Hausenstein Esel

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Ein Kapitel aus Wilhelm Hausenstein, Reisetagebuch eines Europäers

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  • VON DEN ESELN

    Liebe ich Italien, so nicht am wenigsten um der Grauen willen. San Zeno in Verona,San Clemente in Rom, San Frediano in Lucca ware mir weniger, wenn die Grauen nichtwaren, um flinken Trabs zweiradrige Karren voll gruner und roter, gelber und violetterGemuse voruberzuziehen oder rastend gegen die alten Mauern der Kirchenplatze zustehn grau wie die Steine. Scheinen mir die deutschen Gassen armer, so deshalb, weilin ihnen die reizenden, die melancholischen Grauen weder stehen noch schreiten odertraben.

    Zu Orvieto hoch droben auf dem Stein standen sie reihenweise im Stall. Es warein elender Stall; gemauerte Hohle ohne Raufen und Krippen, ohne Streu, nur vollerEselsmist; ja ohneEisenringe, an denenmanKetten hatte einhangen konnen. Es bedurfteaber keiner Ringe und Ketten; ohne Ketten standen die Grauen ruhig an der Wand; sietaten so, als ob sie angebunden waren. Nicht, da sie jemanden hatten tauschen wollen;denn wirklich, sie wollten ja hochstens sich selbst tauschen; oder aus einsichtigerGepflogenheit nahmen sie eben die Haltung angebundener Tiere im Stall an; freiwilligtaten sie es und mit einer Ergebung, die ohne Unterwurfigkeit selbstverstandlich war.Sie hatten diese Ordnung angenommen, viel gewisser als die wiehernden Rosse. Siehatten diese Welt begriffen und schweigsam sich selbst in ihr. So standen sie und hattenZeit. Sie standen ein wenig schief zur Mauer und in der Schiefe zueinander parallel.Ganz ruhig standen sie, trieblos, mit hangenden Stricken hinten, die ihre Schweifewaren; nur da da und dort die stille und sanfte Aufmerksamkeit eines blickendenEselsaug-es glanzte wie in dunkler Mauerhohle ein warmes Licht. Dies war das Los.Sie verstanden es mit einer Sicherheit, die keiner Gedanken mehr bedurfte.

    In Neapel gingen wir eines Abends nach Hause. Auf leerem, weitem Platz standzwischen kummerlich brennenden Laternen, unangebunden, schrag zur grauen Stein-mauer gekehrt, ein Esel mit blutigen Knien. Er stand, ohne sich zu ruhren oder einenTon von sich zu geben. Er blickte. Uns fehlte zu Tranen nicht viel. Als wir am anderenMorgen im munteren Pferdewagelchen zur Bahn fuhren, stand er im grauen und. lauenFruhlicht noch so, wie er am Vorabend gestanden war; unangebunden, blutig, still undschief zurWand. Es ware zu wenig, zu sagen, er habe seinen Zustand hingenommen.So wurde man vorn Menschen reden. Fur jenen Esel ware es nicht genug gewesen.

    In Ravenna hielt nahe San Apollinare Nuovo an einem schrecklich heien Septem-bermittag ein Eselfuhrwerk. Die hohen, roten Rader an dem heidnischen Karren, denschon die Romer so gezimmert hatten, standen still: diese Rader, die fur den kleinenEsel viel zu gro waren. Der Graue war zur Wand gekehrt so ungefahr, als wollte erin dieser christlichsten Stadt aus der Welt gehen, und nur die Mauer, in die er nichthineinkonnte, die Mauer aus Menschenhanden, schien ihn noch zu hindern ... Er hatteangehalten, er, da es ihm notwendig, da es ihm unvermeidlich schien. Er stand undstand und ruhrte nicht einmal die Ohren wider die Fliegen. Ich trat hinzu und liebkostemit dem Handrucken das hellgraue Fell seiner Nase, das zart war wie feinster Samtoder feinstes Wildleder vom Handschuh einer Dame ( oder, wer wei, ich liebko-ste, aufdringlich gegen seine von der Welt fortgewandte Ruhe, meine Hand mit seinerSchnauze). Er klappte mit den Ohren; die samtbraunen Augen schimmerten fur eineSekunde lebhafter, dann tiefer; er lie es sich gefallen ( vielleicht mehr mir als ihmzuliebe). Der alte Kutscher auf dem Rand des Karrens sagte im Dialekt der Emilia:

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    Sind dumm. Aber er machte keine Anstalt, den Grauen zu bewegen. Die Peitsche lagurigeregt in seiner Hand. Er hielt mit dem Grauen die Ruhe; er fugte sich; schon langehatte er sich gefugt, schon tausend und zweitausend Jahre solange Ravenna stand; derGraue hatte ihn gescheit gemacht, und nun war er, nur ein Kutscher, so gut wie derGraue. Weshalb der Graue aber hielt ? Die Frage ach, sie gehorte, jenseits von allenMenschenfragen, zur Metaphysik der Grauen.

    Bei Rimini habe ich gesehen, wie ein wutiger Romagnole im roten Schopf derOstgoten des Theoderich mit dein Peitschenstiel auf den Hals eines Esels hieb; manhorte das Klatschen auf mehr als hundert Meter. Zweimal bog der Esel aus; dann hielter still, durchaus still und regte weder Fu noch Hals noch Ohren. Es dauerte eineViertelstunde. Da begann der rotblonde Romagnole mit dem feisten roten Gesicht diehohen roten Karrenrader aus dem Sand zu graben. Der Wagen lief. Der Esel aber welche christliche Kreatur.

    O ja, und auch von unansehnlicher Knechtgestalt. Doch ist es wahr ? Ich linde ihnhubsch: seineHufe sind elegant, seine eilenden Schritte zierlich, seine samtbraunenAu-gen schoner als die schonen Augen der Rehe, Kuhe, Pferde weiser, inniger, groartiger,von weicherem Glanz, innigerem Feuer, ratselhafterer Tiefe. Und die handschuhleder-ne Zartheit der lichtgrauen, beinahe weien Schnauze. Wahr ist: sein Kopf ist zu groim Verhaltnis zu seinen Fuchen, zu seiner Figur, seine Kinnlade, sein Ohrenpaar zumachtig im Verhaltnis zum Kopf. Es ist sozusagen etwas Verkehrtes an ihm. Aber diesUmgekehrte hat seine Grunde. Jemand, der langst nicht so sehr ein Anbeter der Eselist wie ich, hat das Geheimnis merkt und hat es mir verraten: die Esel sind verzaubert.Sie sind etwas anderes gewesen, etwas unvorstellbar Vornehmes, und sie buen einenunerfindlichen Fehler fruheren, erlesenen Daseins mit der melancholischen Komik dergegenwartigen Erscheinung. Denn nicht wahr: ist ihre Komik so absonderlich, so ist sieauch melancholisch, und ist sie ruhrend, so ist sie auch schon! Der Zauberer, der sie indiese wunderlichen Kutten zauberte, der ihnen den Karneval dieses Anzugs auferlegte,so da alle Menschen lachen mussen von den Kindern bis zu den Greisen und alleMenschen sich lustig machen von den Narren bis zu den Philosophen dieser Zaubererwar gottlich, und dem Miverhaltnis, in das er die Seelen der Esel kleidete, lieh ernoch das Schone gottlicher Erfindung, das traurig ist wie Heimweh und heiter wie einKinderspiel. Ich glaube, sie sind verzaubert. Weshalb sonst wurden sie herschauenwie aus Masken? Gern tragen sie am groen Kopf ein dunkles Fell, aus dem die Naseund dieWulste um die Augen lichtgrau hervorschauen. Gern tragen sie auf demRuckenein dunkleres Fell, und blo die Tonne des lichtgrauen Bauchleins scheint unverkleidet.

    Ihr Schrei ist der Schrei von Verzauberten. Sie beginnen; man wei nicht, was esist. Ihr Singen ist entsetzlich; es ist das Rosten eines Gesanges. Das Grauen einesunfalichen Schicksals greift uns an, wenn in dem y-aa der Diskant einer sinnlosenWollust mit dem Diskant einer sinnlosen Angst sich mischt, wahrend sie die starken,gelben, immer gleichsam antiken Zahne aus gereckter Schnauze in die Luft fletschen,die hei und still ist. Es gibt nur eine Kreatur, deren Schrei, ob er auch tausendmalmelodischer tont, dem Schrei des Esels verwandt scheint: es ist der Schrei der Amsel,die selbst verwunschen ist wie der Esel.

    Jetzt hat er ausgesungen. Jetzt kehrt er zuruck zu Flei und Genugsamkeit, zueiner Genugsamkeit uber alle Begriffe sogar des Monchs; nun kehrt er zuruck in seineHeimlichkeit, die er mi-singend nur einen Augenblick verraten hat, zuruck in seinensogenanntenEigensinn, der seinVerhangnis ist und sein Stutzen vor seinemVerhangnis;

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    zuruck in seine Klugheit, die alles besser wei und ohne Larm sich in die dummenInitiativen der kurzohrigen Menschen ergibt; zuruck auch, ihr starken Manner, in seineKraft, die uber alle Maen zieht und tragt!

    Wie ist es moglich, die Esel auszulachen, sie nicht zu lieben, sie nicht schon zufinden, schon uber die Gestalt hinaus, bis in die Wunder des Ausdrucks? Wie ist esmoglich, die Grauen nicht zu hegen? Ware ich reich, so wurde ich einen Distelgartenvoller Esel haben; einen Garten mit Disteln, die noch zart waren, ohne fad zu sein(ein wenig mussen sie Zunge und Gaumen kratzen, denn dies ist nun einmal dieFeinschmeckerei der Grauen); und esmuten Esel von allerlei Gestalt und Farbe da sein groe fast wie Pferde und Maultiere, kleine wie Ponys, schwarzbraune, graubraune,schmutzbraune, hellgraue, weie auch, struppige und glatte; und es wurden Kinderhereingelassen zum Reiten. Uberm Eingang wurde stehen: Zum Paradies der Esel.

    Aber ich sehe ein: dies ist ein dummer Einfall. Zum Esel gehort, da er geplagtwerde. Zu ihm gehort, da er ohne Futter ein Gassenklavier zieht, solange die Leutein den Gassen sind; ein halbwuchsiges Madchen ohne Essen dreht die Kurbel; einNeapolitaner singt zweideutige Lieder und hupft mit alten barocken Grimassen umher,die obszon sind; das verwahrloste und hungrigeMadchen lachelt zweideutig; der Grauesteht unbewegt, die Nase bodenwarts, und hort nichts; er ist jenseits ... Ist es nichtLasterung, so mochte ich sagen: er sei eine Art von Heiligem unter den Kreaturen.Freilich: unter den Grauen gibt es drollige kleine Hengste; aber wenn sie lieben, dannist es fast wie ein Sundenfall als ob es ihnen nicht zukame ...

    Sie werden auf der Erde keinen Paradiesgarten haben. Doch die Weltgeschichte hatsie wunderbar ausgezeichnet. Im Alten Testament wurde der Kinnbacken eines Eselseine Waffe in der Hand eines Helden; Buridans Esel zwischen den Heubundeln istein allegorisches Geschopf in der Weltweisheit. Als Jesus geboren wurde, stand einEselchen an der Krippe und fand statt des dumpfen Futters den hellichten Herrn, undstatt Futter zu fressen, betete es ihn aus samtenen Augen an ; und seitdem haben hundertalteMeister das Antlitz des Langohrigen auf herzbewegendeWeise verzeichnet. Als derHerr zur Passion gerufen wurde, ritt er auf dem Palmesel nach Jerusalem. Der heiligeFranz nannte den Grauen den Bruder Esel und sprach mit ihm, verstand ihn. DonQuichotte ist nicht der alleinige Held des herrlichsten Romans in aller Dichtung, auchSancho Pansa nicht; auch der Graue ist ein Held des Buches jener Graue, der zuhandenist, verschwindet und plotzlich wieder, man wei nicht wie, in fabula erscheint. O, wiewahr ist die Geschichte vom verlorenen und wiedererschienenen Grauen, wie sehr istdiese Geschichte dem Blick des groen Cervantes angemessen: ein Grauer ist da undist nicht da und wieder da schier gilt es gleich; so unscheinbar ist er; so sehr lebt eram Rande, zwischen hier und dort und auch fur sich allein, an der Grenze der anderenSeite ... Es ist nicht anders moglich, als da Cervantes ihn schraghin zur Wand stehensah und ihm im Vorbeigehen mit dem Handrucken die handschuhweiche Schnauzestreichelte. Endlich hat den Grauen auch die Musik nicht verachtet allein wie tiefwurde die kostliche Eselsarie in der Hochzeit des Figaro sich irren, wenn sie meinenwollte, ein Grauer sei nur ein Buffo, wahrend man doch die Wahrheit erkennt, da ermaskiert ist.

    Wilhelm Hausenstein, Reisetagebuch eines Europaers, 1964, S. 130 135