Heine-Schumann-Kongress...In der Tradition der Romantik, die der Malerei die Literatur als Kunst der...

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1 Heine-Schumann-Kongress Abstracts Sektion IA: Lebens- und Wirkungsräume Michael Werner (Paris): Kulturbetrieb und Virtuosentum. Zu einigen Strukturveränderungen im Pariser Musikleben der Julimonarchie Der Vortrag behandelt einige grundlegende Strukturveränderungen, die das Pariser Musikleben der Julimonarchie durchziehen: Aufwertung der Instrumentalmusik bei gleichzeitiger Ausformung der großen französischen Oper, erstmalige Ausbildung eines musikalischen Kanons, Spannung zwischen Internationalisierung des Musikbetriebs und Nationalisierung der Musikauffassungen. Auf sozialgeschichtlicher Ebene entspricht dieser Entwicklung die Einrichtung von Konzertsälen, die Ausbreitung des Virtuosentums, die wachsende Mobilität der Musiker, die Spezialisierung der Musikkritik, die Differenzierung des Publikums und eine Akzentuierung des Verhältnisses von Musik und Politik. Heine hat auf diese Veränderungen hellsichtig und sensibel reagiert und sie kommentiert. Klaus W. Niemöller (Köln): Heine und die Pariser Klaviervirtuosen Paris wurde zwischen 1830 und 1848 zu einem Mekka der europäischen Klaviervirtuosen. Namentlich der sensationelle Auftritt von Paganini leitete in der Geschichte des Virtuosentums ein neues Kapitel ein, dessen Erfolg durch technische Errungenschaften im Klavierbau ermöglicht wurde. Liszt wurde zu seiner Laufbahn durch Paganini inspiriert, Heine berichtete darüber. Er hat so die Entwicklung erlebt und publizistisch begleitet. Es war eine Phalanx von über 30 Klaviervirtuosen, die in den privaten Salons und öffentlichen Sälen wie den Conversatoires, dem Théâtre italienne sowie den Konzertsälen der Klavierbaufirmen Erard und Pleyel auftraten und miteinander konkurrierten. Unter den Ausländern sind die Künstler aus Deutschland und Österreich besonders zahlreich vertreten. Sie traten teilweise gemeinsam auf und waren z.T. durch echte Freundschaften verbunden. So spielte Chopin bei seinem ersten Auftritt 1832 mit Kalkbrenner dessen Grand Polonaise, begleitet von vier weiteren Pianisten; Hiller, Osborne, Sowinsky und Stamaty. 1833 spielten Chopin, Liszt und Hiller Bachs Konzert für drei Klaviere. Auch Heine war etlichen Künstlern freundschaftlich verbunden, darunter solchen jüdischer Herkunft

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Heine-Schumann-Kongress

Abstracts

Sektion IA: Lebens- und Wirkungsräume

Michael Werner (Paris): Kulturbetrieb und Virtuosentum. Zu einigen

Strukturveränderungen im Pariser Musikleben der Julimonarchie

Der Vortrag behandelt einige grundlegende Strukturveränderungen, die das Pariser

Musikleben der Julimonarchie durchziehen: Aufwertung der Instrumentalmusik bei

gleichzeitiger Ausformung der großen französischen Oper, erstmalige Ausbildung

eines musikalischen Kanons, Spannung zwischen Internationalisierung des

Musikbetriebs und Nationalisierung der Musikauffassungen. Auf

sozialgeschichtlicher Ebene entspricht dieser Entwicklung die Einrichtung von

Konzertsälen, die Ausbreitung des Virtuosentums, die wachsende Mobilität der

Musiker, die Spezialisierung der Musikkritik, die Differenzierung des Publikums und

eine Akzentuierung des Verhältnisses von Musik und Politik. Heine hat auf diese

Veränderungen hellsichtig und sensibel reagiert und sie kommentiert.

Klaus W. Niemöller (Köln): Heine und die Pariser Klaviervirtuosen

Paris wurde zwischen 1830 und 1848 zu einem Mekka der europäischen

Klaviervirtuosen. Namentlich der sensationelle Auftritt von Paganini leitete in der

Geschichte des Virtuosentums ein neues Kapitel ein, dessen Erfolg durch technische

Errungenschaften im Klavierbau ermöglicht wurde. Liszt wurde zu seiner Laufbahn

durch Paganini inspiriert, Heine berichtete darüber. Er hat so die Entwicklung erlebt

und publizistisch begleitet. Es war eine Phalanx von über 30 Klaviervirtuosen, die in

den privaten Salons und öffentlichen Sälen wie den Conversatoires, dem Théâtre

italienne sowie den Konzertsälen der Klavierbaufirmen Erard und Pleyel auftraten

und miteinander konkurrierten. Unter den Ausländern sind die Künstler aus

Deutschland und Österreich besonders zahlreich vertreten. Sie traten teilweise

gemeinsam auf und waren z.T. durch echte Freundschaften verbunden. So spielte

Chopin bei seinem ersten Auftritt 1832 mit Kalkbrenner dessen Grand Polonaise,

begleitet von vier weiteren Pianisten; Hiller, Osborne, Sowinsky und Stamaty. 1833

spielten Chopin, Liszt und Hiller Bachs Konzert für drei Klaviere. Auch Heine war

etlichen Künstlern freundschaftlich verbunden, darunter solchen jüdischer Herkunft

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wie Mendelssohn, Hiller und Alkan. So bestellten 1833 Chopin und Liszt in einem

Brief an Hiller auch Grüße von Heine. Als es 1837 angeheizt durch Presseberichte, in

denen Berlioz Liszt favorisierte, Fétis jedoch Thalberg, zwischen den beiden zu einem

Wettspiel bei der Princess Belgiojoso kam, bezog sich Heine in seinem Liszt-Artikel

1838 darauf. Im selben Jahr wandte sich der Warschauer Korrespondent von

Schumanns Neuer Zeitschrift für Musik, Anton Wilhelm von Zuccamaglio „An den

Dichter Heine in Paris“ gegen dessen Reihenfolge der Klavierkünstler: Liszt,

Thalberg, Chopin und setzte letzteren an die erste Stelle, und zwar wegen seiner

Kompositionen. Als Heine 1843 die ältere Generation der Kalkbrenner, Prixis und

Herz bereits zu den „Mumien“ zählte und die Virtuosenszenerie scharf kritisierte,

fand er sich für die Zeit um 1840 in Übereinstimmung mit Fétis, Clara Wieck und

Liszt. Die Entwicklung von der brillanten Bravour-Etüde zur poetischen

Konzertetüde rückte nun die Komponisten unter den Virtuosen in den Vordergrund.

Gunter E. Grimm (Duisburg): „Die Macht des Gesanges“. Loreley-Opern

des 19. Jahrhunderts

Das Motiv der verführerischen Zauberin reicht bis in die Antike (Homer) zurück und

hat in der Literatur von Renaissance und Barock (Ariost, Händel) bis zur Romantik

immer neue Gestaltungen erfahren. Heines „Loreley“, die als Verkörperung einer

solchen ‚männermordenden’ Sirene gilt, vereinigt zwei magische Kräfte: die Macht

des betörenden Gesangs (Orpheus-Mythos) und die Macht der todbringenden

Schönheit. So versteht es sich, dass gerade die in der Tradition der Affektdarstellung

stehende Oper sich dieses dankbaren Sujets angenommen hat. Allerdings reduziert

Emanuel Geibels Libretto, das zahlreiche Komponisten ihren Opern zugrunde gelegt

haben, die magische Komponente – wie sie in Heines und Eichendorffs Gestaltung

der Sage vorliegt – zugunsten der melodramatischen Geschichte einer verratenen

und gerächten Liebe. Der Beitrag untersucht die kunstspezifische Entfaltung des

Motivs in den Loreley-Opern von Max Bruch, Alfredo Catalani und Fredrik Pacius

und fragt nach den historischen Bedingtheiten dieses romantischen Typus. Im

Zentrum der Betrachtung steht die Figur der Lenore, in der sich tragisches Schicksal

und magische Kraft zu einer Synthese aus femme fatale und Kindfrau verbindet.

Friederike Preiß (Köln): Schumann und Wieck – eine kritische

Auseinandersetzung?

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Die Schumannforschung hat sich im Verlauf der vergangenen 160 Jahre wiederholt

mit dem Ehekonsensprozeß 1839/40 auseinandergesetzt, in welchem Clara und

Robert Schumann erfolgreich die gerichtliche Zustimmung zur ihrer Eheschließung

erstritten. In diesem Zusammenhang wurden die sechs Ehekonsensbedingungen

Friedrich Wiecks, welche im Mai 1839 dem Rechtsstreit vorangegangen waren,

gemeinhin als Beleg dafür angeführt, der Vater habe die jungen Liebenden gegen

ihren Willen in diesen Prozeß hineingezwungen. Wer jedoch tatsächlich ein Interesse

an einer gerichtlichen Auseinandersetzung haben mußte und wer diese unbedingt zu

vermeiden hatte, beweist eine umfassende rechtshistorische Kontextualisierung.

Unter anderem soll zur Diskussion gestellt werden, aus welchen Gründen die

zentralen Forderungen Friedrich Wiecks im eigentlichen prozessualen Geschehen

keine Rolle gespielt haben und auf dem Hintergrund der damals geltenden Gesetze

auch keine Berücksichtung finden konnten.

Sektion IIA: Musik, Bild und Literatur

Ernest W.B. Hess-Lüttich (Bern): Code, Medium, Intermedialität. Zur

Typologie intermedialer Relationen

Vor dem Hintergrund einer begriffssystematischen Auffächerung konkurrierender

Code- und Medienbegriffe sucht der Beitrag das Spektrum intermedialer Relationen

zu beschreiben und deren potentielle Vielfalt systematisch zu ordnen. Am Beispiel

des Verhältnisses sprachlicher und musikalischer Codes in polycodierten Texten soll

das Konzept überprüft und veranschaulicht werden.

Henriette Herwig (Düsseldorf): Intermedialität: Musik, Bild, Tanz und

Literatur in Heines Florentinischen Nächten

Von einem kultursemiotischen Ansatz aus verbindet der Vortrag eine narratologische

Analyse der Novelle mit einer Untersuchung der in ihr dargestellten traumhaften

Transformationen von sprachlichen, bildlichen, musikalischen, tänzerischen und

anderen körpersprachlichen Zeichen. Er fragt insbesondere danach, in welchem

Verhältnis Körperausdruck, Sinneswahrnehmung, Liebe, Tod und Kunst in den

verschiedenen Episoden der Novelle und in der Rahmenerzählung stehen, welche

Funktion dem romantischen Motiv der erstarrten, toten oder sterbenden Geliebten

dabei zukommt, welches Bild der Geschlechterverhältnisse der Text durch seine Art

der Motivgestaltung vermittelt und welche indirekten Aussagen über Bedingungen

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der Kunstrezeption und -produktion er auf diese Weise macht. Dabei werden auch

die intertextuellen Bezüge der Florentinischen Nächte zu Prätexten von Boccaccio,

Goethe, Novalis, Tieck, Brentano, Arnim, Eichendorff und Heine berücksichtigt.

Abschließend wird der Versuch unternommen, die Funktion der synästhetischen

Substitutionen und intermedialen Relationen für die ästhetische, politische und

geschichtsphilosophische Allegorik des Prosafragments zu bestimmen.

Karl Ivan Solibakke (College Park, Maryland, USA): Geklingel des

Kamele“. Zur Musikästhetik Heines in Lutezia

In Hegels großangelegtem ästhetischem System stellt die Tonkunst ein zeitlich

Bewegtes dar, das als rhythmisches Organisationsprinzip zwischen dem räumlichen

Bild und der fließenden Sprache vermittelt. Da der Hegelsche Geist Sprache evoziert,

bedarf es hierzu eines Zurückziehens des Subjekts in sein Inneres, um zunächst

seinen Empfindungen objektiven Charakter zukommen zu lassen und aus einem

fixierten Lautcharakter schließlich die objektive Begriffssprache herauszubilden. Also

besteht für den Philosophen eine Konkordanz von Subjekt und Objekt, die sich

schließlich als Begriff manifestiert. In seinem Alterswerk Lutezia bricht Heine diese

Konkordanz Hegels auseinander, in dem der Kulturkommentator die musikalischen

Formen ins Zentrum eines diskontinuierlichen und zeichenhaften Erlebens der

Stadttopographie als Reflexionsfläche rückt. Somit wird die Tonkunst in Lutezia zum

Inbegriff eines ungestillten Bewegungstriebs, der den Raum tötet und die Zeit zur

modernen Lebensform statuiert.

Sikander Singh (Düsseldorf): Querelle des Anciens et des Modernes oder

Intermedialität als Metamorphose

In der Tradition der Romantik, die der Malerei die Literatur als Kunst der

unendlichen Selbstreflexion des Geistes im Medium der Sprache zur Seite stellt,

spiegeln Heines Französische Maler die Loslösung vom Gegenständlichen und die

Hinwendung zu den Prozessen der Abstraktion. Während in den Reisebildern der

topographische Ort Anlaß des Textes ist, bildet in den Französischen Malern das

Gemälde den Ausgangspunkt der literarischen Reflexion. Nicht mehr die Wirklichkeit

ist das Thema, sondern die künstlerisch gestaltete Wirklichkeit. Die Gemäldebriefe

erzeugen einen ästhetischen Reflexionsraum, der die Grenzen sowohl des

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bildnerischen wie des literarischen Mediums erweitert. Die Wiedererkennbarkeit des

Beschriebenen weicht dem Interesse an der Beschreibung selbst.

Der Vortrag untersucht die in den Gemäldebriefen diskutierten Denkbilder von

Metamorphose und geschichtlicher Progression und entwickelt aus der Betrachtung

der Bild-Text-Relation in den Französischen Malern die These einer sich im

Kompositionsprinzip des Salons entfaltenden Intermedialität als Metamorphose, die

zum poetischen Paradigma der beginnenden Moderne wird.

Sektion IIIA: Kunst- und Kulturkritik

Peter Uwe Hohendahl: Zwischen Feuilleton und Geschichtsschreibung:

Zur Medialität von Literatur- und Kunstkritik bei Heine

Der Vortrag beschäftigt sich mit den Bedingungen sowie den Medien von Kunst- und

Literaturkritik bei Heine. Das Interesse gilt einmal dem Medium der Zeitschrift und

Zeitung sowie Heines Gebrauch dieses Mediums. Zum anderen behandelt der Vortrag

Heines Konkurrenz mit der Literaturgeschichte der Germanistik. Schließlich wird

seine Konzeption in Bezug gesetzt zur Figur des Intellektuellen in der post-

napoleonischen bürgerlichen Öffentlichkeit.

Hermann Danuser (Berlin): Robert Schumann und die romantische Idee

einer selbstreflexiven Kunst

Selbstreflexivität in der Tonkunst ist nicht an die Epoche der Romantik gebunden,

doch wurde sie damals mit großem Nachdruck manifest; Unendlichkeit und

Spiegelung sind zwei ihrer zentralen Faktoren. Mein Vortrag sucht die Idee einer

selbstreflexiven Tonkunst bei Robert Schumann in sechs Stücken zu erschließen: Ich

beginne mit Bemerkungen zur veränderten Textkategorie, die sich aus Hegels

Bestimmungen einer „romantischen Kunstform“ ergibt; es folgen Hinweise zur

kompositorischen Subjektivität, wie sie für Schumanns Tonkunst vorauszusetzen ist;

danach äußere ich einiges zu Schumanns anagrammatischem Spiel mit Tonnamen

und -buchstaben; es schließen sich an Bemerkungen zur Kategorie eines „negativen“

Klangs; im vorletzten Stück sage ich einiges zur Bedeutung von Zitat und Allusion als

Formen musikalischer Reflexion; und schließlich zeige ich am Kopfsatz der C-Dur-

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Phantasie op. 17, wie eine Grundstruktur die drei Teile dieses Satzes nach Art einer

mise-en-abyme verklammert.

Bernd Kortländer (Düsseldorf) Frankreichbilder bei Heine und

Schumann

Heines Frankreichbild ist nur beim ersten Hinsehen eindeutig: die zunächst so

positiv anmutenden Kategorien, mit denen Frankreich beschrieben wird, haben alle

auch eine negative Rückseite. Schumanns kritisches Frankreichbild, wenn man von

einem solchen überhaupt sprechen will, ist dem Heines deshalb nur auf den ersten

Blick völlig konträr. Diesen schwierigen Verhältnissen, die sich durch den Einbezug

des komplementär gesetzten Deutschlandbildes ein wenig vereinfachen lassen, wird

der Vortrag im Blick auf die Einschätzung französischer Literatur durch Heine und

französischer Musik durch Schumann nachgehen.

Sibylle Schönborn (Düsseldorf): Heines Briefe aus Berlin – Ein Beitrag

zur Kulturtheorie der Moderne

Heines Briefe aus Berlin bilden ein Urmodell des Kulturjournalismus’ und der

literarischen Kulturgeschichtsschreibung. Mit diesen Texten gelingt es Heine, nicht

nur den Typus des Großstadttableaus als literarische Form im Feuilleton der

Tagespresse zu etablieren, in deren Tradition auch Walter Benjamins - ursprünglich

gleichfalls fürs Feuilleton der Frankfurter Zeitung unter dem Serientitel Berliner

Chronik - entstandene Berliner Kindheit um Neunzehnhundert steht, sondern auch

ein neuartiges Archiv des kulturellen Gedächtnisses zu generieren, indem er das

Medium der Tagespresse als Archiv des vergänglichen Alltags nutzt. Damit schafft

Heine als erster deutschsprachiger Autor ein literales Archiv der heterogenen Vielfalt

des Kulturellen, in dem das aus dem offiziellen Gedächtnis Ausgeschiedene

aufbewahrt ist, und das einen anderen, tieferen Einblick in die Verfassung einer

Kultur eröffnet als die großen, offiziellen Kulturgeschichtserzählungen.

Heines Briefe aus Berlin erhalten über ihre einmalige literarisch-kompositorische

Qualität hinaus eine herausragende Bedeutung als mediale Sicherungen oder

Umschriften des Flüchtigen, des Performativen der Kultur, das in diesen Briefen

gespeichert und damit erhalten wird. Der performative Charakter der Kultur, den die

Texte dokumentieren, soll zugleich auch als Konstruktionsprinzip von Heines Briefen

deutlich gemacht werden, die als Spaziergang von der Bewegung im Raum leben wie

von der rhythmisch-musikalisch-tänzerischen Aufführung des Textes. Der

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Kulturbegriff der Briefe deutet damit unmittelbar auf den neueren

kulturtheoretischen Diskurs voraus.

Sektion IB: Lebens- und Wirkungsräume

Jocelyne Kolb: Ästhetische Korrespondenzen: Die Briefe Heines und

Schumanns im Spiegel ihrer Zeit

Als Analogie zu der künstlerischen Gestaltungsweise Heines und Schumanns bietet

sich die Gattung des Briefwechsels an, die der widersprüchlichen, kontrastierenden

und sich doch ergänzenden Dualität ihrer jeweiligen Ästhetik entspricht. Zwar hinkt

die Analogie, weil Briefe die Unterschiede statt die Ähnlichkeit zum Werk erhellen und

weil die Zweigleisigkeit im künstlerischen Zusammenhang von Heine und Schumann

selber stammt und nicht von ihren Briefpartnern bestimmt wird. Trotzdem lohnt es

sich, den Briefwechsel als Prisma für folgende Fragen zu benutzen: die Briefform

selber; das Selbstverständnis der Künstler und ihres „image“; die Zensur bei der

Veröffentlichung der Briefe (bei Heine eher politischer, bei Schumann eher familiärer

Art); die Editionspraxis und die dadurch verbundene Auffassung und Pflege von

Genie. Als Vergleich ziehe ich das Beispiel von Hector Berlioz und seiner

Correspondance Générale hinzu.

Damien Ehrhardt (Evry-Val d’Essonne): Transkulturelle Vermittlung im

musikalischen Feld am Beispiel der Schumann-Rezeption in Frankreich

(1834-1914)

In den Jahren 1834-1846 konstituierte sich ein ‚transnationales kulturelles Feld’ im

Dialog zwischen der Netzwerke der Revue et Gazette musicale de Paris und der

Neuen Zeitschrift für Musik. Die Schumann-Rezeption in Frankreich hing während

dieser Zeit eng mit den Aktivitäten des Komponisten als Kritiker zusammen.

Schumanns poetische Klaviermusik sprach Künstlern im Umkreis der Revue et

Gazette musicale de Paris besonders an. In den 1840er Jahren lagen Schumanns

Interessen nicht mehr auf dem Gebiet der Klaviermusik. Seine neueren

Kompositionen schätzte man weniger, was auch erklären könnte, warum es keine

französischen Erstdrucke Schumannscher Werke in den Jahren 1840-1846 gab. Das

Interesse an der Schumannschen Musik stieg allmählich in den 1860er Jahren, in

einer Zeit der Aneignung deutscher Instrumentalmusik durch die französischen

Komponisten. Schumanns Kammermusik wurde in dieser Hinsicht besonders

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geschätzt, was zur Gründung der „Société Schumann“ führen sollte. Im Kontext des

Krieges 1870 diente diese Aneignung deutscher Musik der Ausprägung einer

nationalen Schule im Zeichen des Nachkriegspatriotismus.

Trotz der Entfernung der neueren Avantgarde um Debussy von der deutschen Musik

taucht die Figur eines „französischen Schumanns“ auf, den man als Vorläufer Faurés

in der intimen Sphäre des Liedes und der Klaviermusik würdigte. Noch heute gilt der

sog. „Style Schumann“ in französischen Ausbildungsstätten als Inbegriff für

„romantische Harmonik“, auf dem Wege von Mozart zu Fauré.

Beatrix Borchard: Orte und Strategien der Kulturvermittlung. Oder:

Clara Schumann als „konzertierende Kulturvermittlerin“ zwischen

Deutschland und Frankreich

Clara Schumann (1819-96) ist zwischen 1830 und 1862 mehrfach und in

unterschiedlichen Phasen ihrer Karriere nach Paris gereist und dort aufgetreten. Sie

lernte auch Heine persönlich kennen und vertonte mehrere Texte von ihm. Ihre

Briefe und die Briefe ihres Vaters spiegeln gerade in den Strategien, die sie erprobte,

und den Orten, die sie wählte, um sich in der französischen Hauptstadt als Pianistin

mit ihren ästhetischen Orientierungen durchzusetzen, wichtige Aspekte des Wandels

(musik)kultureller Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich.

Sektion IIB: Musik, Bild und Literatur

Sonja Gesse-Harm (Göttingen): “Buchstaben von Feuer” – Zur

Bedeutung des Dramatischen in Robert Schumanns Romanzen und

Balladen nach Texten Heinrich Heines

Unter den zahlreichen Heine-Vertonungen Robert Schumanns bilden der Liederkreis

op. 24 und die Dichterliebe op. 48 bislang den Mittelpunkt des Forschungsinteresses.

Dabei ist der Begriff “Dichterliebe” geradezu zum Synonym für Schumanns

Auseinandersetzung mit Heines Lyrik geworden, das zudem von dem Klischee des

wesentlich introvertierten Künstlers begleitet wird. Obwohl speziell in Schumanns

Liedschaffen gelegentlich durchaus dramatische Momente wahrgenommen worden

sind, hat die Musikwissenschaft deren Bedeutung nur wenig Beachtung geschenkt.

Insbesondere die Romanzen und Balladen führen – obgleich zum Teil weltberühmt –

als Forschungsgegenstand eher ein Schattendasein und werden, insofern man sie

erwähnt, wesentlich mit zwischen Lob und Tadel schwankender Ratlosigkeit

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betrachtet. Berücksichtigt man jedoch nicht zuletzt auch deren

entstehungsgeschichtliche Verwobenheit mit den vielbeachteten Liederzyklen, so

steht zu vermuten, daß diese Werke als signifikante Wegbereiter und Repräsentanten

des die traditionellen Gattungsgrenzen so oft überschreitenden Schumannschen

Ausdrucksideals zu würdigen sind. Der Vortrag versucht sich diesem Phänomen

anhand einer Auswahl der von Schumann vertonten Romanzen Heinrich Heines zu

nähern.

Rufus Hallmark: (New Brunswick, New Jersey, USA)“Warum Zweimal

Dichterliebe? Der Fall Op. 24 und Op. 48”

Im Februar und Mai 1840 hat Robert Schumann zwei Liederzyklen auf Gedichte

Heinrich Heines komponiert, die als Liederkreis (Op. 24) und Dichterliebe (Op. 48)

erschienen sind. Die Gedichte dieser Zyklen folgen sehr ähnlichen erzählerischen

Entwicklungen – Liebe, Enttäuschung, Ärger, Traurigkeit, und Trost. Zwischen

beiden Zyklen bestehen auch musikalische Parallelen. Keine anderen Liederzyklen

von einem einzelnen Komponisten weisen so viele Ähnlichkeiten miteinander auf wie

diese beiden. Der Liederkreis ist noch nicht so intensiv wie die Dichterliebe analysiert

worden, auch ein direkter Vergleich ist bis heute ausgeblieben. Dieser Aufsatz

versucht, diese Vernachlässigung zu beheben und provisorische Antworten zur Frage

des Vortragstitels anzubieten.

Monika Schmitz-Emans (Bochum), Reinmar Emans (Göttingen):

Schumanns kompositorische Aneignung von literarischen Texten am

Beispiel der Heinelieder op. 24 und op. 48

Betrachtet man die Vertonungsgeschichte Heinescher Lyrik im 19. Jahrhundert, so ist

eine klare Vorliebe der Komponisten für solche Texte zu beobachten, die vorgeben,

die Sprache unmittelbarer Empfindung zu sprechen; der 'sentimentale' Heine machte

Musikgeschichte, nicht der ironische. Dies bestätigten auch Schumanns opus 24

("Liederkreis") und opus 48 ("Dichterliebe"). Die Entscheidung für die Auswahl der

hier vertonten Texte biographisch mit Schumanns aktueller Lebenssituation und

seiner Empfindungslage zu erklären, wie es gelegentlich geschieht, erscheint ebenso

kurzschlüssig wie die Interpretation der Texte selbst als 'authentische' Bekenntnisse

des Dichters Heine. Was aber hat Schumanns Textauswahlmotiviert? Und wie ist er

mit Heines Gedichten verfahren? Hilfreich zur Beschreibung des von Schumann

vorgenommenen, von den Texten Heines aber immerhin vorbereiteten

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Gestaltungsprozesses sind vielleicht die Begriffe der Entstofflichung und der De-

Referentialisierung, der Musikalisierung und der Figuration. Hilfreich mag auch die

Erinnerung an die Musikästhetik Jean Pauls und Hoffmanns sein, mit denen sich

Schumann intensiv auseinandersetzt hat.

Sektion IIIB: Kunst- und Kulturkritik

Dr. Yvonne Wasserloos (Düsseldorf): „Formel hält uns nicht gebunden,

unsere Kunst heißt Poesie“. Niels W. Gade und Robert Schumann

Niels Wilhelm Gade und Robert Schumann verband eine besondere

Künstlerfreundschaft. Das Ziel, eine poetische Musik zu schaffen, war für beide eine

der obersten Prämissen ihres kompositorischen Wirkens.

Gade versah sein Opus 1, die Ouvertüre Efterklange af Ossian mit dem Uhland-Zitat

„Formel hält uns nicht gebunden, unsre Kunst heisst Poesie“ und richtete damit quasi

ein Motto für sein kompositorisches Frühwerk ein. Mit seinen klingenden poetischen

Stimmungsbildern unter Verwendung von Elementen einer wiederentdeckten,

nordischen Musik feierte der Däne vor allem in Deutschland große Erfolge.

Schumann verfolgte die Entwicklung des jungen Komponisten und betonte dessen

„neuen Künstlercharakter“. Trotzdem warnte er Gade vor der Einseitigkeit des

nationalen Stils. Interessant ist daher, den auch von Schumanns Aussagen

beeinflussten Wandel im Werk Gades zu beobachten. Hier stellt sich die Frage,

inwieweit sich sein ursprünglich poetischer Ansatz in der Auseinandersetzung mit

Schumann veränderte und er sich einem „universellen“ Stil annäherte. Dabei ist

insbesondere der Blick auf den starken Einfluss des kulturellen Austauschs zwischen

Gade und Schumann bzw. Dänemark und Deutschland zu richten.

Takanori Teraoka (Okayama): Ohnmacht der Ästhetik – Heines

Einstellung zur zeitgenössischen Kunstrevolution

Für Heines Zeitgenossen war die Revolution der Mythos der modernen Zeit. Aus

dieser Quelle schöpfte die neue Kunst ihre Sujets und Symbolik. In Delacroix

allegorischer Figur sah Heine die verkörperte »wilde Volkskraft«, die der große

»Gedanke« der Revolution »geadelt und geheiligt« hat. Durch die Vertonung von

Heines Ballade Die Grenadiere entrichtete auch Schumann seinen Tribut an den

neuen Zeitgeist.

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Die sich anbahnende Revolution der Kunst faßte Heine in Analogie zur politischen als

Bruch der >Gegenwart< mit der >Vergangenheit< auf. Er wendete demnach politische

Kategorien wie Restauration und Justemilieu auf die Kunstwerke seiner Zeit an, um

deren historische Bedingtheit hervorzuheben. Die These vom »Ende der

Kunstperiode«, die den Einklang der >Kunst< mit der >Zeit< postuliert, sollte

eigentlich mit seinen sensualistischen Ideen verbunden sein. Das Denkschema von

Sensualismus und Spiritualismus, das in Heines Kritik an der Romantik als ideelle

Grundlage fungiert hat, erweist sich aber in seinem Kunsturteil als nicht praktikabel.

Es versagt bei der Suche nach der »zeitliche[n] Signatur« der modernen Kunst und

bei der Charakterisierung der unkonventionellen Musik von Berlioz und Liszt.

In der Dysfunktion von Heines sensualistischer Ästhetik schimmert sein Befremden

gegenüber der virulenten Dämonie der Zeit durch. In Heines Augen sind sowohl das

genialste Werk als auch der vulgärste Tanz von ihr durchdrungen. Er erkennt an

Liszts Konzert die »ansteckende Gewalt« der »dämonischen Natur« und sieht im

»tanzenden Volk« während der »Carnevalszeit« die sich »zum Ungeheuerlichen«

steigernde »dämonische Lust«.

Franz-Josef Deiters (Tübingen): Zwischen Identitätsbegehren und

Identitätsaufschub – Heines Verortung des Dichters im Prozeß der

gesellschaftlichen Modernisierung

Im Abschnitt „London“ der „Englischen Fragmente“ entwirft Heine das Szenario

einer dezentrierten und beschleunigten Gesellschaft, die den „armen deutschen

Poeten“ zu Fall bringt. Die Episode kann als Inszenierung des Bruchs mit dem als

anachronistisch betrachteten Poesiekonzept der Kunstperiode gelesen werden.

Dagegen formulieren Heines Texte bis 1848 das Konzept eines operativen Dichters,

der einen Anspruch auf Werkherrschaft über den Gesellschaftstext reklamiert. Im

Spätwerk dagegen dient Heine das eigene körperliche Siechtum als Bühne, auf der er

die Klage über die Folgenlosigkeit seines Schreibens und das Scheitern seines

Anspruchs auf gesellschaftliche Identität anstimmt. Das Jahr 1848 scheint daher

einen absoluten Einschnitt im Selbstverständnis des Dichters darzustellen. Richtet

man indes den Blick auf jene Distanzierungsgesten gegenüber dem Volk, wie sie

Heines Texte auch vor 1848 bereits durchziehen, so zeigt sich, daß der Gestus, sich

von einem als unbelehrbar gezeichneten Volk verkannt zu wissen, seine Inszenierung

operativer Autorschaft von Beginn an prägt. In Heines Texten reflektiert sich – über

den Einschnitt von 1848 hinweg – jene Dialektik von Identitätsbegehren und

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Identitätsaufschub des Dichters, wie sie sich im Prozeß der gesellschaftlichen

Modernisierung ausformt.

Thomas Burch (Trier)/ Bernd Füllner (Düsseldorf): Das Heinrich-Heine-

Portal

13.000 Bilddateien, 26.500 Buchseiten, 72 Millionen Zeichen, die Arbeitsergebnisse

mehrerer Forschergenerationen und der Esprit von Deutschlands amüsantestem

Klassiker – das sind die Bestandteile des Heinrich-Heine-Portals, das gemeinsam

vom Heinrich-Heine-Institut, Düsseldorf, und dem Kompetenzzentrum für

elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den

Geisteswissenschaften an der Universität Trier erarbeitet wird. Unter der Internet-

Adresse www.heine-portal.de entsteht ein umfassendes digitales Informationssystem

mit einer vernetzten wissenschaftlich kommentierten Gesamtausgabe von Heines

Werken und Briefen im Volltext, verknüpft mit digitalisierten Handschriften-, Bild-

und Buchbeständen aus dem Heine-Institut und anderen Archiven und Bibliotheken.

Das Heinrich-Heine-Portal, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der

Kunststiftung NRW gefördert wird, vereinigt die beiden maßgeblichen, in Weimar

und Düsseldorf entstandenen Heine-Ausgaben und bemüht sich um die virtuelle

Zusammenführung von Heine-Handschriften aus Bibliotheken und Archiven in aller

Welt. Der Vortrag stellt die Konzeption und die Editionsprinzipien des Portals vor

und informiert über die vorhandenen und geplanten Recherchemöglichkeiten sowie

den derzeitigen Stand der Arbeiten.

Sektion IIC: Musik, Bild und Literatur

Markus Winkler (Genf): Die Grenadiere: Heine und Schumann

Ziel dieses Vortrags ist es, Heines vermutlich 1821 entstandenes Gedicht aus

komparatistischer Perspektive als eine lyrische Antwort auf die Nachricht vom Tode

Napoleons zu analysieren und darauf aufbauend zu fragen, welche Bedeutungen

Schumann mit seiner Vertonung aus dem Jahre 1840 (op. 49,1) dem Gedicht

hinzufügt. Bei Heine werden dem geschichtlichen Anlaß des Gedichts und seinem

geschichtlichen Gehalt die Geschichtlichkeit entzogen; Mittel dieser Mythisierung

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sind die volksliedhafte Form und die abschließende Anspielung auf die Sage von der

Entrückung und künftigen Wiederkehr des Kaisers Friedrich Barbarossa. Dabei zielt

das Gedicht aber nicht nur auf die Schaffung einer ‚neuen‘, retrospektiv bebilderten

Mythologie des revolutionären Volkskaisertums. Es soll auch den resignativen Satz

„Das Lied ist aus“ entkräften, indem es sich selbst als Volkslied ausgibt und

begründet. – Schumann folgt dieser mythisierenden Tendenz des Gedichtes, aber er

verdeutlicht ihren geschichtlichen Kontext, indem er der achten und neunten Strophe

die Marseillaise unterlegt, und er nimmt sie am Ende gleichsam zurück, indem er

dem Marseillaise-Zitat ein elegisches Klaviernachspiel folgen läßt (vgl. die Eusebius-

Florestan-Dualität in Schumanns Klavierwerk). Derart restituiert er die

Kontrastperspektive, die bei Heine verloren geht.

Bernhard R. Appel (Düsseldorf): Die Marseillaise bei Heine und

Schumann

Sowohl in Heinrich Heines literarischem Werk als auch in Robert Schumanns

kompositorischem Oeuvre wird mehrfach auf die Marseillaise Bezug genommen.

Trotz dieser voneinander unabhängigen, in verschiedenen Medien und

divergierenden Zusammenhängen stattfindenden Marseillaise-Bezügen verweist das

gemeinsame Interesse an diesem Sujet auf einen Teilaspekt künstlerischer

Zeitgenossenschaft. In einem Fall, in der Soloballade Die beiden Grenadiere op. 49/1,

treffen Schumanns Heine-Rezeption und ein Marseillaise-Zitat zusammen.

Im literarischen wie im musikalischen Zusammenhang definiert der jeweilige

Kontext Bedeutung und Funktion der Bezugnahmen auf den Revolutionsgesang, dies

jedoch auf unterschiedliche Weisen. Musik vermag im genuinen Sinn, d. h.

unmittelbar klanglich, die Marseillaise zu zitieren oder darauf anzuspielen. Über den

jeweiligen kompositorischen Einbettungszusammenhang können Bedeutung und

Funktion des Zitats – sein semantischer Verweis – mehr oder weniger vage

hergestellt werden. Der literarische Bezug funktioniert dagegen auf quasi

komplementäre Art und Weise. Im literarischen Text steht die Marseillaise als

Symbol, Chiffre, Metapher oder auch nur als geschildertes Klangereignis in einem

klar ausgewiesenen, meist politischen Kontext. Ihre konkrete Klanglichkeit kann

dabei lediglich sprachlich evoziert werden.

Der Beitrag versucht, Voraussetzungen, Bedingungen und Funktionen von Heines

Bezugnahmen im allgemeinen und Schumanns Zitatpraxis im besonderen in den

Blick zu nehmen.

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Paul Peters (Montreal): „Doppelgänger“: Schubert und Schumann in

Winterreise und Dichterliebe

Aus mannigfaltigen Gründen laden Schumann und Schubert in ihren großen

Liederzyklen zum Vergleich ein. Das hat zunächst mit Rang und Thematik beider

Zyklen zu tun: da ist es eine eben so verlockende wie vermessene Aufgabe, sie

miteinander vergleichen zu wollen. Zum anderen handelt es sich bei Schubert und

Schumann wie bei Müller und Heine um wahlverwandte Geister. Diese

Verwandtschaft umfasst zugleich jedoch auch eine Differenz. Denn was Heine einmal

bei seiner Charakteristik der Gedichte Müllers als Hauptunterschied zwischen den

beiden Autoren signalisiert, spielt in der vielgerühmten “Kongenialität” der

Vertonungen dann auch eine gewisse Rolle: das Volksliedhafte nicht nur der Form,

sondern auch in dem Gegenstand der Müllerschen Gedichte, während Heines Texte

zwar die Volksliedform teilweise übernehmen, jedoch nicht eine Episode aus dem

Volksleben, sondern aus der “konventionellen Gesellschaft” zum Gegenstand haben.

Man wäre sogar versucht, hier die Unterscheidung Schillers zwischen dem Naiven

und Sentimentalen zu bemühen: mit Schubert und Müller als die “Naiven”, und

Heine-Schumann als die reflektiert Gebrochenen, ironischen und “Sentimentalen”.

Aber entgegen einer gängigen Auffassung zeigen sich nicht nur Schumann und Heine,

sondern auch Müller und Schubert oft als abgründig ironisch: und ebenfalls im

Gegensatz zu einer verbreiteten Meinung, ist es häufig gerade die äußerste

Reflektierheit bei Dichter und Komponist, welche einen unverhofften Gewinn an

unmittelbarer Kraft des Ausdrucks ermöglicht.

Günter Schnitzler (Freiburg): Zyklische Prinzipien in Dichtung und

Musik am Beispiel von Heines „Lyrischem Intermezzo“ und Schumanns

„Dichterliebe“

Zunächst erfolgt eine phänomenologisch orientierte Besinnung darauf, was eigentlich

ein Zyklus bedeutet, wie er konstituiert werden kann und welche Kriterien er zu

erfüllen hat. Neben den bekannten motivischen Verknüpfungen werden die zwischen

den einzelnen Gedichten des „Lyrischen Intermezzos“ von Heine liegenden

Geschehnisse als ungesagt gegenwärtige Ereignisse in ihrer zykluskonstituierenden

Funktion wahrgenommen, - eine sich von Petrarca herleitende Eigenart des Autors.

Die zyklische Struktur der „Dichterliebe“ Schumanns konstituiert sich keineswegs

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nur aus musikalischen Parametern (Tonarten usw), sondern auch aus

wechselwirkenden Kriterien, die im intermedialen Bereich zu Hause sind.

Sektion IIIC: Kunst- und Kulturkritik

Gerhard Höhn (Barbizon, Frankreich): Zur Vorgeschichte der

Kulturindustrie. Kunst und Kommerz im Spiegel Heinescher Kritik

In seinen Musik- und Kunstkritiken der 40er Jahre hat Heine erstmals Phänomene

beschrieben, die Max Horkheimer und Theodor W. Adorno genau 100 Jahre später in

der Dialektik der Aufklärung als Kulturindustrie definiert haben. Unter dem 1947

ganz neuartigen Begriff von paradigmatischer Bedeutung verstanden sie bekanntlich

„die Vorherrschaft des Effekts“ und technischer Details über die Idee des

Kunstwerks.

Von einem vergleichbar ausgeprägtem „System“ der Kulturindustrie kann 1840 keine

Rede sein. Dennoch lässt der gut organisierte Musik- und Kunstbetrieb die für das

20.Jahrhundert typischen Aspekte spürbar werden. – Wer eine europäische

Künstler-Karriere anvisierte, musste sich zuerst einmal in Paris durchsetzen, mit

Geld und Presse als materieller und medialer Grundlage. „Ovationskosten“,

Reklame-Anzeigen und Imagepflege etc. wollen bezahlt sein. – Dann fordert der

Kampf um künstlerische Anerkennung einen hohen Preis: Die Produktion

übernimmt vor-kulturindustrielle Eigenheiten wie genaues „Kalkül“ der „Effekte“ in

der Opernmusik, spektakuläre Aufführungen und publikumswirksame

Musikdarbietungen. Ein weiteres Indiz: die Serienproduktion (Donizetti, Scribe und

Vernet). – Vernets Werke selber bezeugen schließlich, wieweit der moderne

„Zeitgeist“ die Malerei bereits durchdrungen hat und die Autonomie der Kunst

zusehend gefährdet.

Hans-Georg Pott (Düsseldorf): Die poetische Ökonomie von Heine und

Marx

Heinrich Heine erklärt es zum Grundübel der Welt, dass der liebe Gott zu wenig Geld

erschaffen habe, und er proklamiert das Grundrecht auf Leben, das heißt auf Brot.

„Die Quelle jener Übel ist die Schuld ...“ (Vgl. die Englischen Fragmente, Lutetia u.a.)

Im Namen der Schuld lassen sich Kapital und Religion wechselseitig demaskieren.

Bei Karl Marx erkennt die sprechende Leinwand im Rock die „stammverwandte

schöne Wertseele“. Ein kopfstehender Tisch „entwickelt aus seinem Holzkopf Grillen,

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viel wunderlicher, als wenn er aus freien Stücken zu tanzen begänne.“ (Vgl. Das

Kapital I, Zur Kritik der politischen Ökonomie u.a.) Es ist die poetisch-rhetorische

Konstruktion von Wirtschaft und Gesellschaft, von Ökonomie und Religion, welche

die „metaphysischen Spitzfindigkeiten“ und die „theologischen Mucken“ von Ware,

Geld und Kapital offen legt.

Es geht mir nicht um die gut erforschte Biographie und Philologie der Begegnung von

Heine und Marx – die gleichwohl erinnert werden sollte. Es geht vielmehr um

„Kapitalismus und (als) Religion“ und damit um einen Kontext, der Heine und Marx

mit Max Weber, Walter Benjamin, Niklas Luhmann und Giorgio Agamben verbindet

– aus dem „Geist“ einer Stilkritik als Methode.

Volker Kalisch (Düsseldorf): Kunst als Krankheit – Kunst als Therapie

Der Zustand der Erkrankung gilt uns im gängigen Verständnis als etwas, das es durch

Prävention zu verhüten und durch Medizin zu kurieren gilt. Kranksein erlebt der

moderne Mensch als etwas Negatives, als etwas der Entfaltung seiner eigenen

Persönlichkeit wie Bedürfnislagen Entgegenstehendes. Dies aber ist ein Verständnis,

das unser wenig differenzierendes Umgehen mit Krankheiten und Erkrankungen

vereinseitigt hat und unsere Handlungsmöglichkeiten einschränkt, wenn nicht gar

lähmt.

Parallel dazu hat sich aber auch immer wieder ein Krankheits-Verständnis zu Wort

gemeldet, das dem Kranksein zwar seine ungewollte Außeralltäglichkeit belässt, dies

gleichwohl aber nicht nur als etwas Negatives bewertet, sondern in ihm auch die

Chance zur Thematisierung und Realisierung von Außeralltäglichem positiv entdeckt.

In welcher Weise dabei das Krankheitsverständnis betroffener Künstler des 19.

Jahrhunderts ihre schöpferischen Möglichkeiten beeinflusste, ja, manche Künstler

ihrer Erkrankung sogar eine bestimmte künstlerische Produktivität verdanken

wollten, soll dabei an ausgewählten Beispielen gezeigt werden. Ihre eigene Kunst(-

produktion) wurde dabei schon bald in ihrer Eigenwahrnehmung als etwas erlebt,

das dann zu der verallgemeinerten Einschätzung führte, in Kunst sogar ein geeignetes

Mittel und einen Erlebnisraum zu entdecken, um in ihr grundlegend

krankheitsbedingte Beschränkungen aufzuheben, aus der Limitierung heraus

Entgrenzung wachsen zu lassen.

Rainer Kleinertz (Regensburg): Heines Musikberichte im Kontext der

zeitgenössischen französischen und deutschen Musikkritik

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Zur Widerlegung gängiger Vorurteile über Heines Äußerungen zur Musik sollen

zunächst die grundlegenden Unterschiede zwischen Musikkritik während der Juli-

Monarchie in Frankreich und Deutschland aufgezeigt werden. Während

Musikkritiken in Deutschland ganz überwiegend von Musikern für

Musikzeitschriften verfasst wurden, waren in Frankreich Schriftsteller maßgeblich an

der Musikberichterstattung beteiligt. Ein Vergleich zwischen Heine und deutschen

Musikkritikern (z. B. A. B. Marx und Schumann) zeigt, dass ein mehr an

'Professionalität' keineswegs zu einem 'besseren' Urteil führte. Am Beispiel Rossinis

und Meyerbeers lässt sich vielmehr zeigen, dass Heine ihre Bedeutung wie auch die

Unterschiede zwischen beiden durchaus adäquat erfasste, während die deutsche

Musikkritik vor beiden Phänomenen versagte. Schließlich gründete Heines

Musikanschauung auch nicht in politischen oder persönlichen Motiven, sondern

bildete ein zusammenhängendes Ganzes, das maßgeblich von der Ästhetik Hegels

geprägt war.

Sektion IVA: Spätwerke 1848-56

Christian Liedtke (Düsseldorf): Himmel, Styx und Schattenreich. Heines

poetische Übergänge zwischen Leben und Tod

Von den lebenden Toten, die seine frühen Gedichte bevölkern, bis zu den satirisch-

poetischen Jenseitsvisionen im Spätwerk, von zahllosen Gespenster- und

Geistererscheinungen zu Auferstehungsszenarien und Darstellungen des Jüngsten

Gerichts, von Figuren wie der „toten Veronika“ oder Laskaro im „Atta Troll“ bis hin

zur Selbststilisierung des sterbenden Dichtes in der „Matratzengruft zu Paris“ – der

Übergang vom Leben zum Tod ist ein zentrales Thema in Heines Gesamtwerk. In

Lyrik und Prosa wie auch in seinen journalistischen Berichten beschäftigt er sich zu

allen Zeiten damit, und sein Augenmerk liegt dabei vor allem auf dem Übergang

selbst, auf dem „Dazwischen“. Wie stark Heines Metaphorik und Figurenwelt aus

diesem Bildbereich gespeist ist, wie er im Rückriff darauf philosophische, religiöse

aber auch zeitgeschichtliche Themen gestaltet und vor allem, wie er dabei im Spiel

mit Motiven der romantischen Literatur an seiner eigenen, impliziten „Poetik des

Übergangs“ arbeitet, soll in dieser Untersuchung dargestellt werden.

Peter Gülke (Berlin): Zur Problematik von Schumanns „konservativer“

Wende in den vierziger Jahren

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Ästhetische Mißverständnisse und das neudeutsche Interesse, den Schumann der

vierziger Jahre in die Leipziger Ecke zu drängen, kamen ungut zusammen, wenn nach

den auf dem Klavier ausgelebten Avantgardismen der dreißiger eine Rückwendung

konstatiert wurde. Vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit ist der Art und Weise

geschenkt worden, in der der frühere Schumann im späteren aufgehoben war.

Oberflächliche Betrachtungen hatten es leicht, die außerhalb der bewährten

Traditionslinien befindlichen Klavierwerke „fortschrittlich“ und die zyklischen

Instrumentalwerke seit 1841 „klassizistisch“ zu nennen – womit u.a. die Frage

umgangen war, inwiefern groß dimensionierte Werke, weil auf übergreifende

Korrespondenzen angewiesen, damals von sich aus stärker auf Traditionen bezogen

sein mußten.

Überdies half die Rede von der Rückwendung einen fundamentalen Wandel nicht nur

in der Methodik des Komponierens zu übersehen, schlagworthaft: denjenigen vom

schreibend Improvisierenden zum bewußt (u.a. nicht mehr am Klavier) Kom-

ponierenden. Hierzu gehören der – gewiß auch resignative – Abschied von Leipziger

Hoffnungen (u.a. auf die Nachfolge Mendelssohns im Gewandhaus) und Ansprüchen

(u.a. den publizistischen, mit der „Neuen Zeitschrift“ verbundenen) ebenso wie das

auffällig, für Schumann möglicherweise fast schlagartig veränderte Zeitklima der

vierziger Jahre.

Insofern könnte es eher eine dialektische Treue zu den hochfliegenden Ambitionen

der dreißiger Jahre gewesen sein, die Schumann, um eben diese zu retten, aus der

windstillen Enklave und der Quarantäne der Klavierkomposition hinaustrieb.

Stefan Bodo Würffel (Fribourg): Revolution – Resignation – Religion:

Heines Spätwerk im Lichte unserer Erfahrung

Die drei Grunderfahrungen des späten Heine, der melancholisch gebrochene

Revolutionsenthusiasmus, das resignativ-leidende Wissen um die eigene Schwäche

wie um die gebrechliche Einrichtung der Welt und der dialektisch-dialogische

Bezug auf die Religion werden diskutiert im Hinblick auf die spannungsreichen

Konstellationen und Konfrontationen unserer Tage: auf das Gegeneinander von

Pazifismus und wachsender Kriegsbereitschaft, von nationalstaatlichen und

übernationalen Denkmodellen und von radikaler Säkularisierung und der

Renaissance des Religiösen.

Dabei zeigt sich, dass Heine nicht nur „der erste Dichter des zwanzigsten

Jahrhunderts“ war (Raddatz), sondern auch dem einundzwanzigsten vorangeht als

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skeptischer Beobachter und kritischer Kommentator unserer Gegenwart, auf

dessen prognostisches Urteil wir schwerlich verzichten können.

Joseph A. Kruse (Düsseldorf): „Dichterliebe“. Über Heines Gedicht „An

die Mouche“

Noch in den spätesten Liebesgedichten verweist Heine auf jene Rollen, die er von

früh an im Kontext von Liebe und Liebeswahn gespielt hat. Insofern ergibt sich eine

mehrdeutige Traditionslinie und vielfache Konsequenz des grandiosen romantischen

wie symbolistischen Liebesthemas, gleichzeitig jedoch auch eine Variation von

existentiellem Ausmaß angesichts der eigenen körperlichen Leiden mit der damit

einhergehenden Vergeistigung. Vor allem in seinem großen Traumbild „An die

Mouche“ zieht der Dichter eine Summe der Variablen, durch die er seit dem „Buch

der Lieder“ berühmt geworden ist. Der Dichter liebt – das ist Erfindung und Realität

zugleich, führt zum Ideengedicht und schließlich ins Schweigen. Symbol ist alles,

Name dagegen Schall und Rauch.

Sektion IID: Musik, Bild und Literatur

Roe-Min Kok (Montreal): In Search of the Fairy Tale in Schumann’s

Music – Märchen-Musik

My paper interrogates children’s music by Robert Schumann in light of the German

folk- and fairy-tale tradition. Scholars have explored the pedagogical functions of

Schumann’s music, but have begun only recently to question its aesthetics. Recent

research has shown that the music reflected folk values and beliefs found in

nineteenth-century children’s literature.

Building on these findings, I propose that Schumann’s music drew its inventive ethos

and charm from its referential interplay with contemporaneous folk- and fairy-tales. I

show the existence of social and structural intertextualities between music and the

Grimm brothers’ “Kinder- und Hausmärchen” (1812-57), focusing on issues of

audience, feminine culture, nationalism, familial rituals, variation forms, motifs and

repetitions, binary elements, and links with oral culture.

Dieser Vortrag untersucht Schumanns Musik für Kinder (opp. 15, 68, 79, 85) mit

Blick auf die Märchen-Tradition. Während die pädagogischen Aspekte dieses

Repertoires oft thematisiert worden sind, hat sich die Forschung seinen ästhetischen

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Hintergründen erst in den letzten Jahren zugewandt. Dabei hat sich insbesondere

gezeigt, dass Schumanns Musik für Kinder völkische Werte aus der Kinderliteratur

des neunzehnten Jahrhunderts zum Ausdruck bringt.

Ich postuliere, dass Schumanns Musik die Ästhetik der „Kinder- und Hausmärchen“

(1812-57) der Gebrüder Grimm zugrunde liegt. Der Bezug auf Märchen manifestiert

sich hier in sozialer und struktureller Hinsicht: Zuhörerschaft, das Weibliche,

Nationalismus, Familienrituale, binäre Gegenüberstellungen, Elemente mündlicher

Überlieferung, Variationsformen, Motive und Wiederholungen.

Thorsten Palzhoff Berlin): Das Geheimnis der Sphinxe

Im Vortrag soll der Versuch unternommen werden, Schumanns und Heines

künstlerische Verfahren über ein verbindendes Motiv zu untersuchen: den Traum.

Als Dichter wie Kulturkritiker nehmen für Heine Traum und Musik eine ähnliche

Position ein: Beide Phänomene werden als ein Seinszustand auf der Schwelle

zwischen Kollektivem und Individuellem, Poesie und Realität inszeniert, in dem eine

zunächst unverständliche Bildersprache aus oder zur Seele spricht. Wie nah Musik

und Traum im romantischen Denken zueinander stehen, kann besonders prägnant

anhand von Gotthilf Heinrich Schuberts „Symbolik des Traumes“ (1814) gezeigt

werden. Im Vergleich mit Schuberts Traumtheorie lässt sich auch Schumanns

Konzept einer „poetischen Musik“ im Hinblick auf die Frage diskutieren, ob nicht

gerade im pianistischen Frühwerk wie vor allem im „Carnaval“ op.9 die Musik mit

ihrer motivisch einkomponierten Chiffrenstruktur und akustischen Maskerade der

hieroglyphischen Bildersprache des Traums ähnelt.

Eckhard John (Freiburg): Heines „Volkslied“. Der Dichter und das

populäre Lied

Die Lorelei ist bekanntlich die Volkslied gewordene Heinedichtung par excellence –

aber sie wäre zu seinen Lebzeiten (und auch später im 19. Jahrhundert) schwerlich

als „Volkslied“ bezeichnet worden.

Das „Volkslied“ war eine Novität des ausgehenden 18. Jahrhunderts, das seit Herders

Begriffsprägung (1771) und Arnim/Brentanos Wunderhorn (1806/08) den Bereich

der populären Lieder neu definierte. Seine atemberaubende Erfolgsstory im 19.

Jahrhundert wurde durch recht unterschiedliche „Volkslied“-Konzepte begleitet.

Deswegen erscheint es hilfreich – wenn hinsichtlich Heines Lyrik beharrlich der

volksliedhafte Ton dieser Dichtung herausgestellt wird – zu bedenken, was der Autor

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selbst unter „Volksliedern“ verstanden hat und wie sein Verhältnis zu den populären,

traditionellen oder trivialen Liedern seiner Zeit eigentlich war.

Der Vortrag beschäftigt sich daher mit Heines Position im „Volkslied“-Diskurs des 19.

Jahrhunderts und untersucht sein „Volkslied“-Verständnis ebenso wie die

Rezeptionsgeschichte der gleichermaßen legendären wie legendenumwobenen

Lorelei.

Sektion IIID: Kunst- und Kulturkritik

Tom Verschaffel (Löwen): Meyerbeer in der Kritik bei Heine und

Schumann

Giacomo Meyerbeer (1791-1864) played an important role in the life of Heine. They

knew each other well, they collaborated, and the composer, very famous and

successful in his times, supported the writer on many occasions. Later on the

understanding between the two was lost, an evolution which was paralleled by a

shifting of Heine’s appreciation of Meyerbeer’s work and achievements throughout

the years. At first, at a moment in which Heine’s discussion of opera and theatre

concentrated largely on social aspects of cultural production, as expressed in

Französische Zustände (1833) and Über die Französische Bühne (1837), there was a

great admiration, aroused mainly by the actual success the composer met with the

Parisian public, attributed to the political meaning of works like Robert le Diable,

1831), as well as by certain qualities of the work, like the preponderance of harmony

over melody, which was linked to his to his exceptional Bildung. In a later phase – in

Lutezia (1854) for instance – Heine became much more critical towards his former

friend and benefactor, inverting what used to be positive qualities: now Meyerbeer

was seen as extremely solicitous about applause and success, not afraid to manipulate

and to buy friendly covering. Also the prominence of politics in his opera’s roused

criticism and mockery. In this contribution I will try to analyse these shifts in

appreciation, as reflecting changes in personal relationship as well as in esthetical

ideas. Moreover there will be a confrontation of Heine’s criticism of Meyerbeer with

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Schumann’s, which is elucidating Meyerbeer’s inconstant position in Heine’s world

and visions.

Giacomo Meyerbeer (1791-1864) spielte eine wichtige Rolle in Heines Leben. Die

beiden kannten einander gut, sie arbeiteten zusammen, und der zu seiner Zeit sehr

bekannte und erfolgreiche Komponist unterstützte den Schriftsteller mehrfach.

Später verloren die beiden das Verständnis füreinander und diese Entwicklung ging

seitens Heines Hand in Hand mit einer sich im Laufe der Jahre wandelnden

Wertschätzung von Meyerbeers Werken und seinen Leistungen. Zunächst jedoch, als

Heine in seinen Oper- und Theaterkritiken soziale Aspekte des kulturellen Schaffens

betonte, wie etwa in Französische Zustände (1833) und Über die Französische Bühne

(1837), brachte er Meyerbeer große Bewunderung entgegen, die ihren Auftrieb vor

allem durch Meyerbeers damaligen Erfolg beim Pariser Publikum erhielt. Diesen

Erfolg schrieb Heine der politischen Dimension von Werken wie Robert le Diable

(1831) zu, ebenso aber bestimmten Qualitäten von Meyerbeers Kompositionen wie

etwa dem Vorrang der Harmonie gegenüber der Melodie, was Heine mit Meyerbeers

außergewöhnlicher Bildung in Verbindung brachte. Später, so zum Beispiel in Lutetia

(1854), nahm Heine seinem früheren Freund und Wohltäter gegenüber eine

wesentlich kritischere Haltung ein, wobei er die einstigen Vorzüge in ihr Gegenteil

verkehrte: Meyerbeer wurde nun als ein lediglich auf Applaus und Publikumserfolg

begieriger Künstler dargestellt, der nicht davor zurückschreckte, sich Unterstützung

zu erkaufen. Ebenso erregte die Bedeutung der Politik in seinen Opern Heines Kritik

und Spott. In meinem Beitrag werde ich versuchen zu analysieren, inwiefern diese

geänderte Wertschätzung die Entwicklung der persönlichen Beziehung und der

ästhetischen Ideen widerspiegelt. Eine Gegenüberstellung von Heines und

Schumanns Kritik an Meyerbeer soll zudem seinen wechselhaften Ort in Heines

Ideenwelt erhellen.

Robert Steegers (Bonn): Walpurgisnacht und Opernabend. Heine,

Meyerbeer und der Vitzliputzli als reinszenierte Grand Operá

Die akustisch-musikalischen Elemente der theatralisch inszenierten Opferszene im

Vitzliputzli weisen auf die Oper als Referenzpunkt des blutigen Mysterienspiels.

Zugrunde liegt dieser Reinszenierung der Oper im Gedicht die Grand Opéra mit

ihrem Wechsel zwischen Massenszenen und intimen Situationen, ihrem Effekteinsatz

und der Orientierung an den Kategorien Tableau und Schock. Dem Heine der

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Matratzengruft ermöglicht der Vitzliputzli, eine Grand Opéra in reichen Tableaus und

exotischer Szenerie textuell zu realisieren. Keine andere Oper hat Heine so oft

gesehen wie Meyerbeers Hugenotten. Vom Leitmotiv des Bluts bis in Details von

Handlungsführung, Dramaturgie und Bühnenwirkung lassen sich Parallelen

zwischen Heines aztekischer Walpurgisnacht und Meyerbeers Bartholomäusnacht

nachweisen. Heine überbietet Meyerbeers Große Oper im Medium des Gedichts,

parodiert und salviert sie zugleich – und behauptet in der Auseinandersetzung mit

der avanciertesten Kunstgattung der Zeit seine dichterische Meisterschaft.

Ingo Meyer (Bielefeld): Zwischen Hellas und der Hauptstadt des 19.

Jahrhunderts: Klassizistische Rudimente in Heines Kunstverständnis

Um den topischen Verrechnungen Heines als Dichter einer "Übergangszeit" noch

aussagekräftige Facetten abzugewinnen, empfiehlt es sich, gegenüber der in der

Forschung üblichen Betonung seiner produktiven Auseinandersetzung mit der

Romantik das vielleicht noch intrikatere Verhältnis zum Klassizismus zu

perspektivieren. Allerdings ist es bei einem semantisch so "unzuverlässigen" Autor

wie Heine nicht hinreichend, nachzuzeichnen, "was Heine über Schiller und Goethe

sagte" - die latente Wirkungsmacht klassizistischer Kategorien kann nur eine formale

Analyse impliziter Prämissen aufdecken. So wird dem kontextuellen

Bedeutungsgehalt einer Heineschen Zentralmetapher (Marmorstatue), der im

deutschen Diskurs neuen stilistischen Sensibilität für Präsentationsformen der

Philosophie und seiner Literaturkritik in actu an Hand Victor Hugos nachgegangen,

um alternierend klassizistische (Denk-)Figuren und ihre jeweilige Torpedierung in

Heines Prosa aufzuweisen. Dichter aller Zeiten zu sein, ist Heines Anspruch von

Anbeginn und indiziert das poetologische Problem, wie in bis dato singulär

"bewegten Zeiten"; Revolution von Politik, Philosophie und der Wissensbestände,

eine Kunstprosa zu schaffen ist, die im Marginalen das Exemplarische erkennt,

Gegenwärtiges und Vergangenes, Mythos und Moderne wechselseitig relativiert,

kurzum: Zeitgeschichte für die Ewigkeit schreibt.

Sektion IVB: Spätwerke 1848-56

Sigrid Weigel (Berlin): Heines blaue Blume der Passion

Es geht im Beitrag um das Nachleben religionsgeschichtlicher Figuren in der

poetischen Modulation von Affekten.

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In seinem berühmten letzten Gedicht ersetzt Heine die ‚blaue Blume’ durch eine

Passionsblume, in einer Szene, welche die Verkörperung der poetologischen/

christologischen Allegorie in der Figur der Geliebten reflektiert. Von hier aus soll

einerseits Heines Auseinandersetzung mit dem Zusammenspiel von christlichen

Motiven und romantischer Poetologie erörtert werden („Diese Poesie war ... eine

Passionsblume, die dem Blute Christi entsprossen“); andererseits sollen die Texte des

jüdischen Autors auf die Spuren einer Faszinationsgeschichte der passio (und

verwandter Bilder wie des Martyriums) in der Dialektik der Säkularisierung hin

befragt werden, die in jener Szene des letzten Gedicht mündet, die aus der

Perspektive eines toten Mannes im Sarkophag gestaltet ist.

Ariane Neuhaus-Koch (Düsseldorf): Strategien der Öffentlichkeitsarbeit

des späten Heine

Der Heine der 30er und frühen 40er Jahre beherrschte virtuos das Instrumentarium,

mit dem er sein Bild als Autor und Privatmann in der Öffentlichkeit beeinflusste bzw.

steuerte. Es reichte von Gegendarstellungen und Berichtigungen, die eigene

Verfasserschaft verschleiernden Artikeln, initiierten Hintergrundberichten von

Freunden, lancierten Leserbriefen über strategische Vorreden und Nachworte bis

zum Aufbau eines informellen Netzwerks. Mit welchen Mitteln und in welchem

Umfang versuchte der nunmehr „gefesselte Prometheus“ angesichts seiner durch die

Krankheit rigoros eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten und vor dem

Hintergrund eines nach 1848 vollzogenen politischen und gesellschaftlichen

Umbruchs eine konsistente Imagepflege weiterzuführen? Heines Intentionen und

seine Methoden der medialen Einflussnahme auf sein öffentliches Bild werden im

Kontext der Spätwerke: „Romanzero“, „Der Doktor Faust“, „Die Götter im Exil“ und

„Geständnisse“ analysiert.

Michael Gamper (Zürich/Berlin): Aufruhr und Nivellierung. Ästhetische

und politische Virtuosität im Spätwerk Heines

Das ästhetische Problem der Virtuosität spielt in den Werken von Robert Schumann

und Heinrich Heine gleichermaßen eine wichtige Rolle. Heine hat darüber hinaus in

seinen in den 1840er Jahren verfassten und für die Buchausgabe der Lutezia

überarbeiteten Zeitungsbeiträgen zum Leben in Frankreich diese Thematik auch in

andere Diskurse übertragen und dabei die Stilformen der Virtuosität auch auf sich

selbst und sein Schreiben bezogen. So meinen seine Besprechungen von

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Virtuosenkonzerten und seine Schilderungen von exzentrischem Künstlergebaren

immer auch spezifische gesellschaftliche und politische Verhältnisse im Paris der

Juli-Monarchie, und sie beziehen sich stets auch auf die Techniken und Verfahren

der eigenen Darstellung. Künstler, Schriftsteller und Politiker sind dabei die aktiven

Figuren, deren performativen Fähigkeiten sich auf Konzertpublikum, anonyme

Leserschaft und die Menschenmasse richten und diese formen. ‚Virtuosität‘ wird in

Heines Spätwerk deshalb auch zur Chiffre für ein zwischen Nivellierung und Aufruhr

schwankendes Soziales, das einen prinzipiellen Umbruch zur gesellschaftlichen

Moderne hin beschreibt.

Sektion IC Lebens- und Wirkungsräume

Bernd Witte (Düsseldorf): „Das Volk des Buches“. Die Bedeutung des

Judentums für Heines literarisches Schreiben

Anhand des „Rabbi von Bacherach“, des „Ludwig Börne“ und des „Jehuda ben

Halevi“ soll nachgewiesen werden, dass Heines Stellung zum Judentum in der

Grundtendenz von seinen Anfängern als Schriftsteller bis zu seinem Spätwerk

unverändert geblieben ist. Heine, der als erster – noch vor Baudelaire – die

spezifischen Schreibverfahren der Moderne in die Literatur einführt, kann sich dabei

auf sein diasporisches Verständnis des Judentums berufen.

Roger F. Cook (Columbia, Missouri, USA): Die Wiederkehr der Religion:

Heine aus amerikanischer Perspektive

In Die Stadt Lucca behauptet Heine, dass „die Gewerbefreiheit der Götter” das

einzige Mittel sei, die Religion zu retten. Ein Blick auf die zweite Hälfte des

vergangenen Jahrhunderts offenbart, auf welche beinahe groteske Art sich Heines

“Gewerbefreiheit der Götter” im Kontext eines postmodernen Kapitalismus

amerikanischer Art gewandelt hat. Auf gewisse Weise hat ein aus Amerika

stammender, jetzt aber bereits weltweit agierender Neoevangelikalismus Heines Idee

von der Gewerbefreiheit der Götter in die Tat umgesetzt. In diesem Vortrag

analysiere ich vor dem Hintergrund der Neoevangelikalen, wie die grotesken Züge in

der Darstellung konkurrierender Götter in Heines Spätschriften bestimmte Parallelen

mit der Kirche im postmodernen Zeitalter aufweisen. Im Falle der

neoevangelikalischen Megakirchen wird eine Theodizee aufgezeigt, die in der

neoliberalen Verklärung der globalisierten Marktwirtschaft gegründet ist.

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Andererseits dient das Groteske bei Heine zur Enthüllung der tiefgreifenden

Widersprüche, die jede eschatologische Vorstellung von einer auf Freiheit und

Gleichheit basierten Weltreligion prägen.

Ralph Häfner (Berlin): Harfenklang und Totengeläut. Heinrich Heine,

Pierre-Jean de Béranger und die Tradition der Chanson

Die Wirkung der Chansons Bérangers (1780–1857) auf Heine war beträchtlich. Im

März 1832 hatte Heine geschrieben: „Es giebt keine Grisette in Paris, die nicht

Bérangers Lieder singt und fühlt.“ Noch 1854 hebt ein anonymer Kritiker die

Verwandtschaft eines „geistreichen“, „prickelnden“ und geradezu kulinarischen Stils

hervor, der beiden Dichtern gemeinsam sei, und der greise Béranger ist es, der als

einer der letzten Freunde Heine auf seinem Sterbelager der rue Matignon besucht.

Der Beitrag verfolgt das Ziel, das Verhältnis zwischen Heines und Bérangers

dichterischer Produktion abzuschätzen. Die Diskussion um das l’art-pour-l’art-

Prinzip, die Tendenzpoesie und den politischen Gehalt der Dichtung haben darin

bemerkenswerte Spuren hinterlassen. Der dichterische Wettstreit, in den sich Heine

mit dem bewunderten Vorbild eingelassen hat, eröffnet ein beziehungsreiches Spiel,

das über die ausgesprochen politische Chanson bis in die Zeit der Lazarus-Gesänge

reicht.

Matthias Wendt (Düsseldorf): Wie die „alten bösen Lieder“ zu Rübezahl

wurden. Zur Rezeption der Heine-Lieder im Dritten Reich

Was passiert, wenn ein Kernbestand deutscher Musik 1933 plötzlich in den Verdacht

politisch nicht länger korrekter Textwahl gerät? Eine Posse: In vorauseilendem

Gehorsam wird totgeschwiegen, eliminiert, umgestellt und umgedichtet. Schließlich

wird verordnet und alles bleibt, wie es immer war.

Sektion IIE: Musik, Bild und Literatur

Rudolf Drux (Köln): Madonnenliebe. Bemerkungen zu Heines Gedicht

‚Im Rhein, im heiligen Strome’ und Schumanns Vertonung

Sein Lyrisches Intermezzo enthalte, schreibt Heine 1822 an Immermann, „kleine

maliziös-sentimentale Lieder“. Auf den ersten Blick scheint diese Charakteristik auf

das beschwingte Lied Nr. XI (‚Im Rhein, im heiligen Strome’) nicht recht zuzutreffen:

In ihm greift Heine das später noch oft behandelte Motiv der Liebe zu einer leblosen

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weiblichen Kunstfigur auf, die sich hier in Form eines Altarbildes im hohen Dom zu

Köln als die von „Blumen und Englein“ umgebene Madonna konkretisiert; ihre

„freundliche“ Erscheinung regt den Sprecher an, sie mit seiner „Liebsten“

gleichzusetzen.

Gewiss hatte R. Schumann bei der Vertonung des Gedichtes mit der „Bizarrerie“ und

dem „brennenden Sarkasmus“, den er ansonsten „in den Heinischen Liedern“ spürte,

kaum zu kämpfen, das Empfindsame stand für ihn ungetrübt im Vordergrund. Die

eher subtilen Bosheiten wie die Profanierung der Mutter Gottes, die trotz ihres

redundant erhabenen Umfeldes als Bezugsgröße für die Geliebte figuriert, und deren

Realitätsferne, die aus ihrer Projektion in den sakralen Raum resultiert, hat der

Komponist übersehen oder doch zumindest abgeschwächt – in welcher Absicht, kann

gerade ein Vergleich der poetischen und musikalischen Gestaltung des zentralen

Motivs und seiner Kontexte erhellen.

Stefan Neuhaus (Innsbruck) Kreisler und die Folgen. Zur

Künstlerproblematik bei E.T.A. Hoffmann und Heinrich Heine

Die noch heute gültige Vorstellung vom Künstler geht auf das 18. Jahrhundert

zurück, Voraussetzungen sind die Entstehung einer bürgerlichen Öffentlichkeit

(Habermas) und die Trennung von ökonomischem und künstlerischem Feld

(Bourdieu). Künstler erwirtschaften symbolisches Kapital, für ihren Erfolg ist es

zentral, dass sie sich von anderen Künstlern, vor allem aber von den Akteuren im

ökonomischen Feld absetzen, die zu Philistern abgewertet werden. Wie Pierre

Bourdieu gezeigt hat, konstruiert „jeder Künstler sein eigenes schöpferisches Projekt

in Abhängigkeit von seiner Wahrnehmung der verfügbaren Möglichkeiten“. Dies

kann er nur, wenn er „die inhärenten Zwänge und Möglichkeiten“ des Feldes

akzeptiert (Bourdieu: Praktische Vernunft).

Bei Hoffmann entstehen zahlreiche Künstlerfiguren, die sich solchen Regeln

verweigern, von Anselmus über sein Alter ego Kreisler bis zum Einsiedler Serapion.

Bei Heine finden sich ebenfalls Künstlerfiguren und Alter egos, vom Erzähler der

Reisebilder bis zum lyrischen Ich in Epen, Balladen und Gedichten. Die Regeln des

Feldes haben sich allerdings geändert, Künstler sind nun auch gezwungen, sich

politisch zu positionieren, indem sie sich für liberale oder demokratische Reformen

einsetzen; ökonomischer und künstlerischer Erfolg lässt sich durch eine

‚konstruktive’ Begleitung der Politik gewinnen. Heine entzieht sich physisch (durch

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die Emigration) wie literarisch den Anforderungen von beiden Seiten, identifiziert

und unterläuft sie zielsicher.

Im Vortrag soll – die Perspektive Bourdieus ergänzend – gezeigt werden, welche

Strategien Hoffmann und Heine entwickeln, um die Zwänge des Feldes außer Kraft

zu setzen und auf eine Weise innovativ zu wirken, die bis heute nichts von ihrer

Brisanz verloren hat.

Arnfried Edler (Hannover): Schumann und die Ästhetik der Skizze

Robert Schumann gehörte zu den ersten Komponisten, die die Bezeichnung Skizze als

Werktitel verwendeten und sich auch als Rezensenten zu ihr äußerten. Er wurde

deswegen gelegentlich scharf kritisiert. Andererseits entwickelte sich der Begriff in der

Folgezeit zu einer geläufigen Gattungsbezeichnung der Klaviermusik. Zu klären wäre

der kompositorische und ästhetische Hintergrund sowie die Frage, ob und welche

Zusammenhänge mit in der Literatur – etwa bei Heine und Baudelaire – zu

beobachtenden Erscheinungen festzumachen sind.

Berthold Hoeckner (Chicago, Illinois, USA): Schumanns Dichterliebe

und Heines Liebe zur Dichtung

In der Dichterliebe scheint es schlecht um der Liebe zur Dichtung zu stehen, wenn

der Dichter am Ende seine Lieder zu Grabe trägt. Heilt die romantische Musik—

durch ein abschließendes Lied ohne Worte—die Stimmungsbrüche der modernen

Dichtung? Oder wird Schumanns Komposition vom Sehnen und Verlangen zerrissen,

wie in der jüngeren Forschung behauptet wurde? Der Streit um diese Fragen

entzündet sich an der tonalen Struktur des Zyklus. Ist die Dichterliebe ein

musikalisch geschlossenes Ganzes? Oder hat die Ästhetik der organischen Einheit

den analytischen Weg zum Werk als musikalisches Fragment verstellt? Räumt man

allerdings die ästhetischen und analytischen Paradigmen beiseite, so fügen sich die

modernen Züge Schumanns mit den romantischen Tönen Heines zu einem

paradoxen Bild fragmentarischer Kohärenz zusammen.

Sektion IIF: Musik, Bild und Literatur

Anselm Gerhard (Bern): Kann Musik ironisch sein? Kompositorische

Strategien der Heine-Vertonung bei Robert Schumann

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Im Gegensatz zur Literaturwissenschaft fehlen in der musikwissenschaftlichen

Forschungsliteratur klare Aussagen zu Ironie und Ironiesignalen in der Musik.

Dennoch kann vernünftigerweise kein Zweifel daran bestehen, daß die Komponisten

von Heine-Gedichten zumindest zu einem Teil versucht haben, die ironischen Brüche

und die abrupten Wechsel in Stilebene und Erzählstrategie auch mit musikalischen

Mitteln darzustellen. Der Beitrag stellt die Frage nach Ironiesignalen in der Musik

anhand konkreter Beispiele aus dem Werk Robert Schumanns, vor allem anhand der

»Dichterliebe« opus 48. Zum Vergleich werden auch Heine-Vertonungen des Wiener

Komponisten Johann Vesque von Püttlingen herangezogen.

Thomas Synofzik (Köln): Jean Paulscher Kontrapunkt – Zur neuartigen

Polyphonie in Schumanns Klavierwerken der 1830er Jahre

In einem vielzitierten Brief aus dem Jahr 1839 behauptet Schumann, er habe von

Jean Paul mehr Kontrapunkt gelernt als von seinem Musiklehrer. Die jüngst

erschienene Monographie über Schumann’s Piano Cycles and the Novels of Jean Paul

von Erika Reiman (Rochester 2004) bezieht dies lediglich auf "classicizing

tendencies" (155) in Schumanns Kinderszenen. Wolfdietrich Rasch (1961) und Hans

Esselborn (1991/92) haben Jean Pauls erzählerische Modernität unter Verweis auf

die erzählerische Polyphonie, die Vielfalt der Redeweisen und Stimmen begründet.

Dies eröffnet neue Perspektiven, um nach Entsprechungen zu einer solchen

Konzeption in der Satztechnik von Schumanns Klavierwerken zu suchen: Auf ganz

eigentümliche Weise versteht es Schumann, in seinem Klaviersatz einzelne Stimmen

im Klanggewebe hervortreten zu lassen. Die Gegenüberstellung verschiedener

Satzstrukturen ist auf Michail Bachtins Theorie des Karnevalesken zu beziehen, die

auch zum Verständnis der Erzähltechnik Jean Pauls herangezogen wurde.

Olaf Briese (Berlin): Punkt, Punkt, Komma, Strich. Heine und Schumann

als Virtuosen der Interpunktion

Gab es für Interpunktionsregime jemals Aufmerksamkeit? Ist jemals gefragt worden,

wie sie den Kosmos literarischer oder publizistischer Texte strukturieren? Nur

bedingt. Um vor diesem Hintergrund erstens den Autor Heine zu befragen: daß er

selbst energisch eine sogenannte Autonomie der Poesie verfocht, ist in den letzten

Jahren deutlicher als zuvor herausgearbeitet worden, und das macht die Frage nach

seinen Interpunktionsstrategien um so dringlicher. Um zweitens den Autor

Schumann zu befragen: er scheint nicht nur als Tonsetzer ein Virtuose gewesen zu

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sein, sondern, wie seine Rezensionen zum musikalischen Geschehen belegen, auch

ein virtuoser Satzzeichensetzer. Anhand von Schriften vom Ende der dreißiger,

Anfang der vierziger Jahre wird gefragt: Wie positionieren, wie postieren Heine und

Schumann sich mittels Interpunktion? Welche rhetorische Force, welche subversive

Energie schreiben sie ihr ein? Läßt sich von einem kalkulierten oder unkalkulierten

Aufstand der Zeichen sprechen?

Dr. Vera Viehöver (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf): „Dies

verhüllte Genießen der Musik ohne Töne“. Robert Schumanns

Reflexionen über das Medium Schrift

Sowohl in seinen Briefen und Tagebüchern als auch in seinen kritischen Aufsätzen

hat sich Robert Schumann immer wieder mit der Funktion der Schrift als Medium

auseinandergesetzt. Die Notenschrift als hermeneutischer Deutung zugängliches

Zeichensystem interessiert ihn dabei vor allem im Zusammenhang seiner Suche nach

einem inneren Hören, das auf die physikalische Dimension einer Materialisierung

von Musik in Form von Schwingungen nicht mehr angewiesen ist. Bereits in frühen

Jahren zeigt sich Schumann jedoch auch fasziniert von der musikalischen Schrift in

ihrer reinen Materialität. Er erkennt in ihr eine „Notengestaltmusik für’s Auge“,

mithin ein Bildmedium, dem über seine Funktion als Werkzeug des Komponisten

oder Gedächtnisstütze für den ausübenden Musiker hinaus eine spezifische

ästhetische Qualität eignet. Schumanns Reflexionen über Schrift sind keine

Marginalien zu seinem musikästhetischen Werk, sie stehen vielmehr mitten im

Zentrum seiner Kunstkonzeption. Ganz im Sinne des romantischen

Universalitätsgedankens stellt der Komponist sich die Frage nach den Möglichkeiten

der Überwindung von Grenzen zwischen den Künsten, nach den Bedingungen von

„Ausdruck“ sowie nicht zuletzt nach den Mechanismen menschlicher Wahrnehmung.