Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

24
Heſt 42 / Jänner 2019 Franz von Suppè 200 Jahre DER RASTELBINDER – arisiert" Teil 2 Lehár-Deutschland 1938, Abhängigkeiten Operee 1918 - Identätssuche im Dreivierteltakt Lehárianische Anekdoten

Transcript of Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

Page 1: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

Heft 42 / Jänner 2019

Franz von Suppè 200 Jahre • DER RASTELBINDER – „arisiert" Teil 2 •

Lehár-Deutschland 1938, Abhängigkeiten • Operette 1918 - Identitätssuche im Dreivierteltakt • Lehárianische Anekdoten

Page 2: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

2 Heft 42 / Jänner 2019

LIEBE LEHÁRIANER,

seien Sie herzlichst begrüßt in 2019, das ein möglichst fröhliches, beglückendes und „lehármonisches“ Jahr sein möge!

Die IFLG blickt mit Freude zurück auf das vergangene Jahr, in dem wir mit verschiedenen Veranstaltungen des 70. Todesjahres unseres Meisters Franz Lehár gedacht haben und in dem es

nach längerer Zeit wieder gelungen ist, ein Konzert mit dem Franz Lehár-Orchester im Wiener Konzerthaus zu veranstalten. Der Erfolg dieses Konzertes, bei dem uns freundlicherweise viele Wiener Operettenkünstler unterstützt haben, hat uns ermutigt, auch 2019 ein weiteres Konzert im Konzerthaus folgen lassen : „ALLES LEHÁR!“, am 31. März 2019 um 15 Uhr im Berio-Saal! Wir sind besonders glücklich, daß KS Renate Holm, Vincent Schirrmacher ihre Mitwirkung zugesagt haben und ein weiterer Höhepunkt wird zweifellos die Mitwirkung des KinderChores der Musikschule Wien sein, der gemeinsam mit Publikumsliebling Gerhard Ernst eine Szene aus Lehárs „DER RASTELBINDER“

aufführen wird. Freuen Sie sich auf wunderbare Musik von Franz Lehár aber auch von Robert Stolz u. a. mit den großartigen MusikerInnen und Musikern „unseres“ Franz Lehár-Orchesters unter der Leitung von Reto Parolari.

Mit dieser Ausgabe der LEHÁRIANA haben wir wieder einiges Interessantes für Sie

- Die Fortsetzung des Artikels „DER RASTELBINDER – arisiert“

- „Operette 1918 – Identitätssuche im ¾ Takt“, anlässlich des Gedenkens des Zusammenbruchs der Monarchie und des Ende des 1. Weltkrieges vor 100 Jahren

- 200 Jahre Franz von Suppè

- „Überlandpartie“ und andere Buch-Neuerscheinungen

Wir hoffen, es g’fallt Ihnen!

Mit der heutigen LEHÁRIANA erhalten Sie auch den Erlagschein für den Mitgliedsbeitrag 2019.

DIE IFLG hat seit über 10 Jahren ihren Beitrag von € 25,- nicht erhöht, wir ersuchen Sie daher sehr herzlich, sich die gemeinsame „lehárianische Sache“ einen darüberhinausgehenden Betrag wert sein zu lassen und diesen möglichst bald zu überweisen!

Bitte werben Sie für die IFLG und beschenken Sie sich und die Ihren mit „ALLES LEHÁR!“ am 31. März 2019, 15 Uhr im Konzerthaus (weitere Informationen zu diesem und anderen Konzerten, bei den Sie IFLG-Ermäßigung erhalten, finden Sie auf der „Termine-Seite“)!

So freuen wir uns auf ein baldiges Wiedersehen, bleiben Sie gesund und „Es wird ein Märchen!“ (etwas abgewandelt aus „GIUDITTA“),

Page 3: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

Leháriana 3

FRANZ VON SUPPÈ – 200 JAHRE

Von Wolfgang Dosch

1819 wurde Francesco Ezechiele Ermengildo Cavaliere di Suppè Demelli in Spaleto (Split), Dalmatien, geboren. Jener Mann, der als Franz von Suppè als „der Vater der Wiener Operette“ in die Geschichte eingehen sollte.

Er verbrachte seine Kindheit in Dalmatien, das damals noch zu Italien gehörte und er erlebte wohl das Risorgimento, den italienischen Widerstand gegen die österreichische Vorherrschaft und für die Unabhängigkeit Italiens, 1820 wurde gar eine Revolution niedergeschlagen.

1834 begann der junge Franz auf Wunsch seines Vaters in Padua ein Jus-Studium, das er jedoch nach dem plötzlichen Tod des Vaters bereits ein Jahr später wieder abbrach. Seine Mutter konnte das Studium nicht mehr finanzieren und beschloss mit Franz in ihre Heimatstadt Wien umzuziehen. Franz, der immer schon Musiker

werden wollte und auch schon eine „Missa dalmatica“ komponiert hatte, widmete sich in Wien mit Freuden seinen Kompositionsstudien bei Ignaz Ritter von Seyfried. 1840 wurde er Kapellmeister am Theater in der Josefstadt, arbeitete auch in Ödenburg und in seiner italienischen Heimat, ehe er 1845 an das Theater an der Wien engagiert wurde. Bald wurde sein Name als Komponist von Theatermusiken, Possen und letztlich auch von Operetten bekannt.

In Österreich herrschte strenge Zensur und alle liberalen und freiheitlichen Regungen wurden unterdrückt. 1848 kam es zur „Märzrevolution“, Fürst Metternich wurde gestürzt und im März 1849 wurde eine Verfassung für einen

gesamtösterreichischen Einheitsstaat erlassen, jedoch die Aufstände wurden blutig niedergeschlagen.

Franz von Suppè stand als freidenkender junger Künstler auf Seiten der Revolution, was auch Niederschlag in seinen Kompositionen fand: „Die Universität“, „Die

Page 4: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

4 Heft 42 / Jänner 2019

Vertreibung des Schwarzen“ (i. e. Metternich), „Das kommt alles vom März“ aus der Operette „UNTERTHÄNIG UND UNABHÄNGIG“, „Das waren die braven Studenten“, aber natürlich auch das parodistische „O, du mein Österreich“- Lied des Röserl aus der Operette „S’ALRAUNERL“.

1853-1856 kam es zum Krim-Krieg zwischen Russland und dem Osmanischen Reich, bei dem Österreich offiziell neutral blieb, jedoch entgegen seinem Versprechen, die Fürstentümer Moldau und Walachei nach dem Rückzug Russlands besetzte. Suppès Operette „FATINITZA“ (1876) ist daher durchaus auch als politische Stellungnahme zu verstehen. Vor allem aber positionierte er sich als Pazifist mit der Komposition eines Chores nach Bertha von Suttners „Die Waffen nieder!“.

Suppè war jedoch ein Theatermann durch und durch, er komponierte und dirigierte rund um die Uhr und das scheint ihm auch nicht schwer gefallen zu sein. Seit 1841 schrieb er zahllose kleinere und auch mehraktige Bühnenmusiken, die er als Posse, Lebensbild, Charakterbild, Märchen, Singspiel etc. bezeichnete und die in der Wiener Volkstheater-Tradition standen. Sein erstes tatsächlich als Operette bezeichnetes „DAS PENSIONAT“, das 1860 im Theater an der Wien uraufgeführt

wurde, ging auch als die erste „Wiener Operette“ in die Operettengeschichte ein, obwohl diese Genrebezeichnung schon für frühere Werke u. a. von Dittersdorf verwendet wurde. Nach dem Konkurs des Theaters an der Wien 1862 wechselte Suppè an das Carl-Theater, das jedoch auch bald

geschlossen wurde. 1866 brach der Krieg zwischen Österreich und Deutschland aus. Es waren unruhige Zeiten auch für Franz von Suppè. 1871 feierte er sein 30-jähriges Bühnenjubiläum, doch erst „FATINITZA“ , nach dem Libretto von Zell/Genée brachte ihm 1876 den großen Durchbruch, den er 1879 mit „BOCCACCIO“, wieder nach einem Buch von Zell/Genée, noch übertreffen konnte.

1895 starb Franz von Suppè. In Gars am Kamp, wo er seinen Sommerwohnsitz hatte, erinnert das Museum „Zeitbrücke“ an diesen großen Meister der Wiener Operette. Weitere Operetten: „Zehn Mädchen und kein Mann“ (1862), „Flotte Bursche“ (1863), „Franz Schubert“ (1864), „Die schöne Galathée“ (1865), „Leichte Kavallerie“ (1866), „Banditenstreiche“ (1867), „Lohengelb“ (1870), „Der Teufel auf Erden“ (1878), „Donna Juanita“ (1880), „Die Afrikareise“ (1883), „Bellmann“ (1887), u. a., Kirchenmusik: „Requiem“

Page 5: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

Leháriana 5

DER RASTELBINDER – „ARISIERT“, Teil 2 Rudolf Weys und seine Bearbeitung 1944/45 Von Wolfgang Dosch Die „RASTELBINDER“-Bearbeitung war für Rudolf Weys nicht nur irgendeine Beschäftigung. Als offizieller „Reichsauftrag“ eröffnete sie ihm die Möglichkeit, sein Leben und vor allem das seiner jüdischen Gattin Gertrud (Gerda) und seines Sohnes, zu schützen. Scheinen die ursprünglichen Verhandlungen mit dem Verleger Sikorski und der „Reichsstelle für Musikbearbeitungen“ zunächst nahezulegen, dass Weys

die Bearbeitung hauptsächlich aus finanziellen Erwägungen annahm, wurde ihm bald klar, dass ihn „besagte Tätigkeit im Moment wohl auch vor unangenehmen Zugriffen“ schützt (Weys an Dr. Hecker, 14.08.1944). In den frühen Kriegsjahren kamen viele Schauspieler und Künstler in den Genuss, „UK“ gestellt zu werden („unabkömmlich“), was vor Fronteinsatz bewahrte, aber „als Gegenleistung“ offizielle NS-Truppenbetreuung und Kulturarbeit für NS-Organisationen bedeutete. Weys akzeptierte, in Anbetracht der Gefährdung seiner jüdischen Gattin und des Überlebens seiner Familie, bereits zu Kriegsbeginn Teilnahme an „Kraft-durch-Freude-Truppenbetreuung“ mit

seinem Kabarett „Wiener Werkel“ und wurde damals bereits „UK“ gestellt. Im weiteren Verlauf des Krieges jedoch war es „DER RASTELBINDER“, der ihn davor bewahrte, wie viele andere seiner Kollegen, dennoch eingezogen zu werden. Zweifellos war dies einer der Hauptgründe, warum Weys an der – von höchster NS-Stelle in Auftrag gegebenen - Bearbeitung festhielt. Lehár selbst, grundsätzlich Bearbeitungen seiner Operetten negativ gegenüber eingestellt - schien nach zwei von der Reichsstelle in Auftrag gegebenen und misslungenen Versuchen kein wesentliches Interesse an einer weiteren Neufassung von seinem „RASTELBINDER“ zu haben. Mit der Absicht den Meister umzustimmen, planten Moser (Reichsstelle),

Page 6: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

6 Heft 42 / Jänner 2019

Sikorski (Verlag) und Weys einen Besuch in Bad Ischl, wo Lehár während der letzten Kriegsjahre, vor allem um seine jüdische Frau Sophie zu schützen, ganzjährig lebte. Da Weys jedoch Bedenken äußerte, dass Lehár sich durch „das kollektive Erscheinen“ bedrängt fühlen und abweisend reagieren könnte, wurde beschlossen, dass Weys Meister Lehár zunächst alleine besuchen sollte (Weiss an Willy Seidel, Dir. Raimundtheater, 9. 8. 1944). Wie die rege Korrespondenz nahelegt, nützten Moser und Sikorski taktisch die Familiensituation von Weys, um Lehár zu einer Einstimmung für eine „RASTELBINDER“ – Bearbeitung zu bewegen, wie Weys in seinem Bericht an Sikorski am 9. 8. 1944 an Sikroski bestätigt: „Also-ich bin gut (sogar per Sitzplatz) nach Wien gekommen. Gerda (Weys‘ Gattin) war sehr erfreut über alles, was ich zu erzählen hatte, sie lachte sehr über ihre indirekte ‚Mithilfe‘ am Lehár-Einverständnis zum ‚RASTELBINDER‘“.

Es ist also offensichtlich, dass die Tatsache, dass Weys‘ Gattin, ebenso wie Sophie Lehár, jüdisch waren, und die daraus für Weys resultierende schwierige Familiensituation, ausschlaggebend waren, für Lehárs Zustimmung zu dieser neuerlichen „RASTELBINDER“ – Bearbeitung. Lehár wusste, dass er selbst, als einer der für die Nationalsozialisten wichtigsten Komponisten, trotz seiner jüdischen Gattin, in einer ungleich sichereren Position als Weys war, wie sein Brief vom 1. 10. 1944 an ihn belegt: “Ich habe zugesagt, den RASTELBINDER einzurichten. Ich habe das wirklich nur getan, um Ihnen zu helfen. Ich kenne ihre Situation genau und bin bestrebt, Ihnen entgegenzukommen, soweit es in meinen Kräften steht.“

Und tatsächlich, schneller als erwartet, erwies sich das „RASTELBINDER“ – Projekt als lebensrettend für Gerda Weys. Kaum von seiner Reise nach Bad Ischl in Wien zurückgekehrt, erhielt Gerda eine Aufforderung zum Arbeitsdienst, da ihr Sohn Rupi das Alter von sechs Jahren erreicht hatte und somit seiner jüdischen Mutter das Recht abgesprochen wurde, bei ihrer Familie zu leben. Weys schrieb umgehend an das Arbeitsamt in Wien und verwies auf seine Bearbeiter-Tätigkeit im Auftrag von höchster Stelle und die dafür unverzichtbare Unterstützung seiner Gattin: „Seit 1940 betreut meine Frau ohne jede (auch nur die kleinste Hilfe) meine Wohnung, meine ebendort befindliche Arbeitsstätte und mein nun sechs Jahre alt gewordenes Kind. Da ich seit 1942 auch keinerlei Diktat- oder Stenotypistinnenhilfe zur Verfügung habe, lernte meine Frau in dieser Zeit maschinschreiben, damit wenigstens Vervielfältigung und Abschrift meiner Manuskripte jeweils rechtzeitige Erledigung finden konnte. Ich darf wohl mit Berechtigung aussprechen, daß durch solches Verhalten schon seit Jahren in meinem Haushalt und bei meiner Tätigkeit mehr als eine Arbeitskraft eingespart wurde. Umso schwerer trifft mich nun, zu einem Zeitpunkt, da ich mit dem Auftrag des Herrn Reichsministers vertraut bin, der laut Verordnung geforderte eventuelle anderweitige Arbeitseinsatz meiner Gattin. Wird er zur Tatsache, stehe ich ohne jede Hilfe Haushalt und Kind gegenüber, aber auch ohne jede Abschreibehilfe bei den fortlaufend zu erstellenden Wehrmachts- und KdF-Programmen. Ich müsste zur Erfüllung des Reichsauftrages sogar eine –

Page 7: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

Leháriana 7

wenigstens stundenweise – Hilfe einer Stenotypistin in Anspruch nehmen. Ganz abgesehen davon, dass jede geistige Konzentration notwendigerweise fehlen muss, sollte Kind und Haushalt ohne Wartung bleiben oder ich mich dieser widmen müssen.“ (Weys an das Arbeitsamt Wien, 16. 8. 1944).

Weys‘ Ansuchen war erfolgreich, seine Gattin Gerda durfte weiterhin bei ihrer Familie wohnen.

Der von Goebbels verordnete „totale Kriegseinsatz der Kulturschaffenden“ und die damit einhergehende Schließung aller Theater des Deutschen Reiches, brachte eine

neue Wendung nicht nur im Leben von Weys. Bereits vorab durch einen Freund davon informiert, wandte er sich am 24.08.1944 sofort an Sikorski, Moser und Lehár und erbat sich umgehende Bestätigung der Fortdauer seines Bearbeiter –Auftrages. Für Lehár legte er sogar ein vorgefertigtes Antwortschreiben bei, das dieser auch beinahe wörtlich verwendete, das bereits drei Tage später bei der „Reichsstelle“ einging und das entscheidend dazu beitrug, die Fortdauer von Weys‘ Bearbeitertätigkeit am „RASTELBINDER“ zu gewährleisten. Seine finanzielle Situation jedoch verschlechterte sich durch die Theaterschließung wesentlich. Um weitere künftige Einkommen erzielen zu können, verhandelte er mit Sikorski um seine „RASTELBINDER“- Bearbeitung als die einzige vom

Verlag autorisierte Fassung lizensieren zu lassen. Ebenso vergeblich bemühte er sich, Moser (Reichsstelle) und Franz Lehár um Aufträge für weitere Bearbeitungen von Operetten, spezielle von „DER GÖTTERGATTE“. „An ‚GÖTTERGATTE‘ und dergleichen will ich gar nicht denken. Ich will ein neues Bühnenwerk nach 10 Jahren schreiben!“ (Lehár an Weys, 01.10.1944).

Page 8: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

8 Heft 42 / Jänner 2019

Zu allem Überfluss kam Ende August 1944 auch das „RASTELBINDER“-Projekt zu einem Stillstand. Lehárs Zusammenarbeit war nun für Weys von besonderer Wichtigkeit, doch entschloss sich Lehár – nach dem Versuch der Gestapo, seine Gattin aus dem Bad Ischler Haus zu verschleppen – zu längeren Aufenthalten in Zürich, wo sich diese sicherer fühlte. Weys, dessen Vertrag festlegte, dass er sein Honorar erst nach Vollendung des Projektes erhält, schrieb regelmäßig an die Reichsstelle und erbat sich Vorschüsse, mit dem Hinweis, dass er seine Arbeit termingerecht leiste, aber nun abhängig von Lehár sei. In seiner Verzweiflung wandte er sich am 25. 8. 1944 auch an den Komponisten selbst, brachte seine Bewunderung und Dankbarkeit für den „hochverehrten Meister“ zum Ausdruck und ersuchte ihn dringend um nötige Zusammenarbeit. Lehár war durch ein langwieriges Nieren- und Blasenleiden geschwächt, und seine Ärzte untersagten ihm jedwede Arbeit. Doch allmählich wurde Weys bewusst, dass diese Unterbrechungen an der „RASTELBINDER“ – Arbeit, vor allem, da sie nicht von ihm verursacht wurden – sich für seine Familie äußerst positiv auswirken können. Als weitere Einberufungsbefehle ihn erreichten, wie jener den er in einem Brief vom 15. 11. 1944 an Moser (Reichsstelle) erwähnte, „dass alle Volkssturmmänner, deren familiärer Fall so gelagert ist wie meiner (Gattin!) aller Voraussicht nach auf ‚Schanzen‘ eingeteilt werden (möglicherweise O. T. – i. e.: ‚Organisation Todt‘, nach 1942 geleitet von Albert Speer, nützte Zwangsarbeiter für gefährliche große Konstruktionsarbeiten), rechtfertigte er die Verzögerungen seiner Arbeit am „RASTELBINDER“ durch „nicht voraussehbare Gründe“: a) eine Reise Franz Lehárs in die Schweiz (Ende September bis halben Oktober), b) eine derzeitige Nieren- u. Blasenerkrankung des Meisters, c) wesentliche Änderungswünsche an dem in Arbeit befindlichen Textbuch sowohl von Seiten des Meisters als auch vom Verleger des Stückes“ (Weys an das Arbeitsamt Wien, 30. 12. 1944). Mit „wesentliche Änderungswünsche“ bezog sich Weys auf Lehárs Ablehnung seiner dramaturgischen Lösung des Stückes durch einen „falschen Silbergulden“. Weys war nun bestrebt, das einzige Problem, das einer Lösung bedurfte – ein untergeordnetes, wie er selbst mehrfach feststellte – als schwerwiegend für die Fortsetzung der Arbeit darzustellen. Er erbat sich sogar von Sikorski ein Schreiben, in dem er ihn offiziell um Unterstützung in diesem Fall ersuchte. Das Antwortschreiben von Sikorski vom 27.11.1944 an Weys kann in seiner Ausführlichkeit und umständlichen Schreibweise als Beleg dafür gelesen werden, wie wenig der „Reichsstelle für Musikbearbeitungen“ tatsächlich an der Fertigstellung einer „RASTELBINDER“- Fassung gelegen war und wie sehr dieses Projekt nur mehr als Alibi diente: „Sie wissen ja, wie begeistert und in allem einverstanden Meister Lehár sich zu Ihrem Arbeiten zum ‚RASTELBINDER‘ geäußert hat, Sie wissen auch, wie zufrieden wir und die Herren vom Ministerium sind. Aber

Page 9: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

Leháriana 9

gerade weil die Neubearbeitung so besonders gut zu werden verspricht, muß ich Sie heute doch noch um etwas bitten: die Sache mit dem ‚Silbergulden‘ nämlich. Sie erinnern sich, daß schon bei unserer seinerzeitigen Arbeitsaussprache in Ischl (im Beisein von Intendant Drewes und Prof. Moser vom Ministerium) der Meister immer wieder auf dieses seiner Meinung nach psychologisch nicht ganz richtig geführte Motiv zu sprechen gekommen ist. Nun schreibt er mir neuerdings in dieser Sache einen Brief, den ich Ihnen in der Anlage beifüge. Sie sehen daraus alles Nähere.

Wahrscheinlich hat Lehár Ihnen darüber nicht direkt geschrieben, da er Ihnen die Mehrarbeit, die dadurch entsteht, vielleicht nicht zumuten wollte. Ich glaube aber, daß Sie in längstens 6-8 Wochen auch diese

Hürde hinter sich gebracht haben werden. Einen größeren Zeitraum werden die dadurch bedingten Änderungen, die sich ja in der Hauptsache auf den 1. und 3. Akt beziehen, wohl kaum brauchen. Gelingt Ihnen hierbei eine gute und neue Lösung, so ist das Werk sicherlich noch abgerundeter und Sie haben damit Meister Lehár zu seiner 75. Geburtstagsfeier die allergrößte Freude bereitet! Auch die Herren im Ministerium werden dafür nur dankbar sein. Schließlich und endlich aber wissen Sie ja selbst, daß der Herr Minister an dem Zustandekommen der Neufassung und an einer bestmöglichen Lösung ebenfalls großes Interesse hat. Sie werden auch für die noch ausständigen Lieder in Lehár einen noch viel ambitionierteren Mitarbeiter finden als bisher, wenn Sie seinen Herzenswunsch erfüllen.“ (Sikorski an Weys, 27. 11. 1944). Für seine Frau erwies sich die „RASTELBINDER“ – Verzögerung ebenfalls als hilfreich. Mehrmals konnte Weys das Arbeitsamt Wien seit dem 12.09.1944 erfolgreich von der Unabkömmlichkeit seiner Gattin von zu Hause wegen seiner „arbeitsbedingten Fahrten nach Ischl zu Meister Lehár“ überzeugen. Im September 1944 mag Weys selbst noch an diese Fahrten geglaubt haben, doch als er im weiteren Lehár diese Besuche in Aussicht stellte, antwortete dieser am 01.10.1944 unmissverständlich: „Nach Ischl müssen Sie nicht kommen, denn ich kann nur allein arbeiten.“ Einige Stellungnahmen Weys‘ deuten daraufhin, dass er Lehár danach tatsächlich nicht wiedersah. Dennoch konnte Weys weiterhin Einberufungen, wie etwa zum Volkssturm Mitte Dezember 1944, durch den Hinweis auf bevorstehende Reisen zu Franz Lehár, erfolgreich abwenden. Weys selbst beschrieb diese kühnen Vorgänge

Page 10: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

10 Heft 42 / Jänner 2019

in Briefen u. a. vom 19.12.1944 an Sikorski und Louis Barcata unter dem Hinweis auf die immer schlechter funktionierende Nazi-Bürokratie und deren blinden Gehorsam „großen Namen“ gegenüber: „Nun ist ja inzwischen ein ‚wirtschaftlicher Bereitstellungsschein‘ an mich ergangen, den diesmal noch Kurz vom Propagandaministerium abwenden konnte. Durch ‚Reichsauftrag‘ (Minister persönlich… usw.). Freilich sind seine zwei Schreiben (Arbeitsamt, Gestapo) nicht enderledigt, ich glaube aber kaum, daß sie darüber hinweggehen werden. Interessanterweise hat sich aber trotzdem auch der Volkssturm vergangenen Sonntag mit einer Einberufung zu einem Kompagnieappell gemeldet. Bedauerlicherweise war ich gerade bei Lehár in Ischl, wovon ich jene entschuldigend in Kenntnis setzte, mit der gleichzeitig angeschlossenen Bitte, mich nicht gerade in die allerersten Einheiten einzusetzen, da ich noch einen ‚Reichsauftrag‘ vom ‚Minister persönlich‘ usw. fertigzuarbeiten hätte. Nun, wir werden ja sehen …!“ Weys‘ Briefe an seine Freunde belegen, dass er auch im April 1945 in Wien nicht eingezogen wurde. „Es war ein Seiltanzen von Monat zu Monat, oft von Woche zu Woche“ , schrieb er noch am 14.12.1944 an einen unbekannten Freund. Und an Lehár schrieb er im März 1945: „Bei alledem muß ich noch froh sein, daß es persönlich nicht ärger steht, daß ich noch zuhause bei Frau und Kind sein und beide beschützen kann (…) Das habe ich übrigens zu einem Gutteil dem „RASTELBINDER“- Reichsauftrag zu verdanken, den ich an allen amtlichen Stellen als ‚Alibi‘ und ‚Ausweis‘ vorweise.“

Weys und seine Familie überlebten den Krieg und, trotz schwerer Nachkriegsjahre, fand er rasch Möglichkeiten zur Arbeit als Autor: er wurde Mitarbeiter bei der Gestaltung der Wiener Ausstellung „Niemals vergessen“, 1946, versorgte Radioanstalten und Zeitschriften mit Essays wie „Cabaret unter den Augen der Zensur“ und konnte seine eigene Kabarett-Tätigkeit in Wien bis zu seinem Tod 1978 fortsetzen.

Die Auseinandersetzung mit „DER RASTELBINDER“- Bearbeitung durch Weys in den letzten Kriegsjahren 1944 und 1945 bringen Verschiedenes zutage: wir erfahren über das „Seiltanzen von Woche zu Woche“ (Weys), das man im 3. Reich vollführen musste, besonders wenn man – wie beispielsweise Weys - Kabarettist und eher "links" anzusiedelnder Schriftsteller und obendrein mit einer Jüdin verheiratet war.

Nachträgliche Bewertungen oder gar Verurteilungen dieses Verhaltens sind nur nach intensiver Beschäftigung mit dem Menschen und seinen Lebensumständen zulässig. Während die Reichsstellen entsprechend den „Idealen“ des Regimes zahlreiche Änderungen verlangten – vor allem natürlich hinsichtlich der Figur des jüdischen Zwiebelhändlers Pfefferkorn – so belegen die moralische Herangehensweise, die Subtilität der Arbeit Weys‘ dennoch die eher moderate und sogar auch künstlerische Haltung der Reichsstelle, und unterstützen so auch die von Fred Prieberg in seinem Standardwerk „Musik im NS-Staat“ vertretene Ansicht, dass

Page 11: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

Leháriana 11

Goebbels die „Reichsstelle für Musikbearbeitungen“ eher als Verwaltungsorgan ansah. Gleichzeitig belegt diese „RASTELBINDER“- Bearbeitung, dass durch die Reichsstelle – auf Hitlers Geheiß! – der Kunstform Operette besondere Bedeutung zugemessen wurde, auch noch als der Krieg in vollem Gange war. Auch als die Bearbeitung des „RASTELBINDER“ monatelang keine Fortschritte macht, auch noch als keine Aufführungsmöglichkeit absehbar war, auch noch als beinahe alle Künstler einberufen waren, erhielt Weys offizielle Unterstützung für die Fortsetzung seiner Arbeit. Weys Schicksal ist ein klarer und vor allem unvermutet positiver Beweis, für die zahlreichen Schlupflöcher in dem komplexen, dezentralisierten nationalsozialistischen System, vor allem gegen Ende des Krieges, als jene Führer, die ehedem Expressbefehle unterschrieben, um Operette zu promoten, nun unter dem Druck der Kriegsnotwendigkeiten, untergeordneten Kultur-Verwaltungen „lange Leine“ ließen, deren Ansichten über vordringliche Notwendigkeiten und Aktionen allerdings weit auseinandergingen.

Das „Happy End“ für Weys, weniger für seine unvollendet gebliebene „RASTELBINDER“-Bearbeitung, hatte mehrere unterschiedliche Gründe: den guten Willen und die etwas „blinden Augen“ nicht nur Franz Lehárs, sondern auch des Verlegers Sikorski und Prof. Hans Joachim Mosers von der Reichsstelle für Musikbearbeitungen, die 1944/45 bereits eher den Charakter eines Ein-Mann-Unternehmens hatte. Moser ist zweifellos als notorischer Mitläufer einzuschätzen, der verzweifelt bemüht war, sich selbst und seine zahlreichen Mitarbeiter und Partner unter unterschiedlichen politischen Einflüssen unbeschadet zu halten – allerdings nicht als „verbrecherischer Parteisoldat“. Er wurde im Nachkriegs-deutschland vor allem von deutschen Kollegen missbraucht, um für Untaten anderer Musikwissenschafter der Nazi-Zeit herzuhalten. Er rechtfertigte sich in seinem Schlusswort vor den Entnazifizierungsprozessen, 19. 8. 1947: “Übrigens schäme ich mich keiner der Opern- und Operetten-bearbeitungen oder Neuaufträge – keine wollte einen jüdischen Autor ersetzen.“ Im konkreten Fall des „RASTELBINDER“ war dies zweifellos der Fall, denn sowohl Moser als auch Weys hatten höchsten Respekt vor dem Werk Victor Léons und, so schreibt Weys, auch persönlichen Kontakt mit ihm. In einem „Selbstbericht des Forschers und Schriftstellers Hans Joachim Moser“, 10.12.1947 beschreibt dieser seine Tätigkeit: „Ich habe einzig künstlerisch-wissenschaftliche Aufgaben erfüllt (…) und mich sogar dauerhaft der Nazi-Ideologie widersetzt, indem ich jüdisch verheirateten Autoren zu Werkaufträgen, jüdisch oder sonst politisch Verfolgten zu Berufsgenehmigung verholfen habe.“ Auch diese Aussage des Leiters der „Reichsstelle für Musikbearbeitungen“ sieht man im Zusammenhang mit „DER RASTELBINDER“ – Bearbeitung durch Weys bestätigt. Wey's Beispiel zeigt, dass Operette tatsächlich „Überlebens-Mittel“ sein konnte in dieser schwierigen Zeit, selbst für solche, die zuvor nicht unbedingt „Operetten-

Page 12: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

12 Heft 42 / Jänner 2019

Spezialisten“ waren. Die dem Genre durchaus eigene Zweideutigkeit auch in politischen Aussagen, erwies sich als hilfreich für Autoren, die keinesfalls Aufsehen erregen durften. Weys dient auch als Beispiel für jene Künstler in Deutschland und Österreich, die obwohl politisch oppositionell und „jüdisch versippt“, sich nicht zur Emigration entschließen konnten. Es muss auch erwähnt werden, dass es für – notabene weltberühmte – Komponisten leichter war, in einem fremden Land Fuß zu fassen, als für – nur lokal anerkannte – Schriftsteller, deren Kunst im Wesentlichen an die Sprache gebunden war. Den offiziellen Auftrag der Reichsstelle für die Bearbeitung einer Operette, und im Besonderen einer Operette von Franz Lehár, war ein außerordentlicher Glücksfall. Es bedeutete Einnahmen, Freistellung vom

Militärdienst und das Zusammenbleiben der Familie. Weys war nicht der einzige, der in den Genuss dieser Privilege kommen konnte – Moser erwähnte ihn nicht einmal in seinem Schlusswort vor den Entnazifizierungsprozessen, anstatt dessen führte er die prominenteren „judenversippten“ Eduard Künneke, Edmund Nick, Hans Ebert an, denen er zu Aufträgen verhelfen konnte. Für uns „Lehárianer“ ist das Projekt dieser Bearbeitung Lehárs großer „jüdischen“ Operette – die „kleinere“ war der Zweipersonenen-Einakter „ROSENSTOCK UND EDELWEISS“ (1912, Die Hölle), in der ebenfalls der (jüdische) Louis Treumann die (jüdische) Hauptrolle spielte, von besonderer Bedeutung: Lehár

konnte nicht nur Victor Léon, den Originallibrettisten des „RASTELBINDER“ durch seine Intervention vor der Verschleppung bewahren, sondern sein Schriftverkehr mit dem Bearbeiter Rudolf Weys belegt, dass Lehár diesem versprochen hat, alles in seiner Macht stehende zu tun, um ihm und seiner Familie das Überleben zu sichern, und dies auch tatsächlich getan hat. „DER RASTELBINDER“ als Lebensretter!

Page 13: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

Leháriana 13

LEHÁR – DEUTSCHLAND – 1938, ABHÄNGIGKEITEN Staatsrat Hinkel, im Berliner Reichspropagandaministerium Bekannt mit Lehár

Am 29. August 1938, als Österreich gerade fünf Monate zum Deutschen Reich gehört, schreibt der SS-Sturmbannführer Hans Hinkel eine Aktennotiz an seinen Minister Goebbels mit einer Menge Unterstreichungen: „Franz Lehár – dem ich in den vergangenen Monaten alle Schwierigkeiten, die seine Arbeitsmöglichkeiten beschränken könnten, aus dem Wege räumte – wendet sich soeben eiligst mit der Bitte an mich, ihm in folgender Angelegenheit behilflich zu sein: Lehár ist nach den allgemein geltenden Bestimmungen bekanntlich verpflichtet, sein und seiner katholisch getauften volljüdischen Frau Vermögen bis zum 30. September anzugeben. Davon wird er und seine Gattin auch nicht durch die Inhaberschaft des ungarischen Staatsbürgerbriefes befreit.

Lehár fühlt sich durch diese Vermögensanmeldepflicht für Juden und deren Ehegatten außerordentlich bedrängt – sein Rechtsvertreter musste ihm erklären, dass nur ein von kompetenter Seite kommendes Wort ihn von dieser Pflicht befreien kann – und fragt recht verzweifelt um Rat. Ich habe ihn sogleich beruhigt und ihm versprochen, umgehend dem Herrn Minister zu berichten. Ich möchte ergebenst vorschlagen, dass der Herr Reichswirtschaftsminister Funk, der ja Franz Lehár sehr gut kennt, ersucht wird, Herrn und Frau Lehár von dieser Pflicht zu entbinden bzw. ihm einen Ausweg zu zeigen. Ich darf noch dazu bemerken, dass die Vermögensverhältnisse des Ehepaares Lehár schon deshalb sehr kompliziert liegen, weil Franz Lehár als ungarischer Staatsbürger die bekannten Besitzungen in Wien und Bad Gastein (sic) und eine weitere Besitzung in Ungarn unterhält. Dazu kommen seine großen Tantiemenansprüche an die deutsche STAGMA und die bisherige AKM in Wien, sodaß eine Vermögensaufstellung für den Künstler tatsächlich mit allerlei Komplikationen verbunden ist.“

8 Tage später stimmt Goebbels zu und Staatsrat Hinkel schreibt am 8. September 1938 an den Wirtschaftsminister Walter Funk: „Herr Reichsminister Dr. Goebbels würde es begrüßen, wenn durch Ihr Ministerium veranlasst werden könnte, dass Lehár von der Verpflichtung der Vermögensabgabe befreit oder ihm ein Ausweg gezeigt wird. Ich darf deshalb die Bitte aussprechen, dass Sie, sehr geehrter Herr Reichsminister, Ihrem persönlichen Referenten, Herrn Oberregierungsrat Walter, entsprechende Anweisung geben.“

Die Anweisung wird erteilt. Das Überleben von Sophie Lehár, das Leben Franz Lehárs konnte gesichert werden, und das Deutsche Reich versicherte sich der Dankbarkeit eines der populärsten und auch besten Komponisten. Abhängigkeiten ....

Page 14: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

14 Heft 42 / Jänner 2019

„O, DU MEIN ÖSTERREICH“ – IDENTITÄTSSUCHE IM DREIVIERTELTAKT 100 Jahre Ende der Österreichisch-Ungarische Monarchie – 100 Jahre Republik Österreich Von Wolfgang Dosch

Die Operette ist charakteristischer Bestandteil unserer österreichisch-mitteleuropäischen Seele und Kultur – bunt schillernd, traumhaft-traumatisch, surreal, dem Traum eher zugewandt als der Wirklichkeit, unter „Tränen lachend“. Operette bedeutet Läuterung durch Lachen. Sie hält uns einen Spiegel vor, sie ist ein Spiegelkabinett als Weltenspiegel. Hermann Broch, der über seine Zeit als „Wertevakuum“ sprach, bezeichnete die Operette als „Vakuum-Dekoration“.

Begibt man sich anlässlich des Zusammenbruches der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und der Entstehung der Republik Österreich vor 1oo Jahren auf die Suche nach der „Österreichischen Seele“ (Erwin Ringel), nach dem was wohl dieses „Österreichische“ sein mag, das Friedrich Torberg durch „Offenlassen statt Abschließen“ charakterisierte, kann die Operette tatsächlich „eigen-artig“ Licht in dieses Dunkel bringen.

„O, du mein Österreich!“ - einen auskomponierten Stoßseufzer nannte Hans Weigel jene Melodie von Franz von Suppè, der gerne als „Vater der Wiener Operette“ bezeichnet wird. Das Schicksal dieser Ariette der Soubrette Röserl aus seinem Dialekt-Märchenspiel „S’Alraunerl“, die u. a. wegen ihrer parodistischen Haltung zu Österreich und den dortigen Zuständen, ausgepfiffen

wurde, wenige Jahre später jedoch zur heimlichen Hymne eben dieses Staatswesens wurde, ist durchaus operettenhaft und also eben typisch „österreichisch“.

Page 15: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

Leháriana 15

Suppè schrieb dieses satirisch kritische „Österreich-Lied“ unter den Nachwirkungen der – typisch österreichisch eher im Sande verlaufenen - Revolution von 1848 (auch eines der bemerkenswerten krisenhaften „Achter-Jahre“), an der er selbst lebhaften Anteil nahm („Die Universität“, „Die Vertreibung des Schwarzen“, i. e. Staatskanzler Metternich, u.a.). Ursprünglich im couplethaften Dreivierteltakt, verlor es wenige Jahre später seine satirische Note und wurde im Marschrhythmus gar zur identitätsstiftenden „heimlichen Hymne“ der Österreich-Ungarns.

Noch 12 Jahre nach dem Ende der Monarchie im Jahr 1918 und 14 Jahre nach dem Tod des Kaisers Franz Josef lässt Ralph Benatzky 1930 ihn im „WEISSEN RÖSSL“ surreal-revuemäßig leibhaftig zu den Klängen dieses Marsches auftreten, der selbst einem heutigen Publikum als die entsprechende Hymne erscheint.

War man 1914, zu jener Zeit, „da Operettenfiguren die Tragödie der Menschheit spielten“ (Karl Kraus), noch mit „Hurra, man lebt ja nur einmal und einmal ist kein Mal – drum tanz‘ mein Lieber, eh’s vorüber“ (Stein/Jenbach/Kálmán, „DIE CSÁRDÁSFÜRSTIN“) in den Krieg gezogen, brachte dessen Ende und der Zusammenbruch der k. u. k. Österreichisch-Ungarischen Monarchie, jenem Vielvölkerstaat, der „Versuchsstation für die Zukunft“ (Robert Musil) werden sollte, aber „Versuchsstation für den Weltuntergang“ wurde (Karl Kraus), 1918 das traumatische Erlebnis totalen Identitätsverlustes.

Bereits zu „kakanischen“ Zeiten war es schwierig genug „das Österreichische“, von dem man häufig meinte (und nach wie vor meint), es sei mehr oder weniger das „Wienerische“, zu definieren. Charakteristischerweise gibt auch hier die Operette als „Spiegelkabinett“ Antwort: im Staat wie auf der Operettenbühne sind es „Mehrfachidentitäten“ (Moritz Csáky) die die Menschheit und die gesamte k. u. k. Monarchie prägten – katholische ungarische Österreicher, jüdische galizische Österreicher etc. sind im Staat vereint, wie auf der Operettenbühne die böhmische Polka, die italienische Tarantella, der ungarische Csárdás und der Walzer der Residenzstadt Wien.

Nach der Katastrophe von 1918, dem Verlust des Herrscherhauses wie der multinationalen Kronländer, ist die Neufindung und –erfindung des „Österreichischen“ unendlich schwieriger. Beinahe „natürlich“ findet dieses historische Ereignis sein Ab- und Zerrbild auch in der Operette. Bereits die Namensfindung des neuen winzigen Staatswesens bereitet Phantom-Schmerzen: Österreich – ohne Ungarn, also doch Deutsch-Österreich? Bezeichnenderweise kursierte 1918 scherzhaft als wohl relevantester Staatsname: „Operettanien“. Jedoch sagte bereits Karl Kraus voraus: „Der Wiener wird nie untergeh‘n, sondern im Gegenteil immer hinaufgehen und sich’s richten“. (Die Fackel, 25. Januar 1919).

Page 16: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

16 Heft 42 / Jänner 2019

Es war Robert Stolz, der - vorwiegend als Komponist von Einzelliedern und Couplets mit seinen Librettisten am raschesten und deutlichsten reagierte: einerseits besang er – ganz im Sinne von Karl Kraus und in einer Vorwegnahme von Qualtingers „Herrn Karl“ – den sich an unterschiedliche politische Wirklichkeiten so erstaunlich

„anpassungsfähigen“ „Wiener Charakter“ (Fritz Löhner-Beda), bezog aber auch gegen den Krieg deutlich Stellung: „Mariankas Feldpostbrief“ (Fritz Grünbaum), „Als sie wiederkamen“ (Kurt Robitschek), „Friedens-Kuplet (Arthur Rebner), „Ich glaub‘ an dich, mein Wien“ (Alfred Grünwald), „Mein Wien, du darfst nicht sterben“ (Gustav Horwitz). Mit seinem „Abschiedsbrief des gewesenen k. u. k. wirklichen Putzflecks Johann Bimpfinger an seinen Hauptmann“ (Kurt Robitschek) besang er mit den Mitteln des humoristisch-kritischen Cabaret-Couplets die erwachende Revolution. Jedoch der Wiener Soziologe Paul Lazarsfeld erkannte: „Erfolgreiche Revolutionen - wie in

Russland - brauchen Ingenieure. Gescheiterte Revolutionen wie in Österreich brauchen - Psychologen“.

„DER LETZTE WALZER“ eines aufständischen und zum Tode verurteilten russischen Grafen ist das Thema der gleichnamigen wienerisch-melancholischen Operette, die Oscar Straus nach dem Libretto von Brammer und Grünwald im Jahr 1919 komponierte. Diese Operette zählt zu den Meisterwerken des österreichischen Musiktheaters.

Über die Revolution in Österreich schrieb Joseph Roth („Das Jahr der Erneuerung“): „Jedes Geschlecht hat die Revolution, die es verdient. (…) unsere Revolution stirbt zwar nicht, sie lebt aber auch nicht. Sie ist ein gutes österreichisches Kind und wurschtelt sich fort.“ Dieses „Weiterwurschteln“ scheint wohl eines der charakteristischsten Merkmale des „Österreichischen“ zu sein. Einprägsam verewigt in der Figur des „Lieben Augustin“, der seine Depression in Alkohol zu ertränken sucht, in eine Pestgrube fällt und – überlebt und weiterwurschtelt. Der „Rausch“ und das „Sich-Berauschen“ in unterschiedlichen Ausprägungen ist eines der typisch

Page 17: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

Leháriana 17

österreichischen Über-Lebens-Mittel, das wie zahlreiche andere Escapismen, in der Operette leidenschaftlich beschworen und verklärt wird. Das Überlebens-Motto dazu findet sich bereits in der „Operette der Operetten“: „Glücklich macht uns Illusion …. Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.“ (Zell/Genée/Strauss II, „DIE FLEDERMAUS“).

Sei es der (biedermeierliche) Rückzug in die Privatsphäre, oder in das Reich der „freudianischen Träume und Seelenlandschaften“, wie etwa in „Der Kaiser meiner Seele“ (Grünbaum/Stolz, "DER FAVORIT") – ein Lied, das 1916 komponiert, auch als operettentypischer Kommentar auf den Tod von Kaiser Franz Joseph interpretiert werden kann – oder auch die Idealisierung „großer“ Vergangenheit und Persönlich-keiten, wie etwa der volkstümlichen Maria Theresia, die Brammer/Grünwald/Fall in ihrer „DIE KAISERIN“ traum-haft Schönbrunn besingen lassen.

„Was an Glück zuhöchst gepriesen, gab Natur mit holder Hand. Heil den Wäldern, heil den Wiesen, Segen diesem schönen Land“ – selbst der sonst eher nüchterne Karl Kraus beschwört in „Die Fackel“ im November 1920 die Schönheit der freien Natur. „Die weiten Felder“ zog Franz Lehár dem Großstadtleben bereits mit seiner 1918 komponierten „WO DIE LERCHE SINGT“ (nach Willner/Reichert) vor und 1919 begrüßten Arthur Rebner und Robert Stolz den ersten Nachkriegs- „Frühling in Wien“.

Ist es zwar die grundsätzliche Anschauung des Österreichers, die Wirklichkeit nicht anzuschauen, so finden sich in der Operetten-Welt nach 1918 doch auch „Spiegelungen“ der tatsächlichen Realität. Nach dem Faschingsverbot des letzten Kriegsjahres nehmen Jacobson/Bodanzky/O. Straus noch 1918 Jahr mit „EINE BALLNACHT“ Bezug auf die Wohnungsnot in der zu groß gewordenen Hauptstadt eines zu kleinen gewordenen Staates („Wenn so ein Spatz keine Wohnung hat“). Aber selbst wenn man eine Wohnung hatte, konnte man sich kein Brennmaterial leisten, „Da geh‘ ich hinaus in den Wienerwald“ wussten Grünwald/Blum/Stolz in ihrem „DAS SPRACHSECHSERL“, 1920, als traurige Lösung.

Die Inflation mit ihrem „Nuller-Wahnsinn“ ließ die Menschen verzweifeln, „Wenn wir Geld hätten!“ (Engel/Benatzky, „DIE TANZENDE MASKE“, 1919). In einem Polizeibericht vom 20. 12.1918 kann man lesen: „(…) Man hört Äußerungen der größten Erbitterung gegen die Tschecho-Slowaken und Ungarn wegen der Lahmlegung der Zufuhr von Nahrungsmitteln und Kohle nach Deutsch-Österreich…. Das Bewußtsein, daß dem deutsch-österreichischen Staate auf dem eigenen Gebiete keine Hilfsmittel zur Linderung des Notstandes zur Verfügung stehen, wirkt niederdrückend.“

Page 18: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

18 Heft 42 / Jänner 2019

Mit leidenschaftlichem Temperament und kabarettistischem Humor fordern Brammer/Grünwald/Kálmán in ihrer „GRÄFIN MARIZA“ noch 1924 auf: „Komm‘ mit nach Varasdin – dort ist die ganze Welt noch rot-weiss-grün!“ und zertanzen so mit „magyarischem Foxtrot“ die bereits seit 1918 rot-weiss-blaue kroatische Wirklichkeit. Das kleine Österreich wurde von vielen Menschen immer mehr als nicht überlebensfähig wahrgenommen. „Jedes Volk muß ein großes Ziel haben, das es als Ideal verfolgt, bis es erreicht ist. Für uns Deutsche kann das Ideal nur in dem endlichen Zusammenschluß in einem mächtigen Reich bestehen“, vertraute nicht nur

der hochdekorierte General Conrad von Hötzendorf seinen „Privaten Aufzeichnungen“ an, sondern so dachten viele Menschen unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten nach 1918.

„DIE GOLDENE MEISTERIN“ von Brammer/Grünwald/Eysler wurde 1927 am Theater an der Wien uraufgeführt. Für das Lied „Du lieber alter Stefansturm (…) du Hüter unsres Wien ----was wird dir noch blüh’n“ ,

schrieben die (jüdischen!) Autoren 1932 eine Zusatzstrofe: „Du lieber alter Stefansturm, was wirst du noch erleiden? Bevor der Anschluß Wahrheit wird, wann wird es sich entscheiden, bis Deutsches Volk im Deutschen Land vereint im Vaterhaus …?“

Die von Albert Einstein an Sigmund Freud in einem Brief vom 30. Juli 1932 gestellte Frage, „Gibt es eine Möglichkeit, die psychische Entwicklung der Menschen so zu leiten, daß sie den Psychosen des Hasses und des Vernichtens gegenüber widerstandsfähiger werden?“, beantwortete Freud: „Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg.“ Über die letzten Worte von Leo Stein, Belá Jenbach und Emmerich Kálmáns „DIE CSÁRDÁSFÜRSTIN“ aus dem Kriegsjahr 1915 schließt sich der finale Vorhang: „Tausend kleine Englein singen, habt Euch lieb! (…) Mag die ganze Welt versinken, hab‘ ich Dich!“

Das Fanal von 1918 war das Finale Österreich-Ungarns, in dessen beiden Hauptstädten „DIE CSÁRDÁSFÜRSTIN“ spielt, aber die Ouverture zu einem noch größeren, dessen letzter Vorhang 1938 über Österreich fiel.

Page 19: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

Leháriana 19

LEHÁRIANISCHE ANEKDOTEN WILHELM KARCZAG, DER SPARSAME DIREKTOR

Das Theater an der Wien galt als das erste Operettenhaus der Monarchie und eine Uraufführung dort war für alle Operettenkomponisten und so auch für Franz Lehár besonders erstrebenswert. Und tatsächlich erblickten viele seine Werke seit der dort das Licht der Bühnenwelt. Allerdings war Wilhelm (Vilmos) Karczag, der Direk-tor des Theaters an der Wien besonders sparsam, vor allem da er vor deren Ur-

aufführungen we-der an den Erfolg der „LUSTIGEN WITWE“ noch an den des vier Jahre späteren „DER GRAF VON LUXEM-BURG“ glaubte. Und so hatte er beide Werke hin-sichtlich Aus-stattung aber auch des Chorpersonals nur „auf Sparflam-me kochen lassen“.

Als nun Lehárs nächste Operette, „EVA“, am Theater an der Wien urauf-geführt werden sollte, war er mit seinen Librettisten Willner und Bo-danzky fest ent-schlossen, Karczag zu mehr Großzü-gigkeit zu überre-den. Zehn Tage vor

Probenbeginn saßen die Autoren in der Direktion und unterbreiteten ihre Vorschlä-ge. Als es zum dramatischen Höhepunkt des Werkes kam, eine Szene in welcher die Fabriksarbeiter in das Büro des Chefs stürmen und ihre Eva zurückfordern, die die-ser entlassen hatte, meinte Willner: „Bei dieser Szene darf nicht gespart werden, wir brauchen da mindestens 25 Chorleute auf der Bühne!“. – „Keinesfalls! Mindestens 35!“, steigerte Bodanzky, worauf Lehár noch eines draufgab und sagte: „Kommt

Page 20: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

20 Heft 42 / Jänner 2019

BÜCHER

Überlandpartie! - Kabarett auf der Sommerfrische Iris Fink/Roland Knie, Böhlau Verlag, 2018, Wien, ISBN 978-3-205-20671-2

Das späte 19. und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ist die Kernzeit der sogenannten Sommerfrische, bei der Städter längere Zeit „auf dem Lande“ verbrachten und dort meist auch ihren zweiten Wohnsitz aufschlugen, zu einer Zeit, da die Auto-Mobilisierung noch nicht die Kurzzeit-Urlaube auf längere Destinationen ermöglichte. Bei diesem sommerfrischen Leben „auf dem Lande“ wollten man aber auch nicht auf die liebgewonnenen städtischen Unterhaltungen verzichten und so reisten viele Kabarettistinnen und Kabarettisten, die ja berufsbedingt das Reisen gewohnt sein mussten, ihrer großstädtischen Klientel nach und „bauten ihre Brettel“ in den verschiedenen Kur- und Erholungsorten auf.

Den Reisen von – zumindest zu ihrer Zeit – renommierten und beliebten Künstlern von Burg- bis Kellertheater, von Volksoper bis Simpl folgt dieses neue Buch von Iris Fink und Roland Knie,

die beide schon mit einigen einzigartigen, mittlerweile zu Standardwerken gewordenen Publikationen vorwiegend zum Thema österreichisches Kabarett und musikalisches Unterhaltungstheater hervorgetreten sind.

Diese „Überlandpartie“, wie die Autoren das Buch nach dem bekannten Lied von Hermann Leopoldi nannten, und beinahe ebenso pointiert geschrieben haben, bietet aber nicht nur einen Abriss eines Randthemas des wienerischen Kabaretts, sondern eine Theater- und Kulturgeschichte Österreichs von Vorstadt- und Sommerbühnen im Wien der Metternichzeit den letzten Tagen der Monarchie bis in die Jahre des Wirtschaftswunders. Im Prater erleben wir die verschiedenen Pawlatschen, wir hören „den Leicht“ seine Artisten und Klobassi anpreisen, ebenso wie wir in Gábor Steiners Wunderwelt „Venedig in Wien“ eintauchen, die junge Massary auf dem „Unterbrettl“ ihr „I hab a Räuscherl“ (Karl Kapeller) vortragen hören. Das nächste Brettel unter freiem Himmel befand sich im „Lustigen Lustgarten“, die Bühne im Burggarten: Ab 1921 trat der junge Karl Farkas auf, man war am Puls der Zeit mit Jazzbands ebenso wie bereits 1924 mit einem „Bummel

Page 21: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

Leháriana 21

durch Wien“ von Leopoldi/Beda: „O Hakenkreuz, o Hakenkeuz, was machst Du für Gezeter!“. Bei dem Thema „Sommerfrische“ darf natürlich auch der Wolfgangsee nicht fehlen und all die verschiedenen Fassungen des „WEISSEN RÖSSL“ von Blumenthal und Kadelburgs Theaterstück, zur Schlager-Operette von Benatzky/Müller/Gilbert mit Einlagen von Stolz, Gilbert, Granichstaedten, in der Produktion von Erik Charell, zum Farkas/Eysler Einakter für das Cabaret „Die Hölle“ und all den stummen bis Farbverfilmungen und ihren Interpreten. Besonders spannend stellen sich für mich die Kapitel über die Sommerfrische des legendären Kabaretts „Der liebe Augustin“ (ursprünglich unter dem Café Prückel beheimatet) und späteren „Literatur am Naschmarkt“, bei dem so bedeutende Künstler wie Peter Hammerschlag, Stella Kadmon, Rudolf Weys, die Ausdruckstänzerin Cilli Wang u. a. in Döbling „Kabarett unter Kastanien“ boten.

Selbstverständlich sind den Orten Baden, Gleichenberg und natürlich dem Salzkammergut mit der Kaiser- und Operettenstadt Bad Ischl, in deren Kurtheater, Trinkhallen, Musikpavillons und Gasthäusern so viele Künstlerinnen und Künstler mit ihren Rollen und Programmen auftraten, einige äußerst informative Kapitel gewidmet,

Horch! Die Amseln schnarchen!", mit dem Titel eines seiner Texte beschäftigen sich die Autoren mit dem so vielseitigen literarisch-musikalischen Schaffen von Robert Gilbert. Er war nicht nur Librettist des "WEISSEN RÖSLL", sondern komponierte auch das Lied vom "Schönen Sigismund", schrieb u. a. politische Gedichte zum "Anschluß" ("Hebn's schon den rechten illegalen Arm – Wir san die Herrschaft jetzt am Wolfgangsee") und wurde nach der Rückkehr aus der Emigration zum erfolgreichen Musical-Übersetzer.

„Wer mosaisch, fühlt ein Grausen“ betitelt Karl Farkas einen seiner Sketche und „Über den sommerfrischen Antisemitismus“, der vielen Städtern am Land entgegenschlug, nehmen die Autoren auch kein Blatt vor dem Mund. Die Jahre nach den „Tausend Jahren“ mit ihren Leitfiguren Hugo Wiener, Cissy Kraner, Karl Farkas, und Maxi Böhm sollen zum „Nachsommer“ des Urlaubskabaretts werden. Denn an der Adria und den anderen durch das Auto nun erreichbaren Sehnsuchtsorte der internationalen Sommerfrischler war „der Herr Novak“ und das Wiener Kabarett nicht mehr gefragt.

„Überlandpartie!“ – ich möchte diesem Buchtitel noch unzählige Rufzeichen anfügen und Iris Fink und Roland Knie und dem Böhlau Verlag herzlichst danken und gratulieren zu diesem bestens recherchierten, kenntnisreichen, liebevollen und so pointiert geschriebenem neuen Standardwerk zur österreichischen (Unterhaltungs-) Kunst!

Page 22: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

22 Heft 42 / Jänner 2019

Willi und die Künstler, Lucia Meschwitz Morawa, 2018, ISBN 978-3-99084-008-5

Wer ist Willi? Und um welche Künstler geht es in diesem auf den „ersten Blick“ so sympathischen Buch? Also – das Interesse ist geweckt! Der Willi, so erfährt man bald, ist ein hinreißender Schäferhund und die Künstler, mit denen er Kontakte pflegte, sind alle „Lebensmenschen“, die sein „Frauerl“, die charmante, charismatische Tänzerin, Sänger-Schauspielerin, Regisseurin, Professorin Lucia Meschwitz begleiteten und die, wie sich herausstellt, auch eine „gute Hand“ als Schriftstellerin hat!

Es handelt sich hier nicht um eine Auto-Biografie, sondern um die Geschichte des Lebens einer schillernden Künstlerpersönlichkeit, erzählt von ihr selbst, aber eben auch aus der

des sie begleitenden Willi. Und erlebt haben die Beiden wahrhaft genug, Höhepunkte, aber auch Schläge des Schicksals, und natürlich waren sie nicht immer einer Meinung, aber das ist ja menschlich, bzw. – wie sagt man da? Man öffnet dieses Buch und ist bezaubert: von der Herzlichkeit, ehrlichen Natürlichkeit, Menschlichkeit, von der Liebe zu den (Mit-) Menschen und der Kenntnis der Mit- und der Bühnen-Welt.

Wir folgen dem Weg von Willi und Lucia Meschwitz von ihren ersten tänzerischen Bühnenschritte, auf die verschiedensten Bretter der Welt, auf denen sie als Darstellerin lebte, bis an das Königliche Opernhaus Stockholm, wo ihr Mann, der deutsche Komponist Frieder Meschwitz als Dirigent engagiert war. Er war „der Mann ihres Lebens“ und als er sehr

früh aus ihrem Leben scheiden musste, gab es für sie „nur Arbeit, Arbeit“! Und sie baute sich, neben ihrer eigenen Tochter, nun noch eine zweite große Familie aus ihr lieben Künstlerinnen und Künstlern, die sie als Regisseurin und auch Leiterin z. B. der Schlossfestspiele Laxenburg und auf Tourneen um die ganze Welt um sich scharte. Eine weitere sehr große treue Familie erwuchs ihr aus ihren Studentinnen am Konservatorium Wien (heute MUK), wo sie viele Jahre die Leitung der Opern – u. Operettenausbildung erfolgreich innehatte. Viele ihrer „Kinder“ tragen heute das Können, die Leidenschaft und die Menschlichkeit „der Meschwitz“ weiter auf Bühnen der ganzen Welt. Ihre Wege kreuzten Persönlichkeiten von Karl Böhm bis Maximilian Schell, Martha Eggerth bis Lilli Claus-Dostal und viele viele mehr. Und vor allem eben immer – der Willi!

Lucia Meschwitz eröffnet uns, klug und humorvoll geschrieben, ihre – und Willis! – Lebensgeschichte, die man von Seite zu Seite süchtiger liest, auch weil man so viele Menschen (wieder-) trifft, kennenlernt und, weil man mit ihr weit „herumkommt“.

Wie schön!

Page 23: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

Leháriana 23

Page 24: Heft 42 / Jänner 2019 - Franz-Lehar-Gesellschaft

_____________________________________________________________________________________

TERMINE

Ab 19. Jänner 2019, Bühne Baden, DIE GESCHIEDENE FRAU, Operette von Leo Fall

15. März 2019, 10 - 13 Uhr, Tanzsignale, Symposium Wiener Institut für Strauss-Forschung, MUK-Theater, 1, Johannesg. 4a, u. a.: VOM ALTWIENER SINGSPIEL ZUR WIENER OPERETTE, Lehrgang Klass. Operette/Leitung: W. Dosch. (Eintritt frei)

15. März 2019, 19 Uhr, AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG, „200 Jahre Franz von Suppè und Jacques Offenbach“, Wienbibliothek/Musiksammlung, 9, Bartensteing. 9, (Eintritt frei)

14. - 17. März 2019, TANZSIGNALE, Symposium, Wiener Institut für Strauss- Forschung, "Zur Geburt der Wiener Operette: Musikalische und historische Wurzeln. Heute – Reminiszenz oder Aktualität?“. Informationen. www.johann-strauss.at

31. März 2019, 15 Uhr, Berio-Saal, Wiener Konzerthaus, 3, Lothringerstraße, ALLES LEHÁR! – FRANZ LEHÁR-ORCHESTER und Wiener Operettenstars, DIRIGENT: Reto Parolari, Karten: Konzerthaus: 1/242 00-0, email: [email protected] (IFLG Ermäßigung: Zahlschein-Vorlage!), IFLG-Reservierung: Frau Haidler, Tel.: 0676 3340569, E-Mail: [email protected]

7. April 2019, 16 Uhr, Haus Hofmannsthal, 3, Reisnerstraße 37,DOCH ICH SPIEL‘! – CHARLES KALMAN – Programm mit Wolfgang Dosch, Harumichi Fujiwara, Klavier (anlässlich des 90. Geburtstages), Karten: 01/7148533, [email protected], IFLG Ermäßigung!

9. April 2019, 19 Uhr, Musikverein, Gläserner Saal, FRANZ VON SUPPÈ – 200 JAHRE, „ZEHN MÄDCHEN UND KEIN MANN“ (Operette in 1 Akt) / Arien, Szenen, Couplets Studierende MA Oper, Lehrgang Klass. Operette/MUK Wien., Karten: 5127747255, [email protected]

13. Mai 2019, 18.30 Uhr, MUK, 1, Johannesgasse 4a, PODIUM OPERETTE/SOUPER BEI SUPPÈ, Lehrgang Klass. Operette, Leitung: W. Dosch, Karten: 5127747255, [email protected]. (IFLG Ermäßigung!)

_____________________________________________________________________________________

IMPRESSUM: Leháriana-Nachrichten der Internationalen Franz Lehár Gesellschaft, c/o Rechtsanwaltskanzlei Dr. Alfred Roschek, Jasomirgottstraße 6, 1010 Wien ZVR 091289063, Heft 41 / September 2018, Redaktion: Univ.-Prof. Wolfgang Dosch (W.D.), Mitarbeit: Irmgard Schäfer, Layout: Carl Schäfer, E-Mail: [email protected]