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  • 8/17/2019 Habermas - Zukunft (Parcial)

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    ]ürgen Habermas

    ie Zukunft

    der menschlichen Natur

    Auf dem Weg

    zu einer liberalen Eugenik

    uhrkamp

    Verlag

  • 8/17/2019 Habermas - Zukunft (Parcial)

    2/21

      i

    © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2 I

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    Satz: MZ-Verlagsdruckerei GmbH, Memmingen

    Druck: Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden

    Umschlag: Werner Zegarzewski

    Printed in Germany

    Erste Auflage 2 I

    Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

    Ein Titeldatensatz für diese Publikation

    ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich.

    I 2 3 4 5 6 -   6

    5 4

    3

    2

    OI

    ie Zukunft der menschlichen Natur

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    Inhalt

    Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

    Begründete Enthaltsamkeit. Gibt

    s

    postmeta-

    physische Antworten auf die Frage nach dem

    »richtigen Leben«?

    11

    Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?

    Der Streit

    um

    das ethische Selbstverständnis

    der Gattung 34

    I Was heißt Moralisierung der mensch-

    lichen Natur?

    46

    II Menschenwürde vs. Würde des mensch-

    lichen Lebens

    56

    III Die gattungs ethische Einbettung der

    Moral

    . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    70

    IV Das Gewachsene und das Gemachte

    80

    V Instrumentalisierungsverbot Natalität

    undSelbstseinkönnen 93

    VI Moralische Grenzen der Eugenik

    105

    VII Schrittmacher einer Selbstinstrumentali-

    sierung der Gattung?

    114

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    Toleranzspielraum einer liberalen Eugenik - die Last

    der Grenzziehung zwischen negativer und verbes

    sernder Eugenik aufbürdet. Darüber kann sich das

    Programm einer liberalen Eugenik nur hinwegtäu

    schen wenn

    es

    die biotechnische Entdifferenzierung

    von Handlungsformen nicht beachtet.

    IV Das Gewachsene und das Gemachte

    Unsere .Lebenswelt ist in gewissem Sinne »aristote

    lisch« verfasst. Im Alltag unterscheiden wir ohne

    großes Nachdenken die anorganische von der orga

    nischen Natur Pflanzen von Tieren und die anima

    lische

    Natur

    wiederum von der vernünftig-sozialen

    Natur

    des Menschen. Die Har tnäckigkeit dieser ka

    tegorialen Gliederung mit der sich kein ontologi

    scher Anspruch mehr verbindet erklärt sich aus Per

    spektiven die mit Formen des Weltumgangs ver

    schränkt sind. Auch diese Verschränkung lässt sich

    am Leitfaden aristotelischer Grundbegriffe analysie

    ren. Die theoretische Einstellung des interesselosen

    Naturbeobachters setzt Aristoteles von zwei ande

    ren Einstellungen ab. Er unterscheidet sie einerseits

    von der technischen Einstellung des produzierenden

    und ziel gerichtet handelnden Subjekts das in die

    Natur

    eingreift indern es Mittel verwendet und Ma-

    terial verbraucht; und andererseits unterscheidet er

    sie von der pr ktischen Einstellung der klug oder

    sittlich handelnden Personen die sich in Inter

    aktionszusammenhängen begegnen - sei es in der

    80

    objektivierenden Einstellung eines Strategen der die

    antizipierten Entscheidungen seiner Gegenspieler

    aus der Sicht eigener Präferenzen beurteilt oder in

    der performativen Einstellung eines kommunikativ

    Handelnden der sich im Rahmen einer intersubjek

    tiv geteilten Lebenswelt mit einer zweiten Personen

    über etwas in der Welt verständigen mächte. Wie

    derum andere Einstellungen erfordern die Praxis des

    Bauern der das Vieh hegt und den Acker bestellt die

    Praxis des Arztes der Krankhei ten diagnostiziert

    um sie zu heilen und die Praxis des Züchters der die

    vererbbaren Eigenschaften einer Population nach ei

    genen

    Zwecken ausliest und verbessert. Gemeinsam

    ist diesen klassischen Pflege- Heil- und Züchtungs

    praktiken die Achtung vor der Eigendynamik einer

    sich selbst regulierenden Natur. An ihr müssen sich

    die kultivierenden therapeutischen oder selegieren

    den Eingriffe orientieren wenn sie nicht fehlschia -

    gen sollen.

    Die »Logik« dieser Handlungsformen die bei Ari

    stoteles noch auf bestimmte Regionen des Seienden

    zugeschnitten waren hat die ontologische Dignität

    der Erschließung eines jeweils spezifischen Weltaus

    schnitts verloren. Dabei spielen die modernen Erfah

    rungswissenschaften eine wichtige Rolle. ie haben

    die objektivierende Einstellung des interesselosen

    Beobachters mit der technischen Einstellung eines

    eingreifenden Beobachters zusammengeführt der

    experimentelle Effekte erzielt. o haben sie den Kos

    mos der bloßen Kontemplation entzogen und die no

    minalistisch »entseelte« Natur einer anderen Art der

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    Objektivierung unterworfen. Diese Umstellung von

    Wissenschaft auf die technische Verfügbarmachung

    einer objektivierten

    Natur

    hatte Folgen für den Pro

    zess der gesellschaftlichen Modernisierung. Die

    meisten Praxisbereiche sind im Zuge ihrer Verwis

    senschaftlichung von der »Logik« der Anwendung

    wissenschaftlicher Technologien geprägt und um

    strukturiert worden.

    Die Anpassung der gesellschaftlichen Produktions

    und Verkehrsformen an die wissenschaftlich-techni

    schen Fortschritte hat gewiss die Imperative einer

    einzigen eben der instrumentel len Form des an-

    delns zur Dominanz gebracht. Gleichwohl ist die

    Architektonik der Handlungsformen selber intakt

    geblieben.

    is

    heute behalten in komplexen Gesell

    schaften Moral und Recht ihre normativen Steue

    rungsfunktionen für die Praxis. Die technologische

    Aus- und Aufrüstung eines von Pharmaindustrie

    und Apparatemedizin abhängigen Gesundheits

    systems

    hat

    freilich ebenso wie die Mechanisierung

    der betriebswirtschaftlich rationalisierten Landwirt

    schaft zu Krisen geführt. Aber diese haben die Logik

    des ärztlichen Handelns oder des ökologischen Um

    gangs mit der

    Natur

    eher in Erinnerung gebracht als

    beseitigt. Die legitimierende Kraft der im weitesten

    Sinne »klinischen« Handlungsformen wächs t je

    mehr ihre gesellschaftliche Relevanz schwindet. Ge

    netische Forschung und die gentechnische Entwick

    lung werden heute im Lichte biopolitischer Ziele von

    Ernährung Gesundheit und Lebensverlängerung ge

    rechtfertigt. Darüber

    wird

    oft vergessen dass sich

    die gentechnische Revolutionierung der Züchtungs

    praxis selbst nicht mehr im klinischen

    Modus

    der

    Anpassung an die Eigendynamik der Natur voll

    zieht.

    Sie

    suggeriert vielmehr die Entdifferenzierung

    einer grundlegenden Unterscheidung die auch für

    unser Selbstverständnis als Gattungswesen konstitu

    tiv ist.

    In dem Maße wie die zufallsgesteuerte Evolution der

    Arten in den Eingriffsbereich der Gentechnologie

    und

    damit des von uns zu verantwortenden Handelns

    rückt entdifferenzieren sich die in der Lebenswelt

    nach wie vor trennscharfen Kategorien des Herge-

    stellten

    und

    des von atur aus Gewordenen Dieser

    Gegensatz bezieht für uns seine Evidenz aus den ver

    trauten

    Handlungsformen der technischen Verarbei

    tung von Mater ial einerseits und des kultivierenden

    oder therapeutischen Umgangs mit organischer

    Na-

    tur

    andererseits. Die schonende Behandlung von

    grenzerhaltenden Systemen deren Selbststeuerungs

    mechanismen wir stören könnten zeichnet sich nicht

    nur durch kognitive Rücksicht auf die Eigendynamik

    des Lebensprozesses aus. Sie verbindet sich

    je

    näher

    uns die behandelte Species steht umso deutlicher

    auch mit praktischer Rücksicht einer Art von Re

    spekt. Die Empathie oder das »mitschwingende Ver

    ständnis« für die Verletzbarkeit organischen Lebens

    die eine Hemmschwelle im praktischen Umgang er

    richtet gründet offensichtlich in der Sensibilität des

    eigenen Leibes und der Unterscheidung einer wie

    auch immer rudimentären Subjektivität von der Welt

    manipulierbarer Objekte.

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    Der biotechnische Eingriff, der die klinische Behand

    lung ersetzt, schneidet diese »Korrespondenz« mit

    anderen Lebewesen ab. Aber vom technischen Ein

    griff des Ingenieurs unterscheidet sich der biotechni

    sche Handlungsmodus durch ein Verhältnis der

    »Kollaboration« mit - oder des »Bastelns«48 an - ei

    ner verfügbar gemachten Natur: »Bei totem Stoff ist

    der Hersteller der allein Handelnde gegenüber dem

    passiven Material. Bei Organismen trifft die Tätig

    keit auf Tätigkeit: biologische Technik ist kollabora

    tiv mit der Selbsttätigkeit eines aktiven Materials,

    dem von

    Natur

    aus funktionierenden biologischen

    System, dem eine neue Determinante einverleibt

    werden soll. [ Der technische Akt hat die Form

    der Intervention, nicht des Bauens.

    «49

    Aus dieser Be-

    schreibung schließt Hans Jonas auf die eigentümli

    che Selbstbezüglichkeit und Irreversibilität des Ein

    griffs in ein komplexes, selbst gesteuertes Geschehen

    48

    Freilich mach t

    es

    einen Unterschied, ob wir

    unsere

    unter Labor

    bedingungen stattfindenden biotechnischen Eingriffe in die Na

    tur oder, wie beispielsweise

    F

    Jakob

    Das Spiel des Möglichen,

    München I983), die Evolution der Natur

    selbst

    nach dem Modell

    des Bastelns interpretieren. Dieser Unterschied wird normativ re

    levant, wenn eins mit dem anderen legitimatorisch verknüpft

    wird, um den naturalistischen Fehlschluss nahe zu legen, dass die

    Biotechnik die natürliche Evolution mit deren eigenen Mitteln

    nur fortsetzt. Ich stütze mich auf ein Manuskri pt von P Janich u.

    M. Weingarten,

    Verantwortung ohne Verständnis. Wie die Ethik-

    debatte zur Gentechnik von deren Wissenschaftstheorie abhängt,

    Marburg, 2001

    49 H. Jonas, Lasst uns einen Menschen klonieren, in: ders.,

    Technik,

    Medizin

    un

    Eugenik,

    Frankfurt am Main I985,

    S

    I65.

    mit weitgehend unkontrollierbaren Folgen: »>Her-

    stellen< heißt hier Entlassen in die Strömung des

    Werdens, worin auch der Hersteller treibt. «50

    Je rücksichtsloser nun die Intervention durch die

    Zu-

    sammensetzung des menschlichen Genoms hin

    durchgreift, umso mehr gleicht sich der klinische Stil

    des Umgangs an den biotechnischen Stil des Eingriffs

    an und verwirrt die intuitive Unterscheidung zwi

    schen Gewachsenem und Gemachtem, Subjektivem

    und Objektivem - bis hinein in den Selbstbezug der

    Person zu ihrer leiblichen Existenz.

    Den

    Fluchtpunkt

    dieser Entwicklung charakterisiert Jonas so: »Als

    technisch beherrschte schließt die

    Natur

    jetzt den

    Menschen wieder ein, der sich bisher) in der Tech

    nik als

    Herr

    ihr gegenübergestellt hatte.«

    Mit

    den

    humangenetischen Eingriffen schlägt Naturbeherr

    schung in einen Akt der Selbstbemächtigung um,

    der unser gattungsethisches Selbstverständnis verän

    dert -

    und

    notwendige Bedingungen für autonome

    Lebensführung

    und

    ein universalistisches Verständ

    nis von

    Moral

    berühren könnte. Diese Beunruhi

    gung drückt Jonas mit der Frage aus: »Aber wessen

    Macht ist das - und über wen oder was? Offenbar

    die Macht Jetziger über Kommende, welche die

    wehrlosen Objekte vorausliegender Entscheidungen

    der Planer von heute sind. Die Kehrseite heutiger

    Macht

    ist die spätere Knechtschaft Lebendiger ge

    genüber Toten.«

    50 Ebd.,

    S

    I68 Die Unkontrolli erbarkei t steigt mit Eingriffen in die

    Keimbahn, siehe Fußnote

    2

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    Mit dieser Dramatisierung rückt Jonas die Gentech

    nologie in den Zusammenhang einer selbstzerstöre

    rischen Dialektik der Aufklärung,

    wonach

    Naturbe

    herrschung in die Naturverfallenheit der Gattung

    selbst zurückschlägt.

    51

    Der Kollektivsingular der

    »Gattung« bildet auch den Bezugspunkt für die Aus

    einandersetzung zwischen Naturteleologie und Ge

    schichtsphilosophie, zwischen Jonas und Spaemann

    auf der einen, Horkheimer und Adorno auf der an

    deren Seite. Aber die Abstraktionsebene, auf der

    diese

    Diskussion stattfindet, ist zu hoch. Wir müssen

    deutlich zwischen autoritären und liberalen Spiel

    arten der Eugenik unterscheiden. Die Biopolitik hat,

    for the time being nicht das Ziel einer wie immer

    auch definierten Verbesserung des Genbestandes der

    Gattung im Ganzen. Einstweilen sind die morali

    schen Gründe, die

    es

    verbieten, Individuen als Gat

    tungsexemplare für dieses kollektivistische Ziel zu

    instrumentalisieren, noch fest verankert in den Prin

    zipien von Verfassung und Rechtsprechung.

    In liberalen Gesellschaften wären

    es

    die über Ge

    winninteressen und Nachfragepräferenzen gesteuer

    ten Märkte, die eugenische Entscheidungen den in

    dividuellen Wahlakten von Eltern, überhaupt den

    anarchischen Wünschen von Kunden und Klienten

    zuspielen: »While old-fashioned authoritarian eu

    genicists sought to produce citizens out of a single

    centrally designed mould, the distinguishing

    mark

    of

    sr M. Horkheimer, T

    W

    Adorno, Dialektik der Aufklärung Ams

    terdam

    1947,

    S 54

    86

    the new liberal eugenics is state neutrality. Access to

    information about the full range of genetic therapies

    will allow prospective parents

    to

    look to their own

    values in selecting improvements for future children.

    Authoritarian eugenicists would do away with ordi

    nary procreative freedoms. Liberals instead propose

    radical extension

    of

    them.«

    52

    Allerdings ist dieses

    Programm nur dann mit den Grundlagen des politi

    schen Liberalismus verträglich, wenn positive euge

    nische Eingriffe auf seiten der genetisch behandelten

    Person weder die Möglichkeiten zu

    autonomer

    Le

    bensführung noch die Bedingungen eines egalitären

    Umgangs mit anderen Personen einschränkten.

    Um die normative Unbedenklichkeit dieser Eingriffe

    zu rechtfertigen, nehmen die Verteidiger der libera

    len Eugenik einen Vergleich zwischen der geneti

    schen Modifikation der Erbanlagen

    und

    der soziali

    satorischen Modifikation von Einstellungen und

    Erwartungen vor. Sie wollen zeigen, dass unter mo

    ralischen Gesichtspunkten kein nennenswerter Un

    terschied zwischen Eugenik und Erziehung besteht:

    »If special tutors and camps, training programs,

    even the administration of growth hormone to add a

    few inches in height are within parental rearing dis

    cretion, why should genetic intervention to enhance

    normaloffspring traits be any less legitimate? «53

    Dieses Argument soll die Erweiterung der grund-

    52 N.

    Agar in: H. Kuhse

    und

    P Singer

    2000),

    S

    171.

    53

    John Robertson, zitiert nach N. Agar in: H. Kuhse und P Singer

    2000), S I72f.

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    rechtlich verbürgten Erziehungsgewalt der Eltern

    um

    die eugenische Freiheit die genetische Ausstattung

    der eigenen Kinder zu verbessern rechtfertigen.

    Allerdings steht die eugenische Freiheit der Eltern

    unter dem Vorbehalt dass sie mit der ethischen Frei

    heit der Kinder nicht kollidieren darf. Die Proponen

    ten beruhigen sich damit dass genetische Dispositio

    nen stets mit der Umwelt auf kontingente Weise

    interagieren

    und

    sich nicht linear in Eigenschaften

    des Phänotyps umsetzen. Deshalb bedeute eine gene

    tische Programmierung auch keine unzulässige

    Mo

    difikation der künftigen Lebenspläne der program

    mierten Person: »The liberal linkage

    of

    eugenic

    freedom with parental discretion in respect

    of

    educa

    tionally

    or

    dietarily assisted improvement makes

    sense in the light of this modern understanding. f

    gene

    and

    environment are

    of

    parallel importance in

    accounting for the traits we currently possess at

    tempts

    to

    modify people by modifying either

    of

    them

    would seem to deserve similar scrutiny. We

    should

    think of both

    types

    of

    modification in similar

    ways.

    «54

    Das Argument steht

    und

    fällt mit einer

    fragwürdigen Parallelisierung die sich auf die Ein

    ebnung der Differenz zwischen Gewachsenem

    und

    Gemachtem Subjektivem

    und

    Objektivem stützt.

    Die auf menschliche Erbanlagen ausgedehnte Mani

    pulation macht wie wir gesehen haben die Unter

    scheidung zwischen klinischem

    Handeln und

    techni-

    54

    Ebd.

    S.

    173. Dieselbe Parallelisierung bei Buchanan et al.

    s I56ff.

    88

    scher Herstellung im Hinblick

    auf

    die eigene innere

    Natur

    rückgängig. Für den der einen Embryo be

    handelt rückt dessen gleichsam subjektive Natur in

    dieselbe Perspektive wie die äußere objektivierte

    Natur. Diese Sicht suggeriert die Vorstellung dass

    sich die Einflussnahme auf die Zusammensetzung ei

    nes menschlichen Genoms von der Einflussnahme

    auf die

    Umwelt einer heranwachsenden Person nicht

    wesentlich unterscheidet: Dieser Person

    wird

    die

    eigene

    Natur

    als »innere Umwelt« zugeschrieben.

    Aber kollidiert nicht die aus der Sicht des Intervenie

    renden vorgenommene

    Zu

    schreibung mit der Selbst

    wahrnehmung des Betroffenen?

    Ihren Körper »hat« oder »besitzt« eine Person nur

    indem sie dieser Körper als Leib - im Vollzug ihres

    Lebens - »ist«. Ausgehend von diesem Phänomen

    des gleichzeitigen Leibseins

    und

    Körperhabens

    hat

    Helmuth

    Plessner seinerzeit die »exzentrische Posi

    tion« des Menschen beschrieben

    und

    analysiert.

    55

    Wie die kognitive Entwicklungspsychologie zeigt ist

    das Körperhaben erst Ergebnis einer im Jugendalter

    erworbenen Fähigkeit zur objektivierenden Betrach

    tung des vorgängigen Leibseins. Primär ist der Er

    fahrungsmodus des Leibseins »aus« dem heraus

    auch die Subjektivität der menschlichen Person

    lebt.

    56

    55 H. Plessner Die Stufen des Organischen

    I927),

    Gesammelte

    Schriften Bd. IV Frankfurt am Main I98r.

    56 Tilmann Habermas Die Entwicklung sozialen Urteilens bei ju

    gendlichen Magersüchtigen in:

    Acta Paedo-psychiatrica SI,

    I988, S. I47-I55.

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    Die Teilnehmerperspektive des »erlebten Lebens«

    stößt in dem Maße, wie sich dem eugenisch manipu

    lierten Heranwachsenden sein Leib auch als etwas

    Gemachtes enthüllt, mit der vergegenständlichenden

    Perspektive von Herstellern oder Bastlern zusam

    men. Denn mit der Entscheidung über sein geneti

    sches Programm haben die Eltern Absichten verbun

    den, die sich später in Erwartungen an

    das Kind

    verwandeln, ohne jedoch dem Adressaten die Mög

    lichkeit zu einer revidierenden Stellungnahme ein

    zuräumen. Die programmierenden Absichten ehr

    geiziger

    und

    experimentierfreudiger oder auch

    nur

    besorgter Eltern haben den eigentümlichen Status ei

    ner einseitigen und unanfechtbaren Erwartung. Die

    transformierten Absichten treten innerhalb der Le

    bensgeschichte des Betroffenen als normaler

    Be-

    standteil von Interaktionen in Erscheinung und ent

    ziehen sich doch den Reziprozitätsbedingungen der

    kommunikativen Verständigung. Die Eltern haben

    ohne Konsensunterstellung allein nach eigenen Prä

    ferenzen so entschieden, als verfügten sie über eine

    Sache.

    Da

    sich aber die Sache zur Person entwickelt,

    nimmt der egozentrische Eingriff den Sinn einer

    kommunikativen Handlung an, die für den Heran

    wachsenden existentielle Folgen haben könnte. Auf

    genetisch fixierte »Aufforderungen«

    kann es

    aber im

    eigentlichen Sinne keine Antwort geben. Denn in ih

    rer Rolle als Programmierer konnten die Eltern die

    Dimension der Lebensgeschichte, innerhalb deren

    sie dann erst dem Kind als die Autoren von Auffor

    derungen begegnen werden, noch gar nicht betreten.

    Die liberalen Eugeniker machen es sich mit ihrer

    Parallelisierung von Natur-

    und

    Sozialisations

    schicksal zu einfach.

    Die Angleichung des klinischen Handeins an ma

    nipulierende Eingriffe erleichtert ihnen auch den

    weiteren Schritt zur Nivellierung der wichtigen Un

    terscheidung zwischen negativer

    und

    positiver Euge

    nik. Gewiss, hochgeneralisierte Ziele wie die Stär

    kung der Immunabwehr oder die Verlängerung der

    Lebenserwartung sind positive Bestimmungen

    und

    liegen gleichwohl auf der Linie klinischer Zielset

    zungen.

    So

    schwer es im Einzelfall sein mag, thera

    peutische also Übel vermeidende, von verbessern

    den eugenischen Eingriffen zu unterscheiden, so

    einfach ist die regulative Idee, der die intendierten

    Abgrenzungen gehorchen.

    57 Solange der medizini

    sche Eingriff vom klinischen Ziel der Heilung einer

    Krankheit oder der Vorsorge für ein gesundes Leben

    dirigiert wird,

    kann

    der Behandelnde das Einver

    ständnis des - präventiv behandelten - Patienten un

    terstellen.

    58

    Die Konsensunterstellung überführt

    57 Buchanan et al. (2000), S.121: »Disease and impairment, both

    physical and mental, are construed as adverse departures from or

    impairments

    of

    species-typical normal functional organization

    The line between disease and impairment and normal func

    tioning is thus drawn in the relatively objective and non-specula

    tive context provided by the biomedical sciences, broadly con

    strued.« Die Autoren behandeln »normal functioning« unter

    normativen Gesichtspunkten in Analogie zu den von Rawls ein

    geführten sozialen Grundgütern als »natural primary good«.

    58

    J

    Harris, s Gene Therapy a Form

    o

    Eugenics in: H Kuhse und

    P Singer (2000), S.167: »This is important because we need an

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    egozentrisch gesteuertes in kommunikatives Han-

    deln. Der intervenierende Humangenetiker braucht

    den Embryo solange er sich als Arzt versteht nicht

    in der objektivierenden Einstellung des Technikers

    wie eine Sache zu betrachten die hergestellt repa

    riert oder in eine erwünschte Richtung gelenkt wird.

    Er kann in der performativen Einstellung eines Inter

    aktionsteilnehmers antizipieren dass die künftige

    Person das grundsätzlich anfechtbare Ziel der

    e-

    handlung bejahen würde. Auch hier kommt es

    wohlgemerkt nicht auf die ontologische Bestim

    mung des Status an sondern allein auf die klinische

    Einstellung der ersten Person zu einem wie immer

    auch virtuellen Gegenüber das ihr einmal in der

    Rolle einer zweiten Person begegnen wird.

    Zu einer solchen vorgeburtlichen In tervention kann

    sich ein präventiv »geheilter« Pat ient in Zukunft als

    Person anders verhalten als jemand der erfährt

    dass seine genetischen Anlagen - sozusagen ohne das

    virtuelle Einvernehmen allein nach den Präferenzen

    eines Dritten - programmiert worden sind. Erst in

    diesem Falle nimmt der genetische Eingriff die Form

    einer »Technisierung« der menschlichen Natur an.

    Anders als bei der klinischen Intervention wird dann

    das genetische Material aus der Sicht eines instru-

    account

    of

    disability

    we

    can use for

    the

    potentially self-conscious

    gamets embryos fetuses and neonates and for the temporarily

    unconscious which does not wait on subse

    quent

    ratification by

    the person concerned.«

    mentell Handelnden manipuliert der im Objektbe

    reich nach eigenen Zielsetzungen »kollaborativ« ei

    nen erwünschten Zustand herbeiführt. Merkmals

    verändernde genetische Eingriffe erfüllen den Tatbe

    stand

    der positiven Eugenik wenn sie die Grenzen

    überschreiten die durch die »Logik des Heilens«

    d. h. der als konsentiert unterstellten Vermeidung

    von Übeln aufgegeben sind.

    Die liberale Eugenik muss sich der Frage stellen ob

    unter Umständen die

    w hrgenommene

    Entdifferen

    zierung zwischen Gewachsenem und Gemachtem

    Subjektivem und Objektivem Folgen haben könnte

    für die autonome Lebensführung und das morali

    sche Selbstverständnis der programmierten Person

    selbst. Jedenfalls können wir eine normative

    e-

    wertung nicht vornehmen bevor wir nicht die Per

    spektive der betroffenen Personen selbst einneh

    men.

    Instrumentalisierungsverbot

    Natalität

    und Selbstseinkönnen

    Was unsere moralischen Gefühle am Gedanken der

    eugenischen Programmierung verwirrt bringt An

    dreas Kuhlmann auf die nüchterne Formel: »Natür

    lich haben sich Eltern immer schon Wunschphanta

    sien darüber hingegeben was einmal aus ihrem

    Nachwuchs werden soll. Etwas anderes ist es jedoch

    wenn Kinder mit vorfabrizierten Vorstellungen kon

    frontiert würden denen sie letztlich ihre Existenz

    93

  • 8/17/2019 Habermas - Zukunft (Parcial)

    11/21

    verdanken.

    «59

    Diese Intuition wäre missverstanden,

    wenn wir sie mit einem genetischen Determinismus

    verbinden würden.

    6

    Denn

    unabhängig davon, wie

    weit eine genetische Programmierung die Eigen

    schaften, Dispositionen und Fähigkeiten der künfti

    gen Person tatsächlich festlegt

    und

    deren Verhalten

    tatsächlich determiniert, könnte die spätere Kennt

    nis dieses Umstandes in die Selbstbeziehung der be

    troffenen Person zu ihrer leiblichen und seelischen

    Existenz eingreifen. Die Veränderung fände im Kopf

    statt. Der Bewusstseinswandel vollzöge sich infolge

    des Perspektivenwechsels von der performativen

    Einstellung des gelebten Lebens einer ersten Person

    zu jener Beobachterperspektive, aus der der eigene

    Körper vor der Geburt zum Gegenstand einer Inter

    vention gemacht

    worden

    ist. Wenn der Heranwach

    sende von dem Design erfährt, das ein anderer für

    den merkmalsverändernden Eingriff in die eigene ge

    netischen Anlagen entworfen hat, kann - in der ob

    jektivierenden Selbstwahrnehmung - die Perspek

    tive des Hergestelltseins die des naturwüchsigen

    Leibseins überlagern.

    Damit

    reicht die Entdifferen

    zierung des Unterschieds zwischen Gewachsenem

    und

    Gemachtem in die eigene Existenzweise hinein.

    Sie könnte das Schwindel erregende Bewusstsein

    auslösen, dass in der Folge eines gentechnischen Ein

    griffs vor unserer Geburt die von uns als unverfüg

    bar erlebte subjektive Natur aus der Instrumentali-

    59 A Kuhlmann 20or),

    S

    17.

    60

    Buchanan et al.

    2000),

    S.90ff.

    94

    sierung eines Stücks äußerer Natur hervorgegangen

    ist. Die Vergegenwärtigung der vorvergangenen Pro

    grammierung eigener Erbanlagen

    mutet

    uns gewis

    sermaßen existentiell zu, das Leibsein dem Körper

    haben

    nach-

    und

    unterzuordnen.

    Gegenüber einer imaginären Dramatisierung dieses

    Sachverhalts ist freilich Skepsis angebracht. Wer

    weiß schon,

    ob

    die Kenntnis des Umstandes, dass ein

    anderer das Design für die Zusammensetzung mei

    nes Genoms entworfen hat, für mein Leben über

    haupt

    eine Bedeutung haben muss?

    Es

    ist eher un

    wahrscheinlich, dass die Perspektive des Leibseins

    den Primat gegenüber dem Haben eines genetisch

    zugerichteten Körpers verliert. Die teilnehmende

    Perspektive des erlebten Leibsein

    kann nur

    inter

    mittie rend in die Außenperspekt ive eines Selbst)

    Beobachters

    ü erführt

    werden. Das Wissen vom

    zeitlichen Prius des Hergestelltseins muss keinen

    selbstentfremdenden Effekt haben. Warum sollte

    sich der Mensch nicht mit einem achselzuckenden

    »So

    what?« auch daran gewöhnen? Nach den nar

    zisstischen Kränkungen, die uns Kopernikus

    und

    Darwin mit der Zerstörung unseres geozentrischen

    und

    unseres anthropozentrischen Weltbildes zuge

    fügt haben, werden wir der dritten Dezentrierung

    unseres Weltbildes - der Unterwerfung von Leib und

    Leben unter die Biotechnik - vielleicht mit größerer

    Gelassenheit folgen.

    Ein eugenisch programmierter Mensch muss mit

    dem Bewusstsein leben, dass seine Erbanlagen in der

    Absicht einer gezielten Einflussnahme auf deren

    95

  • 8/17/2019 Habermas - Zukunft (Parcial)

    12/21

    phänotypische Ausprägung manipuliert

    worden

    sind. Bevor wir uns über eine normative Bewertung

    des Tatbestandes schlüssig werden, müssen wir die

    Maßstäbe selbst klären, die von einer solchen Instru

    mentalisierung verletzt werden könnten. Moralische

    Überzeugungen und Normen haben, wie gesagt, ih

    ren Sitz in Lebensformen, die sich über das kommu

    nikative Handeln ihrer Angehörigen reproduzieren.

    Weil sich die Individuierung über das vergesellschaf

    tende Medium dichter sprachlicher Kommunikation

    vollzieht, hängt die Integrität der Einzelnen in be

    sonderer Weise von dem schonenden

    Charakter

    ih

    res Umgang miteinander ab. o jedenfalls lassen sich

    die beiden Formulierungen verstehen, die Kant dem

    Moralprinzip gibt.

    Die »Zweckformel« des kategorischen Imperativs

    enthält die Aufforderung, jede Person »jederzeit zu

    gleich als Zweck an sich selbst« zu betrachten und

    »niemals bloß als Mittel« zu gebrauchen. Die Betei

    ligten sollen auch in Konfliktfällen ihre Interakt ion

    in der Einstellung kommunikativen Handelns fort

    setzen. ie sollen sich aus der Teilnehmerperspektive

    der ersten Person auf den Anderen als eine zweite

    Person in der Absicht einstellen, sich mit ihm über

    etwas zu verständigen, statt ihn aus der Beobachter

    perspektive einer dritten Person zu vergegenständ

    lichen und für eigene Zwecke zu instrumentalisieren.

    Die moralisch relevante Grenze der Instrumentali

    sierung ist durch das markiert, was sich am Gegen

    über einer zweiten Person allen Zugriffen der ersten

    Person solange mit Notwendigkeit entzieht, wie die

    kommunikative Beziehung, also die Möglichkeit

    von

    Antwort

    und Stellungnahme, überhaupt intakt

    bleibt - das also,

    womit und wodurch

    eine Person sie

    selbst ist, wenn sie handelt und Kritikern Rede und

    Antwort steht. Das »Selbst« des Selbstzwecks den

    wir in der anderen Person achten sollen, drückt sich

    insbesondere in der Autorschaft für eine Lebensfüh

    rung aus, die sich an jeweils eigenen Ansprüchen ori

    entiert. Jeder interpretiert die Welt aus der eigenen

    Perspektive, handelt aus eigenen Motiven, entwirft

    eigene Projekte, verfolgt eigene Interessen und Ab

    sichten, ist die Quelle authentischer Ansprüche.

    Freilich können die handelnden Subjekte dem Ver

    bot der Instrumentalisierung nicht schon dadurch

    genügen, dass sie die Wahl ihrer Zwecke noch ein

    mal im Sinne von Harry Frankfurt ) an eigenen

    Zwecken höherer Ordnung - an generalisierten

    Zielsetzungen, d. h. an Werten - kontrollieren. Der

    kategorische Imperativ verlangt von jedem, die Per

    spektive der ersten Person zugunsten einer intersub

    jektiv geteilten Wir-Perspektive aufzugeben, aus der

    alle gemeinsam zu ver llgemeinerungsfähigen Wert

    orientierungen gelangen können. Schon die Zweck

    formel enthält die Brücke zur Gesetzesformel. Denn

    die Idee, dass gültige Normen allgemeine Zustim

    mung müssen finden können, deutet sich mit der

    merkwürdigen Bestimmung an, dass wir in einer je

    den Person, indem wir sie als Selbstzweck behan

    deln, »die Menschheit« achten sollen: »Handle so,

    dass

    du

    die Menschheit, sowohl in deiner Person als

    in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich

    9

  • 8/17/2019 Habermas - Zukunft (Parcial)

    13/21

    als Zweck niemals bloß als Mittel brauchst.« Die

    Idee der Menschheit verpflichtet uns dazu jene Wir

    Perspektive einzunehmen aus der wir uns gegensei

    tig als Mitglieder einer inklusiven Gemeinschaft an

    sehen die keine Person ausschließt.

    Auf welche Weise in Konfliktfällen eine normative

    Verständigung möglich ist besagt

    dann

    die Geset

    zesformel des kategorischen Imperativs die dazu

    auffordert den eigenen Willen an genau die Maxi

    men zu binden die jeder als ein allgemeines Gesetz

    wollen kann. Daraus folgt dass autonom handelnde

    Subjekte immer dann wenn ein Dissens über zu

    grunde liegende Wertorientierungen aufbricht in

    Diskurse eintreten müssen um gemeinsam die Nor-

    men zu entdecken oder zu entwickeln die im Hin

    blick auf eine regelungs bedürftige Materie die be

    gründete Zustimmung aller

    verdienen

    Die beiden

    Formulierungen erklären dieselbe Intuition in ver

    schiedenen Hinsichten. Einerseits geht s um die

    »Selbstzweckhaftigkeit« der Person die als Indivi

    duum

    ein eigenes und unvertretbares Leben soll füh

    ren können andererseits um die gleichmäßige Ach

    tung die jeder Person in ihrer Eigenschaft als Person

    überhaupt

    zukommt. Daher

    darf

    die Allgemeinheit

    moralischer Normen die eine Gleichbehandlung

    aller sichert nicht abstrakt bleiben; sie muss für die

    Rücksichtnahme auf die individuellen Lebenssitua

    tionen

    und

    -entwürfe aller Einzelnen sensibel blei

    ben.

    Dem trägt der Begriff einer Individuierung und Ver

    allgemeinerung verschränkenden Moral Rechnung.

    Die Autorität der ersten Person die sich in eigenen

    Erlebnissen authentischen Ansprüchen und Initiati

    ven zu verantwortlichem Handeln letztlich in der

    Autorschaft für die eigene Lebensführung aus

    drückt

    darf

    auch in der Selbstgesetzgebung der mo

    ralischen Gemeinschaft nicht gekränkt werden.

    Denn die Moral sichert die Freiheit des Individuums

    ein eigenes Leben zu führen nur dann wenn die

    Anwendung allgemeiner Normen den Gestaltungs

    spielraum individueller Lebensentwürfe nicht unzu

    mutbar einschnürt. In der Allgemeinheit gültiger

    Normen

    selbst muss eine nicht assimilierende

    zwanglos-intersubjektive Gemeinsamkeit zum Aus

    druck kommen die die begründete Verschiedenheit

    der Interessen

    und

    Deutungsperspektiven

    auf

    ganzer

    Breite berücksichtigt also die Stimmen der Ande

    ren - der Fremden der Dissidenten und der Ohn

    mächtigen - weder nivelliert und unterdrückt noch

    marginalisiert und ausschließt.

    em

    soll die rational motivierte Zustimmung von

    unabhängigen Subjekten die Nein sagen können

    genügen: Jede diskursiv erzielte Zustimmung zieht

    ihre Geltungskraft aus der doppelten Negation be

    gründet zurückgewiesener Einwände. Aber diese im

    praktischen Diskurs erzielte Übereinstimmung ist

    nur dann kein überwältigender Konsens wenn darin

    die ganze Komplexität der

    verarbeiteten

    Einwände

    und die uneingeschränkte Vielfalt der berücksichtig-

    ten Interessenlagen und Deutungsperspektiven ein

    gehen. Deshalb ist für die moralisch urteilende Per

    son das eigene Selbstseinkönnen genauso wichtig

    99

  • 8/17/2019 Habermas - Zukunft (Parcial)

    14/21

    wir für die moralisch handelnde Person das Selbst

    sein der Anderen. Im Neinsagenkönnen des Diskur

    steilnehmers muss das spontane Selbst- und Weltver

    ständnis unvertretbarer Individuen zur Sprache

    kommen.

    Wie im Handeln so im Diskurs: ihr»Ja«

    und

    »Nein«

    zählt weil und soweit es die Person selbst ist die hin

    ter ihren Absichten Initiativen und Ansprüchen

    steht. Wenn wir uns als moralische Personen verste

    hen gehen wir intuitiv davon aus dass wir unver

    tretbar in propria persona handeln und urteilen -

    dass keine andere Stimme als die eigene aus uns

    spricht. Es ist nun zunächst im Hinblick auf dieses

    »Selbstseinkönnen« dass sich »die fremde Absicht«

    die mit dem genetischen Programm in unsere Le

    bensgeschichte hineinreicht als ein störender Faktor

    herausstellen könnte. Zum Selbstseinkönnen ist es

    auch nötig dass die Person im eigenen Leib gewis

    sermaßen zu Hause ist. Der Leib ist Medium der Ver

    körperung personaler Existenz und zwar so dass im

    Vollzug dieser Existenz jede vergegenständlichende

    Selbstreferenz beispielsweise in Aussagen der ersten

    Person nicht nur unnötig sondern sinnlos ist.

    61

    Mit

    dem Leib verbindet sich der Richtungssinn von Zen

    trum und Peripherie Eigenem und Fremdem. Die

    Verkörperung der Person im Leib ermöglicht nicht

    nur die Unterscheidung zwischen Aktiv und Passiv

    6I E

    Tugendhat

    Selbstbewusstsein

    un

    Selbstbestimmung

    Frank

    furt am

    Main

    I979 68

    ff ;

    B

    Mauersberg Der lange Abschied

    von der Bewusstseinsphilosophie Frankfurt am Main 2000

    IOO

    Bewirken und Geschehen Machen und Finden; sie

    erzwingt eine Differenzierung zwischen Handlun

    gen die wir uns oder anderen zuschreiben. Aber die

    leibliche Existenz ermöglicht diese perspektivischen

    Unterscheidungen nur unter der Bedingung dass die

    Person sich mit ihrem Leib identifiziert. Und damit

    sich die Person mit ihrem Leib eins fühlen kann

    scheint er als naturwüchsig erfahren werden zu müs

    sen - als die Fortsetzung des organischen sich selbst

    regenerierenden Lebens aus dem heraus die Person

    geboren worden ist.

    Die eigene Freiheit

    wird

    mit Bezug auf etwas natür

    lich Unverfügbares erlebt. Die Person weiß sich un

    geachtet ihrer Endlichkeit als nicht hintergehbaren

    Ursprung eigener Handlungen

    und

    Ansprüche. Aber

    muss sie dafür die Herkunft ihrer selbst auf einen un

    verfügbaren Anfang zurückführen - also auf einen

    Anfang der ihre Freiheit nur dann nicht präjudi

    ziert wenn er sich - wie Gott oder die

    Natur

    - der

    Verfügung anderer Personen entzieht? Auch die Na-

    türlichkeit der Geburt füllt die begrifflich erforderli

    che Rolle eines solchen unverfügbaren Anfangs aus.

    Die Philosophie

    hat

    diesen Zusammenhang selten

    thematisiert.

    Zu

    den Ausnahmen gehört Hannah

    Arendt die im Rahmen ihrer Theorie des Handeins

    den Begriff der »Natalität« einführt.

    Sie geht von der Beobachtung aus dass mit der Ge

    burt jedes Kindes nicht nur eine andere sondern eine

    neue Lebensgeschichte beginnt. Diesen emphati

    schen Anfang des Menschenlebens verbindet sie mit

    dem Selbstverständnis handelnder Subjekte aus

    IO I

  • 8/17/2019 Habermas - Zukunft (Parcial)

    15/21

    freien Stücken einen »neuen Anfang machen« zu

    können. Bei Arendt fällt von der biblischen Verhei

    ßung »Uns

    ward

    ein Kind geboren« ein eschatologi

    scher Abglanz noch auf jede Geburt, mit der sich die

    Hoffnung verknüpft, dass ein ganz Anderes die

    Kette der Ewigen Wiederkehr zerbricht. Der gerührte

    Blick der neugierig Umstehenden auf die Ankunft des

    frisch Geborenen verrät die »Erwartung des Uner

    warteten«. An dieser unbestimmten Hoffnung auf

    das Neue soll die Macht der Vergangenheit über die

    Zukunft zerschellen.

    Mit

    dem Begriff der Natalität

    schlägt Arendt eine Brücke vom kreatürlichen An

    fang zum Bewusstsein des erwachsenen Subjekts, sel

    ber den Anfang für neue Handlungsketten setzen zu

    können: »Der Neubeginn, der mit jeder Geburt in die

    Welt kommt,

    kann

    sich in der Welt nur

    darum

    zur

    Geltung bringen, weil dem Neuankömmling die Fä

    higkeit zukommt, selbst einen neuen Anfang zu ma

    chen d. h. zu handeln. Im Sinne von Initiative - ein

    initium setzen - steckt ein Element von

    Handeln

    in al

    len menschlichen Tätigkeiten, was nichts anderes be

    sagt, als dass diese Tätigkei ten eben von Wesen geübt

    werden, die durch Geburt zur Welt gekommen sind

    und unter der Bedingung der

    Natalität

    stehen.

    «62

    Die Menschen fühlen sich im Handeln frei, etwas

    Neues zu beginnen, weil schon die Geburt, als Was

    serscheide zwischen Natur

    und

    Kultur, einen Neu

    beginn markiert.

    6

    Ich verstehe diese Andeutung so,

    62

    H Arendt

    (I959), S I5

    f

    63

    Ebd., S 243, vgl.

    auch S I64 f

    I 2

    dass mit der Geburt eine Differenzierung einsetzt

    zwischen dem Sozialisationsschicksal einer Person

    und dem Naturschicksal ihres Organismus. Allein

    die Bezugnahme auf diese Differenz zwischen Natur

    und Kultur, zwischen unverfügbaren Anfängen und

    der Plastizität geschichtlicher Praktiken e rlaubt dem

    Handelnden die performativen Selbstzuschreibun

    gen, ohne die er sich selbst nicht als Init iator seiner

    Handlungen und Ansprüche verstehen könnte.

    Denn das Selbstsein der Person erfordert einen Be-

    zugspunkt jenseits der Traditionsstränge

    und

    Inter

    aktionszusammenhänge eines Bildungsprozesses, in

    dem sich die personale Identität lebensgeschichtlich

    erst formiert.

    Gewiss, die Person

    kann

    sich

    nur dann

    als Autor

    zurechenbarer Handlungen und als Quelle authenti

    scher Ansprüche sehen, wenn sie die Kontinuität

    eines Selbst unterstellt, das durch die Lebensge

    schichte hindurch mit sich identisch bleibt.

    Ohne

    diese Unterstellung könnten wir unserem Sozialisa

    tionsschicksal nicht reflexiv begegnen

    und

    kein revi

    sionäres

    elbstverständnis

    ausbilden. Das aktuelle

    Bewusstsein, der Urheber eigener Handlungen und

    Ansprüche zu sein, ist verwoben mit der Intuition,

    zum Urheber einer kritisch angeeigneten Lebensge

    schichte berufen zu sein. Aber einer Person, die aus

    schließlich

    Produkt

    eines bestimmenden

    und nur

    er

    littenen Sozialisationsschicksals wäre, entglitte im

    Fluss der bildungswirksamen Konstellationen,

    Be-

    ziehungen

    und

    Relevanzen ihr »Selbst«. Die Konti

    nuierung des Selbstseins ist uns im Wandel der Le-

    I 3

  • 8/17/2019 Habermas - Zukunft (Parcial)

    16/21

    bensgeschichte nur deshalb möglich weil wir die

    Differenz zwischen dem was w r sind und dem was

    m t uns geschieht an einer leiblichen Existenz fest

    machen können die ein hinter den Sozialisations

    prozess zurückreichendes Naturschicksal fortsetzt.

    Die Unverfügbarkeit des gleichsam vorvergangenen

    Naturschicksals scheint für das Freiheitsbewusstsein

    wesentlich zu sein - aber auch für das Selbstseinkön

    nen als solches?

    Aus annah Arendts suggestiver Beschreibung folgt

    noch nicht dass die anonymen Handlungsketten die

    durch den gentechnisch bearbeiteten Organismus

    hindurchlaufen den eigenen Leib als Zurechnungs

    basis des Selbstseins entwerten müssen. Bedeutet

    etwa die Geburt sobald sich fremde Absichten er

    kennbar im genetischen Programm des eigenen Orga

    nismus einnisten keinen Anfang mehr der dem

    handelnden Subjekt das Bewusstsein geben könnte

    jederzeit selbst einen Anfang machen zu können? Ge

    wiss wer in seinen Anlagen einer sedimentierten

    fremden Absicht begegnet muss sich dazu verhalten.

    Die programmierte Person kann die durch das ver

    änderte Genom hindurchreichende Absicht des Pro

    grammierers nicht als Naturtatsache als einen

    kontingenten Umstand verstehen der seinen and-

    lungsspielraum begrenzt. Mit seiner Absicht greift

    der Programmierer vielmehr als Mitspieler in eine In

    teraktion ein ohne

    innerhalb

    des Handlungsspiel

    raums des Programmierten als Gegenspieler aufzu

    treten. Aber was ist das moralisch Bedenkliche an der

    merkwürdigen Unangreifbarkeit der über Genverän-

    I 4

    derung in die Lebensgeschichte eingreifenden Inten

    tion eines anderen

    peers

    VI Moralische Grenzen der Eugenik

    In liberalen Gesellschaften

    hat

    jeder Bürger das glei

    che Recht seine individuellen Lebenspläne »nach

    besten Kräften« zu verfolgen. Dieser ethische Frei

    heitsspielraum aus einem Leben das fehlschlagen

    kann das Beste zu machen ist auch durch genetisch

    bedingte Fähigkeiten Dispositionen und Eigen

    schaften bestimmt. Im Hinblick auf die ethische

    Freiheit unter nicht selbst gewählten organischen

    Ausgangsbedingungen ein eigenes Leben zu führen

    befindet sich die programmier te Person zunächst in

    keiner anderen Situation wie die natürli ch gezeugte.

    Eine eugenische Programmierung wünschenswerter

    Eigenschaften

    und

    Dispositionen ruft allerdings

    dann moralische Bedenken auf den Plan wenn sie

    die betroffene Person auf einen bestimmten Lebens

    plan festlegt jedenfalls in der Freiheit der Wahl eines

    eigenen Lebens spezifisch einschränkt. Natürlich

    kann sich der Heranwachsende die »fremde« Ab

    sicht die fürsorgliche Eltern vor der Geburt mit ei

    ner Disposition zu bestimmten Fertigkeiten verbun

    den haben in ähnlicher Weise zu Eigen machen wie

    beispielsweise die berufliche Tradition des Eltern

    hauses. Ob nun der Heranwachsende der Erwartung

    ehrgeiziger Eltern z

    B

    etwas aus einer mathemati

    schen oder musikalischen Begabung zu machen in

    I 5

  • 8/17/2019 Habermas - Zukunft (Parcial)

    17/21

    der Reflexion auf das dichte Gewebe der häuslichen

    Sozialisation oder in Auseinandersetzung mit einem

    genetischen Programm begegnet, macht keinen we

    sentlichen Unterschied, sobald der Betroffene diese

    Erwartung in eigene Aspirationen verwandelt

    und

    seine symptomatische erkennbare Begabung als

    Chance und Verpflichtung zu eigener Anstrengung

    begreift.

    Im Falle einer derart »angeeigneten« Intention

    kann

    ein Effekt der Entfremdung von der eigenen leiblich

    seelischen Existenz und eine entsprechende Ein

    schränkung der ethischen Freiheit, ein »eigenes« Le

    ben zu führen, nicht eintreten. Andererseits können

    wir die Möglichkeit

    dissonanter älle

    nicht aus

    schließen, solange wir nicht sicher sein dürfen, dass

    eine Harmonisierung der eigenen mit den fremden

    Absichten garantiert ist. An Fällen dissonanter Ab

    sichten zeigt sich nämlich, dass sich Natur-

    und

    So

    zialisationsschicksal in einer moralisch relevanten

    Hinsicht unterscheiden.64 Sozialisationsprozesse

    laufen

    nur

    über kommunikatives Handeln

    und

    ent

    falten ihre bildende Kraft im Medium von Verstän-

    64 Bu chanan et al.

    2000),

    S

    I77 f :

    »Even

    i

    an individual

    is

    no more

    locked in by the effects

    of

    a parental choice than he

    or

    she would

    have been by unmodified nature, most

    of

    us might feel differently

    about accepting the results of a naturallottery versus the imposed

    va ues

    of

    our parents. The force

    of

    feeling locked in may weIl be

    different.« Merkwürdigerweise wen den die Autoren dieses Argu

    ment

    nur

    gegen das, was sie »communitarian eugenics« nennen,

    nicht gegen die von ihnen befürwor tete Praxis einer liberalen Eu

    genik im Allgemeinen.

    1 6

    digungsprozessen

    und

    Entscheidungen, die von sei

    ten der erwachsenen Bezugspersonen auch

    dann

    mit

    internen Gründen verknüpft sind, wenn sich dem

    Kind selbst, bei einem gegebenen Stand seiner kogni

    tiven Entwicklung, der »Raum der Gründe« noch

    nicht erschlossen hat. Die interaktive Struktur von

    Bildungsprozessen, in denen das Kind stets die Rolle

    einer zweiten Person einnimmt, macht die charak

    terformierenden Erwartungen der Eltern grundsätz

    lich »anfechtbar«. Weil auch eine psychisch fes

    selnde »Delegation« der Kinder

    nur

    im Medium der

    Gründe zustande kommen kann, behalten die Her

    anwachsenden grundsätzlich eine Chance, zu ant

    worten und sich davon retroaktiv zu befreien.

    65

    Sie

    können die Asymmetrie der kindlichen Abhängig

    keit retrospektiv ausgleichen und sich auf dem Wege

    einer kritischen Aufarbeitung der Genese von frei

    heitseinschränkenden Sozialisationsvorgängen be

    freien. Selbst neurotische Fixierungen lassen sich

    analytisch, durch die Erarbeitung von Einsichten

    auflösen.

    Eben diese Chance besteht nicht im Falle einer ge

    netischen Fixierung, die die Eltern nach eigenen Prä

    ferenzen vorgenommen haben. Eine genetische In

    tervention eröffnet nicht den kommunikativen

    Spielraum, das geplante Kind als eine zweite Person

    anzusprechen

    und

    in einen Verständigungsprozess

    einzubeziehen. Aus der Perspektive des Heranwach-

    65

    V gl. oben die Hinweise au f Kierkegaard als den er sten modernen

    Ethiker.

    °7

  • 8/17/2019 Habermas - Zukunft (Parcial)

    18/21

    senden lässt sich eine instrumentelle Festlegung

    nicht wie ein pathogener Vorgang der Sozialisation

    auf dem Wege der »kritischen Aneignung« revidie

    ren. Sie erlaubt einem Adoleszenten, der

    auf

    den vor

    geburtlichen Eingriff zurückblickt, keinen revisionä-

    ren Lernprozess. Die hadernde Auseinandersetzung

    mit der genetisch fixierten Absicht einer dritten Per

    son ist ohne Ausweg. Das genetische Programm ist

    eine stumme und in gewissem Sinne unbeantwort

    bare Tatsache; denn der, der mit genetisch fixierten

    Absichten hadert, kann sich nicht wie natürlich ge

    borene Personen im Laufe einer reflexiv angeeigne

    ten

    und

    willentlich kontinuier ten Lebensgeschichte

    zu ihren Begabungen (und Behinderungen) so ver

    halten, dass sie ihr Selbstverständnis revidiert

    und

    auf die Ausgangslage eine produktive Antwort fin

    det. Diese Situation ähnelt übrigens der des Klons,

    der durch den modellierenden Blick auf Person und

    Lebensgeschichte eines zeitverschobenen »Zwil

    lings« seiner unverstellten eigenen Zukunft beraubt

    wird.

    66

    66

    Vgl. das Argument von Hans Jonas, in: ders.

    (I985),

    S I90-I93;

    . dazu

    K

    Braun,

    Menschenwürde und Biomedizin

    Frankfurt

    am

    Main

    2000 S I62-I79.

    Buchanan et. al.

    (2000)

    beachten zwar

    für das Kind das »Recht auf eine offene Zukunft« (dasJoe l Fein

    berg in anderem Zusamme nhang gefordert hat: The Child s

    Right to an open Future, in:

    W

    Aiken, H. LaFollette (Eds.),

    Whose Child? Children s Rights, Parental Authority, and State

    Power, Totowa, NJ,

    I980).

    Aber sie sind der Auffassung, dass

    dieses Recht durch das Vorläufermodell eines zeitverschobenen

    Zwillings nur unter den - falschen - Prämissen des genetischen

    Determinismus beeinträchtigt werden könnte. Sie übersehen,

    1 8

    Verbessernde eugenische Eingriffe beeinträchtigen

    die ethische Freiheit insoweit, wie sie die betroffene

    Person an abgelehnte, aber irreversible Absichten

    Dritter fixieren und ihr dami t verwehren, sich unbe

    fangen als der ungeteilte Autor des eigenen Lebens

    zu verstehen.

    Es

    mag leichter sein, sich mit Fähigkei

    ten

    und

    Fertigkeiten als mit Dispositionen oder gar

    Eigenschaften zu identifizieren, aber für die psychi

    sche Resonanz beim Betroffenen zählt allein die Ab

    sicht, die mit dem Vorhaben der Programmierung

    verbunden war. Nur im negativen Fall der Vermei

    dung extremer und hochgeneralisierter Übel be

    stehen gute Gründe für die Annahme, dass der Be-

    troffene der eugenischen Zielsetzung zustimmen

    würde.

    Eine liberale Eugenik beträfe freilich nicht nur das

    ungehinderte Selbstseinkönnen der programmierten

    Person. Eine solche Praxis würde zugleich eine inter

    personale Beziehung erzeugen, für die es keinen Prä

    zedenzfall gibt.

    Mit

    der irreversiblen Entscheidung,

    die eine Person über die erwünschte Zusammenset

    zung des Genoms einer anderen Person trifft, ent

    steht zwischen beiden ein Typus von Beziehung, der

    dass hier wie im Falle der verbessernden eugenischen Praxis über

    haupt vor allem die Intention zählt, mit der ein genetischer Ein

    griff vorgenommen wird. Wie die betroffene Person weiß, ist die

    Manipulation nur in der Absicht vorgenommen worden, auf die

    phänotypische Ausprägung eines bestimmten genetischen Pro

    gramms Einfluss zu nehmen und dies natürlich unter der Voraus

    setzung, dass sich die dazu erforderlichen Technologien bewä hrt

    haben.

    1°9

  • 8/17/2019 Habermas - Zukunft (Parcial)

    19/21

    eine bislang selbstverständliche Voraussetzung des

    moralischen Selbstverständnisses autonom handeln

    der und urteilender Personen in Frage stellt. Ein uni

    versalistisches Rechts-

    und

    Moralverständnis geht

    davon aus dass einer egalitären Ordnung interper

    sonaler Beziehungen kein prinzipielles Hindernis

    entgegensteht. Natürlich sind unsere Gesellschaften

    von manifester ebenso wie

    von

    struktureller Gewalt

    geprägt.

    Sie

    sind von der

    Mikromacht

    verschwiege

    ner Repressionen durchsetzt durch despotische Un

    terdrückung politische Entrechtung soziale Ent

    mächtigung

    und

    ökonomische Ausbeutung entstellt.

    Darüber

    könnten wir uns nicht empören wenn wir

    nicht wüssten dass diese beschämenden Verhält

    nisse

    auch anders

    sein könnten. Die Überzeugung

    dass alle Personen den gleichen normativen Status

    einnehmen

    und

    einander reziprok-symmetrische

    Anerkennung schulden geht von einer grundsätzli

    chen Reversibilität zwischenmenschlicher Beziehun

    gen aus. Keiner darf vom anderen in einer prinzipiell

    unumkehrbaren Weise abhängig sein. Mit der gene

    tischen Programmierung entsteht jedoch eine in

    mehreren Hinsichten asymmetrische Beziehung - ein

    Paternalismus eigener Art.

    Anders als die soziale Abhängigkeit des Eltern-Kind

    Verhältnisses das sich mit dem Erwachsenwerden

    der Kinder im Turnus der Generationen immer wie

    der auflöst ist gewiss auch die genealogische Abhän

    gigkeit der Kinder von den Eltern unumkehrbar.

    Eltern zeugen ihre Kinder Kinder nicht ihre Eltern.

    Aber diese Abgängigkeit betrifft allein die Existenz

    11

    die vorzuwerfen merkwürdig abstrakt bleibt nicht

    das Sosein der Kinder - irgendeine qualitative Be-

    stimmung ihres künftigen Lebens.

    Im

    Vergleich zur

    sozialen ist zwar die genetische Abhängigkeit des

    Programmierten von seinem Designer auf einen

    einzigen zurechenbaren Akt zugespitzt. Aber im

    Rahmen einer eugenischen Praxis begründen Akte

    dieser Art - Unterlassungen ebenso wie Handlun

    gen - eine soziale Beziehung die die übliche »Rezi

    prozität zwischen Ebenbürtigen« aufhebt.

      7

    Der

    Programmplaner verfügt einseitig ohne begründete

    Konsensunterstellung über genetische Anlagen ei

    nes anderen in der paternalistischen Absicht für den

    Abhängigen lebensgeschichtlich relevante Weichen

    zu stellen. Die Absicht

    kann

    von diesem interpretiert

    aber nicht revidiert oder ungeschehen gemacht wer

    den. Irreversibel sind die Folgen weil sich die pater

    nalistische Absicht in einem entwaffnenden geneti

    schen Programm niederschlägt und nicht in einer

    kommunikativ vermittelten sozialisatorischen Pra

    xis die vom »Zögling« aufgearbeitet werden kann.

    Die Irreversibilität der Folgen einseitig vorgenom

    mener Genmanipulationen bedeutet eine problema

    tische Verantwortung für den der sich eine solche

    Entscheidung zutraut. Aber muss sie per se für den

    Betroffenen eine Einschränkung seiner moralischen

    Autonomie bedeuten? Alle Personen auch die na

    türlich geborenen sind von ihrem genetischen Pro-

      7Vgl. meine drei Repliken in: J Habermas

    Die postnationale

    Konstellation

    Frankfurt

    am

    Main I989 S 243-256.

    111

  • 8/17/2019 Habermas - Zukunft (Parcial)

    20/21

    gramm in der einen oder anderen Weise abhängig.

    Die Abhängigkeit von einem bsichtlich festgelegten

    genetischen Programm wird für das moralische

    Selbstverständnis der programmierten Person aus ei

    nem anderen Grunde relevant. Ihr ist

    s

    prinzipiell

    versagt mit ihrem Programmierer die Rollen zu tau

    schen. Das

    Produkt

    kann

    um s

    zuzuspitzen für sei

    nen Designer nicht seinerseits ein Design entwerfen.

    ier

    interessiert uns die Programmierung nicht un

    ter dem Gesichtspunkt

    ob

    sie das Selbstseinkönnen

    und

    die ethische Freiheit eines anderen einschränkt

    sondern unter dem Aspekt ob und wie sie gegebe

    nenfalls eine symmetrische Beziehung zwischen dem

    Programmierer und dem derart »gezeichneten« Pro

    dukt

    verhindert. Die eugenische Programmierung

    verstetigt eine Abhängigkeit zwischen Personen die

    wissen dass

    s

    für sie prinzipiell ausgeschlossen ist

    ihre sozi len Plätze zu wechseln. Eine solche unum

    kehrbare weil askriptiv verankerte soziale Abhän

    gigkeit bildet aber in den reziprok-symmetrischen

    Annerkennungsverhältnissen einer moralischen und

    rechtlichen Gemeinschaft von freien

    und

    gleichen

    Personen einen Fremdkörper.

    Bisher begegneten sich in sozialen Interaktionen

    nur

    geborene nicht gemachte Personen. In der biopoliti

    schen Zukunft die liberale Eugeniker an die Wand

    malen würde dieser horizontale Zusammenhang

    überlagert von einem intergenerationellen and-

    lungs-

    und

    Kommunikationszusammenhang der

    vertikal durch das absichtlich veränderte Genom der

    Nachgeborenen hindurchreicht.

    I I

    Man könnte

    nun

    auf den Gedanken kommen dass

    gerade der demokratische Verfassungsstaat den ge

    eigneten Rahmen und die Mittel bietet für den Ver

    such die zwischen den Generationen fehlende Rezi

    prozität durch eine rechtliche Institutionalisierung

    des Verfahrens auszugleichen und die gestörte Sym

    metrie

    auf

    der Ebene einer verallgemeinernden

    Nor-

    mierung wieder herzustellen. Könnte eine solche

    Normierung auf der breiten Grundlage einer

    ethisch-poli tischen Willens bildung nicht die Eltern

    von der fragwürdigen Verantwortung einer nur nach

    eigenen Präferenzen getroffenen individuellen Ent

    scheidung entlasten? Könnte die Legitimität eines

    allgemeinen demokrat ischen Willens die Eltern die

    das genetische Schicksal ihres Kindes nach eigenen

    Präferenzen formen vom Makel des Paternalismus

    freisprechen und den Betroffenen selbst einen eben

    bürtigen Status zurückgeben? Denn diese brauchten

    sich nicht länger nur als Abhängige betrachten so

    bald sie als demokratische Mitautoren einer gesetzli

    chen Regelung in einen generationenübergreifenden

    Konsens einbezogen würden der die im Einzelfall

    unheilbare Asymmetrie

    auf

    der höherer Stufe des

    Allgemeinwillens aufhebt.

    Das Gedankenexperiment zeigt jedoch warum die

    ser Reparaturversuch scheitern muss. Der erforderli

    che politische Konsens wäre entweder zu stark oder

    zu schwach. Zu stark weil eine verbindliche Festle

    gung von kollektiven Zielen die über einvernehm

    lich indizierte Übel hinausreichen in die private

    Autonomie der Bürger verfassungswidrig eingreifen

    I I3

  • 8/17/2019 Habermas - Zukunft (Parcial)

    21/21

    würde; zu schwach, weil die bloße Erlaubnis von

    eugenischen Verfahren Gebrauch zu machen, die El

    tern von der moralischen Verantwortung für die

    höchst persönliche Auswahl eugenischer Ziele nicht

    entlasten könnte, weil die problematische Folge

    einer Einschränkung der ethischen Freiheit nicht

    auszuschließen ist. Praktiken der verbessernden

    Eugenik können im Rahmen einer demokratisch

    verfassten pluralistischen Gesellschaft, die jedem

    Bürger das gleiche Recht auf eine autonome Lebens

    führung zugesteht, nicht

    auf

    legitime Weise »norma

    lisiert« werden, weil die Selektion erwünschter Dis

    positionen von der Präjudizierung bestimmter

    Lebenspläne nicht

    apriori

    entkoppelt werden kann.

    VII Schrittmacher einer Selbstinstrumentalisierung

    der Gattung?

    Was folgt aus dieser Analyse für eine Beurteilung der

    gegenwärtigen Debatte über Stammzellenforschung

    und PID

    ?

    Zunächst habe ich in Abschnitt II zu erklä

    ren versucht, warum die Hoffnung trügt, die Kontro

    verse mit einem einzigen schlagenden moralischen

    Argument entscheiden zu können. Philosophisch ge

    sehen, ist s keineswegs zwingend, das Menschen

    würdeargument auf menschliches Leben »von An

    fang« an auszudehnen. Andererseits öffnet die juri

    stische Unterscheidung zwischen der unbedingt gel

    tenden Menschenwürde der Person und einem

    Lebensschutz des Embryos, der grundsätzlich gegen

    114

    andere Rechtsgüter abgewogen werden kann kei

    neswegs

    Tür

    und Tor für einen ausweglosen Streit

    über ethische Zielkonflikte. Denn die Bewertung

    vorpersonalen menschlichen Lebens betrifft, wie ich

    in Abschnitt III gezeigt habe, nicht ein »Gut« unter

    anderen Gütern. Wie wir mit menschlichem Leben

    vor der Geburt oder mit Menschen nach ihrem

    Tode) umgehen, berührt unser Selbstverständnis als

    Gattungswesen.

    Und mit diesem gattungsethischen

    Selbstverständnis sind die Vorstellungen von uns als

    moralischer Personen eng verwoben. Unsere Auffas

    sungen von - und unser Umgang mit - vorpersona

    lem menschlichem Leben bilden sozusagen eine sta

    bilisierende gattungsethische Umgebung für die ver

    nünftige

    Moral

    der Menschenrechtssubjekte - einen

    Einbettungskontext, der nicht wegbrechen darf,

    wenn nicht die Moral selbst ins Rutschen kommen

    soll.

    Dieser interne Zusammenhang der Ethik des Le

    bensschutzes mit der Art und Weise, wie wir uns als

    autonome und gleiche,

    an

    moralischen Gründen ori

    entierte Lebewesen verstehen, tritt vor dem Hinter

    grund einer möglichen liberalen Eugenik deutlicher

    hervor. Die moralischen Gründe, die hypothetisch

    gegen eine solche Praxis sprechen, werfen ihren

    Schatten auch auf diejenigen Praktiken, die den Weg

    zur liberalen Eugenik erst ebnen. Wir müssen uns

    heute fragen, ob sich spätere Generationen gegebe

    nenfalls damit abfinden werden, sich nicht mehr als

    ungeteilte Autoren ihrer Lebensführung zu begrei

    fen -

    und

    auch nicht mehr als solche zur Rechen-

    115