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    Untersuchungenber

    Aiigustins Erkenntnistheoriein ihren Beziehungen zur antiken Skepsis,

    zu Plotin und zu Descartes.

    Von

    Dr. Hermann Leder.

    M H r I.) u r g.N. (i. Elwert'sche V e r 1 af^ s bnc h h a n d 1 iiiij

    1901.

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    906?im 2 5 1957

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    Inhalt.Seite

    I. Teil. Au^rustius Verhltuis /.ur ai'

    Die Werke Augustins sind nach der Benedictiner-Ausgabe (Abdruckvon Migne) und die Enneaden Plotins nach der Edition von R. Volkmann(Leipzig 1884) zitiert.

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    Verbesserungen.S. 7 Z. i; 1. und. S. 16 Z. 11 I. der. S. 18 Z. 3 v. u. 1. unmittel-

    bare. S. 33 Z. 19 1. Man. Sf. 3.5 Z. S 1. der. S. 40 Z. 17 1. un-bekmmert. S. 43 Z. 9 V. u. I. opinid. S. .52 Z. 10 1. Wissen.

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    I. Teil.Aiigiistins Verhltnis

    zur akademischen Skepsis.')L Die Aufgabe.

    Die philosophische Grundlage fr Augustiiis Bekehrung undfr seine gesamte sptere Weltanschauung ist, das entnehmenwir seinen Bekenntnissen", der Platonisraus. Es ist bekannt,ilass er nach manchen Umwegen an dieses Ziel gelangte einelange Zeit manichischer Spekulation und eine kurze, aber nichtminder bedeutsame als Anhnger der akademischen Skepsismusste er durchlaufen, ehe sein glhendes Verlangen nach philo-sophischer Erkenntnis in den Schriften der Platoniker ein Gengefand. Da uns ein ungnstiges Geschick die Uberset/Aingendes Victorinus Rhetor, die ihm den Piatonismus zugnglichmachten, entrissen hat, so dass wir nicht einmal mehr die Titel derbersetzten Bcher bestimmen knnen, ist es eine recht schwierigeAufgabe Augustins Entwicklung vom Manichismus zur Skepsisund von dieser zum Piatonismus in historischer Klarheit zu er-fassen. Und duch mssen wir es in Anbetracht der entschei-denden Bedeutung dieser Wandlung versuchen, den Schwierig-keiten Trotz zu bieten und uns aus Augustins eigenen Aus-einandersetzungen mit den Akademikern ein Bild zu entwerfenvon den historischen Beziehungen und den gedanklichen Motiven,

    l) Litteratur: P. Natorp, Forschungen z. Gesch. d. Erkenntuisprohl.im Altertum. Berlin 1884. R. Hirzei, Unters, zu Ciceros philos. Sehr. III.Leipzig 1882,'83. D. hlmanu, De S. Augustini dialogis in Cassiciaco scriptis.Diss. Arjreut. 1897.

    BQ,L4-

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    2 die ihn zum Abfall von der Skepsis bewogen haben. Wir erhaltenso den Schlssel zum Verstndnis der gesamten PhilosophieAugustins, denn seit seiner Bekehrung zum Piatonismus hat ereine grundstzliche nderung seines Standpunktes nicht mehrvorgenommen, so sehr allerdings im Alter das kirchliche Interesseden philosophischen Eifer iler Jugend zu verleugnen, seine Frchtezu beschneiden bestrebt war.

    y Augustins philosophische Bildung ist zum grossen Teil aus' Ciceros Schriften geschpft. Neben dem spteren Werke berdie Trinitt sind seine Jugendschriften voll von Citaten aus demIlortensius und anderen Werken des vielbewunderten Rmers.Erst krzlich hat Ohlmann (1. c.) gelegentlich seiner Verteidigungder geschichtlichen Treue und Glaubwrdigkeit der Jugend-Dialoge (gegenber Hirzels im Dialog" geusserter Ansicht,dass hier die L'nterredungsform nur fingiert sei) neu gezeigt, wieviel Augustins Darstellung vor allem dem Hortensius zu ver-da nken hat.^) Wird auch leider die Feststellung dieser Ab-hngigkeit von Cicero durch den nur stckweise erhaltenenBestand der Quellen sehr erschwert, so i)ieten diese doch ausserden eigenen Werken Augustins die einzige Quelle fr dessenAulfassung von der Skepsis, als deren Anhnger er (Mcero be-trachtet und deren berwindung er seine ersten Schriften widmet ").

    1) Ohlmann hat versucht, das Stattfinden und die schriftliche Abfassungder einzelnen Dialoge auf den Tag festzulegen und macht es wahrscheinlich,dass de beata vita und de ordine I zwischen dem 1. und 2. Buche derSchrift gegen die Akademiker verfasst sind. Dies ist um so wichtiger, alswhrend dieser 7 Tage die Academica Ciceros neben dem Hortensius insGesprch gezogen worden sind. Trotzdem sind wir, wie sich erweisen wird,berechtigt, die 3 Bcher contra academ. als eine literarische Einheit zubetrachten, die ihre Zusammenstellung nicht nur der Dedikation anRomanianus verdankt (Ohim. S. 30). Der Personenwechsel entsprichtdem bergehen vom Problem des Hortensius zu dem der Academica [einenBeleg fr die Benutzung der letzteren s. retract. I 1,4 zu c. ac. HI 18,40].

    2) ber Hortensius siehe: Plassberg, de M. T. Cicerouis Hortensiodialogo. Diss. Lpz. 1892. Usener, Gott. Gel. Anz. 1892. I u. Ohlmann I. c.ber die Academica: Krische, Gttinger Studien 184.5 und Hirzel, Unter-suchungen HI. Augustins Beziehungen zu Varro (civ. d. XIX) bietennoch ungleich grssere Schwierigkeiten.

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    - 3 2. Die liistorisclie Stellung der Skepsis.

    In den Retractationen (I, 1) verbessert Augustin den Titelseiner ersten Schrift aus contra acadeniicos" in de academicis" offenbar aus der Stimmung heraus, die ihn der Skepsis gegen-ber selten verlassen hat. dass er doch vielmehr ein Fortsetzerund Vollender des Kampfes sei, den die Skepsis gegen den^laterialismus entfaltet hatte, als ihr Gegner.^) Wohl hat erstets betont, als echter Schler Piatons ber jene Akademikerhinaus zu sein ; aber es ist nicht nur Dankbarkeit, die ihn stets(Ausnahmen d. h. Stimmungsnderungen und aus der Polemikgeborene Einseitigkeiten sind, wie immer bei Augustin, so auchhier in Rechnung zu ziehen) mit Achtung von dem ehrlichenWahrheitsstreben dieser Mnner reden Ijisst. -) Die Akademiewar ja im Grunde auf dem rechten Wege, sie hat schon denechten Piatonismus besessen ; nur hat sie ihn nicht laut geussert,um erst die eigentlichen Gegner jeder philosophischen Erkennt-nis: die Stoiker unschdlich zu machen. Diese Ansicht vondem geheimen Piatonismus der Akademie sttzt sich nicht auf eineunmittelbare berlieferung, vielmehr lsst sich (wie Ilirzel III,216 ff. gegen Zeller gezeigt hat) noch genau erkennen, dass ihmvon Cicero wohl die Thatsache einer Geheimlehre berkommenwar, dass er aber die Identification dieser mit der genuinenLehre Piatuns nur als eine persnliche Vermutung auf-zustellen wagt ^). Erst in einem spteren Briefe (118.16 u. 20)schreibt Augustin die Verheimlichung der eigenen platonischenAnsicht dem Arkesilaos ohne alle Einschi-nkung zu. Wir stehenalso hier vor einer Augustin durchaus eigentmlichen Geschichts-betrachtung der Skepsis, die diese in die engste Beziehung zumPiatonismus bringt. Da sie nicht auf historischer Traditioni)eruht, ist sie nur zu erklren aus Augustins eigenem Verstndnis

    1) cf. z. B. Ep. I, 1 ; Potius eos (sc. .Acatleinicos) imitatus suni quau-tum valui, quam expuguavi, quod omaino non valeo.

    2) 1. c. Acaderaicos ego, ne inter iocandum quidem, iinquam lacessereauderem : quando enim me tantorum virorum non moveret auctoritas, nisieo.'; putarem longe in alia, quam vulgo creditura est, fuisse sententia ?

    3) cf. c. ac. III 17, 38 und 20, 43. Ep. I, 3.

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    _ 4 des skeptischen Problems, das ihm diese offenbar inhaltlich demPiatonismus usserst nahe stellte. Dies berechtigte ihn zu derAnnahme, dass die skeptische Geheimlehre nur die Lehre Piatonsgewesen sein knne.

    Vor allem ist von Interesse sein Urteil ber Philon vonLarissa, weil er dessen philosophische Ansichten bei Cicero dar-gestellt') und von Cicero als den akademischen Standpunkt ver-treten land.=^) Dieser Philon hatte, so meint er (c. ac. III18, 41). schon eine Ausshnung mit den dogmatischen Gegnernder Akademie versucht, nachdem bereits Metrodoros von derstrikten Leugnung der Mglichkeit einer Erkenntnis Abstandgenommen hatte. Doch sein Versuch war misgliickt; er hattedie Akademie nur der berrumpelung durch Antiochos^) aus-gesetzt, der nun seine stoischen Dogmen fr die alten platoni-schen Lehren ausgeben konnte. Dagegen traten nun Philon und,den Kampf fortfhrend, Tullius auf, und sie thaten dies mitsolchem Erfolge, dass der vordem so hartnckige Widerstand nunendgiltig gebrochen war. Erst nachdem so die Wolken desIrrturas zerstreut waren, konnte das reine und leuchtende AntlitzPiatons ohne alle Verhllung von neuem erstrahlen, vor allemin Plotin. der Piaton selbst so hnlich ist, dass man in ihm denwiedererstandenen Piaton begrssen kann. *) So betrachtet alsoAugustin Philon als den Platoniker , der nur noch nicht mitoffenen Karten spielen konnte, sondern noch im Hinterhalt gegendie Stoa liegen musste. Mag nun diese Ansicht, die die Akademiezur Parteigngerin Plotins macht, ein historisches Fundamenthaben in dem Streben, die bereinstimmung der mittlerenAkademie mit Piaton zu erweisen",^) das fr Philon ein Ilaupt-

    1) In der Entfregnung Ciceros in den acad. priora und den Tusculanen.(cf. Hirzel III). Wir drfen mit Ohlmann (contra Hirzel III. S. 297) auchden Hortensius hinzufgen.

    2) Cicero persnlich scheint sich mehr zu Kleitomachos gehalten zuhaben, von dem Philon nur in wenigen, unwichtigen Punkten abweicht(Hirzel 111. 281 Anm. 291 f.).

    3) feneus iile Platonicus".4) c. ac. III 18,41. II G, 15.5) Argument der ofxoXoyiu. Sclimekel, Philos. d. mittl. Stoa (1892)

    S. 389. cf. Euseb. Praep. evang. XIV 9,2. s. auch Hirzel 111. 2(J().

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    aulass war, von der radikaleu Skepsis der mittleren Akademiezurckzutreten, so ist doch jedenfalls die Annahme einer direktenLinie von Philon ber Cicero zu Plotin offenbar eigenstes GutAugustins; zumal sich fr ihre Entstehung in seinem eigenenEntwickelungsgang die Erklrung ohne weiteres anbietet.

    Jedoch diesem Streben, die Skepsis mglichst nahe an denNeuplatonismus heranzurcken, steht ein anderes gegenber, dasihn zu einem Gegner der sonst so hoch geschtzten Skepsismacht. Hat denn nicht der Piatonismus die Skepsis verdrngtin der (leschichte des geistigen Lebens, wie in Augustins eigenerEntwickelung V Man muss eben doch bei aller Anerkennungder gesunden Tendenz der Skepsis, ja eben wegen dieser, berihre Position hinauskommen: der Piatonismus Plotins hat siebertliissig gemacht. Jedoch wre damit eine eigentliche Gegner-schaft zur Akademie noch nicht begrndet. Es mchte vielmehrscheinen, dass mit dem Erfolg ihrer Polemik, d. h. mit derberwindung der stoisierenden Skepsis durch Cicero die Skepsismit Ehren den Platz rumen drfe, und dass der Piatonismusnicht als ihr Feind, sondern als Freund ihre Stelle jetzt ausflle.So wird also die Thatsache, dass Augustin drei Bcher gegendie Akademie geschrieben hat, zu einem Problem: es scheintseinem historischen Urteil zu widersprechen, dass er sich bemht,sachliche Argumente gegen eine philosophische Lehrmeinung zusammeln, deren positive Tendenz er selbst anerkennt und derennegativer (polemischer) Absicht er Erfolg wnscht. Von diesemProblem aus mssen wir uns Augustins Stellung vor Augenfhren.

    3. Die skeptische Lehre.Die philosophische Lehre der antiken Skepsis drckt sich,

    wie Augustin richtig erkennt, kurz in den zwei Thesen aus:Nihil percipi posse und Nulli rei debere assentiri. Die erstegrundlegende Behauptung, dass nichts erkannt werden knne,fusst auf einer zweifachen Voraussetzung. Einmal nmlich musssich nach der Forderung der Skepsis alle Erkenntnis an denPhaenomenen bewhren. Die Erscheinungen als solche zu

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    G bestreiten, ist unmglich, wenn man iil)erliau|)t zu einer Objekts-erkenntnis kommen will. Diesen sensualistisclien Ausgano; findenwir z. B. in dem Satze des Diogenes Laertius ausgedrckt: sarirOliv xQirrjOior xard rovg axemtxoiK r g.air6fJiVor. Da-neben aber ist die Forderung aufreclit zu erhalten, das ?sicht-erscheinende . das den als nur subjektiv und trglich erkanntenPhaenomenen zu Grunde liegende, wahre Sein ber die Erschei-nung hinaus und von ihr aus zu erforschen. So wurzelt dieskeptische f.elire in einer subjektivistischen Erkenntnistheorieund einer ber die Erscheinungen hinausstrebenden ^rjTr,aignach einer rational Itestimmten Objektivitt.

    Diese ^rjTr^aiq kann in ihrer Kritik der jeweiligen Erkenntnis-inhalte niemals zu einem Abschluss kommen, da sich die Er-scheinung ihrem Wesen nach der rationalen Bestimmung ent-zieht, und so scheint sich die skeptische Problemstellung in derunablssigen Selbstkritik und -Zersetzung der Erkenntnis alsrecht unfruchtbar und kraftlos zu erweisen. Aber die Skepsisstarb an dem inneren Kampfe ihrer Principien nicht; denn siezog nicht, wie zu befrchten, die Consequenz: also ist allesfernere Suchen nach der Erkenntnis der Objektivitt, weil sichererfolglos, aufzugeben, sondern sie gewann aus der inneren Span-nung der beiden Gesichtspunkte ein krftiges Leben. In nierastendem Eifer stellte sie immer neu die Aufgabe, die mit demAnspruch der Wahrheit auftretenden Erkenntnisse durch dieKritik ihrer Voraussetzungen zu prfen und zu zerstren. Dadurch dass sie sich die Aufgabe der ^rjirjaig mit diesem Ernststellte, sah sie sich gehindert, auch nur die These der Unmg-lichkeit der Erkenntnis selbst als eine objektiv giltige zu be-haupten. Der unablssigen ^rjr^aig entsprach so die Forderungeiner durchgngigen Urteilsenthaltung, der snoxrj. Damit verliertnun auch die Bestreitung der Mglichkeit der Erkenntnis allendogmatischen Anspruch; sie ergnzt sich und gewinnt ihrenspecifisch skeptischen Charakter, wenn man sie mit ihrer Con-sequenz zusammenhlt: dass man mangels eines Kriteriums derWahrheit auch nicht eine Behauptung mit dem Urteilsansprucheiner Objektserkenntnis aufstellen drfe.

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    7 Mit dieser Grundrichtung, die alle Skeptiker mit einander

    gemein haben, verband sich das ethische Interesse an der Be-stimmung des hchsten Gutes und des Ideals der Weisheit. DieSkeptiker haben diese bekanntlich in der Ataraxie, der Urteils-enthaltung in dem praktischen Sinne der Emancipation vonBegehren and Fhlen, gefunden. Zusammen mit der theoreti-schen enoxrj, deren Ausfluss sie ist, ist diese praktische dasKennzeichen des skeptischen Weisen.

    4. Der Begriff des Weisen.In dieser Anwendung auf den Begriff des Weisen greift nun

    Augustin im L Buch der Schrift gegen die Akademiker dasskeptische Problem auf, und zwar knpft er dabei an die Be-handlung an, die diese Frage in Ciceros Hortensius erfahren hatte.

    Ein gemeinsamer Ausgangspunkt vereinigt zunchst Augustinmit seinem akademischen Gegner Licentius in dem Satze: AlleMenschen streben nach Glck. ^) Mach Licentius nun erflltsich dieses Glcksstreben in dem Suchen nach Wahrheit, dasdie Seligkeit des Weisen ausmacht. Denn die Wahrheit selbstkann er auf Erden nicht erreichen. Aber der Erkenntnisdrangist der Menschennatur eigentmlich,-) ja es ist die Pflicht desMenschen, soweit es in seinen Krften steht, sich um die Er-kenntnis der Wahrheit zu bemhen: wer weniger hartnckig,als er soll, nach der Wahrheit sucht, gelangt nicht zu dem Ziel,das dem Menschen gesteckt ist (finis hominis). Wer aber ebensoweit, als es fr den Menschen mglich ist, um die Auffindungder Wahrheit sich bemht, mag er sie auch nicht finden, derist glcklich. Handelt er doch seiner Natur gemss; sein Zurck-bleiben hinter der Wahrheit ist in dieser begrndet (c. ac. 13, 9).Es kann daher auch nicht jedes Forschen fr den Besitz derWahrheit Ersatz bieten , sondern das Suchen muss naturgemss

    1) c. ac. I 2, 5. cf. trin. XIII 3,7: Unde nee ipse ... Acadeniicusille Cicero dubitavit, qui in Hortensio dialogo . . . Beati certe, inquit, omnesesse volnmus cf. Op. imp. c. Jul. VI, 26.

    2) cf. z.B. de lib. arb. II 9,26: Ut ergo constat nos beatos esse velle,ita nos constat velle esse sapientes, quia nemo sine sapientia beatus est,

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    cS sein; das perfecte quaerere ist die Bedingung von Weisheit undGlck (1. c I 5, 14). Diese Vollkommenheit des Strebens beruhtdarauf, dass man sich von dem Teil des Geistes leiten liisst,dem es zukommt, ber die brigen zu herrschen; dieser Teilheisst die Vernunft (I. c. I 3,9). Solange der Mensch von denLeidenschaften an einem vernunftgemssen Besitz der Wahrheitgehindert wird, solange muss er sich diese Vernunftherrschaftals Ziel seines 8trel)ens vorsetzen. Die Unterdrckung von Sinn-lichkeit und Leidenschaft ist das rationabile quaerere.

    Aber wer w'ollte sich anmassen ber ein quaerere" hinaus-gekommen zu sein? Die Stoa zwar meint Wahrheit und Glck-seligkeit mit der vollen Tugend identificieren zu knnen, dennsie hlt die berwindung der Sinnlichkeit: die Tugend in ihrerVollendung fr mglich. Aber sie irrt, und daher ist ihrWeisheitsideal zurckzuweisen. Die Akademie hat erkannt,dass eine fil)ermenschliche Gewohnheit" dazu gehrt, dass derMensch von allen Lastern befreit (1. c. Ill 17, 38) in immergleicher Seelenruhe nur sich und Gott zum Ziele seines Strebensmache (I. c. I 8, 23). ') Um des ratione perfrui willen musssich der Mensch Zeit seines Lebens in redlichem Streben umdie Reinheit bemhen. Die Philosophie ist der beste Arzt, derdem Menschen die Anweisung auf seinem Lebenswege giebt. -)

    Entkleidet man diesen Gedanken seiner ethischen Frbung,so besagt er, dass es dem Menschen nicht vergnnt ist zurhchsten, vollkuninieneii Weisheit zu gelangen. Diese gebhrtallein (iott untl der Seele, wenn sie den Krper, der sie wie einKerker gefangen hlt, verlassen hat (l. c. I 3,9). Im Lebenaber muss der Mensch bestrebt sein, sich der knftigen, gtt-lichen Glckseligkeit (1. c. I 8,23) mglichst anzunhern, ihrwenigstens hnlich zu werden. Wie der gttlichen Weisheit dieWahrheit zukommt, so ist dem Menschen das Streben nach dieserzugestanden.

    1) Schon Kartieades und Philon haben in diesem Sinne eine Unter-scheidung vun Tugend und Glck.seligkeit ausgefhrt und in jeuer nur denWeg zu dieser erkannt. Hirzel III 194. 247, 1. 485.

    2) deord. 12, 4. Die Philosophie (Ethik) hat nach Philon die Aufgabedie Gesundung der Seele herbeizufhren. Stob, ecl, II. 42. Hirzel III. 228.

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    9 Die Ansicht Augustins deckt sich mit dieser des Licentius ^)

    zunchst in der vollen Anerkennung der Unzulnglichkeit unserersinnlich-geistigen Natur fr die Aufgabe einer vollkommenenErkenntnis und Glckseligkeit. Denn jene gttliche Seligkeit,zu der wir uns durch sittliche und rationale Luterung inTugendbung und Wissenschaft durchringen sollen, ist auch ihmdas letzte Ziel alles Strebens. Der Mensch kann es nur erreichendurch die Unterdrckung des Unvernnftigen in seiner Natur.Daher ist dem Menschen die Aufgabe zu stellen, durch Wissen-schaft und sittliches Leben seine physische Natur dem edelstenTeile, der Vernunft zu unterwerfen. ^) So hatte ja schon Piatonzwischen menschlicher (fdoaocfia und gttlicher ao(fi'a unter-schieden ^) und so lsst auch Augustin den Unterschied gelten(c. ac. III 3, 5). Aber dieser gemeinsame Ausgang von derbetrbenden Thatsache menschlicher Unzulnglichkeit fhrt beideTeile zu verschiedenen Folgerungen.

    Whrend die Akademie aus der Unmglichkeit im Diesseitsdie absolute Erkenntnis zu erreichen die Berechtigung aldeitet,doch wenigstens dem Menschen den Titel de'- Weisheit zu ver-leihen, der die seiner Natur entsprechende Leistung des quaerereauf vollkommene Art ausfhrt, hlt sich Augustin nicht frberechtigt, durch diese Wertung des perfecte quaerere, als seies ein fr sich erstrebenswertes Ziel, die Verschiedenheit zwischenmenschlichem und gttlichem Erkenntnisvermgen als einen L'nter-schied der Art nach zu behaupten. Er glaubt hier nur einengraduellen Unterschied annehmen und damit auch die Neben-

    1) Der Hauptgedanke der Skepsis des Licentius fllt, wie Hirzel (III.293 ff.) gesehen hat, mit ac. pr. 127 zusammen. Wir drfen trotz HirzelsBedenken (297) die Vermutung Krisches, die jetzt Ohlmann neu gesttzthat, gut heissen, dass gerade diese Lehre, die auch nach Hirzel Cicerosonst ausfhrlicher behandelt haben muss, ein Hauptgedanke des Hortcnsiusgewesen ist. Es gengt daran zu erinnern, dass Augustiu in der vonCicero vertretenen Lehre die Position Philons wiedererkannte. Hirzel hatfr die Berechtigung dieser Annahme den sachlichen Beweis gebracht.

    2) cf. 1. c. III 1, 1 : Negotium nostrum non leve aut superfluum, sednecessarium ac summum esse arbitror, magnopere quaerere veritatera : hocinter me atque Alypium couvenit.

    3) Phaedr. a. E. cf. Hirzel III. 302.

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    10 -einanderstellung einer gttlichen und menschlichen Weisheit vonder Hand weisen zu iniissen. Denn einmal strzt sich dieAkademie durch ihren BegrilV einer Weisheit des quaerere ineinen Widerspruch. Es ist ein Aufgeben des Begrifls des Weisen,den sie im gttlichen Ideal aufstellt, wenn sie auch dem voll-kommen suchenden Menschen diesen Namen heilegt. Wie kanndenn der Suchende schon der Vollkommene, der Weise sein?Wer etwas erstrebt, aber nicht erreicht, hat doch Mangel andem Gegenstnde seines Wiinschens, und wer Mangel leidet, istnicht vollkommen, also nicht weise, also nicht glcklich,^) Eswiderstrebt dem Begrift' des Weisen, dass der Weise die eineWeisheit nicht wisse. Es hat daher keinen Sinn zu fragen, obman den vollkommen Suchenden auch einen Weisen nennendrfe, nachdem man den Weisen durch das Wissen der Weisheitdeliniert hat. Nur das ist eine berechtigte Frage, ob der W^eise,qualem ratio prodit, auch in der Wirklichkeit aufgezeigt wordenknne. Mag al)er diese auch verneint werden, so darf man dochnicht den Begrilf selbst verlassen und eine Verwirklichung derWeisheit annehmen, die einen anderen Inhalt hat.-)

    Jedoch dieser Einwand unterliegt leicht dem Verdacht, einenblossen W'ortstreit zu entfachen. Man kann doch sagen, es seiletztlich eine Sache der Benennung, ob der Skeptiker nun auchden vollkommen Suchenden weise nenne oder nicht. Da ist esnun von grosser Bedeutung, dass Augustin das ^lotiv, aus demsein Eintreten fr den einen Begrilf des Weisen stammt, deut-lich gemacht hat durch die radikale und unzweideutige Oppositiongegen die akademische These von der T n m g 1 ich ke i t einerErkenntnis berhaupt.^) Dass der Weise selbst nicht in dieWirklichkeit getreten ist, gesteht er zu, ja er will zugeben, dassvllige Weisheit unmglich ist, solange die Seele noch im Leibe

    1) de beata vit. fter. Schon an!,redeutet c. ac. I 3,9. cf. Ep. III, .'):Neque enim Nebridio beatus quaerendo videor, sed fortasse aliquid in-veniendo.

    2) c. ac. III 4. 9 f. cf. 1. c. 9, 19. 14, 31.3) 1. c. III B,b: illis (Academicis) probabile visum est voritatem non

    posse corapreheudi; mihi autem noudum quidem a me inveiitam, inveniritarnen posse a sapiente videatur.

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    11 gefangen ist, aber von einer Unmglichkeit, das Ziel desStrebens je zu erreichen, kann bei der menschlichen Seelejedenfalls nicht gesprochen werden.Was wre es denn auch um die Weisheit, wenn wir sie alsdie W^eisheit des quaerere einfhrten? Das blosse Disputierenum die Erkenntnis, ohne dass man zu einer Entscheidung kme,darf man doch noch nicht Weisheit nennen : Non ego istamdisputationem, so bekennt Augustin, disputandi gratia susceptamvolo (c. ac. II. 9,22), sondern es handelt sich um unser Leben,um die Sitten und den Geist, der es sich vornimmt, ber dieAngriffe aller Irrtmer obzusiegen und nach Erlangung derW^ahrheit gleichsam an den Ort seines Ursprungs zurckkehrendber alle Lust zu triumphieren, um gleichsam in ehelichemBunde mit der Massigkeit zu herrschen und dann um so sorg-loser in den Himmel zurckzukehren" (1. c). Wenn Philonseine skeptische Lehre als die platonische hinstellte, so spieltAugustin dagegen die echt platonische Ansicht vom gttlichenUrsprung der Seele wirksam aus. Er las bei Cicero (ac. post. 46)-haue academiam novam appellant, quae mihi (sc. Philoni) vetusvidetur, si quidem Platonem ex illa vetere numeramus, cuius inlibris nihil affirmatur et in utramque partem multa disse-runtur, de omnibus quaeritur, nihil certe dicitur. Indem Augustindieses Verzweifeln an einem Abschluss der Errterung, an derMglichkeit einer begrndeten Gegenstandserkenntnis ablehnte,traf er wohl unmittelbar die Skepsis Philons. Mag es auch inder sinnlichen Beschrnktheit nicht mglich sein, zu der letztenErkenntnis zu kommen, so will doch Augustin dem WahrheitSuchenden die unablssige, sichere berzeugung, dass er dasW^ahre erkennen knne, dessen Idee ihm vor der Seele steht,nicht rauben. Gewiss kann der Mensch auf Erden nicht glck-lich werden, aber um so weniger hat der Skeptiker Recht, dasStreben nach diesem Ziel hin selbst schon als W^eisheit auszu-zeichnen. Denn dies heisst nichts Geringeres, als die Erhaben-heit des gttlichen Ursprungs der Seele verdunkeln.

    1) cf. Sol. I 1,2: Deus, qui nisi inundos verum scire noluisti. 1,3:Deus, quem nemo invenit, nisi purgatus. u. .

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    12 5. Das tifalirselieinliclie.

    Mit dieser Abweisung des Weisen" der ^r^rr^aiq aus demGedanken der Vervollkommnungsfhigkeit des Menschen zurReinheit des gttlichen Geistes, war es fr Augustin gegeben,einen weiteren Begriff des skeptischen Lehrinhalts zum Gegen-stand seiner Polemik zu machen, einen Begriff, der besonders inder Akademie zu grosser Bedeutung und manniglaltiger Bestim-mung gekommen war. Es ist der Begriff des ni^arov. DasWahrscheinliche", Probable" (in Ciceros und Augustins ber-setzung) soll nmlich dem Skeptiker einen, wenn schon ungleich-artigen Ersatz fr die nicht zu erlangende Erkenntnis bieten.Es soll ihm in der vom Leben stndlich erzwungenen Entschei-dung eine praktische, auf mglichst ausgedehnter Empirie be-ruhende, probehaltige Richtschnur geben, die ihn in der taglichenBeurteilung seiner L'mgebung untersttzt und im Zweilelsfallesein Wollen lenkt. Sofern nun die Erkenntnis des niO^avv alseines fr das Leben ausreichenden, provisorischen Beurteilungs-massstabe in dem Weisen eine Personalunion mit der voll-kommenen ^iJTr^(Tic eingeht, zugleich aber ja auch jenes Surrogatvon AVissen von der Geltung der skeptischen ^ttoxtj durchausabhngig ist, lag es in der Natur der Sache, dass Augustin inseiner Polemik den Gedanken der enoyr, mit dem des m&rtrveng verband. Konnte er jene nicht als eine giltige Bestimmungder Weisheit anerkennen, so war fr ihn auch das nii/avovgerichtet; und war umgekehrt das nt^arov als eine schwchlicheAuskunft gebrandmarkt, so fiel auch auf die ennxt] der Vorwurfzu diesem Ausweg gezwungen zu haben.

    Wir halten uns daher im Folgenden am besten an Augustinseigenen Gedankengang, wenn wir zunchst sehen, wie sich ihmdas verisimile und das fr ihn eng damit verbundene quaerereals unzulngliche Bestimmung des Weisen erweisen, und unsdann aus der so gewonnenen Kenntnis seiner theoretischen Grund-richtung um ein Verstndnis seiner Gegenargumente gegen dieskeptischen Beweise fr die Unmglichkeit der Erkenntnis be-mhen. So werden wir ihn zunchst die skeptische Bestimmungdes Weisen auflsen sehen, um dann seine Bemhungen um

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    - 13 -eine positive Begrndung der Mglichkeit einer Erkenntnis zubetrachten.

    Die Skepsis sah sich vor allem seit Arkesilaos dem nichtwieder zum Schweigen gebrachten Einwand ausgesetzt, die s'/ioxtjhebe mit der Urteilsfhigkeit auch die Mglichkeit des Handelnsauf, ^) Sie glaubte diesen Gedanken, wie erwhnt, durch dieEinfhrung des Begritts der AVahrscheinlichkeit abwehren zuknnen. Es giebt eine fr den Menschen erreichbare und er-laubte Weisheit : die praktische Klugheit, die sich bewhrtin der vom Leben erzwungenen Entscheidung. Wie kann mirdie inquisitio veri, die mir hier im Leben die Wahl erleichtert,nicht eine humanissima voluptas sein? so fragt sich Philon. -)Glcklich ist der Weise deshalb, weil er gemss der Vernunftlebt^) und dazu bleibt fr den Menschen nur das Mittel derEntscheidung gemss dem prubabile. Das Wahrscheinliche istdaher zu definieren als das, was uns dazu einladen kann ohneZustimmung zu handeln. Ohne Zustimmung", das soll be-sagen, dass wir nicht vermeinen drfen, auch in unserer Bejahungoder Verneinung ein allgemeingiltiges Urteil gefllt zu haben."*)An eine Vergleichung des verisimile mit dem absolut Wahrenkann also der Skeptiker schon wegen der s-Tu^rj nicht denken.Eine solche wre ohne ein signum veri nicht ausfhrbar: pro-babilius ist etwas immer nur im \'erhltnis zu anderen pro-babilia, nicht weil es der objektiven Wahrheit nher stnde,sondern weil ein in der Praxis sich bewhrender bedingterMassstab die vom Leben erzwungene Entscheidung rechtfertigt.

    Jedoch gerade diese vom Skeptiker verworfene Vergleichungmit der einen Wahrheit legt Augustin seiner Polemik gegen

    1) Noch Autiochos hat so gegen Philon argumentiert, wie Cicero ac.pr. 102 berichtet. Hirze) IlL 335.

    2) ac. pr. 127. cf. 66. Hirzel IlL 294 ff.3) c. ac. 1 4,12. cf. 111 2,4: Der Siieptiker beschrnkt die Weisheit

    auf das Leben: S-ed cum sapientia, inquit, non uisi viveutibus sit necessaria,remotaque vita nuila sit indigentia sapientiae, nihil in propaganda vitapertimesco fortuuam. Etenim quia vivo, propterea volo sapientiam, nonquod sapientiam desidero, volo vitam.

    4) c. ac. 11 11, 26: Sine assensione autem dico, ut id quod agimusneu opinemur verum esse aut non id scire arbitremur, agamus tamou.

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    14 den skeptischen Begriff zu Grunde. Man darf schon in demArgument, das er der Wortzusammensetzung iles veri simileentnimmt (1. c. 11 7, 16 11".), einen Hinweis darauf erkennen, dassman nach seiner Meinung von Wahrscheinlichkeit gar nichtreden kann, ohne den Begriff der Wahrheit vorauszusetzen.Und in der That wird (I. c. II 1'2, 27), nachdem der Streit umdas dem Wahren hnliche als Wortstreit bei Seite gestellt ist,')dieser rationale Kern des Arguments aufrecht erhalten: wennich etwas liir wahrscheinlich halte, muss ich wissen, was Er-kenntnis ist; denn es scheint mir doch nichts absurder zu sein, alswenn einer, der nicht weiss, was das \Vahre ist, behauptet, erfolge dem Wahrscheinlichen. Wer aber schon etwas weiss, kannetwas Anderes als Wahrscheinliches behaupten. Und wennAugustin an dieser Stelle nur die sul)jektive (iewissheit: se nossealiquid, ganz abgesehen von dem Inhalt dieser Erkenntnis, wieeine psychologische Tliatsache als die Voraussetzung hinstellt,die vor der Behauptung einer W^ahrscheinlichkeit vorhergehenmsse, so ist dies wohl nur ein uniehollener Ausdruck fr diewichtige Einsicht, dass der Begriff der Wahrheit vorausgesetztwird in jedem Urteil, dass er also als Aufgabe praecisiert seinmuss, wenn wir etwas auch nur als wahrscheinlich beurteilenwollen. In diesem Sinne hhnt Augustin (c ac. 111 8, 17) denSkeptiker als den Weisen, der nicht einmal die Weisheit selbstwisse, von der er doch den Namen trage.

    Gewiss hatte ja auch der Akademiker in seiner Entgegen-setzung von gttlicher und menschlicher Weisheit den Ideal-bewriff der Wahrheit anerkannt. Aber da sein ni^arv nuraus dem praktischen Bedrfnis entspringt, hat es keine Verbin-dung mit diesem rationalen Begriff des Wahren. Daher kannes Augustin dem doppelten Massstab der Skepsis mit Recht

    1) Das Arffumeiit aus dem Wort (verisimile) tiiflt ja die Akademienicht: denn das griechische dxg (niH-ai/u) ist nur schlecht mit verisimilebersetzt. Im griechischen Begriff ist an eine hnlichlieit mit demWahren, die eine wirkliche Annherung besagen sollte, nicht entfernt ge-dacht. Augustin gebraucht, wie Cicero, verisimile und probabile ohneUnterschied der Bedeutung. In der lteren Akademie haben sie einen ver-schiedenen Ursprung. (Hirzel III. 151 ff.).

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    15 entgegenhalten, dass eine jede Entscheidung, mich die von der7ioxt', gezgelte, den Massstab eines formalen Begi'iH's derWahrheit als giltig voraussetzt. Es darf nicht das Wahrschein-liche wie ein Notbehelf neben das Wahre gestellt werden:wenn eine Entscheidung ermglicht werden soll, so muss eineBeziehung zwischen der rationalen Forderung und der Wahr-scheinlichkeitsforschung hergestellt werden. Fehlt diese, somssen der inquisitio mit dem klaren Ziel auch Einheitlichkeitund Abschluss mangeln. So hat Augustin ein Recht, denWeisen, qualem ratio prodit, dem skeptischen gegenberzu-stellen, der in sich widerspruchsvoll ist; denn wie kann derWeise die Weisheit nicht wissen? (I. c. III 4, 9). Die sub-jektive, eben nur wahrscheinliche Gewissheit i) des sibi viderise comprehendisse sapientiam (c. ac. 111 3,5) mnss mit Rck-sicht auf das eine rationale Ziel , das man nicht durch eineNebenrcksicht verdunkeln und um seine AVirksamkeit bringendarf, verworfen werden.So beweist es sich in dieser Kritik des probabile, dass frAugustin nicht eine praktische Weisheit neben der rationalgeforderten gttlichen, sondern eine Erleuchtung des Menschenmit der ewigen Wahrheit das Ziel der rationalen Luterung inTugend und Wissenschaft ist, dem sich der strebende Menschschon auf Erden zuwenden kann. Daher ist nun auch die sichausschliessende Gegenberstellung von Haben und Suchen nichtin Augustins Sinne. Niemand kann etwas suchen, er wissedenn schon etwas von dem, was er sucht ;^) so schliesst alsodas Suchen nach Weisheit, das auch der Skeptiker zugesteht,schon den Begrilf der Weisheit selbst ein.'^) Darum, meint er,

    1) Das nift^ttui/ der Akademie enthlt ja keine Gewhr dafr, dasseine Entscheidung wirklich der Wahrheit nher sei als eine andere. DerSchein ist es daher, der die Wahl in praxi bestimmt. Und auf diesenSchein soll man die Weisheit stellen? cf. I.e. 1113,6, wo das Gegensatz-paar: sibi videri scire scire in Parallele steht zu dem Paar: sapientiain investigatione posita veritas.

    2) trin. X 1, 1 u. o. cf. Piaton Menon 8U D. E.3) de b. arb. II 15, 40, Novit insipiens sapientiam. Non enim, sicut

    iam dictum est, certus esset velle se esse sapientem, idque oportere, uisi

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    - 16 -mssten doch die Akademiker durch ihre Zweifel vom Suchenselbst abgehalten werden. Wenn ich nicht vorher berzeugtbin, dass das Wahre erkannt werden kann, was, wie jene ber-zeugt sind, unmglich ist, so werde ich nicht wagen zu suchen,und ich habe ja auch nichts, was ich verteidigen wollte", ^) So berechtigt nach diesem der Vorwurf ist, der Akademiker seiindocilis, so wenig braucht sich derjenige, der mit Augustindem skeptischen sogenannten Weisen" gegenber sich auf deneinen Begri" der Wahrheit beruft, selbst des indoctum esse(stultitia) zu schJimen (c. ac. III 8, 17); denn er erkennt seineThorheit als eine Stall'el zur Hhe des vollen Erkenntnis. Daherist es erklrlich, wenn sich Augustins Polemik oft anhrt wieein Lob der Thorheit" ; dass wir es verstehen in der mensch-lichen Beschrnkung der Erkenntnis doch die Grundlage zu sehenzu der vollen, gttlichen Einsicht, in der die Seele zu ihremgeistigen Ursprung zurckkehrt.

    In dieser Form tritt hier der Gedanke auf, der spter indem fr Augustin so bedeutungsvollen Bcgrilf des Glaubensseine Vertretung gefunden hat. ^) Der (Jlaube garantiert alseine Vorstufe der Weisheit zugleich deren Erreichbarkeit, weiler sie ihrem Begriff nach schon zum Teil in sich enthlt. Aller-dings ist ein jeweiliges Resultat der menschlichen Erkenntnisnicht fr objektive Wahrheit zu halten, aber jenes Ziel der ab-soluten Erkenntnis ist nicht verborgen hinter dem Schleier derJenseitigkeit. Es ist als die objektive Wahrheit erkannt, derGlaube bejaht diese und giebt die Hoffnung fr die Erreichungdes Zieles. Diesen Begriff des Glaubens bezeichnet Augustin,

    notio sapientiae uienti eius inhaereret. triii. XIII 5,8. Quapropter quo-niam verum est quod oiniies liomines esse heati veliut, iclque uuum arden-tissiino amoie appetaut, nee quisquam potest amare quod omnino quidvei qule sit nescit, nee potcst nescire, ijuid sit, quod velle se seit, se-quitur ut omues beatam vitam sciant.

    1) c. ac. II 9,23.2) Die Analogie mit Piatons Begriff der do^u knnen wir hier nicht

    weiter verfolgen. Vergl. Menon 85 C: Tw ovx eidti qu ne^i oiy uv fxriti(ff; iftiaif ukrjO^iis 6'^ui niQt toviuii' wf ovx oldiy; (paiftiai.

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    -- 17 spter') auf das Juojeudwerk zuriickblicketitl. als den Angelpunktseiner Polemik : fuerat removenda inveniendae desperatio veritatis,qnae illorum videtur argumentationilnis roborari. Sie meinten, derIrrtum sei nicht zu vermeiden, wenn nicht alle Zustimmungaufgehoben wrde. At si tollatur assensio, fides tollitur, quiasine assensione nihil creditur. Et sunt vera quamvis nou vi-deantur, quae nisi credantur. ad vitam beatam, quae non nisiaeterna est, non potest perveniri. Mag dem Begrill' immerhinein religiser Beigeschmack anhaften, so hat ihm doch Augustinauch eine feste erkenntnis- theoretische Bedeutung gesichert.-)Man lese z. B. den Brief an Consentius (Ep. 120. 1.3): (cum) etiamcredere non possemus, nisi rationales animas haberemusSi igitur rational)ile est, ut ad magna quaedam, quae capi nondumpossunt, iiiles praecedat rationem. procul dubio quantulacumqueratio, quae hoc persuadet, etiam ipsa autecedit fidem. DerGlaulje selbst hat einen rationalen Ursprung, er ist der Ausdruckfr die rationale Tendenz, die im Suchen nach der Weisheitallen Menschen gemeinsam ist. ^) Aus diesem Glauben ent-

    1) Ench. I 20, 7. ct. de util. cied. 11,25 und trin. IV 18,24: mensrationalis sicut purgata contemplationem debet rebus aelernis; sie pur-ganda, temporalibus fidem. trin. XV 2. 2.

    2) Es verdient Beachtung, dass Lucullus ac. pr. 25 f. das gleiche Ar-gument gegen die inoy^i^ vorbringt: Ulud autem quod movet (sc. appetitionem,die Grundlage fr die Tugendbung) prius oportet videri eique credi,quod fieri non potest, si id, quod visum erit, discerni non poterit a falso..... Dies ist also ein Glauben aus der Vernunft, denn quaerendi initiumratio attulit, quae perfecit virtutein, cum esset ipsa ratio confirmata quae-rendo. Quaestio auteui est yppetitio cognitionis, quaestionisque finis in-ventio. So tritt hier au die Stelle der Alternative: Suchen Haben dergraduelle Unterschied von Suchen und Finden. Et initium quaerendiet exitus percipiendi et comprehendendi tenetur (wird zusammengehalten).

    3) Ep. 120, 2, 8: Der Glaube zwar kein Wissen, aber besser als einblosses Meinen (imtare). Habet namque fides oculos suos, quibus quo-dammodo videt verum esse, quod nondum videt, et (piibus certissimevidet, nondum se videre, quod credit. Porro autem qui vera ratione iamquod tantummodo credebat, intelligit, profecto praeponendus est ei, quicupit adhuc intelligere quod credit; si autem nee cupit ut ea, cpiae iii-telligenda sunt, c redend a tantummodo existiraat, cui rei fidesprosit, igno rat.

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    - 18 springen Tugend und Wissenschaft, deren gemeinsame Aufgabees ist, die Seele zu reinigen fr die nnsinnliche, intelligihleErkenntnis.

    Damit treten Tugend und Wissenschaft in enge Beziehung7Air al)Soluten Erkenntnis, und in der Art, wie Augustin dieseVerbindung, die die Skepsis so schrolf lst, wieder herstellt, zeigtsich das Unterscheidende seines philosophischen Interesses vondem der Akademie. Die Akademie handelt in der Ilauptunter-suchung nur von der Erkenntnis. Diese ist in der rational ge-forderten Eindeutigkeit nicht mglich, also ist ein Urteil, dasauf objektive Geltung Anspruch erheben knnte, unmglich.Daneben ist einzurumen, dass das praktische J.eben stndlichEntscheidungen fordert; es wre nutzlos hiergegen eine absolutefnoxr] zu befehlen: Die Philosophie wird es vielmehr versuchen,diese erzwungenen Urteile in mglichst glckliche Bahnen zuleiten. Und dies leisten ethische Anweisungen und eine em-pirische Naturerkenntnis. ^) Jedoch kann das theoretische Er-gebnis durch dieses Zugestiindnis nicht im mindesten alteriertwerden. Ganz anders Augustin : Fr ihn stehen empirischeNatur- und Sittenerkenntnis nicht etwa nur im Dienste derPraxis, sondern Wissenschaft und Tugend weisen ber sich hin-aus. In beiden bleiben wir hinter dem Ideal zurck, aber inkeinem drfen wir darauf verzichten, uns das hchste Ziel derVollkommenheit vorzuhalten. Daher ist es in seinen Augennicht nui- unwissenschaftlich, ein Scheinwissen fr Weisheit aus-zugeben, eine Wahrscheinlichkeit einzufhren, die nicht als eineAnnherung an das absolut Wah-re gelten will, sondern es istihm zu

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    19 wer das Wahre, das der Platoniker nur geheim hielt, nichtwusste, und sich nach dem probabile fr etwas entschied, daser, obwohl es falsch war, fr ein gutes Abbild (imitationemlaudabilem) der Wahrheit hielt: der wunie durch diese Schein-auskunft irre gefhrt. Nur die Schule" behielt ein Kriteriumund bewahrte es, whrend man die Gegner in dialektischenGefechten im Schach hielt (c. ac. III 18,40). Die eigentlicheAbsicht des Karneades wird nur erfllt, wenn wir das akademischeprobabile wieder aufgeben und nunmehr, wo der Piatonismusohne Hlle hervortreten kann , ^) eine Annherung an das ewigwahre Gute fr mglich erklren. Dann mssen wir aber dasnur auf dem Schein beruhende praktische Urteil, mit dem dasprobabile auch die sittliche W^illkr herbeiruit. ablehnen alsunethisch. Das ethische Interesse entscheidet lr Augustingegen das nur theoretische der Skepsis. Fr diese konnten pro-visorische Regeln den Ansprchen der Praxis gengen; Augustinmuss gerade im praktischen Urteil ein Zurckgehen auf denletzten Grund der Wahrheit fordern.

    Trotz aller Verteidigungsversuche bleibt der Einwand: quinihil approbat, nihil agit das wirksamste Geschoss gegen dieAkademie (III 15,33). Anfangs zwar mag es scheinen, alsknne das probabile die approbatio ersetzen; aber es zeigt sichbald, dass es einen Punkt giebt. an dem die Stellung des pro-babile leicht angreifbar ist: Primo visum est mihi, ut soletvideri cum ista vendebam, belle tectum et munitum. Deindeubi totum cautius circumspexi , visus sum mihi vidisse unumaditum, qua in securos error irrueret. Nou enim solum putoeum errare, qui falsam viam sequitur, sed etiam eum qui veramnon sequitur (I. c. 111 15, 34). W^er im einzelnen Falle langemit der Entschliessung zgert und schliesslich doch nur demSchein gehorcht, luft mindestens ebenso sehr Gefahr zu irren,wie der, der ohne berlegung die Wahl dem Zufall berlsst.Wird man schon dadurch ber den Wert des probabile zweifelnd,so zeigt eine genauere Betrachtung der menschlichen Thaten.

    1) Ist ja der Einwurf: si iiulli rei esset ussensus, nihil acturum essesapientem, selbst im Geiste Platous und seiner rationalen Begrndung derEthik, c. ac. 111 18,40.

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    - 20 dass man, anstatt das probabile wegen seiner Unbrauchbarkeitnur zu verlachen, vielmehr in Zorn und Schmerz ber dieseVerirrung so gelehrter und scharl'sinniger Mnner geraten rauss.(1. c).

    0. Die Mglichkeit der Erkenntnis.Indem wir so die l'olemik gegen das probabile vor allem

    aus dem ethischen Interesse verstehen, bleibt doch immer nochdie Frage ott'en . in wieweit bisher die Skepsis gentigt ist,von ihrer Griindthese zu lassen, dass eine Erkenntnis unmglichsei. Augustin ist gezwungen auf diese akademische Lehre nhereinzugehen; er muss sich wenden gegen die These, derenpraktische Anwendung gleichsam nur die sno^rj darstellt: nichtskann erkannt werden. Kann er demgegeniil)er die Mglich-keit einer Erkenntnis darthun. unbeschadet dessen, dass sienoch nicht wirklich geworden ist, so kann er auch seinemBegrill' des Wahrscheinlichen zu einer positiven, nicht mehr nurpolemischen Bedeutung verhelfen. Damit wendet sich nunAugustin erst zu der eigentlichen Aufgabe, die sich die Akademiegestellt hat. Denn fr diese ist die ganze Theorie der inquisitioveri und des probabile ja nur die Kehrseite der Kritik, die siean der stoischen J)elinition dt.'i- qarraai'a xazakrjmixr] bt.Nur wenn die Stoa hier ein in ^Val^rheit unerreichbares Erkenntnis-ideal flschlich fr eine mgliche Stufe des menschlichenVorstellens ausgiebt, hat es einen Sinn, das Wahrscheinliche alseinen Ersatz anzubieten.

    Augustin glaubte nun in seinem Piatonismus den Weg ge-funden zu haben, der ihn aus der skeptischen Ungewissheit hin-ausfhrte. Die Weisheit, die die Akademie so eifrig verbarg,Plotin hat sie ihm enthllt. Sofern daher die Akademie ihrenSieg ber die Stoa dadurch gewann, dass sie die Mglichkeiteiner jeden objektiven Erkenntnis bestritt, kann Augustin ihrnicht beipflichten. Anderseits will er alor nicht den stoischen,sensualistischen Standpunkt gegen die Skepsis vertreten. Wirmssen daher gerade hier erwarten, dass Augustin seine eigeneStellung zur Skepsis wie zum Piatonismus wird klar bekennen

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    21 -mssen: Mit jener hat er einen gemeinsamen Gegner, in diesemglaubt er sich ber die Ansichten seines Mitstreiters erhoben.So tritt Augustins Platonismiis mit der doppelten Kampfstellung.gegen die 8toa und gegen die Akademie auf den Plan.

    Dass alles ungewiss sei, behaupteten die Akademiker nichtnur, sondern sie sttzten die Behauptung mit reichen Beweisen.Dass das Wahre aber nicht erkannt werden knne, das scheinensie der zenonischen Definition abgerungen zu haben. Denn einEtwas, das dieser Definition entsprche, kann, wie sie behaupten,nicht gefunden weiden. Und sie haben viel Mhe darauf ver-wandt, diese ihre Behauptung zu begrnden. Inde dissensionesphilosophorum , inde sensuum fallaciae, inde somnia luroresque,inde pseudomeni et soritae in illius causae patrocinio viguerunt".(c. ac. II 5, 11). Die Antikritik dieser skeptischen Einwndegegen die stoische xarahjTTTixT] (favtaaia bildet die weitereAul'gabe der Augustinischen Errterung.Was zunchst den Hinweis auf die dissensiones philosophorumanlangt, so kann dieser jetzt nicht mehr verfangen. Denn essteht fr Augustin die Frage gar nicht nach der Wirklichkeitdes Weisen wer wollte denn diese behaupten? sondern nachdessen Mglichkeit. Mgen sich also bisher die Menschen berdie naturphilosophischen Tlieorieen der lteren Philosophen nochnicht geeinigt haben, trte ein Weiser auf, so wrde er, wohldurch ein Urteil fr oder wider den Dissens beseitigen. Dassbisher eine Entscheidung noch nicht gelallt ist, beweist nur etwasgegen die Anmassung, dass wir bereits weise seien, nichts abergegen die Mglichkeit zur Erkenntnis zu gelangen. ') Ja wirhaben im (iegenteil allen Grund, diese Mglichkeit zu behaupten.Hat doch selbst der >}icht-Weise ^) schon eine Erkenntnis, gegenderen W^irklichkeit das genannte skeptische Argument nichtsauszurichten vermag: Er weiss ganz gewiss, dass entwedereine Welt ist, oder nicht eine; wenn al)er nicht eine, dannentweder Welten von begrenzter oder von unbegrenzter

    1) e. ac. III 10, "23. Si enim ad sapientiam pertinet horum aliquidStire, icl mm potest iatere sapicntem. Si autem aliml quiddam est sapieufia ,illam seit sapiens, ista conteranit. cf. 1. c. III 7, 16.

    2) ego, (|ui longe adhuc absuui vel a vicinitate sapientis. c. ac. III 10, 23.

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    Anzahl u. s. f. Und sjpgen diese Gewissheit kann Karneadesnicht einwenden, sie sei zwar kein positiver Irrtum, aber dochdem Falschen hnlich (d. h. nicht verisimile); denn die Dis-junktion als solche hleiht gewiss und wahr, sie ist dem Urteildes prohahile entrckt. Und derartige Erkenntnisse kann schonder thrichte Laie in der Naturlohre viele aufstellen. Sie sindalle wahr, ohne dass damit schon eine positive inhaltliche Ent-scheidung gegeben wre. ^)

    Es ist bezeichnend fr die Wichtigkeit, die Augustin diesemGedanken beimisst, dass er ihn auch anwendet auf die Stellungder Akademie zur Zenonischen Definition. Dass diese die Auf-gabe der Erkenntnis richtig bestimmt, rumt auch Arkesilaosein. Er folgert ja gerade aus ihrer Geltung, dass berhaupt eineErkenntnis nicht mglich ist, weil nichts gefunden werden kann,was der Definition Genge thte. -) Id visum ait (Zeno) possecomprehendi, quod sie appareret, ut falsum apparere non posset.Manifestum est, nihil aliud in perceptionem venire. Hoc et ego,inquit Arcesilas, video, et hoc ipso doceo nihil percipi. Nonenim tale aliquid inveniri potest. Doch Augustin wirft lakonischein: Fortasse abs te, atque ab aliis stultis: at a sapientecur non potest?^) Dagegen wird ein jeder Thor, mag erauch nicht eine Erkenntnis haben, die der Definition Zenonsentspricht, doch die Akademie durch ein Dilemma (complexio)zwingen, ihm eine Gewissheit einzurumen. Er wird sagen:Entweder ist die Definition richtig, dann erkennst Du sie frwahr, also hast Du sie selbst als Erkenntnisgegenstand; odersie ist falsch. Dann giebt aber die Skepsis das Mittel aus derHand, das ihr erlaubt, die Mglichkeit der Erkenntnis zu be-streiten. In jedem Falle habe ich also eine Erkenntnis ent-weder die Definition, oder ich weiss, dass etwas erkennbar ist,obwohl es ein gemeinsames Merkmal mit dem Falschen hat.

    1) c. ac. III 10,23: Istam sententiam Carneades falsae esse similemdoceat. Vera enim ista sunt disiuncta, nee siinilitudine aliqua faLsi eapote.st quisquam confuudere.

    2) cf. Cicero ac. pr. 77.3) c. ac III. 9, 21.

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    23 Will sich aber der Skeptiker hinter das im sibi videri be-

    grndete probabile zurckziehen und so auf das Entweder Oderder Frage nicht Rede stehen. ma" knne weder behaupten,dass die Definition wahr sei. noch dass sie falsch sei so mager zwar behaupten, dass unter der Annahme der Definition alswahrscheinlicher Norm nichts gefunilen werden kann, was dieserNorm entsprche; aber auch daim muss er zugestehen, dassdieser Satz sich nicht auf die Definition selbst erstrecken kann.Diese bildet vielmehr die Voraussetzung der cond i ti onal enErkenntnis: Die Richtigkeit der Definition angenommen, istnichts erkennbar. Aber mag selbst dies noch ungewisswerden,-) so bleibt doch die Gewissheit, die jeder zugestehenmuss: Die Definition ist entweder wahr oder falsch. Dielogische Grundlage des eben aufgestellten Dilemmas muss jederanerkennen. Mit dieser, wie es scheint, nichtssagenden, in derThat auch durchaus inhaltsleeren Disjunktion ist doch eineWahrheit erkannt. Ja man kann schon mit ihrer Hilfe denAkademiker zwingen, die Wahrheit der Definition Zenons an-zuerkennen. Diese unterliegt nmlich nicht der Kritik, dieKarneades an ilen Gegenstnden der philosophischen Unter-suchung bt. AVhrend dieser eine Evidenz fr die Gegen-stnde der tglichen Erfahrung einrumt, bestreitet er doch dieMglichkeit einer Erkenntnis in philosophischen Fragen, undzwar schliesst er sich dabei an die stoische Definition selbst an.nach der nur das erkannt wird . was mit dem Falschen keingemeinsames ^lerkmal hat (III 9, 18). Aber er hat dabei ver-gessen, dass doch die Definition selbst von ihm nicht als falschoder dem Falschen hnlich^) nachgewiesen werden kann.

    1) cf. III 4, ;l , wo der Verteidiger des sibi videri scire auch auf dasaut aut nicht Rede stehen will.

    2) intertum esse ist gleichbedeutend mit nou ])orcepisse. cf. c. ac. III 14,3"2.3) Die Bedeutung des falso simile ergiebt sich aus der Vergleichung

    der beiden Stellen: III 10,23: Istam sententiaiu Carneades falsa e esses im i lein doceat, uTid ebenda: die istas disiunetiones aut falsas esse autaliquid commune habere cum falso, per quod discerni omnino nonpossint. Die (noyr, , die der Akademiker auch hier beobachten musste,zwang ihn nur, alles als bezweifelbar (incertum) hinzustellen: er nannte esdaher nur falso simile.

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    24 Nur wenn er die Definition vllig vernichtete (evertere),

    knnte er sich der Anerkennung ihrer Wahrheit entziehen.Solange er sie nur schwcht (labefactare) d. h. ihre Erkennbar-keit anzweifelt, so gilt dies ebenso viel, als behauptete er, siesei falsch. Dann kann aber gerade das erkannt werden, dessenErkennbarkeit sie leugnet: das Falsche ebenso wie das demFalschen hnliche. Dies ist klar aus der Alternative: DieDefinition ist entweder wahr oder falsch. Ist sie falsch, so kannauch das Falsche erkannt werden (das will doch selbst derAkademiker nicht), dann ist sie aber wahr und dann kann auchdas nicht erkannt werden, was auch nui- falsch-hnlich ist.')Will also Karneades alles als simillinium f'also abweisen, somuss er die Definition selbst fr wahr halten und ebenso dieAlternative von wahr und falsch gelten lassen. Macht er dieDefinition unsicher, so ist es nicht mehr mglich, etwas alssimile falso fr unerkennbar zu erklren; denn durch die Alter-native, die er seilest nicht anzweifeln kann, wird er gezwungen,mit dem Preisgel)en der Wahrheit der Definition auch ihreFalschheit einzurumen. Dann kann al)er nicht nur das Falsche,sondern auch das dem Falschen hnliche erkannt werden. Soist Karneades gezwungen zuzugestehen: ali(|uid esse in philo-sophia, quod tanquam simile falso incertum . . . fieri non possit.(III 10,22).

    Damit, dass die Akademie zur Anerkennung dieser Erkenntnisgezwungen ist, bleibt ihr doch immer noch das ganze Gebietder G e ge n stan d ser k enutnis, das sie eben auf Grund derWahrheit der Definition Zenons ihrer Kritik unterwirft, als einFeld ihrer Polemik. Whrend die pyrrhoneische Skepsis hierin klarer Entgegensetzung der rationalen Forderung der Ein-deutigkeit mit der Unbestimmtheit der sinnlichen Objektsbeziehnngzu einer Ablehnung der auf den Erscheinungen basierten GegenStandserkenntnis gekommen war, knpft die Akademische Skepsisihre Polemik eng an die bewusste stoische Definition. Dadurch

    1) I. c. III 9. -21 a. K. Dass Augustin fr das uxcin'drjnToy diesenTerminus des falsisiraile"' einfhrte, ist ein Symptom dafr, dass ihm diescharfe Trennunjr dieses Problems von dem des ^verisimile" {niii-avov) keinsystematisches Bedrfnis mehr war.

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    - 25 gert sie aber in eine Al)hngigkeit von ilirer Gegnerin, die sieSelbst in Widersprche verwickelt. Indem sie nmlich die krassdogmatische, sensualistische Theorie von der Entstehung derwahren Idee, wie sie die Grundlage der stoischen qtxvraai'ctxatuXrjTiTixri ist, anerkannte und dann nur die Mglichkeitbestritt, eine Gegenstandserkenntnis aufzuweisen, von der manbehaupten knne, dass sie nur auf diese Weise entstanden seinknne, begab sie sich selbst in die Hnde des Sensualismus.Anstatt die Voraussetzung der Stoa zu bekmplen, nach derErkenntnis nur stattfinden kann . wenn sich der Gegenstand inunserm Geiste abdrckt . wendet sich die Akademie nur gegendie von der Definition geforderte Annahme eines l)ei dieserivTTwaic mitgegebenen signum veri. Dass gerade nur diesesund kein anderes Ding {vnctQxov) dem visum (^qnrrnffi'ce) ent-sprche, dafr bekommen wir in den Sinnen kein Kennzeichen.So behielt die Akademie die sensualistische Gegenberstellungder Dinge und der diese al)spiegelnden Vorstellungen bei undverwarf dann nur die Sinne, die von ihr als einzige Vermittlereiner OI)jektserkenntnis anerkannt werden; denn die sinnlicheTvnioaig sei nicht kontrollierbar.

    So sind die Argumente gegen die Sinne der Angelpunktder akademischen Polemik. Nur die Sinne knnten Gegenstands-erkenntnis geben, aber diese gerade sind dem Irrtum vlligpreisgegeben.

    Diese Kritik der Sinne, fr sich genommen, ist natrlichAugustin weit entfernt widerlegen zu wollen. Denn gewiss istder im Irrtum, der die sinnliche Erscheinung mit dem rmioxm-ohne Prfung identificiert. Ja die Skepsis mag wohl gar so weitRecht haben, dass diese Identifikation nie vorgenommen werdendarf. Aber hat dann nicht der Sensualismus noch pine Aus-kunft, die ihm eine Gewissheit garantiert, trotz aller Kritik derGegenstandserkenntnis? Die skeptischen Argumente treffenwohl, aber sie reichen nicht hin. Nunquam rationes vestrae itavim sensuum refeilere potuerunt, ut convinceretis nobis nihilvideri (c. ac. III 11,24. Die Skepsis hat wohl die Beziehung,welche die Sinne zwischen dem Gegenstand und dem erkennendenSubjekt herstellen, fr unzuverlssig befunden; aber auf die

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    26 Fnigo: woher die Welt, deren Sein du voraussetzst ? hat er keinekritische Antwort mehr. Die Art des Seins der Welt mag wohlzweifelhaft sein, dass eine solche existiert, muss der Skeptikerzn

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    27 Hoffnuiii,'. diese Luterung des Oeistes von der trgerischenSinnlichkeit durchfhren und die Objektivitiit. auf die sie unshinweist, ihrer wahren Wesenheit nach in unsinnlicher Veniunft-erkenntnis fassen zu knnen. Denn schon jetzt weiss jeder, dassjene Welt, die sich uns in allerlei Erscheinungen abspiegelt,entweder eine ist, oder nicht eine. ^) Wenn wir diesen Satzaussprechen, mag es immerhin zweifelhaft sein, ob wirnicht trumten oder gar nicht gesprochen haben, oder doch dasSprechen und seine Begleitumstnde ganz andere waren, als esdie Erscheinungen uns vorspiegelten. Aber ich behaupte ja auchgar nicht, dass ich wisse, ob ich wache oder trume, sondernich habe jene Disjunktion aufgestellt, um ihren rein logischenErkenntnisanspruch zu verteidigen; und diesen muss auch derSkeptiker anerkennen, denn diese W^ahrheit bleibt bestehen,quoquo modo atfectus sim (c. ac. III 11, 25).

    Diese Gewissheit der Disjunktion rckt fr den, der ihrwegen ihrer Unfruchtbarkeit keinen so hohen Wert beilegenmchte, in eine neue Beleuchtung, wenn er alsbald hrt,dass mit ihr eine hochbedeutsame Art der Erkenntnis aufeiner Stufe steht: Die Erkenntnis der Mathematik. Sechsund eine Welt sind siel)en Welten: Das ist eine connexio, diedurch den Hinweis auf Schlaf, Wahnsinn und Sinnentrug nichtin ihrer Gewissheit geschmlert wird. Das Gesetz der Quadrat-zahlen ist wahr, wenn auch das ganze Menschengeschlecht schlft.Die rationale Erkenntnis der Methode der Conjunktion und Dis-junktion bleibt die Wahrheit, die die Skepsis niemandem be-streiten kann; berhaupt entscheidet ja das Urteil (der sonderndeund verbindende Verstand) ber wahr und falsch. Wenn daherdie Skepsis die Sinne anklagt, so thut sie diesen Unrecht ; nichtdiese tragen die Schuld, dass die Rasenden und Trumendenirren ; sie haben ihre Pflicht schon gethan, wenn sie dem GesundenWahres melden. Es ist nicht billig von ihnen mehr zu ver-langen ; sie knnen nicht mehr leisten. Daher wre es die Auf-gabe gewesen, die in der Sinneserkenntnis waltenden rationalen

    l) c. ac. III 11, 25: Quamobrem hoc dico, istam totani corporuin molematque machinam, in qua sumus sive dormientes, sive furentes, sive vigi-lantes, sive sani, aut unam esse aut non esse unam. cf. Cicero ac. pr. 97.

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    -28 Elemoiite honuisznstellen und diese zu kriifti

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    -29 irren. Kann ich berhaupt keine objektive Aussage machen^nun so bescheide ich mich und bejahe immer nur die jedes-malige Erscheinung. Ob die Bh'itter des lbaums an sich bittersind, ob sie dem Vieh bitter schmecken, das weiss ich nicht.Mir schmecken sie bitter. Ja richtiger wre es zu sagen: mir,wie ich jetzt gerade empfinde. M (c. ac. III 11. '26). Auch derTraum kann natrlich an dieser subjektiven Gewissheit nichtsndern. So ist der Akademiker gegen diesen Einwand einesEpikureers oder Kyrenaikers wehrlos. -) Denn er hat zwar denobjektiven Anspruch der Sinne mit Recht abgewiesen ; der sub-jektiven Evidenz hat er aber in seinem 7r/,yofvdi' eine HeimstttegeschalVen. So hat er sich gegen die Sensualisten selbst ent-waflnet. Mag er sich daher bemhen, diese lstigen (iesinnungs-genossen loszuwerden. Augustins Wnsche sind auf seiner Seite. ^)Diesem selbst aber ist dieser Streit nicht mehr von Interesse,

    1) cf. Piaton Thetet. 154 A.2) So meint Augustin. Im Grunde ist aber gerade dies die ei^ne Be-

    hauptung der Skepsis. Die Erklrung dafr, dass Augustin hierdurch dieSkepsis zu treifen meint, ergiebt sich vielleicht im Zusammenhang mit derErklrung fr die Idintificierung der doch so verschiedenen Lehren vonEpikur und Aristippus. Fr Epikur siud nmlich die sinnlichen Data nicht"ur subjektive Erscheinungen, sondern objektive, wenn auch nur momentaneWirklichkeit, die auch unmittelbar einer objektiven Erklrung zugnglichsind. Die Kyrenaiker dagegen behaupten nur die subjektive (lewissheit derErscheinung; auch sie haben, was brigens allerdings Augustin sicher nichtliekannt war, ursprnglich eine Kausalaljleitung des n&og aus einer ent-sprechenden Qualitt im Objekt vertreten, natrlich ohne fr diese denAnspruch einer objektiven (jiltigkeit zu erheben (Natorp im Arch. f. Gesch.d. Philos. 111. rS.V) fl. 361). Die materiale ("bereinstimmung der beidenLehren, dass man die >-inne zum einzigen Kriterium erhob und eine hhereErkenntnisquelle nicht anerkannte, lsst sie der Akademie verwandt er-scheinen; denn hatten nicht auch die Skeptiker sich auf das nid^ni^ygesttzt? Wir haben gesehen, dass dieses fr Augustin durch die Begrn-dung aus dem scio mihi videri gerichtet war. So war fr ihn die Skepsisselbst dem Sensualismus verfaiien.

    3) Wie wenig Erfolg i tun Augustin dabei verspricht, zeigen die Worte:c. ac. III 11, :^G : Et Epicureus vel ('jrenaici et alia multa fortasse prosensibus dicant, contia ipiae nihil dictum esse ab Academicis accepi.

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    30 -er bildet in ihm keine Partei; denn er hat im Piatonismus ^)eine Weltanschaung kennen gelernt, die liie Sinne nur geltenlsst, solern sich auf sie das Urteil der opinio sttzt, aberihnen die Kraft abspricht, selbstndig Erkenntnis zu konstituieren(cf. J)iv. (^uaest. 83, qu. 9). Die Platoniker ista omnia, qu.ae cor-poris sensu accipit animus opinioneni posse gignere confitentur,scientiam vero negant. (1. c. cf. de ver. rel. 1. c. opinatur"und Ep. XIII, 2). ^

    Auch Cicero stellt im Ilortensius das Thema der skeptischenDebatte mit den Worten : Si igitur nee certi est quidquam, neeopinari sapientis est, nihil unquam sapiens approbabit (1. c.111 14.31). Kann man dem Weisen die opinio retten, so er-hlt er also auch das Recht der approbatio. Wie darf aberder Weise den Inhalt der Sinnlichkeit als eine Meinung an-nehmen? Der Platoniker darf es, denn er kennt eine fiegen-standserkenntnis, die allein in der Vernunft enthalten ist undfern von den Sinnen allein im Geiste lebt. Damit, dass er sichalso ber den Sensualismus der rimayaig erhebt, wird er befhigtzu einer gerechten Ablehnung des Sinneszeugnisses. DieAkademie hat wohl auch eine opinio gekannt, aber sie bestrittdie Mglichkeit einer hheren Erkenntnis. Deswegen hatte siekein Mittel die Richtungen abzuweisen, die in der opinio schoneine scientia zu besitzen meinen. Erst dadurch, dass die wiederhervortretende platonische Lehre in der o[)inio eine Vorstufeder wahren Erkenntnis zu sehen lehrte, konnte sie das Urteil,das nur die Erscheinung bejaht, als unvollkommen abweisen.Der Platoniker ist nun wohl auch der Weise, den wir suchenund der nun die skeptische Opposition gegen den Sensualismuserst radikal durchfhren kann.

    (ianz die gleiche Argumentation lsst sich aul' ethischemGebiet anstellen, nur dass hier die verwerflichen Consequenzen

    1) riaton ist ihm in (iii-sor Frage eltenso der Sie;L;er ber P^pikur wieber die Ston. Ep. 118, lli: Cum Epicurei !iuii(|iiam sensus corporis faiiidicerent, Stoici autem faili aIi(|uaudo concederent, utrique tarnen rc

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    -^ 31 -fies scio ita mihi videri oline weiteres klar werden. Dannkann ja jeder seine Handlung damit verteidigen, es habe ihm sogut geschienen, ohne dass man ihn eines Verbrechens, ja auchnur eines Irrtums zeihen knnte. Wenn Tullius sagt: derMensch kann nichts erkennen, so hat er auch kein Mittel denzu widerlegen, der sagt: scio ita videri mihi (III 16,36). Soleistet die Akademie in ihrer Verkennung des auf die Sinnesich sttzenden Urteils durch die schrotVe Leugnung der Mflglich-keit jedes sittlichen Urteils dem rohesten Eudmonismus undder individuellen Willkr Vorschub.

    Jene, die das hchste Gut des Menschen in die Lust setzten,hindert weder das Argument vom Hals der Taube, noch das von der1 ngewissheit des Wortes, oder von dem (Jewicht, das dem Menschenschwer, dem Kameel leicht ist u. s. w. daran, dass sie sagen,eo quo delectantur, delectari se scire, vel eo quu oll'endunturott'endi (quod ret'elli posse non video) (c. ac. 111 12, 27). Nurwer das hchste Gut mit dem Ci eiste erlasst. der Platonikerkann den Wert der skeptischen Argumente gegen die Sinneschtzen, denn er weiss auch hier die Meinung" als V^orstui'eder sittlichen Erkenntnis zu wrdigen.

    Aber hat denn der Jnger Piatons ein Recht, sich mit einerrein geistigen Erkenntnis zu brsten, die ber alle akademischenZweifel erhaben, nicht mehr blosse Meinung ist? Der Weiseallerdings, so sagt Augustin. drfte auf diese Frage die Antwortnicht schuldig bleiben; aber auch schon ich. der ich noch nichtzur Weisheit mich durchgerungen habe, besitze rationale Er-kenntnisse, die mir einen Regritt' von der hchsten Wahrheitverschatt'en. Mag man niimlich das hchste Gut seli.)St schonerkannt haben oder nicht, man hat doch die gewisse Erkenntnis:das hchste Gut, indem die (ilckseliukeit wohnt, ist entwederkeines, oder im Geiste, oder im Krper, oder in beiden.Dies ist eine rationale Gewissheit, die hher steht als alle Sinn-lichkeit. Traum und Wahnsinn knnen auch hier, weil es nurpsychologische Thatsachen sind, die Wahrheit des Inhalts derAussage nicht angreifen. Nach dem Erwachen wird der Trumendeseine Entscheiflung unbehelligt vom Traume fllen. Fr das.

    1) cf. civ. d. XIX 1, 3.

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    - 3-2 was man trumt, kann man doch nicht verantwortlich gemachtwerden. Das wird man doch selbst im l'raiiiue nicht meinenknnen , dass die Weisheit an das Wachen notwendig gebundensei (III 12,28). Also weit entfernt die Entscheidung der psy-chologischen Unterscheidung von Wachen und Schlafen anzu-vertrauen, bewahren wir auch in der Ethik unsere rationaleErkenntnis, die uns vorlulig ein Ersatz lr die vllige Einsichtin das Wesen des hchsten Clutes sein muss: Aut amittiturfurore sapientia, et iam non erit sapiens, quem verum ignorareclamatis: aut scientia eins manet in intellectu, etiamsi parsanimi caetera id quod accepit a sensibus velut in somnis ima-ginetur (I. c. 111 12,28). Wer eine bersinnliche Erkenntnis-quelle ni

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    - 33 -Erkenntnis gefunden.') So hat sich ihr i n te 1 1 i g i bl e r Ur-sprung erwiesen. Und wer kann es verkennen, dass diesschliesslich der Gedanke ist, der dem Kirchenvater am Herzenliegt? Die Seele ist in Gefahr von (iott getrennt zu werden,wenn sie immer nur soll suchen mssen. Ein Glaube", derauch in des Thoren Seele lebt, lehrt sie ihrem gttlichen Ur-sprnge wieder zustreben.

    Jetzt erklrt sich am Ende auch vllig die Fragestellungdes ganzen 3. Buches gegen die Akademiker, die anfangs somerkwrdig berhrt: utrum illorum (sc. Academicorum) argu-mentis probabile sit nihil percipi posse , ac nulli rei esseassentiendum [an] demonstrare potuero, multoesse proba-bilius, et posse ad veritatera pervenire sapientem et assen-sionem non semper esse cohil)endam. -) Warum probabilius?Man mchte doch meinen, dass ber diese Fragen Gewissheit her-gestellt werden msst.'^) Augustin whlt diese Fragestellung mitbewusster Anlehnung an den gegnerischen Terminus, *) aber zu-gleich deutet er ihn um im Sinne seines Begriffs der opinio,der fides. Mann kann es doch nur glauben, dass der Weise dieWeistieit wissen wird wie knnte man es sonst wissen,solange man nur irrende Menschen gesehen hat? Aber wirbetreten das Gebiet der Philosophie in der bestimmten Hoifnung,dass die Seele, zur Weisheit gelutert, die Wahrheit im vollenLichte sehen wird. So darf man wohl zul'rieden sein: iam nonarbitrari, non posse ab homine inveuiri veritatem ^) DerRationalismus Piatons hat Augustin den Ghiuben an Wissenschaftund Tugend, an die Seele und ihre gttliche Heimat wiedergegeben.

    1) Si quaeres ubi iiiveuiat ipsam sapientiam, respoudebo: In semetipso. c. ac. 111 14, 31.

    2) c. ac. 11 13,30. cf. U, i>3 mul 111 U, 3().3) c. ac. 111 3, 5. nunc tu cum mea interrogatione urfrereris, utruiu

    sapiens uesciat sapientiam, Videtur sibi scire" dixisti. Quid tum posteainquit? Quia si videtursibi, inquara, scire sapientiam, nonei videtur uihil scire posse sapientem. Die ino^r] selbst kann mannicht auf das sibi videri (probabile) sttzen. Die Entsclieidiing- darber, obder \\ eise die Weisheit erkennen kann oder nicht, ist eine rationale,nicht nur eine probable.

    4) c. II 9.23: ut ab eurum vorliu ndiiduni lecedam.5) c. ac. 111 20,43. cf. 14,30. Cicero Tusc. 1 17.

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    II. Teil.Aiigiistiiis Platoiiismns.

    1. Augustiiis Rationalismus.Wir wiederholen aus dem Vorigen zweierlei: Einmal,

    Augustins Piatonismus wendet sich in erster Linie gegen denSensualismus. Hierin glaubt er sich in der Tendenz im Einklangmit der Skepsis. Jedoch konnte diese ihren Gegner nicht ber-winden; ging sie ja doch selbst in der Definition des strittigenxaTttXrjTiTixrj qavxaaia auf den Sensualismus ein. Daher istzweitens der Kampf gegen die Sinne, wie ihn die Skepsis unter-nommen hat, von neuem zu beginnen ; er kann nur siegreichgefhrt werden, wenn man Dialektik und Mathematik als Er-kenntnisse zugesteht und aus ihrer Gewissheit den Mut zu weitererForschung schpft. Die Gewissheit der Conjunktion und Dis-junktion, wie sie sich in der Kritik von Physik und Ethik er-wiesen hat, kann weder von der Skepsis angezweifelt werden,da sie von aller Sinnlichkeit unabhngig ist , ^) noch kann sieaus eben diesem Grunde von der Stoa durch ihre xatalrimixi]

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    - 3G -briniL^en vermag, sodass nunmehr er als Weiser aus dem Streitehervorgeht? Aus sich selbst, aus der Reflexion auf die Gesetzedes eigenen Vernunitgebrauchs: Si quaeres ubi inveniat (sapiens)ipsani sapientiam, respondebo; In semet ipso. Si dicis eumnescire, quod habeat, redis ad illud absurdum, sapientem nesciresapientiam. Etwas Anderes ist es zu empfinden, etwas Andereszu erkennen.-) Der Geist lernt nichts Neues, gleichsam vonaussen Kommendes, er reflektiert nur auf seine eigene Wesen-heit, wenn er sich besinnt auf die Einsichten der Dialektik undMathematik. Augustin hat hier die Anlehnung an Piatonsdrti(.ivi,aig bewusst vollzogen und den apriori-Charakter dieserErkenntnisse darauf gegrndet, dass er sie aufwies als die un-wandelbaren Gesetze des Vernunftgebrauchs. '0

    Doch erst die Fruchtbarkeit dieses nichtsinnlichen Ursprungskann seinen Wert fr den Aufbau der menschlichen Erkenntniserweisen. Welches sind die Vernunftgesetze, die auf diese Weiseerkannt werden, und wie erzeigen sie sich brauchbar? Bisherbeschrnkt sich der Inhalt der rationalen scientia auf die disci-plina disputationis et numeri. ") Diese beiden Arten der Er-kenntnis fallen aber im (irunde zusammen; oder besser dieMathematik ist nur eine besondere Ausfhrung des in der Dialektikallgemein Erstrebten: der Vereinheitlichung der Vorstellungendurch ihre Veiknpfung nach strengen Gesetzen.^) Der durchdie Sinne bermittelte Stoff wird Ijewltigt, indem er auf eineEinheit zurckgefhrt wird durch das Kardinalmittel der Mathe-matik. Wie im Centrum des Kreises die unendliche Mannig-faltigkeit der Punkte der Peripherie vereinigt ist, so lsst sichder seiner selbst bewusste Geist von der unbersehbaren Vielheitder Erscheinungen nicht beirren und zerstreuen, sondern er ver-mag es, sie zu ordnen und so die Schnheit des Universums'')

    1) c. ac. lli f4, 31. cf. 19,42 und das Ijekannte Wort de ver. rcl.39, 72 : Noli foras ire, iu ttipsum redi; in inferiore honiine haliitat veritas. u. .2) de ord. II 2,5.

    3) cf. Ep. VII 1,2. inus. VI 12,35. Irin. XV 12,21 u. .4) de doctr. ehr. 11 31, 48.5) cf. de ord. 1 2,3 f.G) uiiiversitatis quae profecto ah u n o cognominata est. d. ord. 1 2, 3.

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    - 37 in ihnen zu erkennen. Die Dialektik als solche ist nur eineformal-logische Anleitung; sie lehrt die Regeln der Verknpfungund Trennung i)erhaupt d. h. der Begriffsbestimmung, zunchstohne alle Rcksicht auf den Inhalt; insofern einer disciplinadisputationis nicht unhnlich.^)

    Aber Augustin wre wohl nicht ber die Akademie hinaus-gekommen, htte er seiner Dialektik keine weitere Bedeutungbeilegen knnen. Gerade die dialektische Methode, die unbe-kmmert um ein Erkenntnisresultat die Untersuchung in all-gemein giltige Bahnen leitet, gleichsam den Weg zeigt, ohnedie Erreichung eines Zieles in Aussicht zu stellen, war ja dasVermchtnis Piatons an Philon von Larissa. Dass also diesedialektischen Regeln wahr seien, mchte dieser Skeptiker selbstzugestehen; nur ihre Anwendbarkeit auf die Phaenomene, someint er, kann zu nichts mehr als zu wahrscheinlichen Resultatenfhren.^) Also die Leistung fr die Gegenstandserkenntnisist vielmehr der strittige Punkt; hat Augustin hierfr in seinerDialektik ein unanfechtbares Erkenntnismittel gefunden?Der weitere Anspruch der Dialektik sttzt sich nicht sowohl aufihren formal logischen Charakter, als vielmehr darauf, dass siein ihrer Arbeit an der Begritfsbestimmung berhaupt erst dieMglichkeit verleiht von irgend einer Wissenschaft, sei es auchvon einer disciplina disputationis zu reden. Die Vernunfthat, ehe sie es versucht, eine Ordnung der Phaenomene zu derEinheit eines Gegenstandes vorzunehmen, die Pflicht, sich selbstin der Dialektik die Werkzeuge zu ihrer Arbeit an den Phae-nomenen zu schaffen.'^) Durch die Grundwissenschaft derDialektik, die die Grundlagen der Definitionen, Unterscheidungen(divisio) und Einteilungen (partitio) enthlt,'*) werden alle

    1) de doctr. ehr. II 32.50. cf. 33,51: Hinc intellifrere facile est, sicutin falsis sententiis veras, sie in veris sententiis falsas couclusiones esseposse. I.e. 34, 52: Aliud est nosse regulas connexionum, aliud sententiaruiuveritatem.

    2) cf. Cieero ac. pr. 91 ff.3) ipsa sua (|uasi quaedara machinamenta et instrumenta distin-

    gueret, notaret, diligeret proderetque ipsam discipliuam discipli-na runi. quam dialpcticam vocant. de ord. II 13,38.

    4) Solil. II 11,21.

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    38 hesoiKieren I)is(i])linen erst zu wahren Wissenschaften*) d. h.zu Methoden, die sinnlichen Erscheinungen, die nicht eine wahr-hafte Einheit sein knnen, da sich alles sei es von einer Gestaltin eine andere, sei es von einem Ort zum andern wandelnd, inden rumlichen Relationen verndert,-) in der Einheit desBegrifls zu bannen.

    Der uni)ersehl)aren Vielheit der rumlich-zeitlichen Phae-nomene wetrenher ist nun das Mittel zur Bestimmung gegebenin der Zahlenlehre, die auf der Eins sich aufbauend, alle Vielheitdurch feste Relationen an die Eins knpft und so gleichsamselbst zu einem unum zusammenschweisst. ^) Indem dann diebesonderen Arten von Phaenomenen auf entsprechende numerischeEinheiten zurckgefhrt werden, wie die Geometrie z. B. auf diedes Punktes,*) so entstehen die Disciplinen der Grammatik.^)der ^lusik, ') der Physik'') als besondere Arten, in denen dieVernunft in ihrer Einheit schalVenden Kraft**) die Erscheinungen,die ihrem "Wesen nach gerade die Einheit von sich ausschliessen,zur wahren Einheit des Begriffs bringt. Die Erkenntnis sinn-licher Schnheit und Harmonie^) beruht hierauf nicht minderwie die Ordnung des Lebens in den virtutes civiles*") berallein Hineinleuchten der rationalen Bestimmung in die Sinnen-

    1) I. c. II 18,32. disputancli disciplina, qua omnes verae suntdisciplinae. cf. II 11,20: firammatica inde vera est, unde disciplina est... Si nihil in ea definitum esset et nihil in genera et partes distributuraatque distinctum, eatn nullo modo disciplinam esse potuisse.

    2) de ver. rel. 30, .')5.3) Es ist von grosser Bedeutung, dass fr Augustin die synthetische

    Einheit im Grunde mit der numerischen Eins zusammenfllt, jedenfallsihr Musterbild in ihr findet. Conjunktion und Disjunktion arbeiten nur ander Vereinigung zur Eins. Dass an den Phaenomenen diese Aufgabe nurunvollkommen gelst werden kann, rhrt von dem irrationalen Faktor derSinne her.

    4) quant. an. 6. 10. 12, 20. Sol. I 4, 9 f. ord. II 12, 35 ff.5) Solil. II 11,20.6) Mus. VI 7, 17 ff.7) de lib. arb. II 16,42.8) de ord. II 18,48 und I 2,3.9) de ver. rel. 30, 5. lib. arb. II 16,41. de gen. ad lit. c. Man. 121.

    10) c. ac. III 17,37 u. .

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    39 weit. ') Dass diese Bestimmung des sinnlich gegebenen Gegen-standes mglich ist. beruht darauf, dass der Krper, der zwar,sofern er wahrer Krper ist, gerade eine falsche (irrtmliche)Einheit darstellt.-) doch wenigstens die wahre Einheit nachahmt:er strebt nach ihr; ^) sodass also die Wissenschaften, die unsdie Erkenntnis des mundus sensibilis vermitteln, zwar keineabsolute Erkenntnis des einen Seins geben, aber doch eineWelt zeigen, die verisimilis ist und nach dem Bilde der wahrengeschalten. '')

    Aber wie: war es nicht gerade die Resignation auf dieWahrscheinlichkeitserkenntnis, die Augustin bei der Akademietadelte und berwinden wollte ? Hat also die Akademie doch Recht,wenn sie eine mehr als wahrscheinliche Erkenntnis der objekti-ven Gegenstndlichkeit leugnet? Der Einwand kann uns nichtmehr irritieren. Wir haben die Verschiedenheit des Augustinischenverisimile vom ni^arv der Skeptiker erkannt und wissen, dassdurch den Begriff der opinio eine der platonischen S^a ent-sprechende Vorstufe der Erkenntnis eingefhrt ist. Jetzt knnen

    1) Es bedarf kaum der Erwhnung, dass Augustin weit entfernt istvon der Aristotelischen Ansicht, dass die ,.spectaraina scientiarura" aus denKrscheinungen durch Abstraktion gewonnen wrden. Vielmehr werden dieSinne nur benutzt, um au die Gegenstnde heranzufhren, die ein Problemfr die Erkenntnis bilden. Man bedarf ihrer wie eines SchifTes, das andas sichere Land der reinen Vernunft fhrt. Aber es wre wahrscheinlicher,dass man auf der Erde zu Schiffe fahren knnte, als dass man die Geometrieaus den Sinnen schpfte (Sol. I 4,9). Aliud sensus , aliud per sensum(de ord. II 11.34. cf. Ep. 13, 3 f. Sol. II 20,35. conf. X 12,19). Soferndie Inlialte der Wissenschaften wirklich gewusst sind, ist in ihnen ilassinnliche Element nicht eliminiert, sondern in der begrifflichen Bestimmungabsorbiert.

    2) de ver. rel. 34, 63.3) 1. c. 32, 60. 36, 66.4) c. ac. III 17,37 u. . cf. de raus. VI 17,56: Quisijuis fatetur

    nullam esse naturam, quae non, ut sit quidquid est, appetat uuitatem, sui-que similis in quantum potest esse conetur, atque ordinem proprium veilocis vel temporibus .... teneat : debet fateri ab uno principio per aequalemUli ac similem speciem divitiis bonitatis eins, qua inter se unum et de unounum carissima, ut ita dicam, caritate iunguntur, omnia facta esse at(|uecondita quaecunque sunt, in quantumcumque sunt.

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    40 -wir aber diesen Gegensatz noch besser begrnden ans dem Unter-schied des in beiden Ansichten vorausgesetzten Wahrheits-begriffs. Die Akademie fordert von der wahren Vorstellungvllige bereinstimmung mit dem vorgestellten Gegenstande undein Merkmal dafr, dass diese bereinstimmung auch wirklichbesteht. Denn nur auf Grund eines untrglichen Kriteriumskann man gewiss sein, dass man sich niclit irrt; kann man dieVergleichung zwischen Vorstellung und Ding an sich vornehmen.Ein solches signum veri giebt es nun nicht. Daher bescheidetsich der Weise bei einer unmittelbaren, sinnlichen Evidenz, diefr das gewhnliche Leben ausreicht, und bei einer Wahr-scheinlichkeitsentscheidung, die ihm das Handeln in dieser Weltmglich macht. Augustin dagegen geht aus von der Wahrheit,d. h. der Geltung der Grundgesetze der Vernunft. Sind ihmdiese zugestanden, so gewinnt er damit die Mglichkeit, diesinnlichen Erscheinungen in Zahlbestimmungen zu ordnen, ihreVerhltnisse zu definieren und so, umbekmmert um die ber-einstimmung mit einem ausser der erkennenden Vernunft an-gesetzten Gegenstand, den Inhalt der Wissenschaften nach ratio-nalen Principien aufzubauen. Und sofern nun die disciplinaedie erkenntnismssige Bestimmung den Phaenomenen zu Teilwerden lassen, kann ihr Inhalt dem der blossen Erscheinungenals das der sinnlichen Wirklichkeit zu Grunde liegende, wahreSein gegenbergestellt werden. Aber wir werden das Urbildim Abbild immer nur in soweit wiedererkennen, als dieses derintelligililen Bestimmung im Begriff fhig ist. Ja wir msseneinsehen, dass diese Bestimmung am sinnlichen Gegenstande niezur Vollendung, zum Abschluss kommen kann. Daher mssenwir uns in der empirischen Erkenntnis mit einer blossen Nach-ahmung, die hinter dem Original zurckbleibt, begngen: unsereErkenntnis des wahren Seins ist in den disciplinae nur einewahrscheinliche: es ist das Wesen des Gegenstandes der scientia,dass die Phaenomene hier nicht vllig in rationale Bestimmungaufgelst werden. ')

    1) z. B. mus. VI 7,19: Nihil in spatiis locorum et temporum per se-ipsum maguum est, sed ad aliquid brevius; et nihil rursus in his perse ipsum breve est, sed ad ali(|uid maius.

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    41 Der rntersohied von dem prolabile der Akademie liei;t auf

    der Hand. Nicht weil es an einem signum veri fehlt, sontlernweil die Erzeugung der Wahrheit nicht bis zur Vollkommenheitdurchgefhrt werden kann, ist der in den Wissenschaften er-kannte sinnliche Gegenstand nur verisimile Mit diesem in einfestes Verhltnis zu dem Ideal der intelligiblen Erkenntnis ge-brachten Begriff des Wahrscheinlichen hat das skeptische TTt^ardrnichts mehr gemein Selbst die srroxr] erhebt ja in der Akademienicht im mindesten den Anspruch einer besser begrndetenGeltung als der einer probablen Anweisung. So windet sichder Skeptiker, nach Augustins Vergleich, um jede Entscheidungherum, sein Aussehen fortwhrend ndernd, wie Proteus (c. ac.III 5,11). Aber dieser Meergreis konnte sich der Befragungum die ihm bekannten Geheimnisse doch nicht entziehen; wennnmlich ein Gott dem Rat Suchenden ein Zeichen gab. an demer den sich durch Verwandlung Entziehenden erkennen konnte.Und dieses gttliche Zeichen, auf das hin man den sich immerwieder entwindenden Akademiker zum (Jestndnis seines ge-heimen Piatonismus ntigen kann, hat Augustin gefunden inden Erkenntnismitteln der Dialektik und Mathematik. ^) Hiererkennt die Vernunft etwas Wahres, an dem sie die Resultateder Wissenschaften wie an einem Massstab messen kann.

    Jedoch einen weiteren Einwand mssen wir gewrtigen.Es mchte zwar einleuchten, dass nunmehr eine gediegenereWahrscheinlichkeit begrndet ist ; aber ist denn nicht das Problem,wie es sich die ltere, pyrrhoneische Skepsis stellte, dadurchvielmehr in seiner Unlsbarkeit anerkannt, als dass es zurErledigung gebracht wre? Die Skepsis Philons hatte zwar diedialektische Methode angewandt , ihre Berechtigung aber nichtgeprft, sie konnte daher durch den Hinweis auf die Thatsachedieser Erkenntnisse und ihrer Anwendbarkeit auf die Sinnlich-keit ber die Haltlosigkeit ihrer eTioxrj aufgeklrt werden. Da-gegen erkannte die ltere Skepsis, die in Ainesidemos ihren

    1) de ord. II 15,43. Man knnte die beiden Standpunkte etwa soformulieren: Die Akademie sagt: es giebt nur ein Wahrscheinliches, weiles kein sijrnum giebt. Augustin: es giebt ein Signum, also giebt es zummindesten ein Wahrscheinliches.

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    4-2 schjirfsinnigon Erneuerer fand, die Forderiuig der Einheit undEindeutigkeit der Objektserkenntnis als eine rationale an. Jedochstellte sie daneben das Pliaenomen selbst in Hechnung: nur inder Bewahrheitung, d. h. Bestimmung der Erscheinungenkann man eine Erkenntnis des Gegenstandes erlangen. Dennnur dann sind wir geschtzt vor dem Trage der Sinne wie vorder Anniassung vorwitziger BegritVe, wenn qinrofisvov undroiivf.ierov in einer Erkenntnis sich zusammenschliessen. Nunist aber noch nie eine den Korderungen der Vernunft ent-sprechende Erscheinung beobachtet worden, sodass also das Idealder (iegenstandserkenntnis nicht erreichbar 7,u sein scheint. So-fern dagegen eine gewisse Hegelmssigkeit in den l^haenomenenzur Aufstellung empirischer Gesetze veranlasst, so ist diesem nurunter der Beschrnkung nachzugeben, dass damit wohl fr dasLeben eine ganz brauchbare Anleitung gewonnen werden kann,dass jedoch der Erkenntnis der Objektivitt damit kein Dienstgeleistet ist.

    Ist nun nicht mit Augustins dialektischen und mathemati-schen Wahrheiten den Phaenomenen ebenfalls ein rationalerSpiegel vorgehalten, in dem sie nur ihre eigene Unzulnglichkeitsehen V l'nd sind denn die Versuche, die Sinnlichkeit in Zahlenzu ordnen, zu mehr als zu wahi'scheinlichen Re