HANS JÜRGEN KRYSMANSKI / Wer führt die neuen Kriege? Globale Macht- und Geldeliten machen mobil

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Die Strukturen, in denen der gegenwärtige Krieg und die Militari-sierung des Globalisierungsprozesses sich vollziehen, sind komplexerals die Fähigkeiten der Hauptakteure (Regierungen, Kapitalfraktio-nen, Politiker etc.), mit dieser Komplexität adäquat umzugehen.Auch die Linken in unserem Lande sind überfordert. Besonders pro-blematisch sind Versuche, das gegenwärtige Geschehen auf einenGegensatz zwischen Europa und den USA zu reduzieren. So stelltder US-amerikanische Ideologe Robert Kagan unsinnigerweise einer»weichlichen Venus-Kultur« Europas die »harte Mars-Kultur« Ame-rikas gegenüber. Und mancher »gute Europäer« möchte den »bösenAmerikanern« etwas beibringen. Mit solchen Reden aber landet manschnell im falschen Boot.

Es sind schließlich Amerikaner, linke Amerikaner und gute De-mokraten, die das amerikanische Verhängnis am besten beschreiben.Norman Mailer1 spricht von einer präfaschistischen Atmosphäre inden USA, Senator Robert Byrd von »Rücksichtslosigkeit und Arro-ganz«2. Und Kurt Vonnegut, der Altmeister der Science Fiction, sagt,die gegenwärtige US-Regierung sei in der Hand von mediokrenYale-Studenten ohne Geschichts- und Geographiekenntnisse, vonweißen Suprematisten in christlichem Gewand und, »am er-schreckendsten, von psychopatischen Persönlichkeiten, die genauwissen, welches Leid ihre Handlungen verursachen, die sich aber ei-nen Dreck darum scheren.«3

Eine Definition der Akteure des Weltneuordnungsprozesses mitHilfe von Schemata wie USA vs. Europa, Zivilisation vs. Barbarei,Gut vs. Böse, Dollar vs. Euro usw. mag für konkurrierende Macht-eliten einen gewissen Sinn machen.4 Der Bush-Gruppe etwa wäresicher nichts lieber, als vollkommen mit den USA als solchen identi-fiziert zu werden. Für Globalisierungskritiker und die Friedens-bewegung aber ist ein derartiger Einverständnis heischender Sprach-gebrauch verheerend. Wir haben nichts zu tun mit einem Hegemo-nialkrieg zwischen den USA und Europa. Unser Feld ist nicht dieKonsenspolitik der Machteliten, unser Feld sind die vielfältigen,gleichberechtigten »Kulturen der Globalisierung«5.

Ja, mehr noch: »Von unserem Standpunkt aus«, schreiben MichaelHardt und Antonio Negri, »ist die Tatsache, dass sich gegen die al-ten Mächte Europas ein neues Empire herausgebildet hat, nur zu be-grüßen. Denn wer will noch irgendetwas von der angekränkeltenund parasitären herrschenden Klasse Europas wissen, die vom An-cien Régime direkt zum Nationalismus überging, vom Populismus

Hans Jürgen Krysmanski –Jg. 1935; em. Professorfür Soziologie an der Uni-versität Münster; Autorzahlreicher TV-Reportagen(Spiegel TV, NDR); Buch-publikationen u. a. »Sozio-logie des Friedens« (Wies-baden/Opladen 1993),»Popular Science. Medien,Wissenschaft und Machtin der Postmoderne«(Münster/New York 2001).Zuletzt in UTOPIE kreativ:High-Tech-Anti-Kapitalismus:Ein Widerspruch in sich?,Heft 133 (November 2001).Homepage: www.hjkrysmanski.de.

1 International HeraldTribune, 25. Februar 2003.

2 International HeraldTribune, 19. Februar 2003.

3 In These Times,27. Januar 2003, http://inthesetimes.com/comments.php?id=38_0_4_0_C.

506 UTOPIE kreativ, H. 152 (Juni 2003), S. 506-519

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zum Faschismus und die heute auf einen generalisierten Neo-Libe-ralismus drängt? Wer will noch etwas wissen von diesen Ideologienund bürokratischen Apparaten, von denen die verrottende euro-päische Elite so gut lebte? Und wer erträgt noch diese Systeme derArbeitsorganisation und diese Unternehmen, die längst jede Leben-digkeit verloren haben?«6

Die zentrale Frage ist also, ob wir mit unserem derzeitigen Begriffs-arsenal, mit unseren braven Kapitalanalysen und hochabstraktenStrukturbegriffen wie Global Governance oder Empire, genau genugdie Akteure der neuen Kriege identifizieren können.7 Unterliegennicht die Strukturen, unter denen es noch sinnvoll war, von den»USA«, von »Europa«, von deutlich konturierten Kapitalfraktionen,von staatlichen Institutionen, stabilen transnationalen Organisatio-nen oder von »Hegemonie« zu sprechen, einem dramatischen Auflö-sungsprozeß? Beginnt der Kapitalismus im Augenblick der Globali-sierung sich nicht schon von der Spitze her selbst zu verlassen? Dasheißt, ist das, was uns heute als eine neue Geopolitik der Zerstörungbegegnet, überhaupt noch »Kapitalismus«?8 »Regiert« das uneinge-schränkte, hochkonzentrierte Privateigentum nicht längst spätrömischin einem Raum grenzenloser, entfesselter Korruption?

Jedenfalls treten aus den konkreten Vorbereitungen zum Irak-Krieg und zu den folgenden Kriegen in einem ganz ungewöhnlichenMaße Kenntnisse über die wirklichen Akteure der neuen Unfried-lichkeit zu Tage. Man trifft auf die seltsamsten Gestalten. Viele vonihnen sind unter strukturell ungesicherten Bedingungen, wie etwa ei-ner manipulierten Präsidentenwahl, nach oben gekommen. Und diemeisten Erkenntnisse über diese Machteliten stammen aus der Mittedes Empire selbst, aus Medien, Organisationen und Think Tanks destraditionellen amerikanischen Establishments.

Auch dem oft geschmähten Power Structure Research9 – Begleiterdes amerikanischen Establishments seit Mitte des 20. Jahrhundertsbeim Weg in dessen heutige globale Rolle – werden in den Spitzen-etagen kapitalistischer Weltorganisationen die Ergebnisse mittler-weile aus den Händen gerissen. Das erklärt die enorme Verunsi-cherung auf dem letzten World Economic Forum in Davos, als dieHerren in den dunklen Anzügen auf einmal nicht mehr wußten, woihnen angesichts des neuen Washington der Kopf steht. Das erklärtaber auch die Getriebenheit und Brutalität der Clique um Bush, diegenau weiß, daß sie schon durchschaut ist und aus dem bis dato Ge-raubten noch das »Beste« machen will.

Durchschaut? John Pilger, der bekannte britische Journalist (seinneuestes Buch: The New Rulers of the World), schreibt, der AufstiegRumsfelds und seines Stellvertreters, Paul Wolfowitz, sowie seinerMitarbeiter Richard Perle und Elliot Abrams bedeute, »dass eingroßer Teil der Welt heute offen von einem geopolitischen Faschis-mus bedroht wird«, denn diese Washingtoner Gang bestehe aus»authentischen amerikanischen Fundamentalisten, den Erben vonJohn Foster Dulles und Alan Dulles, jenen baptistischen Fanatikern,die in den Fünfzigern das Außenministerium beziehungsweise dieCIA lenkten, in einem Land nach dem anderen Reformregierungen– Iran, Irak, Guatemala – zerschlugen, internationale Verträge zer-rissen und damit geradewegs die Katastrophe des Vietnam-Kriegs

4 Herfried Münkler reprä-sentiert diesen Duktus derPolitikberatung derzeitbesonders eklatant, wenner den europäischen Elitennahelegt, mit den USA aufden Gebieten wirtschaftlicherStärke, zivilisatorischerAttraktivität und militärischerMacht offensiv zu konkur-rieren. Die Konsequenzendieser politologischendeformation professionelle –der Horror einer »bipolarenWelt« – wären für denGlobalisierungsprozeßkatastrophal. Vgl. Der neueGolfkrieg, Reinbek 2003.

5 Jameson, Myoshi 1998.

6 Hardt, Negri 2002, 383.

7 Vgl. H. J. Krysmanski:Akteure der neuen Kriege,in: Kritik der Globalisie-rungskrieger – Texte zurChronik eines angekün-digten Krieges. ErstesArbeitspapier aus demwissenschaftlichen Beiratvon Attac Deutschland,März 2003.

8 Vgl. die ungewöhnlichscharfe Kritik von NorbertWalter, Chefökonom derDeutschen Bank, Bushabdicates America's globalleadership role, New YorkTimes, 29. August 2002.

9 Power Structure Research, ein Ansatz zurErforschung von Macht-strukturen, wurde von demSoziologen C. Wright Millsin den fünfziger Jahrenentwickelt. Mills 1956.

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mit seinen fünf Millionen Toten auslösten«.10 Und Johan Galtunghält die Außenpolitik der Bush-Regierung schlicht für »geofaschi-stisch«.11 Was hier so plakativ erscheint, hat einen analytischen Hin-tergrund in der Höhle des Drachen selbst.

The Push for WarAus dem Zentrum des amerikanischen Establishments beispiels-weise kommt die folgende Analyse. Anatol Lieven, Senior Associatedes Carnegie Endowment for International Peace (eines der wich-tigsten und ältesten Think Tanks der Ostküstenelite), schreibt unterdem Titel »The Push for War«12: Um die Motivation der Bush-Ad-ministration zu verstehen, müsse man festhalten, daß der grund-legende und innerhalb dieser Gruppe anerkannte Plan darin bestehe,eine unilaterale Weltherrschaft durch absolute militärische Über-legenheit zu installieren. Dies sei mit großer Stetigkeit von einerGruppe von Intellektuellen vertreten und ausgearbeitet worden, diesich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion um Dick Cheneyund Richard Perle geschart hat.13

Um die Genese dieses außerordentlich ehrgeizigen Planes zu ver-stehen, fährt Lieven fort, müsse man das moralische, kulturelle undintellektuelle Milieu des amerikanischen Nationalismus verstehen,in dem er zustande kam. Diesen Nationalismus habe es lange vordem 11. September 2001 gegeben, auch wenn dieser ihn entflammthabe. Und ebenso gefährlich sei es, daß er sich mit dem Nationalis-mus der israelischen Rechten verbunden habe. An erster Stelle dergeopolitischen Ziele stehe die Ansicht, mit den Irak-Kriegspläneneine Unterstützung der Öffentlichkeit für viel weiter reichende Ab-sichten zu gewinnen, nämlich eine freie Hand für amerikanische undisraelische Interventionen im gesamten Mittleren Osten. Damit ver-bunden sei für die Gruppe um Cheney der garantierte und unbehin-derte Zugang zu billigem Öl, so dicht an den Quellen wie möglich.Zugleich sei das alles mit dem Glauben daran verbunden, daß sichDemokratie nur mit Hilfe der Macht Amerikas ausbreiten könne.Und dieser Glaube, schreibt Lieven, ist nicht bewußt unehrlich. Erist vielmehr untrennbar mit dem amerikanischen Messianismus undeiner darüber hinausgehenden »amerikanischen Weltanschauung«verbunden.

Und dann ist da China. Anfänglich war die Bush-Administrationüberhaupt nicht auf den Mittleren Osten fixiert. »Die größte Furchtrechts-nationalistischer Gurus wie Robert Kagan bezog sich auf diekünftige Rolle Chinas als einer rivalisierenden Supermacht – rechtplausibel angesichts seiner Größe und der Wachstumsraten seinerWirtschaft.« Die Verhinderung jeglicher Konkurrenz auf Augenhöhewar der Kern jenes berühmten, im wesentlichen von Paul Wolfowitzverfaßten Strategiemanifests der ersten Bush-Regierung aus demletzten Jahr ihrer Amtszeit. Was also die radikalen US-Nationalisten,fährt Lieven fort, beabsichtigen, ist eine Eindämmungspolitik ge-genüber China entweder durch militärische Übermacht oder, bei denwirklichen Radikalen unter ihnen, eine Zerstörungskampagne nachdem Muster der Destabilisierung der Sowjetunion. Auch die NationalMissile Defense gehört in diese Planungen, denn militärische Hege-monie wird künftig auch den Weltraum miteinbeziehen müssen.

10 New Statesman,23. November 2001.

11 R. Aguigah, FrankfurterRundschau, 6. Dezember2002.

12 Lieven 2002. Die in die-sem Abschnitt verwendetenZitate sind der Internet-version des Aufsatzesentnommen.

13 Weiteres bei RainerRilling: Outbreak. Let’s TakeOver. American Empire alsWille und Vorstellung,http://www.rainer-rilling.de/texte/american%20empire.pdf.

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So wie die Dinge liegen, würde die amerikanische Bevölkerung einsolches Programm des geopolitischen Ehrgeizes niemals wissentlichunterstützen – gleiches gilt für das US-Militär. »Selbst nach dem11. September ist dieses Land, gemessen an historischen Standards,noch kein militaristisches Land. Und wie immer ausprägt der zu-nehmend offene Imperialismus der nationalistischen Think-Tank-Klasse auch sein mag – weder unser Militär noch unsere Bevölke-rung möchte sich selbst als imperialistisch verstehen.«

Aber hier, so Lieven, beginnt erst die eigentliche Gefahr. ZweiStrategien der Republikaner zur Perpetuierung ihrer Macht zeichne-ten sich ab. Die erste sei die klassische moderne Strategie jeder ge-fährdeten rechten Oligarchie: den Massenunmut in Nationalismusumzuwandeln. Die zweite, spezifisch amerikanische Strategie be-stehe darin, die jüdischen Wähler auf Dauer der DemokratischenPartei abspenstig zu machen, indem eine »kategoriale Verpflichtungder Republikaner nicht nur gegenüber Israel, sondern auch gegen-über dessen regionalen Ambitionen demonstriert wird.«

Als diese Allianz vor ein paar Jahren zu entstehen begann, hieltenviele sie für eine unwahrscheinliche Kombination – angesichts der an-tisemitischen Verschwörungstheorien der christlichen Rechten usw.Andererseits gab es da immer auch die alt-testamentarischen Aspektedes christlichen Fundamentalismus. Inzwischen, mit der Jahrtausend-wende, ist für die fundamentalistischen Christen die Existenz desStaates Israel zu einer notwendigen Vorbedingung für die Ankunft desAntichristen, die Apokalypse und die Herrschaft von Christus gewor-den. Außerdem haben die christliche Rechte und der Zionismus, soLieven, die gleichen Haßobjekte: die Vereinten Nationen, die Mög-lichkeit einer Weltregierung, das alte Europa, die amerikanischen Ost-küsteneliten. Und beide haben eine instinktive Vorliebe für den Ein-satz militärischer Macht. Vor allem aber, und am gefährlichsten, seidie Überzeugung, daß sie die Verteidiger der »Zivilisation« gegen»Barbaren« seien, mit durchaus rassistischen Untertönen.

Um also, fährt Lieven fort, die radikale nationale Rechte in denUSA zu verstehen, und damit die dominanten Kräfte in der Bush-Administration, muß man zunächst einmal die absolute (und darinabsolut ehrliche) Identifikation dieser Gruppe mit den VereinigtenStaaten begreifen, bis zu dem Punkt, wo die Präsenz jeder anderenGruppe in der Regierung als ein usurpatorischer Akt angesehenwird, als zutiefst illegitim und »un-American«. Hinzu kommt, daßdie maßgeblichen »hardline elements« des US-Sicherheits-Establish-ments und des Militär-Industrie-Komplexes durch den Kalten Krieggeprägt sind und deshalb ihr gesamtes Denken an mächtigen natio-nalstaatlichen Gegnern geschult haben. Andererseits, so Lieven,liegen die Wurzeln für die Hysterie der Rechten viel tiefer als im Be-reich von Nationalismus und nationaler Sicherheit. Der »pathologi-sche Haß der Rechten auf die Clinton-Administration« entzündetesich »eher am persönlichen Stil der Clintons und ihres Milieus, anden Erinnerungen an die Gegenkultur der Sechziger und Siebziger«.Die Gingrich-Republikaner, die hardline-Republikaner, vor allemdie religiöse Rechte setzten dagegen die klassische nationalistischeSehnsucht nach der Rückkehr eines goldenen Zeitalters, in ihremFall die Vor-Vietnam-Zeit der Fünfziger.

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Keine dieser Phantasien charakterisiere die amerikanische Bevölke-rung als Ganzes, schreibt Lieven, aber der intensive Solipsismus die-ses Volkes, die verbreitete Ignoranz über den Gang der Welt jenseitsder Ufer Amerikas und der Schock des 11. September »haben einenungeheuren öffentlichen Leerraum hinterlassen, in welchem Grup-pen, die von den oben skizzierten Phantasien besessen sind, dieseauszuleben versuchen können.« Und »den jüngeren Intellektuellenist jegliche wirkliche Kenntnis der Außenwelt entzogen worden,durch die Vernachlässigung historischer und regionaler Studien zu-gunsten von Disziplinen, die oft nichts anderes als eine grobe Pro-jektion amerikanischer Vermutungen und Vorurteile sind (mit derrational-choice-Theorie als schlimmstem Beispiel) ... So ist dieseIntelligentsia empfänglich für nationalistischen Messianismus unterdem scheinbar wohlwollenden Deckmantel der ›Demokratisierung‹.«

Aspekte der Plutokratie»Der wichtigste Wandel unserer Zeit ist die Aufwertung der Rolledes Geldes bei der Bestimmung der Frage, wie Amerika regiert wird.Diese Rolle war niemals gering, aber sie gewann eine neue Dimen-sion, als der Oberste Gerichtshof entschied, dass Geld, welches fürdie Wahl von Kandidaten und für die Förderung von privaten undkommerziellen Interessen in Washington ausgegeben wird, eineForm der verfassungsmäßig geschützten Meinungsäußerung dar-stellt. Dadurch wurde eine repräsentative Republik umgewandelt ineine Plutokratie«.14 – »Es gab während der gesamten Neuzeit denkontinuierlichen Zug, öffentliches Eigentum zu privatisieren ...Überall auf der Welt bleibt von weiten öffentlichen Räumen nun-mehr nur noch der Stoff für Legenden ... Das gemeinsame Eigentum,das einmal als Grundlage für den Begriff der Öffentlichkeit galt,wird zum privaten Nutzen enteignet und niemand kann etwas dage-gen tun. Die Öffentlichkeit löst sich auf, wird privatisiert, sogar alsBegriff. Genauer: Das Immanenzverhältnis zwischen Öffentlichemund Gemeinschaftlichem wird ersetzt durch die transzendente Machtdes Privateigentums«.15

a) Wealth and DemocracyKevin Phillips (2002), einst ein wichtiger Berater der Republikani-schen Partei, thematisiert in einem neuen Buch über »Wealth andDemocracy« die wachsende Ungleichheit in der amerikanischen Ge-sellschaft. Das gegenwärtige Anwachsen des privaten Reichtums seinur mit dem Goldenen Zeitalter der Jahrhundertwende und denZwanzigern zu vergleichen. Und in all diesen Perioden, so Phillips,haben die großen Vermögen die demokratischen Werte und Institu-tionen unterminiert und schließlich die Wirtschaft ruiniert.

Um 1999 hatte das Ausmaß privaten Reichtums in den USAschwindelerregende Dimensionen angenommen. Waren 1982 die400 reichsten Amerikaner im Durchschnitt noch jeweils 230 Millio-nen Dollar wert, so betrug ihr durchschnittliches Vermögen 1999 dasZehnfache, nämlich 2,6 Milliarden Dollar. Unter den bekannten Ver-mögen waren Newcomer wie Sam Walton (Wal-Mart), Bill Gates(Microsoft), die Fisher-Familie (Gap), der Investor Warren Buffettund Ted Turner. Aber auch die Rockefellers, duPonts, Mellons,

14 William Pfaff in Inter-national Herald Tribune,6. Dezember 1999.

15 Hardt/Negri 2002, 312 f.

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Phippses und Hearsts hatten am Boom profitiert und waren zehnmalreicher als in den Dreißigern. Und diese Vermögen sind auch nachdem Platzen der New-Economy-Blase nicht geringer geworden. DieZahl von Superreichen, die selbst Politiker werden, nimmt zu.16

Die größte moralische und politische Sorge von Phillips betrifftaber die Tatsache, daß extremer Reichtum die Demokratie unter-wandert. So war es Ende des 19. Jahrhunderts, als Gerichte undSenat von Wirtschaftsinteressen dominiert waren, und das gleichegeschah in den Zwanzigern. Und heute ist es noch viel schlimmer.Drei Viertel der politischen Wahlspenden bei Präsidentschafts- undKongreßwahlen stammen von Familien mit einem Jahreseinkom-men von über 200 000 Dollar. Und das beängstigende Absinken derWahlbeteiligung geht vor allem auf die Wahlabstinenz der unterenEinkommensgruppen zurück. In einem solchen Umfeld ist es keineÜberraschung, daß die Steuererleichterungen den Beziehern hoherEinkommen zugute kommen. Dazu extreme Ungleichheiten im Bil-dungswesen, die Dominanz einiger weniger Superreicher in denMassenmedien usw. Vor allem aber nimmt Phillips die wachsendepolitische Macht nichtgewählter Amtsträger aufs Korn, beispiels-weise bei den Bundesgerichten oder in der Federal Reserve Bank.Die Macht der außerhalb des Wahlprozesses stehenden Institutionenhat, so Phillips, längst zum Verlust nationaler Souveränität – imdemokratietheoretischen Sinne – geführt.

Vor diesem Hintergrund schließt Phillips nicht aus, daß sich dasamerikanische Wahlvolk irgendwann einmal »radikalisiert«. Nichtunbedingt im Sinne des Klassenkampfs. Aber schon jetzt bildet sicheine Elite in dieser vorgeblich egalitaristischen Gesellschaft heraus,die ihren Reichtum ungehindert an ihre Nachkommen vererben kannund unangemessenen politischen Einfluß ausübt. Es gehöre zuramerikanischen Tradition, solche Eliten durch Vermögenssteuernund ähnliches wieder zurechtzustutzen, wie etwa unter Franklin D.Roosevelt im New Deal geschehen. Andererseits fürchtet Phillips,daß diesmal die Macht des Geldes, von Wall-Street-Macht und vonWall-Street-Werten, sich in einer Weise strukturell und überwa-chungsstaatlich verschanzt hat, dass Widerstand der historisch be-kannten Art kaum noch möglich ist.

b) The Global Super-Rich»Getting Away With It?« fragt eine Gruppe britischer Polit-Geo-graphen (Beaverstock et al.) bezüglich der Rolle jener kleinenGruppe von »high-net-worth individuals«, die zusammen über mehrGeldmittel verfügen als die unteren drei Fünftel der Weltbevölke-rung. Die Erforschung der Rolle der Macht- und Wissenseliten, wel-che die Hegemonie des kapitalistischen Weltsystems ermöglichen,steht immer noch am Anfang, wobei die Informationseliten diegrößere Aufmerksamkeit finden. Sklair (1997) hebt hier z. B. fol-gende Gruppen hervor: CEOs transnationaler Konzerne und ihrelokalen Ableger; am Globalisierungsprozeß beteiligte Bürokraten;»globalisierende« Politiker und Experten; Eliten im Konsumbereich(Handel und Medien).

Konzentriert man sich aber auf diese Gruppen allein, argumentie-ren Beaverstock et al., kann der Eindruck entstehen, als bestünde die

16 Eine Liste der 10 reich-sten Politiker nach ForbesMagazine vom Januar 2003:1. Michael Bloomberg,Republikaner, New YorkerBürgermeister (4,8 Mrd.Dollar); 2. StellvertretenderGouverneur WinthropRockefeller, Republikaner,Arkansas (1,2 Mrd. Dollar);Tom Galisano, Unabhängig,Gouverneurs-KandidatNew York (1,1 Mrd. Dollar);Senator John Kerry, Demo-krat, Massachusetts (550Mill. Dollar); Tony Sanchez,Demokratischer Gouver-neurs-Kandidat, Texas(500 Mill. Dollar); Kongreß-abgeordneter AmoHoughton, Republikaner,New York (475 Mill. Dollar);Senator John Corzine,Demokrat, New Jersey(300 Mill. Dollar); SenatorJay Rockefeller, Demokrat,West Virginia (200 Mill. Dollar);Gouverneur Mark Warner,Demokrat, Virginia (200 Mill.Dollar). Interessant wird esübrigens auch auf den fol-genden Plätzen, unter denersten Hundert, wo diemeisten Kabinettsmitgliederder Bush-Administrationrangieren.

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neue große globale »Klassenscheide« im Gegensatz zwischen diesen»wissens-reichen«, global agierenden Dienstklassen auf der einenSeite und den diese wiederum bedienenden, unwissenden Arbeits-klassen auf der anderen Seite. So sieht das beispielsweise Castells(1989). Wem aber dienen jene kosmopolitischen, hegemonialisie-renden, hochprivilegierten Dienstklassen? Die Autoren setzen da-gegen, daß die entscheidende »Klassenscheide« gerade im globalenStrukturzusammenhang die zwischen einer superreichen Elite aufder einen und dem Rest der Welt auf der anderen Seite sein müßte:»Es ist deshalb entscheidend, zwischen zwei Gruppen innerhalb derglobalen Elite zu unterscheiden: einerseits wohlhabenden ›global‹und anderseits Individuen mit einem ›ultra-hohen Nettowert‹, denglobalen Superreichen«.

Die globalen Manager sorgen zwar für Bewegung im Globalisie-rungsprozeß, lenken die Kapitalflüsse durch die Netzwerke der glo-balen Ökonomie. Doch die Superreichen bewegen sich in ganz an-deren Dimensionen und stellen mit ihrer Geldmacht die erste Gruppevollkommen in den Schatten. Im Gegensatz zu Castells behauptendie Autoren, daß nicht die Manager, sondern die Gruppe der Super-reichen wirklich transnational geworden ist und den Globalisie-rungsprozeß bestimmt. Es bestünde also eine dringende Notwendig-keit zu erkunden, wie diese Superreichen die globalen Netzwerke zuihrem eigenen Vorteil manipulieren. Auch ihre »Mikro-Netzwerke«müßten daraufhin untersucht werden, wie sie den »global space offlows« zu definieren vermögen. Langfristig könnte das in sozialenund ökonomischen Politiken resultieren, mit denen man den exzes-siven Reichtum, die Willkür und Verschwendungssucht der Super-reichen eindämmen könnte – zugunsten einer sozial gerechterenWelt.

c) Privatisierung der KriegführungUnd die Plutokratie militarisiert sich. Leslie Wayne berichtet in derNew York Times17 unter dem Titel »Private contractors step in forPentagon«, wie mit dem Krieg gegen den Terror und dem möglichenneuen Irak-Krieg eine uralte Kriegspraxis im Pentagon wiederaufer-steht: das Anheuern von Söldnern. Nur, heute heißen sie »privatemilitary contractors«; und einige dieser Söldnerfirmen sind Sub-unternehmen von Konzernen aus der Liste der Fortune 500. Wayne:»Das Pentagon kann ohne sie keinen Krieg führen.« Oft werden sievon pensionierten Offizieren geleitet, auch Drei- und Vier-Sterne-Generalen. »Private militärische Vertragsnehmer sind das neue ge-schäftliche Gesicht des Krieges.« Sie verwischen die Trennlinie zwi-schen militärischem und zivilem Bereich und liefern alles, von derlogistischen Unterstützung bis zur Kampfausbildung und militäri-schen Beratung im In- und Ausland.

In den dunkleren Winkeln der Welt, wo das Pentagon lieber nichtgesehen werden will, bewegen sich diese Privatunternehmen undführen militärische Aufträge aus. Sie haben ihre Leute nach Bosnien,Nigeria, Mazedonien, Kolumbien und in andere Brennpunkte ge-schickt. Es ist weniger die Politik als der Profit, der sie motiviert.Dennoch brauchen diese Unternehmen – ungefähr 35 an der Zahl inden USA – eine Regierungserlaubnis für ihr Geschäft. Einige haben

17 New York Times,14. Oktober 2002.

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relativ bekannte Namen, wie Kellogg Brown Root, ein Subunterneh-men der Halliburton Co., das für die US-Regierung in Kuba undZentralasien tätig ist. Andere haben weniger bekannte Namen: Dyn-Corp Inc.; Vinnell, ein Subunternehmen von TRW Inc.; SAIC; ICI ofOregon; Logicon Inc., ein Unternehmen der Northrop GrummanCorp. Eines der bekanntesten Unternehmen, MPRI, brüstet sich,»mehr Generale per Quadratfuß als das Pentagon zu haben«.Während des Golfkriegs 1991 war eine Person von 50 auf denSchlachtfeldern ein amerikanischer Zivilist unter Privatvertrag. ZurZeit der Befriedungsversuche in Bosnien 1996 war es schon eineunter zehn.

Niemand weiß genau, wie groß diese geheime Industrie ist, aberMilitärexperten schätzen den globalen Markt auf einen jährlichenUmsatz von 100 Milliarden Dollar. Die an den Börsen gehandeltenUnternehmen, die private Militärdienstleistungsunternehmen besit-zen, sagen ihren Aktionären kaum etwas davon. »Diese Vertrags-nehmer sind unverzichtbar«, meint John Hamre, StellvertretenderVerteidigungsminister in der Clinton-Administration. »Wird es inZukunft mehr von ihnen geben? Ja.« Der Einsatz militärischer Pri-vatunternehmen wirft beunruhigende Fragen auf. In Friedenszeitenkönnen sie unter Ausschluß der Öffentlichkeit geheime Armeeauf-gaben übernehmen. In Kriegszeiten füllen sie zwar Funktionen aus,die entscheidend für den Kampfauftrag sind, aber ihre Akteure sindkeine Soldaten. Sie stehen in keiner Befehlskette und müssen kei-nem militärischen Verhaltenskodex folgen. Ihre rechtlichen Pflichtenbeziehen sich allein auf den Arbeitsvertrag, nicht auf ihr Land.

MPRI, früher Military Professionals Resources Inc., ist ein gutesBeispiel dafür, wie gutausgebildete, pensionierte Soldaten ihre mi-litärische Ausbildung zu Geld machen. Zur Firma gehören GeneralCarl Vuono, der frühere U. S. Army Chief of Staff, der die Invasio-nen im Golfkrieg und in Panama befehligte; General Crosbie Saint,der frühere Oberbefehlshaber der US-Armee in Europa; und GeneralRon Griffith, der frühere stellvertretende U. S. Army Chief of Staff.Hinzu kommen Dutzende weiterer pensionierter Spitzen-Generale,ein Admiral und mehr als 10 000 frühere Militärpersonen, darunterAngehörige von Eliteeinheiten, die auf Abruf bereit stehen. MPRIwird dafür gut bezahlt. Die Einkünfte übersteigen 100 MillionenDollar jährlich, meist aus Verträgen mit dem Pentagon und mit demAußenministerium. Die militärischen Pensionäre beziehen Gehälter,die das zwei- bis dreifache ihrer Pentagonbezüge betragen, hinzukommen Altersrenten, Aktien usw. Die Gründer von MPRI wurdenMillionäre, als sie das Unternehmen im Jahre 2000 für 40 MillionenDollar an L-3 Communications Holdings Inc. verkauften, ein bör-sennotiertes Rüstungsunternehmen. »Diese neuen Söldner«, so wirdDavid Hackworth zitiert, ein früherer Armee-Oberst und Kritikerdieser Praktiken, »arbeiten für das Pentagon und das State Depart-ment, und der Kongress macht beide Augen zu.«

d) Wall Street und PentagonDie Privatisierung der Kriegführung verbindet sich mit der Militari-sierung des Globalisierungsprozesses, der seinerseits durch das Pri-vatisierungsprinzip bestimmt ist. Mark Siemons berichtet in der

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Frankfurter Allgemeinen Zeitung18, Thomas P. M. Barnett, Professorfür Miltäranalyse am US Naval War College, habe schon gleich nachden Anschlägen des 11. September dafür plädiert, daß der Dialogzwischen Wall Street und dem Pentagon entschieden intensiviertwird. Inzwischen zum Berater des Verteidigungsministeriums aufge-stiegen, sieht Barnett »die Mission des amerikanischen Militärsheute darin, die Kluft zwischen den an die internationalen Finanz-ströme angeschlossenen Ländern und dem Rest zu schließen. AlleRegionen, die nicht mit der von der amerikanischen Wirtschaftdominierten Globalisierung verbunden sind ... stellten also ein ein-deutiges Sicherheitsrisiko und mithin einen Fall für ›unsere Streit-kräfte‹ dar.«

Der US-amerikanische Militär-Industrie-Komplex übernimmt alsodie globale Rolle eines »Vollzeit-Leviathans« (Barnett). Noch gibtes im amerikanischen Establishment Gegenstimmen. So verlangt einDirektor des Council on Foreign Relations, Robert Orr, daß nachdem Ende des Irak-Kriegs zivile Kräfte das Sagen haben müssen.19

Doch mutiert das Militär nicht selbst zur Privatarmee von WallStreet? Wird es durch die Übernahme dieser allgemeinen zivilenAufgabe nicht selbst in einem völlig perversen Sinn »zivilisiert«?Wie weit dieser Prozeß faktisch schon fortgeschritten ist, zeigt OrrsKlage über den Niedergang der staatlichen Apparate, die für Nach-kriegsordnungen zur Verfügung stehen: »Auf den Korridoren derzivilen Agenturen der US-Regierung, deren Auftrag die Friedens-sicherung nach einem Krieg wäre, klingen die Schritte hohl. Jahr-zehnte der Unterinvestition haben die U. S. Agency for InternationalDevelopment, das State Department und die entsprechenden Abtei-lungen anderer Bundesbehörden zu Schatten ihrer selbst gemacht.USAID zum Beispiel verfügt heute weltweit über weniger als 2 000reguläre Angestellte, kaum ein Drittel der Zahl, die einst PräsidentJohn F. Kennedy zur Verfügung stand. Im State Department, wo eingroßer Teil der US-Besetzung Japans geplant wurde, gibt es über-haupt keine operationalen Planungskapazitäten mehr. Insgesamt istdas US-Budget für ausländische Unterstützungs- und Hilfspro-gramme seit den Sechzigern kontinuierlich geschrumpft und beträgtheute ein kümmerliches Zehntel-Prozent des Bruttosozialprodukts.«

Selbstverständlich wird auch in dieser Situation der Wiederaufbauin den neuen besetzten Territorien nicht direkt vom amerikanischenMilitär betrieben werden können. Das hat z. B. auch CondoleezzaRice betont. Aber von wo sollen die zivilen »Direktoren der Rekon-struktion« (Orr) kommen? Es wird nichts anderes übrig bleiben, alssie direkt, unter Umgehung aller staatlichen Strukturen, aus der Pri-vatwirtschaft zu beziehen. In gewisser Hinsicht hat die »Treuhand«dies ja bei der Abwicklung der ehemaligen DDR vorgemacht. Undin den neuen Nachkriegsszenarien dürfte diese Privatisierung öffent-licher Neuordnungsaufgaben bis weit in die Polizei- und Über-wachungsfunktionen hineinreichen – mit enormen Profitchancen,versteht sich. Das gleiche gilt für andere Nachkriegsaufgaben, dieOrr nennt: die Schaffung von Erwerbsmöglichkeiten für die Zivil-bevölkerung, die Einwerbung von Experten für den Wiederaufbau,nicht zuletzt aus den USA selbst (etwa in Gestalt von Re-migranten).Den globalen Auswirkungen einer solchen von den USA ausgehen-

18 Frankfurter AllgemeineZeitung, Krieg als Chance,4. April 2003, 35.

19 After the war, bring in acivilian force, InternationalHerald Tribune, 3. April2003.

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den Privatisierungswelle öffentlicher Aufgaben stünden die Euro-päer hilf- und fassungslos gegenüber. Keine Marshall-Pläne also:den militaristischen Praktiken folgen militante Markt-Pläne.

Akteure der neuen Kriege

a) Eine Systematik der MachtelitenEine Taxonomie der Machteliten im Globalisierungsprozeß istheute allenfalls in ihren Anfängen und nur unter großen empirischenund theoretischen Schwierigkeiten voranzubringen. Empirisch ge-hört es zur »Natur« dieser Gruppen, nicht unbedingt unter öffentlichzugänglichen Bedingungen zu operieren. Und angesichts der Ver-fangenheit der Klassentheorie in der Modernisierungsfalle ist esschwierig, »Klassenkampfwissen« für »postmoderne« Zuständefruchtbar zu machen. Ich meine aber, daß man die Akteure der neuenKriege in einem Geflecht wie dem folgenden dingfest machenkönnte. Es werden vier Gruppen unterschieden, die man sich – auchwas ihren Umfang betrifft – in vier konzentrischen Kreisen ange-ordnet vorstellen kann.

1. Die Superreichen, der innerste Kern: Diese Population vonDollarmilliardären (ca. 400 in den USA und 2000 weltweit) pluseiner weitaus größeren Gruppe mit Vermögen oberhalb der 300-Mil-lionen-Grenze unterliegt, unterstützt von den Massenmedien, einer-seits der Mythisierung, andererseits der Verharmlosung. Bei einzel-nen, wie Rupert Murdoch oder George Soros, ist ihr Einfluß aufPolitik, Kultur und Wissenschaft in Teilen bekannt. Doch über »Phi-lanthropie« und vor allem über die Machtmaschine des Stiftungswe-sens wird – mit gleichsam höfischen Strukturen – von vielen solchenMilliardärsgruppen auf alle (auch die abseitigen) Bereiche des ge-sellschaftlichen und weltgesellschaftlichen Lebens ein enormer Ein-fluß ausgeübt. Insbesondere in den USA hat sich die Macht des»alten Geldes« zu einer echten Plutokratie verdichtet (wie einer, deres wissen muß, Gore Vidal, nicht müde wird zu erläutern). Dieseneue Form des Gottesgnadentums steht, was seine gesellschaftlicheFunktionsweise angeht, oberhalb der üblichen Kapitalverwertungs-prozesse, kann nicht bestimmten »Kapitalfraktionen« zugeordnetwerden, ist vornehmlich mit transkapitalistischen Formen der»Kapitalvernichtung« zwecks Verhinderung von Machtkonkurrenzbeschäftigt usw. Und das heißt, auf den Begriff gebracht: Nur dieseGruppen, als einzige, sind souverän!

2. Der CEO-Komplex20, der erste Ring um den Kern der Super-reichen: Die Chief Executive Officers aus Industrie und Finanz sindvorrangig mit der Mehrung und Verwaltung des Vermögens derSuperreichen beschäftigt und wissen ihrerseits viele Multimillionäreunter sich. Als Spitzenmanager großer Unternehmen, Versicherungen,Investmentfonds usw. bilden sie zusammen mit den Superreichenden magischen Zirkel der Corporate World. Dabei kann noch immermit einem gewissen Recht zwischen nationalen und transnationalenUnternehmen mit z. T. ganz gegensätzlichen »corporate cultures«unterschieden werden. Für unser Thema ist zentral, daß auch dieChief Executive Officers der größten Militärorganisation aller Zei-ten, die US-Generäle, zum CEO-Komplex gehören. Schon 1960

20 CEO – Topmanager dermächtigsten und reichstenInstitutionen. Die Red.

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hatte Dwight D. Eisenhower gewarnt: »Die Verbindung eines riesi-gen Militärestablishments mit einer gewaltigen Rüstungsindustrie isteine neue Erscheinung in der Geschichte Amerikas. Der Einfluss –ökonomisch, politisch, sogar geistig – ist spürbar in jeder Stadt,jedem Bundesstaat, jedem Regierungsbüro.«21

In den Sechzigern wurde gegen den Militär-Industrie-Komplexprotestiert; in den Siebzigern, nach der Vietnam-Niederlage, wurdeer perfektioniert, in den Neunzigern elektronisch aufgerüstet; undjetzt scheint es kein Halten mehr zu geben. Diese Gesamtgruppe derCorporate Elites – selbstverständlich mit der ersten Gruppe vielfachverflochten – kann als Kapitalistenklasse im traditionellen Sinne be-griffen werden, in welcher Kapitalfraktionen und folglich ökono-misch begründete Interessengegensätze eine Rolle spielen.

3. Die politische Klasse bildet den zweiten Ring um den Kerndes »private wealth«. Hier handelt es sich, auch von der Bedeutungher, schon um eine echte Dienstklasse, zuständig für gesellschaft-lichen Konsens und für die Aufrechterhaltung eines Anscheins vonVerteilungsgerechtigkeit. Zu ihr gehören auch andere Gruppen,die mit politics befaßt sind: Lobbyisten, Verbandsfunktionäre,Rechtsanwälte, politische Beamte und die maßgeblichen Medien-leute.

Mit dem Globalisierungsprozeß kommen »globalizing bureau-crats«, »globalizing politicians and professionals« usw. dazu (Sklair1997). Oberhalb dieser Gruppen finden wir Strukturen, die C.Wright Mills bezüglich der US-Gesellschaft als das »politischeDirektorat« bezeichnete. Inzwischen ist daraus möglicherweiseein »Unified Global Command« (Hardt/Negri) geworden, dochstrukturell gilt Mills’ alte Beschreibung noch immer: Das Direktoratbesteht aus einer kleinen Gruppe von Männern, welche die exe-kutiven Entscheidungen treffen. Zu diesen ungefähr 50 Männerngehören in den USA der Präsident, der Vizepräsident, die Kabinetts-mitglieder, die Chefs der wichtigsten Ministerien, Behörden undKommissionen sowie Mitglieder des Beraterstabes des Präsidenten.Die Wahlkämpfe drehen sich letztlich immer nur um die Besetzungdieser Positionen. Hier finden zwischen den verschiedenen Fraktio-nen der Geld- und Machtelite Interessenkämpfe bis aufs Messerstatt.

4. Die Schicht der Technokraten und Dienstleister, der Außenring:Dieses Heer von Beratern, Experten, Helfern aus allen Bereichen derGesellschaft (Wissenschaft, Medien, Kultur, Technik usw.) geht indie Millionen. In dieser Schicht, oft vielleicht auch nur mit einemBein, bewegen sich auch die globalisierungskritischen Intellektuel-len, wenn sie beispielsweise auf ihre Widersacher aus der »ThinkTank Class« treffen. Hier operieren das Fußvolk der Stiftungen, derWeltbank, des IWF, der WTO ebenso wie die Sprecher von NGOsund die Scharen der Medienarbeiter. Möglicherweise lassen sichauch hier »Direktorate« identifizieren, flüchtigeren Charakters als impolitischen System. In dieser Gruppe sind, was nicht uninteressantist, genaue Kenntnisse über die Funktionsweisen des kapitalistischenWeltsystems und seiner Subsysteme mit kritischen und zum Teilsubversiven Tendenzen vermischt, so daß hier Widersprüche zurHandlungsreife gelangen können.

21 Zitiert nach Vexler1970, 235.

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b) Kriegseliten im GlobalisierungsprozeßInnerhalb des eben beschriebenen Geflechts von Machteliten nunlassen sich bestimmte Gruppen von CEOs und Militärs, von Politi-kern, von Angehörigen einer »nationalistic think tank class« (Lie-ven), von Kommunikations- und Waffenexperten und nicht zuletztvon »ultra-high net worth individuals« (Beaverstock et al.) ausma-chen. Sie gehen innerhalb und außerhalb politologisch fixierter, injedem Fall sich verflüssigender Strukturen dem Kriegsgeschäft of-fensiv nach. So wie es Paul Krugman von der Bush-Administrationsagt: »Diese Administration hat martialische Pläne, keine Marshall-Pläne: Milliarden für die Offensive, keinen Cent für den Wiederauf-bau«.22

Und gerade an der Bush-Administration läßt sich auch zeigen, wieso ein kriegselitäres »Mikro-Netzwerk« (Beaverstock et al.) aus-sieht: mit CEOs, Exmitgliedern des »Politischen Direktorats« derUSA, käuflichen Mitgliedern der politischen Klasse wie John Major,saudi-arabischen Potentaten, und sicher auch dem einen oder ande-ren weiteren Milliardär im Hintergrund. Ich meine insbesondere dieCarlyle Group, eine vornehmlich im Rüstungsbereich und im Öl-geschäft tätige internationale Investmentgruppe.23

Der »Vierte Weltkrieg«24 wird die größte »business opportunity«aller Zeiten. Frühere Spitzenpolitiker, Washingtoner Insider usw. be-reichern sich ungebremst am Krieg gegen den Terrorismus. DieseGeschäfte werden auch George W. Bush zum Milliardär machen.Und zwar auf ganz einfache Weise: durch Erbschaft. Denn sein Va-ter ist der strategische Kopf der Carlyle Group. Er hat seinen ehe-maligen Verteidigungsminister, Frank Carlucci, zum CEO des Un-ternehmens gemacht; seinen ehemaligen Außenminister JamesBaker zum Spitzenberater; seinen ehemaligen Budget-Chef imWeißen Haus zum Managing Director. Neben John Major, CarlyleChairman für Europa, finden wir den früheren Präsidenten der Phi-lippinen, Fidel Ramos, als Carlyle Chairman für Asien usw.

«Es ist schwer, sich eine Adresse vorzustellen, die näher am Her-zen amerikanischer Macht liegt. Die Büros der Carlyle Group liegenauf der Pennsylvania Avenue in Washington DC, auf halbem Wegezwischen Weißem Haus und Capitol, nur einen Steinwurf vomHauptquartier des FBI und zahlreicher Regierungsbehörden entfernt.Diese Adresse spiegelt die Rolle von Carlyle im Zentrum des Wa-shingtoner Establishments ... Seit dem Beginn des ›Kriegs gegenden Terrorismus‹ hat diese Firma – nach inoffiziellen Schätzungen13,5 Milliarden wert – zusätzliche Bedeutung gewonnen. So warCarlyle der Faden, der die amerikanische Militärpolitik in Afghani-stan indirekt mit den persönlichen finanziellen Geschicken ihrerberühmten Angestellten verknüpfte.«25 Bis vor kurzem war Carlylenoch auf eine weitere kuriose Weise in die Hintergründe des Terro-rismus verwickelt: zu den Multimillionären, die in dieses Unterneh-men investierten, gehörte auch die Familie von Osama bin Laden.Mit Billigung der Bush-Regierung wurden noch nach dem 11. Sep-tember 2001 24 Mitglieder der bin Laden Familie mit einem saudi-arabischen Jet aus den USA ausgeflogen, um sie der Befragungdurch das FBI zu entziehen.26 Michael Moore, der Regisseur von»Bowling for Columbine« und Autor der vernichtenden Bush-Kritik

22 These American states-men prefer the martial plan,International Herald Tribune,22. Februar 2003.

23 Vgl. u.a.http://www.hereinreality.com/carlyle.html.

24 James Woolsey, CIADirektor unter Clinton,schwadroniert von einem»Vierten Weltkrieg«, der aufjeden Fall «erheblich längerals der erste und zweite,wenn auch hoffentlich nichtlänger als der Kalte Kriegdauern« werde. Für Wool-sey ist eine Schlüsselposi-tion beim Wiederaufbau desIrak vorgesehen. Der neueWeltkrieg, so Woolsey,richte sich »gegen dreiFeinde: die religiösen Herr-scher des Iran, die ›Faschi-sten‹ des Irak und Syriens,und die islamistischenExtremisten der al Qaeda.«Aber auch die Regime inÄgypten und Saudi-Arabiensollen nervös gemacht wer-den: «Wir wollen, dass siemerken, dass dieses Landzum vierten Mal in hundertJahren zusammen mitseinen Alliierten auf demMarsch ist, und dass wir aufder Seite derjenigen sind,die ihr – die Mubaraks, diesaudische Königsfamilie –am meisten fürchtet. Wirsind auf der Seite eurereigenen Völker.« CNN,3. April 2003.

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»Stupid White Men« hat angekündigt, seinen nächsten Dokumentar-film diesem Mikro-Netzwerk im Milliardärsmilieu, der Bush-bin-Laden-Connection, zu widmen.

In diesen korrupten Netzwerken tummeln sich auch Figuren wieSilvio Berlusconi, der von Milliardären, die den politischen Raumkontrollieren wollten, zum Milliardär gemacht wurde; oder kleineInspektoren bzw. Rechtsanwälte wie José Maria Aznar und TonyBlair (aus der untersten Kategorie der oben benannten Dienstklas-sen), deren megalomaner Ehrgeiz die Strukturen, innerhalb derer sieaufgestiegen sind, offensichtlich transzendiert. Schon geht dasGerücht, daß auf Blair und Aznar nach ihrem Ausscheiden aus derPolitik ebenfalls Direktorenposten bei Carlyle warten. Alle dieseDienstboten ziehen, wie Bush, auf der Medienbühne die nationaleKarte, obgleich man die internationale Korruption, in der das ge-schieht, förmlich riechen kann. Und das alles unter den Bedingun-gen einer monopolistischen Kontrolle der Kommunikation, die esLeuten wie Rupert Murdoch erlaubt, dreist seine Unterstützung desUS-Angriffs auf den Irak in die Welt zu posaunen.27

Wie das alles jenseits der Erscheinungsebene zusammenhängt, dasist eine Frage an viele Wissenschaften, ein Problem des »cognitivemapping« (Fredric Jameson) des Globalisierungsprozesses. FranzNeumanns Analyse der Strukturen des nationalsozialistischen Herr-schaftssystems, 1942 in den USA unter dem Titel Behemoth erschie-nen, zeigte dem Amerika des New Deal, daß die Bildung großerMonopole, die Bürokratisierung aller Bereiche, die Prägung des par-lamentarischen Systems durch Berufspolitiker und eine Politisierungdes Militärs die Voraussetzungen für das Entstehen des national-sozialistischen Systems in Deutschland gewesen waren.

Die amerikanischen Intellektuellen mußten sich damals schon dieFrage stellen, ob während des Krieges im New Deal selbst nicht eineähnliche Konstellation herangereift war. Das nach Kriegsende zu be-obachtende neue Zusammenspiel der Spitzen von Großindustrie undWashingtoner Bürokratie mit einer neuen Klasse von Berufspoliti-kern und mit »politischen Generälen« jedenfalls weckte Mißtrauen.Mit seinem berühmten Buch The Power Elite (1956) brachte der So-ziologe C. Wright Mills diese Befürchtungen auf den Punkt. Es gingihm nicht nur darum, daß in den USA eine Machtelite »aus Männernder Wirtschaft, der Politik und des Militärs« entstanden war,die »etwas Neues im politischen System der USA« darstellte. DasPower Structure Research hielt vielmehr auch die Frage der Mög-lichkeit des Faschismus offen. Der deutsche Nationalsozialismuswar ein besonderer Horror innerhalb des faschistischen Entwick-lungsweges der Moderne. Doch faschistische Herrschaftsmuster wa-ren keineswegs eine Sache der Vergangenheit, sondern ein perma-nentes Potential sogenannter moderner Gesellschaften, basierend aufhemmungsloser Korruption und umfassender Kontrolle der Kom-munikation.

Jetzt allerdings hätten wir es mit einem postmodernen, durch dieVirtualität des »global space of flows« geprägten Globalfaschismuszu tun – oder, wie Arthur Kroker und Michael Weinstein es schon1995 ausdrückten: mit einem vom »Pan-Kapitalismus« erzeugten»Retro-Faschismus«. Ich hatte mit dem folgenden Satz der beiden

25 Burkeman, J. Borger:The ex-presidents' club,The Guardian, 31. Oktober2001.

26 Jane Mayer, The NewYorker, November 2001.

27 Newsweek,17. Februar 2003.

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Kanadier immer meine Probleme. Aber in einer bestimmten Weisehat die Realität ihn eingeholt: »Das ist die materielle Situation:Überschuldungskrisen führen zu Handelskriegen und zu etwas ganzNeuem: Pan-Kapitalismus und seiner unausweichlichen mörderi-schen Alternative – Faschismus. Und dieser Kapitalismus muß sichdes Faschismus erwehren ohne die Hilfe des Sozialismus – denn derist in jeder Beziehung tot. Das ist der politisch-ökonomische Kon-flikt der Gegenwart, durchschossen an jedem Punkt durch die Pro-zesse der Virtualisierung. Gibt es einen virtuellen Faschismus? Abersicher: Pan-Kapitalismus, der die Virtualisierung auf die Spitzetreibt, erzeugt sich mit dem virtuellen Faschismus seinen mörde-rischsten Doppelgänger.«28 Wir haben es mit Fiktionen, zum Beispielmit einem »fiktiven Präsidenten« zu tun, sagte Michael Moore beider Oscar-Verleihung.

In genau diesem Sinne hat sich ein bestimmtes Zusammenspielvon privatem Reichtum mit »Direktoraten« aus Konzernwelt, Poli-tik, Militär, Kultur usw. heute zu einem Schwarzen Loch, zu einemGravitationszentrum der Macht verdichtet, das die Institutionen derDemokratie und die checks and balances der Zivilgesellschaft nichtnur in den USA mit unheimlicher Gewalt aufzusaugen droht. Diekorrumpierten Nationalisten um Bush und ihre Kumpane in Europaund weltweit sind auf einem Entwicklungsweg, der, um mit AlPacino zu reden, an den des Arturo Ui erinnert.29 Nur: die Übertöl-pelungsversuche sind nicht mehr auf eine einzelne Stadt wie Chi-cago oder München oder auf ein einzelnes Land gerichtet. Siebeziehen sich auf den globalen Raum insgesamt und letztlich auf dieWeltgeschichte. In dieser Dimension müßten sich dann auch die US-amerikanischen und europäischen Bewegungen gegen Angriffs-kriege und private Beutezüge treffen. Und diese Dimension müßtepositiv bestimmt werden: als die neue Welt der Kulturen der Globa-lisierung.

Literatur

Beaverstock, P. J. et al.: Getting Away With It? The Changing Geographies of the Global Super-Rich, GaWC-Research Bulletin 93, http://www.lboro.ac.uk./gawc/rb/rb93.html

Castells, Manuel (1989): The Informational City, Oxford, Blackwell.Hardt, Michael, Antonio Negri (2002): Empire. Die neue Weltordnung, Campus Verlag.Jameson, Fredric, Masao Miyoshi (1998): The Cultures of Globalization, Duke University Press,

Durham.Kroker, Arthur, Michael A. Weinstein (1994): Data Trash: The Theory of the Virtual Class. New

York, St. Martin's Press.Lieven, Anatol (2002): The Push for War, London Review of Books, 3. Oktober 2002.Mills, C. Wright (1956): The Power Elite, Oxford University Press, New York.Moore, Michael (2002): Stupid White Men. Eine Abrechnung mit dem Amerika unter George W.

Bush, Piper, München.Neumann, Franz (1942/1984): Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-

1944, Fischer, Frankfurt/M.Phillips, Kevin (2002): Wealth and Democracy: A Political History of the American Rich, Broad-

way Books.Pilger, John (2002): The New Rulers of the World, Verso, London.Sklair, Leslie (1997): Social Movements for global capitalism: The transnational capitalist class

in action, Review of International Political Economy, Vol. 4, No. 3.Vexler, R.J. (1970): Dwight D. Eisenhower 1890-1969. Chronology, Documents, Bibliographical

Aids, New York.

28 Kroker, Weinstein 1995,69.

29 Al Pacino inszeniert indiesen Tagen Brechts»Arturo Ui« nicht ohneHintergedanken mit vielenHollywood-Größen vor aus-verkauftem Haus am NewYorker Broadway.

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