GUTE ENTSCHEIDUNGEN TREFFEN Die Pizza- · PDF fileDamasio, A.: Descartes’ Irrtum....

download GUTE ENTSCHEIDUNGEN TREFFEN Die Pizza- · PDF fileDamasio, A.: Descartes’ Irrtum. Füh-len, Denken und das menschliche Gehirn. München: List 1994. Storch, M.: Das Geheimnis kluger

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  • BESSE R DENKEN

    GUTE ENTSCHEIDU NGEN TREFFEN

    Die Pizza-Probe

    86 GEHIRN & GEIST 1/2004

    Von Maja Storch

    Stndig diese schwierigen Entscheidun-gen! Soll ich nun die schwarze oder die blaue Hose anziehen? Bestelle ich eine Salami- oder eine Thunfi schpizza? Oder auch ganz zentrale Fragen der Lebensplanung: Was soll ich studieren? Ist das der richtige Partner fr mich? Will ich Kinder haben?

    Lange galt als sonnenklar: Um die richtige Wahl zu treffen, muss man den Verstand bemhen. Emotionen und Krperempfi ndun-gen Bauchgefhle oder Herzenswnsche etwa stellen meist nur Strfaktoren dar, die den Intellekt an seiner Arbeit hindern. Auch Bemerkungen wie Sei doch vernnftig! oder Jetzt denk doch endlich mal nach! deuten in dieselbe Richtung: Nur wer versteht, seine Ge-fhle zu kontrollieren, kann gute Entscheidun-gen fllen. Denn Emotionen verwirren und stren das sachliche Denken.

    Oder etwa nicht? Antonio Damasio ist da jedenfalls ganz anderer Meinung. In seinem Buch Descartes Irrtum widersprach der amerikanische Neurowissenschaftler 1994 der gngigen Ansicht und stellte dort erstmals sei-ne Theorie der somatischen Marker einer breiteren ffentlichkeit vor. Diese besagt, dass Gefhle und Krperempfi ndungen keine Hemmnisse darstellen, die es zu berwinden gilt, sondern im Gegenteil einen wesentlichen Bestandteil der menschlichen Vernunft.

    Unentbehrliche GefhleWie kam Damasio auf diese Idee? Durch die Lebensgeschichte von Phineas Gage, der 1848 mit 25 Jahren einen schweren Unfall erlitt. Gage war damals als Vorarbeiter bei einer Ei-senbahngesellschaft angestellt und galt als u-erst zuverlssig. Whrend er an einem Felsen Sprengungsarbeiten beaufsichtigte, explodier-te durch Unachtsamkeit eine Ladung zu frh. Dabei wurde eine Eisenstange, die er in den Hnden gehalten hatte, durch seinen Schdel hindurchgetrieben.

    Erstaunlicherweise berlebte das Opfer diesen Unfall und gewann bald wieder seine

    gute krperliche Verfassung zurck. Was sich jedoch gravierend vernderte, war Gages Per-snlichkeit. Er erwies sich nicht mehr als be-sonnen und zuverlssig, er entwickelte keine brauchbaren Plne fr die Zukunft und miss-achtete laufend gesellschaftliche Regeln. Kurzum er verhielt sich insgesamt auf eine Art und Weise, die ihm im Umgang mit ande-ren deutlich mehr schadete als nutzte. Ganz of-fensichtlich war er nicht mehr in der Lage, vernnftige Entscheidungen zu treffen. Dama-sios Frau Hanna, selbst Wissenschaftlerin, re-konstruierte auf Grund der Aufzeichnungen von Gages Arzt den Durchtrittsweg der Eisen-stange am Computer. Damit lieen sich die bei dem Unfall verletzten Hirnregionen identifi -zieren: Sie liegen hinter der Stirn, im so ge-nannten Frontallappen des Gehirns.

    Angeregt durch diesen Fall machte sich Damasio daran, einen seiner eigenen Patienten zu untersuchen: Elliot hatte bei einer Tumor-operation vergleichbare Hirnverletzungen wie Phineas Gage erlitten. Vor allem eine Hirn-region am Vorderkopf, die so genannte ventro-mediale prfrontale Region der Grohirnrinde, war betroffen. Wie bei Gage vernderte sich auch Elliots Persnlichkeit auffllig, nachdem er von der Operation genesen war. Durch un-vernnftiges Geschftsgebaren verspielte er in krzester Zeit all seine Ersparnisse, seine Ehe ging in die Brche und er verlor seinen Arbeitsplatz.

    Im Unterschied zu Gage konnte Damasio seinen Patienten systematisch mit modernsten Methoden untersuchen. Das berraschende Ergebnis: Vllig normale Leistungen in allen gngigen Tests. Sowohl Elliots Intelligenz und sein Gedchtnis als auch seine allgemeine Aufmerksamkeit, sein rumliches Vorstel-lungsvermgen sowie sein Umgang mit Zah-len und Sprache waren absolut intakt. Doch wenn es darum ging, vernnftige Entscheidun-gen im sozialen und persnlichen Bereich zu treffen, versagte er klglich.

    Nicht nur das: Der Patient litt auch unter deutlicher Gefhlsarmut. Er berichtete, dass er bei Dingen und Themen, die ihn vor seiner

    Unser Krper bewertet alle Erfahrungen, die wir machen, und reagiert daraufhin

    auf neue Situationen mit positiven oder negativen Signalen. Diesen unbewuss-

    ten Wissensschatz knnen Sie im Alltag nutzen.

    Verwirrende Emotionen

    Kribbeln in den Mundwinkeln

  • r

    Operation emotional intensiv berhrt htten, nichts mehr empfi nden knne weder positiv noch negativ. Fr Damasio stand bald fest, dass beide Mngel untrennbar miteinander zu-sammenhngen: Gefhle sind fr gute Ent-scheidungen unentbehrlich.

    Wie eine Faust im MagenHirnforscher gehen heute davon aus, dass der menschliche Denkapparat ber ein so genann-tes emotionales Erfahrungsgedchtnis verfgt. Es beginnt schon vor der Geburt zu arbeiten und speichert Erlebtes auf einer nicht sprachli-chen, unbewussten Ebene in Form von Gefh-len oder Krperempfi ndungen. Auch Tiere be-sitzen dieses Gedchtnis. Jede Erfahrung, die dort gespeichert ist, wird mit einer Bewertung versehen. Dies geschieht nach folgendem Prinzip: Hat die Erfahrung das Wohlbefi nden des Individuums gefrdert, wird sie mit einem guten Gefhl markiert; war sie ihm abtrglich, erhlt sie ein schlechtes emotionales Etikett.

    Trifft nun ein Reiz ein, sendet der Krper innerhalb von Sekundenbruchteilen entweder angenehme oder unangenehme Signale aus je nachdem, welche Bewertungen im emotio-nalen Erfahrungsgedchtnis gespeichert sind. Damasio nennt diese Krperbotschaften posi-tive beziehungsweise negative somatische Marker abgeleitet vom griechischen Wort soma fr Krper. Einige Menschen spren sie direkt als Krperempfi ndungen, etwa als angenehme Wrme im Bauch oder Kribbeln in den Mundwinkeln. Negative Marker hingegen lassen ihre Beine zittern oder die Kiefer ver-krampfen. Andere wiederum beschreiben ihre somatischen Marker als Emotionen. Sie be-richten von einem Freiheitsgefhl, das den Brustkorb zu weiten scheint, oder von Lebens-freude, die sich im ganzen Krper ausbreitet. Mitunter hren sich entsprechende Beschrei-bungen fast poetisch an: wie das Aufblhen einer Sonnenblume im Bauch, wie orange-rotes Funkensprhen oder aber auch wie wrgende Hnde am Hals beziehungsweise wie eine Faust in die Magengrube.

    Um einen somatischen Marker auszulsen, gengt es sogar, sich eine Situation einfach nur vorzustellen. Auf diese Weise ist es mg-lich, Probelufe schwieriger Entscheidungen durchzufhren, indem man sie im Geiste vor-wegnimmt. ber das Signalsystem der somati-schen Marker hat der Mensch jederzeit Zu-gang zu seiner gesamten Lebenserfahrung und genau dieser war sowohl Phineas Gage als auch Elliot abhanden gekommen.

    Doch nicht nur Patienten mit Schden im Stirnhirn nutzen die Signale ihres Krpers zu wenig. Denn die Fhigkeit, diese wahrzuneh-men, ist heute bei vielen Menschen verkm-

    mert. Andere wiederum schieben ihre uner-wnschten somatischen Marker einfach bei-seite und ignorieren sie schlielich ist bei Entscheidungen nach allgemeiner Ansicht ja nur der khle Intellekt gefragt. Doch genau so entstehen oft belastende Situationen, wie sie die meisten Menschen kennen.

    Warmer Wein und weiche BrezelnEin Beispiel: Auch Sie haben sich sicherlich schon mit rationalen Argumenten zu Nettig-keiten breitschlagen lassen, die Sie hinterher bereuten. Bei vielen Menschen ist das gerade-zu an der Tagesordnung. So bernimmt der eine im Beruf stndig zustzliche Prsentatio-nen, obwohl sein Zeitplan bereits randvoll ist. Ein anderer erklrt sich immer wieder dazu bereit, auf den Nachbarshund aufzupassen, auch wenn er das eigentlich lstig fi ndet und obendrein noch Besuch erwartet. Und manch einer hat schon wiederholt fr den einzigen freien Samstag des Monats eine Einladung von Geschftspartnern angenommen, die er dann bei lauwarmem Weiwein und weichen Salzbrezeln zhneknirschend absa.

    Wer sich an den Augenblick solcher (Fehl-) Entscheidungen zurckerinnert, stellt oft fest, dass er dabei ein ungutes Gefhl hatte nur

    Qual der Wahl Nicht nur bei Essensfragen sollte man fter auf seine Bauchgefhle hren.

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    Angenehme Wrme im Bauch

    COR

    BIS

  • BESSE R DENKEN

    hat er nicht darauf gehrt. Um das in Zu-kunft zu verhindern, lassen sich somatische Marker gezielt einsetzen. Es gilt dabei, die Warnrufe des Krpers aufmerksam zu beob-achten und bei Entscheidungen bewusst zu be-rcksichtigen. Denn: Weil diese Signale der persnlichen Erfahrung entstammen, liefern sie uns meist zuverlssige Anhaltspunkte da-fr, was einem gut tut und was besser vermie-den werden sollte. Die Aufmerksamkeit fr das, was in Ihrem Krper geschieht, hat also nichts mit lila Latzhosen, Gesundheitssanda-len oder Rucherstbchenkultur zu tun. Sie ist vielmehr eine unverzichtbare Hilfe fr ein gu-tes Leben und fr kluge Entscheidungen.

    In bestimmten Situationen empfi ehlt es sich jedoch, entgegen seiner somatischen Mar-ker zu handeln etwa bei einem Zahnarzt-termin. Das emotionale Erfahrungsgedchtnis kramt da gleich smtliche gespeicherten unan-genehmen Erinnerungen hervor und empfi ehlt strikte Vermeidung. Hier zeigt sich der Vorteil eines planenden Verstands. Ein Mensch kann lngerfristige strategische Ziele bercksichti-gen hier etwa dasjenige, seine Zhne gesund zu erhalten und daher anders handeln, als die somatischen Marker ihm zunchst nahe legen. Darum geht er schlielich meist doch zum Zahnarzt, wenn auch unter Umstnden mit schlotternden Knien.

    Ziel: ein Leben im GrnenAuch die sechzigjhrige Frau, die sich nach dem Tod ihres Mannes ein kleines Haus am Waldrand fr ihren Lebensabend kaufen mchte, muss zunchst gegen ihre Krpersig-nale ankmpfen. Sie sei so erzogen worden, berichtet sie, dass eine allein lebende Dame Angst vor Rubern und Vergewaltigern haben msse. Doch diese Einstellung lsst sich ber-winden.

    Denn genauso, wie ihr Gehirn einst eine Verbindung zwischen allein und vermei-den knpfte, kann es diese Assoziation wie-der verlernen zumindest so weit, dass die Frau sich ihren Wunsch nach einem Leben im