Handout Referat Bourdieu Logik Der Praxis

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Pierre Bourdieu: Die Logik der Praxis 1. Ausgangspunkt: Bourdieus Studien in der Kabylei zeigten uns in der Sitzung am 27.04.09 eine andere, uns fremd erscheinende Logik im Handeln der Bewohner. Wir bezeichneten diese Logik als „vorkapitalistische Logik“. Bourdieu machte damit deutlich, dass es andere Prinzipien gibt, deren Logik zufolge Handlung praktiziert wird. Dies nennt Bourdieu die „Praktik“ und fußt darauf seine Theorie der Praxis als dritten Modus der theoretischen Erkenntnis 2. Drei Modi der theoretischen Erkenntnis: a.Subjektivistisch: interpretatives Paradigma, phänomenologischer Erkenntnismodus. Begreift die soziale Welt als eine natürliche und selbstverständlich vorgegebene Welt, reflektiert ihrer Definition nach nicht auf sich selbst (vgl. Bourdieu 1976:147). Lediglich wissenschaftliche Beschreibung der vorwissenschaftlichen Erfahrung, unterstellt eine Kontinuität zwischen den alltäglich-praktischen und den wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnissen und vermittelt so eine „Illusion der Transparenz“ (vgl. Schwingel 1995:45) Beispiele: Ethnomethodologie (Garfinkel), interaktionistische Soziologie, Handlungssoziologie, methodischer Individualismus b.Objektivistisch: „Klassischer Strukturalismus“. Betrachtet die objektiven Beziehungen unter methodisch-kontrollierter Ausschaltung der subjektiv-praktischen Beziehungen (vgl. Durkheims „sozialer Tatbestand“). Beispiele: Funktionalismus, Anthropologie, Durkheims Handlungstheorie (Realität sui generis), philosophischer Marxismus c. Praxeologisch (im Bourdieu‘schen Sinne!): i. Materialität des Sozialen/Kulturellen: Kleinste Einheit des Sozialen ist die Praktik, Praktiken sind Körperlich (skilfull performance), Artefakte sind als ein Teilelement sozialer Praktiken zu begreifen ii. implizite, informelle (nicht rationalistische) Logik des sozialen Lebens: Logik des praktischen Handelns ist nicht gleich der explizierten Logik; der Handlungslogik geht kein theoretisches Denken voraus iii.Spannungsfeld zwischen Routinisiertheit und der Unberechenbarkeit interpretativer Unbestimmtheit iv.Umkehrung der Weber‘schen Handlungstheorie: Praxis ist ein routinisierter Strom der Reproduktion typisierter Praktiken, die soziale Praktiken entstehen lassen 3.Auswirkung der „Theorie der Praxis“ ist der soziologische „Practice Turn“ seit etwa 20 Jahren, mit Auswirkungen u.a. auf: Handlungstheorien, Sozialphilosophie, Medienwirkungsforschung, Cultural Studies, Techniksoziologie, Rational Choice und ökonomische Theorien 4. Keywords: Praktik, Habitus, soziales Kapital, soziales Feld, praktischer Sinn, Inkorporiertheit von Wissen, Routinisiertheit, Raum-Zeit-Bindung der Praktiken (Giddens), Praxeologie Literatur: Bourdieu, Pierre: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1987. Bourdieu, Pierre: Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1976 [1972]. Wacquant, L. J. D.: Die Unschärfenlogik des praktischen Sinns. In: Bourdieu, Pierre/L. J. D. Wacquant: Reflexive Anthropologie, 40–48. Suhrkamp Verlag, 2006. Bourdieu, Pierre: Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns. Suhrkamp Verlag, 1998 [1994]. Andreas Reckwitz: Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Perspektive, in: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 32, H. 4, S. 282- 301, 2003. SS 2009 HS Pierre Bourdieu 04.05.2009 Referenten: Alex Hänel, Richy Bretzger

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Pierre Bourdieu: Die Logik der Praxis

1. Ausgangspunkt: Bourdieus Studien in der Kabylei zeigten uns in der Sitzung am 27.04.09 eine andere, uns fremd erscheinende Logik im Handeln der Bewohner. Wir bezeichneten diese Logik als „vorkapitalistische Logik“. Bourdieu machte damit deutlich, dass es andere Prinzipien gibt, deren Logik zufolge Handlung praktiziert wird. Dies nennt Bourdieu die „Praktik“ und fußt darauf seine Theorie der Praxis als dritten Modus der theoretischen Erkenntnis

2. Drei Modi der theoretischen Erkenntnis:a.Subjektivistisch: interpretatives Paradigma, phänomenologischer Erkenntnismodus.

Begreift die soziale Welt als eine natürliche und selbstverständlich vorgegebene Welt, reflektiert ihrer Definition nach nicht auf sich selbst (vgl. Bourdieu 1976:147). Lediglich wissenschaftliche Beschreibung der vorwissenschaftlichen Erfahrung, unterstellt eine Kontinuität zwischen den alltäglich-praktischen und den wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnissen und vermittelt so eine „Illusion der Transparenz“ (vgl. Schwingel 1995:45)Beispiele: Ethnomethodologie (Garfinkel), interaktionistische Soziologie, Handlungssoziologie, methodischer Individualismus

b.Objektivistisch: „Klassischer Strukturalismus“. Betrachtet die objektiven Beziehungen unter methodisch-kontrollierter Ausschaltung der subjektiv-praktischen Beziehungen (vgl. Durkheims „sozialer Tatbestand“).Beispiele: Funktionalismus, Anthropologie, Durkheims Handlungstheorie (Realität sui generis), philosophischer Marxismus

c.Praxeologisch (im Bourdieu‘schen Sinne!):i. Materialität des Sozialen/Kulturellen: Kleinste Einheit des Sozialen ist die Praktik,

Praktiken sind Körperlich (skilfull performance), Artefakte sind als ein Teilelement sozialer Praktiken zu begreifen

ii. implizite, informelle (nicht rationalistische) Logik des sozialen Lebens: Logik des praktischen Handelns ist nicht gleich der explizierten Logik; der Handlungslogik geht kein theoretisches Denken voraus

iii.Spannungsfeld zwischen Routinisiertheit und der Unberechenbarkeit interpretativer Unbestimmtheit

iv.Umkehrung der Weber‘schen Handlungstheorie: Praxis ist ein routinisierter Strom der Reproduktion typisierter Praktiken, die soziale Praktiken entstehen lassen

3.Auswirkung der „Theorie der Praxis“ ist der soziologische „Practice Turn“ seit etwa 20 Jahren, mit Auswirkungen u.a. auf: Handlungstheorien, Sozialphilosophie, Medienwirkungsforschung, Cultural Studies, Techniksoziologie, Rational Choice und ökonomische Theorien

4. Keywords: Praktik, Habitus, soziales Kapital, soziales Feld, praktischer Sinn, Inkorporiertheit von Wissen, Routinisiertheit, Raum-Zeit-Bindung der Praktiken (Giddens), Praxeologie

Literatur:Bourdieu, Pierre: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1987.Bourdieu, Pierre: Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1976 [1972].Wacquant, L. J. D.: Die Unschärfenlogik des praktischen Sinns. In: Bourdieu, Pierre/L. J. D. Wacquant: Reflexive Anthropologie, 40–48. Suhrkamp Verlag, 2006.Bourdieu, Pierre: Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns. Suhrkamp Verlag, 1998 [1994].Andreas Reckwitz: Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Perspektive, in: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 32, H. 4, S. 282- 301, 2003.

SS 2009HS Pierre Bourdieu

04.05.2009Referenten: Alex Hänel, Richy Bretzger