in Schönheit erstrahlte. Drinnen waren große Säle, in einem Saal stand ein großer Tisch, der mit den erlesensten Speisen gedeckt war. Der junge Mann verbarg sich und wartete.

Und wirklich, nach einiger Zeit, als die Sonne unterging, kam eine Nereide nach der anderen, legte ihren Schleier ab und setzte sich auf ihren Platz. Und nun kam auch seine Frau, die sich genauso verhielt. Da nahm er schnell ihren Schleier und machte sich davon; die Nereiden ließ er essen und sich vergnügen.

«Es riecht nach Menschenfleisch», sagte die eine.Alle schauten sich um.«Pah, das scheint dir nur so», antwortete die Älteste, und

sorglos setzten sie ihr Mahl fort.Als sie fertig waren und sich erhoben hatten, um ihre

Schleier anzulegen, fand die Frau des Hirten ihren Schleier nicht; sogleich merkte sie, was geschehen war. Sie nahm ei­nen Hund mit, daß er die Fährte witterte.

Als ihr Mann sie von weitem kommen sah, zog er die Zauberschuhe an und erreichte mit wenigen Sprüngen sein Haus. Die arme Nereide rannte unablässig, aber wie hätte sie ihn einholen können. Erst am Morgen, nachdem bereits die Strahlen der Sonne sie getroffen hatten, kam sie dort an. Da

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machte der Mann Feuer im Ofen und warf den Schleier der Nereide hinein.

Von da an blieb sie bei ihm, und sie lebten gut, und wir leben noch besser.

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Roter Faden, gesponnen, um das Spinnrad geschlungen, gib ihm einen Stoß, daß es sich dreht, und das Märchen beginnt.

Vor langer Zeit, da lebten einmal ein Bauer und seine Frau, die hatten einen Sohn, der war so klein wie eine Kichererbse, und aus diesem Grunde nannten seine Eltern ihn Kichererbs- ling. Eines Tages, gegen Mittag, sprach die Mutter zu Kicher- erbsling:

«Geh hinaus aufs Feld und bring dem Vater das Essen. Ich habe vergessen, es ihm am Morgen mitzugeben.»

Sie gab ihm einen Beutel mit Speisen und eine Flasche Wein; das Kind nahm die Sachen und ging, den Beutel hinter sich herziehend, aufs Feld hinaus.

Weil er so winzig war und die Ähren so hoch, konnte er den Vater nicht sehen. Er begann zu rufen:

«Vater, Vater, von wo soll ich rangehen?»Der Vater hörte ihn und antwortete:«Vom Rand her.»Da nahm Kichererbsling den Brotfladen und fing an, ihn

vom Rand her aufzuessen. Bald darauf rief er wieder:«Von woher, hast du gesagt?»«Von der Quelle her, mein Kind», antwortete der Vater. Da machte der gute Kichererbsling die Flasche mit dem

Gegen Mittag war er dort.

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Wein auf und trank den ganzen Wein aus, der darin war und rief von neuem:

«Vater, Vater, hier bin ich; ich habe dir etwas zu essen gebracht.»

Der Vater folgte der Stimme und entdeckte Kichererbsling inmitten der Ähren, neben dem leeren Beutel und der leeren Flasche. Als der Vater ihn so sah, brach er in Lachen aus und machte sich auf nach Hause, um dort zu essen.

«Paß aber auf die Kuh auf, daß sie nicht wegläuft.»Kichererbsling kauerte sich unter einige Gräser, in der

Nähe der Kuh, um sie im Auge zu behalten. Da er von dem Wein müde war, schlief er ein.

auch an die Stelle, wo Kichererbsling lag, und beim Hin­unterschlucken des Grases verschluckte sie auch ihn.

Als der Vater aufs Feld zurückgekehrt war, begann er zu

«Kichererbsling, Kichererbsling, wo bist du?»«Hier bin ich Vater, im Bauch der Kuh», antwortete der

Junge, der jetzt aufgewacht war.Der Vater packte die Kuh und ging mir ihr nach Hause.

Sogleich schlachtete er sie, um das Kind zu retten.Wie er sie gerade zerlegte, kamen Räuber aus den Bergen

zu dem Haus und wollten etwas zum Essen stehlen. Sie fesselten den Mann und die Frau und warfen sie in eine Ecke. Dann schnitten sie große Stücke aus der Kuh, brieten das Fleisch und aßen es auf. Kurze Zeit später ging eine hungrige alte Frau vorüber, und die Räuber, die satt waren, warfen ihr das Gekröse der Kuh zu, damit die Alte auch etwas zu essen habe. Die Frau ging zum Brunnen und wusch das Gekröse. Dann nahm sie ein Messer, um es klein zu schneiden. Da rief Kichererbsling:

«Nicht, Großmutter, du stichst mir ja die Augen aus.»Die Alte fürchtete sich, ließ das Gekröse liegen und lief

Die Kuh kam beim Weiden

rufen:

davon.

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Kurz darauf kam ein Wolf am Brunnen vorbei, sah das Gekröse und verschlang es mit einem Happs. Er war noch nicht satt, darum ging er auf den Berg, stürzte auf eine Schafherde los, um ein Schaf zu packen. Da rief Kicher­erbsling in seinem Bauch:

«Hirt, Hirt, Wolf bei den Schafen!»Der Hirt stürmte mit den Hunden herbei, und der Wolf lief

davon. Das gleiche geschah mehrmals. Er traf den Fuchs, der bekannt ist für seine Schläue, und erzählte ihm, wie es ihm jedesmal erging, wenn er dabei war, ein Schaf zu packen. Er fragte den Fuchs, was er tun solle.

Der Fuchs sagte:«Das ist sehr einfach. Steig auf diesen Felsen und spring

hinunter. Bei dem Fall, den du tun wirst, wird das, was du im Bauch hast, herauskommen, und du wirst Ruhe haben.»

Der Wolf stieg sogleich hinauf, nahm einen Anlauf, fiel hinunter und blieb tot liegen. Bei dem Fall wurde das Kuhgekröse samt Kichererbsling durch das Maul des Wol­fes herausgeschleudert. Kichererbsling schüttelte sich, packte das Gekröse und machte sich auf den Weg zum Haus sei­ner Eltern.

Bei Einbruch der Dämmerung schleifte Kichererbsling, da er müde war, das Gekröse unter einen Busch und legte sich daneben, um zu schlafen. Kurze Zeit später hörte er Ge­spräche. Es waren die Räuber, die das Fleisch der Kuh geges­sen hatten. Sie setzten sich hinter den Busch und zählten Goldstücke.

Kichererbsling wartete, bis es finstere Nacht war. Dann schlich er sich langsam heran und nahm den Beutel mit den Goldstücken. Er vergaß seine Müdigkeit und ging wei­ter auf dem Weg zum Haus seiner Eltern. Dort blieb er einen Augenblick vor der Tür stehen und hörte seine Mutter sprechen:

«Ach, wäre doch Kichererbsling hier und würde von die­ser Bohnensuppe essen.»

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«Warum nicht», antwortete dieser lebhaft, «hungrig, wie ich bin; und ich habe euch den Kuhmagen mitgebracht.»

Unbeschreiblich, was geschah, Freude, Lachen, Umarmun­gen. Er gab ihnen auch den Beutel, und so bezahlten die Räuber im nachhinein für die Kuh, die sie gestohlen hatten.

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Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne. Rings um sein Schloß war ein großer Garten, und mitten darin stand ein Apfelbaum, der jedes Jahr drei goldene Äpfel hervorbrach­te. Aber diese Äpfel verschwanden immer, kaum daß sie reif waren.

Als die drei Prinzen erwachsen waren und die Äpfel wieder bald reif werden wollten, schlug der Älteste dem Vater vor, er wolle den Apfelbaum bewachen, um endlich den Dieb zu fangen. Bei Einbruch der Nacht nahm er seine Waffen und wartete.

Da erbebte die Erde. Blitze und Donner überall! Ein Drache kam aus dem Inneren der Erde und pflückte die drei Äpfel. Der älteste Sohn fürchtete sich und rannte davon. Er berichtete den anderen, was geschehen war.

Der König ärgerte sich, daß der Drache ungestraft den Garten betreten und die goldenen Äpfel stehlen konnte. Er beschloß, im nächsten Jahr den zweiten Sohn zu schicken, und so wurde es gemacht. Aber auch dieser fürchtete sich und ergriff die Flucht.

Im folgenden Jahr war der dritte, der jüngste Sohn, an der Reihe, die Äpfel zu bewachen. Er stieg also auf sein schwarzes Roß, nahm einen Speer und wartete verborgen in der Nähe.

Da hörte er das schreckliche Pfeifen, und wieder erschien der Drache, um die Äpfel zu packen. Aber der Jüngling verlor den Mut nicht; er schleuderte mit aller Kraft

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den Speer und verwundete den Drachen, der eilends da­vonlief, ohne die drei Äpfel zu rauben.

Am nächsten Morgen ging der Sohn zu seinem Vater und berichtete ihm von der Verwundung des Drachen und sagte, daß er ihn verfolgen wolle, um ihn zu töten. Der König gab ihm seinen Segen.

Zusammen mit dem Jüngsten gingen auch die beiden älteren Brüder, um ihm zu helfen. Sie folgten der Spur der Blutstropfen und gelangten zu einem tiefen Brunnen. Von tief unten hörte man das Gebrüll des Drachen. Der Jüngste bat seine Brüder, ihn an ein Seil zu binden und ihn hin­unterzulassen.

Als er am Grund des Brunnens angelangt war, sah er ein großes Haus. Er ging hinein und stand in einem langen Gang mit vielen Türen. Hinter einer Tür hörte er die Stimmen von Mädchen.

ne Prinzessinnen saßen dort und spielten mit einem goldenen Apfel. Als sie ihn sahen, erschraken sie, aber er beruhigte sie und sagte, daß er gekommen sei, den Drachen zu töten. Sie erzählten ihm, daß der Drache sie geraubt habe und gefangen halte.

Die jüngste Prinzessin führte ihn vor die Kammer des Drachen und sagte ihm, daß der Drache, wenn er schlafe, die Augen offen halte, und wenn er wach sei, halte er sie ge­schlossen.

Der Jüngling schlich sich in die Kammer, und da der Dra­che die Augen offen hatte, zog er sein Schwert und erschlug ihn. So befreite er die drei Prinzessinnen.

Nun wollten sie gemeinsam zu dem Brunnen gehen, damit die Brüder sie herauszögen. Die Jüngste gab ihm folgenden Rat:

«Solange du hier unten bist, sei vorsichtig! Wenn du zwei Widder siehst, versuche den weißen zu besteigen. Er wird dich in die Oberwelt bringen. Wenn du den schwarzen zu

Er öffnete die Tür und trat ein. Drei wunderschö-

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fassen bekommst, bist du verloren. Er wird dich in die Unterwelt bringen. Nimm diese Nuß, du wirst sie brauchen.»

Der Jüngling band der Reihe nach jede der Prinzessinnen an das Seil, und die Brüder zogen sie hinauf. Als sie die wunderschönen Mädchen sahen und erfuhren, daß ihr Bruder den Drachen getötet habe, wurden sie eifersüchtig auf ihn und beschlossen, ihn in dem Brunnen zu lassen. Sie kehrten in das Königreich ihres Vaters zurück, der voller Sorge auf sie wartete; sie erzählten ihm, daß sie den Drachen getötet und die drei Prinzessinnen befreit hätten, aber un­glücklicherweise sei ihr jüngster Bruder dabei ums Leben gekommen.

Der König war tief betrübt. Die Söhne redeten ihm zu, nicht verbittert zu sein, sondern ihre Heldentat und die Befreiung der Mädchen zu bedenken.

Als der König sah, daß die Jüngste zugleich die Schönste war, beschloß er, sie zur Frau zu nehmen; den beiden Söhnen gab er die anderen Mädchen.

Die beiden Brüder heirateten sogleich. Die jüngste Prinzes­sin aber überzeugte den König, daß man erst die Trauerzeit für den jüngsten Sohn abwarten müsse, nämlich ein Jahr, drei Tage und drei Stunden. Danach könne man Hochzeit halten.

Laßt uns jetzt zu dem Prinzen zurückkehren. Als er sah, wie die Zeit verging und keiner das Seil hinabwarf, um ihn herauszuziehen, merkte er, daß seine Brüder ihn genarrt hatten. Da sah er zwei Widder, einen weißen und einen schwarzen; er dachte an die Worte der Prinzessin und versuchte den weißen zu packen. Dieser aber wich ihm aus, und der Prinz fiel auf den schwarzen Widder, der sofort mit ihm verschwand, tief in einem zweiten Brunnen, der in Dunkel gehüllt war.

Irgendwann endete der Sturz; der Prinz spürte Boden unter den Füssen. Ganz allmählich gewöhnten sich seine Augen an das Halbdunkel, das hier unten herrschte. Er sah

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einen Weg und schlug ihn aufs Geratewohl ein. Nach kurzer Zeit traf er auf eine Hütte, und weil er Hunger und Durst hatte, klopfte er an die Tür. Eine alte Frau öffnete und setzte ihm reichlich Speise vor, aber nur wenige Schlucke Wasser in einem Tellerchen.

Der junge Mann bat sie um etwas mehr Wasser, aber die Alte antwortete ihm, daß nicht mehr Wasser vorhanden sei, weil die einzige Quelle, die es hier in der Unterwelt gab, von einem Drachen verschlossen werde, der davor sitze. Um das Wasser strömen zu lassen, verlange er ein Mädchen zu fressen. Morgen sei die Tochter des Königs der Unterwelt an der Reihe; auf sie sei diesmal das Los gefallen. Der König habe Boten ausgeschickt, die verkündeten, daß derjenige, welcher den Drachen tötete, das halbe Königreich und die Tochter zur Frau bekommen solle.

Der . Jüngling fragte die alte Frau, wo diese Quelle sei, mahm einen Krug und ging. Als er in die Nähe der Quelle kam, versteckte er sich hinter einem Busch. Er erblickte den Drachen, der ausgestreckt da lag. Er war eip schreckenerre­gendes Ungeheuer mit sieben Köpfen. Unser tapferer Held zog sein Schwert und schlug ihm einen Kopf ab. Der Drache bäumte sich auf, fing an, Feuer zu spucken aus den Köpfen, die ihm geblieben waren. Der Kampf war furchtbar. Er dauerte bis zum Morgen, aber der Prinz schlug ihm einen Kopf nach dem anderen ab und blieb Sieger.

Danach schnitt er die sieben Zungen des Drachen ab, steckte sie in einen Beutel, füllte den Krug mit Wasser, kehrte zu der Alten zurück und bat sie, nichts zu verraten.

Als die Leute im Lande sahen, daß das Wasser wieder floß, wunderten sie sich, und der König der Unterwelt schickte Männer aus, um nach dem Drachen zu sehen. Die Freude im ganzen Königreich war groß, als man den Drachen tot auffand. Der König schickte wieder Boten, die herausbekom­men sollten, wer denn der Tüchtige war, der sie alle befreit hatte.

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Am nächsten Tag erschien im Schloß ein Schafhirt und sagte, er habe den Drachen getötet und erwarte jetzt seinen Lohn. Der König und seine Ratgeber fragten ihn nach Be­weisen; da öffnete er einen Beutel und zog die sieben Köpfe des Drachen hervor.

Der König, getreu seinem Wort, ordnete die Hochzeit seiner Tochter mit dem Schafhirten an und lud sein ganzes Volk zum Fest. Er ließ verkünden, daß er es als Beleidigung betrachte, wenn jemand sich weigere, seiner Einladung zu folgen.

Auch die alte Frau hörte die Neuigkeit und sagte zu dem Jüngling, daß auch sie zum Fest gehen müsse und daß auch er mitkommen müsse. Er weigerte sich und trug ihr auf, ihm etwas Speise vom Festmahl mitzubringen.

Was sollte die Alte tun? Sie ging ins Schloß, setzte sich in eine Ecke und vergnügte sich beim Genießen der Lustbarkeiten und des guten Essens. Sie dachte auch an ihren Gast, schnitt ein schönes Stück Fleisch ab und steckte es in ihr Beutelchen.

Einer von den Wächtern beobachtete sie dabei. Er ging zu ihr und fragte sie, für wen sie Speisen mitnähme. Man brachte sie vor den König, und die Alte gestand, daß sie für ihren Gast seien, der zu Hause geblieben war.

Da wurde der König zornig und schickte Leute aus, ihn unverzüglich zu holen. Der König fragte ihn, wie er es wagen könne, seiner Einladung nicht Folge zu leisten. Der Jüngling antwortete, daß er nicht zum Fest gekommen sei, weil er nicht gern mit einem Lügner am selben Tisch sitze.

«Was soll das heißen», fragte der König. «Wer ist hier ein Lügner?»

«Der Schafhirt, der dein Schwiegersohn werden will», antwortete der Jüngling.

Der König geriet außer sich und sagte zu ihm, er solle sich vorsehen, was er rede, und nur mit Beweisen würde man ihm glauben.

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«Bedenke, der Schafhirt hat uns die Köpfe des Drachens, den er getötet hat, gebracht.»

«Wenn es so ist, mein König - lange sollt Ihr leben - bitte ich euch, die Münder der Köpfe zu öffnen und nachzusehen, ob die Zungen darin sind.»

Sie liefen und brachten die Köpfe und öffneten sie. Und wirklich, es waren keine Zungen da! Der junge Mann öffnete seinen Beutel, zog die Zungen heraus und sagte:

«Die Köpfe können keine Zungen enthalten, denn ich war es, der den Drachen getötet hat, und ich habe die Zungen mitgenommen.»

Der König warf den Schafhirten ins Gefängnis und ließ den Prinzen neben sich an der Tafel Platz nehmen. Als er ihn fragte, ob er seine Tochter zur Frau wolle, sagte dieser, daß er ein anderes Mädchen liebe, das auf seine Rückkehr war­te. Er wolle nur eine Belohnung: Hilfe für seine Rückkehr in die Oberwelt.

Der König antwortete ihm, daß nur die Adler, die außer­halb der Stadt auf dem Berge wohnten, in der Lage seien, ihn in die Oberwelt zu bringen. Um aber zu diesen zu ge­langen, müsse er erst eine riesige Schlange töten, die den Weg versperre.

Nach dem Fest brach der Jüngling auf. Er zog durch Schluchten und stieg über Hügel hinweg. Schließlich gelangte er in das Gebiet nahe bei dem Berge. Dort legte er sich auf die Lauer. Als die riesige Schlange hervorkam, stürzte er sich auf sie, verwundete sie tödlich und schnitt ihr den Kopf ab. Nach dem Kampf legte er sich unter eine Platane und schlief ein.

Als nach einiger Zeit die Adler zurückkehrten und den Jüngling dort unter dem Baum sahen, wunderten sie sich, wer das wohl sei und fürchteten, er wolle ihren Jungen etwas zuleide tun. Aber die Jungen erzählten ihnen, daß der Jüngling die Schlange getötet habe, die immer wieder die Eier der Adler gefressen hatte. Die Freude der Eltern war groß.

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Als der Prinz aufwachte, näherten sich ihm die Adler und fragten, wie sie es ihm vergelten könnten. Der Jüngling bat sie, ihn in die Oberwelt hinauf zu bringen. Sie nahmen ihn auf ihre Flügel, und so gelangte der Prinz endlich wieder in sein Heimatland.

Er bedankte sich bei den Adlern, und diese kehrten um und flogen in ihr eigenes Reich zurück.

Der Prinz war jetzt vorsichtig geworden und begab sich nicht sogleich in das Schloß seines Vaters, sondern ging erst in das Haus des Schneiders und fragte dort nach Arbeit. Der Schneider, der ein gutes Herz hatte, empfand Mit­leid mit ihm und nahm ihn als Gehilfen an. Der Prinz tat jede Arbeit, die man ihm auftrug, und der Schneider war zu­frieden.

Inzwischen war die Trauerzeit für den jüngsten Sohn fast abgelaufen, und der König befahl der jüngsten Prinzessin, sich auf die Hochzeit vorzubereiten. Da verlangte diese von ihm, ihr ein Kleid zu bringen, goldbestickt, mit dem Himmel und den Sternen darauf, hergestellt an einem einzigen Tag; das wolle sie als Braut tragen.

Der König rief den Schneider in das Schloß und gab ihm diesen Auftrag. Der Arme wußte nicht, was tun; der König aber drohte ihm, daß er ihm den Kopf abschlagen lasse, wenn er es nicht zustandebringe.

Tiefbedrückt kehrte der Schneider nach Hause zurück und berichtete seinem Gesellen, was der König von ihm verlange. Der Junge zog aus seiner Tasche die Nuß, die ihm damals das Mädchen gegeben hatte, und sprach zu ihm:

«Dies hier gab mir das Mädchen, das ich liebe. Sie sagte, ich solle es aufbrechen, wenn ich mich in Nöten befinde.»

Er brach die Nuß auf und zog ein goldbesticktes Kleid dar­aus hervor mit dem Himmel und den Sternen darauf, und die ganze Kammer erstrahlte.

Glückselig brachte der Schneider das Kleid zum König. Als das Mädchen es sah, sagte es zu dem Schneider:

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«Dieses Kleid hast nicht du gemacht.»«Nein, Prinzessin, es ist ein Werk meines Gesellen.»«Geh und hol ihn her!»Als das Mädchen den Schneidergesellen sah, warf sie sich

in seine Arme, ging mit ihm zum König und sagte:«Das ist der Mann, den ich liebe, mein König. Er war es,

der meine Schwestern und mich vor dem Drachen gerettet hat.»

Der König erkannte seinen Sohn und umarmte ihn. Da erzählte ihm dieser von seinen Taten und Abenteuern, und der König verheiratete ihn mit der Prinzessin und machte ihn zum König seines Landes. Der Prinz verzieh seinen beiden Brüdern, und sie alle lebten gut, und wir leben noch besser.

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Ρί-e Moix<üt

Vor langer Zeit lebte einmal eine arme Witwe mit fünf Kindern. Um sich und ihre Kinder zu ernähren, ging sie zu einer reichen Nachbarin und knetete ihr den Brotteig; als Lohn bekam sie die Teigreste; zu Hause machte sie davon einen Brei, und so wurden ihre Kinder satt. Sie wuchsen heran und waren ganz pausbäckig. Die Kinder der reichen Nachbarin dagegen blieben bleich und schwächlich. Die reiche Frau wunderte sich, und eines Tages besprach sie es mit einer Freundin; diese sagte ihr, daß die Arme mit den Teigresten das Glück ihrer Kinder mitnehme. Die Reiche glaubte es, und das nächste Mal erlaubte sie der Armen nicht, etwas mitzunehmen. Die Witwe ging weinend zu ihren Kindern zurück. Später jedoch sagte sie ihnen, es sei nicht so schlimm, sie würde in den Wald gehen, und Wildkräuter holen und ihnen daraus ein Essen kochen.

Sie brach mitten in der Nacht auf und kam an ein großes, hellerleuchtetes Haus. Darin saßen zwölf junge Männer bei­sammen und unterhielten sich. Als sie die Witwe sahen, wollten sie wissen, was sie zu dieser späten Stunde in der Gegend zu suchen habe. Sie schilderte ihnen ihre Not. Die Männer brachten ihr etwas zu essen, denn sie merkten, daß sie hungrig war.

Als sie nach dem Essen zusammensaßen, sagte einer der jungen Männer zu ihr:

«Wie geht es euch im März, April und Mai?»«Gut geht es uns in diesen Monaten. Die Felder werden

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grün, die Wiese duftet nach Blumen, der Mensch wird wieder lebendig.»

«Dann sind also diese Monate besser als Juni, Juli und August», sagte ein anderer.

Die arme Frau antwortete:«Aber diese Monate, mein Sohn, lassen doch Saaten und

Früchte reifen mit der Hitze, die sie bringen. Die Dorfleute ernten die Felder ab und haben dann Vorrat für das ganze Jahr. Die armen Leute freuen sich, weil sie keine warme Kleidung brauchen.»

«Aha, so sind diese Monate dem September, Oktober und November vorzuziehen», sprach ein anderer junger Mann.

«Aber nein», antwortete die Witwe. «Auch diese Monate haben ihren Wert. Man erntet Trauben und macht Wein. Es kommen die ersten Regenfälle, die nach der Sommerhitze die Erde erfrischen und uns anzeigen, daß bald der Winter kommt und wir uns vorbereiten müssen, indem wir uns um Holz und Kohlen kümmern.»

«Dann sind gewiß Dezember, Januar und Februar die Monate, gegen welche die Menschen Abneigung haben», schloß ein anderer.

«Aber nein», antwortete die Frau. «Und wißt ihr, warum nicht? Die Menschen sind unersättlich und wollen immerzu arbeiten, um immer mehr zu verdienen. So aber werden sie gezwungen, sich in ihren Häusern zusammenzusetzen und auszuruhen.

Diese Monate haben auch ihr Schönes: den Schnee, die Weihnachtsfeiertage, wo sich alle vergnügen und freuen, die Regenfälle, von denen die Saaten wachsen. Alles ist weise eingerichtet. Alle Monate haben ihren Wert.»

Da stand einer der jungen Männer auf und brachte der Frau einen verpfropften Krug. Er sagte:

«Auf jetzt, Mütterchen. Geh heim und nimm diesen Krug mit, damit du deine Kinder ernähren kannst.»

Die arme Frau bedankte sich und ging nach Hause.

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Es war schon fast Morgengrauen, als sie ankam. Ihre Kin­der schliefen noch. Die Frau breitete ein Leintuch aus und öffnete den Krug, der voller Dukaten war. Als es Tag ge­worden war, ging sie zum Bäcker und kaufte Brot.

Auf dem Rückweg wurde sie von der reichen Nachbarin gesehen, die merkte, daß die arme Frau jetzt auf einmal Geld hatte. Sie trat ihr in den Weg und fragte sie, und die Witwe erzählte ihr die ganze Geschichte. Da wurde die Reiche neidisch und nahm sich vor, auch zu diesen jungen Männern zu gehen.

In der Nacht, nach einem guten Essen, ging sie in den Wald und fand auch die Lichtung mit dem Haus. Die jungen Männer, die drinnen waren, begrüßten sie und sprachen:

«Willkommen, gute Frau. Was treibst du denn hier?»«Ich bin arm», antwortete sie, «und komme, damit Ihr mir

helft.»«Aber wie? Hast du Hunger? Willst du etwas essen?»«Nein, ich bin satt.»«Dann ist's ja gut. Setz dich und erzähl uns erst einmal,

wie es euch im Dorf geht.»Da fing sie an über das Leben der Dorfleute zu sprechen

und deren große Mühsal das ganze Jahr hindurch. «Im März, April und im Mai die viele Arbeit im Haus und auf den Feldern. Dann der Juni, Juli und August mit der Hitze. Welche Plage für die armen Landleute, die den ganzen Tag ihr Korn ernten müssen. Und im September fängt die Schu­le an. Der Oktober ärgert uns einmal mit Kälte, einmal mit Wärme, und im November werden wir müde bei der Olivenernte. Der Dezember erst: die viele häusliche Arbeit für die Festtage. Januar und Februar gar bringen uns um mit ihrem Schnee. Alle zwölf Monate hindurch ist das Leben voll immerwährender Widrigkeiten.»

Die jungen Männer standen auf, um die Frau zu verab­schieden. Sie gaben auch ihr einen zugepfropften Krug und sprachen:

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«Du darfst ihn erst öffnen, wenn du allein in deiner Kammer bist.»

Die Reiche ging fort, voller Freude; sie schloß sich in ihrem Zimmer ein, breitete ein Leintuch aus, entpfropfte den Krug und leerte ihn aus. Heraus kamen unzählige Schlangen, die sich auf sie stürzten und sie lebendig auf fraßen.

So wurden die Kinder der reichen Frau zu Waisen, die ar­me Frau jedoch mit ihrem fröhlichen Herzen gelangte zu Ansehen, und sie und ihre Kinder gediehen.

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Es war einmal vor Zeiten, da lebte eine Frau, die hatte an ihrem Fenster einen Basilikumstrauch, wie es keinen ähn­lichen auf der Welt gab. Das ganze Haus duftete danach. So groß war er, so grün und glänzend waren seine Blät­ter, daß jeder, der des Weges kam, stehen blieb und ihn be­wunderte.

Eines Tages ging der Königssohn unter dem Fenster der Frau vorbei. Er sah den Basilikumstock und der gefiel ihm so gut, daß er gleich an die Tür klopfte und bat, ihm den Basilikumstock zu geben.

«Ich gebe dir dafür so viele Dukaten, wie du willst.»Die Frau überlegte hin und überlegte her. Sie dachte an die

Dukaten und wie arm sie war, und stimmte zu. Sie ver­langte also tausend Dukaten, und der Königssohn ließ ihr das Geld bringen und nahm den Basilikumstock mit nach Hause. Er stellte ihn an sein Fenster und goß ihn morgens und abends.

Der Königssohn war gewohnt, jeden Abend in seinem Zimmer zu essen und sich dann hinzulegen und zu schlafen. Über seinem Kopf brannte eine Kerze und zu seinen Füssen eine Öllampe.

Zu der Stunde, da er einschlief, stieg aus dem Basilikum­stock ein wunderschönes Mädchen, wie es kein zweites auf der Welt gab. Sie tat sich erst gütlich an den Speisen des Prinzen, und dann nahm sie die Kerze und stellte sie an sein Fußende, und die Öllampe stellte sie an sein Kopfende.

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Als der Königssohn am Morgen aufwachte, sah er, daß das Essen verzehrt und Kerze und Lampe vertauscht waren. Er fragte die Wachen, aber die hatten niemanden in sein Zimmer gehen sehen. In der nächsten Nacht geschah das gleiche.

Nun legte sich der Prinz auf die Lauer und stellte sich schlafend, bis das Mädchen gegessen hatte. In dem Augen­blick, wo sie daranging, die Kerze zu nehmen, faßte er sie an der Hand und sprach zu ihr:

«Warum zeigst du dich nicht; willst du dich immer ver­steckt halten?»

«Jetzt hast du mich erhascht», sprach das Mädchen, «bitte, verrate mich niemandem.»

«Gut, wenn du es so willst, werde ich deinen Wunsch achten.»

So stieg Mädchen jeden Abend aus dem Basilikumstock. Sie aßen und unterhielten sich, und der Königssohn freute sich an ihrer Gesellschaft.

Es vergingen mehrere Monate, und eines Tages war Krieg. Auch der Prinz mußte fortziehen, um zu kämpfen. Er trug seiner Mutter, der Königin, auf, morgens und abends den Basilikumstock zu gießen und die Dienerinnen weiterhin am Abend Speisen ins Zimmer bringen zu lassen.

Er sagte ihr,daß kein Fremder das Zimmer betreten dürfe und daß er nur ihr den Schlüssel anvertraue. Dem Mädchen sagte er beim Abschied, sie solle sich keine Sorgen machen, er werde nur kurze Zeit fort sein.

Der Königssohn war seit einiger Zeit mit der Tochter des Wesirs verlobt. Aber seit er den Topf mit dem Basilikum besaß, hatte er mit seiner Braut nichts mehr im Sinne gehabt und immer wieder die Hochzeit mit ihr verschoben. Jetzt da er im Krieg war, nahm die Wesirsfrau ihre Tochter und ging mit ihr ins Schloß, um ihrer Gegenschwiegermutter Gesellschaft zu leisten.

Da bat die Tochter des Wesirs die Königin, ihr das Zimmer

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ihres Verlobten zu zeigen. Die Königin sagte, daß ihr Sohn ihr aufgetragen habe, niemanden hineinzulassen. Die We­sirstochter blieb aber hartnäckig. Um ihr die Freude nicht zu verderben, gab die Königin nach.

Die Wesirstochter ging also hinein und sah das Mädchen aus dem Basilikumstock, das am Fenster saß, hinausschaute und sich die Haare kämmte.

«Ach so ist das», dachte die Wesirstochter, «der Prinz hat hier drinnen ein Mädchen, und darum will er mich nicht.»

Und sie gab dem Mädchen einen Stoß, daß sie hinunterfal­len und sich den Hals brechen sollte. Aber die Sonne, die zu dieser Stunde gerade unterging, fing sie mit ihren Strahlen auf und nahm sie mit sich.

Als die Königin das Zimmer ihres Sohnes wieder betrat, fand sie den Basilikumstock verwelkt. Am nächsten Tag waren auch die Speisen unberührt. Sie sah darin ein böses Vorzeichen für ihren Sohn, aber sie wußte nicht, was sie tun sollte.

Nach zwei Monaten, als der Krieg zu Ende war, kam der Königssohn heim; er ging in sein Zimmer, und als er den verwelkten Basilikumstock sah, machte er seiner Mutter Vor­würfe, weil sie vergessen habe, den Topf zu gießen.

«Ich habe ihn gegossen, mein Sohn», antwortete sie, «und ich weiß nicht, warum er verwelkt ist.»

«Ist vielleicht ein Fremder im Zimmer gewesen.»«Ach ja, eines Tages ist deine Verlobte gekommen und hat

mich gebeten, sie hineinzulassen. Ich habe ihr den Gefallen getan.»

Da wurde der Prinz vor Kummer schwer krank und duldete keinen Menschen in seiner Nähe.

Das Basilikummädchen, oben im Palast der Sonne, fragte diese jeden Abend, ob der Königssohn aus dem Krieg heim­gekehrt sei. Eines Tages antwortete ihr die Sonne, daß er zurückgekehrt, aber todkrank sei. Die besten Ärzte könnten ihm nicht helfen. Das Mädchen bat die Sonne inständig, sie wieder auf ihre Strahlen zu nehmen und in den Basilikum-

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stock zurückzutragen. So geschah es und das Basilikum wurde wieder grün.

Als der Königssohn das sah, jagte er seine Ärzte fort, bestellte sich für den Abend Speisen und schloß sich voller Ungeduld in sein Zimmer ein. Das Mädchen stieg aus dem Basilikumstock und der Prinz nahm sie in die Arme; er fragte sie, was geschehen sei, daß das Basilikum verwelkt war. Sie erzählte ihm alles.

Am nächsten Tag sagte er zu seiner Mutter, sie solle sei­ne Hochzeit ausrichten. So erschien auch die Wesirstochter im Schloß.

Der Prinz erwartete sie in seinem Zimmer. Als sie nahe am Fenster stand, gab er ihr einen Stoß, und sie fiel hinunter und brach sich den Hals.

Am nächsten Tag heiratete der Königssohn das Mädchen aus dem Basilikumstock, und sie lebten gut, und wir leben noch besser.

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Es war einmal vor langer Zeit, da lebte ein Jäger mit seiner Frau. Sie hatten eine einzige Tochter, die hieß Siebengestirn. Die Frau starb, und der Jäger vermählte sich von neuem. Die zweite Frau gebar ein Knäblein, das sie Morgenstern nannten.

Je mehr Siebengestirn heran wuchs, desto neidischer wurde die Stiefmutter auf das Mädchen. Immer wieder schwärzte sie sie bei ihrem Vater an. Sie wollte sie als Sklavin verkaufen.

Dies erfuhr Morgenstern und verriet es seiner Schwester. Die beiden Kinder wußten nicht, was tun.

Eines Tages, als sie außerhalb des Gartens spielten, wurden sie von einer jungen Frau angesprochen - es war die Seele von Siebengestirns Mutter. Die Frau riet dem Mädchen, aus dem Vaterhaus zu fliehen. Sie gab ihr ein Messer, einen Kamm und ein Säckchen Salz. Diese Dinge sollten ihr bei der Flucht helfen.

Die Kinder kehrten in den Garten zurück. Die Stiefmutter rief Siebengestirn zu sich, um ihre Haare zu kämmen. Da packte Morgenstern das Zopfband seiner Schwester und rannte davon, und Siebengestirn rannte hinterher, als wollte sie es ihm wieder wegnehmen. Da waren sie draußen. Die Stiefmutter saß noch da und wartete, daß sie zurückkämen. Aber dann merkte sie die Absicht und ging hinaus, um den Kindern nachzujagen. Fast hatte sie die Kinder erreicht.

Als Siebengestirn die Stiefmutter kommen sah, warf sie das Messer hinter sich, und das Messer wurde zu einem

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Acker. Aber die Stiefmutter rannte über den Acker hinweg und erreichte die Kinder fast. Jetzt warf Siebengestirn den Kamm hinter sich, und der Kamm wurde zu einem dichten Dornengestrüpp. Die Stiefmutter aber durchquerte auch das Gestrüpp. Da warf Siebengestirn das Salz hinter sich, und das Salz wurde zu einem riesigen See. Den konnte die Stiefmutter nicht überqueren. Da verfluchte sie Morgenstern, der ihr Sohn war und mit der Stieftochter ging:

«Wo du bist, sollst du dürsten und sollst Wasser trinken.Aus welchen Tieres Spur du trinken wirst,ein solches Tier sollst du werden.»

Die beiden Geschwister waren schon recht lange gelaufen und Morgenstern bekam Durst.

«Geh weiter», sagte Siebengestirn zu ihm, hinter diesem Berg ist der Brunnen des Königs.»

Nach einiger Zeit sagte der Junge wieder:«Ich halte es vor Durst nicht mehr aus. Ich will Wasser.»Als er die Spur eines Tieres sah und in den Fußstapfen

klares Wasser stand, da wollte er trinken.«Trink nicht, Morgenstern», rief Siebengestirn. «Es ist die

Spur eines Wolfes. Wenn du daraus trinkst, wirst du ein Wolf und frißt mich auf.»

«Dann trinke ich nicht», sagte Morgenstern.Die beiden liefen und liefen. Es wurde Nacht, und sie leg­

ten sich nieder. Siebengestirn schlief gleich ein, Morgenstern aber stand wieder auf und suchte etwas zu trinken. Er fand die mit Wasser gefüllte Fußspur eines Lammes. Er trank daraus - da wurde er zu einem Lamm und blökte. Dann ging er wieder an die Seite von Siebengestirn und schlief ein.

Als Siebengestirn erwachte, sah sie anstelle von Morgen­stern ein Lamm. Sie verstand, was geschehen war.

Die beiden setzten ihren Weg fort, Siebengestirn ging voraus, hinter ihr das Lamm.

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Nach einigen Stunden gelangten sie an den Brunnen des Königs. Dort schöpfte Siebengestirn Wasser, gab zuerst dem Lamm, und trank dann selber.

Neben dem Brunnen stand eine hohe Zypresse. Siebenge­stirn kletterte zur Spitze des Baumes hinauf. Als sie oben war, wurden die obersten Zweige zu einem goldenen Thron. Das Lamm blieb unter dem Baum und graste.

Nach kurzer Zeit kamen die Jäger des Königs, um ihre Pferde zu tränken. Die Tiere waren geblendet von dem blitzenden Gold des Thrones. Sie scheuten und rannten da­von, ohne Wasser zu trinken.

«Komm herunter», riefen die Jäger zu Siebengestirn hin­auf, «denn die Pferde fürchten sich.»

«Ich komme nicht hinunter», sagte Siebengestirn.Da gingen die Jäger zum Königssohn und erzählten ihm

von dem strahlenden Mädchen auf der Zypresse. Auch er ging hin und bat sie herabzusteigen, aber sie wollte nicht.

«Wir werden die Zypresse fällen, wenn du nicht herab­kommst. »

«Fällt sie», sprach das Mädchen, «ich steige nicht hinun­ter. »

Die Jäger begannen den Baum zu fällen, aber immer wenn sie zugeschlagen hatten, beleckte das Lamm die Stelle, und die Zypresse fiel nicht um, sondern wurde noch höher.

Der Königssohn ging zu einer alten Frau, die bekannt war für ihre Klugheit und sprach zu ihr:

«Kannst du das Mädchen von der Zypresse herunterho­len?»

Die Alte lachte:«Aber gewiß, Herr. Ich hole sie mit meinem Backtrog.»Der Königssohn sprach:«Wenn du das fertigbringst, werde ich dir den Trog mit

Dukaten füllen.»Die Alte ging zum Brunnen, stellte einen Backtrog

verkehrt herum auf und ein Sieb verkehrt herum darüber

Page 32: Griechische Volksmärchen

und versuchte Mehl zu sieben. Das Mädchen sah von oben die unnütze Bemühung der Alten und rief ihr zu:

«Andersherum, gute Frau, das Sieb, und andersherum den Backtrog.»

Die Alte tat als höre sie nicht und jammerte:«Ich verstehe dich nicht, mein Töchterchen. Komm herab

und hilf mir.»Da stieg Siebengestirn herab. Der Königssohn, der sich in

der Nähe verborgen hielt, packte sie und setzte sie auf sein Pferd.

Siebengestirn schrie:«Mein Lamm, mein Lamm.»Der Königssohn sprach zu ihr:«Sei nicht traurig, ich gebe dir so viele Lämmer wie du

willst.»«Ich will nicht viele Lämmer. Ich will nur dieses eine.»Was sollte der Königssohn tun? Er befahl, auch das Lamm

in das Schloß zu bringen. Dann heiratete er Siebengestirn. Das Lamm bekam ein Zimmer im Schloß.

Die alte Königin war eifersüchtig auf Siebengestirn und wollte sie los werden. Eines Tages, als ihr Sohn auf der Jagd war, gingen sie beide im Garten spazieren und kamen an ei­nen ausgetrockneten Brunnen.

Da gab die Schwiegermutter Siebengestirn einen Stoß und warf sie hinein. Sogleich be­gann das Lamm zu blöken. Die Königin beschloß das Lamm zu schlachten, weil sie Angst bekam, es würde sie verraten.

Als der Königssohn zurückkam und Siebengestirn nicht vorfand, fragte er seine Mutter, wo sie sei.

«Sie geht draußen spazieren», antwortete die Mutter.Der Königssohn ging hinaus, um seine Frau zu treffen. Da

dachte die Königin, jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, wo sie das Lamm schlachten lassen könne, das sie so ärgerte. Sie gab ihren Dienern den Befehl.

Dies hörte das Lamm; es lief zum Brunnen und erzählte es

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Siebengestirn. Die Diener packten es. Da wußte Siebengestirn keinen Rat mehr und hatte keine Zauberkraft mehr. Ohn­mächtig lag sie im Brunnen und betete zu Gott:

«Errette uns, oh mein Gott! Meinen Bruder vor dem Messer und mich aus dem Brunnen. Hole uns weit weg von der Erde. Wir können die Schlechtigkeit dieser Welt nicht aushalten.»

Gott erhörte ihr Gebet, und die beiden Geschwister wur­den zwei leuchtende Gestirne am Himmel, Morgenstern und Siebengestirn.

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Vor langer Zeit da lebte einmal ein reicher Edelmann, der hatte eine einzige Tochter. Diese stickte ihre Aussteuer. Eines Tages saß sie an ihrem Fenster, und ein Vogel sprach zu ihr:

«Warum stickst du deine Aussteuer?Du wirst einen toten Mann bekommen.»

Das geschah mehrere Male, und das Mädchen erzählte ihrem Vater, was der Vogel ihr gesungen hatte. Sie wollte nicht zu Hause bleiben und zog fort, ihr Glück zu suchen.

Nachdem sie Tage und Nächte gewandert war, erreichte sie ein dunkles Gebäude und trat ein. Sie ging durch viele Zimmer, in keinem war jemand. Im letzten Zimmer fand sie einen schönen jungen Mann, der war tot. In seiner bleichen Hand hielt er ein Stück Papier mit der Aufschrift:

«Wenn jemand hierher kommt und sich neben mich setzt, drei Wochen, drei Tage und drei Stunden lang, ohne zu schlafen, dann werde ich aufstehen und ihn, wenn er ein Mann ist, zu meinem Wesir machen, und wenn es ein Mädchen ist, zu meiner Frau.»

Das vornehme Mädchen, das sich sogleich in den schönen Prinzen verliebte, setzte sich neben ihn und hielt unablässig Wache. Nach drei Wochen und drei Tagen aber, hielt sie es nicht mehr aus. Sie wollte ein wenig schlafen, nur eine oder zwei Stunden, und dann die dritte Stunde wieder wach sein. Als sie draußen eine Zigeunerin Vorbeigehen sah, bat sie diese, sich für zwei Stunden neben den Prinzen zu setzen und

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sie dann aufzuwecken. Die Zigeunerin ließ sie aber weiter­schlafen.

Als der Königssohn nach drei Stunden erwachte, sprach er zu der Zigeunerin :

«Du hast mich befreit aus meinem Verhängnis. Dich nehme ich zu meiner Frau.»

Die Zigeunerin willigte ein und erbat sich von dem Prinzen, daß er das Mädchen, das da schlief, die Gänse hüten lasse. Der Prinz tat ihr den Gefallen. Er war gewiß nicht begeistert von seiner künftigen Gemahlin, und verstohlen schaute er der Gänsemagd nach, aber königliches Wort kann nicht geändert werden.

Nach einiger Zeit mußte der Prinz in den Krieg ziehen. Er fragte seine Frau, was er ihr mitbringen solle. Sie erbat von ihm ein goldenes Gewand, damit ihre Schönheit strahle.

Danach fragte der Prinz auch die Gänsemagd, und diese sprach:

«Ich möchte, daß du mir das Schlachtmesser, den Schleif­stein der Geduld und die Kerze, die nicht abbrennt, mit­bringst; wenn du es vergißt, soll dein Pferd sich nicht von der Stelle rühren.»

Der Prinz zog also in den Krieg und besiegte seine Feinde. Bevor er zurückkehrte, besorgte er für seine Frau das golde­ne Gewand. Die Dinge für die Gänsemagd vergaß er. Erst als sein Pferd sich nicht von der Stelle bewegte, erinnerte er sich an die Worte des Mädchens, ging auf den Markt und kaufte die Sachen. So konnte er heimkehren.

Seiner Frau überreichte er im Thronsaal das wunderschöne Gewand. Die Zigeunerin freute sich sehr. Dann ging er in die Hütte der Gänsemagd und gab ihr die Geschenke. Die Neu­gierde ließ ihn nicht Weggehen; er verbarg sich draußen, um zu sehen, was sie mit den Sachen vorhabe.

Sie legte den Schleifstein der Geduld auf die Erde und legte darauf das Schlachtmesser, und neben das Messer stellte sie die Kerze, die nicht abbrennt. Dann begann sie zu sprechen:

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«Was liegst du da, Schlachtmesser? Erhebe dich und schneide mir den Hals durch.»

Da erhob sich das Schlachtmesser, um ihr den Hals durch­zuschneiden. Aber die Kerze, die nicht abbrennt, flackerte, und der Schleifstein der Geduld zog das Messer zurück.

«Ich war ein Edelfräulein und als ich stickte, kam ein Vogel und sprach zu mir: <Warum stickst du deine Aussteuer? Du wirst einen toten Mann bekommene Aber ich glaubte es nicht. Was liegst du da, Messer, und schneidest mir nicht den Hals durch? Ich fand den Prinzen, den toten, mit dem Zettel in der bleichen Hand und saß drei Wochen und drei Tage neben ihm, ohne zu schlafen; die Zigeunerin saß bei ihm nur drei Stunden und weckte mich nicht auf; und die nahm er zur Frau, und mich machte er zur Gänsemagd. Liegst du immer noch da, Messer?»

Da erhob sich das Schlachtmesser noch höher. Die Kerze verlosch, und der Schleifstein der Geduld konnte das Messer nicht mehr halten.

In diesem Augenblick stürzte der Prinz herein, packte das Schlachtmesser und zerbrach es. Er nahm die Gänsemagd an der Hand, führte sie in das Schloß und nahm sie zur Frau. Die Zigeunerin machte er zur Gänsemagd.

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Es waren einmal vor Zeiten ein Mann und eine Frau, die sich sehr liebten. Sie besaßen alle irdischen Güter, aber ei­nen großen Kummer hatten sie: sie hatten keine Kinder.

Eines Tages, als der Jammer über die Frau kam, erhob sie die Augen zum Himmel und betete zu Gott:

«Mein Gott, ich bitte dich, gib mir ein Kind! Und es soll dir gehören, wann immer du es haben willst.»

Ihr heißer Wunsch wurde erhört, und nach neun Monaten bekam die Frau ein kleines Mädchen. Da herrschte Freude im Haus und die Eltern waren überglücklich. Sie gaben dem Kind den Namen Marioritsa.

Mit der Zeit vergaß die Mutter das Versprechen, das sie gegeben hatte, und freute sich am Gedeihen ihrer kleinen Tochter.

Die Jahre vergingen, und Marioritsa war zwölf Jahre alt geworden. Eines Tages, als sie von der Schule heimkam, erzählte sie ihrer Mutter, sie habe auf der Straße einen alten Mann getroffen, der habe zu ihr gesagt:

«Mein Kind, sag deiner Mutter, sie solle mir geben, was sie mir versprochen hat.»

Als die Mutter das hörte, wurde sie bleich und sagte zu ihrer Tochter:

«Wenn du den Mann wieder siehst, sag ihm, daß du es vergessen hast.»

Am nächsten Tag wartete der Greis wieder an demselben Ort auf Marioritsa:

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«Marioritsa, hast du deiner Mutter gesagt, was ich dir aufgetragen habe?»

Marioritsa sagte, daß sie es vergessen habe. Zu Hause berichtete sie wieder ihrer Mutter, was geschehen war.

Die Mutter sagte: «Wenn er dich wieder anspricht, dann bitte ihn, anderen Sinnes zu werden.»

Aber das half nichts. Er bestand darauf. So mußte die unglückliche Mutter nachgeben. Sie sagte zu Marioritsa:

«Sag, er soll sich das Versprochene holen, wo er's findet.»Am folgenden Tag erwartete der alte Mann Marioritsa

wieder an demselben Platz, und das Mädchen sagte ihm arglos die Worte seiner Mutter. Da nahm der alte Mann Marioritsa an der Hand und stieg mit ihr in den Himmel hinauf.

Nachdem er ihr viele Wunderdinge gezeigt hatte, die es dort oben gibt, führte er sie in ihr Zimmer und sagte ihr, daß dies von nun an ihre Wohnung sei.

Am nächsten Tag, als Marioritsa in der himmlischen Küche war und Kraut schnitt für das Abendessen, liefen ihr die Tränen aus den Augen. Da sie keine Gesellschaft hatte, sang sie für sich allein ihren Kummer:

«Wie diese Krautblätter knacken, knackt das Herz meiner Mutter,Marioritsas wegen.»

Am Abend, als Gott zurückkehrte und sie sich zum Essen setzten, wunderte er sich über den Geschmack des Krautes, das versalzen war; er meinte, das Salz sei ihr beim Kochen hineingefallen. Weil er sie nicht kränken wollte, sagte er nichts.

An den folgenden Tagen war es wieder dasselbe. So beschloß er zu bleiben und heimlich zu beobachten, was geschah. Am nächsten Morgen tat er, als ginge er fort; er verbarg sich aber außerhalb der Küche. Als es an der Zeit war, kam Marioritsa wieder, um Kraut zu schneiden, und wieder begann sie weinend zu singen:

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«Wie diese Krautblätter knacken, knackt meiner Mutter Herz,Marioritsas wegen.»

Da sah Gott, daß es Marioritsas Tränen waren, wovon das Kraut so salzig geschmeckt hatte. Er war gerührt von dem Schmerz des Mädchens! Er rief ein Reh herbei und trug ihm auf, Marioritsa nach Hause zu bringen. Am nächsten Tag verabschiedete er sich von ihr und gab ihr Fleisch mit, da­mit das Reh unterwegs Nahrung habe und den weiten Weg durchhielt.

Marioritsa stieg auf den Rücken des Tieres, und die Reise begann. Das Reh flog stundenlang vom Himmel zur Erde. Marioritsa fütterte es unablässig, wenn es hungrig war, damit es wieder zu Kraft komme. Als sie aber schon die größte Entfernung zurückgelegt hatten und fast daheim angekommen waren, ging das Fleisch zu Ende, und das Reh konnte vor Schwäche den Weg nicht fortsetzen.

Was sollte Marioritsa machen? Sie war ratlos. Sie holte aus und schnitt vom Hinterteil des Tieres ein Stück Fleisch ab und gab es ihm. So legten sie die kurze Strecke zurück, die ihnen noch fehlte; sie erreichten das Haus und Marioritsa stürzte in die Arme ihrer Mutter. Die Freude der beiden war groß. Als die Mutter aber das Blut sah, das von dem Reh herabrann, lief sie in die Küche, holte einen Wattebausch und steckte ihn dem Reh in die Wunde. Seitdem haben die Rehe ein weißes Hinterteil.

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Es lebten einmal in einem Königreich des Westens ein König und eine Königin, zusammen mit ihrem einzigen Sohn Fiorentinos.

Der Junge wurde ein schöner und mutiger Held. Als er zwanzig Jahre alt geworden war, sagte er seinen Eltern, daß er sich vorgenommen habe, eine Reise nach Konstantinopel zu unternehmen und den Sultan zu besuchen. Die Eltern gaben ihm ein Schiff mit seidenen Segeln, das mit Diamanten und anderen Edelsteinen voll beladen war. So brach Fiorenti­nos eines Morgens auf und segelte Tage und Nächte, bis er Konstantinopel erreichte.

An jenem Morgen sahen einige Fischer das schöne Schiff und liefen sogleich zum Sultan, um ihm die Neuigkeit zu melden.

Der trat auf seinen Balkon, bewunderte das Schiff, schickte seine Leute aus, den Prinzen willkommen zu heißen, und lud ihn ein, ihn im Palast zu besuchen.

Als der Sultan erfuhr, daß der Junge ein Königssohn war, erwies er ihm große Ehren, aber im Sinn hatte er etwas anderes. Der Sultan hatte auf dem Kopf einen Grind, und sein Arzt hatte ihm gesagt, daß er, um geheilt zu werden, das Blut eines Königssohns trinken müsse; der müsse das einzige Kind seiner Eltern und zwanzig Jahre alt sein, diesen Königssohn müsse er vierzig Tage lang mit Pinienkernen und Essig füttern. Dann müsse er ihn töten.

Der Sultan ließ darum Fiorentinos in ein Zimmer sperren

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und schickte seine einzige Tochter zu ihm, daß sie ihm Pinienkerne und Essig bringe. Fiorentinos war verwundert und fragte sie, warum man ihn hinter Schloß und Riegel halte. Die Sultanstochter sagte ihm die Wahrheit.

«Iß die Pinienkerne», riet sie ihm. «Aber den Essig schütte in die Ecke, hier gegen die Wand, damit das Mauerwerk auf­weicht. »

Fiorentinos befolgte den Rat der Sultanstochter und so wurde die Wand langsam weich, und Fiorentinos konnte ein Loch graben.

Als die Tochter des Sultans am letzten der vierzig Tage kam, brachte sie eine Strickleiter mit. Fiorentinos hatte das schöne Mädchen liebgewonnen und wollte, daß sie mit ihm gehe.

Er nahm sie also bei der Hand, und sie liefen schnell zum Schiff, das im Hafen lag, und fuhren davon, in die Heimat des Fiorentinos.

Am nächsten Tag, als sich der Sultan zu Fiorentinos be­gab, um ihn töten zu lassen, fand er das Zimmer leer und sah das Loch in der Wand. Als er erfuhr, daß auch seine Tochter fort war, verfluchte er sie:

«Fahr dahin, meine Tochter! Wenn ihr aber angekommen seid, und seine Mutter ihn küßt, soll er dich vergessen.»

Seine Gemahlin, die neben ihm stand und ihn hörte, sprach:

«Hast du kein Mitleid mit deinem eigenen Kind? Mildere den Fluch!»

Da änderte er den Fluch und sprach:«Fahr dahin, meine Tochter! Wenn ihr angekommen seid

und seine Mutter ihn küßt, soll er dich vergessen. Aber wenn sie ihn wieder küßt, dann soll er sich deiner erinnern.»

Die Tochter des Sultans, die auch Zauberkräfte hatte, hörte den Fluch ihres Vaters und erzählte es Fiorentinos. Der lachte nur und versprach ihr achtzugeben, daß seine Mutter ihn nicht küsse.

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Als die beiden in dem Hafen des westlichen Königreiches angekommen waren, ließ Fiorentinos seine Braut auf dem Schiff zurück und begab sich in das Schloß seiner Eltern, um erst später mit großem Gefolge die Prinzessin abzuholen, wie

Als er in das Schloß kam, stürzte er in die Umarmungen seiner Eltern, die ihn verloren geglaubt hatten, und seine Mutter gab ihm einen Kuß.

Die Tochter des Sultans, nachdem sie die ganze Nacht gewartet hatte, erkannte, daß die Mutter den Fiorentinos geküßt und daß Fiorentinos sie vergessen hatte.

Sie ging an Land und nahm Wohnung in einem Haus am

An der Straße, die zum Schloß führt, ließ sie ein schö­nes Badhaus bauen aus Marmor und Alabaster. Es wurde ein ganz prächtiges Badhaus. Die feinen Leute der Stadt wurden neugierig und wollten die wunderschönen Säle und kühlen Brunnen sehen und fingen an, das Bad zu besuchen. Die Sultanstochter erzählte ihren ersten Kunden die schönsten Geschichten des Ostens.

Das sprach sich rasch in der Stadt herum, und die Leute waren entzückt von der Schönheit und den Märchen des Mädchens.

Eines Tages beschloß auch die Königin dieses Bad, von dem alle Welt sprach, zu besuchen. Das Mädchen pflegte sie aufs allerbeste und dabei erzählte sie ihr die Geschichte einer unglücklichen Sultanstocher, die einen Königssohn gerettet hatte, der sie daraufhin in seine ferne Heimat mitnahm und dort ihrem einsamen Schicksal überließ. Die Königin war gerührt und wollte ihr beim Weggehen einen Beutel Dukaten geben. Das Mädchen aber sprach:

«Ich kann von Euch, Herrin, kein Geld als Lohn nehmen. Ich bitte Euch jedoch, daß Ihr, sobald Eure Hoheit in das Schloß zurückgekehrt ist, Eurem Sohn diese Geschichte er­zählt und ihm dann einen Kuß gebt. Vergeßt es ja nicht!»

es ihr gebühre.

Hafen.

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Die Königin wunderte sich, aber sie tat dem Mädchen den Gefallen. Da war Fiorentinos von dem Fluch erlöst. Er lief zum Bad und holte seine Braut ins Schloß, um sie zu seiner Frau zu machen.

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Auf Santorin lebte vor Zeiten ein armer Häusler. Den ganzen Tag arbeitete er, aber jeden Sonntag setzte er sich hin und spielte auf seiner Flöte.

Eines Sonntags erschien eine Schlange, hörte seinem Spiel zu und begann nach der Musik zu tanzen. Anfangs fürchtete sich unser Mann, aber schließlich freute er sich und spielte immerzu, und die Schlange tanzte und tanzte. Als sie des Tanzens müde war, verschwand sie und ließ ein Beutelchen voll Geld zurück. Dies brachte der Flötenspieler seiner Frau. Er erzählte ihr die ganze Geschichte und trug ihr auf, kein Sterbenswörtchen zu verraten, denn dies sei der Haussegen, und der würde sicherlich verloren gehen, wenn die Leute davon erführen.

Am nächsten Sonntag warteten sie, was geschehen werde. Es geschah dasselbe wie vor einer Woche. Ein Jahr lang ging es so, und sie brachten viel Geld zusammen und hatten ein angenehmes Leben.

Aber nach einem Jahr kam die Schlange nicht wieder. Der Flötenspieler beschloß, in dem Loch, aus dem sie gekommen war, zu graben; er fand die Schlange darin, zusammengerollt, tot. Der Flötenspieler war sehr bekümmert über den Verlust dieser Wohltäterin. Er nahm die tote Schlange mit und begrub sie in seinem Garten.

Nach kurzer Zeit wuchs an der Stelle, wo die Schlange begraben war, ein sonderbares Bäumchen, wie es auf der ganzen Welt kein ähnliches gab. Der Flötenspieler grub und

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sah, daß die Wurzeln aus dem Körper der Schlange hervor­kamen. So nannte er das Bäumchen Schlangenbaum. Die Leute, die vorübergingen, blieben immer wieder stehen, um den seltsamen Baum anzuschauen. Immer wenn jemand fragte, was für ein Baum es sei, sagte der Mann:

«Rate doch! Wenn du den Namen herausfindest, hast du gewonnen, findest du ihn nicht, habe ich gewonnen.»

So versammelten sich jeden Sonntag viele Dorfleute und wetteten. Und immer verloren sie, denn keiner kam darauf, daß es ein Schlangenbaum war. Sie rieten:

«Apfelbaum? Birnbaum? Pfirsich? Granatapfel?»Alle verloren. Der Flötenspieler verdiente immer mehr

Geld mit den Wetten.Ein schlauer Hausierer aber ging mit seiner Ware zu der

Frau des Flötenspielers. Und als diese alles, was sie wollte, ausgesucht hatte, ließ er sie nichts bezahlen, um Freundschaft mit ihr zu schließen. Nach und nach brachte er ihr immer mehr schöne Sachen, und eines Tages verlangte er von ihr, das Geheimnis des Baumes zu erfahren. Sie fragte ihren Mann und warf ihm vor, sie nicht zu lieben und ihr deshalb den Namen des Baumes nicht zu nennen. Da tat er ihr den Gefallen und sagte ihr, daß er ihn Schlangenbaum genannt habe, weil seine Wurzeln aus der toten Schlange getrieben hätten. Die Frau erzählte es dem Hausierer.

Am Sonntag fingen wieder die Wetten an. Es kam auch der Hausierer, und er sprach:

«Ich wette um mein ganzes Vermögen. Setzt du auch alles ein, was du hast?»

Der Flötenspieler war verdutzt. Er dachte aber, daß nie­mand über den Baum Bescheid wisse, und nahm die Wette an.

«Heißt er Frankenapfelbaum?»«Nein, die erste Runde hast du verloren.»«Heißt er Pomeranzenbaum?»«Nein, auch die zweite hast du verloren.»«Er heißt... er heißt... heißt er etwa Schlangenbaum?»

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Der unglückliche Flötenspieler fing an zu zittern. Er war dabei, alles zu verlieren, aber er mußte die Wahrheit sagen. So wurde er ärmer als vorher. Er verjagte seine undankbare Frau und ging verzweifelt in die Welt hinaus.

Dort wo er wanderte, traf er eine alte Frau, die ihn fragte, wohin er gehe, und er antwortete, daß er ein armer Mann sei, den das Glück verlassen habe. Da schickte ihn die Frau zur Sonne, damit er sein Glück fände.

Nachdem der Flötenspieler viele Tage herumgeirrt war, gelangte er endlich zum Haus der Sonne. Als diese am Abend nach Hause kam, um zu schlafen, fragte der Flötenspieler sie, was er tun solle. Sie antwortete:

«Los, kehr in dein Dorf zurück und wette mit dem Hausierer um deine ganze Habe, daß die Sonne morgen früh im Westen, also über Akrotiri auf gehen werde und nicht wie sonst im Osten, über Anafi.»

«Ja, aber ich habe doch keinen Heller, um mit dem Hausierer zu wetten.»

«Mach dir darum keine Sorgen. Grabe bei den Wurzeln des Schlangenbaums; dort findest du einen Beutel mit Talern.»

Der Mann dankte der Sonne und kehrte in sein Dorf zurück. Er grub bei den Wurzeln des Schlangenbaumes und fand wirklich einen Beutel voll Taler. Nun suchte er den Hausierer auf. Als dieser von der Wette hörte, dachte er, der Flötenspieler sei vor Kummer verrückt geworden. Er nahm die Wette an und rief mehrere Bekannte als Zeugen herbei.

So erwarteten alle am nächsten Morgen den Aufgang der Sonne. Der Himmel erstrahlte, und die Sonne erschien mit aller Pracht über Akrotiri.

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Es war einmal ein König, der hatte eine sehr schöne Tochter. Um diese Prinzessin bewarben sich viele Königssöhne, aber sie wollte keinen von ihnen. Der Vater ließ ihr jeden Abend ein Paar seidene Schuhe unter das Kissen legen, und jeden Morgen fand man diese durchgelaufen. Diese zerschlissenen Schuhe gab er jedem, der um die Prinzessin warb, als Rät­sel auf.

Von allen Enden der Welt kamen die Prinzen, das Rätsel zu lösen, aber vergeblich. Alle bezahlten ihren Mißerfolg mit dem Leben.

Da beschloß wieder einmal ein Königssohn, das Geheim­nis zu ergründen. Seine Eltern hatten großen Kummer, aber er blieb standhaft.

Unterwegs traf der Königssohn eine alte Frau, die ihn fragte, wohin er gehe. Er erzählte ihr die Geschichte der Prinzessin und daß er jetzt auf dem Weg zu ihr sei, um das Rätsel zu lösen. Die Alte sagte zu ihm:

«Mir tut deine Jugend leid, mein Sohn, deshalb gebe ich dir etwas, das dir helfen wird. Da, nimm diese Kappe. Wenn du sie auf den Kopf setzt, wirst du unsichtbar sein. Paß aber auf, daß du am ersten Abend im Schloß nicht von dem Wein trinkst, den die Prinzessin dir geben wird, sondern tu nur so, als ob du tränkest, damit das Mädchen dich für berauscht hält. Wenn sie dann weggeht, setz die Kappe auf und folge ihr.»

Der Königssohn freute sich sehr über beides, was die Alte

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ihm gegeben hatte, das Geschenk und den Ratschlag; er fragte sie, wie er das Gute, das sie ihm erwiesen habe, ver­gelten könne.

«Ich will nichts, mein Kind», antwortete sie, «denn ich bin deine gute Fee.»

Der Königssohn setzte seinen Weg fort und gelangte zum Schloß des Vaters der Prinzessin. Er trat vor ihn und sagte, er sei gekommen, seine Tochter zur Frau zu gewinnen. Dem König, der ein guter Mensch war, tat der junge Mann leid und er sagte zu ihm, daß seit nunmehr drei Jahren schon viele Prinzen sich eingefunden hätten, um das Rätsel zu lösen, aber es nicht vermocht hätten und umgekommen seien. Der Königssohn bestand aber darauf, sein Glück zu versuchen.

Am Abend empfing ihn die Prinzessin und ließ ihm ein prächtiges Mahl bereiten. Sie selber wartete ihm auf und schenkte ihm aus einer gesonderten Kanne den Wein ein. Er tat so, als trinke er und stellte sich dann betrunken. Man brachte ihn ins Bett - das stand im Zimmer der Prinzessin -, und die Diener gingen weg.

Als es Nacht geworden war, stand die Prinzessin auf, schmückte sich mit Diamanten, zog ihre seidenen Schuhe an und ging fort. Da setzte der Prinz die Zauberkappe auf und folgte ihr.

Die Prinzessin lief durch Einöden und Dornengestrüpp; immer wieder hörte sie Schritte hinter sich, und dann drehte sie sich um, sah aber nichts. Sie rannte weiter und erreichte schließlich einen Palast, wo ein Zauberer wohnte. Der fragte sie, warum sie sich heute so verspätet habe. Sie antwortete, daß wieder ein junger Mann gekommen sei, um sie zur Frau zu nehmen, und sie ihn erst habe schläfrig machen müssen.

Der Zauberer nahm die Prinzessin bei der Hand und führte sie in einen großen Saal, in welchem ein gedeckter Tisch stand. Der Teller der Prinzessin, ihre Gabel und ihr Löffel waren mit Diamanten verziert.

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Der Zauberer und die Prinzessin aßen die köstlichen Speisen, die auf dem Tisch standen. Als sie ihr Mahl beendet hatten, traten vierzig schwarze Katzen in den Saal. Jede von ihnen trug ein Musikinstrument. Sie fingen an zu spielen. Die Musik, die sie machten, ließ das Schloß in seinen Grundmauern erbeben. Der Zauberer und die Prinzessin fingen an, wild zu tanzen. Da ging der unsichtbare Königs­sohn an den Tisch und steckte den Teller, die Gabel und den Löffel der Prinzessin unter sein Hemd.

Als die Schuhe der Prinzessin ganz zerschlissen waren, beendete der Zauberer den Tanz und begleitete die Prinzessin zum Tor. Der Prinz folgte ihnen und im Hinausgehen brach er einen Zweig ab aus einem Blumenstock mit fremdartigen Blüten.

Er überholte die Prinzessin, kam vor ihr in das Zimmer im Schloß, legte sich in sein Bett und stellte sich schlafend. Als eine Weile später die Prinzessin zurückkam, betrachtete sie ihn, um zu sehen, ob er schlafe, beruhigt zog sie ihre Schuhe aus, stellte sie unter ihr eigenes Bett und schlief ein.

Am nächsten Morgen schickte der König Leute, den Prinzen zu holen. Sie fragten ihn, ob er erklären könne, wovon die Schuhe der Prinzessin zerschlissen waren. Der Prinz verlangte, daß auch die Prinzessin komme, um ihn zu hören.

Er erzählte alles von Anfang an, von dem Wein mit dem Schlafmittel und von dem nächtlichen Abenteuer der Prin­zessin. Die bestritt alles. Da zog der Prinz den Teller, den Löffel und die Gabel und den Zweig von dem Blumenstock unter seinem Hemd hervor. Da mußte die Prinzessin alles zugeben.

So wurde der Bann gelöst, den der Zauberer, der sie ihrer Schönheit wegen für sich haben wollte, über sie gelegt hatte. Der Prinz nahm die Prinzessin zur Frau; drei Tage und drei Nächte dauerten die Lustbarkeiten und Festgelage. Ich war auch eingeladen.

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Es war einmal eine Frau mit zwei Töchtern, Malamo und Lenio. Lenio war faul, und immer wenn die Mutter sie um eine Arbeit bat, fand sie irgendeine neue Ausrede. Malamo aber schlug ihrer Mutter nie einen Wunsch ab. Deshalb war sie es, die alle Gänge erledigte.

Eines Tages, es war Heiliger Abend, schickte die Mutter sie zur Mühle, Mehl mahlen zu lassen. Malamo belud ihr Eselchen mit zwei Säcken Weizen und brach auf. Viele Leu­te warteten vor der Mühle, und Malamo war die allerletzte. Als sie an die Reihe kam, war es schon Mitternacht, und die zwölf Rauhnächte hatten begonnen. Während sie in der Mühle wartete, bis der Weizen gemahlen war, setzte sich Malamo auf einen Sack; nur eine Öllampe hatte sie zur Ge­sellschaft.

Plötzlich waren Schritte zu hören. Die Tür ging auf, und zehn Poltergeister drangen ein. Sobald sie Malamo bemerk­ten, gingen sie auf sie zu und streckten ihre Hände aus, um sie zu packen.

«Welch ein Festtagsschmaus», sagten sie zueinander.Malamo fürchtete sich, aber um Zeit zu gewinnen, sprach

sie zu ihnen:«Das verstehe ich nicht. Ihr Poltergeister wollt doch an

einem solchen Tag etwas Besonderes; mit dem lumpigen Kleid, das ich trage, bin ich nicht viel wert. Bringt mir ein schönes Kleid, und ihr werdet den Unterschied sehen.»

Da liefen die Poltergeister gleich los und brachten ihr ein

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goldenes Kleid, das ließ wahrhaftig die Schönheit des Mädchens leuchten. Malamo tat, als wäre sie nicht zufrieden. Sie sagte, es fehlten die passenden Schuhe, ihre eigenen Holzpantoffeln wirkten lächerlich zu einem solchen Kleid. Die Geister brachten ihr auch Schuhe, aber jetzt verlangte Malamo eine schöne Tasche, dann einen Mantel und was ihr sonst noch alles in den Sinn kam, bis es schließlich zu dämmern begann. Das Sonnenlicht drang durch das Fenster der Mühle, und die Poltergeister verschwanden im Nu.

Malamo kehrte mit dem Mehl und mit allen diesen wunderschönen Sachen nach Hause zurück. Sie erzählte der Mutter und der Schwester ihr Abenteuer. Da faßte Lenio den Entschluß, auch in die Mühle zu gehen, vor dem Dreikönigs­tag, damit die Poltergeister ihr auch so schöne Geschenke machen können.

Sie lud einen Sack Weizen auf das Eselchen und ging ganz langsam zur Mühle, um die Letzte zu sein, wie am Vorabend des Weihnachtsfestes ihre Schwester. Die Polter­geister erschienen auch wirklich und gingen auf Lenio los. Lenio sah, daß sie keine Geschenke dabei hatten; sie bekam Angst und fing zu schreien an. Der Müller hörte sie, lief herbei und begann das Dreimalheilig zu singen. Bevor er es aber beenden konnte, zerkratzten die Poltergeister Lenios Gesicht, und die Arme kehre mit leeren Händen nach Hause zurück.

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Η νεράιδα Ο Κοντορεβιθούλης Η μηλιά του βασιλιά Οι δώδεκα μήνεςΗ γλάστρα με το βασιλικό Η Πούλια και ο Αυγερινός Η χηναρού Η Μαριωρίτσα Ο Φιορεντίνος Τα στοιχήματα του φλαουτατζή Τα λυωμένα παπούτσια Οι καλικάντζαροι

Die Nereide Kichererbsling Der Apfelbaum des Königs Die zwölf Monate Der BasilikumstockSiebengestirn und Morgenstern Die Gänsemagd Marioritsa Fiorentinos Die Wetten des Flöten­spielers Die zerschlissenen Schuhe Die Poltergeister

Originaltexte, die schon Anfängern zugänglich sind

DeutscherTaschenbuchVerlag

978342309286901180