Herrigel - Der Zen Weg

download Herrigel - Der Zen Weg

of 120

Transcript of Herrigel - Der Zen Weg

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    1/120

    EUGEN HERRIGEL

    DER ZEN WEG

    UFZEICHNUNGEN US

    DEM

    N CHL SS

    IN VERBINDUNG MIT GUSTY L HERRIGEL

    HER USGEGEBEN VON

    HERM NN T USEND

    OTTO WILHELM B RTH VERL G

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    2/120

    Vierte Auflage

    Alle Redne auch die des auszugsweisen Nachdrucks der photomechanischen

    Wiedergabe und

    bersetzung

    vorbehalten

    958

    by Otto

    Wilhelm

    arth

    Verlag Mnchen

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    3/120

    VORWORT

    Eugen Herrigels ,,,Nachgelassene Aufzeichnungen

    werden hier in unveranderter 3. Auflage vorgelegt.

    s

    handelt sich um Niederschrifien, die Herrigel selbst

    nicht mehr zu

    einem Buche gestaltet bat. Gleichwohl

    sind diese von ihm selbst durchgeformten Fragmente

    ber die Mystik des Zen eine unschatzbare

    lnfor-

    mationsquelle, die nicht berholt

    und

    nicht ersetzlich

    geworden ist durch das Erscheinen

    auch

    zahlreicher

    anderer Vero/fentlichungen ber diesen Gegenstand.

    Was als Notiz

    von einem Gewahrsmann aus

    japan

    in der

    1

    Auf

    age dies

    es

    Buches mitgeteilt wurde, ist

    seit den drei/Jiger ]ahren inzwischen wiederholt be

    statigt worden: Herrigel sei der einzige Nicht-fapaner,

    der das W esen des Zen begri

    ff

    en und einen H

    auch

    sei

    nes wahren Geistes versprt habe. So berichtete es noch

    jngst Ernst Benz aus einem f apanaufenthalt als die

    unabhangig voneinander ausgesprochene M einung ver

    schiedener japanischer Zen-Meister.

    Die wichtigsten biographischen N otizen ber Eugen

    H errigel sind am Ende dieses Buches zu finden. Au

    eine Gesamtwrdigung der einzigartigen Personlich

    keit Herrigels, wozu

    im

    besonderen das Gedenken

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    4/120

    zu seinem Hinscheiden Anla/J war ist in dieser 3. Auf-

    lage verzichtet.

    s

    bedarf des Rhmens nicht

    auch

    nicht des Schutzes gegen Verkennung und Verzerrung

    seines Personlichkeitsbildes. W

    er

    die nachstehenden

    Aufzeichnungen liest kann auch ihn kennen lernen

    wieerwar

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    5/120

    ERZEN WEG

    Aus den Aufzeichnungen von Eugen Herrigel

    Zen-Meister sind ewige Wanderer.

    n

    und f r si

    h

    ist das W ort weniger als der Ge

    danke der Gedanke weniger als die Erfahrung. Das

    W ort ist Filtrat und was si h darin niederschlagt ist

    des Besten beraubt. Platon im 7. Brie/: Ein ernsthafter

    Mann der

    si h

    mit ernsthaften Dingen beschiiftigt

    sollte nicht schreiben.

    Man m/Ite viele Leben haben um die Wahrheit

    des Zen

    zu

    erfassen sie

    zu

    sein.

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    6/120

    ZEN UND DIE KLASSISCHE BUDDHISTISCHE

    VERSENKUNGSMYSTIK

    Allein schon um der methodischen Begrndung der

    mystischen Existenz willen unterscheidet

    sich

    die

    buddhistische Mystik auffallend von der der brigen

    Welt. Sie hat die Versenkung zu einer Kunst erhoben,

    in der die Technik nicht nur, wie in aller Kunst, die

    ihr gebhrende Rolle spielt, sondern einen beraus

    breiten Raum einnimmt. Und

    damit

    hat

    sie

    sich

    ein

    Verdienst von geradezu unabsehbarer Tragweite er

    worben: Sie hat die mystische Praxis dem bloBen

    Ungefahr entzogen. Auch sie bezeichnet die Gesamt

    heit der Leistungen, die zur Entsinkung fhren, ais

    Weg . Aber nirgendwo sonst hat der Weg, die Me

    thode der Versenkung, eine derart fondamentale Be-

    deutung gewonnen.

    Ostasien verdankt dem Weg uddhas unendlich

    viel. Es

    hat

    einen einzigartigen

    Typ des

    priesterlichen

    Menschen hervorgebracht. Ob dabei das erreichte

    Niveau berall im Buddhismus bis heute gehalten

    ist,

    sei

    hier nicht gefragt. Auch nicht, ob aus strenger

    Methode Routine geworden ist, aus Erleuchtung ge

    lehrtes Wissen.

    Vom Zen-Buddhismus soll hier die Rede sein.

    Und

    auch bezglich

    des

    Zen sei hier nicht

    er>rtert

    wann,

    wie, durch wen es entstand, nur: weshalb es - dem

    Buddhismus

    zugeh>rig

    - methodisch einen anderen

    W

    eg

    einschlug ais die klassische buddhistische Ver

    senkungsmystik.

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    7/120

    Es ist auffallend, daB im Buddhismus Erleuchtung

    in der reinen Schau eben jener Wahrheiten besteht,

    mit der die Meditationsarbeit anhebt, in abstrakter

    Fassung, aller Gefhlseinschlage beraubt, die Erkennt

    nisse

    wiederkehren, die zur Weltflucht treiben, das

    Urerlebnis Buddhas also, ais er noch nicht erleuchtet

    war, sondern

    sich

    erst auf den

    Weg

    machte, sanktio

    niert wird. Erklart sich das Ergebnis dann nicht dar

    aus,

    daB

    dem Meditierenden das Thema sozusagen

    zur fixen Idee wird?

    Der Buddhist geht davon aus,

    daB

    Leben Leiden

    sei.

    Wie aber, wenn das Urerlebnis anders ware: das Le

    ben ais erfreulich und die Welt ais beglckende

    r-

    monie erlebt wrde, mBte dann nicht auch die Er

    leuchtung demgemaB ausfallen? Dabei ware dann

    freilich unbegreiflich, weshalb man

    sich

    von dieser

    schonen

    und harmonischen Welt loszulosen versuchte.

    Man kommt also auf diesem W

    eg

    der Meditation

    offenbar nicht ber sich selbst hinaus. Man kommt

    nicht in ein

    jenseits

    von Denken und Nichtdenken,

    Lust und Unlust usw., sondern

    bloB

    zum Nullpunkt,

    den man ais jenseitig ausgibt. Womit wird dann aber

    eine Unio vollzogen? Doch nur soviel: daB der sich

    Versenkende zwar von dem

    sich

    loslst, was nicht

    zu seinem eigentlichen Wesen geh0rt, und somit auch

    nur

    sich

    selbst wenn auch den tiefsten Grund seines

    Wesens

    findet.

    Es

    mBte folglich - darauf konnte man kommen -

    auch moglich sein, Versenkungs- und Konzentrations

    bungen ohne vorgegebenes Thema zu betreiben, einen

    Weg also einzuschlagen, bei dem man sich an nidits

    Festes, Objektives halten kann - ohne alle welt

    ansdiaulidien Voraussetzungen also, derart,

    daB

    das

    Dasein weder leidvoll nodi lustvoll gilt, weder has

    sens- nodi liebonswert, audi wenn

    es

    verganglich ist.

    Weltansdiauung soll vielmehr erst aus der Erleudi-

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    8/120

    tung kommen DaP es Erleuchtung gibt, hat Buddha

    selbst verheiBen. Vielleicht fallt sie ganz anders aus,

    wenn man ihr nic hts suggeriert. DaB dies moglid:i

    sein muB geht aus dem Weg Buddhas hervor.

    Es

    gibt

    da ein Stadium der Indifferenz, da steht man im

    Nullpunkt

    zwisc hen Wissen

    und

    Nic:htwissen und

    richtet sic h auf

    nic hts

    mehr. Aber - in der buddhisti

    sc hen Versenkung ist man durch die vorhergehenden

    Stufen vorbelastet.

    Wie nun, wenn man es ohne dies von Anfang an

    so mac hte? Einfac:h bte, sich zu versenken, vollig

    leer zu werden, ohne Programm? Den

    Mut

    hatte,

    es

    darauf ankommen zu lassen.

    1

    Das

    war

    der Weg des ZEN Es laBt sich

    nic ht

    fest

    stellen, wie lange das Nic hts so versuc:ht worden ist.

    DaB es aber gelang, beweist das Dasein

    des

    Zen in

    China und

    J

    a pan. DaB

    es

    glanzend gelang, beweist

    die Lebendigkeit des Zen bis auf den heutigen Tag.

    Unverstandlic:h bliebe von hier aus nur: welc hen

    Grund

    zur Loslosung vom Dasein sollte der Zenist

    haben, da er

    sich

    dem Dasein gegenber weltanschau

    lich vollig neutral verhalt? Eine Erklarung dafr lieBe

    sich

    zunac:hst

    gesc hic htlich

    geben: er wuBte, daB

    es

    Erleuc:htung und einen Weg zu ihr gibt. Nac:htraglich

    aber konnte er sagen, daB die Erfahrungen, die er

    gemacht hatte, die

    groPe Befreiung

    seien.

    Wovon

    n

    welc hem

    Sinn

    Darauf gibt das Ganze Antwort.

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    9/120

    ElGEN RT DES ZEN

    abgehoben von europaischer Mystik)

    lm Zen hat der ensch durchaus nicht die zentrale

    Stellung wie in der europaischen Mystik, in welcher

    die

    unio mystica

    als der berschwenglich beglckende

    und verpflichtende Vorzug des Menschen erscheint.

    Er, nur er, ist unter allen Wesen dazu berufen, und

    indem er sie erreicht, tritt er aus dem Stand des Seins

    in der Welt heraus. Ek-stasis nennt man

    dieses

    Heraus

    treten, dieses Sich-verlieren und Sich-wiederfinden,

    dieses

    Abscheiden und Wiedergeborenwerden. Was er

    dabei wiederfindet, ist seine eigentliche Mitte, sein

    im Grunde unverauBerliches Selbst, das in der

    unio

    aufgehoben und dennoch bewahrt wird.

    In

    Gott, in

    der Gottheit, oder wie man sonst in der europaischen

    Mystik das nennt, womit und worin die unio

    si h

    ereignet, wird das Selbst nicht endgltig ausgeloscht,

    sondern gerettet, begnadigt und besiegelt. Nur vor

    bergehend, nur um der Einswerdung willen, welche

    die Zweiheit nicht ertragt, wird die Entselbstung ge

    fordert, weil

    si h

    Gott nur in diejenige Seele hinein

    gebiert, die ihr Selbstseinkonnen ais letztes und hoch

    stes

    Opfer dargebracht hat und keinen Widerstand

    mehr leistet.

    lst

    die Geburt vollzogen, dann wird

    die Seele die von Gott ermachtigte Mitte, aus

    si h

    selbst zu sein und zu leben wie ein aus

    si h

    rol

    lendes Rad.

    lm

    Zen

    dagegen ist das menschliche Dasein ais sol

    hes

    ekstatisch und exzentrisch, ob es dessen inne

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    10/120

    wird oder nicht.

    Je

    mehr

    sich

    der Mensch ais ein

    Selbst fhlt,

    es

    zu steigern und in unendlicher, in

    Wahrheit nie erreichbarer Annaherung zu vollenden

    versucht, um so entsdiiedener ist er aus der Mitte

    des

    Seins

    die nicht - nicht mehr - seine eigene Mitte

    ist, herausgetreten, um

    so

    weiter

    hat

    er

    sich

    von ihr

    entfernt.

    Fr

    den Zen-Buddhisten lebt alles Daseiende auBer

    dem Menschen, leben Tiere und Pflanzen, Stein und

    Erde, Luft, Feuer und Wasser, anspruchslos aus der

    Mitte

    des

    Seins, ohne

    sie

    verlassen zu haben und

    verlassen zu konnen. Will der verirrte und verwirrte

    Mensch die Geborgenheit und Unschuld des Daseins

    erlangen, die jene so berzeugend darleben, weil sie

    von Grund aus absichtslos sind, dann bleibt ihm

    nic hts

    anderes brig ais radikale Umkehr. Er muB

    den Weg, der

    sich

    ihm in tausend .i\.ngsten

    und

    Noten

    ais Abweg entlarvt hat, zurcknehmen, alles von sich

    abstreifen, was ihn zu

    sich

    selbst zu bringen ver

    sprach, dem verlockenden Zauber eines Lebens aus

    eigener Macht entsagen, um heimzukehren in das

    Haus

    der Wahrheit , das er Phantomen nachjagend

    mutwillig verlassen hat, kaum

    war

    er flgge gewor

    den. Er

    muB

    nicht werden wie die Kindlein , son

    dern wie Wald und Fels, wie Blte und Frucht, wie

    Wetter und Sturm.

    lm Zen bedeutet unio Heimkehr, Herstellung eines

    ursprnglichen, aber verlorenen Zustandes.

    Und

    so

    muB der Mensch, um wie Tier und Pflanze und alles

    Daseiende berhaupt aus der Mitte leben zu konnen,

    den Weg einschlagen, der alles negiert, was an

    ihm

    exzentrisch ist.

    n

    Ostasien wird diese Heimkehr und Umkehr nicht

    dem Zufall berlassen. Sie kann vorbereitet, ins Le

    ben gerufen werden. Das geschieht vor allem in Japan.

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    11/120

    lm Zen-Buddhismus wird dieser Weg methodisch be

    schritten.

    Gegen das angedeutete Seinsverstandnis des Zen

    Buddhismus konnte nun gerade ais Einwand geltend

    gemacht werden: der ostasiatische Mensch sei doch

    nie in seiner langen Gesd1ichte auch nicht in der Ge

    genwart

    so

    hoffnungslos aus der Natur herausgefal

    len wie vergleichsweise der europaische Mensch. Das

    ist zweifellos richtig und laBt

    sich

    nicht

    nur

    durch

    einen Blick auf das tagliche Leben sondern

    noch

    deutlicher und eindeutiger aus der ostasiatischen Kunst

    belegen. Aber man

    mu sich

    klar darber sein

    da

    selbst ungebrochene

    aturnahe

    noch lange nicht

    Zen-

    Nahe bedeutet. Die

    Natur

    man fasse sie begrifflich

    wie man wolle ist keineswegs jene allumfassende

    Wahrheit aus der zu leben das Wesen des Zen aus

    macht. Aber auch durch Hinweis darauf ist nichts

    gewonnen da der ostasiatische Mensch - und vor

    nehmlich der J a paner - jenen Bindungen welche die

    Tradition auferlegt sich kaum entzogen habe oder

    zu entziehen vermoge trotz Modernisierung seines

    Lebens in wirtschaftlicher politischer und technischer

    Hinsicht. Der Einwand verfangt nicht und geht nicht

    auf den Kern. Denn: ais der Zen-Buddhismus nach

    Japan eindrang war von Modernisierung des Lebens

    noch keine Rede. Obgleich also damais die Menschen

    in ungebrochener Naturnahe und im Banne der frag

    los bejahten Tradition lebten lie sich der Zen

    Buddhismus nicht iin geringsten davon abhalten die

    ses

    behtete Dasein ais exzentrisch anzusehen ais

    Abfall und endlich ais Schuld.

    Fr den Zen-Buddhismus ist ein Abfall und damit

    eine Schuld in der freigelassenen Moglichkeit

    des

    Men

    schen vorbereitet weitgehend aus sich selbst zu leben.

    Der Mensch fhlt

    sich

    und erlebt

    sich

    als ein Ich.

    Die Ichhaftigkeit fhrt ihn zu Ichsucht und Selbst-

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    12/120

    behauptung in verscharfter Abgrenzung zu allem

    Nicht-Ich und damit

    zur

    Herzensverhartung.

    Er

    fhlt

    sich und macht

    sich

    zur Mitte wenn nicht bewuBt

    so

    doch insgeheim. Diese Entwicklung hat die T en

    denz

    sich

    weiter zu verscharfen. Es ist aber gar nicht

    ntig

    daB

    das bis ins Extrem fhrt.

    Fr

    den Zen

    Buddhismus sind schon die ersten selbstischen Regun

    gen

    des

    Kindes unvermeidlich

    und

    verderhlidi. Daher

    ist

    es

    kein Einwand zu sagen: der Ostasiate

    sei

    nie

    bisher aus der

    Natur

    herausgefallen wie der euro

    paische Mensch und lebe noch immer in traditionellen

    Bindungen. Dies heht nicht auf

    daB

    er trotzdem im

    Kampf

    mit seiner Ichhaftigkeit liegt und daher weit

    davon entfernt ist

    so

    aus sich selbst zu

    le

    ben ais

    wrde er gelebt und umgekehrt.

    Die besondere Gefahr

    a ber

    besteht darin daB der

    Mensch naiverweise das gar nicht weiB

    und sagte

    man

    es

    ihm

    es

    nicht verstehen kann. Mit seiner Ich

    haf

    igkeit verbindet

    sich

    eine Entstellung der Daseins

    wirklichkeit. Sein Blick ist verstft.

    Er

    kann also gar

    nicht vergleidien und den Unterschied zwischen dem

    was er ist und dem was er sein sollte einsehen.

    Denn: was und wie er sein sollte laBt

    sich

    nicht

    vorweg beschreiben. Das ist nicht ein anderer Stil

    eine andere Richtung seines alltaglichen Lebens kein

    Bild das er verwirklichen konnte; nichts was

    er

    mit

    BewuBtsein und Willen Ernst und Verantwortungs

    hewuBtsein durchfhren konnte sondern etwas total

    anderes: etwas das

    sich

    ihm vollig entzieht

    nur

    durdi

    Wandlung von der Basis her erreicht werden kann:

    durdi

    Umkehr

    aher

    predigt der Buddhismus nicht. Das bleihen

    Worte. Er wartet auf die die

    sich

    beengt fhlen und

    unsicher von geheimer Sehnsucht getrieben.

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    13/120

    lm

    folgenden wird nun der Gang der Sdmlung

    und Wandlung von Menschen beschrieben, die in Ja

    pan auf diesen Weg gebracht werden: in zen-buddhisti

    schen

    Klostern.

    Zuvor sei noch eine allgemeinere Bemerkung voraus

    geschickt. Wer die Moglichkeit und das Glck hat,

    japanische Zen-Buddhisten in jahrelangem vertrautem

    U mgang kennen zu lernen, vermag

    sich

    kaum der

    Versuchung zu entziehen, sie bis in die unscheinbar

    sten 1\.uBerungen ihres alltaglichen Lebens zu beob

    achten, gleich ais oh

    es

    auf diese Weise gelange, das

    Ratsel zu losen, das sie aufgeben. Denn tief betrof

    fen wird er dessen inne,

    da

    er es mit Menschen

    eines ganz eigentmlichen Schlages zu tun hat. Nicht

    nur in ihrem un und Lassen, Reden und Schweigen

    scheinen

    sie

    unter einem besonderen Stern zu stehen,

    sondern auch

    in

    ihrem absichtslosen Gehaben: in ihrem

    Stehen und Gehen, in der Art, wie sie Tee trinken

    oder eine lastige Mcke verscheuchen.

    Es

    ist, als oh

    die Welt, aus der

    sie

    leben, ihr Dasein in unvergleich

    licher Weise gepragt hatte. So da

    sich

    nichts in ihnen

    und um sie herum ereignet, was nicht in fhlbaren

    Bezug zu ihr schon getreten ware oder zu treten

    sich

    anschickte - zu jener unsichtbaren Mitte, die Rang

    und Schicksal ihrer Existenz bestimmt. Sie selbst spre

    chen nicht ber das, was sie im tiefsten Inneren be

    wegt und nicht bewegt) und unterliegen nicht dem

    Drang, Bekenntnisse abzulegen. Mit undurchdring

    lichem Lacheln entziehen sie

    sich

    dem Erforschen und

    berh0ren vollends Fragen, die bloBe Neugier stellt.

    So vermag sich ihrem Geheimnis auch nur zu nahern,

    wer

    es

    selbst zu erleben

    sich

    auf den Weg macht.

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    14/120

    SCHULUNG

    IN DEN ZEN BUDDHISTISCHEN

    KLOSTERN

    Die jungen Zoglinge eines Klosters zum Priester

    beruf bestimmt kommen ostasiatischen Verhaltnissen

    entsprechend selten aus eigenem Antrieb.

    In

    den mei

    sten Fallen folgen

    sie

    dem Wunsch der Eltern. Solche

    Zoglinge machen sich diesen Wunsch aber so sehr

    zu eigen

    da

    er wie eigener Antrieb wirkt. Sonst

    wrden

    sie

    keine Befriedigung finden. Denn die Lauf

    bahn eines Priesters ist nicht gerade verlockend: Stren

    ges

    e n t e h r u n g ~ r e i c h e s

    Leben fr dessen Drftigkeit

    aber innerer Reichtum entschadigt so sehr

    da sie

    es

    nicht mehr vertauschen konnten. Aber zu bungen

    in Meditationshallen zen-buddhistischer Kl0ster kom

    men berdies noch andere: Schiller aller Jahresklassen

    die sich auf irgendeinen Beruf vorbereiten oder schon

    darin stehen und unter ihnen Knstler aller

    Art

    ais

    besonders erwnscht. Diese kommen - zu vorber

    gehendem Aufenthalt - nur aus eigenem Antrieb

    nicht nur vom Geist des Zen schon irgendwie berhrt

    sondern in der berzeugung

    da

    engerer Kontakt

    damit ihnen gibt wovon sie nicht nur ihres Berufs

    sondern auch um ihrer selbst willen nicht absehen

    drfen.

    Diese alteren Schler sind durch Lebenserfahrungen

    oder Beruf schon irgendwie geformt und vielleicht

    bewahrt. Und das ist fr ihre Auswahl und Zulas

    sung fr ihr Gefundenwerden durch den Meister

    wichtig. Sie stehen schon in einem mehr oder weniger

    umfanglichen Pflichtenkreis haben gelernt

    sich

    in den

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    15/120

    Dienst irgendeiner Sache, von Pflichten zu stellen,

    haben eine vielleicht nicht unbetrachtliche Willens

    und Verstandesschulung durchgemacht. Und darauf

    wird,

    so

    berraschend

    es

    sein mag, Wert gelegt. Dann

    was

    sie

    erlernen sollen: Konzentration um der Medi

    tation willen, erfordert die Fahigkeit,

    sich

    stunden-,

    tage-, wochenlang auf einen und denselben Sach

    verhalt zu konzentrieren. Dies setzt Festigkeit und'

    Ausdauer

    des

    Willens ebenso wie klaren Verstand

    voraus. Ausgesprochene Gefhlsmensd:ten tun

    sich

    -

    wider Erwarten - schwer, ja vielleicht dringen

    sie

    nicht ein. Eine Erleichterung aber ist,

    da

    der japani

    sche Mensch es gelernt hat, Pflichten selbstverstand

    lich nachzukommen, auch ohne Neigung. Es

    ist

    dies

    die einzige Stelle, wie

    ich

    glaube feststellen zu kon

    nen, an der der Japaner das Ethos des ,,Sollens ,

    den ,,kategorischen Imperativ versteht und billigt.

    Und

    so

    wird auf sittlichen Charakter groBer Wert

    gelegt wie auch auf Beachtung der sozialethischen

    Ordnungen - nicht ais oh die Lernenden endgltig

    dabei stehen bleiben sollten - Zen berwindet diesen

    Standpunkt - sondern als Anfangsstadium.

    Ethisches Verhalten ist hier nicht Selbstzweck, son

    dern nur Mittel, eine Verfassung herzustellen, welche

    fr den Beginn unerlaBlich ist.

    Diese Schulung von Willen und Verstand wird

    erganzt und untersttzt durch drftig-einfache Ernah

    rung, praktisch-k>rperliche Arbeit zur Erholung, dazu

    kommt nur das erforderliche

    Ma

    an Schlaf auf har

    tem Lager.

    Es

    herrscht eine beraus strenge Zucht.

    Pnktlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Selbstbeherrschung

    werden verlangt, Ertragen von

    itze

    und Kalte, un

    abhangig von der Witterung.

    Schon von dieser Seite her wird der EinfluB des

    Zen-Buddhismus auf das Samuraitum verstandlich,

    ja,

    da

    der Samurai-,,geist dadurch wesentlich be

    stimmt worden ist. Noch heute ist der Unterricht im

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    16/120

    BogenschieBen und Schwertkampf durch strenge Zucht

    ausgezeichnet. Die bungen werden mit Vorliehe auf

    frheste Morgenstunden verlegt man ist nchtern.

    Der Unterschied der Jahreszeiten spielt keine Rolle.

    Die kaltesten wie die heiBesten Stunden werden

    bevorzugt.

    Bei

    den jungen Zoglingen befleifgt man sich eines

    anderen Stils:

    Sie

    sind in jeder Hinsicht Anfanger

    unbeschriebene Blatter. Der Meister

    muB sie

    erst ken

    nen lernen bevor er sie auf den Zen-Weg setzen

    kann. Daher ist ihre Tatigkeit zunachst eine ganz

    andere ais erwartet. Sie mssen Raume saubern

    Kchen- Feld- und Gartenarbeit verrichten. Dabei

    werden

    sie

    vom Lehrmeister insgeheim beobachtet.

    Aber nicht nur Tempo

    Geschick

    und

    Geschmack

    zah

    len sondern wichtiger sind: Willigkeit Eifer Ge

    wissenhaftigkeit Selbstlosigkeit Dienstbarkeit. Sie

    durchlaufen also gleichsam eine Probezeit. Dabei ruht

    der untrgliche Blick

    des

    Lehrers auf ihnen. m we

    nigsten beachtet er wie

    sie sich

    ihm gegenber auf

    fhren. Denn

    daB sie

    ihm ehrfurchtsvoll begegnen

    ist selbstverstandlich aber nicht aufschluBreich genug.

    Wie sie sich zu Mitschlern verhalten worber sie

    sich

    unterhalten ist nicht charakteristisch genug.

    Denn auch im Kloster bilden Stil und Atmosphare

    etwas dem man sich anpassen kann - man kann

    so

    tun ais oh. Zu achten auf das was einer unterlassen

    hat ist darum oft

    noch

    wichtiger ais darauf was er

    tut. Dagegen sagt der Umgang mit Dingen Geraten

    gerade wenn der Zogling unheobachtet ist sehr viel.

    Das ist verraterisch. Meister kennen sich darin aus.

    Sie vermogen daraus zu lesen vielleicht mehr ais

    unsere Graphologie aus der Schrift. Der Meister ver

    hait sich zu ihnen unnachsichtig streng kurz angehun

    den ais Feind

    des

    Schlers in wahrster Bedeutung.

    Es ist das aber eine Strenge aus Gte unabhangig

    von Launen und Gefhlen.

    r

    ist unbeirrbar und

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    17/120

    konsequent. Es gibt aus der Geschichte des Zen

    Buddhismus sogar Beispiele mitleidloser

    arte

    des

    Meisters. Der Schiller kann noch nicht erkennen, daB

    das alles, wie

    sich

    spater herausstellt, aus Barmherzig

    keit geschieht.

    Wenn der Schiller dann aber soweit ist, beginnt

    die eigentliche U nterweisung, die man - mit Vor

    behalt - "geistig" nennen darf. (Die spezifisch gei

    stige Zucht beginnt mit der Lauterung, Reinigung der

    Anschauungskraft

    Zunachst ist gefordert, Gegenwar

    tiges in seiner ganzen sinnlichen Fillle auffassen zu

    konnen, unter Umstanden auch mit seinem beleidigen

    den und widerwartigen Drum und Dran, und auf

    die Dauer festzuhalten. Immer wieder gilt es

    sich

    von neuem in Wahrnehmungsgehalte zu versenken,

    bis man sie auswendig

    weiB

    und nacfr Belieben in

    der Erinnerung

    so

    hervorrufen kann,

    daB

    sie

    sich

    in all ihrer sinnlichen Fillle prasentieren.

    lst dies gelaufig,

    so

    muB

    man lernen,

    sich

    dar

    ber zu erheben, das Angeschaute nun gleichsam von

    innen her ergreifen, es durchschauen und so fassen,

    wie es der Kilnstler, mit wenigen Strichen sein

    Wesen

    verdichtend, sieht und darstellt. Hieraus schon wird

    verstandlich, wieviel die

    Kunst

    dem Buddhismus

    verdankt.

    lst dies bis zur Meisterschaft gelaufig, dann laBt

    sich

    eine Steigerung erzielen: Landschaften, Felder

    mit Blumen, Herden, Menschenmassen in den

    Blic:k

    zu fassen, und zwar so, daB man trotz des Waldes

    noch

    immer die Baume sieht, dann aber in Verdiln

    nung hres Realitatsgehaltes im Einzelnen den blei

    benden Charakter des Ganzen faBt und diesen wie

    in unendlicher Abbreviatur festhalt. SchlieBlich mu

    auch diese ideierende Schau des reinen Wesens noch

    berboten werden: die Welt selbst, leere Raume und

    schlieBlich

    den unendlichen Raum

    mu

    man vorstel

    len und dadurch die Anschauungskraft erweitern kon-

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    18/120

    nen.

    Es

    ist moglich,

    da

    hier alles ins Vage ber

    geht. J edenfalls aber bleiben

    solche bungen

    nicht

    ohne EinfluB.

    Die Anschauungskraft zu ben, fhrt nicht nur zur

    Steigerung der geistigen Konzentrationsfahigkeit als

    solcher, auch der mystisch Erfahrene, der

    sich

    in der

    Lebenswirklichkeit bewegt, hat, wie

    sich

    spater er

    geben wird, gesteigerte Anschauungskraf n0tig.

    Erst wenn diese erreicht ist, setzt die eigentliche

    Meditationsarbeit ein.)

    tembungen

    ei

    der mit Vorbehalt ,,geistig zu nennenden

    grundlegenden Unterweisung handelt

    es sich

    um Atem

    bungen im Lotussitz. Fr den Japaner ist dieser

    Sitz leicht zu erlernen, da er von Jugend auf mit

    untergeschlagenen Beinen auf seidenen Kissen sitzt

    und

    erst in der Schule Sitzen auf Sthlen und Ban

    ken kennen lernt. Fr den Europaer ist jene

    rt des

    Sitzens zunachst qualvoll und deshalb gefahrlich,

    weil ja die Aufmerksamkeit nicht abgelenkt werden

    soll. Daher wird er

    sich

    zunachst mit einem Halb

    Verschrankungssitz oder mit dem Sitzen auf einem

    Stuhl begngen mssen. Wem aber der Lotussitz

    mhelos gelingt, der wird zugeben,

    da

    er das Ge

    fhl vollkommener Abgeschlossenheit hervorruft. Vom

    bequemen Sitz hangt deshalb

    so

    viel ab, weil die

    Atmung zu vollkommener k>rperlicher Lockerung

    fhren soll. Das wird erreicht durch Konzentrtion

    auf die Atmung selbst.

    Es

    wird in natrlichem Rhyth-

    mus aus- und eingeatmet, aber jeder Atemzug mit

    BewuBtsein vollzogen, sogar anfangs gezahlt. Die

    Ausatmung wird betont, denn

    sie

    wirkt loslosend.

    Je besser

    es

    gelingt, um

    so

    immuner wird man auBeren

    Eindrcken gegenber. Diese werden am Ende kaum

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    19/120

    an- und aufgenommen. Gleichzeitig damit erfolgt

    eine Entspannung. Am

    SchluB

    ist man nur

    noch

    Atmung; man wird geatmet. Die Atmung hat nun,

    sich

    selbst berlassen - also ohne noch beachtet oder

    bemerkt zu werden

    -

    ihren eigenen Rhythmus ge

    funden. Sie dampft

    sich

    herab auf ein Minimum, das

    gerade noch gengt. Dabei entsteht allerdings auch

    die Gefahr des D0sens, gegen das man in der k10ster

    lichen Erziehung den Stockschlag, d. h. die auf

    scheuchende Berhrung mittels eines langen Stabes

    angewandt hat.)

    Aber das ist nun auch die Stelle,

    an

    der je ener

    gischer das

    A uBere

    ausgeschaltet, das Innere laut wird.

    Es

    ist das nach Ausschaltung auBerer Reize die -

    fahrungsquelle, die der Lehrmeister verstopfen muB

    Man darf

    sich

    ber nichts, was auch zum Vorschein

    kommen moge, und

    sei

    es noch

    so

    beschamend, wun

    dern. Man

    muB

    alles gelassen hinnehmen, wie wenn

    man bloB Zuschauer, uninteressiert, ware, Beobaditer

    eines Gesdiehens, fr das man nicht einzustehen hat.

    Man laBt

    es

    vorbeiziehen,

    bis

    es langweilt, man nur

    noch mit halbem Ohr

    hinh>rt

    Das Resultat ist sdilieB

    lidi: vollige Stille, die atmet, also wiederum ohne

    bemerkt zu werden.

    Diese versdiwindet jedoch vollig, sobald die Auf

    merksamkeit neu aufgerufen, auf vollig Neues hin-

    gelenkt wird. Mit soldier lnanspruchnahme beginnt

    eine Serie von bungen, in denen Konzentration mit

    Meditation verbunden wird. Diese bungen

    gesche-

    hen in der Meditationshalle oder in einem besonderen

    Raum, wo

    es

    nicht zu hell ist, khl und ruhig sein

    muB

    in groBter Ruhe. Sie werden nur hie und da

    durch Pausen unterbrochen, in denen man im Gar

    ten umhergeht, dodi immet noch in das Problem

    vertieft.

    4

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    20/120

    Das Koan

    Gegenstand der Meditation ist das sogenannte

    Koan

    Es verlangt homste Anstrengung und erlaubt durm

    aus kein hequemes Vorsichhintraumen.

    Einige Beispiele fr Koans:

    Wenn dein Geist nimt im Zwiespalt von Gut und

    se weilt, was ist dann dein ursprngliches Antlitz,

    hevor du gehoren warst?

    Wenn

    ihr

    auf der StraBe einen trefft, der die Wahr

    heit erlangt hat, drf ihr

    an

    ihm weder sprechend

    noch schweigend vorhergehen. Nun sagt: Wie wollt

    ihr ihm dann begegnen?

    Der Priester Shusan hielt der Versammlung der

    Monche) den Stock shippei genannt, den Meister der

    alten Zeit als Wanderstab, spater als Zeichen ihrer

    Wrde mit

    sich

    fi.ihrten)

    vor

    Augen und sagte: Wenn

    ihr dies einen Stock nennt, ist es anstoBig. Wenn ihr

    es nicht Stock nennt, ist es verkehrt. Nun sagt: Wie

    wollt ihr

    es

    nennen?

    Haku in der bedeutendste japanisme Zen-Meister,

    auf

    den im wesentlimen die Methode der Koan

    Meditation zurckgeht), pflegte eine

    Hand

    empor zu

    halten und die Schler aufzufordern, ihren Ton zu

    hren. Wie steht

    es

    damit?

    An

    diesem letzten Koan will im,

    so

    gut oder smlemt

    es geht, zu verdeutlichen suchen, welme Wege der

    Meditierende einschlagt, und worauf

    es

    ankommt.

    Stunden-, tage-, wochenlang meditierend behrtet

    der Schler seine Aufgahe. n tiefster Konzentration

    durmdenkt er das Problem nach allen Richtungen

    und

    Moglimkeiten.

    Es

    wird ihm ohne weiteres klar:

    da ein Ton nur von zwei gegeneinander hewegten

    Handen

    hervorgebramt werden kann, kann die Ant

    wort

    nur lauten: Den Ton einer einzigen

    Hand

    kann

    aum

    bei bestem Willen niemand horen. Aber

    so

    ein-

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    21/120

    fach kann die Lsung nicht sein.

    Mu

    nicht - vorsich

    tiger - gesagt werden: Einen fr menschliche Ohren

    vernehmbaren Ton erzeugt eine einzelne Hand nicht?

    Aber damit kommt man nicht weiter. Auf Ton und

    dessen

    H0rbarkeit kann der Akzent offenbar nicht

    liegen. Das scheint vielmehr Beiwerk zu sein, das

    Problem komplizierter zu machen. Der Kern der

    Sache

    ist offenbar: was bedeutet in Hand im Unter

    schied zu zweien? Lauft das nicht auf fondamentale

    Unterscheidungen zwischen gegensatzlos Einem und

    Zweiheit des Entgegengesetzten hinaus? Also die eine

    Hand Symbol eines

    rinzips -

    diese Lsung emp

    fiehlt sich offenbar schon deshalb, weil eine solche

    Unterscheidung im Buddhismus eine entscheidende

    Rolle spielt, von der so oft die Rede ist. Mit die

    ser Lsung scheint also Entscheidendes getroffen

    zu sein.

    Der Schiller geht also zum Meister. r hat ja das

    Recht, einmal am Tag ihn zu befragen. r tragt seine

    Lsung begeistert und stolz vor. Der Meister h0rt

    ihn an, schilttelt den Kopf und schickt den Verwirrten

    ohne ein Wort der Erklarung in die Meditations

    halle zurck.

    Es

    kann aber auch sein,

    daB

    er ihn

    berhaupt nicht zu Wort kommen laBt und weg

    schickt

    kaum hat er die Tre geoffnet. Der Schiller,

    sich

    selbst ilberlassen, beginnt von neuem,

    sich

    zu

    konzentrieren. r will

    sich doch

    auszeichnen, dem

    Meister auffallen. Verbissen meditierend sucht er die

    Losung zu erzwingen. Aber wie er

    es

    auch drehe und

    wende - er kommt zu keinem anderen Ergebnis.

    Weshalb also hat ihn der Meister abgewiesen? Hat

    er sich vielleicht nur unbeholfen, miBverstandlich aus

    gedrilckt? r berlegt

    sich

    also die Formulierung.

    Geht wieder zum Meister. Dieser weist ihn erneut

    ab, diesmal mit ausgesprochener MiBbilligung. Aber

    wiederum erfahrt der Schiller nicht, was er falsch

    gemacht hat. Der Schiller verfallt jetzt in einen merk-

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    22/120

    wrdigen Zustand. Wenn er der Losung so fern ist,

    wird er je das Ziel erreichen konnen? r nimmt sich

    zusammen.

    Jetzt

    geht

    es

    um alles - um das Leben

    Nicht mehr als abwagender Verstand, sondern mit

    vereinten Kraften

    des

    Leibes, der Seele

    und

    des

    Gei

    stes wirft er sich darauf, mit leidenschaftlicher Ener

    gie, so daB das Problem ihn nicht mehr los laBt.

    Auch wahrend der Erholungspause,

    des

    Essens, der

    taglichen praktischen Arbeit qualt .er sich damit ab.

    Es verfolgt ihn bis in den Schlaf hinein. r braucht

    sich

    nicht mehr zu zwingen, daran

    zu

    denken. Auch

    wenn er

    sich

    zerstreuen modite, denkt

    es

    weiter in

    ihm. Vergebens. Die Losung will sich nicht einstel

    len. r zweifelt an seiner Fahigkeit, verzweifelt und

    weiB sich nirgendwo Rat. Aus der volligen Ver

    zweiflung rettet ihn immer nur wieder die Mah

    nung des Meisters, die Konzentration so zu stei

    gern, daB er von Stimmungen unbehelligt sei. r mu

    mit Geduld und Vertrauen warten lernen, bis das,

    was

    sich

    nicht zwingen laBt, reif ist und

    sich

    selbst

    ergibt.

    r stellt sich jetzt anders ein.

    Nun

    hat er es nicht

    mehr

    n>tig

    das Problem zu zergliedern und durch

    zudenken: das hat er schon bis zum berdruB getan.

    r

    denkt nicht mehr hin und her, nicht mehr an

    dieses und jenes, an eine Hand .oder zwei Hande, an

    Prinzipien oder dergleichen, auch nicht mehr an die

    Losung, um sie herbeizuzwingen, und ist dennoch

    auf

    sie bezogen in einer unerhften geistigen Span

    nung. r ersehnt sie wie ein Verdurstender den laben

    den Trunk. Aber er verhalt sich wie einer, der sich

    an Vergessenes erinnern mochte. So ist ihm zu Mute

    wie einem, der sucht, was er vergessen hat, und mit

    aller Kraft darauf aus ist,

    daB es

    ihm einfalle, weil

    das Leben davon abhangt.

    n dieser geistigen V erfassung mag

    es

    dann ge

    schehen, daB ihm die Lsung pl>tzlich unvermutet,

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    23/120

    einfallt. Oder aber: ein Anruf ein starkes Gerausch

    in hartnac:kigen Fallen - das hat man frilher nicht

    gescheut - schmerzhaf te Berhrung bringen die Span

    nung zum Platzen. Wie erregend ist dieser Augen

    blic:k.

    Zittern SchweiBausbruch bekunden

    es.

    Aber

    auch beglc:kend: Mit einem Mal fallt ihm ein was

    er vergeblich gesucht hat. r sieht jetzt klar wo bis

    her alles verworren war den Wald gleichsam trotz

    aller Baume. Wie Schuppen fallt es ihm von den

    Augen. r

    hat

    das Gefhl erlost zu sein. So blitz

    artig ist

    dieses

    Geschehen

    so

    nachhaltig. Und dennoch

    kann er es kaum fassen.

    Stitori

    n

    dieser Verfassung geht er zum Meister. Nicht

    mehr stolz und begeistert sondern verlegen und un

    sicher. r verstummt vor ihm weil er nicht sagen

    kann was ihm selbst ber alle MaBen klar ist. Oder

    aber mit sich ilberstilrzenden Worten stammelt er

    zusammenhanglos und sdieut

    sich

    das ais Losung

    anzubieten.

    Der Meister durchschaut ihn sofort. r hat vielleicht

    schon ais der Schiller die Tilr offnete erkannt

    claB

    jetzt echtes Erlebnis wirkliches Erfahren vorliegt:

    SATORI ERLEUCHTUNG. r beruhigt und be

    starkt ihn.

    Was ist mit ihm geschehen? Der Schiller

    hat

    nicht

    etwa eine neue Deutung einen neuen Gedanken ge

    funden. Vielmehr: er ist dahinter gekommen daB

    er

    die L6sung nunmehr sieht wie wenn ein neues - gei

    stiges - Auge ihm eingesetzt ware. r sieht nicht

    andere Dinge ais zuvor wohl aber die Dinge anders.

    Seine Schau ist anders geworden -

    ja wahrscheinlich

    er selbst gewandelt.

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    24/120

    Daher fhrt kein gerader Weg von den blichen

    Weisen des Sehens und Auffassens zu dieser neuen

    durch Satori bedingten gewandelten Sicht. Vielmehr

    erfolgt ein Sprung in eine neue Dimension. Deshalb

    ist diese neue Sicht unvergleichlich, genau genommen

    unbeschreiblich.

    Aber besteht nicht Aussicht, sie wenigstens andeu

    tungsweise zu charakterisieren? Wenn nicht, bliebe

    ein Vakuum, und das Folgende, das ja so eng damit

    zusammenhangt, noch unverstandlicher. Denn in die

    ser fundamentalen Intuition, in diesem Innewerden

    auf

    den ersten Blick, wurzeln spatere und hohere Stu

    fen des Zen. Und so muB sie fr den, der den Weg

    nicht selbst durchlauft und nie anders ais durch .Hren

    sagen kennenzulernen Gelegenheit hat, in irgend

    einer, wenn auch noch so unbefriedigenden Weise,

    umschriehen werden. Aber der Finger, der auf den

    Mond deutet, ist nicht selbst der Mond, sagen die

    Zen-Meister mit Recht.

    Suzuki

    2

    hat dieses Bedrfnis lebhaft gefhlt. ,,Er

    leuchtende Schau in die wahre

    Natur

    aller Dinge

    3

    ,

    ,,Satori ist eine

    Art

    von innerer Wahrnehmung -

    nicht etwa Wahrnehmung eines besonderen Gegen

    standes, sondern sozusagen das Empfindungsvermogen

    der wahren Wirklichkeit seibst '), Wahrnehmung

    hochster Ordnung

    5

    .

    Wollen wir zur wahren Wirk

    lichkeit der Dinge gelangen, so mssen

    wir

    sie so

    betrachten, als sei das BewuBtsein von Dies und Nicht

    dies noch nicht erwacht

    . . .

    ).

    Diese Bemerkungen sind

    zwar

    richtig, aber so ratsel

    haft

    wie Satori selbst. Es besteht daher die Gefahr,

    daB sie

    Phantasie und Reflexion des Lesers in Ak

    tion setzen und er

    sich

    ein Bild macht, das, wie es

    auch ausfalle, immer verzeichnet sein wird. Ich will

    es

    darum - um eine Ahnung zu wecken - anders

    versuchen.

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    25/120

    Zunachst scheint mir fr die neue Sicht charak

    teristisch, daB fr

    sie

    alle Dinge in gleichem MaBe

    gewichtig sind, die nach blicher menschlicher Schat

    zung unscheinbarsten wie die bedeutsamsten. Sie mu-

    ten an, ais hatten sie gleichsam absoluten Akzent

    erhalten: als seien

    sie

    fr eine Beziehung durchsich

    tig geworden, welche im Blickfeld der gewohnlichen

    Augen niemals vorkommt. Diese Beziehung verlauft

    nicht horizontal, von einem Ding zum anderen hin

    und somit innerhalb der Welt der Dinge, sondern

    vertikal: durch jedes einzelne Ding hindurch bis in

    jene letzten Tiefen, in denen sich sein Ursprung ent

    scheidet. Die Dinge werden somit vom Ursprung,

    von dem Sein her geschaut und zugleich verstanden,

    das

    sich

    in ihnen manifestiert. Insofern sind

    sie

    alle

    vom gleichen Rang, alle im Besitz des Adelsbriefes

    ihres Ursprungs. Sie sind also kein gegenstandliches

    In-sich. Sie weisen ber

    sich

    selbst hinaus, auf den

    Grund ihres Seins, aber doch so daB dieser Grund

    nicht anders erfaBbar wird ais im Seienden, das er

    be-grndet, und immer nur durch es hindurch.

    Man mu

    sich

    das ganz klar machen: diese Sicht

    enthalt nicht den geringsten Einschlag von Reflexion,

    kommt auch nicht mit deren geheimer Beihilfe zu

    stande.

    Es

    ist nicht so daB dieses Resultat auf Grund

    anhaltender meditativer Versenkung in ein Koan

    erwartet, erwnscht, vermutet wrde, so daB man

    schlieBlich ,,glaubt zu sehen, was man vermutet.

    Diese Sicht berfallt vielmehr blitzartig den Ver

    senkten und mit einem Schlag. Sie ist so leibhaftig

    deutlich, daB sie hochste GewiBheit mit sich fhrt.

    DaB die Dinge also ,,sind gerade durch das, was

    sie

    ni ht

    sind, und

    daB sie

    ihr Dasein diesem Nicht

    sein ais dem

    rond

    und Ursprung verdanken: dies

    eben wird unmittelbar ,,gesehen und verstanden.

    Vielleicht erleuchtet eine gern

    ais Koan verwendete

    Anekdote, worauf es ankommt7):

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    26/120

    Hyakujo trat

    eines Tages, seinem Meister Baso auf

    wartend, aus dem Haus, ais sie einen Flug wilder

    Ganse sahen. Baso fragte: Was ist das?" - ,,Es sind

    Wildganse, Herr. Wohin fliegen Sie?" - ,,Sie sind

    weggeflogen,

    Herr.

    Pl0tzlich packte Baso

    Hyakujo

    an

    der Nase und verdrehte

    sie

    ihm. Dieser, berwaltigt

    von Schmerz, schrie laut: ,,Oh, oh "

    ,,Du sagst, sic seien weggeflogen", meinte Baso,

    ,,aber trotzdem sind sie alle von Anfang an hier

    gewesen."

    Da

    troff Hyakujos Rcken von SchweiB, er hatte

    Satori.

    Der

    Unterschied zwischen diesen beiden Behaup

    tungen ist so weitgespannt, daB sie sich nicht ver

    sohnen lassen. ,,Sie sind weggeflogen", das ist die

    beinahe selbstverstandliche Feststellung

    des

    gesunden

    Menschenverstandes. Sie sind nicht mehr sichtbar,

    irgendwohin verschwunden, daher nicht mehr hier,

    fr mich nicht mehr vorhanden. Das festzustellen, ist

    keine Erleuchtung

    n>tig.

    Baso sieht vollig anders.

    Wahrnehmen mit den natrlichen Augen, die jeder

    von der Geburt her besitzt, kann nur bedeuten: fest

    stellen, was von all dem Seienden jeweils mir vor

    Augen kommt. Voraussetzung,

    daB

    etwas vor Augen

    kommen kann, ist, daB

    es

    existiert. Mit dem dritten

    Auge, das man erst von der Wiedergeburt her be

    sitzt, sieht man gerade diese Existenz des Seienden,

    den Seinsgrund. Und deshalb muB die Feststellung

    lauten: ,,sie sind schon immer hier" (natrlich nicht

    an

    dieser Stelle des Raumes; denn Raum und Zeit

    spielen in dieser Sicht keine Rolle) gewesen". Was

    also so sinnlos, verdreht, ein frostiger Witz erscheinen

    muB

    ist in Wahrheit eine ganz einfache Tatsache, die

    Baso ausspricht. Eine Tatsache, die er genau so ein

    deutig und leibhaftig sieht wie Hyakujo die Tat-

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    27/120

    sache,

    daB

    sie weggeflogen sind. Keine dieser Tat

    sachen widerlegt die andere,

    so

    sehr liegen

    sie

    in vollig

    verschiedenen Dimensionen, und Hyakujo hatte durch

    anhaltendes N achdenken und berlegen die L0sung

    nie finden konnen. Erst im Augenblick

    des

    heftigen

    Schmerzes, der ihm das Nachdenken vertrieb, fand

    er, wie die Geschichte berichtet, die L0sung durch

    Satori.

    Man darf nun nicht deshalb, weil man das Gefhl

    hat, mit der Feststellung

    des

    Baso irgend etwas an

    fangen zu konnen,

    sie

    irgendwie zu verstehen - und

    ihm deshalb zu verzeihen, meinen, man vermoge den

    Standpunkt Basos

    einzunehmen und

    sich

    bei seiner

    Aussage etwas Sinnvolles, ja vielleicht sogar Tief

    sinniges, zu denken. Nicht darauf kommt

    es

    an, son

    dern alles hangt daran,

    daB

    man, wie Baso, ,,sehe ,

    und zwar unmittelbar, auf den ersten Blick, und

    so

    und nicht anders auffasse. Baso seinerseits versteht

    natrlich die Feststellung des Hyakujo: er hat diese

    Auffassungsweise frher geteilt und fr normal

    ge-

    halten. Aber er versteht noch mehr:

    daB sie

    geistlos

    und geradezu exzentrisch ist.

    un ware

    es

    ein MiBverstandnis, zu meinen, die

    erleuchtende Schau, moge sie fundamentalen Gewinn

    bringen, sei doch mit folgenschwerem Verlust bedroht.

    Es

    entgehe hr die leibhaftige Flle ds gegenwartig

    Daseienden, sie werde um den Sinn dafr betrogen.

    So

    wichtig

    es

    sei

    die Dinge von ihrem erlauchten

    Ursprung her zu sehen, so wichtig sei es

    doch

    auch,

    sie

    als das aufzufassen, was

    sie

    ganz einfach sind

    Nicht nur, daB sich in ihnen etwas manifestiert,

    sondern, wie, in welcher Form und Gestalt

    es

    sich

    manifestiert. Aber dieser Einwand trifft nicht. Gerade

    weil

    es

    fr die erleuchtende Schau charakteristisch ist,

    daB sie

    das Geschaute nicht nach dem befragt, was

    es in Beziehung zum Schauenden bedeuten konnte,

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    28/120

    laBt

    sie

    das Seiende sein, was

    es

    - vom Urspr.ung

    her - sein will, faBt

    sie

    die Dinge so auf, wie

    sie

    bildlich gesprochen, ,,gemeint sind.

    n dem MaBe namlich, in dem ihr gestaltloser Ur

    grund unzuganglich und unfaBbar ist, in dem

    MaBe

    sind die Dinge in ihrer Gestalthaftigkeit um so zu

    ganglicher. Indem sie im Lichte ihres erlauchten

    Ur

    sprungs stehen, sind sie selbst licht und erleuchtet.

    Je

    geheimnisvoller im Grunde, um so offenbarer bie

    ten sie sich dar. Je schweigsamer mit Rcksicht auf

    letzte Fragen, um

    so

    weniger verschweigen

    sie

    sich

    selbst. Dies macht,

    daB

    der Schauende

    sie

    ihren eigenen

    Weg gehen laBt, ohne sich mit eigenen Anliegen ein

    zumischen. Weit davon entfernt also, sie

    ais

    bloBe

    Erscheinungen des an sich selbst in diesem Stadium

    noch unzuganglichen und unfaBbaren

    U rgrundes zu

    nehmen,

    Ia t

    er unbefangen jedes Ding ais

    es

    selbst

    gelten. Dies gelingt in erstaunlichem Grade durch die

    Eigenart dieser selbstlosen Schau: weit ber die Gren

    zen der belebten

    Natur

    hinaus steht der Schauende

    in innigstem Kontakt mit den Dingen und ihren

    Schicksalen - auch mit denjenigen, die ganz m stoff

    lichen Dasein aufzugehen scheinen, und vermag diesen

    Kontakt gelegentlich sogar bis zum Rang volligen

    Einsseins zu steigern (oh zu fhren oder gefhrt wer

    den, stehe dahin).

    Es

    ist ihm dann zu Mute, ais

    komme

    das

    Ding in der Schau nicht zu ihm, dem

    Schauenden, sondern zu sich selbst und erlange erst

    dadurch die ganze Flle seiner Realitat, ais erblicke

    das Sein im Seienden sich selbst, umfa sse und trage

    das Geschehnis der Schauung. Der Schauende fhlt

    sich

    dann nicht mehr ais den subjektiven Pol, dem

    Dinge ais Objekte gegenberstehen, sondern er fhlt

    das Sein ais den Pol von unfaBbarer W esenheit, und

    sich

    selbst zusammen mit allem, was begegnet, ais

    den anderen Pol des gestalthaft Seienden, das wie er

    selbst vom U rsprung herkommt.

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    29/120

    Denn was von jedem beliebigen Ding gilt, gilt auch

    vom sogenannten Ich. Auch das Ich ist in der

    Schau

    transparent geworden,

    es

    wird durchsichtig

    bis

    in jene

    letzten Tiefen, in denen

    es

    grndet. Man vergleiche

    dazu das Koan: Was

    war

    dein Angesicht, bevor du

    im Gegensatz von Gut und Bse standest?

    d. h.

    bevor

    du ais individuelles Ich, ais dieser bestimmte

    Mensch

    in der Welt, in der Sphare der Vielheit und Gegen

    satzlichkeit standest?

    Die Losung

    dieses

    Koans besteht auch hier darin,

    das ursprngliche Antlitz mit dem geistigen - drit

    ten - Auge zu ,,sehen",

    es

    zu finden, also nicht mit

    Hilfe der Reflexion zu erfinden, zu erdenken. Was

    dann mit Rcksicht auf das eigene Ich erfahren wird,

    wird dann nicht auf das andere Ich,

    noch

    weniger

    auf Dinge bertragen - per analogiam gleichsam -

    sondern

    auch

    alle diese anderen Gestaltungen wer

    den, jedes fr

    sich

    vom Ursprung her unrnittelbar

    erfahren.

    Vielleicht ist diese

    rt

    der Schau Wiederholung,

    Wiederbelebung, Steigerung und Befestigung eines

    Verhaltens, das wir in Tagen der Kindheit gelegent

    lich

    von selbst bten.

    Es

    scheint, ais

    sei

    damais das

    Ding, mit dem man spielte, vollig unbezogen und

    unbeziehbar wahrhaft als

    es

    selbst erlebt worden,

    so

    sehr,

    daB

    alle Aktion von ihm auszugehen

    schien

    und

    es

    mit uns spielte. Wie dem aber auch

    sei,

    oh

    im

    Satori Rckkehr oder vollig Neues,

    noch

    nie Ge

    schehenes

    vorliegt:

    Es

    gibt unzweifelhaft ein unerhort

    machtiges und alle subjektiven Krafte aufrufendes

    und in seinen Dienst stellendes Erleben

    des

    schlechthin

    Unbezogenen und Nichtunterschiedenen, ein Schauen,

    Erleben, Erfassen und Erfa&twerden in einem. Es ist

    daher verstandlich,

    daB

    Zen-Meister zunachst wenig

    stens allerhochstens Ausrufe wie: Stock

    Schnee

    Wild

    ganse gestatten, dagegen die Behauptung:

    dies

    ist

    ein Stock dies sind Wildganse fr ebenso verfehlt

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    30/120

    halten wie die entgegengesetzte: dies ist nicht ein

    Stock dies sind keine Wildganse ; die Behauptung:

    die Wildganse sind weggeflogen, fr ebenso verfehlt

    wie die andere: sie sind nicht weggeflogen. Wer so

    urteilt und dabei die Dinge sowohl

    sich

    selbst gegen

    ber wie gegeneinander abgrenzt und dadurch aus

    dem Zusammenhang

    herauslst, sie isolierend, ist kein

    Schauender mehr, sondern ein Betrachter, der auBer

    halb des Bildes steht und das Betrachtete ais Gegen

    ber erlebt. Der fhlt

    sich

    dann mit dem Geschauten

    nicht eins, sondern wie von auBen her von Dingen

    angrufen und antwortet darauf; und wiederum wie

    sie befragend, damit

    sie

    antworten.

    n

    diesem in

    und

    er

    von Frage und Antwort vermeint er die

    voile Realitat

    des ,,Objektes" ergreifen und bis auf

    den Grond ausschopfen zu konnen, und merkt nicht,

    mit wie drftigen Surrogaten er

    sich

    begngen

    muB

    Zwischen ihn selbst und das Objekt schiebt sich als

    Medium ein Spiegelbild, das er mit Bedeutung beladt,

    ohne zu ahnen,

    daB

    fr den Schauenden die Schau

    bervoll ist von Bedeutung, fr die er

    sich bloB

    offenzuhalten hat.

    Fr den Betrachter, der bewuBt alles mit allem in

    Bezug setzt, liegt hinter und in allem Wahrnehm

    baren Vergangenes und Zuknftiges in klarer Son

    derung. Die Schau dagegen weiB nichts davon; sie

    besteht in beziehungsloser Gegenwartigkeit, im un

    reflektierten

    Nun

    eines geradezu zeitlosen

    Gesche-

    hens. Der Rhythmus wird nicht als Fremdes aufgefaBt,

    sondern ais Eigenes wahrgenommen, wahrgehabt

    n

    lebendigem Mitschwingen im unerschopflichen, gren

    zenlosen Sichwandeln mit den Dingen.

    Wenn demnach Zen-Meister Aussagen ber die er

    leuchtende Schau ablehnen,

    so

    nicht, weil

    sie

    es

    fr

    erstrebenswert halten, zur Primitivitat der geistigen

    Anliegen Unmndiger zurckzukehren. Was sie ver-

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    31/120

    langen, ist nic:ht nur, geistige Ursprnglic:hkeit zu er

    langen, sondern

    auc:h sie

    zu wahren. Diese Ursprng

    lichkeit ist nicht etwa primitiv,

    so sc:hlic:ht

    und ein

    fach, einfaltig

    sie

    auc:h

    sein mag, sondern das Produkt

    einer unerh0rten geistigen

    Zuc:ht;

    und sie fhrt zu

    einer Freiheit, der wahrlic:h kein Ding unmoglich ist.

    Es

    ist aber keineswegs im Sinne

    des

    Zen, diese anti

    logische Haltung grundsatzlich zu fordern und auf

    alle Lebensbereiche gewalttatig auszudehnen. ,,Grund

    satzliches kennt das Zen berhaupt nic:ht.

    Es

    ist daher

    nicht nur damit einverstanden,

    daB

    es

    Bereic:he

    gibt,

    in denen Aussagen, Beurteilen, Planen, zweckmaBiges

    Handeln eine Rolle spielen, sondern

    es

    geht

    so

    weit,

    diese Verhaltungsweisen ais zum Dasein erforderlich

    anzuerkennen, und damit ineins die Zerstorung der

    Einheit von Subjekt und Objekt, die Subjekt-Objekt

    Spaltung gutzuheiBen -

    bis

    an die Grenze hin, an

    der erst sie anfangt, gefahrlich und unheilvoll zu

    werden.

    Weitere Koan Meditation

    Der Meister wird dem Schiller zu passender Zeit

    noch

    andere Koans anvertrauen.

    Nic:ht

    um die Er

    leuchtung Stck fr Stck zu erganzen - denn sie

    ist mit einem

    Sc:hlage

    und ais unteilbares Ganzes

    gegeben, da

    in

    jedem Koan das ganze Zen enthalten

    ist - sondern um sie gelaufig zu machen, Wurzel

    fassen zu lassen, einzuben. Sind doc:h die beiden

    alten Augen noch immer in Funktion und haben die

    lebenslanglic:he

    bung

    fr sic:h.

    Und zugleic:h

    ist

    es

    mit Hilfe von Koans mogliQi, den weiten Umkreis

    des

    Seienden abzutasten: Koans lassen

    sich

    in dieser

    Hinsic:ht geradezu klassifizieren.

    Der Schiller wird nun berwundene Fehlleistungen

    beim Meditieren nicht wiederholen.

    r

    versucht keine

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    32/120

    verstandesmafge

    L>sung

    mehr, seit er durch MiB

    erfolge gelernt hat, das Denken ais vollig unbrauch

    bar auszusc:halten. Es ist moglich, daB ihm, kaum hat

    er sic:h in konzentrierter Meditation versucht, die Lo

    sung des Koans

    auf

    Anhieb gelingt. DaB

    sie

    ihn

    geradezu anspringt und er in erleuchteter Schau

    ,,sieht , was gefragt war.

    Und

    dann wird er sich

    wieder an den Meister wenden, um von ihm geprft,

    bestatigt oder verworfen zu werden.

    er

    Entschei

    dung des Meisters unterwirf er sic:h - nicht etwa

    demtig, gehorsam, auc:h vermeintliche Fehlentschei

    dungen hinnehmend, sondern willig wie Fgungen

    des Schicksals. Vielleicht ist ihm solche Fgsamkeit

    nicht von Anfang

    an

    eigen.

    Es

    mag sein,

    daB

    er sich

    trotzig gegen den Anspruch des Meisters, ihn zu

    durchschauen, aufbaumt, bis er eines Tages einsieht,

    wie unrecht er hat. Bis er sich freiwillig ausliefert

    in einem unersc:htterlichen Vertrauen in den Meister.

    Wie der Meister ,,sieht , ob der Schler Satori bat

    Woher wachst dem Meister diese Autoritat zu, die

    er weder suc:ht noch verlangt, sondern findet, oh er

    will oder nicht? Wie ist es moglich, daB er den Schil

    ler, der in seiner Gegenwart verstummt oder unbehol

    en stammelt, bis in den

    Grund

    der

    See le durc:h-

    .sc:haut? DaB er weiB und sieht, oh Satori erreicht ist?

    Das ist genau so schwer zu erklaren, wie der Vorgang

    des Satori selbst.

    Es

    ist noc:h einmal hervorzuheben: die erleuchtete

    Sc:hau

    ist so beschaffen, daB der Schler Antwort auf

    die im Koan enthaltene Frage nic:ht mit Worten

    geben, sie nicht auf Begriffe bringen kann. Aber

    selbst angenommen, er konne die Sc:hau umsc:hreiben,

    analogiehaft c:harakterisieren (was vielleic:ht erst nach

    vielen Jahren und vielfaltiger Erfahrung

    moglic:h

    ist),

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    33/120

    wrde

    es

    auf den Meister keinen Eindruck

    machen.

    Denn der Schler konnte ja nachsprechen, was er von

    anderer Seite geh0rt hat, und somit Erlebnisse vor

    tauschen.

    r

    konnte bei sehr lebhafter Phantasie auf

    Grund weniger Daten

    sich

    zusammenreimen, worauf

    es

    ankommt, und, nur weil er nun mitreden kann,

    weil er zu verstehen glaubt, sich fr einen ausgeben,

    der Satori erfahren hat.

    Um

    solchen

    Hellh0rigen, die

    es

    auch hier gibt, den

    Boden zu entziehen, nimmt der Meister einen sehr

    eindeutigen Standort ein: anstatt allen Wortgeklingels

    verlangt er die Erlangung von Satori leibhaftig zu

    .sehen . Und er, der Meister

    des

    Satori, sieht in der

    Tat

    mit untrglichem

    Blick.

    Dazu befahigen ihn die

    Erfahrungen am eigenen Leib als Schiller, dann die

    langjahrigen Erfahrungen ais Lehrer und endlich ais

    Meister. Was aber sieht der Meister? Ich konnte diese

    Frage mit dem Hinweis darauf umgehen, daB etwa

    ein Maler, die Arbeiten seiner Schiller prfend, bald

    herausfindet, welcher von ihnen zum Knstler ge

    boren ist, welcher nicht.

    r

    ,,sieht

    dies

    eben, und

    woran er

    es

    sieht, laBt

    sich

    dem Nicht-Maler niemals

    so

    erklaren,

    daB

    der andere

    es

    auch sehen und nach

    prfen konnte. Ahnlich ,.sieht der Zen-Meister, wo

    echtes

    - nicht

    bloB

    eingebildetes - Satori vorliegt.

    r

    sieht

    es

    selbstverstandlich auch ,,an etwas. Ob

    wohl

    ich

    nicht erklaren kann, wie er das macht, will

    ich doch

    einige andeutende Hinweise geben, fr die

    sich da und dort Bestatigungen finden lassen.

    Die geistige Gelostheit, welche Satori ermoglicht,

    die aber danri umgekehrt von Satori verfestigt wird

    und die tiefe innere Wandlung herbeifhrt, spiegelt

    sich in k0rperlicher Gelostheit wider. Charakteristi

    scherweise nicht etwa in einer auffalligen Beschwingt

    heit

    des

    ganzen

    Wesens

    in Erregung und stimmungs

    maBiger Aufgedrehtheit, Erscheinungen, die ganz

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    34/120

    anderswoher kommen konnen - denn der Erleudttete

    ist gelassen, so daB er gar nidtt auffallt - , son

    dern gerade in den unsdteinbarsten seiner Kontrolle

    am wenigsten unterworfenen Bewegungen. Sie kon

    nen nicht ,,gemadtt werden. Mit anderen Worten:

    es

    gibt im Bereidt

    des

    Zen-Buddhismus keine typisdten

    Haltungen, die man absehen und nadtahmen konnte,

    also nidtt etwa Haltung der ,,Andadtt , der ,,Demut ,

    der Ergriffenheit usw. - mit einer einzigen Aus

    nahme: die Haltung der meditativen Versunkenheit

    kann man durdtaus fr eine Weile imitieren, jedodt

    nidtt fr die Dauer, weil sidt der Leerlauf von selbst

    entlarvt: er fhrt nidtt zum Satori.

    Idt will nidtt einmal daran erinnern, wieviel der

    Ausdruck der Augen verrat. Das ist audt in anderen

    Bezirken

    des Lebens so und in der ganzen Welt be

    herrsdtt man die Kunst, in den Augen zu lesen. Aber

    die Kunst, aus der

    rt

    und W

    eise

    in der etwa der

    Sdtler die angebotene Sdtale mit Tee an den Mund

    fhrt, zu sehen, oh er

    edttes Satori erfahren hat, diese

    Kunst beherrsdtt nur ein Zen-Meister.

    Idt will midi mit diesem Beispiel begngen. Viel

    leidtt ist es dem Europaer am leidttesten zuganglidt.

    Es

    steht jedenfalls fest,

    daB

    der Erleudttete die Dinge

    nidtt nur anders auffaBt, sondern sie audt anders

    anfaBt, oh er es

    weiB

    oder nidtt. Aber wie faBt er

    sie denn an? Nidtt etwa, in Gegenwart

    des

    Meisters,

    verlegen und linkisdt.

    Nidtt

    etwa ihre Form be

    wundernd, ihren Wert absdtatzend. Nidtt etwa ais

    Sdtale: Hauptsadte,

    daB

    etwas darin ist. Nidtt etwa

    sie

    nidtt beadttend, weil er in Gedanken ist. Sondern:

    wie etwa ein Topfer eine Sdtale anfaBt, der fhlt,

    wie sie entstanden ist - denn

    sie

    erzahlt von eines

    Meisters formender

    Hand

    - ; faBt sie an, ais oh seine

    Hande mit ihr eins wrden, so

    daB sie

    selbst wie

    eine Sdtale sind und, wenn er die Hande zurckzieht,

    da.B sie einen Abdruck zu bewahren sdteinen. Und

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    35/120

    so trinkt er auch den Tee anders ais andere. Er trinkt

    ihn so

    daB

    er nicht mehr

    weiB

    oh

    er

    der Trinkende

    ist oder der Trunk - vollig selbstvergessen, selbst

    verloren: der Trinkende eins mit dem Trunk, der

    Trunk mit dem Trinkenden - eine unvergleichliche

    Situation.

    Der

    Meister

    n.immt

    dies wohl durch das

    erleuchtete Auge wahr. Aber Satori ist in diesem

    Palle nur Vollendung einer Fahigkeit, zu der er ais

    Ostasiate alle Voraussetzungen mitbringt; die Fahig

    keit, feinste Nuancen

    des

    Sichbewegens, Hantierens

    aufzufassen. Diese erstaunliche Beobachtungsscharfe

    ist vielleicht entwickelt durch die Bilderschrift; durch

    den Hang, sich

    andachtig in alles Begegnende zu ver

    senken; durch die beispielhafte Naturliebe

    des

    Ja-

    paners. Was

    er

    beobachtet, geht in ihn ein -

    er

    trinkt

    es

    in

    sich

    hinein. Man konnte hier Beispiele nennen

    fr das Verhalten des Japaners: bei der Kirschblte,

    bei

    u s s t e ~ l u n g e n

    von Blumen, das Blumenanordnen,

    seine rt des Genusses der Landschaft, einzelner

    Baume.

    Und

    um

    so

    sensibler ist er in der Beobachtung

    von Tieren und Menschen in Bewegung. Sogar ein

    Kaiser hat

    sich

    um die Frage gekmmert, mit welchem

    Fu

    ein Kranich die erste Stufe einer Treppe nimmt.

    Und dabei sind

    es

    gerade unscheinbare Bewegungen,

    denen er Bedeutung beimiBt, unwillkrliche, ais Spie

    gelung eines echten, nicht gewollten Zustandes.

    inweise uf die japanische Schauspielkunst

    Zur Bestatigung

    sei

    auf eine Kunst hingewiesen,

    in der dieser Sinn fr Ausdrucksbewegung eine ent

    scheidende Rolle spielt: die Schauspielkunst.

    Der Schauspieler wirkt nicht durch hohes - und

    vielfach hohles - Pathos, nicht durch ausladende

    Gesten, sondern durch gedampftes Spiel - ,,stumme ,

    ,,innere Kunst genannt - das

    sich

    selhst im Affekt

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    36/120

    nicht vergiBt, sondern bis ins Letzte durchformt ist.

    Der

    Zuschauer sieht nicht bloB angedeutete, in

    sich

    verhaltene Bewegungen, sondern

    weiB

    sie in ihrer

    Beziehung zu Gefhlen, Stimmungen zu deuten, und

    an der Ausdruckskraft im Kleinen miBt er die GroBe

    des Schauspielers. Kurze Worte, Neigung

    des

    Haup-

    tes, Bewegung der

    Hand,

    vielleicht

    bloB

    eines Fin

    gers - das gengt schon, um beredter zu sein, ais

    je das Wort es leisten konnte. Denn das japanische

    Schauspiel

    No

    wie Kabuki) ist nicht auf das Wort,

    sondern - darin wird seine buddhistische Wurzel

    sichtbar -

    auf

    das

    Schweigen

    gegrndet,

    so

    daB, was

    darin liegt,

    nur

    angedeutet, nicht erzahlt werden

    kann.

    Es

    gibt Stcke, in denen der Schauspieler, ohne

    ein Wort ZU auBern, die Zuschauer lange im Banne

    hait durch ein so sparsames Spiel des Ausdrucks, daB

    man

    es

    mit Recht gefrorenen Tanz, tanzlosen Tanz

    genannt hat.

    Das Stck ist daher nicht zum Lesen geeignet, wie

    das europaische, das schon beim Lesen alle Schonheit,

    Glanz und Tiefe offenbaren kann, sondern es wird

    erst durch das Genie des Schauspielers, der gerade

    das hinzufgt, was grundsatzlich nicht durch das

    Wort, nicht durch alle Sprachgewalt ausgedrckt wer

    den kann.

    Dabei ist das Gesicht nahezu vollig unbewegt, aus

    druckslos, die Augen sind starr. Das darf nicht wunder

    nehmen. Auf der einen Seite fand von alters her (im

    No)

    die Maske Verwendung; auf der anderen Seite

    haben die Schauspieler ungewohnlich viel dem Ein

    fluB des Puppentheaters zu verdanken, und die Aus

    druckskraft der Puppen liegt in Gestik sparsamster

    Art. Das ist hier nun so unerhft zur Kunst geworden,

    daB es zur Vollkommenheit gebracht erscheint. Nur

    so ist es auch verstandlich,

    daB

    die Tradition des

    Gebardespiels sorgsam behtet und von jung auf

    (schon von Kindesbeinen an) langsam erlernt wird.

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    37/120

    Es

    gibt eine mehrere Jahrhunderte alte Theater

    chronik, in der eine pedantisch genaue Beschreibung

    des

    Gebardenspiels groBer Schauspieler im Mittel

    punkt steht. Darin hat man die Aufgabe und den

    Sinn der Theaterkritik erblickt.

    So

    kann jeder Schau

    spieler einer bestimmten Rolle das Spiel groBer Vor

    ganger aktenmaBig kennen lernen und auf geradezu

    zeitlose Form

    des

    Spiels hinarbeiten. Denn

    dies

    er

    scheint wichtig. Der erste gro e Schauspieler in Tokyo

    ist von seinem Vater belehrt worden: nur keine

    Originalitat. Das ist Sache eines mittelmaBigen Schau

    spielers.

    Es

    ist leicht aufzufallen. Der gute Schau

    spieler strebt danach, unauffallig zu sein. Kein Wun

    der, was dadurch erreicht wird: ein Theater gleichsam

    sub

    specie aeternitatis. Jede, selbst unscheinbare,

    e-

    wegung hat, vor allem in No-Tanzen, ihre Bedeutung.

    Geringe Unterschiede, Nuancierungen begrnden Un

    terschiede der Schulen - etwas bei uns schlechthin

    Undenkbares.

    Es

    ist das nur dadurch moglich,

    da

    diese bedeutungsgeladenen Gebarden zu letzter Voll

    endung getrieben sind und daher schon kleine Ab

    weichungen ins Gewicht fallen. DaB sie dennoch nicht,

    trotz aller Geformtheit, schablonenhaft wirken, ihre

    Aneignung nicht in Routine verfallt, deren

    sich

    selbst durchschnittliche Schauspieler bedienen konn

    ten, kommt daher,

    da

    in

    apan

    Natur, Leben und

    Kunst fugenlos ineinander bergehen, Kunst nidit

    ein Reich

    des

    Scheins neben und ber Natur und

    Leben, sondern deren Vollendung bedeutet - durch

    den Knstler, der die Technik souveran beherrscht

    und dadurch wahrhaft befreit ist. Von den Knsten

    des ogenschie ens

    und

    des

    Blumenstellens lie e

    sich

    ganz ahnliches sagen.) Gerade die Kunst des Schau

    spielers bleibt dem Europaer zunachst weithin un

    zuganglich. Nicht schon deshalb, weil er die Sprache

    nidit beherrsdit - dazu ware ein Leben zu kurz

    -

    sondern weil er jenen Sinn, jene Sdiaufahigkeit

    des

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    38/120

    Ostasiaten nicht entwickelt hat. Er, der dem schwie

    rigsten Dialog eines europaischen Stckes mhelos

    ge-

    wachsen ist, versagt dem einfachsten V organg

    des

    japanischen Stckes gegenber, kann nicht verleugnen,

    daB

    seine Kultur auf Logos, auf das Wort gegrndet

    ist, wohingegen die ostasiatische auf Schau, Intuition

    beruht.

    Um nicht in Verdacht

    zu

    geraten,

    daB ich

    um der

    Illustrierung

    des

    Satori und seiner Hintergrnde wil

    len bertreibe, sei an die berhmte Anekdote ber

    zwei groBe Meister der Schauspielkunst erinnert, aus

    der hervorgeht, daB der eine die GroBe und

    ber-

    legenheit

    des

    anderen erkennt an dem ausdrucks

    geladenen Verhalten in einer Szene, in der kein Wort

    gesprochen wird.

    Dies alles

    h t

    der Zen-Meister

    ais

    selbstverstand

    liche Voraussetzung aus dem Schicksal,

    daB

    er Ost

    asiate ist. Kommt nun noch ein drittes Auge durch

    Satori hinzu, dann ist zu ermessen, wohin die Re

    volutionierung seiner Schaufahigkeit fhren kann.

    Der Meister sieht dem Schler ins erz

    Wenn nun mein Zen-Meister das Vorstehende ge-

    lesen hatte, wrde er vielleicht sagen: weshalb so

    umstandlich ber etwas ganz Einfaches reden, wes

    halb Worte machenl Einen anderen verstehen, ja bis

    in geheimste Winkel seiner Seele durchschauen zu

    konnen, ist nur moglich durch eine Beziehung von

    Sonnengefl.echt zu Sonnengefl.echt.

    Es

    handelt

    sich

    um das unmittelbar unter dem Zwerchfell liegende

    Nervengeflecht, das man ais Sonnengeflecht [plexus

    solaris] bezeichnet. Wer viel gebt hat, gewinnt

    Fahigkeit, jeden anderen in ein Kraftfeld einzubezie

    hen, das er um

    sich

    her in wachsenden Ringen gleich

    sam verbreitet. Nicht nur

    Menschen,

    Tiere, Pflanzen,

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    39/120

    sondern auch Dinge. Dem kann niemand und nichts

    entgehen. Und was einmal einbezogen

    mu

    rt und

    Namen offenbaren oh

    es

    will oder nicht. -

    Der Meister also durschaut den Schiller schon von

    dessen auBerem Benehmen her noch mehr aber aus

    der Art wie er

    sich

    auf Befragen zu auBern versucht.

    Da gibt

    es

    keine Moglichkeit vorzutauschen was man

    nicht hat da im Satori nichts steckt was sich ais

    Sachgehalt fassen und aussagen lieBe;

    es

    enthalt keine

    Wahrheiten die man aufschnappen und hersagen

    konnte sondern nur eine neue Weise des Sehens Auf

    fassens. Man

    hat

    Satori oder hat

    es

    nicht. Erfinden

    kann man

    es

    nicht.

    Und

    wer ostasiatische Lehrmeister

    ]ahre lang

    an

    sich erfahren hat straubt sich nicht

    mehr dagegen daB sie beanspruchen dem Schiller

    ins Herz zu sehen ~ wissen wo er steht und vor

    allem: wieviel an ihm echte Erfahrung ist und wie

    viel Phantasie.

    W andlung des chlers durch atori

    Mit Satori ist eine innere Wandlung von revolutio

    nierendem Charakter verbunden. Der Erleuchtete be

    merkt dies zunachst nicht.

    Nur

    sein Lehrer merkt es

    und der bespricht es nicht laBt es reifen und

    sich

    vollenden. Aber allmahlich merkt es der Schiller im

    Verkehr mit anderen

    daB

    er ein anderer geworden.

    ist. Beim Zusammentreffen verstehen sie

    sich

    nicht

    mehr so wie frher.

    Und

    er kann nicht leugnen daB

    die andern das Recht des Zusammenstimmens fr

    sich haben. Aber das macht ihn nicht unsicher die

    gewonnene Schau ist viel zu berzeugend. Nur zu

    rckhaltend ist er gegenber den anderen. Und mehr

    und mehr berlaBt er

    sich

    seinen Visionen wie Trau

    men und sucht und liebt die Einsamkeit.

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    40/120

    Was ihm zunachst ais Verlust erscheint, abseits ste

    hen zu mssen - denn er ist jung und gern zusam

    men mit anderen, die das Schicksal zusammengespielt

    hat - das wird ihm zum Gewinn: denn er sucht

    und findet Einsamkeit nicht an fernen, stillen Orten,

    sondern er schafft sie um

    sich

    her, breitet sie um

    sich

    herum aus, wo immer er sich befinden moge, weil er

    sie liebt. Und in dieser Stille reift er langsam. Sie

    ist fr die Entfaltung des inneren Geschehens, das

    anhebt, unerhrt wichtig. Die Gefahr entfallt, mit

    anderen darber zu sprechen, die Keime zu zerreden.

    Aber nicht eitlem SelbstgenuB gibt er

    sich

    hin.

    Er

    mochte nur mit sich ins reine kommen. Und

    es

    drangt

    ihn, die. erleuchtete Schau erleuchtender Schau aus

    zusetzen. Das

    fhrt

    zu potenzierter Schau, die sid

    ganz von selbst vollzieht,

    kraft

    ihrer Artung. Es ge

    lingt dies nur dadurch, daB die erleuchtete Schau der

    Dinge im Bild festgehalten, das Bild wiederum der

    Sd:iau zugrunde gelgt wird. Aud:i dieser W

    eg

    wird

    nid:it absid:itlid:i beschritten, vielmehr wie von selbst

    eingesd:ilagen.

    Es ist der Weg in die Kunst. Und daraus wird ein

    Weg der Kunst.

    Zen in den Knsten

    Aber nicht davon soll jetzt die Rede sein, daB Zen

    alle japanisd:ien Knste, wie Suzuki aufwies,

    auf

    s

    nad:ihaltigste beeinfluBt hat

    sid:i

    darin auswirkend.

    Man konnte hier hinweisen

    auf

    die Methode der Un

    terweisung bei einzelnen Knsten, auf die erforder

    lid:ie Konzentration,

    auf

    die Sinngebung eines aus

    kultischer Handlung sich herleitenden Geschehens,

    endlid:i auf das innere Werk, in dem der Knstler

    Meistersd:iaft erringt. Dies alles ist andern

    Orts

    dar

    gestellt in ,,Zen in der Kunst des BogenschieBens

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    41/120

    unter Heranziehung der GroBen Lehre der Schwert

    meisterschaft.

    a also handelt

    es si h

    um Auswirkung des Zen als

    ganzen auf einzelne Knste. Hier aber steht etwas

    anderes in Frage: namlich Auswirkung

    des

    Satori,

    Art und Weise, in der

    es

    si h

    bildhaft darlegt und

    schaut, vornehmlich in der Zen-Malerei.

    Denn es gibt eine ausgesprochene Zen-Malerei Das

    heiBt: Werke, in denen erleuchtete Schau des Daseins

    zum Inhalt des Bildes wird.

    Zen Malerei

    Was ist fr sie charakteristisch? Zunachst einmal

    der

    Raum.

    er Raum, der in ihr eine Rolle spielt, ist

    auf jeden Fall nicht der europaische Raum mit seinen

    Abmessungen, jenes homogene Medium, in dem die

    Dinge stehen, das sie umgibt und voneinander trennt.

    J

    ene tote Geraumigkeit, die durch die realen Dinge

    si h

    verdrangen laBt, zu den anschaulichen Beziehun

    gen von rechts und links, oben und unten, vorn und

    hinten verdnnt wird. Raum, der nur die Oberflache

    der Kfper berhrt,

    sie

    schalenartig umschlieBt und

    daher berall, wo er leer ist, auch bedeutungslos bleibt

    und anspruchslos. Der Raum der Zen-Maler dagegen

    ist ewig unbewegt und do h bewegt wirkend, lebt,

    atmet gleichsam, ist gestaltlos, leer und

    do h

    Ursprung

    aller Gestaltung, ist namenlos und doch Grund dessen,

    was Namen tragt. Um seinetwillen haben die Dinge

    absoluten Akzent, sind sie alle gleich wichtig, glei h

    bedeutsam, Ausdruck des Allebens, das si h in ihnen

    manifestiert. Daher in solchen Bildern auch die tiefe

    Bedeutung

    des

    Aussparens, Leerlassens. Was nicht

    angedeutet, ausgesagt wird, das Verschwiegene ist

    fr das Verstandnis wichtiger und beredter ais das

    Gesagte, Beredte.

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    42/120

    Auch hier, wie in der Schauspielkunst, bekundet

    sich der tanzlose Tanz dessen, was alles Seiende be

    lebt, durchdringt, hindurchtanzt. Der Raum ist somit

    nicht ein homogenes, in unendlicher Ferne identisches

    leeres Medium, sondern die unbegreifliche Flle des

    Seins selbst in seinen unendlichen Moglichkeiten. Der

    Zen-Maler kennt keinen horror vacui, sondern fr

    ihn ist das Leere gerade hochster V erehrung wrdig:

    das Urlebendige, das vor Oberflle keine Gestalt

    annimmt und sich um sich zu zeigen, in unerschopf

    lichem Kreislauf verbesondern muB. Raum ist also

    nicht die Haut der Dinge umspielend, sondern ihr

    Kern, Grund, tiefstes Wesen und Seinsgrund. Aus

    solchen Bildern spricht die Magie des Leeren: den

    Blick anziehend, Andacht heischend.

    Und

    alle Bild

    betrachtung beginnt mit der Betrachtung des Leeren.

    In

    der europaischen Malerei steht der Betrachter

    auBerhalb des Bildes. Was er schaut, erlebt er ais

    Gegenber, das sich von ihm weg, von seinem Blick

    weg, entfaltet und Raumliches bis zum Horizont hin

    erschlieBt.

    Es

    ist, also ob der

    blOBe

    Blick schon schop

    ferisch ware. In dieser rt des Schauens ist alles

    Gegenber ein Anderes, ein wesentlich Fremdes, und

    kommt ihm dadurch zum BewuBtsein, daB er nicht

    dabei, sondern aus dem Bild herausgehoben ist. Dem

    gegenber wird in der chinesischen und japanischen

    Malerei nicht von auBen her in ein Anderes hinein

    geschaut, sondern es wird das Dargestellte und jede

    Einzelheit so von innen her gesehen, daB der Schau

    ende darin sein und leben muB um ihm gerecht zu

    werden. Damit wird nicht nur die Perspektive gegen

    standslos, so

    daB

    sie verschwindet, sondern auch die

    Ordnung von Betrachter und Betrachtetem aufge

    hoben. Der Raum schlieBt

    sich

    rings um den Be-

    trachtenden, der nun berall in der Mitte steht, ohne

    Mitte zu sein: er ist nun innen darin, eins mit dem

    Herzschlag der Dinge.

    Und

    das bedeutet zugleich:

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    43/120

    was ihn umgibt und einschlieBt ist ihm so ebenbrtig

    daB

    es

    fhlen laBt: es ist nicht fr ihn und um seinet

    wilkn

    da.

    Es

    ist nicht das Andere sondern gleichsam

    er selbst in ewig

    sich

    wandelnder Gestalt er ist

    so

    sehr

    eins damit

    da:B

    er keine Eigenbedeutung mehr

    ge-

    winnt sondern darin untergeht und in diesem Unter

    gang

    sich

    selbst und nicht

    sich

    selbst begegnet: ein

    schwebendes

    Verschweben im Seienden.

    Das Gegenstandliche aber im Bilde aus dem Ur

    grunde entlassene Gestaltete - und darum vom Leeren

    her zu beurteilen : Berge und Walder Fels und Was

    ser

    Blten Tier und Mensch sind in ihrem Dasein er

    schlossen

    in die konkrete Situation

    des

    Hier und Jetzt

    eingetaucht - und dennoch wiederum nicht in ein

    bloBes

    Hier und J etzt. Daher der Charakter

    des

    Schwebens

    und Verschwebens der das Bestimmte ins

    Unbestimmte das Gestaltete in die Gestaltlosigkeit

    zurckzunehmen scheint und

    so

    U rsprung und Her

    kunft andeutungshah sichtbar macht.

    Es

    gibt Lehrhefte der Tuschemalerei in denen vom

    einfachsten Grashalm an

    bis

    zur groBen Landschaft

    alles was dem Malerauge begegnen kann in seinen

    Wesenszgen festgehalten ist und in Abbreviatur ge

    rade das einfangt was der

    Natur

    den Charakter der

    Lebendigkeit verleiht.

    Es

    handelt

    sich

    da beileibe nicht

    um Schablonen die man nachzumachen hatte

    so

    sehr

    sie

    dazu reizen. Es sind vielmehr Stil- und Pinsel

    bungen welche die enge Verwandtschaft zwischen

    Schreiben der Bilder und Malen zeigen. Wer

    sie

    be

    herrscht und zwar so daB er darber steht und frei

    geworden und reif ist fr Wahrnehmung und Aus

    druck feinster Nuancen der ist dann in der Tat in

    der Lage darzustellen was das dritte Auge der Er

    leuchtung sieht und deutet.

    Die Zen-Malerei knpft an eine groBe Tradition an:

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    44/120

    an die Landschaftsmalerei Chinas vor der Berhrung

    mit dem Buddhismus. a sind die fr die Zen-Malerei

    charakteristischen Zge schon vorgeformt, zum min

    desten angedeutet. Dies geht vielleicht auf eine tiefe

    und verschwiegene Einwirkung

    des

    T aoismus zurck.

    Ais der Buddhismus von Indien zuerst in China ein

    drang und da geradezu revolutionierend gewirkt hat,

    hat

    er eine langsame, aber um so tiefere Wandlung

    durch das Tao erfahren. So wie China im Laufe der

    Geschichte eingedrungene Fremdstamme sich einver

    leibt und mit

    sich

    verschmolzen hat, so hat

    es

    auch

    geistig

    sich

    alles zunachst Fremde angeeignet, um es

    nur

    um so

    schoner und reicher wieder aus

    sich

    zu ent

    lassen. Zen ist in der Tat eine Blte, ja vielleicht die

    schonste und geheimnisvollste Blte der unheimlichen

    Schopferkraft

    des

    chinesischen Genius, und

    so

    ist es

    kein Wunder, daB Zen-Maler

    sich

    auf die vorbuddhi

    stische Malerei Chinas aus dem Geiste des Tao be

    rufen konnen. Denn im Tao Laotses sind viele Mo-

    tive, die fr Zen geradezu fondamental geworden

    sind. Was im Tao geahnt, ist im Zen offenbar ge

    worden.

    Was fr die Landschaftsmalerei gilt, gilt ebenso fr

    die kleinen und kleinsten Aussdmitte aus Landschaft

    und Natur, ,fr die unerhft lebendigen Bilder, auf

    die mit wenigen Strichen ein Bambusstamm mit we

    nigen Asten und Blattern oder ein blhender Zweig

    oder dergleichen hingezaubert ist. Auch

    sie

    sind nur

    vom leeren, gestaltlosen Raum her gesehen und zu

    verstehen. Auch hier ist das Verhaltnis von Zeichnung

    und leerer Flache entscheidend, ja sogar kommt das

    eigenartige Raumgefhl noch berzeugender wie mir

    scheint zum Ausdruck. Nichts ware verfehlter, als

    darin die schone Ruhe des Daseins festgehalten und

    zum Verweilen in unaufhorlicher Anschauung aufge

    fordert zu

    :6 nden

    Wer diese Bilderschrift wirklich zu

    ,,lesen versteht, fhlt durch die scheinbare Ruhe die

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    45/120

    pralle Spannung von Werden und Entwerden, von

    Entspringen und Zurckgleiten, von Erscheinen und

    Verschwinden hindurch, fhlt, wie das Gewordene im

    FluB

    des

    Werdens und Entwerdens vibriert -

    flchtigr

    doch

    unbedingt.

    Solche

    ganz einfachen und einfaltigen Bilder, auf

    denen

    so

    verschwindend wenig gezeigt wird, sind voll

    von Zen und verraten es

    so

    laut, daB der Betrachter

    sich davon berwaltigt fhlt. Wer je miterlebt hat,

    wie bei einer stundenlang

    sich

    hinziehenden Tee

    zeremonie der W

    echsel des

    Hangebildes und einer

    Blume nach einer Pause die Atmosphare bestimmt,

    wie die Gaste in tiefe Konzentration versunken aus

    diesem Bild tiefste Geheimnisse, die keiner mit Wor

    ten zu sagen vermochte, entschleiert fhlen und mit

    unerh>rtem

    innerem Gewinn den Teeraum

    verl ssen-

    der

    weiB

    welche Macht von solchen Bildern ausgeht.

    Satori in der ichtung

    DaB Satori auch in Dichtung Ausdruck gesucht hat,

    sei

    hier nur im Vorbergehen erwahnt. Gerade das

    Kurzgedicht ist dazu besonders gefgig und geeignet,

    weil

    es

    ahnlich wie das Tuschebild, das auf Seide

    oder Papier gemalt ist, nicht nur auBerlich, in der

    Weise der sichtbaren Anordnung,

    uf

    das Verhaltnis

    zum Raume Wert legt, sondern auch innerlich, seiner

    innersten Form nach, das Eigentliche und Wichtige

    gar nicht ausspricht, sondern zwischen den Zeilen an

    deutet. So etwa

    Basos

    berhmtes Kurzgedicht: in mog

    lichst getreuer, wenn auch schauderhaft klingender

    Ubersetzung:

    Alter Teich

    Frosch springt

    Wassergerausch

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    46/120

    Das ist alles.

    Und

    doch: ist nicht darin das Weltall

    enthalten? n unbewegter Ruhe pl tzlich Bewegung,

    Leben, das sich larmend ausbreitet, um wieder zu ver

    schwinden. Was ist all dieser Larm angesichts der

    Ruhe, des Schweigens, das Anfang und Ende ist?

    Wollte man Maler oder Dichter fragen, Schauspieler

    und Bogenschtzen, wie man dem, was allem Seienden

    Sein und Atem verleiht, in tanzlosem Tanz werden

    und entwerden laBt, was sich je und je zeigt, mit

    W orten beikommen kann, so wrden sie wohl ant

    worten:

    es

    sei das Es , das in allem Gehen und

    Stehen, Tun und Nichttun da sei, indem es nicht da

    sei. Das ist eine vielleicht verlegene, aber naheliegende

    Bezeichnung dessen, was nicht diese oder jene Gestalt

    hat, aber in allem Gestalteten sein verborgenes Wesen

    treibt.

    Spekulation au

    Grund des atori-Erlebnisses

    ( Fr diejenigen, die sich nicht ais Maler und Dichter

    zu auBern vermogen - wie viele spater verworfene

    Versuche sie auch gemacht haben rnogen - bleibt ais

    rettender Weg die Reflexion, ja Spekulation. n welche

    Richtung diese gehen kann und wohin das fhrt,

    mogen folgnde Bekundungen aus den Fnf Stufen

    Rjkwais von Tsan

    8

    ) dartun.

    Erste Stufe

    Zur

    dritten Nachtzeit oder

    zur

    ersten Nachtzeit,

    bevor der Mond leuchtet,

    Da

    ist

    es

    nicht verwunderlich, wenn einander

    Begegnende sich nicht erkennen.

    Und

    doch bleibt, verborgen eine Spur des

    vergangenen Tages erhalten.

  • 7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg

    47/120

    Zweite Stufe

    Eine alte Frau, die den Morgen versaumte, steht

    dem uralten Spiegel gegenber.

    Sie spiegeln

    sich

    wider in volliger Klarheit, da

    ist keine Wirklichkeit mehr.

    LaB davon ab, schon wieder den Kopf zu verlieren

    und Schatten zu erkennen

    Rjkwai von Tsan (9. Jahrh.) will damit sagen:

    Die erleuchtende Schau ist

    s