Harry Friedmann Einführung in die Kernphysik...1.6 Die Entdeckung des Atomkerns...

30
Harry Friedmann Einführung in die Kernphysik LEHRBUCH PHYSIK

Transcript of Harry Friedmann Einführung in die Kernphysik...1.6 Die Entdeckung des Atomkerns...

  • Harry Friedmann

    Einführung in die Kernphysik

    LEHRBUCH PHYSIK

    le-texDateianlage9783527677405.jpg

  • Harry Friedmann

    Einführung in die Kernphysik

  • Beachten Sie bitte auch weitere interessante Titelzu diesem Thema

    Bethge, K., Gruber, G., Stöhlker, T.

    Physik der Atome und MoleküleEine Einführung

    2004

    Print ISBN: 978-3-527-40463-6,ISBN: 978-3-527-66253-1,

    eMobi ISBN: 978-3-527-66254-8,ePub ISBN: 978-3-527-66255-5,

    Adobe PDF ISBN: 978-3-527-66256-2

    Machner, H.

    Einführung in die Kern- und Elementarteilchenphysik

    2005Print ISBN: 978-3-527-40528-2,

    ISBN: 978-3-527-66237-1,eMobi ISBN: 978-3-527-66238-8,

    ePub ISBN: 978-3-527-66239-5,Adobe PDF ISBN: 978-3-527-66240-1

    Griffiths, D.

    Introduction to Elementary Particles

    2008Print ISBN: 978-3-527-40601-2

  • Harry Friedmann

    Einführung in die Kernphysik

  • Autor

    Harry FriedmannUniversität Wien, Fakultät für Physik,KernphysikWähringerstr. 171090 WienÖsterreich

    TitelbildBlick in eine elektrostatische Ablenkeinheit vonVERA (Vienna Environmental ResearchAcclerator).

    Alle Bücher von Wiley-VCH werden sorgfältigerarbeitet. Dennoch übernehmen Autoren,Herausgeber und Verlag in keinem Fall,einschließlich des vorliegenden Werkes, für dieRichtigkeit von Angaben, Hinweisen undRatschlägen sowie für eventuelle Druckfehlerirgendeine Haftung

    Bibliographic information published by theDeutsche NationalbibliothekBibliografische Information der Deutschen Na-tionalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothekverzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.

    © 2014 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA,Boschstr. 12, 69469 Weinheim, Germany

    Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzungin andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teildieses Buches darf ohne schriftliche Genehmi-gung des Verlages in irgendeiner Form – durchPhotokopie, Mikroverfilmung oder irgendeinanderes Verfahren – reproduziert oder in einevon Maschinen, insbesondere von Datenver-arbeitungsmaschinen, verwendbare Spracheübertragen oder übersetzt werden. Die Wieder-gabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamenoder sonstigen Kennzeichen in diesem Buchberechtigt nicht zu der Annahme, dass diesevon jedermann frei benutzt werden dürfen.Vielmehr kann es sich auch dann um einge-tragene Warenzeichen oder sonstige gesetzlichgeschützte Kennzeichen handeln, wenn sienicht eigens als solche markiert sind.

    Umschlaggestaltung Grafik-Design Schulz,FußgönheimTypesetting le-tex publishing services GmbH,Leipzig, GermanyPrinting and Binding Markono Print MediaPte Ltd, Singapore

    Print ISBN 978-3-527-41248-8ePDF ISBN 978-3-527-67740-5ePub ISBN 978-3-527-67741-2Mobi ISBN 978-3-527-67742-9

    Gedruckt auf säurefreiem Papier

  • V

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort XI

    1 Entdeckung der Radioaktivität, natürliche Radioaktivität 11.1 Entdeckung 11.2 Natürliche Radioaktivität 21.3 Die kosmische Strahlung 31.4 Strahlenarten und natürliche Zerfallsreihen 51.5 Zerfallsgesetze, radioaktives Gleichgewicht 101.6 Die Entdeckung des Atomkerns (Rutherford-Streuung) 141.7 Wirkungsquerschnitt und Massenbelegung 171.8 Übungsaufgaben 19

    2 Die statistische Natur des radioaktiven Zerfalls 212.1 Übungsaufgaben 25

    3 Wechselwirkung von Strahlung mit Materie 273.1 Wechselwirkung geladener Teilchen mit Materie 273.1.1 Wechselwirkung schwerer, geladener Teilchen mit Materie 283.1.2 Wechselwirkung von Elektronen mit Materie 363.1.3 Wechselwirkung von Positronen mit Materie 413.2 Wechselwirkung von Neutronen mit Materie 423.3 Wechselwirkung von Photonenstrahlung mit Materie 443.3.1 Compton-Streuung 453.3.2 Photoeffekt 483.3.3 Paarbildung 503.3.4 Totaler Absorptionsquerschnitt 513.4 Sekundärprozesse 543.5 Übungsaufgaben 54

    4 Strahlungsdetektoren 574.1 Prinzipien 574.1.1 Kalorimeter 57

  • VI Inhaltsverzeichnis

    4.1.2 Gas-Ionisationsdetektoren 584.1.3 Festkörper-Ionisationsdetektoren 664.1.4 Szintillationsdetektoren 694.1.5 Cerenkov-Detektor 724.1.6 Teilchenspurdetektoren 734.1.7 Thermolumineszenzdetektoren 764.1.8 Spezialdetektoren 774.2 Elektronische Impulsverarbeitung 784.3 Übungsaufgaben 81

    5 Neue Teilchen und künstliche Radioaktivität 855.1 Isotope 855.2 Die Entdeckung des Neutrons 865.3 Die Entdeckung des Positrons 865.4 Künstliche Radioaktivität 885.5 Übungsaufgaben 89

    6 Aufbau der Atomkerne 916.1 Kernmassen 916.1.1 Statische elektrische und magnetische Felder 916.1.2 Massenspektrometer 946.1.3 Massenbestimmung über Kernumwandlungen 966.2 Die Größe des Atomkerns 996.3 Übungsaufgaben 105

    7 Das Tröpfchenmodell des Atomkerns 1077.1 Isotopentafel 1077.2 Das Tröpfchenmodell 1097.3 Stabilität gegen �-Zerfall 1137.4 Stabilität gegen Nukleonenemission 1157.5 Stabilität gegen Spaltung 1157.6 Übungsaufgaben 117

    8 Die quantenmechanische Behandlung des Atomkerns 1198.1 Grundlagen 1198.2 Zur Lösung der Schrödinger-Gleichung 1228.3 Das Schalenmodell, Einzelteilchenniveaus 1258.4 Kollektive Anregungen 1308.5 Kernmomente 1328.5.1 Elektrische Momente 1328.5.2 Magnetische Momente 1358.6 Experimentelle Bestimmung von Kernspin und -momenten 1388.6.1 Kernspin 1388.6.2 Kernmomente 1398.7 Niveauübergänge 142

  • Inhaltsverzeichnis VII

    8.8 Übungsaufgaben 149

    9 Der Mößbauer-Effekt 1539.1 Nukleare Resonanzabsorption 1539.2 Natürliche Linienbreiten 1579.3 Anwendungen der Mößbauer-Spektrometrie 1589.4 Übungsaufgaben 161

    10 Die Theorie des α-Zerfalls 16310.1 Modell des α-Teilchens im Potential des Restkerns 16310.2 Ergänzende Bemerkungen zum α-Zerfall 16510.3 Übungsaufgaben 167

    11 Der �-Zerfall 16911.1 Das �-Spektrum 16911.2 Fermis Theorie des �-Zerfalls 17111.3 Der experimentelle Nachweis des Neutrinos 17611.4 Die Neutrinomassen 17711.5 Die schwache Wechselwirkung 18011.6 �-Übergänge: Drehimpulse, Matrixelemente, Kopplungskonstante 18111.7 Die Paritätsverletzung 18311.8 Übungsaufgaben 189

    12 Kernreaktionen 19112.1 Grundlagen 19112.2 Erhaltungssätze und Kinematik 19412.3 Qualitativer Verlauf von Anregungsfunktionen 19812.4 Die quantenmechanische Behandlung der Streuung 20012.5 Kernpotentiale und das optische Modell 20912.6 Die R-Matrix-Theorie 21112.7 Reaktionsmodelle 21512.7.1 Compoundkernreaktionen 21612.7.2 Direkte Kernreaktionen 22212.8 Übungsaufgaben 225

    13 Kernspaltung 22713.1 Zur Geschichte der Kernspaltung 22713.2 Physikalische Grundlagen, Kettenreaktion 22913.3 Die Atombombe 23313.4 Physik der Kernreaktoren 24413.5 Typen von Kernreaktoren 24813.5.1 Leichtwasserreaktor: Siedewasserreaktor (BWR – Boiling Water Reactor),

    Druckwasserreaktor (PWR – Pressurized Water Reactor) 24913.5.2 Natururanreaktor (CANDU-Reaktor) 25313.5.3 Graphitmoderierte Reaktoren 254

  • VIII Inhaltsverzeichnis

    13.5.4 Schneller Brüter 25713.6 Sicherheitsbewertung und Risiko 25813.7 Reaktorunfälle 26213.8 Beitrag der Kernenergie zur weltweiten Energiegewinnung 26613.9 Ein natürlicher Kernreaktor 26713.10 Übungsaufgaben 271

    14 Kernfusion 27314.1 Physikalische Grundlagen 27314.2 Die Fusionsbombe 27814.3 Fusionsreaktoren 28114.3.1 Trägheitseinschluss 28214.3.2 Magnetfeldeinschluss 28714.3.3 Probleme und potentielle Gefahren von Fusionsreaktoren 29814.4 Übungsaufgaben 302

    15 Elementsynthese 30315.1 Übungsaufgaben 309

    16 Dosimetrie und die biologische Wirkung von Strahlung 31116.1 Das Dosiskonzept 31116.1.1 Grundlagen und grundlegende Größen 31116.1.2 Angewandte Dosiskonzepte und Dosisgrößen 31716.2 Die biologische Wirkung der Strahlung 31816.2.1 Wirkung radioaktiver Strahlung 31816.2.2 Deterministische Schäden 32116.2.3 Stochastische Schäden 32316.2.4 Individuelle Unterschiede der Strahlenempfindlichkeit 32516.2.5 Hormesis 32916.3 Die Strahlenbelastung des Menschen 33116.3.1 Externe Strahlenbelastung 33216.3.2 Interne Strahlenbelastung 33516.3.3 Belastung durch Radon 33816.4 Strahlentherapie 34116.5 Übungsaufgaben 346

    17 Beschleuniger 34717.1 Elektrostatische Beschleuniger 34717.1.1 Cockcroft-Walton-Beschleuniger 34817.1.2 Van de Graaff-Beschleuniger 34917.1.3 Tandembeschleuniger 35017.2 Elektrodynamische Beschleuniger 35117.2.1 Linearbeschleuniger [200 35217.2.2 Ringbeschleuniger 35717.3 Übungsaufgaben 374

  • Inhaltsverzeichnis IX

    18 Elementarteilchen 37718.1 Die Idee der Elementarteilchen 37718.2 Entdeckungen der Hochenergiephysik 37818.3 Austauschkräfte und Wechselwirkungsteilchen 38218.4 Der Weg zum Standardmodell 38418.5 Das Standardmodell 38818.5.1 Erhaltungssätze und Symmetrie 38918.5.2 Leptonen 39218.5.3 Hadronen 39718.5.4 Der Higgs-Mechanismus 40018.6 Vereinheitlichte Theorie 40318.7 Übungsaufgaben 407

    Anhang A Wellen und ihre mathematische Darstellung 409

    Anhang B Die δ-Distribution (Dirac’sche δ-Funktion) 413

    Anhang C Vektoren und Differentialoperatoren 415

    Anhang D Einige formale Grundlagen der Quantenmechanik 425

    Anhang E Störungsrechnung und Fermis Goldene Regel 435

    Anhang F Die Born’schen Näherungen 439

    Anhang G Feynman-Diagramme 443

    Literaturverzeichnis 447

    Personenverzeichnis 459

    Sachverzeichnis 467

  • XI

    Vorwort

    Dieses Buch entstand aus einem Vorlesungsskriptum, unter Hinzunahme einigerAbschnitte, die in anderen Vorlesungen vorgetragen wurden. Um eine möglichstumfassende Darstellung der vielen Aspekte der Kernphysik zu geben, musste anvielen Stellen auf eine tiefere Ausführung verzichtet werden. Auch sind Ableitun-gen und Beweise nicht immer lückenlos und mathematisch exakt formuliert. DerLeser soll einen Überblick gewinnen und muss gegebenenfalls entsprechende Spe-zialliteratur zu Rate ziehen.

    Das Buch soll allen jenen, die erstmalig mit dem Gebiet der Kernphysik in Kon-takt treten, einen Überblick geben, von der Entdeckung der Radioaktivität bis zurPostulierung der Quarks und dem Nachweis des Higgs. Im Wesentlichen folgtdas Buch der historischen Entwicklung der Kernphysik und damit gewissermaßenauch der logischen Abfolge von Entdeckungen und der daraus folgenden Entwick-lungen.

    Die Übungsaufgaben haben sich über mehrere Jahre angesammelt und sindmöglicherweise auch teilweise aus anderen Quellen übernommen. Es ist mir je-doch nicht mehr möglich, festzustellen ob, und im Fall dass dies zutrifft, aus wel-chen anderen Quellen sie stammen. Für den Fall, dass tatsächlich Beispiele an-derer Autoren verwendet wurden, möchte ich mich diesbezüglich entschuldigen.Lösungen für Dozenten sind auf der Homepage www.wiley-vch.de abrufbar.

    Da die Vorlesung nicht verpflichtend für alle Studierenden war, hatten die Besu-cher oft sehr unterschiedliche physikalische Vorbildung. Aus diesem Grund sindin den Anhängen einige für das Verständnis der Vorlesung wichtige Aspekte zu-sammengefasst.

    Bei den Registern sind zu den Stichworten zumeist nur die wichtigsten Seitenangeführt, wobei jedoch Übungsbeispiele und Anhänge nicht beschlagwortet wur-den.

    Ich hoffe, dass sich nicht allzu viele Fehler, Ungenauigkeiten und Unsinn ein-geschlichen haben und ersuche alle jene, denen etwas Derartiges aufgefallen ist,dies mir mitzuteilen.

  • XII Vorwort

    Die Diskussion mit Kollegen und Studierenden hat wesentlich zur Gestaltungdieses Buches beigetragen. Insbesondere möchte ich mich für die konstruktiveKritik bei (in alphabetischer Reihenfolge) Herrn Prof. Ecker, Herrn Prof. Grimus,Herrn Prof. Hille, Herrn Prof. Püschl und Frau Prof. Strohmaier bedanken.

    Wien, Januar 2014 Harry Friedmann

  • 1

    1Entdeckung der Radioaktivität, natürliche Radioaktivität

    1.1Entdeckung

    Die Entdeckung der natürlichen Radioaktivität erfolgte 1896 durch Henri Becque-rel, als er im Anschluss an die von Röntgen entdeckte Strahlung, bei der vonPoincaré als Ausgangspunkt der Strahlung fälschlicherweise der grüne Phospho-reszenzfleck der Geißlerröhre vermutet wurde, Untersuchungen an phosphores-zierenden Stoffen durchführte. Als glücklicher Umstand erwies sich, dass er imBesitz von (phosphoreszierenden) Uransalzen war und sehr bald feststellen konn-te, dass diese Substanzen durch Papier und Aluminium hindurch fotografischePlatten schwärzen konnten. Die ersten Ergebnisse wurden am 24. Februar 1896veröffentlicht (Sitzung der franz. Akademie d. Wissenschaften), aber schon am5. März 1896 erkannte er, dass keine Vorbelichtung der verwendeten Uransalzenotwendig war, um die fotografische Wirkung zu erzielen. Außerdem konnte erzeigen, dass andere phosphoreszierende Substanzen diese Wirkung nicht besa-ßen. Schließlich folgerte er, dass die Strahlung eine Eigenschaft des Uranatomswar und in keinem Zusammenhang mit der Phosphoreszenz der ursprünglich un-tersuchten Substanzen stand. Die ausgesandten Strahlen hatten große Ähnlichkeitmit Röntgenstrahlen und wurden später als Becquerel-Strahlen bezeichnet.

    Wir wissen heute, dass neben Uran noch viele andere Elemente radioaktiveStrahlung emittieren, ohne dass dem eine durch den Menschen verursachte Ak-tivierung (Kernumwandlung) vorangeht. Man bezeichnet solche, ohne menschli-ches Zutun bestehende, Radioaktivität als natürliche Radioaktivität. Durch Mes-sung, z. B. mittels eines Geigerzählers, kann man sich leicht überzeugen, dassdies kein selten auftretendes Phänomen ist, sondern vielmehr als allgegenwärtigangesehen werden kann. So ist Uran in Spurenelementen nahezu überall in deranorganischen Natur vorhanden, und auch in der Biosphäre werden verschiedeneradioaktive Substanzen in alle Körper eingebaut, so dass es keine Lebewesen gibt,die nicht auch von sich aus radioaktiv sind.

    Schon sehr früh erkannte man, dass mit der Radioaktivität eine Elementum-wandlung verbunden ist, wobei sich die Menge des Ausgangselements (und auch

    Einführung in die Kernphysik, Erste Auflage. Harry Friedmann.©2014 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2014 by WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA.

  • 2 1 Entdeckung der Radioaktivität, natürliche Radioaktivität

    die Strahlenintensität) exponentiell verringert. Es waren der neuseeländische Phy-siker Ernest Rutherford (Nobelpreis für Chemie 1908) und der englische ChemikerFrederick Soddy, die an der McGill Universität in Montreal die Theorie der Ele-mentumwandlung entwickelten [1–6]. Der Nachweis erfolgte durch chemischesAbtrennen der Elemente. Für die Intensität I der Strahlung oder die Anzahl N derAtome eines Elementes ergab sich als Funktion der Zeit t folgendes Verhalten:

    I D Ioe�λ t bzw. N D Noe�λ t (1.1)mit Io der Intensität, No der Atomzahl zum Zeitpunkt t D 0 und λ, einer für dasuntersuchte Element charakteristischen Konstante. Man bezeichnet λ als Zerfalls-konstante und – wie man leicht einsieht – T1/2 D ln(2)/λ als Halbwertszeit undτ D 1/λ als mittlere Lebensdauer. Aufgrund von Ablenkungsversuchen im Ma-gnetfeld konnten verschiedene Strahlenarten und Energien nachgewiesen werden,die schließlich durch Ernest Rutherford [7, 8] in drei Arten von Strahlung einge-teilt wurden, und zwar die α-Strahlung, die, wie man heute weiß, aus Heliumker-nen besteht, die �-Strahlung, die aus Elektronen besteht, und die γ -Strahlung, diehochenergetische, elektromagnetische Strahlung ist.

    1.2Natürliche Radioaktivität

    Aus der Tatsache, dass die Radioaktivität exponentiell abnimmt, sollte man schlie-ßen können, dass nach genügend langer Zeit keine Radioaktivität mehr vorhandensein dürfte. Es stellt sich also die Frage, wieso eine natürliche Radioaktivität über-haupt nachweisbar ist bzw. wie sie entstanden ist. Zwei Mechanismen der Ent-stehung radioaktiver Substanzen sind denkbar, und beide tragen zur natürlichenRadioaktivität bei.

    Die erste Möglichkeit der Entstehung natürlicher Radionuklide ist deren Erzeu-gung bei der Bildung der chemischen Elemente im Zug der Sternentwicklung.Damit sie auch heute noch vorhanden sind, muss ihre Halbwertszeit in der Grö-ßenordnung von mindestens 108 Jahren liegen. Man nennt diese Radionuklideprimordial. Man kann zu dieser Gruppe auch jene zählen, die durch den Zerfallprimordialer Radionuklide entstehen und selbst radioaktiv sind (natürliche Zer-fallsreihen). Letztere werden auch als radiogene Radionuklide bezeichnet. Typi-sche Beispiele für primordiale Nuklide sind 235U (T1/2 D 7 � 108 a), 238U (T1/2 D4,5 � 109 a), 232Th (T1/2 D 14 � 109 a), 40K (T1/2 D 1,3 � 109 a) usw.

    Da eine Reihe von natürlich vorkommenden Radionukliden Halbwertszeitenaufweisen, die zu gering sind, als dass diese Nuklide bei der Sternentwicklung ent-standen sein können, muss geschlossen werden, dass auch andere Mechanismendie Entstehung von Radionukliden ermöglichen. Diese Mechanismen müssen zueiner dauernden Bildung von Radionukliden führen, wie etwa die Existenz einernatürlichen Tritiumkonzentration (überschwerer Wasserstoff: 3H) mit einer Halb-wertszeit von 12,3 Jahren oder die in allen Lebewesen sowie in der Atmosphärevorhandene Konzentration an Radiokohlenstoff (14C, T1/2 D 5730 a) zeigt.

  • 1.3 Die kosmische Strahlung 3

    1.3Die kosmische Strahlung

    Als Ursache für diese dauernde Nachbildung ist die kosmische Strahlung anzuse-hen, deren Entdeckung u. a. auf Victor Hess zurückgeht (siehe später in diesemAbschnitt). Es treffen etwa 1000 Kerne pro Quadratmeter und Sekunde auf dieErdatmosphäre, wobei Protonen mit etwa 90 %, α-Teilchen mit 9 % und schwere-re Kerne sowie Elektronen mit etwa je 1 % zur kosmischen Strahlung beitragen.Ein Teil dieser Teilchen weist sehr hohe Energien auf, manchmal bis zu 1020 eV(ultrarelativistisch), was 11 Größenordnungen über der Ruhemasse der Protonenliegt. Aufgrund des Magnetfeldes der Erde kommt es zu einer Abhängigkeit derIntensität der kosmischen Strahlung von der geographischen Breite. Zumeist wer-den in der Literatur Werte für mittlere Breiten angegeben. Kommt es zur Bildungvon Radionukliden in der Atmosphäre, so ist die Breitenabhängigkeit von nichtallzu großer Bedeutung, da in der Atmosphäre stets eine relativ rasche Durchmi-schung stattfindet. Im Fall von Radionukliden, die an der Erdoberfläche gebildetwerden, ist jedoch die Abhängigkeit der kosmischen Strahlung von der geographi-schen Breite sehr wohl zu berücksichtigen. Natürlich werden durch die kosmischeStrahlung auch in der interstellaren Materie Radionuklide gebildet, jedoch ist die-ser Beitrag für die auf der Erde relevanten natürlichen Radionuklide als vernach-lässigbar anzusehen.

    Man unterscheidet in der kosmischen Strahlung aufgrund ihrer Herkunft einesolare Komponente, eine galaktische Komponente (Entstehung außerhalb unseresSonnensystems, aber innerhalb unserer Galaxie) und eine außergalaktische (extra-galaktische) Komponente.

    Als Ursache der beobachteten hohen Energien in der sogenannten primärenKomponente der kosmischen Strahlung können Supernova-Explosionen ange-nommen werden („Supernovadruckwelle“), wobei die Übertragung von kineti-scher Energie eines Plasmas auf individuelle Teilchen zu einer nichtthermischenEnergieverteilung mit einer Überhöhung der Intensität im hochenergetischenBereich führt. Der Mechanismus beruht einerseits auf der wiederholten Wech-selwirkung geladener Teilchen mit dem Magnetfeld von Schockwellen (Fermi-Mechanismus 1. Ordnung), andererseits auf der Diffusion geladener Teilchen inbewegten, inhomogenen Magnetfeldern (Irregularitäten in einer „Magnetfeldwol-ke“), die sich mit dem Plasma mitbewegen (Fermi-Mechanismus 2. Ordnung).Der ursprünglich von Fermi angenommene Effekt skaliert mit �2 (� D v/c mitv Geschwindigkeit des bewegten Magnetfeldes) daher auch Fermi-Mechanismus2. Ordnung. Der später gefundene Fermi-Mechanismus 1. Ordnung hingegenskaliert mit � und kann zu noch höheren Energien führen. Beide Mechanismenberuhen auf dem Effekt, dass geladene Teilchen beim Durchlaufen von bewegten,magnetischen Gradientenfeldern eine Energieänderung erfahren.

    Untersuchungen (AGASA Experiment) [9, 10] haben gezeigt, dass jenseits je-ner Energien, die durch den Fermi-Mechanismus 1. Ordnung erreichbar sind (Ab-schätzung beruht auf möglichen Magnetfeldstärken und deren maximalen Aus-dehnungen), immer noch Teilchen nachweisbar sind. Bis vor Kurzem konnte man

  • 4 1 Entdeckung der Radioaktivität, natürliche Radioaktivität

    sich keine Quelle für diese extrem hochenergetischen Teilchen vorstellen [11], wo-bei noch zusätzlich das Problem der Greisen-Zatsepin-Kuzmin-Schwelle (GZK-cutoff) besteht. Man kann nämlich zeigen, dass bei sehr hohen Protonenenergiendie kosmische Hintergrundstrahlung eine signifikante Absorption verursacht. DerEffekt beruht auf der Pionenproduktion (p C γ ! p C πo und p C γ ! n C πC),die bei einer Schwellenenergie von etwa 6 � 1019 eV einsetzt (Photonendichte derkosmischen Hintergrundstrahlung ca. 412 Quanten/cm3) und zu einer mittlerenfreien Weglänge von etwa 6 MPc (1 Parsec D 1 Pc � 3,26 Lichtjahre � 3,1 � 1016 m,entspricht jener Entfernung, aus der der Erdbahnradius unter einer Bogensekundegesehen wird) führt. Das bedeutet, dass die Quelle der beobachteten extrem hoch-energetischen Strahlung näher als etwa 50 MPc liegen sollte. Es gibt derzeit diestarke Vermutung, dass die Quelle supermassive schwarze Löcher in den Zentrender Galaxien sind [12]. (Zum Vergleich: Durchmesser der Milchstraße ca. 30 kPc,Abstand zum nächsten Galaxienhaufen (Virgo) ca. 20 MPc, Abstand zur entfern-testen beobachteten Galaxie ca. 1 GPc.)

    Die kosmische Strahlung wurde von Victor Franz Hess [13] bei seinen Arbeitenüber radioaktive Stoffe in der Atmosphäre entdeckt. Victor Hess war damals „ErsterAssistent“ unter Stefan Meyer am neu gegründeten Institut für Radiumforschungin Wien. Da damals bereits die Verteilung natürlicher radioaktiver Substanzen inder Erde und Atmosphäre im Großen und Ganzen bekannt war, konnte erwartetwerden, dass mit zunehmendem Abstand von der Erdoberfläche die „durchdrin-gende Strahlung“ abnahm. In den Jahren 1909 und 1910 untersuchten auch an-dere Forscher (Wulf, Bergwitz, Gockel) die Radioaktivität in größeren Höhen undunternahmen sogar Ballonfahrten, jedoch konnten keine eindeutigen Ergebnisseerzielt werden. In den Jahren 1911 und 1912 unternahm Hess mehrere Ballonfahr-ten (siehe Abb. 1.1) und konnte dabei eindeutig eine Zunahme der Strahleninten-sität mit der Höhe feststellen [14, 15].

    Es wurden 1913–1914 auch von W. Kolhörster Ballonaufstiege bis 9 km Hö-he unternommen, jedoch wurden die Experimente durch den 1. Weltkrieg unter-brochen. Hess errichtete noch 1913 eine Station zur Dauerbeobachtung auf demHochobir. In den Dreißigerjahren erfolgte schließlich die endgültige Identifika-tion der „Höhenstrahlung“ als kosmische Strahlung mit Hilfe von Arbeiten vonPiccard, Cosyns, Regener, Pfotzer, Bothe und Kolhörster. Schließlich erhielt VictorHess 1936 den Nobelpreis für Physik für die Entdeckung der kosmischen Strah-lung.

    Treffen die hochenergetischen Protonen der kosmischen Strahlung auf dieAtomkerne der Elemente in der Atmosphäre, so kommt es einerseits zu einerZertrümmerung der Targetkerne, andererseits vor allem zur Erzeugung von Pi-onen (πC, π�, πo), Protonen, Antiprotonen und sogenannten „strange particles“.Es werden dabei zumeist mehrere hochenergetische Teilchen pro Stoß erzeugt,die aufgrund der hohen Energie des einfallenden Teilchens parallel zur Einfalls-richtung gebündelt emittiert werden. Diese können mit anderen Kernen neuerlicheine Kernreaktion eingehen, und es entsteht ein Schauer von sekundären Teilchen,die teilweise die Erdoberfläche erreichen können. Mittels Koinzidenzmessungenan der Erdoberfläche kann auf die ursprüngliche Quelle eines Schauers zurück-

  • 1.4 Strahlenarten und natürliche Zerfallsreihen 5

    Abb. 1.1 Victor Hess bei einem seiner Ballonaufstiege.

    geschlossen werden. Die verwendeten Detektoren können dabei über Flächenvon mehreren hundert Quadratmetern verteilt sein. Getroffene Kerne verbleibenmeist in hoch angeregten Zuständen, wobei die Anregungsenergie durch „Ab-dampfen“ von Kernfragmenten, insbesondere Neutronen, abgegeben wird. Diese„Abdampfung“ ist im Massenmittelpunktsystem isotrop (kein Winkel bevorzugt).Für die Produktion von radioaktiven Nukliden ist das Entstehen von Neutronenvon entscheidender Bedeutung. Da Neutronen keine elektrische Ladung besitzen,können sie leicht in den Kern eindringen und Kernreaktionen auslösen. Danebenkann ein Teil der Anregungsenergie natürlich auch über γ -Emission abgegebenwerden. Diese Art von nuklearer Wechselwirkung hochenergetischer Projektilemit Atomkernen wird als Spallationsreaktion bezeichnet (siehe Abb. 1.2).

    1.4Strahlenarten und natürliche Zerfallsreihen

    Nach der Entdeckung der Becquerel-Strahlen 1898 untersuchten unabhängig von-einander G.C. Schmidt und Maria Curie (geb. Sklodowska) ob noch andere Ele-mente die Eigenschaft der Becquerel-Strahlung aufweisen. (Pierre Curie hatte mitseinem Bruder Jacques die piezoelektrischen Eigenschaften von Quarz entdeckt

  • 6 1 Entdeckung der Radioaktivität, natürliche Radioaktivität

    Hochenergetisches Proton

    Leichter Kern

    Leichter Kern

    Neutron

    Neutron

    p, π, strange particles

    Abb. 1.2 Symbolische Darstellung der Wechselwirkung hochenergetischer Protonen aus derkosmischen Strahlung mit Nukliden der Atmosphäre.

    und damit Luftionisationsmessungen durchgeführt. Er schlug infolgedessen sei-ner Frau Marie, unmittelbar nach der Geburt ihrer Tochter Irène, die genaue Mes-sung der Uranstrahlen als Dissertationsthema vor.) Sie fanden, dass auch Thoriumeine solche Strahlung emittiert. Es fiel sofort auf, dass diese beiden Elemente unterden damals bekannten Elementen jene mit den größten Atomgewichten (238 und232) waren, und dass diese relativ weit von den nächsten bekannten schweren Ele-menten Wismut (AG D 208) und Blei (AG D 207) entfernt lagen. Marie Curie un-tersuchte systematisch alle ihr zugänglichen Mineralien, fand jedoch, dass nur je-ne strahlten, die uran- oder thoriumhaltig waren. Die Messmethoden wurden nachder Erkenntnis über die ionisierende Wirkung der Strahlen bald verbessert, undMarie Curie bediente sich bei ihren grundlegenden Versuchen bereits elektrischerMessmethoden (Elektroskope). Dank der damit erzielten Messgenauigkeit konntesie feststellen, dass einige Mineralien eine höhere Aktivität aufwiesen, als es demUrangehalt entsprach. Insbesondere zeigte ein künstlich hergestellter Chalkolith(Tobernit, Cu(UO2)2(PO4)2 � 12H2O) eine signifikant geringere Aktivität als ein na-türlicher Chalkolith. Es war bereits damals einigermaßen gesichert, dass die Strah-lung eine Atomeigenschaft ist und nicht von der chemischen Bindung abhängt.Marie Curie zog daher den Schluss, dass ein noch stärker strahlendes Elementdem natürlichen Uran in ganz geringer Konzentration beigemengt sein müsste.Zusammen mit ihrem Mann Pierre Curie versuchte sie nun die Uranmineralienchemisch aufzuarbeiten und zu trennen, wobei die Radioaktivität als Indikator ver-wendet wurde. In ihren Trenngängen fand sie in der Fraktion, in der sich Wismutabschied, einen Stoff, der etwa 400-mal so stark strahlte wie Uran. Zu Ehren ihrerHeimat nannte sie dieses neue Element Polonium. Schon am 26. Dezember 1898konnte das Ehepaar Curie gemeinsam mit dem Chemiker Gustave Bémont berich-ten, dass in der Bariumfraktion ein weiteres radioaktives Element gefunden wurde,das sie Radium nannten. Diese Elemente wurden aus der Uranpechblende gewon-nen, nachdem das Uran bereits abgeschieden worden war. Sie nahmen daher an,dass die gefundenen radioaktiven Substanzen in den Rückständen der Uranverar-

  • 1.4 Strahlenarten und natürliche Zerfallsreihen 7

    beitung angereichert sein müssten. Da um die Jahrhundertwende das bedeutends-te Uranbergwerk in Österreich-Ungarn lag, wandten sie sich an den damaligenPräsidenten der Wiener Akademie der Wissenschaften, Eduard Sueß, mit der Bitteum Überlassung von Rückständen aus der Uranaufbereitung von St. Joachimsthal.(Uran wurde damals vorwiegend zur Herstellung von Farben und Emailglasurenverwendet.) Dem Bergwerk St. Joachimsthal ging es damals wirtschaftlich nichtbesonders gut, denn der Uranabbau war nicht allzu ertragreich und das früher vor-handene Silber- und Bleierz bereits abgebaut. Der zuständige Bergrat überlegte,ob aus den Rückständen der Uranverarbeitung nicht später nochmals Silber extra-hiert werden könnte und ließ einen großen Teil davon lagern, so dass zur Zeit derAnfrage aus Frankreich eine große Menge dieser Rückstände vorhanden war. Dasösterreichische Ackerbauministerium stellte den Curies unentgeltlich bzw. zumSelbstkostenpreis zwei Waggonladungen davon zur Verfügung, aus denen danngrößere Mengen der strahlenden Substanzen gewonnen werden konnten (aus 11 tMaterial wurden ca. 85 mg Radium gewonnen) und die schließlich zur Aufklärungder Zusammenhänge dienten. (Das war übrigens der erste und wahrscheinlichwichtigste Transport radioaktiver Abfälle.)

    Es war sehr bald klar geworden, dass verschiedene Arten von Strahlung zu unter-scheiden waren, denn Absorptionsversuche zeigten, dass es eine Art der Strahlunggab, die sehr leicht zu absorbieren war, eine andere, die schon dickere Schich-ten durchdrang, und schließlich eine weitere Art der Strahlung, die nur durchmassive Abschirmmaterialien zu schwächen war. 1899/1900 zeigten unabhängigvoneinander F. Giesel, St. Meyer und E. von Schweidler sowie H. Becquerel, dasssich „Radiumstrahlen“ im Magnetfeld ablenken lassen. Nicht ablenken ließen sichaber „Poloniumstrahlen“. Man fand eine Fülle von Kombinationen von weichen,harten, ablenkbaren und nichtablenkbaren Strahlen. Schließlich war es E. Ruther-ford, dem die richtige Deutung all dieser Strahlungserscheinungen gelang. Manunterscheidet zwischen:

    � α-Strahlen: das sind 4He-Kerne (Nachweis aufgrund der Messung des Funken-spektrums des gebildeten Gases durch Rutherford [16]), die im Magnetfeld auf-grund ihrer positiven Ladung abgelenkt werden;

    � �-Strahlen: das sind Elektronen, die aufgrund ihrer negativen Ladung im Ma-gnetfeld in die andere Richtung abgelenkt werden und, da ihre Masse viel ge-ringer ist als die der He-Kerne, auch eine viel stärkere Ablenkung erfahren. (Dadie ablenkende Kraft proportional Ev � EB ist und da v D (2E/m)1/2, wird bei glei-cher Energie der Teilchen ein Magnetfeld als Massenseparator wirken.) Anders als α-und γ -Strahlen werden �-Strahlen mit keiner festen Energie emittiert, sondernzeigen eine kontinuierliche Energieverteilung;

    � γ -Strahlen: das sind elektromagnetische Strahlen, die im Magnetfeld keine Ab-lenkung erfahren. Historisch war man sich über diese Art der Strahlung langeZeit nicht sicher; so wurde auch vermutet, dass es sich um neutrale Teilchenhandeln könnte.

    Die meisten Forscher vermuteten bereits damals, dass alle diese unterschiedlichenEffekte auf sukzessiven Zerfällen radioaktiver Substanzen beruhen. Es waren wie-

  • 8 1 Entdeckung der Radioaktivität, natürliche Radioaktivität

    der E. Rutherford und F. Soddy, die diese Zerfallshypothese im Einzelnen syste-matisch untersucht haben.

    Heute weiß man, dass im Prinzip maximal vier natürliche Zerfallsreihen exis-tieren können, da bei �-Zerfall die Massenzahl nicht geändert wird und bei α-Zerfall sich die Massenzahl stets um 4 ändert. Tatsächlich existieren nur drei na-türliche Zerfallsreihen, ausgehend von den langlebigen Nukliden 232Th, 238U und235U mit den historischen Bezeichnungen Thorium-Reihe, Uran-Radium-Reiheund Actinium-Reihe. Die vierte mögliche Zerfallsreihe (4n C 1 Reihe) sollte von237Np ausgehen, welches aber mit einer Halbwertszeit von „nur“ 2,14 MillionenJahren viel zu kurzlebig ist, als dass noch ausreichend Material vorhanden wäre,diese Zerfallsreihe zu speisen. In Abb. 1.3 sind die natürlichen Zerfallsketten (wieheute bekannt) schematisch dargestellt (auf die historischen Namen wurde ver-zichtet).

    Man sieht, dass innerhalb dieser Zerfallsreihen die Halbwertszeiten sehr unter-schiedlich sind. Einerseits gibt es sehr lange Halbwertszeiten (z. B. 234U: T1/2 D2,5 � 105 a), andererseits auch extrem kurze (z. B. 212Po: T1/2 D 0,3 μs). Außerdemkommt es innerhalb der Zerfallsreihen zu Verzweigungen, d. h. einige Nuklidezerfallen auf mehr als eine Art, nämlich sowohl über α-Emission als auch über�-Radioaktivität. Schließlich muss noch erklärt werden, wieso es außerdem nochzur Emission von γ -Strahlung kommt. Der Zerfall eines „Mutternuklids“ in ein„Tochternuklid“ muss nicht in den energetisch tiefsten Zustand des „Tochternuk-lids“ führen. Dieses Folgeprodukt kann also in einem „angeregten“ Zustand gebil-det werden. Der Übergang in den energetisch tiefsten Zustand kann somit durchEmission eines γ -Quants erfolgen. In Abb. 1.4 ist ein Ausschnitt aus der 238U-Reihe dargestellt, der dieses Verhalten in einem Energiediagramm zeigt.

    Die radioaktiven Substanzen können also aus sich selbst heraus Energie freiset-zen, was zu einer Krise der klassischen Physik geführt hat, die ja eine Erhaltungder Energie verlangt. Die Lösung dieses Problems ergab sich erst durch Einsteinsspezielle Relativitätstheorie.

    Schon damals hat sich etwa Soddy die Frage gestellt, ob diese Energie in Zukunftzu Gutem oder zu Bösem genutzt werden könnte. Die unbegrenzte und billigeEnergie der Kerne könnte zu einem Paradies auf Erden oder aber zu gewaltigenZerstörungen bis zur Auslöschung der menschlichen Zivilisation durch „radioak-tive“ Bomben führen. Auch H.G. Wells [17] wurde durch solche Szenarien zu einer1913 geschriebenen Science-Fiction-Novelle inspiriert. Wells spricht darin erstma-lig von einer „atomic bomb“, die in einem europäischen Konflikt („The Last War“)1956 eingesetzt und später dieser Krieg durch eine Friedenskonferenz am LagoMaggiore beendet wird. Diese Konferenz sichert der Welt den immerwährendenFrieden und durch die Atomenergie kann eine glückliche Zukunft garantiert wer-den. Am Beginn dieses Buches erklärt ein Universitätsprofessor seinen Schülernfolgendes: This little box contains about a pint of uranium-oxide; that is to say aboutfourteen ounces of elementary uranium. It is worth a pound. And in this bottle, ladiesand gentlemen, in the atoms in this bottle there slumbers at least as much energy as wecould get by burning a hundred and sixty tons of coal. If at a word, in one instant, Icould suddenly release that energy here and now, it would blow us and everything about

  • 1.4 Strahlenarten und natürliche Zerfallsreihen 9

    238U Zerfallskette (A = 4n + 2) 234Th24.1 d �

    100%�

    238U4.5 · 109 aα

    234Pa1.2 m+�

    214Pb26.8 m�

    99.98%�

    218Po3.05 m�

    100%�

    222Rn3.825 d

    100%�

    226Ra1600 a

    100%�

    230Th7.5 · 104 a

    100%�

    234U2.5 · 105 a

    210Tl1.30 m�

    0.4%�

    214Bi19.9 m�

    100%�

    218At2 s

    206Hg8.15 m�

    75 · 10–6%

    �210Pb22.3 a�

    100%�

    214Po0.16 ms

    206Tl4.2 m� �

    210Bi5.0 d �

    206Pbstable

    100%�

    210Po138.4 d

    232Th Zerfallskette (A = 4n)228Ra

    5.75 a �100%�

    232Th

    228Ac6.13 h �

    212Pb10.6 h �

    100%�

    216Po0.15 s

    100%�

    220Rn55.6 s

    100%�

    224Ra3.66 d

    100%�

    228Th1.91 a

    208Tl3.1 m �

    36.2%�

    212Bi60.6 m�

    208Pbstable

    100%�

    212Po

    235U Zerfallskette (A = 4n + 3)231Th

    25.5 h �100%�

    235U

    215Bi7.4 m �

    97%�

    219At0.9 m �

    4 · 10–3%�

    223Fr21.8 m�

    1.2%�

    227Ac21.8 a �

    100%�

    231Pa3.3 · 104 a

    211Pb36.1 m�

    >99.9%�

    215Po1.8 ms �

    100%�

    219Rn3.96 s

    100%�

    223Ra11.4 d

    100%�

    227Th18.7 d

    207Tl4.8 m �

    99.68%�

    211Bi2.13 m�

    100%�

    215At0.1 ms

    207Pbstable

    100%�

    211Po0.52 s

    Z = 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92

    αααα

    αα

    α α

    α

    α

    α

    αααα

    α

    α

    α

    αααα

    α α α α

    αα

    α

    5 · 10–5%

    0.3 · 10–6s

    7 · 108 a

    14 · 109 a

    Abb. 1.3 Die natürlichen Zerfallsreihen: Pfeilenach links bedeuten α-Zerfälle mit in Prozentangegebenen Häufigkeiten, Pfeile nach rechtsunten stellen �-Zerfälle dar. Die Halbwerts-

    zeiten der Nuklide sind unter ihren Symbolennotiert. Dicke Pfeile symbolisieren die bevor-zugten Zerfallsverläufe.

    us to fragments; if I could turn it into a machinery that lights this city, it would keepEdinburgh brightly lit for a week. But at present no man has an inkling of how this littlelump of stuff can be made to hasten the release of its store!

    Die Einschätzung vieler Wissenschaftler war damals wesentlich skeptischer.Als Beispiel sei hier ein Zitat aus dem Buch Radioaktivität von St. Meyer undE. von Schweidler [18] angeführt: Die großtechnische Anwendung der in den ra-dioaktiven Substanzen aufgespeicherten Energien in der Form irgendwelcher ,Atom-

  • 10 1 Entdeckung der Radioaktivität, natürliche Radioaktivität

    218Po

    222 Rn

    226Ra

    100% αE = 5,49 MeV

    5,5% α: E = 4,60 MeV

    94,5% α: E = 4,78 MeV

    Ener

    gie

    Abb. 1.4 Der Zerfall von 226Ra in 222Rn erfolgtzu 94,5 % durch α-Emission mit einer Energievon 4,78 MeV in den Grundzustand von 222Rnund zu 5,5 % mit einer Energie von 4,60 MeVin den angeregten Zustand von 222Rn (Anre-

    gungsenergie 0,18 MeV). Der Übergang in denGrundzustand erfolgt über Emission eines(z. T. konvertierten1)) γ -Quants der Energie0,18 MeV (Rückstoß vernachlässigt).

    Explosions-Motoren‘ gehört jedoch in das Reich der Fabel, da hierzu die vorhandenenauf kleinem Raum konzentrierbaren Mengen nicht hinreichen können.

    1.5Zerfallsgesetze, radioaktives Gleichgewicht

    Der zeitliche Verlauf der Bildung und des Zerfalls von Aktivitäten soll nun genaueruntersucht werden. Die Aktivität A ist die Anzahl der pro Zeiteinheit zerfallendenAtome einer Substanz (entspricht der zeitlichen Abnahme der Atomzahl). Die Ein-heit der Aktivität ist 1 Bq (1 Becquerel), was einen Zerfall pro Sekunde bedeutet.Da der radioaktive Zerfall ein stochastischer Prozess ist, ist die Anzahl der Zerfäl-le pro Zeiteinheit, also die Aktivität, zur Gesamtzahl N der vorhandenen Atomeproportional:

    A D � dNdt

    D λN . (1.2)

    Diese Differentialgleichung lässt sich mit dem Ansatz

    N(t) D Noe�λ t (1.3)

    lösen, mit der Konstanten No der Atomzahl zum Zeitpunkt t D 0. Entsprechendergibt sich für die Aktivität

    A(t) D λNoe�λ t D A oe�λ t . (1.4)

    1) Die γ -Übergangsenergie wird auf ein Hüllenelektron übertragen und dieses wird aus dem Atomemittiert. Damit ergibt sich die Energie der Konversionselektronen als Differenz von γ -Energieund atomarer Bindungsenergie des Elektrons.

  • 1.5 Zerfallsgesetze, radioaktives Gleichgewicht 11

    Die Konstante λ ist die Zerfallskonstante und hängt mit der Halbwertszeit folgen-dermaßen zusammen:

    λ D ln 2T1/2

    . (1.5)

    Betrachten wir nun den Fall, dass ein Nuklid einerseits von einer Muttersubstanzgebildet wird, andererseits selbst mit einer gewissen Halbwertszeit zerfällt. Diezugehörige Differentialgleichung muss also folgendermaßen lauten (λ1 ¤ λ2):

    dN2dt

    D �λ2N2 � dN1dt D �λ2N2 C λ1Noe�λ1 t . (1.6)

    Der erste Term auf der rechten Seite der Gleichung bedeutet den Zerfall des Toch-terprodukts, der proportional der Atomzahl des Tochterprodukts (N2) ist, und derzweite Teil bedeutet die Nachbildung des Tochterprodukts aus dem Zerfall der Mut-tersubstanz (dN1/dt). Das negative Vorzeichen stammt daher, dass N1 mit der Zeitweniger wird, also (dN1/dt) negativ ist, jedoch jeder zerfallende Kern der Mut-tersubstanz einen zusätzlichen Tochterkern erzeugt, also einen positiven Beitragzu (dN2/dt) liefern muss. Für diesen Beitrag kann bereits der vorher berechne-te exponentielle Abfall eingesetzt werden. Obige Differentialgleichung ist eine ge-wöhnliche, inhomogene Differentialgleichung 1. Ordnung. Die allgemeine Lösungergibt sich als Summe aus den Lösungen der homogenen Differentialgleichungund einer speziellen Lösung der inhomogenen Differentialgleichung, die man ausder allgemeinen Lösung der homogenen Differentialgleichung durch Variation derKonstanten erhält. Für die spezielle Anfangsbedingung N1 D No und N2 D 0 fürt D 0 ergibt sich für die Anzahl der Tochterkerne zur Zeit t

    N2 D λ1λ2 � λ1 No(e�λ1 t � e�λ2 t ) . (1.7)

    Abbbildung 1.5 zeigt die Teilchenzahlen als Funktion der Zeit von Mutter- und vonTochternuklid in den Fällen, dass das Tochternuklid größere bzw. kleinere Halb-wertszeit als die Mutter aufweist. Man erkennt aus dieser Abbildung, dass bei Zei-ten viel größer als die Halbwertszeit der Mutter das Folgeprodukt mit längererHalbwertszeit zuerst gebildet wird (Anstieg) und auch nach nahezu vollständigemZerfall der Muttersubstanz noch immer vorhanden ist und danach mit der eige-nen Halbwertszeit abnimmt. Bei einem Folgeprodukt, das eine kürzere Halbwerts-zeit als die Mutter hat, steigt am Anfang natürlich auch die Teilchenzahl, jedochwird sie nie die der Mutter übersteigen. Vielmehr stellt sich asymptotisch das soge-nannte radioaktive Gleichgewicht ein, d. h. es werden gerade so viele Tochterkernepro Zeiteinheit zerfallen wie durch den Zerfall der Muttersubstanz nachgebildetwerden. In diesem Fall ist die Aktivität der Mutter gleich jener der Tochter, d. h.die Aktivität der Tochtersubstanz fällt mit der Halbwertszeit der Muttersubstanzab (laufendes radioaktives Gleichgewicht). Ist die Muttersubstanz sehr langlebig(Aktivität nahezu konstant), nähert sich die Aktivität der Tochtersubstanz dieserkonstanten Aktivität stetig an, was auch als säkuläres radioaktives Gleichgewicht

  • 12 1 Entdeckung der Radioaktivität, natürliche Radioaktivität

    00,10,20,30,40,50,60,70,80,9

    1

    Ato

    mza

    hl/N

    0

    Zeit

    Mutternuklid

    Tochternuklid A

    Tochternuklid B

    Abb. 1.5 Auf No normierte Teilchenzahlenvon Mutternuklid (dicke Linie) und einesTochternuklides mit vierfacher Halbwerts-zeit (Kurve A) und eines mit nur einem Viertel

    der Halbwertszeit der Mutter (Kurve B) unterder Voraussetzung, dass zur Zeit t D 0 dieTochtersubstanz vollständig abgetrennt war.

    (Dauergleichgewicht) bezeichnet wird.

    dN1dt

    D dN2dt

    , A 1 D A 2 radioaktives Gleichgewicht (1.8)

    Rechnerisch ergibt sich für t � T1/2(2) und T1/2(1) > T1/2(2) (λ1 < λ2)N1N2

    D λ2 � λ1λ1

    11 � e(λ1�λ2)t !

    λ2 � λ1λ1

    (1.9)

    und für T1/2(1) � T1/2(2) (λ1 � λ2)N1N2

    D λ2λ1

    D T1/2(1)T1/2(2)

    (1.10)

    was natürlich auch gleich aus A 1 D λ1N1 D A 2 D λ2N2 folgt.Eine Anwendung, die sich aus dem Wissen über den radioaktiven Zerfall ergibt,

    ist z. B. die Altersbestimmung von kohlenstoffhaltigen Materialien über den darinenthaltenen Radiokohlenstoff (14C-Datierungsmethode): Die Bildung von 14C erfolgtprimär in der durch die kosmische Strahlung induzierten Reaktion Neutron C14N ! 14C C Proton (heutige Schreibweise: 14N(n,p)14C) in den oberen Schich-ten der Troposphäre mit weitgehend konstanter Rate. In der Atmosphäre wird derKohlenstoff zu CO2 oxidiert. Die Halbwertszeit von 14C beträgt 5730 Jahre. Dader Radiokohlenstoff chemisch dem stabilen Kohlenstoff gleicht, wird er in glei-cher Weise dessen Umsetzungen mitmachen. Insbesondere gelangt Kohlenstoffüber die Assimilation in den Biokreislauf. Es stellt sich daher in allen biologischenMaterialien, sieht man von speziellen Fraktionierungseffekten ab, ein Gleichge-wicht zwischen 14C und 12C ein, das dem in der Atmosphäre entspricht („Rezent-Konzentration“). Im (Norm-)Menschen sind etwa 1015 Atome 14C vorhanden, was

  • 1.5 Zerfallsgesetze, radioaktives Gleichgewicht 13

    zu einer 14C-Aktivität von 3,7 kBq führt. 14C gelangt aber auch in Karbonsinter(z. B. Tropfsteine), indem das im Wasser gelöste Bikarbonat ausgeschieden wirdund dieser „biogene“ Kohlenstoff im Karbonatanteil des Kalks verbleibt. Stirbt einOrganismus ab, so nimmt er nicht mehr am biologischen Kreislauf teil und derradioaktive Kohlenstoff zerfällt durch �-Zerfall wieder in 14N. Das Verhältnis von14C zu 12C wird daher mit der Zeit immer kleiner. Gelingt es nun dieses Verhält-nis zu bestimmen, so kann man auf den Zeitpunkt zurückschließen, zu welchemdie Probe aus dem Biokreislauf ausgeschieden ist. Voraussetzung dafür ist, dassdie natürliche 14C-Konzentration in der Atmosphäre über die Zeit konstant ge-blieben ist. Für die Entwicklung dieser Radiokohlenstoffdatierungsmethode hatW.F. Libby [19, 20] den Nobelpreis erhalten. Aufgrund der weit gestreuten An-wendungsmöglichkeiten überragt die Radiokohlenstoffmethode alle anderen Da-tierungsmethoden. Die weite Verbreitung von Kohlenstoff in der Natur erlaubt dieVerwendung dieser Datierungsmethode in vielen wissenschaftlichen Disziplinen,wie etwa Archäologie, Ur- und Frühgeschichte, Geographie, Glaziologie, Limno-logie, Klimatologie, Geologie, Mineralogie, Hydrologie, Ozeanographie, Botanik,Bodenkunde, Bergbau, Waldbau, Holzforschung u. a.

    Nach der 14C-Methode kann organisches Material und anorganisches Materialorganischer Genese bis zu einem Alter von etwa 30 000 bis 40 000 Jahren datiertwerden. Typische geeignete pflanzliche Materialien sind: Holz, Holzkohle, Bor-ke, Blätter, Samen, Harz, Wurzeln, Stroh, Humus, Torf, Torfkohle, Gyttja (Faul-schlamm), Sumpfgas, Algen usw. Auch tierische Materialien wie Knochen, Haut,Fleisch, Fett, Haare, Horn, Elfenbein, Schneckengehäuse, Muschelschalen, Koral-len, Seesedimente usw. können mit der 14C-Methode datiert werden. Darüber hin-aus eignet sich auch anorganisches Material, in das atmosphärischer (biogener)Kohlenstoff eingebaut ist, wie Karbonatsinter (Tropfsteine, Travertin). Ferner konn-ten archäologische Eisenartefakte über den beim Verhüttungsprozeß eingebrach-ten biogenen Kohlenstoff datiert werden.

    Es hat sich jedoch gezeigt, dass der 14C-Gehalt der Atmosphäre in der Vergan-genheit zeitlich nicht konstant war (deVries-Effekt). Ursachen dafür sind in Inten-sitätsänderungen der kosmischen Strahlung durch Variation von Sonnenaktivitätund geomagnetischem Feld sowie in Klimaschwankungen zu suchen. Um nunaus dem Radiokohlenstoffalter das wahre Alter einer Probe zu berechnen, bedarfes einer Kalibrierung, die den atmosphärischen 14C-Gehalt in der Vergangenheitberücksichtigt. Das Problem wurde mit Hilfe der Dendrochronologie gelöst. Durchsystematische Untersuchungen der 14C-Konzentrationen in Baumringen konnteder atmosphärische 14C-Gehalt mehrere Jahrtausende zurückverfolgt werden. Na-türlich kann nicht aus einem Baum die gesamte Kalibrierkurve abgeleitet werden,jedoch fand man immer wieder Bäume, bei denen charakteristische Abfolgen vonJahresringen so übereinstimmten, dass eine zeitliche Überlappung der Lebens-zeiträume der Bäume bestand und damit eine Kalibrierung bis etwa 10 000 v. Chr.durchgeführt werden konnte. Für weiter zurückliegende Alter greift man auf ei-ne Kalibrierung über Korallen zurück. Um also aus dem „rein physikalischen“Radiokohlenstoffalter das wahre Alter abzuleiten, verwendet man entsprechendeKalibrierkurven bzw. Kalibrierprogramme (z. B. OxCal oder CALIB).

  • 14 1 Entdeckung der Radioaktivität, natürliche Radioaktivität

    1.6Die Entdeckung des Atomkerns (Rutherford-Streuung)

    Schon in den ersten Jahren nach der Entdeckung der α-Strahlung wurden Streu-versuche an dünnen Folien vorgenommen. Eine der wichtigsten Erkenntnisse, dieaus solchen gewonnen wurde, ist das Wissen um die Größe des Atomkerns (Ru-therford’sches Atommodell [21]). Aufgrund von Streuexperimenten von α-Teilchenan ganz dünnen Goldfolien (Rutherford-Streuung), konnte gezeigt werden, dassder positiv geladene Atomkern wesentlich kleiner als ein Atom ist und die Elektro-nen den Kern als Hülle umgeben.

    Die Experimente, die von Hans Geiger und Ernest Marsden [22, 23] unter derLeitung von Ernest Rutherford gemacht wurden, zeigten, dass neben einer rela-tiv großen Anzahl von um nur kleine Winkel (< 1°) gestreuten α-Teilchen auchStreuungen um große Winkel (> 10°) erfolgten, wobei die Intensität der gestreu-ten Teilchen mit 1/ sin4(θ /2) (θ Streuwinkel) abnimmt. Dieses Ergebnis kann nurdadurch erklärt werden, dass die positiv geladenen α-Teilchen von einem elek-trisch geladenen, (kleinen) massiven Zentrum abgelenkt werden. Damit konntedas Atommodell von Thomson [24] als nicht richtig erkannt werden. Thomsonhatte das Atom als elektrisch neutral modelliert, wobei die positive Ladung gleich-mäßig über das Atom verteilt sein und darinnen punktförmige negative Ladun-gen (Elektronen) schwimmen sollten (Plumpudding- oder Rosinenkuchen-Modell).Die beiden Modelle unterscheiden sich für die Berechnung der Streuintensitätendurch die Form des wirksamen Potentials, und es zeigt sich, dass nur ein nahezupunktförmiges Streuzentrum die beobachtete Intensitätsverteilung erklären kann.

    Die folgende Rechnung wird unter Annahme eines schweren, punktförmigenStreuzentrums (Atomkern) und eines dagegen verhältnismäßig leichten, punkt-förmigen gestreuten Teilchens (α-Teilchens) durchgeführt. Ist dies nicht der Fall,muss anstelle der Masse des kleinen Teilchens die reduzierte Masse verwendetwerden. Bei einem Vergleich mit Messergebnissen müsste die Formel dann aufdas Laborsystem umgerechnet werden. Außerdem werden Strahlungseffekte undrelativistische Effekte nicht berücksichtigt (nichtrelativistische Näherung).

    Die Kraft F, die auf das Teilchen mit der Masse m und der Geschwindigkeit vwirkt, ist die Coulomb-Kraft. Es gilt also

    EF D m dEvdt

    D Z1Z2e2

    4πεor2� Er

    r. (1.11)

    Da näherungsweise das Streuzentrum vor und nach der Streuung in Ruhe be-trachtet wird, kann man zur weiteren Rechnung nicht den Impulserhaltungssatzverwenden. Man kann jedoch die Erhaltung des Drehimpulses L um das Streu-zentrum nutzen. Einerseits verwendet man die Definition des Drehimpulses alsFunktion des Abstandes r und der zeitlichen Änderung des Drehwinkels φ umdas Streuzentrum, andererseits kennt man den Drehimpuls in großer Entfernungvom Streuzentrum durch Impuls (vo ist die Geschwindigkeit weit weg vom Streu-

  • 1.6 Die Entdeckung des Atomkerns (Rutherford-Streuung) 15

    θ

    φbr

    Streuzentrum

    Bahnkurve

    x

    y

    Abb. 1.6 Zur Berechnung der Rutherford-Streuung: Bahnk urvenpunkt mit Radiusvektor r vomStreuzentrum und Winkel ' zur Einschussrichtung, Streuwinkel θ und Stoßparameter b.

    zentrum) und Stoßparameter b (siehe Abb. 1.6):

    jELj D mr2 @'@t

    D mvob ) 1r2 D1

    vob@'

    @t. (1.12)

    Betrachtet man die y-Komponente der wirkenden Kraft und setzt für 1/r2 dasErgebnis von (1.12) ein, erhält man

    mdvydt

    D Z1Z2e2

    4πεovo b� @'

    @t� sin ' . (1.13)

    Das wird nun zuerst auf beiden Seiten über die Zeit integriert

    dvy D Z1Z2 e2

    4πεomvob� sin ' � d' (1.14)

    und danach über die jeweiligen Differentiale, wobei im Prinzip 2 Konstanten hin-zuzufügen sind (unbestimmte Integrale).

    vy C C1 D � Z1 Z2e2

    4πεomvob� (cos ' C C2) (1.15)

    Diese Konstanten (eigentlich ist es nur eine) werden durch Anpassung an dieRandbedingungen bestimmt. Als eine Randbedingungen wird die y-Komponenteder Geschwindigkeit (vy D 0) weit vor dem Stoß (' D 0) verwendet

    C1 D � Z1Z2e2

    4πεomvob� (1 C C2) (1.16)

    und als zweite Randbedingung die y-Komponente der Geschwindigkeit (vy D vo� sin θ ) weit nach dem Stoß (' D π � θ ) verwendet. Dabei geht ein, dass das

  • 16 1 Entdeckung der Radioaktivität, natürliche Radioaktivität

    bb + db

    θ+dθ

    r · sinθ

    θ

    Abb. 1.7 Zur Berechnung des Rutherford-Streuquerschnitts: Einfallende Teilchen mit einemStoßparameter zwischen b und b C db werden um Winkel von θ bis θ C dθ gestreut.

    gestreute Teilchen durch die Streuung keine Energie verliert (Streuzentrum mit„unendlicher“ Masse) und daher jvoj erhalten bleibt.

    vo sin θ C C1 D � Z1Z2e2

    4πεomvob� (� cos θ C C2) . (1.17)

    Subtrahiert man (1.16) von (1.17), erhält man

    vo sin θ D Z1Z2e2

    4πεomvob� (cos θ C 1) (1.18)

    oder umgeformt

    Z1Z2e2

    4πεomv2o bD sin θ

    (cos θ C 1) D tanθ2

    . (1.19)

    Woraus sich der Zusammenhang zwischen Streuwinkel θ und Stoßparameter bergibt:

    b D Z1Z2e2

    8πεoE� ctg θ

    2. (1.20)

    Als Nächstes soll der winkeldifferentielle Streuquerschnitt berechnet werden,der grob als Wahrscheinlichkeit für die Streuung eines Teilchens in einen Raum-winkel dΩ angesehen werden kann (eine genauere Definition folgt in Abschn. 1.7).Es wird also gefragt, wie viele Teilchen von einem einfallenden Strahl in einenBereich zwischen θ und θ C dθ hinein gestreut werden (siehe Abb. 1.7). DerRaumwinkel, der dabei aufgespannt wird – das ist die Fläche des Ringes um dieEinheitskugel zwischen θ und θ C dθ – m ist

    dΩ D 2π sin θ dθ . (1.21)Wir wissen, dass bei gegebener Einschussenergie alle Teilchen, die einen Stoß-

    parameter zwischen b und b C db aufweisen, in diesen Raumwinkel gestreut wer-den – das sind 2πb � db (Fläche des Kreisringes) Teilchen – wenn man die Fluss-dichte der einfallenden Teilchen auf eins setzt (normiert).

    dσdΩ

    D dσ2π sin θ � dθ D

    2πb � db2π sin θ � dθ . (1.22)