Himmelstürmer Verlag, Kirchenweg 12, 20099 Hamburg,...Rechtschreibung nach Duden, 24. Auflage...

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    Himmelstürmer Verlag, Kirchenweg 12, 20099 Hamburg, Himmelstürmer is part of Production House GmbH www.himmelstuermer.de E-mail: [email protected] Originalausgabe, Frühjahr 2009 Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages Rechtschreibung nach Duden, 24. Auflage Cover: Christian Lütjens Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg. www.olafwelling.de und Christian Lütjens Foto: gettyImages Printed in Czech Republic ISBN print 978-3-940818-08-9 ISBN E.pub 978-3-86361-213-9 ISBN pdf: 978-3-86361-214-6

    Christian Lütjens, Jahrgang 1978, arbei-tet als freier Journalist und Autor in Hamburg und Berlin. Er ist u. a. Redak-teur bei der Zeitschrift „Männer“. Seine Kurzgeschichten erschienen zuletzt in „Mein schwules Auge 5“ sowie „Die Nacht und ich“. Darüber hinaus schreibt er Gedichte und Songtexte, wofür er im Jahr 2006 ein Stipendium der GEMA erhielt („Celler Schule“). Mehr: www.christianluetjens.de

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    Christian Lütjens

    Daddy

    + Boy

    Handbuch für / über die schwule Liebe zwischen Jung und Alt

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    Inhalt: Vorwort 7 Prolog: D+B in Utopia 9 D+B in Dystopia 13 „Mit der schwulen Toleranz ist es nicht weit her“ 18 Interview mit Paartherapeut Florian P. Klampfer Vom Ideal ins Abseits 23 Schwule Liebe zwischen den Generationen im Spiegel der Zeit Daddy, I’d like to Fuck! 31 Kleines Slang-Lexikon zu schwulen Altersunterschieds-Paaren Vaterkomplex + Angeber 34 Über Vorurteile gegen Altersunterschiede Wo kommen sie her? 37 Was ist dran an ihnen? 41 Coolness gegen Klischees 46 Wie schmettert man Vorurteile am besten ab? Der Coolness-Crashkurs 50 Probleme, Probleme! 52 Häufige Konflikte in altersdifferenten Beziehungen – und ihre Lösungen

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    Pluspunkt Altersunterschied 59 So macht das Spiel mit der anderen Generation mehr Spaß Gay Generation-Clash 65 Schwule Promi-Paare mit Altersunterschied „Ich kann mir mich selbst nicht 75 mit einem Jüngeren vorstellen“ Du stehst auf Ältere? Gespräch mit einem Gleichgesinnten. Paare im Porträt: Martin & Wolfgang 82 Benny & Uwe 96 Walter, Gerhard & Michael 110 Geld gegen Jugend 123 Die heutige Realität hinter dem Moneyboy-Mythos Tony & Russ 128 Eine May to December-Liebe vom Anfang bis zum Ende Nachwort 141

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    Vorwort „Daddy + Boy“ – klingt dieser Titel zu flapsig, zu kli-scheehaft oder zu unseriös? Diese Frage habe ich mir und Freunden immer wieder gestellt, während ich an diesem Buch gearbeitet habe. Letztendlich kam dabei immer die gleiche Antwort heraus. Ja. Der Titel ist flapsig. Und er ist ein bisschen klischeehaft. Aber die Frage nach der Serio-sität stellt sich doch eigentlich nur, weil man sich bei dem Thema Altersunterschied so unheimlich schnell ver-spannt. Man meint, besonders ernsthaft damit umgehen zu müssen, um niemandem zu nahe zu treten. Und man will den üblichen Vorurteilen nicht durch die falsche Wortwahl Zucker geben. Diese übertriebene Vorsicht ist es aber auch, die die Liebe zwischen Jung und Alt zum Tabuthema macht. Nun war es mein erklärtes Ziel, diesen Tabu-Status aufzubrechen. Also habe ich mich erstmal selbst entspannt - und damit beim Titel angefangen, der (ob flapsig oder nicht) den Nagel auf den Kopf trifft. Der „Daddy“ ist in der Szene schon lange ein Synonym für eine ältere Generation von Schwulen, die es nicht nötig hat, in den sexuellen Ruhestand abzutauchen, während der „Boy“ als Stellvertreter der jüngeren Garde dem ewi-gen Homo-Ideal entspricht. Was passiert, wenn diese beiden Prototypen sich zusam-men tun? Die Paare und Fachkundigen mit denen ich im Rahmen meiner Recherchen gesprochen habe, zeigen, dass der Schulterschluss zwischen den Generationen al-len Moralisten und Zweiflern zum Trotz klappen kann. Ihre Erzählungen geben Einblicke in eine spannende Welt, die viel über die Verständigung zwischen den Gene-rationen aussagt, aber auch über die Funktionalität von Beziehungen im Allgemeinen.

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    Ich werde die Probleme, die schwulen Beziehungen mit großem Altersunterschied innewohnen, nicht ignorieren. Aber ich möchte sie auch nicht kultivieren. Die Lektüre dieses Buches wird zeigen: Probleme macht man sich häufig selbst. Das heißt: Man kann sie auch selbst lösen. Die Vorurteile sitzen ja nicht nur in den Köpfen der All-gemeinheit, sondern auch in den Köpfen der Betroffenen. Auch sie sind zumeist mit gesellschaftlichen Normen auf-gewachsen, denen generationsübergreifende Liebesbe-ziehungen nicht entsprechen. Aber sie haben es geschafft sich über diese Normen hinwegzusetzen. Und wenn sie es geschafft haben, warum sollte das der Rest der Gesell-schaft nicht auch können? Ich würde mich freuen, wenn dieses Buch dazu beitragen kann. Christian Lütjens, Januar 2009

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    D+B in utopia

    Im Zimmer ist es still. Nur zwei Männerherzen schla-gen leise im Gleichklang. Badam. Badam. Badam. Da klingelt der Wecker. Boris öffnet die Augen und ist mit einem Schlag hellwach. Dietmar, der dicht neben ihm liegt, lässt sich vom Wecksignal nicht stören. Der hat die Ruhe weg. Behutsam rüttelt Boris seinen Freund an der Schulter. Er spürt die warme, gegerbte Haut unter seinen Händen:

    „Hey, aufwachen.“ Dietmar dreht sich um und blinzelt Boris entgegen.

    „Krieg ich erstmal einen Kuss?“ Boris küsst ihn zärtlich auf den Mund. Die beiden se-

    hen sich an. Jede Falte in Dietmars Gesicht scheint eine andere Geschichte aus seinem Leben zu erzählen. Seine kurzen grauen Haare schimmern im Morgenlicht. Und er duftet. Old Spice. Dietmar wiederum spürt, wie sich beim Anblick von Boris’ bübischem Grinsen und seines rot-blonden Wuschelkopfs jede Müdigkeit aus seinem Körper verabschiedet. Er küsst Boris auf die Schulter und schmunzelt: „Wollen wir da weiter machen, wo wir ge-stern Nacht aufgehört haben?“

    Doch Boris springt auf. „Dafür haben wir noch unser ganzes Leben Zeit. Jetzt wird erstmal geheiratet.“ Er reißt die Gardinen auf und öffnet das Fenster. Sonnenlicht und zarter Blütenduft strömen ins Zimmer. „Ich geh du-schen.“ Schon ist er im Bad verschwunden.

    Dietmar schwingt die Beine aus dem Bett und tritt ans Fenster. Ja, heute wird geheiratet. In zwei Stunden beginnt die Zeremonie in der Petri-Kirche. Dietmar fühlt sich stark, vital und glücklich. Los geht’s. Er springt zu Boris ins Bad. Die Zeit für einen kleinen Quickie unter

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    der Dusche nehmen sich die beiden doch noch. Dann schlüpfen sie in ihre weißen Sommeranzüge, die sie sich für diesen Tag besorgt haben, knöpfen sich gegenseitig Westen zu und binden Fliegen um. Dabei quasseln sie ununterbrochen. Dietmar setzt zusätzlich einen Hut auf.

    Als sie aus der Wohnung treten, laufen sie der Nach-barin Frau Kölberlin in die Arme.

    Sie lacht und sagt: „Morgen, die Herren. Soll’s end-lich losgehen? Wird ja auch mal Zeit.“ Bewundernd be-trachtet sie Boris und sagt an Dietmar gewandt. „Richtig kernig sieht er aus, was? Ich weiß noch, wie sie ihn vor zehn Jahren das erste Mal mit zu mir zum Essen gebracht haben. Anfang 20 war er da und noch ein richtiger Hänf-ling. Und sie waren beide so verliebt. Aber daran hat sich ja bis heute nichts geändert.“

    Boris grinst und deutet auf die Uhr. Frau Kölberlin schreckt auf. „Natürlich, Sie müssen

    los. Alles Gute.“ Sie gibt jedem einen raschen Kuss auf die Wange und flüstert Boris zu: „Und heben Sie sicht keinen Bruch, wenn sie den Herrn Gemahl nachher über die Schwelle tragen.“

    „Wer hier wen über die Schwelle trägt, werden wir noch sehen“, ruft Dietmar, während er die Treppe hinun-terstürmt.

    Als sie aus dem Haus treten stehen Vicky und Rudolf schon vor der Tür. Sie, Boris’ beste Freundin, und er, Dietmars ältester Freund aus Schultagen, sind die Trau-zeugen. Gerade diskutieren sie angeregt.

    „Ach, ich bin zu alt, um mir jetzt noch einen Compu-ter zu kaufen“, zaudert Rudolf. „So ein Quatsch“, widerspricht Vicky heftig. „Wie ich dich kenne, macht dir das sicher Spaß. Ist auch ein Su-per-Gehirntraining. Du kannst ja mal bei mir vorbei-kommen, und ich zeig dir ein paar Grundlagen.“

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    Als sie Boris und Dietmar bemerken, verstummen die beiden schlagartig. „Ihr seht ja toll aus“, rufen sie wie aus einem Mund.

    Vicky nimmt Dietmar den Hut vom Kopf und setzt ihn auf. „Der ist super. Wo hast du den her? Könnte mir auch stehen, oder?“

    Zu viert gehen sie ein Stück, bis Vicky und Rudolf sich kurz verabschieden. Sie hakt sich bei Rudolf unter und zwinkert geheimnisvoll. „Wir müssen noch was be-sorgen. Wird ’ne Überraschung.“ Die beiden verschwin-den gerade um die Ecke, als Dietmars Hausarzt die Stra-ßen entlang kommt.

    „Dietmar, grüß dich“, sagt er. Die beiden sind seit Jahren per Du. „Nur kurz. Deine

    Untersuchungswerte sind gestern gekommen. Alles in Ordnung. Wenn du Lust hast, kannst du morgen einen Marathon laufen.“

    Dietmar macht eine kleine Verbeugung. Doch Boris zieht ihn weiter.

    Als sie die Wiese vor der Kirche erreichen, treffen sie

    auf ein quirliges Menschenmeer. Dietmars und Boris Freunde haben den Platz mit Beschlag belegt. Jeder redet mit jedem, sodass keiner die Ankunft des Brautpaars be-merkt.

    Bis auf Dietmars Eltern. Sie stehen ein Stück am Rand. „Dietmar, mein Schatz. Dass ich das noch erleben darf“, schwärmt seine Mutter und rückt seine Fliege ge-rade. „Ich hab ja nicht mehr dran geglaubt. Da musst du erst 60 werden, bis du endlich unter die Haube kommst.“

    Sie umarmen sich und Mutti treten vor Rührung die Tränen in die Augen.

    Währenddessen klopft Vati Boris auf die Schulter und meint: „Martina hat noch bei uns angerufen.“

    Martina ist Boris’ Mutter. „Sie und dein Vater haben verschlafen und kommen ein bisschen später.“

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    Der Pastor tritt aus der Menge: „Da ist ja das Braut-paar. Wunderbar sehen Sie aus. Ich muss noch kurz et-was mit Ihnen besprechen. Würden sie mir in die Kirche folgen?“

    Boris und Dietmar küssen Mutti und Vati. Dann nehmen sie sich gegenseitig an der Hand und folgen dem Pastor über die warme Sommerwiese zum Kirchportal. Von allen Seiten hagelt es bewundernde Blicke und Kom-plimente.

    Der Pastor hält die Tür auf. „Treten Sie ein“, sagt er lächelnd. Dietmar und Boris folgen ihm ins Innere der Kirche. Dann fällt mit einem Krachen die Tür hinter ih-nen ins Schloss.

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    D+B in Dystopia

    „Willkommen in der Realität“, die Worte des Pastors bahnen sich ihren Weg durch das kühle Dunkel des Kir-chenschiffs. Seine Worte klingen nicht mehr so freundlich wie zuvor.

    Als Dietmar und Boris sich zu ihm umwenden, ist das Lächeln von seinem Gesicht verschwunden.

    „Ich muss wohl nicht viele Worte darüber verlieren, dass Ihre Utopie an dieser Stelle zu Ende ist.“ Er mustert die beiden kritisch. „Sie wissen sehr genau, dass ich ein homosexuelles Paar in dieser Kirche nicht segnen darf. Ich würde dadurch nur Probleme bekommen. Und, ich will ehrlich mit Ihnen sein.“ Er räuspert sich geräusch-voll. „Eine solche Segnung würde auch meinem eigenen Ethos widersprechen.“

    In Boris’ Magen macht sich ein mulmiges Gefühl breit, das ihm nur zu vertraut ist. Er nimmt wieder Diet-mars Hand – und merkt sofort den befremdeten Blick des Pastors.

    „Bitte gehen Sie jetzt“, sagt der. An Boris gewandt fügt er hinzu: „Was Sie betrifft. Überlegen Sie sich das Ganze doch noch mal. Es gibt so viele hübsche Frauen in Ihrem Alter. Warum verschwenden Sie Ihre besten Jahre mit einem Mann, der Ihr Vater sein könnte?“ Mit diesen Worten öffnet er die Tür nach draußen.

    Dietmar und Boris gehen hinaus ohne sich noch einmal umzusehen. Die Wiese vor der Kirche ist jetzt in regnerisches Grau gehüllt. Die Freunde sind noch da. Aber sie laufen nicht mehr durcheinander. Sie schweigen betreten und bilden eine Gasse durch die Dietmar und Boris nun in Richtung Straße gehen. Auf der einen Seite stehen Boris’ Freunde, auf der anderen Seite die von

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    Dietmar. Ja, richtig, diese beiden Gruppen zusammen zu bringen hat ja leider nie so richtig geklappt. Zwischen ihnen blieben immer ein Befremden, eine Unsicherheit und ein Desinteresse spürbar. Und wahrscheinlich auch das schlechte Gewissen, das viele noch immer haben, weil sie Boris am Anfang als jungen Schnösel oder Dietmar als alten Sack abgestempelt haben. An der Stelle wo vorhin Dietmars Eltern standen, stehen zwei Kreuze. Ach ja. Sie sind ja vor zwei Jahren gestorben. Dietmar lag bis zuletzt mit ihnen im Clinch, weil sie sich weigerten, Boris kennen zu lernen. Und dessen Eltern? Die würden sowieso nie im Leben zu einer Schwulenhochzeit gehen.

    Der Regen wird stärker. Bloß weg hier. Mit gesenkten Köpfen rennen Boris und Dietmar los. An der nächsten Kreuzung laufen sie fast Dietmars Hausarzt über den Haufen.

    „Na, na, na“, mahnt dieser. „Dein Freund ist keine 30 mehr wie du, Boris. Lasst es mal ein bisschen langsamer angehen. Du weißt doch, Dietmar. Du solltest dein Herz nicht zu großen Anstrengungen aussetzen. So rosig sind deine Werte momentan nicht.“

    Dietmar nickt verständig, doch Boris zieht ihn weiter. Da biegen Vicky und Rudolf um die Ecke. Auf entge-

    gen gesetzten Straßenseiten. Das wird wohl nie aufhören. Die beiden kennen sich seit zehn Jahren und wohnen in der gleichen Straße, aber wenn sie sich begegnen, tun sie immer noch so, als ob sie einander nicht sehen würden, damit sie nicht miteinander reden müssen. Nur wenn Dietmar und Boris dabei sind, grüßen sie sich. Dann kön-nen sie ja nicht anders. Wie jetzt.

    „Das ist ja ein witziger Zufall“, sagt Vicky aufgekratzt. „Vier auf einen Streich. So ’ne Art Familientreffen.“

    Rudolf mustert sie von der Seite und kann sich die Bemerkung nicht verkneifen: „Naja, junge Dame. Famili-entreffen? Wollen wir mal nicht gleich übertreiben.“