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Handel neu denken: Forderungen für eine progressive EU-Handelspolitik

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Handel neu denken:

Forderungen für eine progressive EU-Handelspolitik

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Campact – Handel neu denken: Forderungen für eine progressive EU-Handelspolitik 1

InhaltsverzeichnisJetzt alles auf Anfang - die neue EU-Handelspolitik 2

Ein grundsätzlicher Kurswechsel ist nötig 2

Die (neun) drängendsten Probleme - die besten Lösungen 4

Forderung 1: Handelspolitik darf hohe Standards und Verbraucher- 4schutz nicht einschränken

Forderung 2: Handelspolitik muss zu nachhaltiger Landwirtschaft beitragen 5

Forderung 3: Handels- und Investitionsabkommen dürfen keine 5Sonderklagerechte für Konzerne enthalten

Forderung 4: Handelspolitik darf der Regulierung von Finanzmärkten 6nicht im Weg stehen und muss Steuerschlupflöcher bekämpfen

Forderung 5: Handelspolitik muss dazu beitragen, Menschenrechte 7entlang der gesamten Lieferkette zu schützen

Forderung 6: Handelspolitik muss einen aktiven Beitrag zur 8Erreichung der UN-Klimaziele leisten

Forderung 7: Handelspolitik darf die öffentliche Daseinsvorsorge 8nicht beeinträchtigen

Forderung 8: Handelspolitik muss fair sein 9

Forderung 9: Handelspolitik muss demokratischer und transparenter 9organisiert werden

Fußnoten 11

ImpressumTitelfoto: Ferdinando IannoneHerausgegeben von Campact e.V., Artilleriestraße 6, 27283 Verden (Aller)Verantwortlich: Felix Kolb, Autorin und Konzept: Anna Cavazzini

Dieses Positionspapier haben wir mit der Beteiligung von Campact-Aktiven erstellt. Knapp 40.000 Personen nahmen an einer Umfrage zur Handelspolitik teil und befürwortetenmit großer Mehrheit die unten stehenden Forderungen. Als die drei wichtigsten Forderungen haben die Campact-Aktiven hohe Standards, eine nach-haltige Landwirtschaft und eine Ablehnung der Sonderklagerechte für Konzerne ausgewählt –die in diesem Text nun an erster Stelle stehen. Über 6.000 zusätzliche Vorschläge für einebessere Handelspolitik erreichten uns. Wir haben diese Vorschläge gebündelt und zu einemgroßen Teil in dieses Papier mit aufgenommen.

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Jetzt alles auf Anfang –die neue EU-Handelspolitik

Ein grundsätzlicher Kurs-wechsel ist nötig

Noch nie diskutierte die Öf-fentlichkeit so intensiv überHandelspolitik. Hunderttau-

sende sind in den vergangenenJahren gegen TTIP und CETA aufdie Straße gegangen. Über drei Mil-lionen Menschen in der EU unter-zeichneten die Bürgerinitiative ge-gen TTIP und CETA. Sie demons-trierten damit ihre Ablehnung einerHandelspolitik, die einseitig aufUnternehmensinteressen und In-vestorenrechte ausgelegt ist. Nachdiesem Widerstand kann es kein„weiter so” geben. Die EU-Kom-mission und die Mitgliedstaatenmüssen die Forderungen der Bür-ger/innen ernst nehmen. Sie müs-sen einen Neustart der Handelspoli-

tik einleiten anstatt – wie gerademit Japan – den alten Kurs einfachbeizubehalten.

Campact setzt sich zusammen mitvielen anderen gesellschaftlichenGruppen für ein gerechtes undweltoffenes Europa und für eineandere Handelspolitik ein. Klimawandel, Umweltzerstörung,Armut, Ungleichheit, erzwungeneMigration: Handel muss dazu bei-tragen, die dringendsten Problemeder Welt zu vermindern, statt siezu verschärfen. Wollen wir dieumfassenden Menschenrechte,das Pariser Klima-Abkommenund die Nachhaltigen Entwick-lungsziele der UNO (SDGs) erfül-

len, muss es eine Kehrtwende inder Handelspolitik geben. Die Menschen in den Entwicklungs-ländern spüren es schon länger –auch im Globalen Norden machtsich Unbehagen breit: Der bisheri-ge Kurs in der Handelspolitik ver-stärkt gesellschaftliche Ungleich-heiten. Diese Handelspolitik istAusdruck einer Wirtschaftspolitik,die immer mehr Menschen ableh-nen, weil sie nur wenigen nutztund viele zu Verlierer/innen macht.Ein Neustart in der EU-Handels-politik ist dringend nötig – auch,damit sich nicht noch mehr Men-schen den Rechtspopulist/innenzuwenden.

Die neuen Handelsabkommenzielen vor allem auf die Be-seitigung so genannter

nicht-tarifärer Handelshemmnisseab – und das sind oft Umwelt- undSozialstandards. Es geht also längstnicht mehr nur um den Zugang vonWaren zum heimischen Markt. Viel-mehr verlagert sich die Gestaltungdes Marktes selbst zunehmend indie Handelsabkommen. So verliertdie Politik immer mehr die Mög-lichkeit, dem Markt Regeln zusetzen. Dabei ist offensichtlich:Diese Regeln sind nötig, um gesell-schaftliche Ziele wie Gemeinwohlund Teilhabe zu erreichen. Handels-

abkommen müssen deshalb so ge-staltet sein, dass Entscheidungs-träger/innen wieder mehr Spiel-raum haben, um der Wirtschaftsoziale und ökologische Leitplan-ken zu setzen. Sie müssen dazubeitragen, globale Standards zusetzen, um den weltweiten Stand-ortwettbewerb globaler Unterneh-men zu entschärfen.

Handel ist zum Selbstzweck avan-ciert. Stattdessen müsste die Erfül-lung der grundlegenden Werte undZiele der EU – wie Wohlstand, De-mokratie, Rechtsstaatlichkeit, Wah-rung der Menschenrechte, nachhal-

tige Entwicklung und Umwelt-schutz – das Ziel von Handelspoli-tik sein. Handel und Investitionendürfen den sozial-ökologischenUmbau nicht bremsen – sie müs-sen diese Entwicklung befördern.Dazu gehört – wo ökologisch undökonomisch sinnvoller als interna-tionale Handelsbeziehungen – re-gionale Wirtschaftskreisläufe undkleine Produzent/innen zu fördern.

Bisher lagen der Handelspolitik be-stimmte Annahmen zugrunde,durch die eine immer weitergehen-de Liberalisierung gerechtfertigtwird: Handelsliberalisierung bringe

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Vorteile für alle Menschen welt-weit, z.B. günstigere Produkte fürVerbraucher/innen und Wachstum.Oder: Handelsliberalisierung zer-störe keine Arbeitsplätze1. DieseAnnahmen geraten mittlerweile insWanken, denn die Realität siehtanders aus: Durch die technologi-sche Entwicklung, aber auch durchAuslagerungsprozesse in Folge vonHandelsliberalisierung gehen inden Industrieländern Jobs verlo-ren bzw. geraten hochwertigeJobs unter Druck2. Gewinne wer-den weltweit ungleich verteilt3.Die Schattenseiten der bisherigenHandelspolitik gelangen immermehr ins Zentrum der öffentlichenDebatte4 – leider erst seit Rechts-populist/innen diese Themenaufgreifen. Wenn wir ihnen nichtdas Feld überlassen wollen, müs-sen wir die Handelspolitik dringendneu ausgerichten (siehe unten).Grundsätzlich müssen alle Men-schen in den Zeiten von Wandelund Internationalisierung mitge-nommen und Gewinne gerechtverteilt werden – damit sich dieGesellschaft nicht weiter spaltet.Zentral dafür sind gute Arbeit undausreichend hohe Mindestlöhneüberall in der EU5. Eine Sozialpoli-tik, die ein Leben in Würde undTeilhabe ermöglicht. Eine Verringe-rung der sozialen Ungleichheitdurch gerechte Steuerpolitik undeine bessere Bildungspolitik.

Länder, die über längere Zeit Han-delsbilanzdefizite aufbauen, lan-den unweigerlich in einer Schul-denkrise. Dieser Zusammenhang ist

in der öffentlichen Debatte weithinakzeptiert. Dass aber Handelsbi-lanzüberschüssen – wie denen vonDeutschland – notwendigerweiseeben diese problematischen Defizi-te in anderen Volkswirtschaftengegenüberstehen, gerät in der De-batte gerne in Vergessenheit.Nachhaltige Investitionen und aus-reichend hohe Löhne müssen derstarken Exportorientierung (z.B. inDeutschland) entgegenwirken, umvon Handelsdefiziten zu mehrGleichgewicht zu kommen. Statteines Wettlaufs um den Titel „Ex-portweltmeister” benötigen wireine globale Kooperation für In-vestitionen in den sozial-ökologi-schen Wandel und die SDGs. Anleh-nend an Keynes’ Idee einer „Inter-national Clearing Union” wäre essinnvoll Anreize zu schaffen, dieausgeglichene Handelsbilanzen be-fördern, z.B. eine finanzielle „Be-strafung” bei einem Überschuss6.Es muss eine bessere Kooperationgeben, um globale Monopoleaufzubrechen, in denen sich aktu-ell immer mehr Macht konzentriert.Bis zu einem „Weltkartellamt” istes noch ein weiter Weg, aber dieStaaten könnten die Anwendungdes jeweiligen nationalen Wettbe-werbsrechtes durch internationaleAbkommen absichern. Und siekönnten in wechselseitiger Über-einkunft Exportkartelle untersagen.

Alle unsere Vorschläge sind das Ge-genteil von einem „National-Pro-tektionismus” à la Trump. Sie die-nen dazu, globale Regeln für ei-nen fairen Handel zu setzen, der

den Menschen und der Umweltdient – und nicht dazu da ist, eini-gen Unternehmen in einigen Län-dern Vorteile zu verschaffen. Nochmehr von den alten Rezepten füreine ungebremste Deregulierung istgenau die falsche Antwort aufTrump, sondern Wasser auf dieMühlen von Rechtspopulist/innen.

Viele unserer Vorschläge gelten so-wohl für bilaterale Abkommen, alsauch für die multilaterale Ebene.Campact ist dabei der Meinung,dass der multilaterale Weg derbessere ist, weil nur so alle Länderan einem Tisch sitzen. Dazu benö-tigen wir eine Reformation derWelthandelsorganisation anhandder unten aufgelisteten Vorschläge.Solange bilaterale Abkommen ver-handelt werden, sollten sie zumin-dest unseren Prinzipien genügen.In der Handelsdebatte kommt oftdas Argument, Handelsabkommensollten sich am besten gar nichtmit Umwelt oder Sozialstandardsbeschäftigen, sondern sich alleineauf die Fragen von Zöllen und Quo-ten konzentrieren. Grundsätzlichist das ein nachvollziehbares Argu-ment – wir wollen aber mit unse-ren Vorschlägen den Spieß umdre-hen und sagen: Die Abkommen sol-len dort schlank sein, wo sie denpolitischen Handlungsspielraum fürdie Regulierung des Marktes ein-dämmen. Aber sie sollen ein In-strument sein, wenn es um die Lö-sung von großen gesellschaftlichenHerausforderungen geht.

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Die bisherige Handelspolitik befeuerteinen globalen Wettlauf um dieniedrigsten Standards und Löhne.Sie stuft Standards als Handels-hemmnisse ein und baut sie ab. Ge-wählte Regierungen verlieren dabeimehr und mehr Gestaltungsmachtzugunsten des Marktes. Leidtragendesind Arbeitnehmer/-innen, Verbrau-cher/innen und die Umwelt. Wir fordern stattdessen einenWettbewerb um die besten Um-welt- und Arbeitsstandards.

Von hohen Standards profitierenalle: Verbraucher/innen, Arbeit-nehmer/innen, die Umwelt undletztlich auch die Unternehmen. Es ist zentral für die Demokratie,dass sich die Entscheidungsmachtder Politik nicht noch weiter hinzu wirtschaftlichen Akteuren ver-schiebt. Alle nachfolgenden Forde-rungen zielen darauf ab, Mindest-standards in den verschiedenenBereichen zu vereinbaren und sodie Handelspolitik als ein Instru-ment zu nutzen, um ökologische,soziale und menschenrechtlicheStandards weltweit nach oben zuschrauben.

Die Einhaltung - und nicht nur dieUnterzeichnung - von Arbeitsstan-dards und internationalen Umwelt-normen sollte die Voraussetzungfür den Abschluss von Handelsab-kommen sein. Die schwachenNachhaltigkeits-Kapitel bisherigerAbkommen sollen sich dem zwi-schenstaatlichen Streitschlich-tungsmechanismus der Handelsab-kommen unterwerfen und die Vor-gaben verbindlich sein. Eine Aus-nahmeklausel sollte es Staaten er-möglichen, gegen Vertragsver-pflichtungen zu verstoßen, wenndiese soziale oder Umweltrechteverletzen7.

Der Wettbewerb um die höchstenStandards darf nicht als Zugangs-hindernis für Produkte aus Ent-wicklungsländern missbraucht wer-den. Beratung und finanzielle Un-terstützung bei der Erfüllung vonStandards in Entwicklungsländernkönnen dem vorbeugen. Fair TradeProdukte müssen zum Goldstandardwerden.

Das im EU-Recht verankerte Vorsor-geprinzip ist wesentlich für dieUmwelt-, Gesundheits- und Ver-

braucherpolitik. Der „wissenschaft-liche” Ansatz hingegen, z.B. in denUSA und Kanada, lässt viele Sub-stanzen zu bis ihre Schädlichkeitnachgewiesen wird. Beim Vorsorge-prinzip gilt die Umkehr der Beweis-last8. Bilaterale Abkommen und dieWTO müssen dies verankern. Siedürfen die Kennzeichnungen z.B.für Lebensmittel nicht aufweichen- die Informationen sind für Ver-braucher/innen zentral.

Eine regulatorische Kooperation,wie vorgesehen in TTIP und CETA,ist gefährlich. Entscheidungenkönnen so am Gesetzgeber vorbeigetroffen werden. Das erhöht dieGefahr der Einflussnahme durch dieIndustrie und befördert den Wett-lauf nach unten. Deshalb brauchtes einen neuen Ansatz: Standardskönnen nur dann angeglichen wer-den, wenn sich der Handelspartnermit den niedrigeren Standards demmit den höheren anpasst. Techni-sche Doppelanforderungen an Her-steller können aufgehoben werden,wenn sie zu keiner höheren Pro-duktsicherheit führen, sondern Bü-rokratieaufwand und Mehrkostenbedeuten.

Die (neun) drängendsten Probleme – die besten Lösungen

Handelspolitik darf hohe Standards und Verbraucherschutz nicht einschränken

Forderung 1:

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Die jetzige Handelspolitik führt zueiner stärkeren Konzentration derAgrarproduktion und somit der agro-industriellen Herstellungsweise. Dieregionale, bäuerliche Landwirtschaftgerät weiter unter Druck. Subventio-nierte Produkte „aus dem Norden”zerstören oft die heimische Produkti-on in den Entwicklungsländern9. Wir fordern eine Handelspolitik,die einer nachhaltigen Agrarpro-duktion dient.

Eine regionale, bäuerliche Land-wirtschaft sichert die Existenz vonBäuer/innen, schafft mehr Arbeits-plätze, schützt Klima und Umweltund trägt zur Landschaftspflegebei. In ärmeren Entwicklungslän-dern ist sie die Lebensgrundlagefür den Großteil der Menschen.

Die Produktivitätssteigerungen inder Landwirtschaft gingen in denletzten Jahren mit einem hohenRessourcenverbrauch und Schad-stoffbelastung einher10. Die Mas-sentierhaltung in der industriellenLandwirtschaft ist auch ein ethi-sches Problem - ein Umdenken istdringend nötig.

In den Handelsabkommen selbstdarf die gegenseitige Anerkennungvon Standards nicht dazu führen,dass die Schutzniveaus nach untengeschraubt werden, z.B. bei demEinsatz von Chemie oder Hormo-nen. Stattdessen sollte es ökologi-sche Mindeststandards geben. Län-der müssen das Recht haben punk-tuell ihre Agrarmärkte zu schützen,wenn dies übergeordneten Zielen

wie beispielsweise der Armutsbe-kämpfung oder dem Umweltschutzdient. Es braucht eine Abkehr vondem Paradigma einer exportorien-tierten Landwirtschaft und Lebens-mittelindustrie. Das Menschenrechtauf Nahrung muss Grundlage allerHandelsverhandlungen sein.

Die Länder des „globalen Nordens”müssen ihre pauschalen Subventio-nen für landwirtschaftliche Produk-tion beenden, von der vor allemgroße und damit oft exportstarkeBetriebe profitieren11. Wir wollenstattdessen auskömmliche Preisefür die Bäuer/innen und nur dieLeistungen subventionieren, dieder Gesellschaft nutzen. Dazu zäh-len Erhalt und Pflege von Land-schaft und biologischer Vielfalt.

Handelspolitik muss zu nachhaltiger Landwirtschaft beitragen

Forderung 2:

Zahlreiche Handels- und Investiti-onsschutzabkommen ermöglichen esUnternehmen gegen Staaten zu kla-gen, wenn sie ihre Profite durchstaatliche Maßnahmen geschmälertsehen. So kann z.B. die Einführungeines Mindestlohns als „indirekteEnteignung” gewertet werden. Mitdiesen Sonderklagerechten könnenausländische Investoren den natio-nalen Rechtsweg umgehen. Ange-drohte oder tatsächlich durchgeführ-te Klagen stellen eine Gefahr für dieDemokratie und den sozial-ökologi-schen Wandel dar.

Wir fordern einen Ausstieg ausdiesem einseitigen Klagesystem.

Völkerrechtliche Abkommen kön-nen nur wirken, wenn die Regelnverbindlich sind, sie eingeklagtund Sanktionen verhängt werdenkönnen. Doch die bisherigen Ab-kommen versehen die falschen Ak-teur/innen mit Klagerechten:Transnationale Konzerne anstattMenschen, deren Rechte verletztwerden und Staaten, die sich vorSozial-, Umwelt- und Steuer-Dum-ping schützen wollen.

Eine Mehrheit der EU-Bürger/innenlehnte Sonderklagerechte für Kon-zerne in TTIP bei einer Konsultati-on der EU-Kommission ab12. Abkom-men sollen deshalb sowohl auf Son-derklagerechte für Konzerne als auchauf materielle Privilegien für auslän-dische Investoren verzichten13. Be-stehende Verträge sollten dement-sprechend gekündigt oder jeden-falls nachverhandelt werden. Wennsich Investoren in ihren Rechtenbeschnitten sehen, gibt es guteAlternativen. Sie sollen grundsätz-lich den nationalen Rechtsweg be-

Handels- und Investitionsabkommen dürfen keine Sonderklagerechte für Konzerne enthalten

Forderung 3:

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streiten. Das Urteil des Bundesver-fassungsgerichts zum deutschenAtomausstieg zeigt erneut, dassausländische Investoren - in die-sem Fall Vattenfall - einen ausrei-chenden Schutz genießen. Auch inStaaten mit rechtsstaatlichenSchwächen gibt es ausreichendeMöglichkeiten: Dazu zählen Versi-cherungen, Mediationsverfahrenoder Staat-Staat-Klagen14.

Als Reaktion auf die Proteste hatdie Kommission nun einen „Multi-lateralen Investitionsgerichtshof”ins Spiel gebracht. Dieser würde al-lerdings nur wenig im Prozess ver-bessern. Allerdings würde er dieSonderklagerechte zementierenund den Weg für deren Ausbau eb-nen. Aktuell steht die Weltgemein-schaft an einem Scheideweg: Wer-den alle Handels- und Investitions-

abkommen wie geplant fertig ver-handelt, bedeutet das einen massi-ven Anstieg der weltweiten Inves-titionen, die durch Sonderklage-rechte abgesichert werden15. Des-halb ist es jetzt dringend nötig, ei-nen anderen Weg einzuschlagen.

Staaten verlieren Unsummen anSteuergeldern durch Steuervermei-dung; insbesondere durch die Mani-pulation bei Verrechnungspreisenzwischen Konzerngesellschaften(“trade mispricing”). Es gibt Hin-weise darauf, dass Handelsliberali-sierung Geldwäsche erleichtert16. Wir fordern, dass Handelspolitikzur Regulierung der Finanzmärktebeiträgt statt sie abzubauen.

Mit mehr Steuereinnahmen könnenStaaten eine bessere Finanzierungder Aufgaben des Gemeinwohls ge-währleisten – und so die Vorteileder Globalisierung gerechter vertei-len. Handelsabkommen müssenVorgaben zur Steuerkooperation

enthalten um Steuertricksereidurch transnationale Konzerne zubekämpfen. Steuern müssen denStaaten zugute kommen, in denendie Wertschöpfung passiert. Dafürsind Transparenzregeln wichtig, wiedie Rechnungslegung nach Ländernbei der Unternehmenssteuer unddie Einrichtung von öffentlichenVerzeichnissen der wirtschaftlichenEigentümer17. Steueroasen solltenkeinen Zugang zum EU-Binnen-markt erhalten18. Um dem Wettlaufnach unten entgegenzutreten, wäreeine einheitliche Bemessungs-grundlage für die Besteuerung vonUnternehmen als Voraussetzung fürden Abschluss eines Handelsab-kommens sinnvoll19. Handelspart-

ner sollten außerdem Mindeststan-dards für die Bekämpfung vonGeldwäsche vereinbaren.

Eine robuste Finanzmarktregulie-rung ist notwendig, um die verhee-renden Krisen, wie sie in der Ver-gangenheit auftraten, zu verhin-dern. Es muss noch mehr Ausnah-men für Finanzdienstleistungen(„carve-outs”) geben als jetztschon in vielen Handelsabkommenenthalten. So bleibt eine robusteFinanzmarktregulierung möglichund wird nicht durch Vorgaben ausden Handelsabkommen einge-schränkt.

Handelspolitik darf der Regulierung von Finanzmärkten nicht im Weg stehen und muss Steuerschlupflöcher bekämpfen

Forderung 4:

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Während es auf internationaler Ebe-ne weitreichende Rechte für Investo-ren gibt, bestehen keine verbindli-chen Regeln für den Schutz vor Men-schenrechtsverletzungen durch trans-nationale Unternehmen. Auch wer-den Verstöße gegen Menschenrechte,Umwelt- und Sozialstandards ent-lang der Lieferkette bisher kaum ge-ahndet20. Wir fordern einen verbindlichenSchutz von Menschenrechten undunternehmerische Sorgfaltspflich-ten entlang der gesamten Liefer-kette.

Die Umsetzung der UN-Leitprinzi-pien für Wirtschaft und Menschen-rechte21 ist eine Chance, unterneh-merische Sorgfaltspflicht entlangder gesamten Lieferkette zu ge-währleisten. Um Wirkung zu entfal-ten, müssen die Prinzipien rechts-verbindlich gemacht und bei Ver-stoß sanktioniert werden (z.B. beiAußenwirtschaftsförderung und öf-fentlicher Beschaffung). Die unter-nehmerische Sorgfaltspflicht mussauch bei Tochterunternehmen An-wendung finden, z.B. durch eineKontrollpflicht des Mutterkonzerns.

Zudem müssen sich die Unterneh-men verpflichten, diese Maßnah-men öffentlich zu dokumentieren.Transparenz kann sicherstellen,dass Menschenrechtsverletzungenüberhaupt geahndet werden kön-nen. Betroffene müssen Zugang zurechtlichen Mitteln erhalten - un-abhängig davon in welchem Landsie leben. Dafür sind betrieblicheBeschwerdemechanismen und einUnternehmensstrafrecht sinnvoll.Umweltschäden und unmenschlicheArbeitsbedingungen gehören inden zivilrechtlichen Rechtsgüterka-talog. Der gerade beschlossene Ak-tionsplan der Bundesregierung er-füllt diese Anforderungen nichtund benötigt deshalbVerbesserung22.

Darüber hinaus benötigen wir ei-nen rechtsverbindlichen UN-Vertragzur Ahndung von Menschenrechts-verletzungen durch transnationaleUnternehmen23. Er soll Staatendazu verpflichten, einheitliche Vor-kehrungen in nationales Recht zuübernehmen, die Klagen gegentransnationale Unternehmen er-möglichen bzw. erleichtern.

Betroffene sollen im Heimatlandaber auch an anderen Sitzen desUnternehmens klagen können. DieEU-Mitgliedsstaaten dürfen die imUN-Menschenrechtsrat laufendenVerhandlungen zu einem solchen„binding treaty” nicht weiter blo-ckieren.

Viele Handelsabkommen enthaltenMenschenrechtsklauseln, die abernur als letztes Mittel z.B. bei ei-nem Putsch zum Einsatz kommen.Bisher kommt es deshalb kaum zuSanktionen, wenn sich die Men-schenrechtslage in einem Land ver-schlechtert. Mit Abschluss der Ver-handlungen sollen die Abkommenverbindliche Aktionspläne für Men-schenrechte erhalten, die Verbes-serungen der Lage in dem Partner-land zum Ziel haben. Außerdembenötigen wir eine Regelung, diees Staaten erlaubt, ihre Handels-verpflichtungen auszusetzen, wennsie dadurch Menschenrechtsverlet-zungen begehen (z.B. wenn dieAgrarmarkt-Liberalisierung Klein-bäuer/innen in ihrer Existenz be-droht)24.

Handelspolitik muss dazu beitragen, Menschenrechte entlang der gesamten Lieferkette zu schützen

Forderung 5:

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Wenn die EU das Pariser Klimaab-kommen umsetzen und die Klimaka-tastrophe aufhalten will, braucht esein Umdenken in der Handelspolitik.Das bisherige System favorisiert denHandel von fossilen Energien undbremst den Ausbau von Erneuerba-ren. Die Auslagerung energieintensi-ver Produktion in Entwicklungsländerschönt die CO2-Statistiken in den In-dustriestaaten, mindert aber dieEmissionen nicht. Wir fordern, dass Handelsabkom-men den Kampf gegen die Klima-katastrophe unterstützen.

Handelsabkommen dürfen den Aus-bau von Erneuerbaren Energien

nicht behindern – im Gegenteil.Insbesondere viele Entwicklungs-länder fördern durch Vorgaben füranteilige lokale Wertschöpfung denAufbau ihrer heimischen Industriefür erneuerbare Energien. Das dür-fen Handelsabkommen nicht ver-bieten. Subventionen für Erneuer-bare können insbesondere in derAnfangszeit sinnvoll sein. Die iminternationalen Dienstleistungsab-kommen TiSA vorgeschlagene„Neutralität” verschiedener Ener-giequellen wäre kontraproduktiv25.Es braucht mehr Anreize für Inves-titionen in Erneuerbare Energien. Ein steuerlicher Grenzausgleich fürCO2-intensive Produkte wie Stahl

ist dann sinnvoll, wenn ein Staatprogressive Klimaschutzmaßnah-men wie beispielsweise eine CO2-Steuer eingeführt hat26. So erhö-hen sich die Anreize im Kampf ge-gen das schädliche CO2. MehrTransparenz in den Wertschöp-fungsketten trägt dazu bei, beson-ders klimaschädliche Produkte wieÖl aus Teersanden stärker zu regu-lieren. Es sollte eine Vorbedingungfür den Abschluss von Handelsab-kommen sein, ambitionierte CO2-Ziele zu setzen Subventionen fürfossile Energien abzuschaffen27.

Handelspolitik muss einen aktiven Beitrag zur Erreichung der UN-Klimaziele leisten

Forderung 6:

Im Zuge der Globalisierung hat diePrivatisierung öffentlicher Daseins-vorsorge massiv zugenommen28. Dieneue Generation von Handelsabkom-men enthält Vorgaben, die die kom-munale Daseinsvorsorge, wie Abwas-ser- oder Müllentsorgung, noch stär-ker unter Druck setzt. Wir fordern wirksame Ausnahme-regelungen für die Daseinsvorsor-ge in Handelsabkommen.

Die kommunale Daseinsvorsorgeprägt den Lebensalltag der Men-schen unmittelbar: Steigen die Was-serpreise oder klappt die Müllent-sorgung nicht, spürt dies jede/r so-fort. Öffentliche Dienstleistungenwie Trinkwasser müssen für alle zu-

gänglich und erschwinglich sein.Privatisierungen laufen diesem Zielhäufig zuwider, weil private Erbrin-ger Rendite erwirtschaften müssen.Handelsabkommen sollten deshalbkeine Regeln enthalten, die Privati-sierungen von kommunaler Daseins-vorsorge befördern oder die Regu-lierung erschweren29. Sie solltenauch nicht verhindern, dass Kom-munen rekommunalisieren, etwa in-dem sie ihre Energienetze zurück-kaufen. Stillstands-Klauseln undSperrklinken-Klauseln verhindern alldies und haben in Handelsabkom-men nichts verloren.

So genannte Negativlisten führendazu, dass alle Dienstleistungen -

auch solche, die es zum Zeitpunktdes Handelsabkommens noch garnicht gibt - automatisch von denVerpflichtungen zur Liberalisierungerfasst werden. Wir fordern, dasPrinzip wieder umzukehren: Statt-dessen müssen sich die Handels-partner genau überlegen, welcheDienstleistungen sie in das Han-delsabkommen aufnehmen. Öffentli-che Dienstleistungen gehören gene-rell nicht dazu. Handelsabkommenbetreffen immer mehr die öffentli-che Beschaffung – und schränkenden Spielraum für politische Rah-mensetzung ein. Bei öffentlichenAusschreibungen sollen soziale undUmweltkriterien ausschlaggebendfür die Auftragserteilung sein.

Handelspolitik darf die öffentliche Daseinsvorsorge nicht beeinträchtigen

Forderung 7:

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Keine der heutigen Handelsmächtehat ihren Reichtum dem Freihandelzu verdanken, sondern umfassenderund umsichtiger Protektion. Derdeutsche Ökonom Friedrich List hat-te nach britischem Vorbild die Deut-sche Zollunion mit Zöllen bis zu 60Prozent konstruiert – und ihren Er-folg über alle Maßen gelobt. AuchJapan und die asiatischen Tigerstaa-ten haben mit Schutzzöllen undstaatlichen Subventionen gearbeitet– nun verlangen die Industrieländervon den ärmeren Ländern „Freihan-del”. Wir fordern eine faire Handelspoli-tik, die allen Ländern die gleichenEntwicklungschancen einräumt.

Eine stärkere Integration in denWeltmarkt kann für Entwicklungs-länder sinnvoll sein und Armut ver-ringern – wenn die Bedingungenstimmen. Vor allem regionale Han-delszusammenschlüsse können fürviele ärmere Länder Vorteile brin-

gen. Die aktuell verhandelten Wirt-schaftspartnerschaftsabkommen(EPAs) zwischen der EU und afrika-nischen Staaten untergraben dage-gen eine regionale Integration30.Eine Abschaffung der Zolleskalati-on und großzügige Ursprungsre-geln kann die Weiterverarbeitungder Produkte in Entwicklungslän-dern selbst fördern und sie aus derRolle der Rohstofflieferanten be-freien. Das betrifft insbesondereafrikanische Länder31.

Ohne Schutzzölle sind viele Ent-wicklungsländer in vielen Sektorennicht wettbewerbsfähig. Damit dieleistungsstarke Konkurrenz ausdem „globalen Norden” die heimi-schen Märkte nicht zerstört, sollenEntwicklungsländer geringere Ver-pflichtungen zur Marktöffnung ein-gehen als Industrieländer. Ein se-lektiver Schutz sich entwickelnderBranchen – das Erfolgsrezept vielerasiatischer Länder – ist ein wichti-

ger Baustein für die wirtschaftlicheEntwicklung. Handelsabkommenmüssen das ermöglichen. Sie müs-sen fördern, Umwelt- und Sozial-standards einzuhalten.

Handelsabkommen dürfen zukünf-tig nicht mehr den politischeHandlungsspielraum der Entwick-lungsländer einschränken. Das pas-siert beispielsweise durch Deregu-lierungs-Vorgaben bei Dienstleis-tungen oder die Liberalisierung deröffentlichen Beschaffung32.

Der Zugang zu Medikamenten oderSaatgut ist lebenswichtig, vor al-lem für die Ärmsten der Armen.Restriktive Regeln bei geistigemEigentum dürfen das nicht ein-schränken. Eine reformierte Welt-handelsorganisation sollte der Ortvon Verhandlungen über weitereSchritte in der Handelspolitik sein– damit alle mit am Tisch sitzen.

Handelspolitik muss fair sein Forderung 8:

Handelsabkommen greifen tief inpolitische Prozesse ein. Dennochwerden sie bisher weitestgehend un-ter Ausschluss der Öffentlichkeit undder Parlamente verhandelt. Unter-nehmens-Lobbyisten haben einenprivilegierten Zugang zu den Ver-handlern, während die Zivilgesell-schaft weitgehend außen vorbleibt33. Das Europaparlament kannerst am Ende von Verhandlungen –die oft mehrere Jahre dauern – über

ein Abkommen abstimmen und da-bei nur ja oder nein sagen34. Wir fordern einen partizipativenProzess, der Bürger/innen anhörtund in dem Parlamente von An-fang an mitbestimmen können.

Ein transparentes und partizipati-ves Verfahren erhöht die Legitimi-tät von Handelsabkommen und ori-entiert sie stärker an den Bedürf-nissen der Menschen. Ein demokra-

tischeres Verfahren hilft, wiedermehr Vertrauen in die EU herzu-stellen und die Akzeptanz solcherAbkommen zu steigern – statt sieam Ende unter hohen Kostenscheitern zu lassen35 oder gegenden erbitterten Widerstand der Be-völkerung durchzudrücken. Zentraldafür ist eine breite, europaweiteDebatte über die Ziele und Ausrich-tung von Handelsabkommen. Dafürsoll das Europaparlament (EP) in

Handelspolitik muss demokratischer und transparenter organisiert werden

Forderung 9:

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Zukunft über das Mandat nebendem Rat gleichberechtigt entschei-den können – und somit auch überdie Frage, ob es ein neues Abkom-men überhaupt benötigt36. Damiteinhergehen muss eine öffentlicheDiskussion über das Mandat undeine breite Konsultation der öf-fentlichen Interessengruppen. DieKommission muss das EP regelmä-ßig über den Zwischenstand derVerhandlungen informieren. Das EPmuss am Ende verbindliche Ände-rungen am Vertragstext vorschla-gen können.

Die nationalen Parlamente müssenihre Regierungen im Rat stärkerkontrollieren und kontroverse

Punkte in die Öffentlichkeit tra-gen. Wenn es um Themen geht, diesich außerhalb der EU-Kompetenzbewegen, sollen die Abkommen au-tomatisch als gemischt eingestuftwerden. Das verbesserst die Betei-ligung der nationalen Parlamente.

Die Auswirkung der Abkommenmüssen regelmäßig überprüft wer-den – im Vorfeld aber auch nachInkrafttreten. Wenn es zu negati-ven Entwicklungen kommt, z.B. aufArbeitsplätze oder Umwelt- undSozialstandards, ist eine Nachbes-serung erforderlich. Handelsabkom-men treten nicht mehr vorläufig inKraft, solange das Europaparlamentnicht zugestimmt hat bzw. bei ge-

mischten Abkommen die Ratifizie-rung in den Mitgliedstaaten nochnicht abgeschlossen ist.

Die Kommission hat in den TTIP-Verhandlungen erste Schritte hinzu mehr Transparenz unternommen– das aber leider nicht bei anderenAbkommen fortgeführt. In Zukunftsollen alle Verhandlungsdokumenteveröffentlicht werden, also z.B. dasMandat, Textvorschläge und Positi-onspapiere. Es darf keine Bevortei-lung von Unternehmens-Lobbyistenwährend der Verhandlungen geben.Die Kommission muss alle Treffentransparent machen.

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CAMPACT – Handel neu denken: Forderungen für eine progressive EU-Handelspolitik 11

Fußnoten1 Siehe beispielhaft die Studie: Er-

folgsfaktor offene Märkte: Gefahrendurch Protektionismus und TTIP-De-batte, Institut der deutschen Wirt-schaft Köln, www.insm.de/insm/dms/insm/text/publikationen/stu-dien/TTIP-Studie.pdf, eingesehen am9.3.17.

2 Von 1999-2011 könnten 2,4 Millio-nen Jobs in den USA durch steigendeImporte aus China verloren gegangensein, zeigen neuere Studien, wiez.B.: The China Shock: Learning fromLabor Market Adjustment to LargeChanges in Trade, Autor, Dorn, Hanson, https://gps.ucsd.edu/_files/fa-culty/hanson/hanson_research_china-trade.pdf, eingesehen am 17.3.17.

3 Wie eine viel beachtete Studie derWeltbank zeigt, gab es für einige Be-völkerungsgruppen Wohlfahrtsge-winne durch die Globalisierung.Weniger als andere Gruppen konntendabei die 5% der Ärmsten profitie-ren. Die große „Globalisierungsverlie-rerin” ist allerdings die globaleMittelklasse, z.B. auch in Lateiname-rika oder ehemaligen kommunisti-schen Staaten und den klassischenIndustriestaaten, deren Einkommenseit einiger Zeit stagniert.https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=2&cad=rja&uact=8&ved=0ahUKEwidyrPJ4cnSAhVHVhQKHYtqAIgQFggiMAE&url=http%3A%2F%2Fdocuments.world-bank.org%2Fcurated%2Fen%2F959251468176687085%2Fpdf%2Fwps6259.pdf&usg=AFQjCNGj1sMYMVb-Y1igJRvnC-Fc10rdoQ, eingesehen am24.3.17.

4 beispielhaft: http://www.econo-mist.com/news/leaders/21695879-case-free-trade-overwhelming-losers-need-more-help-open-argument, ein-gesehen am 26.3.17.

5 Ein europäisch koordinierter Mindest-lohn könnte kurzfristig mindestens50% und mittelfristig mindestens60% des nationalen Durchschnitts-lohns betragen, vorgeschlagen u.a.von WSI/Denknetz/IRES 2005.

6 So sieht z.B. die durch Lisa Paus undAxel Troost vorgeschlagen „Aus-gleichsunion” auf EU-Ebene, „dievertraglich verbindliche Einrichtungeiner kurzfristigen und einer mittel-fristigen Obergrenze für Leistungsbi-lanzungleichgewichte in der EU vor.”So sollten die EU-Staaten eine jährli-che Strafgebühr von einem Prozentfür den Teil ihrer kumulierten Un-gleichgewichte zahlen müssen, der15 Prozent einer definierten langfris-tigen Obergrenze übersteigt. Für Un-gleichgewichte über 25 Prozent derlangfristigen Obergrenze wären Straf-gebühren von 2 % fällig.http://www2.alternative-wirtschafts-politik.de/uploads/m0911.pdf, ein-gesehen am 26.3.17.

7 Ein Modell für ein alternatives Nach-haltigkeitskapitel wird z.B. von Kra-jewski und Hoffmann vorgeschlagen:http://reinhardbuetikofer.eu/wp-content/uploads/2016/08/Model-SD-Chapter-TTIP-Second-Draft-July_final.pdf, eingesehen am 27.3.17.

8 Das Vorsorgeprinzip ist z.B. in Artikel191 des Vertrags über die Arbeitsweiseder Europäischen Union verankert.

9 Siehe u.a. Reichert (2011): Wer er-nährt die Welt? Die europäischeAgrarpolitik und Hunger in Entwick-lungsländern, herausgegeben von Mi-sereor.

10 Siehe z.B. Weltagrarbericht (2008) indem u.a. die Ausdehnung von ökolo-gischen Anbaumethoden und die För-derung von Kleinbäuer/innengefordert werden, um die Weltbevöl-kerung zu ernähren:http://hup.sub.uni-hamburg.de/voll-texte/2009/94/pdf/HamburgUP_IAASTD_Synthesebericht.pdf, eingesehenam 27.3.17.

11 https://ec.europa.eu/agriculture/sites/agriculture/files/statistics/factsheets/pdf/eu_en.pdf, eingesehenam 28.3.17.

12 So lehnten in einer Online-Konsulta-tion 97% der Befragten ISDS in TTIPab, siehe u.a. http://www.europa-

union.de/eud/news/deutliche-mehr-heit-gegen-ttip-bei-online-umfrage/,eingesehen am 27.3.17.

13 Mit materiellen Privilegien sind dieParagraphen in Handels- und Investi-tionsabkommen gemeint, auf derenGrundlage ausländische Investorengegen Staaten klagen können unddie im Normalfall weit über national-staatliche Rechte hinausgehen. Alsersten Schritt könnte man die mate-riellen Schutzrechte auf ein Diskrimi-nierungsverbot für ausländischeInvestoren beschränken.

14 Siehe z.B. die Vorschläge der UNCTADzu alternativen Streitschlichtungsver-fahren:http://unctad.org/en/docs/diaeia200911_en.pdf, eingesehen am27.3.2017.

15 Schätzungen zufolge würde die Abde-ckung der Investitionsströme durchISDS von jetzt 15-20% auf 80% stei-gen, sollten alle jetzt in der Pipelineliegenden Abkommen abgeschlossenwerden:https://papers.ssrn.com/sol3/pa-pers.cfm?abstract_id=2595189, ein-gesehen am 27.3.17.

16 So eine Studie, die für den Handels-ausschuss des Europaparlaments inAuftrag gegeben wurde:http://www.europarl.europa.eu/Reg-Data/etudes/STUD/2016/579326/EPRS_STU(2016)579326_EN.pdf, einge-sehen am 27.3.2017.

17 Siehe z.B.:https://www.taxjustice.net/wp-con-tent/uploads/2016/12/Access-to-CbCR-Dec16-1.pdf, eingesehen am27.3.17.

18 Das schlägt z.B. Peter Bofinger vor: „Schließlich müsste der Zugang zumBinnenmarkt davon abhängig ge-macht werden, dass sich Drittländernicht durch Dumpingsteuern Wettbe-werbsvorteile verschaffen, wie es diebritische Regierung gerade plant.”http://www.zeit.de/2016/51/soziale-ungleichheit-globalisierung-wohl-stand-ausgleich, eingesehen am 27.3.

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19 So u.a. Thomas Piketty in:https://www.theguardian.com/com-mentisfree/2016/nov/16/globaliza-tion-trump-inequality-thomas-piketty,eingesehen am 27.3.17.

20 Es gibt keine genauen Angaben, dasBusiness & Human Rights ResourceCentre hat 2005-2014 1877 Be-schwerden über MR Verletzungendurch Unternehmen gelistet,https://www.business-humanrights.org/en, eingesehen am27.3.17. Die Dunkelziffer dürfte weithöher liegen.

21 Der UN-Menschenrechtsrat hat sichder UN-Leitprinzipien für Wirtschaftund Menschenrechte 2011 angenom-men. Die Prinzipien erläutern diegrundsätzlichen Verpflichtungen undVerantwortlichkeiten über die Einhal-tung von Menschenrechten durch in-ternationale Unternehmen. Sie geben(unverbindliche) Empfehlungen andie Staaten.

22 Siehe u.a.:http://www.taz.de/!5366903/, ein-gesehen am 27.3.17.

23 Für einen Überblick, siehe z.B. hier:https://business-humanrights.org/en/binding-treaty, eingesehen am27.3.17.

24 Siehe dazu die Modell-Klausel vonLorand Bartels: http://www.institut-fuer-menschen-rechte.de/uploads/tx_commerce/Stu-die_A_Model_Human_Rights_Clause.pdf, eingesehen am 27.4.17.

25 Die „Energieneutralität” in TiSA siehtvor, dass alle Energiearten – ob kli-maschädliche Kohle, Erdgas austrinkwassergefährdendem Frackingoder erneuerbare Energien – gleichbehandelt werden müssen. Würde einLand im TiSA-Raum beispielsweiseden Markt für Dienstleistungen imBereich der Erneuerbare Energien li-beralisieren, z.B. um ausländischeInvestoren anzulocken, müsstendiese Lockerungen auch einem Öl-konzern zugute kommen.

26 Manche Autoren fordern sogar einVerbot des Handels mit klimaschädli-chen Gütern und Dienstleistungen,siehe z.B.:http://www.santarius.de/wp-con-tent/uploads/2009/05/Klima-und-Handel-Studie-Forum-UE-2009.pdf,eingesehen am 27.3.17.

27 Siehe z.B.:http://www.sierraclub.org/sites/www.sierraclub.org/files/uploads-wysiwig/cli-mate-friendly-trade-model.pdf,eingesehen am 27.3.17.

28 Siehe z.B.:http://ernst.weizsaecker.de/grenzen-der-privatisierung/, eingesehen am27.1.17.

29 Dazu gehört auch, dass sich öffentli-che Unternehmen „kommerziell” ver-halten müssen.

30 Siehe z.B.:https://www.die-gdi.de/uploads/media/BP_12.2016.pdf, eingesehenam 27.3.17.

31 Das bedeutet bspw., dass nicht nurdie Kakaobohnen exportiert werden,sondern die Schokolade direkt imLand selbst hergestellt wird.

32 Siehe z.B.:https://www.odi.org/sites/odi.org.uk/files/odi-assets/publications-opi-nion-files/106.pdf, eingesehen am27.3.17 oderhttp://unctad.org/en/PublicationsLi-brary/presspb2015d1_en.pdf, einge-sehen am 27.3.17.

33 Siehe z.B. eine Recherche von CEO,nach der von 597 Treffen der Kom-mission während der TTIP Verhand-lungen 88% mit Unternehmens-lobbyisten abgehalten wurden:https://corporateeurope.org/interna-tional-trade/2015/07/ttip-corporate-lobbying-paradise, eingesehen am27.1.17.

34 Artikel 207 (3), Vertrag über die Ar-beitsweise der Europäischen Union.

35 So wurde z.B. das Anti-Produktpira-terie-Abkommen ACTA nach starkemWiderstand von Internetaktivist/-innen vom Europaparlament 2012abgelehnt.

36 Dies erfordert zwar eine Vertragsän-derung, aber als erster Schritt könnteein inter-institutionelles Abkommenzwischen Rat, Kommission und EPvereinbart werden, das die Meinungdes EP bei der Mandatserstellung be-rücksichtigt.