HEGEL-STUDIEN...* Hegel wußte die Bogenzahl offensichtlich wenige Monate vor Erscheinen des ersten...

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HEGEL-STUDIEN

In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Rheinisch-Westfälischen

Akademie der Wissenschaften

herausgegeben von

FRIEDHELM NICOLIN und OTTO PÖGGELER

Band 12

FELIX MEINER VERLAG

HAMBURG

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar.

ISBN 978-3-7873-1476-8 ISBN eBook: 978-3-7873-2940-3ISSN 0073-1578

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2016. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikro-verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruckpapier, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de/hegel-studien

Inhaltlich unveränderter Print-On-Demand-Nachdruck der Originalausgabe von 1977, erschienen im Verlag H. Bouvier und Co., Bonn.

INHALT

TEXTE UND DOKUMENTE

Hegel und der Verlag Sdirag Neue Dokumente. Mitgeteilt imd erläutert von HELMUT SCHNEIDER,

Bodium 9

Ein Blatt zu Hegels Vorlesimgen über Logik tmd Metaphysik Herausgegeben und erläutert von FRIEDRICH HOGEMANN und WALTER

JAESCHKE, Bodium 19

Ein Brief Hegels an Carl Sdiall Mitgeteilt von HELMUT SCHNEIDER, Bodium 27

FRIEDHELM NICOLIN, Bonn Aus der Überlieferungs- imd Diskussionsgesdüdite des ältesten Sy- stemprogramms 29

ABHANDLUNGEN

MANFRED BAUM, Siegen / KURT MEIST, Bodium Durdi Philosophie leben lernen. Hegels Konzeption der Philosophie nadi den neu auf gefundenen Jenaer Manuskripten 43

OTTO PöGGELER, Bodium Hegels Option für österreidi. Die Konzeption korporativer Reprä- sentation 83

JOHN SALUS, Duquesne University Hegel's Concept of Presentation. Its Determination in the Preface to the Phenomenology of Spirit 129

HERIBERT BOEDER, Braunsdiweig Das natürlidie Bewußtsein 157

MISZELLEN

WOLFGANG BONSIEPEN, Bodium Zur Datierung und Interpretation des Fragments „C. Die Wissensdiaft" 179

GENTSCHO DONTSCHEV, Sofia „Wer denkt abstrakt?" und die ,d?hänomenologie des Geistes" . . . 190

LITERATURBERICHTE UND KRITIK

G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 6. Jenaer Systementwürfe I. Hrsg. von K. Düsing imd H. Kimmerle (LUDWIG SIEP, Freiburg) 201

B. Dinkel: Der junge Hegel und die Aufhebimg des subjektiven Idealismus (MICHAEL FRANZ, Saarbrücken) 204

W. H. Sdimitt: Das Selbstbewußtsein cJs Inbegriff der drei Formen der Positivität (WALTER JAESCHKE, Bochum) 207

L. B. Puntel: Darstellimg, Methode und Struktur (WALTER JAESCHKE,

Bochum) 210

G. W. F. Hegel: Science de la logique. Trad. par P.-J. Labarriere et G. Jarczik (JEAN-LOUIS VIEILLARD-BARON, Tours) 215

M. Heidegger: Logik (OTTO PöGGELER, Bochum) 219

E. Kawamura: Hegels Ontologie der absoluten Idee (Lu DE VOS, Löwen) . 222

G. Lebrun: La patience du concept (MARCEL R^GNIER, Paris) 224

L. Sichirollo: Dialettica (REMO BODEI, Pisa) 228

U. Matz: Politik und Gewalt (OTTO PöGGELER, Bochum) 229

B. Quelquejeu: La volonte dans la philosophie de Hegel (MARCEL RicNiER, Paris) 233

G. D. O'Brien: Hegel on Reason and History (DENNIS GOLDFORD, Chicago) 235

Hegel: Aesthetics — Lectures on Fine Art. Tr. by T. M. Knox. (MICHAEL

J. PETRY, Rotterdam) 238

F. Flüdkiger: Die protestantische Theologie des 19. Jahrhunderts; W. Anz: Idealismus und Nadiidealismus; H. Gerdes: Der geschichtliche biblische Jesus oder der Christus des Glaubens (WALTER JAESCHKE, Bochum) . . 243

Ch. Taylor: Hegel (STANLEY ROSEN, State College, Pa.) 245

A. Gulyga: Georg Wilhelm Friedrich Hegel (HELMUT SCHNEIDER, Bochum) . 249

H. Jendreieck: Hegel imd Jakob Grimm (WALTER JAESCHKE, Bochum) . . . 251

H. Kuhn: „Liebe". Geschichte eines Begriffs; A. Elsigan: Sittlichkeit imd Liebe (WALTER JAESCHKE, Bochum) 255

Denken im Schatten des Nihilismus. Hrsg, von A. Schwan (ROLF P. HORST-

MANN, Bielefeld) 257

A. Walicki: The Slavophile Controversy (THOMAS M. SEEBOHM, University Park, Pa.) 258

Hegel-Jahrbuch 1974; Hegel-Jahrbuch 1975. Hrsg. v. W. R. Beyer (WALTER

JAESCHKE, Bochum) 261

W. J. Brazill: The Yotmg Hegelians; D. McLellan: The Young Hegelians and Karl Max (HANS-MARTIN SASS, Bochum) 264

L. Althusser: Lenin und die Philosophie (KURT RöTTGERS, Bielefeld) . . . 266

R. Schacht: Hegel and After (KURT RöTTGERS, Bielefeld) 268

C. -A. Scheier: Die Selbstentfaltimg der methodischen Reflexion als Prinzip der neueren Philosophie (WOLFGANG BONSIEPEN, Bochum) 270

L. Vander Kerken: Inleiding tot de fundamentele Filosofie; Ders.: Maar wat is Literatuur?; K. Boey: De Mens achtema; Ders.: Vertel me over Vrijheid (Lu DE VOS, Löwen) 273

Kurze Anzeigen

über G. Guindey, R. Morresi, H. Wagner, W.-G. Jankowitz, K. Rothe, J. Mader, J. Speck

BIBLIOGRAPHIE

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1975. Mit Nachträgen aus früheren Berichtszeiträumen 285

HEGEL UND DER VERLAG SCHRÄG

Neue Dokumente

Mitgeteilt und erläutert von Helmut Schneider (Bochum)

Hegels Wissenschaft der Logik ersdiien 1812—1816 in Nürnberg im Verlag von JOHANN LEONHARD SCHRäG. Hier soll der Beziehung Hegels zum Verlag Schräg unter Verwendung von unveröffentlichten Dokumenten aus dem Nachlaß SCHRAGS, der sich in der Bayerischen Staatsbibliothek befindet, weiter nachge- gangen werden. ‘

I. Johann Leonhard Schräg und sein Briefwechsel mit Hegel

JOHANN LEONHARD SCHRäG (geb. 1783 in Landshut, gest. 1858 in Nürnberg) entstammte einer alten elsässischen Familie, die in der Mitte des 18. Jahrhunderts nach Landshut übergesiedelt war. Nachdem er dort als Buchhändler gelernt hatte, ging er zuerst nach Wien und 1807 nach Nürnberg, wo er die Führung der J. A. SxEiNschen Buchhandlung übernahm, deren Besitzer J. PH. PALM 1806 auf Befehl NAPOLEONS erschossen worden war. Am 1. Juli 1810 gründete er seinen eigenen Verlag, der sich bald zu einem der bedeutendsten Verlage der Spätromantik ent- wickelte. ® Unter seinen Autoren finden sich in der Literatur u. a. EICHENDORFF,

FOUQU£, JEAN PAUL, A. V. CHAMISSO, RüCKERT; in den Naturwissenschaften u. a. BERZELIUS, OHM, K. V. RAUMER, G. V. SCHUBERT; in den Geisteswissenschaf- ten u. a. J. GRIMM, L. WESTENRIEDER, A. V. FEUERBAC:H, SCHELLING.

Das Verlagsarchiv (Schragiana), das vor allem den Briefwechsel zwischen dem Verleger und seinen Autoren enthält, kam 1924 in den Besitz der Bayerischen Staatsbibliothek. Der Briefwechsel erstreckt sich über die Jahre 1810—1854. Das in Nürnberg verbliebene Material des Verlags wurde im zweiten Weltkrieg ver- nichtet. Aus der Zeit von 1810—1817, also der Zeit Hegels beim Verlag, findet sich nur sehr wenig. Die Schragiana sind eingeteilt in Schragiana I mit der Ver-

^ Hegels Beziehungen zu Sdirag von 1826—1031 wurden bereits in unserem Aufsatz Zur zweiten Auflage von Hegels Logik dargestellt, ln: Hegel-Studien. 6 (1971), 23 ff. — Der Bayerischen Staatsbibliothek dankt der Verfasser für die Erlaubnis zur Ver- öffentlichung ungedruckter Dokumente.

s Zur Geschichte des Verlags mit Verzeichnis der Verlagsprodukte: Die Veröffent- lichungen des Verlags von J. L Schräg in Nürnberg 1810—1910. Nürnberg 1910. — J. L. Schrag-Verlag 1910—1960. Nürnberg 1960.

10 HELMUT SCHNEIDER

lagskorrespondenz des Verlegers mit den Autoren über Fragen der verlegten Werke (6925 Briefe), Sdiragiana II mit rein gesdiäftlidien Briefen und Papieren ohne literarischen Wert imd Schragiana III mit Frachtbriefen, Rechnungen und Quittvmgen von 1817 bis 1854. Die von Hegel stammenden oder auf ihn bezüg- lichen Dokumente sind mit Ausnahme einer Quittung in Schragiana III in Schragiana I tmter dem Stichwort Hegel eingeordet imd in der linken oberen Ecke von der Bibliothek mit den arabischen Zahlen 1—7 durchgezählt.

Es handelt sich im einzelnen um folgende Dokumente:

1. Von Hegel geschriebene Quittung vom 12. Mai 1812, ein Blatt, Vorderseite beschrieben, 21 (Höhe) X 18 (Breite) cm, ohne Wasserzeichen, gelbliches Pa- pier.

2. Von Hegel geschriebene Quittimg vom 2. November 1812, ein Blatt, Vor- derseite beschrieben, 17 X 22 an, deutliches, nicht definierbares Wasserzeichen.

3. Von Hegel geschriebene Buchbestellimg, ein Blatt, Vorderseite beschrieben, 22 X 18 cm, nicht näher definierbares Wasserzeichen.

4. Von J. L. SCHRäG geschriebene Bücherrechnung mit Zusatz von Hegel, erste Seite beschrieben, hellblaues Papier.

5. Von Hegel geschriebene Anweisung an SCHRäG über die Ausstellung der Bücherrechnung, ein Blatt, Vorderseite beschrieben, 22 X 18 cm.

6. Brief Hegels an SCHRäG vom 5.10.1816,18 X 21 cm, ein Blatt, Vorderseite beschrieben.

7. Brief Hegels an SCHRäG vom 29.10.1827, gefalteter Briefbogen, 1. bis 3.

Seite beschrieben, 26 X 22 cm, auf der 4. Seite die von Hegel geschriebene Adresse.

Die beiden letztgenannten Briefe Hegels sind bereits von HOFFMEISTER ver- öffentlicht worden, Hegels Buchbestellung nur imvollständig und ohne Nachweis der Titel. * Am 5.10.1816 gab Hegel Anweisungen über die Versendung von Autorenexemplaren des soeben erschienenen zweiten Bandes der Logik an mehrere seiner Freunde. * Zu neuen schriftlichen Kontakten kam es erst wieder, als SCHRäG am 26.11.1826 an Hegel schrieb, daß in ein oder zwei Jahren eine neue Auflage der Logik nötig sei. Der nicht erhaltene Brief ist aus der erhal- tenen Antwort Hegels vom 29.10.1827 rekonstruierbar. * Hegel hatte sich mit diesem Antwortbrief also fast ein Jahr Zeit gelassen. Die Neuauflage des ersten Bandes der Logik kam daim 1832 jedcxh nicht bei SCHRäG, sondern bei COTTA

* Hegel; Nürnberger Sdiriften. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Leipzig 1938. 467, Anm. 1. ^ Briefe von und an Hegel. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Bd 2. 2. Aufl. Hamburg 1961.139. • Briefe, Bd 3. 210.

Hegel und der Verlag Sdirag 11

heraus. * Weitere Briefe zwisdien Hegel und SCHRäG waren bisher nicht bekannt. Erst neuerdings konnte in Schragiana III eine Quittung des Oberpostamts in Nürnberg vom 20. November 1829 gefunden werden, wonach ein „rekomman- dirtes Schreiben" an Hegel geschickt worden war. Der nicht erhaltene Brief muß bei den verschollenen Briefen an Hegel registriert werden. Vielleicht waren auch schon andere Briefe an Hegel vorausgegangen, die dieser nicht beantwor- tet oder zurückgeschickt hatte. Ende 1829 hatte Hegel wahrscheinlich die Über- nahme der Neuauflage mit COTTA längst abgesprochen.

2. Hegels Honorar

Hegels Honorar für die erste Auflage der Logik war bisher unbekannt. In Schragiana I finden sich jedoch zwei Quittungen, von denen eine sich sicher auf das Honorar für den ersten Band (erstes Buch) bezieht, die andere wahrschein- lich auch, da man sich kaum andere Gründe für Zahlungen von SCHRäG an Hegel vorstellen kann.

Von Herrn Buchhändler Schräg auf Abschlag des < von > Honorars von Wissenschaft der Logik

200 f Zweyhundert Gulden

unter dem heutigen baar erhalten zu haben, bescheinigt hiemit

Nürnberg G W F Hegel den 12[.] May 1812 Professor u[nd] Rector

am Gymnasium hieselbst

Von Herrn Verlagsbuchhändler Schräg, unter dem heutigen 73 f 39 c drey und siebenzig Gulden, 39 Kreuzer baar empfangen zu haben, bescheinigt hiemit

Nürnberg Prof[essor] u[nd] Rector den 2[.] Nov[ember] 1812. Hegel

Wir wissen nicht, ob durch diese beiden Beträge das ganze Honorar ausgezahlt war. Die zweite Summe könnte aber leicht der Rest des Honorars oder zumindest des damals fälligen Honorars gewesen sein. Das Honorar wurde nach Bogen be- rechnet, wie es damals üblich war tmd sich auch aus Hegels Brief vom 19. 10. 1827 ergibt. ’’ Mit dem Titelblatt umfaßte der erste Band der Logik (erstes Buch)

' Ober die Hintergründe und Umstände des Verlagswechsels vgl. den in Anm. 1 genannten Aufsatz.

’’ Briefe. Bd 3. 210 £.

12 HELMUT SCHNEIDER

376 Seiten, also 23,5 Bogen. Jeder Bogen ist auf seiner ersten Seite mit den großen Budistaben des Alphabets fortlaufend gekennzeichnet, wobei V und W ausgelassen sind. * Hegel wußte die Bogenzahl offensichtlich wenige Monate vor Erscheinen des ersten Bandes selbst noch nicht genau und schätzte sie falsch ein, als er am 5.2.1812 schrieb: „An meiner Logik sind 9 Bogen gedruckt. Vor Ostern sollen vielleicht noch 20 mehr gedruckt werden. Was kann ich vorläufig davon sagen, als daß die 25—30 Bogen nur der erste Teil sind, daß sie von der gewöhnlichen sogenannten Logik noch nichts enthalten ... Ich stecke bis über die Ohren darin. Es ist keine Kleinigkeit, im ersten Semester seiner Verheuratung ein Buch des abstrusesten Inhalts von 30 Bogen zu schreiben. Aber injuria temporum! Ich bin kein Akademikus; zur gehörigen Form hätte ih noch ein Jahr gebraucht, aber ich brauche Geld, um zu leben." * Hegel hat also das Manu- skript sukzessive an den Verlag geliefert, nicht ein fertiges Gesamtmanuskript. Der Zeitdruck ließ offenbar das Manuskript kürzer ausfallen als ursprünglich ge- plant war. Die Auszahlung des Honorars scheint vertraglich wenigstens teilweise vom Verkaufserfolg abhängig gewesen zu sein denn 1827, also nach 11 Jah- ren, hatte Hegel noch nicht das ganze Honorar für den zweiten Band der Logik von 1816 erhalten, wie er an SCHRäG schrieb: „Der vertragsmäßigen Nachbezah- limg des restierenden Honorars vom zweiten Bande sehe ich Ihrer Erwägung der zu erfolgenden Erschöpfung der Exemplare gemäß entgegen." ‘‘ Danach scheint Hegel jedoch vom ersten Band das volle Honorar erhalten zu haben, da er das sonst sicher auch erwähnt hätte.

Die Höhe des Honorars richtete sich nach der Berühmtheit des Autors. Hegel als wenig bekannter Autor mit einem neuen wissenschaftlichen Entwurf war ohne Zweifel ein gewisses Verlagsrisiko, so daß er kein hohes Honorar ver- langen konnte. ** Wenn man davon ausgeht, daß die 273 Gulden das ganze

* Im Faksimilenachdruck, besorgt von W. Wieland, Göttingen 1966, sind die Bogen- bezeichmmgen mit Ausnahme der Bezeichnung für den Bogen K weggefallen.

» Briefe. Bd 1. 393. *• Auf dem Brief Hegels an Schräg vom 29.10.1827 sind am oberen Rand der

2. Seite von Schräg die Lagerbestände notiert: am 9.11.1827 waren von Band 1,1 noch 88, von Band 1,2 noch 129, von Band II noch 396 Exemplare am Lager. Am unteren Rand der 3. Seite hat Schräg die Lagerbestände im August 1828 notiert: Band 1,1 mit 36, Band 1,2 mit 78, Band II mit 347 Exemplaren am Lager. Im Verlagsverzeichnis von 1848 wurde der 2. Band noch aufgeführt, war also wohl auch noch vorrätig. — Auf der 3. Seite des gleichen Briefs findet sich am oberen Rand eine Notiz von Schräg: „vom Ilten B[and] sind bey Bieling 1000 gedruckt worden." Das ist die einzige Stelle, aus der der Name der Druckerei der Logik bekannt ist. Im gedruckten Buch ist sie nicht angegeben. Akten oder andere schriftliche Unterlagen der Druckerei konnten nicht festgestellt werden.

» Briefe. Bd 3. 211. ** N. V. Thaden schrieb ihm 1815 sogar, besorgt um die Fortsetzung der Logik; „So

wie Ihre Sache jetzt steht, sind Sie wohl in Gefahr, daß die Fortsetzung nicht mehr ge- druckt werden wird, weil der Verleger nicht mal die Druckkosten zurück erhalten kann." (Briefe. Bd 2. 55) Hatte v. Thaden uns unbekannte Informationen, da er sich so bestimmt äußern kormte?

Hegel und der Verlag Schräg 13

Honorar ausmachten, wäre ein Bogen mit rund 11,5 Gulden honoriert worden. Hegel bekam von COTTA für die 2. Auflage des ersten Bandes der Logik 2 Louisdor zu ä 11 Gulden pro Bogen. COTTA hätte also das Doppelte für den Bogen geboten, was den bisher nidit erklärbaren Übergang von SCHRäG ZU

COTTA erklären würde. Dazu würde auch gut passen, daß Hegel in seinem Brief an SCHRäG vom 29. 11. 1827 darauf hinwies, daß ihm jetzt zwar wegen seiner größeren Bekanntheit höhere Honorare angeboten werden, er aber sich mit dem alten Honorar begnügen wolle, also mit einem Louisdor pro Bogen, d. h. 11 Gul- den. Damit wäre die Annahme, daß das ganze Honorar tatsächlich für den ersten Band nur 273 Gulden betrug, mindestens als sehr wahrscheinlich erwiesen. Die genaue Summe des Honorars kam wohl durch uns unbekaimte Nebenumstände im Vertrag oder Umrechnungsmodalitäten von Louisdor in Gulden zustande. Bei der ersten Zahlung am 12. 5.1812 war der erste Band der Logik (erstes Buch) wahrscheinlich schon erschienen, da die Vorrede mit dem 22. 3.1812 unterzeich- net ist und der Band zur Ostermesse erscheinen sollte.

Zum Vergleich betrug Hegels Gehalt als Rektor im Jahre 1811 monatlich 83 f und 20 c, also etwa 1000 Gulden im Jahr. Das Honorar machte also rücht ganz dreieinhalb Monatsgehälter aus. Der bereits berühmte JEAN PAUL bekam 1811 in einem Vertrag mit SCHRäG über das „Leben Fiebels" vier Louisdor pro Bogen, also das Vierfache.

3. Eine Budibestellung Hegels

Im September 1816 bestellte Hegel bei SCHRäG, der ja auch eine Buchhandlxmg betrieb, Bücher für die Gymnasialbibliothek. Die Preise sind von Hegel in Talern und Groschen angegeben; die Preise in Gulden sind bei jedem Buch von SCHRAGS Hand zugefügt (in der Reihenfolge der Bücher: f. 4.30; 14.22; 4.30; -.54; 3.36; 18.54; 2.45; 1.12; 9.54; 1.12; 61.51).

Bestellung für die Gymnasiums-Bibliothek dahier

Schillers 30 jähriger Krieg L[ei]pz[i]g 2 Th[a]ler 12 Gr[oschen] Göschen 1802.2 Th[ei]le

— Theater Tüb[ingen] Cotta 1805—8. 8 " — W[ei]ß[es] Dr[u]kp[apier]

— Geschichte des Abfalls der Niederlande L[ei]pz[ig] Vogel 1801. Schr[ei]bp[a]pier 2 " 12 "

** Vgl. den in Anm. 1 genaimten Aufsatz, 25 f. “ Briefe. Bd 4.108.

A. Sauer: Johann Leonhard Sdirag und Jean Paul. In: Euphorien. 2 (1895), 618.

14 HELMUT SCHNEIDER

Sdiütze J. S. Versuch über den Reim Magdeb[urg] Keil (Heiniidihofen) 1802 — 12

Sophokles v[on] Fähse übers [etzt] L[ei]pz[i]g Tauduiitz 1804—9

Thucydides v[on] Bauer et Bedk. L[ei]pz[i]g Sdiwikert II Tom[i] 1790—1804

Sdiallers Encyklopädie Magdeb[urg] Heinridihofen

Thiersdi griechische] Gramm[atik] des hom[erischen] u[nd] gem[einen] Dialekts L[ci]pz[i]g Fleischer 1812 — 16 "

Homer von Voß übers[etzt] Tüb[ingen] Cotta 1814 5 " 12 "

Thiersch Tabellen, Göttingen Dietrich — 16 "

1813

10 " 12

1 " 12

34 " 8 "

Königliches] Gymnas[ial] Rectorat Hegel

Die Rechnung SCHRAGS vom 26. September 1816 führt die von Hegel bestellten Bücher in gleicher Reihenfolge, aber mit den Preisangaben in Gulden imd Kreu- zern auf. Hegel wies die Rechmmg ohne Angabe von Gründen mit dem Vermerk zurück:

Als tmbrauchbar cassirt Kön[igliches] Gymnasial-Rectorat Nürnberg den 26[.] Sept[ember] 1816 Hegel

Statt der Rechmmg von SCHRäG wünschte Hegel die Verteilimg der Bücher auf zwei Rechnungen. Der Gnmd dürfte wohl in verwalhmgstedmischen Umstän- den bestanden haben, vielleicht durch Beschränkungen des Etats oder verschie- dene Etatposten. Die Preise gab Hegel jetzt in Gulden und Kreuzern an wie auf der Rechmmg von SCHRäG. Von den Büchern aus Hegels erster Bestellung kom- men vier Bücher in den von Hegel mit der Hand geschriebenen beiden neuen Rechnungsentwürfen aus unbekarmtem Gnmd rücht mehr vor. Dafür hat Hegel auf den ersten Rechmmgsentwurf vier andere Bücher gesetzt, die nicht auf seiner ersten Bestellung standen, sondern von denen zwei am 20. Oktober 1815 und zwei am 1. Juni 1816 bestellt worden waren.

Hegel und der Verlag Sdirag 15

Auf die eine Rechnung gehört

1815. Oct[ober] 20 [Gulden] [Kreuzer] Niebuhrs röm[ische] Geschidite II er Th[eil] 5 " 24 " Heerens Ideen 20 " 24 " 1816 Juni 1.

Jacobs Animadverjsiones] ad Anthjologiam] gr[aecam 31 " 30 " Voß mythol[ogisdie] Brieffe 3 " 18 " Homer von Voß 9 " 54 " Sophokles übers [etzt] v[on] Fähse 3 " 36 " Schillers Abfall der verein [igten] Nied[erlande] 4 " 30 "

dat[iert] 28 [.] Sept[ember] 78 " 36 "

auf die andere:

Schillers 30 jähr[iger] Krieg 4 " 30 " — Theater w[ei]ßdr[u]kp[apier] 14 " 24 " Schallers Encyklopädie 2 " 45

datirt 28[.] Sept[ember] 21 " 39

Die Buchstaben a und b auf den beiden Rechnungsentwürfen stammen wohl nicht von Hegel.

Man kann vermuten, daß Hegel diese Bücher beschafft hat, weil er sie für wertvoll hielt und selbst eine Beziehung zu ihnen hatte. Die Buchbestelltmg ist daher auch eine Aussage über Hegel. Auffällig ist der hohe Anteil der klassi- schen Phüologie imd Altertiunswissenschaft, deren Wertschätztmg durch Hegel in den Nürnberger Schulreden gerade für diese Zeit bezeugt ist. Aus ScmLiERS Geschichte des dreißigjährigen Krieges hatte Hegel in seiner Jugendzeit bereits Auszüge gemacht. Voss, THIERSCH und JACOBS kannte Hegel persönlich. Die Auseinandersetzung mit der Römischen Geschichte von NIEBUHR tritt immer wieder zutage. Der Einfluß von HEEREN, dem damaligen führenden Althistoriker, auf Hegels Geschichtsphilosophie wäre noch zu untersuchen. Die Buchtitel sind von Hegel meist abgekürzt, verändert oder aus dem Gedächtnis fehlerhaft an- gegeben. Hier folgt daher die Angabe der genauen Titel.

Schiller, Friedrich; Geschichte des dreißigjährigen Kriegs. Teil 1. Leipzig: G. J. Gö- schen 1802.

Schiller, Friedrich; Geschichte des dreißigjährigen Kriegs. TeU 2. Leipzig: G. J. Gö- schen 1802.

Theater von Schiller. 5 Bde. Tübingen: Cotta 1805—07.

K. Rosenkranz; Hegels Leben. Berlin 1844. 530--532. ” Vgl. zu Thiersch: H. Schneider; Neue Briefe aus Hegels Berliner Zeit. In: Hegel-

Studien. 7 (1972), 106—108; zu Jacobs: Briefe. Bd 1. 344.

16 HELMUT SCHNEIDER

Schiller, Friedrich; Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der Spanischen Regierung. Teil 1, Bd 1 u. 2. Leipzig: S. L. Crusius 1801.

Schütze, Johann Stephan: Versuch einer Theorie des Reims nach Inhalt und Form. Magdeburg: G. Ch. Keil 1802. (Hegels Verlagsangabe „Heinrichhofen" ist falsch.)

Sophokles Trauerspiele. Übersetzt von G.[ottfried] Fähse. 2 Bde. Leipzig: Tauchnitz 1804—09. (Bd 2 nicht selbst eingesehen, sondern nur bibliographisch festgestellt.)

0OYKYAIAOYTOYOAOPOY HEPI TOY nEAOnONNHSIAKOY HOAEMOY BIBAIA OKTQ. Thucydidis Olori Fil. De bello Peloponnesiaco Libri VIII. Ad edi- tionem Car. Andr. Dudceri ctun omnibus auctariis recusi accesserunt variae lectiones duorum codicum animadversiones Johannis Christophori Gottleberi. Coeptum opus perfecit suas notas adiecit indicem Dudceri et glossarium Gottleberi auxit Carolus Ludovicus Bauerus. [Bd 1] Lipsiae 1790. [Bd 2 mit gleichem Titelblatt bis:] Gottleberi, et Caroli Ludovici Baueri. Editionem absolvit Christian. Daniel Bedcius. Volumen secun- dum. Lipsiae: E. B. Schwickert 1804.

Schaller, Carl August: Encyclopädie und Methodologie der Wissenschaften bearbeitet zum Gebrauch für angehende Studirende und solche Freunde der Wissenschaften, wel- che eine gelehrte Bildung empfangen haben. Magdeburg: W. Heinrichshofen 1812.

Thiersch, Friedrich: Griechische Grammatik des gemeinen und Homerischen Dialects zum Gebrauch für Schulen. Leipzig: G. Fleischer 1812.

Homers Werke von Johann Heinrich Voss. 4. stark verbesserte Aufl. Stuttgart und Tübingen: Cotta 1814. Bd 1: Homers Ilias I.—XII. Gesang. Mit einer Karte von Troja. Bd 2: Homers Ilias XIII.—XXIV. Gesang. Bd 3: Homers Odyssee I.—XII. Gesang. Mit einer Homerischen Welttafel. Bd 4: Homers Odyssee XIII.—XXIV. Gesang. Mit einer Karte des Kefallenischen Reichs und einem Grundrisse vom Hause des Odysseus.

Thiersch, Friedrich: Tabellen enthaltend eine Methode das Griechische Paradigma einfacher und gründlich zu lehren. 3. verbesserte Auflage. Göttingen: H. Dieterich 1813.

Niebuhr, Barthold Georg; Römische Geschichte. 2 Teile. Berlin: Realschidbuchhand* lung 1811—12.

Heeren, Arnold Hermann Ludwig: Ideen Über die Politik, den Verkehr und den Handel der vornehmsten Völker der alten Welt. 2 Bde. Göttingen: Vandenhoek und Ruprecht 1793—96. 2. Aufl. 1804/05, 3. Aufl. 1815; ein dritter Teil erschien 1812 in 1. Aufl. (Hegel hat nicht angegeben, welche Auflage er meinte.)

Jacobs, Friedrich J.: Animadversiones in epigrammata anthologiae Graecae secun- dum ordinem analectorum Brunckii. Lipsiae: In BibliopoUo Dyckio 1798—1814. (3 Bde in 8 Einzelbänden, Kommentar zu Bd 1—5 [1794/95] des Gesamtwerks, gezählt als Bd 6—13 des Gesamtwerks.)

Voss, Johann Heinrich: Mythologische Briefe. 2 Bde. Königsberg: Nicolovius 1794.

4. Eine Anzeige des ersten Bandes der Logik

Die Anzeige findet sidi unter anderen Anzeigen am ScMufi des bei SCHRäG

anonym ersddenenen Buchs Betrachtungen über den gegenwärtigen Zustand der Philosophie in Deutschland überhaupt und über die Schellingische Philosophie im Besonderen. Nürnberg 1813. Verfasser des Buchs war nach dem Verlagskatalog **

S. oben Anm. 2.

Hegel und der Verlag Schräg 17

GEORG MICHAEL KLEIN. Die Anzeige bezieht sich der Überschrift nach auf Buch 1 und 2 des ersten Bandes.

Wenn bei der neueren Gestaltung der Philosophie die Logik hinter den übrigen Zweigen derselben an Ausbildung anerkannt zurück blieb, und sich höchstens mit einigen allgemeinen gehaltlosen Formeln abfinden lassen mußte — so bedarf das Verdienst eines Werkes keiner Empfehlung, dessen mit ARiSTOTELischem Scharfsinn durchgeführte Tendenz ist, die Logik zu einer ihrer hohen Bestimmung, so wie dem Geist einer zum Selbstbewußt- seyn erwachten Zeit angemeßenen Gestalt zu erheben, der Philosophie ihre zuvorschnell verbannten Mysterien in einer wahren geläuterten Meta- physik wieder zu geben, ihr das ihr eigenthümliche, von jeder andern Wis- senschaft unabhängige Prinzip und ihre eigene Methode zu sichern und der Vernunft ihr altes ewiges Recht als selbstständige Erzeugerin der Wahrheit aufs neue zu vindiciren.

GEORG MICHAEL KLEIN, 1776—1820, katholischer Geistlicher und Anhänger und Freund SCHELLINGS, wurde als Rektor des Gymnasiums in Würzburg mit Be- ginn der bayerischen Ära 1806 entlassen. 1808 wurde er Professor der philoso- phischen Vorbereitungswissenschaften am Lyzeum in Bamberg, 1818 Professor der Philosophie in Würzburg. Die Anzeige ist bereits einmal, allerdings ohne Herkunftsangabe, von F. MEYER abgedruckt worden. Er führte sie im wesent- lichen auf Hegel selbst als Autor zurück. Dafür gibt es jedoch nicht den gering- sten positiven Anhaltspimkt. Der Inhalt der Anzeige spricht nicht für eine Autorschaft Hegels. Kein Verfasser wird sich öffentlich selbst ARisrOTELischen Scharfsinn zuschreiben. Der Vergleich Hegels mit ARISTOTELES wurde zum ersten Mal 1810 von dem Hegelschüler BACHMANN gezogen in seiner Rezension der Phänomenologie des Geistes. Andererseits scheint die Anzeige auch nicht nur vom Verlag zu stammen, da sie eine gewandte und gelungene Zusammenfassung der Vorrede zur Logik darstellt und eine Vertrautheit mit Philosophie erkennen läßt. Nicht zuletzt muß man vielleicht auch an den Autor des Buches denken, also an KLEIN, den Hegel vielleicht auch persönlich gekannt hat. Hegel erwähnt ihn jedenfalls einmal in einem Brief aus Bamberg an NIETHAMMER vom 22.11. 1808. Er war in Bamberg in der gleichen Position tätig, wie Hegel sie in Nürnberg einnehmen sollte. Letztlich läßt sich die Verfasserfrage nicht mehr klä- ren. Man muß die Anzeige daher zu den Texten rechnen, die möglicherweise von Hegel stanunen. Eine denkbare Möglichkeit wäre auch, daß Hegel dem Verlag

In: Hegel-Archiv. Hrsg. v. G. Lasson. Bd 1, Heft 2. Leipzig 1912.17. “ Hegel; Phänomenologie des Geistes. Hrsg. v. J. Hoffmeister. 6. Aufl. Hamburg

1952. XU. « Briefe. Bd 1. 261.

18 HEtMirr SCHNEIDER

eine Vorlage für die Anzeige lieferte, die dieser dann frei gestaltete. In Frage käme audi der Jenaer Hegelsdiüler G. A. GABLER, der seit 1810 Gymnasiallehrer in Ansbadi und mit Hegel befreundet war.

EIN BLATT ZU H EG E L S VO R LE S U N G E N ÜBER LOGIK UND METAPHYSIK

Herausgegeben und erläutert von Friedrich Hogemann und Walter Jaeschke (Bochum)

Das hier mitgeteilte Notizenblatt Hegels zu seinen Vorlesungen über Logik und Metaphysik wurde erst vor kurzem in der Handschriftenabteilung der Staats- bibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin aufgefunden. Es gehört zu dem Kon- volut, das KARL HEGEL 1889 der Königlichen Bibliothek übergeben hatte. Dieses trägt die Akzessionsnummer acc. 1889.243 imd ist schon damals irrtümlich in den Nachlaß MORITZ HAUPT eingeordnet worden. Es wird heute als Kapsel 16 des Hegel-Nachlasses gezählt, zu deren Faszikel 1 das Blatt gehört.

Das Blatt besteht aus gelblichem Papier mit dem Wasserzeichen: Stadtwappen Memmingen mit den darunter gesetzten Buchstaben CH. ^ Der untere Rand ist nicht beschnitten. Das Blatt ist in der Mitte längsseitig gefaltet. Die einzelnen Seiten haben Quartformat; sie sind von der Bibliothek mit 21 a—22 b numeriert. Der im folgenden wiedergegebene Text befindet sich auf den Seiten 22 b und 21 a. S. 21 b enthält den Entwurf zu einem Gutachten; dieser Entwurf wird im nächsten Band der Hegel-Studien mitgeteilt werden. S. 22 a ist unbeschrieben. S. 21 a ist ganzseitig beschrieben; S. 22 b zu zwei Dritteln. Wegen der eigen- tümlichen Reihenfolge der Beschriftung des Blattes ist es nicht ausgeschlossen, daß das Blatt ursprünglich zur anderen Seite hin gefaltet war, so daß Hegel zu- nächst S. 22 b imd dann erst S. 21 a beschrieben hätte. Vom Inhalt her läßt sich keine eindeutige Reihenfolge ausmachen. Auch ist es nicht mit Sicherheit fest- zustellen, ob beide Blätter zu einer Vorlesimg gehören. Sollte dies jedoch der Fall sein, ist es wahrscheinlich, daß Hegel zuerst die Seite 22 b vorgetragen hat, da deren Thematik weiter gefaßt ist.

Die Notizen sind undatiert. Einen Hinweis zur Datienmg gibt das Gutachten auf S. 21 b; da zwei der erwähnten Studenten, RöSSEL tmd WIENS, von 1815— 1820 bzw. 1818—1821 in Berlin studiert haben, stammt das Gutachten sicherlich aus den Jahren 1818—1820. Damit ist die Datierung der Notizen zur Logik und Metaphysik freilich noch nicht gesichert. Ihr Inhalt läßt keinen exakten Rück- schluß auf die Zeit der Abfasstmg zu: die auf Blatt 21 a enthaltene Gliederung

^ Über diesen Fund hat Eva Ziesche als erste berichtet: Unbekannte Manuskripte aus der Jenaer und Nürnberger Zeit im Berliner Hegel-Nachlaß. In: Zeitschrift f. philoso- phische Forschimg. 29 (1975). Die vorangegangenen Bemerkungen zur Manuskriptge- schichte sowie die folgenden Hinweise zur Datierung des Gutachtens stützen sich auf diese Veröffentlichung. — Der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz danken wir für die Genehmigtmg zur Publikation.

20 FRIEDRICH HOGEMANN / WALTER JAESCHKE

sdiließt lediglich eine Zuordnung zur Jenaer oder zur frühen Nürnberger Zeit mit Sidierheit aus. Das Blatt läßt sich nicht eindeutig einer von Hegels Vorlesungen über Logik und Metaphysik zuordnen, da Hegel bereits in Heidelberg und in je- dem Sommer in Berlin über dieses Thema gelesen hat. Von dieser reichen Vorlesungstätigkeit sind leider nur zwei Nachschriften gegenwärtig bekannt: die eine aus dem Sommersemester 1823 von HEINRICH GUSTAV HOTHO, die andere aus dem Jahre 1831 von KARL HEGEL. Beide Nachschriften enthalten jedoch keine literarische Beziehung zu den im folgenden veröffentlichten Notizen. Diese ähneln in Charakter und Inhalt den von H. SCHINEIDER herausgegebenen „Unver- öffentlichten Vorlesungsmanuskripten Hegels" aus den Hegel-Manuskripten der Houghton-Library der Harvard-Universität und mehr noch den von R. P. HORSTMANN und J. H. TREDE aus dem Berliner Hegel-Nachlaß veröffentlichten „Blättern zu Hegels Berliner Logikvorlesungen" aus den Jahren 1828—1831. ® Anders als bei diesen Blättern läßt sich jedoch bei dem hier veröffentlichten Blatt im wesentlichen nur eine vage thematische Übereinstimmung mit den einleiten- den Texten der verschiedenen Fassungen von Hegels Enzyklopädie feststellen. Auch aus den beiden Anspielungen auf C. J. H. WINDISCHMANN ist die Datierung der Notizen nicht zu erschließen, da deren Charakter sehr allgemein gehalten ist und die Verbindung Hegels mit WINDISCHMANN zwei Jahrzehnte gedauert hat. — Hegel stand seit 1810 mit WINDISCHMANN in Briefwechsel. 1822 hat er ihn in Bonn besucht. Aus ihren Briefen geht hervor, daß WINDISCHMANN im Oktober 1823 seine Abhandlung Über etwas, was der Heilkunst notthut; ein Versuch zur Vereinigung dieser Kunst mit der Philosophie (Leipzig 1824) Hegel übersandt und dieser im Frühjahr 1824 hierauf geantwortet und das Buch im Sommer- semester 1825 in seiner Vorlesung über „Anthropologie und Psychologie" lo- bend erwähnt hat. Ferner hat WINDISCHMANN im Sommer 1825 Hegel die mit seinen Beilagen versehene Übersetzimg von DE MAISTRES Soirees de Saint- Petersbourg überbringen lassen. In Beilage V geht er ausführlich auf Hegels Wissenschaft der Logik ein. Aber noch in der Vorlesung über „Philosophie der Weltgeschichte" (Wintersemester 1828/29) hat Hegel WINDISCHMANN erwähnt, wenn auch in anderem Zusammenhang, so daß die Nennung WINDISCHMANNS

keinen eindeutigen Hinweis auf die Datierung geben kann. Das Blatt ist mit kleiner, schwer leserlicher Schrift eng beschrieben. Es hat

insgesamt notizenartigen Charakter. Hegel bedient sich dabei des Mittels, Stich- punkte einander entgegenzusetzen (vgl. z. B. S. 22 b: „Form der Wahrhjeit] — Metaphjysik] Inhalt"). Es enthält keinen fortlaufenden Text, sondern nur wenige durchgehende Zeilen, hauptsächlich aber mehrere aus Stichpunkten be- stehende Abschnitte auf der rechten oder linken Seitenhälfte, deren Zusammen- hang nicht immer zweifelsfrei festzustellen ist. In der Mitte von S. 21 a und im unteren, sonst unbeschriebenen Drittel von S. 22 b befindet sich je eine kurze.

* Vgl. Hegel-Studien. 7 (1972), 9—59 bzw. 61—79.

Ein Blatt zu Hegels Logik-Vorlesungen 21

nidit vollständig entzifferbare Berechnung, die in keinem Zusammenhang mit dem Text steht und deshalb hier nidit wiedergegeben wird. Der Text auf S. 21 a enthält mehrere Gliederungen nach lateinischen und griechischen Buchstaben, die jedoch nicht konsequent durchgeführt sind und teilweise erst nachträglich einge- sdioben zu sein scheinen. Dem ursprünglichen Text sind mehrere nachträgliche Erweiterungen zugefügt, teils zwischen den Zeilen, teils an den Absatzenden. — In Anlehnung an die bisherigen Editionen in den Hegel-Studien werden bei der Edition des Blattes folgende Regeln beachtet: nicht integrierbare Notizen, die den Charakter von Randbemerkungen tragen, werden als Fußnoten mitgeteilt. Abkürzungen werden aufgelöst, die Ergänzungen in eckige Klammem gesetzt. Dabei entfallen die Abkürzungspunkte. Allgemein übliche Abkürzimgen werden beibehalten. Ausgelassene Buchstaben werden in eckigen Klammem ergänzt, mit Ausnahme des einzelnen e. Von Hegel allgemein verwendete Kürzel werden stillschweigend aufgelöst. Streichungen werden mitgeteilt, ausgenommen Strei- chungen von Ansätzen zu unleserlichen Buchstaben. Einfache Unterstreichxmg wird durch Kursive, doppelte durch Sperrung hervorgehoben. Wörtern, die nicht eindeutig zu entziffern sind, wird ein kursives eingeklammertes Frage- zeichen nachgestellt.

Blatt 22 b

Diese Vorl[esung] der Logik u[nd] Metaphys[ik] bestimmt — beydes vereinigt

Instrum[ent] der Wahrheit — diese d[ie] concrete Wahrh[ei]t selbst — Räthsel der Welt

Form der Wahrh[eit —] Geseze, Regeln des Denkens Vorausgesezte durch Denken — Metaph[ysik] Inhalt

Fragen die d[as] Herz u[nd] Geist des Menschen beschäftigen — was ist meine Bestimmung, d[as] Wesen der aüsseren Natur — des

Geistes — noch was Anderes bedeutet — In diesen Wankenden, Veränderlichen Vorübergehenden das Feste? der Mensch verliert bald den Glauben an d[ie] unm[ittelbare] Welt geht

in sich erhebt sich in d[ie] unsichtb[aren] Regionen und zwar, begründetes, vern[ünftiges] Wissen durch Denken — nicht

bloße Gewißheit — D[ie] ^ Relpgion] bietet d[ie] Auflöstmg dieser Fragen dar — nicht be-

friedigt ihr Glauben — Autorität — Inhalt — Form der Wahrh[ei]t — an welcher

ein Theil der Menschen gebtmden bleiben muß

* Links am Rande: Gemeinschaftliche Voraussetzungen

22 FRIEDRICH HOGEMANN / WAETER JAESCHKE

Durdi Denken — wie Logik — nicht sinnliche Wahrh[ei]t gemeinschaftliche Voraussetzung Rel[igion] wie Musik, Genuß, Töne — Zjihlenverh[ältniß] derselben

Propheten, Poesie — Glaübiges ® Aufnehmen Wahrh[ei]t nicht erkennen, Geist u[nd] Form zerschlagen; — Fran-

z[ösische] R[evolution] Staatsform zerschlagen *, — verschiedenes versucht — lassen den Muth

sinken ergeben uns in unser Sdüksal d[ie] Morgenröthe die eben darunter anbricht. denn es ist ein höherer Geist der drunter lieg[t] — s[eine] Rinde zer-

brochen — auf den Trümmern verweilen — den Blik darauf festhalten — Jammern * u[nd] Wehklagen — die Krafft die diß Morsche zerbrochen nicht ein Negatives — sondern lebendige Kraft Stürzen ins thierische Leben es wäre eine Lüge wenn — oder positiver ® davon (?) — Unüberwindlich Die® Principien, die zu diesen Res [ultaten] führen, müssen innerh[alb]

der Philos [ophie] selbst enthalten seyn zum Vorschein kommen meine grössere Logik

Blatt 21 a

Logik d[ie] Wissensch[aft] des Allg[em]ein[en] im Erk[ennen] wie in den Dingen ’’ a.) nat[ürliche] Logik — natürliche Metaphys[ik] Sinnliche Anschauung u[nd] Vorst[ellung] ®

Zeitlich u[nd] R[äum]lich — sonstige im [endlich] vielfache Einzelnheit Farben — Formen

‘ Gläubiges] Gläubiges * Links am Rande: So weit haben wir's gebracht — Da haben wir es denn weit ge-

bracht — * Links davon: Verzweiflung ® positiver] prositiver * Links darüber: nicht neben an liegen lassen — ’’ Über der Zeile: Durchziehen Alles — Leben u[nd] Wesen — ® Unter der Zeile: nat[ürliches] Denken, wie Verdauen aber eigenthümliche Natur

des Geistes

Ein Blatt zu Hegels Logik-Vorlesungen 23

NaturGestalten — aüssre Natur — [im] G[eist]e innre Gefühle ebenso maxmidif[altig] Mitleiden — Redit gesellige] Neigungen reli-

giöses] Gef[ühl] in diesen Individuen] ® sol. (?) Willkühr kann Gewalt den Gesezen des Org[anis]m[us] anthtm nicht

s[eine]r Natur, sondern v e r n [ü nf t i ge] S[u]b[jectivitä]t — a in Allem diesem Idt einfach — erhalten mich mir gleich un [endlich] anderer ErfüUtmg

ß.) nicht nur, sondern auch am Inh[alt] zeigen sich allg[emein]e Bestim- mungen — durchzuken denselben —

a) [Das] Allg[em]eine als solches Refl[exion] ob aus Beobachtung

b. ) Das Bewußts[eyn] dieses Allg[emeinen] gibt d[ie] Logik der Re- flexion]

Regeln, Gesetze — Spcmische Stiefel Hier in dieser Trennung — vom Concreten — Fragen nach Wahrheit — Formell kommt dann auf den Inhalt an; Frage wie verhält sich d[as] Allg[e-

mein]e zum Bes[onderen] — Wahrh[ei]t Identität] nicht vorst[ellen] u[nd] aüssere[r] Gegenstand Übereinst[immtmg] [mit]

sinnlichen itzigen, hierartigen Geg[en]s[tän]den an sich allg[emeines] bes[onderes] ins Allg[em]eine aufgenommen

c. ) vernünftige] Logik, — concret in sich selbst —

b. ) a Allg[emeines] als Thät[igkeit] des Gdstes wesentlich Produciren — nicht gegeben [es] — Empfangen, Auf nehmen. — Denken

a.) besonderes Verm[ögen]

ß. Ich, Anschauung Vorstellung u. s. f.

Habe doch gar nichts gedacht.

ß Subj[ective] Thät[igkeit] — gegen Obiec]t[i]ve — “ vern[ünftige] Formen — draussen ein Anderes

y.) Einheit des subj[ectiven] u[nd] obj[ectiven]

c. ) ob das Allg[emeine] im Erk[ermen] — auch wahrh[aft] das Allg[e- nj]eine — nemlich in den Dingen ist —

Idee — das Absol[ute] Wissenschaft

* in diesen Individuen]] vielleicht zu lesen; in diesem Individuum] *<* Rechts davon; — Natur des Erk[ennens] Wissens — JnstrMmentalphilos[ophie]

Mittel der Wahr[hei]t — nicht W[ahrheit] in sich selbst — Form

24 FRIEDRICH HOGEMANN / WALTER JAESCHKE

c.) Denken — Endliche Besdiränktheit, — täuschen [—] Müßen ihre Natur kennen lernen

Diß Allg[em]eine ist nun abstract — Zwey[er]ley Bedeutungen des Lo- g[ischenj Allg[emeinen] wie Lebenserfahrung

Gegenstoß, Windischmann, Denken ist allg[em]eines Element, gegen Willen — Wirklichk[ei]t —

Kraft meines Willens, in m[einem] Willen liegt Alles — ich weiß mich in mir unendlich — kann keiner überwälti[g]en

— eben diß abstr[acte] Denken meiner selbst — Windischmann — Aufgeben s[ein]er besonderen S[u]b[jectivi]tät —

Gott wirken lassen — negativ gegen s[eine] Einfälle Vern[unft] u[nd] Nothwend[igkeit] in sich gewähren lassen. 3 Th[eil]e — Begr[iff]

a) Qualit[ät] ß. Quantität] Refl[exion] Wesen, ein- Exist[enz] u[nd] fache Bestimmimgen Erscheinung Begriff Object

Obj[ectivi]tät des Denkens — (Bußartig) die Sache in sich gewähren lassen — Gott wirkt in uns Zwey Strömungen

a.) die Thätigkeit produciren — S[u]b[jectivi]tät — von mir gesezt

ß.) diß Thät[ige] ist d[ie] Negation

Logik Idee in Form des Gedankens Angewandte Logik ist Philos [ophie] des Geistes — Logik Wissensch[aft] System, Ganzes — sonst alles Willkühr Sonntagskinder — sich selbst geben Willkühr, Abstraction des Willens; er in s[einem] Denken Willkühr** Zweck — besondre Wissensch[aft] zum Zwecke

a. ) Räsonnir[endes] Bew[u]ßts[eyn]

b. ) philos[ophisches] a.) unm[ittelbare1 Thats[ache](?) des Bew[uß]t- s[eyns] Wissen Gefühl — Glaube

Wenn nun in Relpgion] Staat Gesezen, Sitten sogen [annten] allg[em] einen Menschenverstand

Begriff] Begriff Begriff ** Object] object “ Darunter: Versicherung — u[nd] Nothwendigkei[f] Gewißheit u[nd] Wahrh[ei]t —

y.) Maß — Wirklichk[ei]t — Verh[ältnis] in sich Idee —

Ein Blatt zu Hegels Logik-Vorlesungen 25

was zu wissen noth, für alle Bedürfn[isse] des Geistes, ihre Antwort — gegeben

kehrt (?) zuriik unsere eigene Einsicht nicht ein fremdes, gegebenes — sondern unser Gefühl, Relig[ion] Zu-

stimmung

a) ein eigenthümliches in uns

b. Einsicht — Gründe, Nothw[endigkeit] letzte Vorauss[etzung] (?) bis

auf einen gewissen Grad

c. ) letzten Gründe — letzte Form hier verschwindet aller Boden — aller Halt

Hegel hat seinen Berliner Vorlesungen über Logik und Metaphysik in den frühe- ren Jahren den Logik-Abschnitt der Heidelberger Enzyklopädie, in den späteren den der Enzyklopädie von 1827 bzw. 1830 zugrundegelegt. In jeder der drei Fas- sungen der Enzyklopädie geht dem Abschnitt über Logik eine Einleitung voraus (HEnz §§ 1—11 bzw. Enz §§ 1—18), die jedoch keine Einleitung in die Logik, sondern in die gesamte Enzyklopädie ist. Die spezielle Einleitung in die Logik bildet der „Vorbegriff" (HEnz §§ 12—37 bzw. Enz §§ 19—25). Wenn Hegel ledig- lich über Logik und Metaphysik las, hat er diese allgemeine Einleitung zur Enzyklopädie nicht vorgetragen; er hat sich jedoch nicht damit begnügt, mit dem „Vorbegriff" der Logik zu beginnen, sondern diesem einige einführende Bemerkungen vorausgeschickt. Einen Beleg hierfür bietet die Nachschrift zur Vorlesung über Logik und Metaphysik von HOTHO. Im Unterschied zu den von HORSTMANN und TREDE veröffentlichten „Blättern", die sich mehr auf den „Vorbegriff" beziehen, formulieren die hier mitgeteilten Notizen ein Konzept primär für die einführenden Bemerkungen. Es lassen sich aber auch Bezüge zur allgemeinen Einleitung und, wenn auch in geringerem Maße, zum „Vorbegriff" der Enzyklopädie feststellen. Diese Beziehungen sind jedoch nicht so augenfällig wie bei den „Blättern"; die Übereinstimmung liegt mehr im Thematischen. Auch besteht keine Parallelität zwischen dem Gang der Notizen und den Enzyklopädie- Paragraphen. Eine strenge Entsprechung ist jedoch bei dem Zweck der Notizen, den Text der Enzyklopädie für den Vortrag zu ergänzen, auch nicht zu erwarten.

Gering ist die Anzahl der Bezüge zur Heidelberger Enzyklopädie; bereits die Religion biete die „Auflösung dieser Fragen", die das Herz und den Geist des Menschen beschäftigen (22 b; vgl. HEnz § 3). An anderer Stelle betont Hegel, daß die „Logik Wissens(h[aft] System, Ganzes" sein müsse — alles andere wäre „Willkühr" (21 a; vgl. HEnz § 7 und Enz § 14). Er bestimmt die Logik als ,,Wissensdt[aft] des Allg[em]ein[en]" tmd grenzt ihre Form des Erkennens ge- gen „Siimliche Anschauung u[nd] Vorst[elltmg]" ab (21 a; vgl. HEnz § 12 und Enz § 19). Er verwirft eine Auffassung der Logik, die diese nur als ,,Instrum[ent]

“ Links darunter: Freyheit. un[endlidie] Thats[ache]

26 FRIEDRICH HOGEMAIW / WALTER JAESCHKE

der Wahrheit" oder „Form der Wahrh[eit]" betrachtet und nicht als die „concre- te Wahrh[ei]t selbst" (22 b; vgl. HEnz § 12 und Enz § 19). — Darüber hinaus finden sich Bezüge zu der Enzyklopädie von 1827 bzw. 1830 sowie zu den Zusätzen, die LEOPOLD VON HENNING der Enzyklopädie von 1830 in der Freun- desvereinsausgabe aus Vorlesungsnachschriften verschiedener Jahre zugefügt hat. Das wissenschaftliche Erkennen der Logik unterscheidet Hegel vom natür- lichen Denken, das der Mensch ebensowenig zu lernen brauche wie das „Ver- dauen" (21 a; vgl. Enz § 2; § 19 Zusatz 2), an anderer Stelle vom „Räson- nirjenden] Bew[u]ßts[eyn]" und vom „unm[ittelbaren] ... Wissen" (21 a; vgl. Enz § 12). Die Logik gebe nicht nur „Geseze, Regeln des Denkens" (22 b, ähn- lich 21 a; vgl. Enz § 20 Zus.), sie sei nicht nur ,,Instrumentalphilos[ophie]" (21 a, ähnlich 22b; vgl. Enz § 20 Zus.: „ Instrumentallogik"), sondern „W[ahr- heit] in sich selbst" (21 a; vgl. Enz § 21). Das Denken sei das ,,Allg[emeine] als Thät[igkeif] des Geistes" (21 a; vgl. Enz § 20). Der Gang der Logik als des begreifenden Denkens dürfe keine „Versicherung" gelten lassen, sondern müsse den Inhalt nach seiner eigenen ,,Nothwendigkei[t]" entwickeln (21 a; vgl. Enz § 1)-

Nur für sich genommen bleiben die Stichworte des Notizenblattes nicht selten interpretationsbedürftig. So erhellt der Sinn der Formulierxmg „Habe doch gar nichts gedacht" (21 a) erst aus der weiter ausgeführten Formulierung in den von HORSTMANN und TREDE veröffentlichten „Blättern": „Denke ich so bin ich, habe doch wahrl[ich] nichts gedacht Drüdce d[ie] Allgemeinheit Allem auf" (S. 72). Auch gilt es zu beachten, daß Hegel in seinen Stichpunkten gelegentlich nicht eigene Positionen wiedergibt, sondern solche, die seiner Philosophie entgegenge- setzt sind und die er im Vortrag widerlegen will, — so das Mißverständnis, als biete die Logik lediglich „Regeln, Gesetze — Spanische Stiefel" (21 a), als stelle die Logik nur das ,,Instrum[ent] der Wahrheit", dagegen die Metaphysik die ,,Wahrh[ei]t selbst" (22 b) dar.

Im Gegensatz zur Enzyklopädie geht Hegel hier wie auch in anderen Vorle- sungsentwürfen ausführlich auf die geistigen und politischen Auseinandersetzun- gen seiner Zeit ein. Den Zusammenhang zwischen geistigen und politischen Um- wälzungen, den er in seinen Vorlesungen nur am Verhältnis von Philosophie und Polis in Griechenland erläutert, bezieht er hier auf das Denken seiner Zeit und die Französische Revolution („Wahrh[ei]t nicht erkennen, Geist u[nd] Form zerschlagen" — „Staatsform zerschlagen"). „Die Principien, die zu diesen Re- s [ultaten] führen, müssen innerh[alb] der Philos [ophie] selbst enthalten seyn" (22 b; vgl. Enz § 19 Zus. 3). Abgesehen von diesem Zeitbezug fügt das Blatt den vergleichbaren Paragraphen und Zusätzen der Enzyklopädie inhaltlich wenig Neues hinzu. Es bietet aber einen willkommenen Einblidc in die Art und Wei- se, wie Hegel bei der Vorbereitung seiner Kollegien vom Text der Enzyklopädie ausgeht und ihn in Notizen für einen freien Vortrag ausgestaltet. Es steht zu hoffen, daß durch das Auffinden weiterer KoUegnachschriften der Einblick in Hegels Vortragstechnik bestätigt und vertieft werden kann.

EIN BRIEF HEGELS AN CARL SCHALL

Mitgeteilt von Helmut Schneider (Bochum)

Sdiönen guten Morgen!

Idi bin so frey anzufragen, ob Sie morgen Abend mir das Vergnügen machen wollen, bey mir zuzubringen; um ein cordiales Zusammenseyn auf keine Weise durch Gedanken zu stören, will ich meine [?] Freunde ohne SAPHIR dazu bitten — Mit der Bitte um gefällige Antwort

Ihr ergebenster

Hegel 12/6 [18] 26

An Herrn Carl SCHALL

Wohlgebohren im König v[on] Portugall —

Der einseitig beschriebene Brief im Format 22 (Höhe) mal 13 (Breite) can wurde 1975 bei der Autographenhandlung STARGARDT in Marburg vom Hegel-Archiv erworben. Auf der ersten Seite des gefalteten Blattes steht der Text, auf der vierten Seite die Adresse. Die zweite und dritte Seite sind unbeschrieben. Der Brief stammt aus der Autographensammlung von AUGUST KAHLERT, einem schlesischen Dichter und Musikkritiker (1807—1864), der den Brief von SCHALL

für seine Autographensammlung bekam. ‘ Der von Hegel eingeladene CARL SCHALL (1780—1833) aus Breslau war als

Lustspieldichter bekannt. ® Seine meist mittelmäßigen Stücke wurden in Berlin

* Autographen aus allen Gebieten. Auktion am 2. und 3. Dezember 1975 in Mar- burg. Katalog 606 J. A. Stargardt. Nr 201. Der Brief ist fehlerhaft bereits gedruckt in: Carl Schall's nachgelassene Reime und Räthsel nebst des Dichters Lebenslauf. Hrsg. v. A. Kahlert. Breslau 1849. 29. Da diese Veröffentlichung in der Hegelfor- schung bisher nicht bekaimt war, wurde der Brief im Katalog als ungedruckt aus- gegeben.

* Zur Biographie imd Bibliographie vgl. K. Goedeke: Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung. Bd 9. 2. Aufl. Dresden 1910. 483—491.

28 HELMUT SCHNEIDER

häufig auf geführt. Er kam im Mai 1826 nach Berlin und lebte mehrere Jahre dort. Sein Aufenthalt im „König von Portugall", einem Gasthof in der Burg- straße, deutet darauf hin, daß er noch keine Wohnung in Berlin hatte. Der Ausschluß SAPHIRS von der Einladung erklärt sich aus der Feindschaft zwischen SCHALL und SAPHIR. Vor einem geplanten Duell mit Pistolen zwischen SCHALL

und SAPHIR konnte Hegel als Freund SAPHIRS zwischen beiden vermitteln, so daß das Duell nicht ausgetragen wurde. ® SCHALL war ein Mann des heiteren Lebensgenusses und als besonders lebenslustig bekannt. In Breslau hatte er die Neue Breslauer Zeitung (1820) gegründet. Mit HOLTEI und F. BARTH gab er Deutsche Blätter für Poesie, Litteratur, Kunst und Theater heraus (1823). Un- bekannt ist, wann und wodurch SCHALL mit Hegel bekannt wurde. Auffallend ist jedoch die enge Beziehung Hegels zu seinen Schülern in Breslau; vielleicht kam der Kontakt mit SCHALL auf diesem Wege zustande. Schüler Hegels in Breslau, mit denen er korrespondierte, waren HINRICHS (1822—24 in Breslau), J. F. ABEGG (seit 1826 in Breslau), CAROvi (1819/20 in Breslau). Bereits aus dem Jahr 1819 ist ein Brief an Hegel aus Breslau von einem unbekannten Schrei- ber bezeugt. *

MORITZ GOTTLIEB SAPHIR (1795—1858), geboren in Ungarn, war Jude und lebte von 1822—1825 in Wien als Schriftsteller und Theaterkritiker. ® Er kam 1825 nach Berlin. Neben anderen Journalen gab er die Berliner Schnellpost für Literatur, Theater und Geselligkeit (4 Bde 1826—1829) heraus, in der Hegel 1826 anonym eine Antikritik von RAUPACHS Lustspiel Die Bekehrten erscheinen ließ. * Sowohl in. Wien als auch Berlin und später in München führte SAPHIRS

Auftreten zu literarischen Fehden und Skandalen. Sein Nachlaß wurde nach einer Mitteilung von WURZBACH ’’ von dem Dichter FRIEDRICH HEBBEL betreut. Bisher konnte der Nachlaß nicht aufgefunden werden.

* Berichte darüber bei Holtei und Laube, vgl. G. Nicolin: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hambiug 1970. 296, 537.

* G. Nicolin: Verlorenes aus Hegels Briefwechsel. In: Hegel-Studien. 3 (1965), 94. ® Zur Biographie und Bibliographie vgl. K. Goedeke: Grundriß. 152—169; C. v.

Wurzbach: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, enthaltend die Le- bensskizzen der denkwürdigen Personen, welche seit 1750 in den österreichischen Kronländern geboren wurden oder darin gewirkt haben. Teil 28. Wien 1874. 213—232.

* Hegel: Berliner Schriften 1818—1831. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Hamburg 1956. 451-460.

^ Vgl. Wurzbach (Anm. 5). 221.

FRIEDHELM NICOLIN (BONN)

AUS DER ÜBERLIEFERUNGS- UND DISKUSSIONSGESCHICHTE

DES ÄLTESTEN SYSTEMPROGRAMMS

1. In der Diskussion um die Verfasserschaft des „ältesten Systempro- gramms des deutschen Idealismus” hat von Anfang an der Überlieferungs- weg, den dieses Manuskript Hegels genommen hat, eine besondere Rolle gespielt — nicht nur als Problemfrage der Forsdiung, die sich hier Hin- weise 2ur Autorschaft erhoffte, sondern auch als historisdies Faktum, das seinerseits die Möglichkeiten der Forschung beeinflußte.

Eine sehr wichtige Teilfrage hat jüngst DIETER HENRICH aufklären kön- nen. ^ Bekanntlich hat FRANZ ROSENZWEIG, der den Text 1917 erstmals her- ausgab und ihn zugleich für SCHELLING als Urheber beanspruchte, bei der Auktionsfirma LIEPMANNSSOHN nichts über die Herkunft des Autographs erfahren können. HENRICH konnte nun bei der Londoner Nachfolgefirma von LIEPMANNSSOHN das Handexemplar des Katalogs zu der 1913 statt- gehabten Versteigerung ausfindig machen. Darin findet sich zu den aus- gedruckten Angaben über das Blatt die handschriftliche Ergänzung: „Aus FRIEDRICH FöRSTERS Nachlaß."

Schon vor einigen Jahren konnte ich belegen, daß „der ganze schriftliche Nachlaß" Hegels zuerst in Händen FöRSTERS war. ^ So führt HENRICH mit Recht aus, daß der Nachweis der Herkunft des Hegelschen Manuskripts aus FöRSTERS Nachlaß zugleich wahrscheinlich macht, daß es sich beim Tode des Philosophen unter dessen eigenen Papieren befunden hat. Er- gänzend sei hier noch folgendes angemerkt: Wenn davon ausgegangen werden kann, daß Hegels Nachlaß schon bald nach seinem Tode für die Arbeiten an der Gesamtausgabe zu FöRSTER gegeben wurde, so hat es andererseits den sicheren Anschein, daß er bis 1840 dort verblieb, näm-

c D. Henridi; Aufklärung der Herkunft des Manuskriptes „Das älteste Systempro- gramm des deutschen Idealismus". In: Zeitsdirift f. philosophische Forschung. 30 (1976), 510—528. Herr Henrich hatte mir vorab ein Typoskript seiner Abhandlung überlassen, sodaß ich sie in dieser gleichzeitig zum Druck gegebenen Arbeit schon berücksichtigen kotmte; dafür sei herzlich gedankt.

* Karl Hegel an Kuno Fisdier. Sieben Briefe, mitgeteilt von F. Nicolin. In: Hegel- Studien. 6 (1971), 54—64. Vgl. dort: 59.

30 FRIEDHELM NICOUN

lidi bis zur Übersendung des ganzen Materials an KARL ROSENKRANZ nach Königsberg. ® Im Jahre 1838 jedenfalls, als ROSENKRANZ in Berlin war imd bei der Familie Hegels die Manuskripte und nachgeschriebenen Hefte zum Nürnberger Gymnasialunterricht kennenlemte und für eine Edition in Empfang nahm, gewann er nach eigenem Zeugnis den Eindruck, diese Papiere seien der einzige Bestand noch unveröffentlichter Arbeiten Hegels; von dem übrigen Nachlaß ist ihm also damals nichts bekanntgeworden. In den Briefen, die ROSENKRANZ während der Vorbereitung und Abfassung von Hegels Leben an dessen Sohn KARL schrieb, erwähnt er vielerlei Ein- zelheiten über die ihm zur Verfügung stehenden Quellenmaterialien. Ir- gendein Hinweis auf das Systemprogramm findet sich nicht. Dieser Um- stand wie auch die Tatsache, daß die Biographie keinerlei Zitat cxier Re- ferat daraus aufweist, muß doch auffallen, wenn man sich vor Augen hält, wie sehr ROSENKRANZ an solch programmatischen Texten des jüngeren Hegel und im Zusammenhang damit an der Abhebimg Hegels von SCHEL-

LiNG * interessiert war. Es ist daher anzimehmen, daß ROSENKRANZ das Manuskript weder zur Hand hatte noch irgendwie von ihm wußte. Dies würde bedeuten, daß FöRSTER es schon damals — mit oder ohne besondere Absicht — bei sich behalten hat (denn KARL HEGEL war seinerseits sehr bemüht, ROSENKRANZ die vorhandenen Unterlagen so vollständig wie mög- lich zu übergeben). In unmittelbare Nachbarschaft hierzu gehört es, daß der Biograph die Briefe HöLDERLINS an Hegel, nach denen er ausdrücklich verlangt hat, nicht erhielt, imd daß eben diese Briefe später von CHRISTOPH

TH. SCHWAB bei FöRSTER benutzt und endlich durch eine Erbin FöRSTERS

an JOHANNES BRAHMS gegeben wurden. * So mag man die von HENRICH

beschworene Imagination, daß FRIEDRICH FöRSTER das Systemprogramm in

’ Zum folgenden vgl. im ganzen meine im Satz befindliche, durch hinzutretendes Quellenmaterial mehrfach in ihrem Erscheinen verzögerte Arbeit: Karl Rosenkranz als Herausgeber und Biograph Hegels. (Hegel-Studien. Beiheft 7.) In dem dort als Nr 13 mitgeteilten Brief vom 20. 6. 1840 schreibt Rosenkranz an Karl Hegel: „Ich begreife nicht, wie die Papiere, die Sie mir übersandt haben, so lange unbenutzt haben liegen können. Durch eine seltene Gunst habe ich mich durch die Propädeutik ohne Ahnung derselben durcharbeiten müssen und sehe daher Alles viel klarer." Und später, nach Erhalt weiterer Teile des Nachlasses (Brief 18, vom 23. 1. 1841): „Hätte ich von all diesen Schätzen eine Ahntmg gehabt, so gestehe ich, die Mühe von vorigem Winter nicht auf die Propädeutik gewandt zu haben. Aber ich hielt sie ja für den einzigen Rest!"

* Vgl. auch die Vorlesungen, die Rosenkranz während seiner Arbeit an der Hegel- Biographie (im Sommer 1842) hielt und noch vor dieser veröffentlichte: K. Rosen- kranz: Sdtelling. Danzig 1843 (Nachdr. Aalen 1969).

® Vgl. Katalog der Hölderlin-Handsdiriften. Bearbeitet von J. Autenrieth und A. Kelletat. Stuttgart 1961. (Veröffentlichungen des Hölderlin-Archivs. 3.) 123.