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Die Revolution des Alltags - nach Sum1 Stufe 1: Heute bin ich mutig. Sum1 redet ja gern über Revolution. Und nun haben wir die Äußerung, dass Revolution Praxis ist, mit einem 5-Stufen Programm, wie wir die Revolution unseres Alltags in die Tat umsetzen. Hört sich doch eigentlich einfach an? Vielleicht wenn der Autor nicht Sum1 und wir nicht so verdammt festgefahren wären... Also, ich probiere es: Com- puter ist ausgeschalten. Gut. Handy auch. Uhren und Fern- seher habe ich nicht, und schon fast habe ich die erste Stufe der Revolution erklommen. Wahnsinn! Ich werde auf eine kleine Reise gehen. Und da packe ich natürlich meinen Koffer (in diesem Fall eine Fototasche) und Sum1 sagt mir ganz genau was ich hinein tun soll. Toll! Nur blöd, dass ich nur eine halb-Liter Flasche Wasser habe. Hof- fentlich führt das zu keinen Komplikationen... Sonst werde ich einfach schummeln und mir zwischendurch Wasser holen... Halt! Noch nicht einmal die erste Stufe durchlaufen und schon ans Schummeln denken? Tabea, Tabea... Stufe 2: Die Revolution des Alltags erweist sich von Anfang an als schwierig: Es gibt keinen indirekten Weg aus unserem Haus. Okay, ich könnte aus einem un- serer Fenster in der 1. Etage springen. Hmm. Das wäre dann allerdings soet- was wie die Revolution des Lebens. Gut, ich gebe es zu, es gibt einen Hinterhof mit Tor. Aber ich habe keinen Schlüssel für dieses Tor. Und es ist weder zum rüber klettern geeignet, noch kann man sich durch die Stäbe zwängen (wobei es vielleicht einige der Magermodels schaffen würden). Also normaler Weg aus der Tür hinaus. Wie frustrierend! Zum Glück kann ich wenigstens hier die entgegen gesetzte Richtung ein- schlagen. Halt, stop. Stimmt nämlich nicht. Statt einer galanten 90° Drehung, schaffe ich nur 45°. Sonst würde ich wieder schnurstracks zurück ins Haus...

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Die Revolution des Alltags - nach Sum1

Stufe 1:Heute bin ich mutig. Sum1 redet ja gern über Revolution. Und nun haben wir die Äußerung, dass Revolution Praxis ist, mit einem 5-Stufen Programm, wie wir die Revolution unseres Alltags in die Tat umsetzen. Hört sich doch eigentlich einfach an? Vielleicht wenn der Autor nicht Sum1 und wir nicht so verdammt festgefahren wären... Also, ich probiere es: Com-puter ist ausgeschalten. Gut. Handy auch. Uhren und Fern-seher habe ich nicht, und schon fast habe ich die erste Stufe der Revolution erklommen. Wahnsinn!

Ich werde auf eine kleine Reise gehen. Und da packe ich natürlich meinen Koffer (in diesem Fall eine Fototasche) und Sum1 sagt mir ganz genau was ich hinein tun soll. Toll! Nur blöd, dass ich nur eine halb-Liter Flasche Wasser habe. Hof-fentlich führt das zu keinen Komplikationen... Sonst werde ich einfach schummeln und mir zwischendurch Wasser holen... Halt! Noch nicht einmal die erste Stufe durchlaufen und schon ans Schummeln denken? Tabea, Tabea...

Stufe 2: Die Revolution des Alltags erweist sich von Anfang an als schwierig: Es gibt keinen indirekten Weg aus unserem Haus. Okay, ich könnte aus einem un-serer Fenster in der 1. Etage springen. Hmm. Das wäre dann allerdings soet-was wie die Revolution des Lebens. Gut, ich gebe es zu, es gibt einen Hinterhof mit Tor. Aber ich habe keinen Schlüssel für dieses Tor. Und es ist weder zum rüber klettern geeignet, noch kann man sich durch die Stäbe zwängen (wobei es vielleicht einige der Magermodels schaffen würden). Also normaler Weg aus der Tür hinaus. Wie frustrierend!Zum Glück kann ich wenigstens hier die entgegen gesetzte Richtung ein-schlagen. Halt, stop. Stimmt nämlich nicht. Statt einer galanten 90° Drehung, schaffe ich nur 45°. Sonst würde ich wieder schnurstracks zurück ins Haus...

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Ich stehe irgendwo in Bozen. Ich bin schon einmal hier gewe-sen, aber nur auf der “Durchreise”. Meinen normalen Weg zur Uni sieht man von hier nicht mehr. Der Blick zum Himmel: Nichts! Weder ein Flugzeug, noch ein einziges Vögelchen. Ihr Mistviecher, wo seid ihr? Pure Verzweiflung. Aber Sum1 hat selbst für diese Situation eine Lösung parat: lass dich von irgendetwas Rotem leiten. Oder von einem Windstoß.

Da, etwas Rotes. Und jetzt immer die Richtung beibehalten. Die Dinge so nah wie möglich umgehen. Ich stoße fast mit Italienern zusammen, streife Fahrräder das es ein Wunder ist das sie nicht umfallen, springe gekonnt über einen Mülleimer. Hier war ich noch nie. Alte Häuser und alte Menschen die in ihren Gemüsegärten werkeln als hätten sie seit 1000 Jahren nichts Anderes gemacht. Eigenartiger trippliger Gang bei den Frauen, die Männer wiegen sich in bückligen Schritten.

Dann: Eine Sackgasse! Eine Schranke verbietet Unbefugten den Zutritt. Die Schranke schaffe ich noch. Ein alter Mann hinter einem Gartenzaun beobachtet eine verdächtige Person. Die verdächtige Person bin ich. Nickend grüße ich ihn. Arg-wöhnisch blickt er zurück. Wie ein Hund, der Angst hat man könnte ihm seinen Knochen stehlen. Der Mut fehlt mir einfach über den - im übrigen sehr hohen - Zaun zu klettern. Ich be-fürchte ich bin noch nicht bereit für diesen Teil der Revolution. Resignation, Trauer, Zweifel.

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Stufe 3: NEIN! Ich werde jetzt nicht aufgeben! Ich möchte auch diese Stufe einmal ausprobiert haben um für das nächste Mal besser gewappnet zu sein. Schulung macht den Meister und so. Hat man alles schon mal gehört.Und irgendwie gängt es an Spass zu machen. Ich nehme einen kräftigen Schluck aus meiner Wasserflasche, setze mich auf eine Mauer und vertiefe mich wieder in die 5-Stufen-Anleitung.

“Suche...”“Ich kann nicht sprechen, können sie mir den Weg weisen?” “DEFEKT”

Nach dem vorherigen Argwohn der alten Leute, suche ich ein Lächeln. Wie verlangt, wird die Such-Annonce drapiert. Ich ziehe mich wieder auf mein Mauerstück zurück um vorüber gehende Menschen zu beobachten.Doch was ist los? Auto hinter Auto zieht an mir vorbei. Doch wo sind die Menschen? Nach 5 Minuten immer noch keiner. Ich werde langsam unruhig.

Da kommt aus einer kleinen Seitengasse einer der uralten Männer heraus gezuckelt. Er kommt in meine Richtung. Gebannt schaut er mich, schaue ich ihn an. Er kommt immer näher, sein Gesicht ist fast neben meinem (würde er nicht stehen und ich sitzen oder auch gerade deswegen), er sieht so aus als wolle er jeden Augenblick etwas sagen wollen, und dann... Dann verzieht sich sein Gesicht in 10. 000 kleine und tiefere Falten zu einem wunderschönen zahnlosen Lächeln. Und das obwohl er sicher nicht meine Such-Annonce gelesen hat. Danke, es gibt einfach wunderschöne Zufälle im Leben!

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Im nächsten Schritt muss ich mich stumm stellen. Das werde ich jawohl noch hinkriegen. Wieder kommt ein älterer Herr die Straße entlang. Ich finde ihn weder attraktiv noch abstoßend, er ist mir fast egal (fast weil ich in der Regel ein sehr neugie-riger Mensch bin und oft versuche mir das Leben hinter den Gesichtern vorzustellen). Also halbwegs ideale Vorraussetzun-gen. Ich stürze auf ihn, schaue ihn treuherzig an und weise auf mein Blatt. Aber oh nein, er schüttelt mit dem Kopf “Ich non sprechen deutsch”. Das bekannte Südtirol-Problem. Müsste ich meine Zettel eigentlich 2-Sprachig verfassen? Wie auch immer. Wieder entscheide ich mich dazu zu schum-meln. Ich benutze meine Stimme und frage den netten Herrn nach dem Weg zur nächsten Kirche. Auweia, wenn das Sum1 wüsste. Das Ziel der Revolution scheint in unerreichbare Ferne zu rücken...

Immerhin bringt mich die Revolution an mir unbekannte Orte, die alle in unmittelbarer Nachbarschaft liegen. Die Kirche: Schon einmal gesehen, aber nie wirklich wahrgenommen, noch nie hinein gegangen. Es ist still und kühl, wie wahrs-cheinlich in jeder Kirche. Ein Mann kommt hinein, geht in den Beichstuhl. Ansonsten bin ich allein. Allein mit Gott?

Ich bin fast ein wenig müde als ich aus der Kirche heraustrete. Die Sonne blendet. Ich glaube für Heute scheiße ich auf die Revolution! Vor der Kirche ist eine Telefonzelle, schnell klebe ich den Zettel mit “Defekt” auf. Einfach so. Ohne mich stumm zu stellen und Leute nach dem Weg zu fragen...

Ein Blick in den Himmel: jetzt sehe ich ein Flugzeug. Ein Zeichen? Vielleicht für das nächste Mal... Für Heute ist erst einmal Ende. Finito.