Herrhausen-Attentat Udo Schulze 30.11.2009

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Herrhausen-Attentat

Udo Schulze 30.11.2009

Zwanzig Jahre danach werden manche Fragen und Spuren

immer unbequemer

Am 30. November 1989 wurde der Sprecher der Deutschen Bank, Dr. Alfred

Herrhausen, Opfer eines Bombenanschlags, dessen Urheberschaft noch immer der

RAF zugeordnet wird. Doch im Laufe der Jahre bröckelte diese These immer stärker.

Jetzt, zum zwanzigsten Jahrestag des Todes von Herrhausen, spricht weitaus mehr

dagegen als dafür, dass Deutschlands mächtigster Banker von der Roten Armee

Fraktion ermordet wurde. Den unbequemen Fragen und Spuren weicht man auf 

Seiten der Behörden allerdings aus, wo es nur möglich ist. Welche Fragen damit

umgangen werden sollen - eine Bestandsaufnahme.

Die Frage nach der toten RAF-Spur: Außer der Existenz eines Bekennerschreibens, das allerdingsauch von anderen mit der sprachlichen Diktion der Terroristen vertrauten Autoren stammen könnte,liegt den Behörden keinerlei Hinweis auf eine Tatbeteiligung der Linksterroristen vor. Hoffnungschöpften die Ermittler Ende der 90-er Jahre, als der mutmaßliche RAF-Mann Horst-Ludwig Meyer 1999 in Wien von der Polizei erschossen und seine Begleiterin Andrea Klump festgenommenwurde. Klump, so lt. "Süddeutscher Zeitung" vom 17. September 1999 die Bundesanwaltschaftdamals, sei an der Ermordung des Deutsche-Bank-Chefs Herrhausen beteiligt gewesen. Doch kurzdarauf platzte der Traum von der Klärung des Herrhausen-Mordes wie eine Seifenblase. Karlsruhehatte Klump aufgrund der Aussagen eines ominösen Kronzeugen verdächtigt. Der angeblich sowertvolle Siegfried Nonne entpuppte sich als Märchenerzähler, der den Behörden auftischte, was

sie gerne hören wollten. Nach Darstellung der Autoren des Buches "Das RAF-Phantom" war Nonneein Nobody aus dem Bereich der Frankfurter Startbahn-West-Gegner, der gezielt in die RAF-Szeneeingeschleust worden war. Seine angeblich wertvollen Hinweise erwiesen sich als nicht haltbar. Somussten BKA und Bundesanwaltschaft den Verdacht gegen Andrea Klump schleunigst wieder fallen lassen.

Ebenso erfolglos zeigte sich die Annahme, Klump-Begleiter Horst-Ludwig Meyer (er wurde inWien von einem Brusttreffer, abgegeben von einem Angehörigen der österreichischen Sondereinheit"Wega", getötet) habe am Attentat auf den Banker mitgewirkt. Während die WAZ am 17. 9. 99triumphierend berichtete, der gelernte Elektriker und "Bombenspezialist der RAF" seimitverantwortlich für Herrhausens Tod, hatte die Deutsche Presseagentur (DPA) bereits mehr als

ein Jahr zuvor in einem Hintergrundbericht den Inhalt eines internen, 80 Seiten starken Papiers desBundesamtes für Verfassungsschutz dargelegt, dass sich selbst die Schlapphüte nicht sicher waren,wohin Meyer eigentlich gehörte. Und ob er überhaupt je Mitglied einer Terrorgruppe gewesen sei,sei mehr als unsicher, hieß es. Unter Umständen, so der Verfassungsschutz, sei man über Jahrehinweg hinter den falschen Leuten hergewesen.

Zu all diesen Irrungen und Wirrungen verlor eine am 25. November 2009 um 23.30 Uhr in der ARDausgestrahlte TV-Doku über Herrhausen nicht ein einziges Wort. Zwar kamen dort Verwandte,Freunde und Weggefährten des Top-Managers zu Wort. Doch bezeichnenderweise hatteHerrhausen-Witwe Traudel es abgelehnt, in dem Streifen aufzutreten, geht er doch mit keiner Silbedarauf ein, was die Frau des toten Bankers vermutet: Eine Verwicklung des MfS (Ministerium für Staatssicherheit der DDR) in dem Mord an ihrem Mann. Erwähnung fand auch die Journalistin undBuchautorin Carolin Emcke in keiner Weise, obwohl sie eine langjährige Vertraute Herrhausenswar. Vielleicht passte sie deswegen nicht ins Bild, weil sie vehement die These vertritt, AlfredHerrhausen sei nicht zwingend von der RAF ermordet worden. In ihrem Buch "Stumme Gewalt,

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 Nachdenken über die RAF" fragt sie auf S. 132: "Warum bleiben die Hinweise auf eine möglicheVerwicklung der Stasi in die letzten Morde der RAF so unbeachtet?"

Davon ist auch der Deutschland-Korrespondent des "Wall Street Journal", David Crawford,überzeugt. In einem Artikel fürs "Journal" schreibt er über seine aufschlussreichen Funde in der Birthler-Behörde und stellt fest, dass zwischen dem, was die Stasi als Plan in ihren Unterlagen für eine Zusammenarbeit mit Terroristen notierte und dem, was die 3. Generation einer Terrorgruppenamens "RAF" beim Attentat auf Herrhausen laut Ermittlungen ausführte, erheblicheÜbereinstimmungen bestehen.

Das Rätsel um die Sprengladung: Erstmals kam am 30. November 1989 im hessischenOberursel/Taunus bei dem Angriff auf die Wagenkolonne des Bankers ein Sprengsatz zur Verwendung, der von hochqualifizierten Spezialisten hergestellt worden sein musste. Nach Angabendes BKA wurde die Sprengladung mittels eines unterirdisch verlaufenden Kabels und einer Lichtschranke, die vom Spiegel eines auf der anderen Straßenseite abgestellten Fahrrades reflektiertwurde, gezündet. Zahlreiche Experten sind sich sicher: Die Bombe konnte nicht allein aus denHänden der deutschen Stadtguerilla stammen. Dabei müssen zumindest im Hintergrund Fachleuteeines Militärs oder Geheimdienstes unterstützend tätig gewesen sein. Dort ist auch das dritte Rätsel

um den Herrhausen-Anschlag angesiedelt, die Herkunft des Bekennerschreibens:Das mit dem obligatorischen RAF-Zeichen ausgestattete Selbstbezichtigungsschreiben zum TodeDr. Alfred Herrhausens, wirft bei seiner Lektüre interessante Fragen auf. Nämlich jene nach denwahren Urhebern des Pamphlets, das mit Aussagen durchsetzt ist, die inhaltlich so gar nicht zur RAF passen wollen. Der Spitzenmanager, so erfahren wir aus dem Papier, "bereite mit der Deutschen Bank den Einbruch in die Länder des Ostblocks" vor. Tatsächlich hatte der Chef desgrößten deutschen Geldinstitutes kurz vor seinem Tod den Aufkauf einer Warschauer Großbank anvisiert. Ein ökonomisch-politischer Bereich, der in den Überlegungen der RAF bezüglich ihrer Anschläge nie eine Rolle spielte. Solche Formulierungen lassen eher auf enttäuschte Angehörigeöstlicher Geheimdienste schließen, die durch den Zusammenbruch des Ostblocks plötzlich vor dem

 Nichts standen.Rätselhaft bleiben auch bis heute die ominösen Sicherheitsleute: Entgegen der landläufigenVorstellung, die Personenschützer Herrhausens seien BKA-Beamte oder andere Polizisten gewesen,soll es sich bei ihnen jedoch um Angehörige des Werkschutzes der Deutschen Bank gehandelthaben, da Herrhausen kein öffentliches Amt bekleidete und somit nicht von staatlichen Organengeschützt werden konnte. Bis heute wirft die Tatsache, dass das Fahrzeug der Personenschützer zwar vor dem Wagen Herrhausens die Lichtschranke passierte, aber nicht den Zünder der Sprengladung auslöste, drängende Fragen auf. Warum die Männer nach der Explosion Minutenwarteten, bis sie zum völlig zerfetzten Herrhausen-Auto liefen, ebenfalls. Und noch mysteriöser erscheint das sich in Kreisen polizeilicher Sondereinheiten hartnäckig haltende Gerücht, wonacheiner der Personenschützer kurz nach dem Attentat auf fragwürdige Art und Weise aus dem Lebenschied.

Bliebe schließlich die Frage nach der Gefährdungslage Herrhausens: Gut eine Woche vor demAnschlag sollen beim BKA Attentatsdrohungen gegen den Wirtschaftsmanager bekannt gewordensein. Diese seien geklärt worden, hieß es kryptisch beim Bundeskriminalamt. Doch was kam bei der Klärung heraus? Wer steckte hinter der Drohung und welches Motiv hatten sie oder er? Vielleichtkommt ja jetzt zum 20. Jahrestag des Attentats etwas mehr Licht ins Dunkel des Falls. Oder solltees auch hier - wie im Fall Verena Becker - eine Akte geben, deren Öffnung dem "Wohle der Bundesrepublik oder eines ihrer Länder" entgegen stünde? Übrigens: An dem Tag, an dem AlfredHerrhausen starb, öffneten sich für Verena Becker die Gefängnistore.

Telepolis Artikel-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31612/1.html 

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