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  • Hamed Abdel-SamadDer Untergang derislamischen WeltEine Prognose

    Knaur Taschenbuch Verlag

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    Vollstndige Taschenbuchausgabe September 2011Knaur Taschenbuch 2010 by Droemer VerlagEin Unternehmen der Droemerschen VerlagsanstaltTh. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, Mnchen.Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf auch teilweise nurmit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, MnchenSatz: Adobe InDesign im VerlagDruck und Bindung: GGP Media GmbH, PneckPrinted in GermanyISBN 978-3-426-78406-8

    5 4 3 2 1

  • Fr meinen Vater, der mir als Kind dengesamten Koran beibrachte.Als Erwachsener sagte ich zu ihm:Ich bin vom Glauben zum Wissen konvertiert.

  • Inhalt

    Einleitungoder: Morgenland ist abgebrannt . . . . . . . . . . . . . . . . 11

    Pulverfass Geschichteoder: Nimm mir meinen Sndenbock nicht weg! . . 31Von Hhlen und Schattenoder: Eine Kultur schmt sich,will es aber nicht zugeben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46Was ist schiefgelaufen?oder: Der lange Abschied vom Morgenland . . . . . . . 55Die Lust an der Krnkungoder: Warum die Muslime so ungern an ihreselbstgemachte Misere denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75Die Wut-Industrieoder: Ich bin Muslim, also bin ich beleidigt . . . . . . . 94Der Karikaturenstreitoder: Ein Gesprch mit einem Ketzer . . . . . . . . . . . 105Keine Revolution, nirgendsoder: Das muslimische Gottesbild und dieHerrschaftstreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116Kultureller Inzestoder: Eine Freistadt ohne Freiheit! . . . . . . . . . . . . . 135Kfi ghaltungoder: Eine Frau aus gypten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146Du sollst nicht lieben

  • 8 Inhalt

    oder: Der gottgefllige Sex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156Bildung und Einbildungoder: Mohamed im Media Markt . . . . . . . . . . . . . . . .162The Wind of Changeoder: Der Erlser kommt aus Wien . . . . . . . . . . . . . 172Zwischen Renaissance und Radikalisierungoder: Muslime in der Fremde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184Hresie als Chanceoder: Der postkoranische Diskurs . . . . . . . . . . . . . . 209Auf Wiedersehen, Orientoder: Aufbruch oder Zusammenbruch? . . . . . . . . . 224

    Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232Weiterfhrende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .233

  • Wer keinen Zielhafen hat,dem weht jeder Wind aus der falschen Richtung.

    Francis Bacon

  • Einleitungoder: Morgenland istabgebrannt

    V or ein paar Jahren war ich ein unglcklicher Polito-logie-Student an einer durchschnittlichen deut-schen Universitt. Das Studium lief nicht besonders gut, und die Identittskonfl ikte keimten allmhlich in mir auf. Aus dem einst neugierigen gyptischen Stu-denten, der nach Deutschland gekommen war, um Wis-sen zu erlangen und in Freiheit leben zu knnen, war auf einmal ein hilfl oser Kulturkmpfer geworden, der fr sein Gastland nur noch Verachtung brig hatte. Die Schwchen meiner eigenen Kultur und die persnli-chen Konfl ikte, die ich nach Deutschland mitgebracht hatte, wagte ich nicht auszupacken. Mir blieb nur, eine Art Identittspoker zu spielen.

    Die wichtigste Karte in diesem Spiel war, die eigene Kultur zu verniedlichen und die Kultur der anderen zu verteufeln. Dazu gehrte, alle meine persnlichen ngste und kulturellen Unsicherheiten auf Deutsch-land zu projizieren. Und so fi ng ich an, in den Ge-schichtsbchern nach den Schandfl ecken des Westens zu suchen, von den Kreuzzgen ber Kolonialismus und Imperialismus bis hin zum Neoliberalismus und Wirtschaftsprotektionismus. Ich liebte es, Deutschen zuzuhren, die sich selbst zerfl eischten und die eigene Kultur geielten.

  • 12 Einleitung

    In dieser Phase stie ich bei einem Bekannten auf ein altes Buch, das mir zunchst als eine Goldgrube er-schien: Oswald Spenglers Der Untergang des Abend-landes. Ich glaubte, darin alle Argumente gegen die dekadente westliche Zivilisation zu fi nden, die mich als frommen Muslim so sehr berforderte, und empfand keine geringe Schadenfreude angesichts des bevorste-henden Endes dieser Kultur. Doch schon bevor ich die lange Einleitung des monumentalen Werkes gelesen hatte, war ich bereits ermdet. Abgesehen davon, dass das Buch in einer Gelehrtensprache geschrieben wurde, die fr einen auslndischen Studenten, der erst vor we-nigen Jahren Deutsch erlernt hatte, schwer verstndlich war, hatte der Inhalt des Buches mich schockiert. Denn der Zustand der untergehenden Zivilisation, wie Speng-ler ihn beschreibt, kam mir sehr bekannt vor. Die in die Jahre gekommene Kultur, die kalt und seelenlos gewor-den und vom Materialismus und von formloser Gewalt unterwandert war, kannte ich gut. Ich plagte mich durch den schweren Text, bis ich auf diese Passage stie:

    Zuletzt, im Greisentum der anbrechenden Zivili-sation, erlischt das Feuer der Seele. Die abneh-mende Kraft wagt sich noch einmal, mit halbem Erfolg im Klassizismus, der keiner erlschenden Kultur fremd ist, an eine groe Schpfung; die Seele denkt noch einmal in der Romantik weh-mtig an ihre Kindheit zurck. Endlich verliert sie, mde, verdrossen und kalt, die Lust am Da-sein, und sehnt sich wie zur rmischen Kaiser-

  • oder: Morgenland ist abgebrannt 13

    zeit aus tausendjhrigem Lichte zurck in das Dunkel urseelenhafter Mystik, in den Mutter-scho, ins Grab zurck.

    Ich las diese Passage mehrmals, so lange, bis ich sie schlielich verstand. Dann legte ich das Buch beiseite. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Speng-lers Analyse in vielerlei Hinsicht auch auf den Zustand der heutigen islamischen Welt zutrifft. Ich sah vor mir die vielen Muslime, von denen ich wei, dass sie sich in der modernen Welt nicht zurechtfi nden und sich in eine vorgebliche Religiositt fl chten. Ich sah die auf-marschierenden Islamisten, die sich dem Geist der Zeit verschlieen und von der imaginren Urgemeinde des Islam in der Stadt Medina schwrmen. Ich sah mich. Ich empfand keine Schadenfreude, sondern Verunsiche-rung und Wut und musste die Lektre unterbrechen. Ich hatte Angst, dass meine Vorstellung von meiner ei-genen Kultur nichts anderes war als eine Blase, in der ich mich vor der Realitt ber Jahre versteckt hatte. Von nun an hasste ich Spengler und sein Buch und Deutschland umso mehr. Fr eine kopernikanische Wende war es noch zu frh.

    Erst mehr als zehn Jahre spter wagte ich mich noch einmal an Den Untergang des Abendlandes. Mein Deutsch war zwar immer noch nicht perfekt, aber ich ver stand diesmal mehr. Nun las ich das Buch mit ande-ren Augen und versuchte dabei Spenglers Rat zu folgen, dem Untergang der eigenen Kultur gefasst in die Au-gen zu schauen. In Analogie zum Sprieen, Blhen und Verwelken einer Pfl anze hatte der Mnchner Privat-

  • 14 Einleitung

    gelehrte Oswald Spengler in seinem 1918 erschienenen Buch versucht, den Lebenszyklus einer Kultur als Morphologie der Geschichte zu erklren. Ein Bild, das er vermutlich vom arabischen Geschichtsphiloso-phen Ibn Khaldun aus dem 14. Jahrhundert bernom-men hatte, der von Kindheit, Jugend und Alter einer Kultur gesprochen hatte.

    Den Prozess vom Aufstieg ber die Blte zum Nie-dergang hatten alle Hochkulturen durchlaufen mssen, von den Pharaonen ber die hellenistischen Griechen und die Rmer bis hin zum Osmanischen Reich. Der spte Zustand der Zivilisation, so Spengler, zeichne sich durch Geschichtslosigkeit und Erstarrung aller Le-bensbereiche aus. Zivilisationskriege und Vernich-tungskmpfe werden begleitet von anarchischer Sinn-lichkeit und Unterhaltungsindustrien. Das Verschwin-den der kulturinteressierten Bevlkerung, der Tod der Kunst und die Fixierung auf panem et circenses, Brot und Spiele es sind alles Erscheinungen, die man beim genaueren Blick in eine islamische Gesellschaft, vor-ausgesetzt, man sieht ber die fromme Fassade hinweg, deutlich erkennen kann.

    Nicht nur wegen der Erstarrung des religisen Den-kens sehe ich heute den Untergang der islamischen Welt als unausweichlich an, sondern auch angesichts der Tatsache, dass die meisten islamischen Lnder mitt-lerweile einer Konsummentalitt verfallen sind, aus der es fr sie keinen geistigen Ausweg zu geben scheint. Die Religion ist nicht in der Lage, ein Gegengewicht zum herrschenden Materialismus zu bilden und die

  • oder: Morgenland ist abgebrannt 15

    Gesellschaft in ein Gleichgewicht zu bringen, denn die Reli gion steht im scharfen Konfl ikt mit dem Materia-lismus und verfl ucht dessen Geist. Dies ergibt eine ex-plosive Kombination, die weitaus gefhrlicher ist als eine selbst radikale Religiositt allein.

    Whrend sich im Westen ein Gegenpol zum Materia-lismus und Konsumverhalten im kulturellen Reper-toire der Aufklrung und des Humanismus fi ndet, mangelt es dem gelebten Islam an einem eigenen gesun-den Verteidigungsmechanismus gegen den Konsum, ohne ihn kategorisch auszuschlieen und zu verdam-men. Man knnte sagen, Konsum ohne Kant fhrt zu Verwirrung. Indem die Mehrheit der Menschen in den islamischen Staaten die Instrumente und Produkte der Moderne verschlingt, sich dem dahinter stehenden Ge-dankengut aber nach wie vor verschliet, existiert sie in einem Zustand der Schizophrenie, der ber kurz oder lang in Fanatismus oder kulturelle Verwahrlosung mndet oder gar in beides zugleich.

    Dieser Zustand ist lngst eine Realitt in der islami-schen Welt und wird von vielen vereinfacht als ein Konfl ikt zwischen Tradition und Moderne gedeutet. Doch er verweist meines Erachtens auf den Zerfall ei-ner Religion, die keine konstruktiven Antworten mehr bieten kann auf die Fragen des modernen Lebens und auf den Zerfall einer Kultur, die die eigene Besonder-heit ber den Wandel stellt, obwohl dieser Besonder-heit keine Substanz mehr entspricht.

    Was der Westen als Re-Islamisierung der islamischen Welt wahrnimmt, ist