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Holistische und konfigurale Gesichtsverarbeitung im mittleren Erwachsenenalter
Bachelorarbeit
Abteilung Psychologie in den Bildungswissenschaften
der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
vorgelegt von
Isabelle Schricker David Kurbel
Geb. am 31.07.1990 Geb. am 12.07.1991
Matrikelnummer: 2674225 Matrikelnummer: 2683282
Mainz, im Dezember 2014
1. Gutachterin: Dr. Bozana Meinhardt-Injac
2. Gutachter: Prof. Dr. Günter Meinhardt
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Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung 05 Eine kurze Anekdote 06 1. Einleitung 06 1.1 Holistische Wahrnehmung und ihre Maße 08 1.2 Holistische Wahrnehmung und Altern 10 1.3 Konfigurale Wahrnehmung und Altern 11 2. Versuch 1 – Holistische Wahrnehmung und Altern 13
2.1. Methode 13 2.1.1 Experimentaldesign 13 2.1.2 Versuchspersonen 14 2.1.3 Stimuli 15 Gesichter 15 Uhren 15 2.1.4 Versuchsapparat 16 2.1.5 Versuchsablauf 17 2.1.6 Leistungskennwerte 18 2.2 Ergebnisse 18 2.2.1 Proportion Correct 18 2.2.2 Maße der holistischen Verarbeitung 20 3. Versuch 2 – Konfigurale Wahrnehmung und Altern 21 3.1 Methode 21 3.1.1 Experimentaldesign 21 3.1.2 Versuchspersonen 22 3.1.3 Stimuli 23 3.1.4 Versuchsapparat 23 3.1.5 Versuchsablauf 23 3.1.6 Leistungskennwerte 24 3.2 Ergebnisse 24 3.2.1 Proportion Correct 24 3.2.2 Maße der konfiguralen und merkmalsbezogenen Verarbeitung 25 4. Diskussion 26 4.1 Holistische Verarbeitung 26 4.2 Konfigurale Wahrnehmung und Altern 29 4.3 Fazit 31 5. Quellen 33 6. Anhang 41 Selbstständigkeitserklärung 41
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4
Zusammenfassung
In der vorliegenden Arbeit wird untersucht, inwieweit gesichtsspezifische
Verarbeitungsprozesse im mittleren Erwachsenenalter erhalten bleiben und welche konkreten
Mechanismen der Gesichtsverarbeitung über die Lebensspanne beeinträchtigt werden. Hierfür
wurden zwei Versuche mit einer Stichprobe von Erwachsenen mittleren Alters (50 – 60 Jahre)
durchgeführt, deren Leistung mit je einer Stichprobe jüngerer Erwachsener (30 – 35 Jahre bzw.
21 – 25 Jahre) verglichen wurde.
In Versuch 1 wird die holistische Wahrnehmung von Gesichtern untersucht, die die
Integration einzelner Teile in ein Gesamtgefüge beschreibt. Hierfür werden folgende Maße
betrachtet: der Face Inversion Effect, der Context Congruency Effect und die Manipulation der
Ortsfrequenz. Als Referenzstimuli werden Uhren eingesetzt, die im Vergleich zu Gesichtern
nicht den holistischen Verarbeitungsmechanismen unterliegen. Als zentrales Ergebnis stellt
sich heraus, dass die holistische Wahrnehmung im mittleren Erwachsenenalter erhalten bleibt
und Erwachsene mittleren Alters eine defizitäre merkmalsbezogene Verarbeitung aufweisen.
Da jedoch beide Altersgruppen die holistische Verarbeitung nutzen, kann die allgemeine
Verschlechterung der Gesichtserkennung im mittleren Erwachsenenalter nicht ausschließlich
über selbige erklärt werden.
In Versuch 2 werden die konfigurale und die merkmalsbezogene Verarbeitung von
Gesichtern bei Personen mittleren Alters mit der von jüngeren Erwachsenen verglichen. Hierbei
werden die Second-Order Relations näher betrachtet, die Informationen über die Abstände der
einzelnen Gesichtsmerkmale zueinander beinhalten. Erwachsene mittleren Alters zeigen im
Vergleich zu jüngeren Personen sowohl Einbußen in der Verarbeitung der Second-Order
Relations als auch in der merkmalsbezogenen Wahrnehmung. Über den Face Inversion Effect,
der bei Probanden zwischen 50 und 60 Jahren niedriger als in der Vergleichsgruppe ausfiel,
kann auf eine defizitäre konfigurale Verarbeitung im mittleren Alter geschlossen werden.
Konfigurale Verarbeitungsprozesse könnten für die Leistungsabnahme der Gesichtserkennung
über die Lebensspanne von Relevanz sein.
Schlüsselwörter: Gesichtswahrnehmung, holistisch, konfigural, Second-Order Relations, Face
Inversion Effect, Context Congruency, Spatial Frequency
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Eine kurze Anekdote
Isabelle (16) hatte am Wochenende Besuch von einer guten Freundin. Am
Samstagmorgen verließ Isabelle früh das Haus, um an einem Tennisturnier teilzunehmen. Ihre
Freundin Adrienne saß alleine mit Isabelles Großmutter Elfriede am Frühstückstisch. Die
Großmutter schien nicht zu erkennen, dass sie sich nicht wie gewohnt mit ihrer Enkelin
unterhielt sondern mit einem ihr fremden Mädchen. Dies erscheint zunächst nicht weiter
erstaunlich, schließlich war Elfriede zu diesem Zeitpunkt bereits 90 Jahre alt.
Doch auch Isabelles Vater Klaus erkannte Adrienne, die ihm durchaus als Freundin
seiner Tochter bekannt war, nicht sofort, als diese ihm zu einem späteren Zeitpunkt in der Stadt
mit völlig veränderter Frisur begegnete.
1. Einleitung
Im Alter funktionieren einige Prozesse des menschlichen Körpers nicht mehr in dem
gleichen Ausmaß wie in jungen Jahren. Da Menschen soziale Wesen sind und täglich in
Interaktion mit anderen treten, ist die Fähigkeit, Gesichter zu erkennen und richtig zuordnen zu
können, eine elementare Grundvoraussetzung für den Umgang mit Mitmenschen. Wie viele
andere Prozesse auch unterliegt die Gesichtswahrnehmung allerdings einer Veränderung über
die Lebensspanne.
Diese Veränderung wurde in der Vergangenheit bereits vielfach in wissenschaftlichen
Studien untersucht. Im Unterschied zu den meisten kognitiven Prozessen – beispielsweise der
Leistung des Arbeitsgedächtnisses (Salthouse & Babcock, 1991) oder der selektiven
Aufmerksamkeit (Nagel et al., 2011) – endet die Entwicklung der Fähigkeit, Gesichter zu
erkennen, nicht mit dem jungen Erwachsenenalter, sondern verbessert sich über die Jugend
(Carey, Diamond, & Woods, 1980; Diamond, Carey, & Back, 1983; Lawrence et al., 2008),
und erreicht ihren Höhepunkt erst um das 30. Lebensjahr (Germine, Duchaine, & Nakayama,
2011).
Diese Entwicklung konnte mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRI)
belegt werden. Dabei wurde festgestellt, dass sich die Fusiform Face Area (FFA) von der
Kindheit bis ins Erwachsenenalter verändert und dabei ihre Funktion spezifischer wird
(Aylward et al., 2005; Golarai et al., 2007; Scherf, Behrmann, Humphreys, & Luna, 2007). Bei
der FFA handelt es sich um eine Gehirnregion, die im fusiformen Gyrus (Brodmann-Areal 37)
lokalisiert und auf die Erkennung von Gesichtern spezialisiert ist (Kanwisher, McDermott, &
6
Chun, 1997). Die Leistung in der FFA verändert sich jedoch mit fortschreitendem Alter. Ein
weiterer Befund wurde von Grady (2002) diskutiert: Ältere Versuchspersonen zeigen im
Vergleich zu jüngeren eine stärkere präfrontale Aktivität des Gehirns. Laut Grady sind jüngere
Menschen in der Lage, einzelne Gehirnstrukturen selektiv zu aktivieren, während ältere zur
Kompensation einzelner degradierter Funktionen auf eine globalere Gehirnaktivität
zurückgreifen. Eine vergleichbare Erkenntnis lieferten bereits Grady et al. (1992). Sowohl
Aufgaben zur Gesichtsidentifizierung (siehe z.B. Habak, Wilkinson, & Wilson, 2008) als auch
zur Emotionserkennung (z.B. Calder et al., 2003) konnten eine schlechtere Leistung bei älteren
Menschen im Vergleich zu jüngeren demonstrieren. Hildebrandt, Wilhelm, Herzmann und
Sommer (2013) untersuchten die Fähigkeit der Gesichtswahrnehmung und -erkennung. Es
zeigte sich, dass ältere Personen die Aufgaben langsamer und weniger akkurat absolvierten.
Die geringere Leistung der Gesichtswahrnehmung konnte durch einen Rückgang der
allgemeinen kognitiven Fähigkeiten erklärt werden. In der Gesichtserkennung hingegen konnte
die geringere Leistung nur teilweise über kognitive Defizite erklärt werden, womit die Frage
offen blieb, welche weiteren Prozesse die altersbedingte Verschlechterung in der
Gesichtserkennung hervorrufen.
In Anbetracht dieser Forschungsergebnisse wird deutlich, dass die
Gesichtswahrnehmung dem allgemeinen Alterungsprozess unterworfen ist. Doch ab welchem
konkreten Alter lassen sich Einbußen in der Verarbeitung von Gesichtern feststellen?
Dass es sich hierbei nicht um ein Phänomen des späteren Alters handelt, konnten bereits
Owsley, Sekuler und Siemsen (1983) sowie Chaby, George, Renault und Fiori (2003) zeigen.
Letztere fanden heraus, dass Verschlechterungen bereits mit dem 50. Lebensjahr vorliegen
können. Ein Experiment zur Gesichtsentdeckung mit verschiedenen Altersgruppen führten
Norton, McBain, und Chen (2009) durch. In ihrem Versuch sollten Probanden entscheiden, ob
sich ein Gesicht, das für 13 – 104 Millisekunden dargeboten wurde, auf der linken oder rechten
Seite des Bildschirms befand. Es stellte sich heraus, dass die Gruppe jüngerer Probanden (unter
40 Jahren) die beste Leistung aufzeigte, gefolgt von den Probanden mittleren Alters (40-59
Jahre). Die Gruppe der älteren Erwachsenen (über 59 Jahren) zeigte die schwächste Leistung.
Die Mehrzahl an existierenden Studien zum Thema Gesichtswahrnehmung über die
Lebensspanne beschäftigt sich jedoch eher mit Personen höheren Alters (z.B. Konar, Bennett,
& Sekuler, 2013). Im Folgenden soll nun der Fokus auf das mittlere Erwachsenenalter gelegt
werden. Die zentrale Forschungsfrage dieser Arbeit lautet daher, welche Prozesse der
Gesichtswahrnehmung möglichen Veränderungen im mittleren Erwachsenenalter zugrunde
7
liegen. Für das weitere Vorgehen ist es von Bedeutung, einige Phänomene der
Gesichtswahrnehmung näher zu betrachten.
1.1 Holistische Wahrnehmung und ihre Maße
Erwachsene nehmen Gesichter in der Regel nicht in ihren einzelnen Teilen wahr,
sondern formen aus ihnen bei der Verarbeitung ein einheitliches Konstrukt: die Gestalt (Bartlett
& Searcy, 1993; Tanaka & Farah, 1993; Tanaka & Sengco, 1997). Diese Art der Verarbeitung
wird als holistische Verarbeitung definiert (Piepers & Robbins, 2012). Neben der holistischen
Verarbeitung existiert außerdem eine merkmalsbezogene Verarbeitung (feature-driven),
mithilfe derer einzelne Teile von Gesichtern verarbeitet werden.
Die Existenz einer holistischen Verarbeitung wurde von Tanaka und Farah (1993) über
den sogenannten Part-to-Whole Effect festgestellt. Dieser besagt, dass ein Gesichtsmerkmal
(z.B. die Nase) besser identifiziert werden kann, wenn es in den Kontext eines zuvor gesehenen
Gesichts eingebettet ist, als wenn es isoliert präsentiert wird (Farah, Tanaka, & Drain, 1995;
Tanaka & Farah, 1993). Auf dem gleichen Prinzip beruhend beschreibt der Composite Effect,
dass es schwieriger ist, über die Identität der oberen Gesichtshälfte zu urteilen, wenn sie nicht
mit der unteren Hälfte übereinstimmt. Sobald die beiden Gesichtshälften verschoben sind, zeigt
sich der Effekt nicht mehr. Die beiden Gesichtshälften können dann vom Beobachter
unabhängig voneinander beurteilt werden (Hole, 1994; Young, Hellawell, & Hay, 1987). Beide
Effekte basieren auf dem gleichen Mechanismus, nämlich der Integration einzelner Teile zu
einem Gesamtgefüge. Nicht eindeutig geklärt ist jedoch, ob es unterschiedliche
Verarbeitungsprozesse für die inneren und äußeren Gesichtsmerkmale gibt. Diese Prozesse
könnten parallel verlaufen und ein holistisches Bild des Gesichts erzeugen (Piepers & Robbins,
2012). Ein prominentes Experiment soll hier zur Veranschaulichung dienen: Sinha und Poggio
(1996) erzeugten die sogenannte Presidential Illusion, indem sie die externen Merkmale von
Al Gore und Bill Clinton untereinander vertauschten. Das neu zusammengesetzte Gesicht sah
eher nach Al Gore aus als nach Bill Clinton, wenn Clintons innere Merkmale (Augen,
Augenbrauen, Nase und Mund) in Gores externe Merkmale (Gesichts- bzw. Kopfform, Haare
und Ohren) eingebettet wurden. Das entstandene Gesicht wird holistisch verarbeitet als Gestalt
wahrgenommen. Der stark modulierende Effekt der äußeren auf die inneren Gesichtsmerkmale
beschreibt den sogenannten Context Congruency Effect (Andrews & Thompson, 2010; Axelrod
& Yovel, 2010, 2011; Meinhardt-Injac, Meinhardt, & Schwaninger, 2009; Nachson,
Moscovitch, & Umilta 1995; Sinha & Poggio, 1996).
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In der Forschung erfolgt eine Unterteilung in eine kongruente und eine inkongruente
Bedingung. Die kongruente Bedingung liegt vor, sobald sich entweder das Gesicht als Ganzes
verändert (d.h. sowohl die externen als auch die internen Merkmale) oder das Gesicht mit dem
zu vergleichenden übereinstimmt. Die inkongruente Bedingung hingegen beschreibt den Fall,
dass sich entweder die externen Merkmale – bei bestehenden internen Merkmalen – verändern
oder aber sich die internen Merkmale verändern, während die externen Merkmale unverändert
bleiben. Der Context Congruency Effect besagt, dass die Leistung bei Aufgaben zur
Gesichtserkennung in der kongruenten Bedingung besser ist als in der inkongruenten
Bedingung. Wie Meinhardt-Injac (2013) zeigen konnte, ist der Einfluss der internen Merkmale
des Gesichts auf die externen Merkmale von größerer Bedeutung als umgekehrt.
Rossion und Gauthier (2002) sowie Rossion (2008) erkannten, dass die holistische
Verarbeitung an die natürliche aufrechte Orientierung (upright) der Gesichtsstimuli gebunden
ist. Dieses Phänomen wird als Face Inversion Effect (FIE) bezeichnet und dient als Maß der
holistischen Verarbeitung. Sobald die Gesichtsstimuli invertiert (um 180° gedreht, also auf dem
Kopf stehend) dargeboten werden, ist die holistische Verarbeitung gestört (Xu & Tanaka, 2013)
und es wird auf einen anderen Verarbeitungsmechanismus, die merkmalsbasierte Verarbeitung
(feature-driven), zurückgegriffen (Bartlett & Searcy 1993; Carbon & Leder, 2005; Knowles &
Hay 2014; Searcy & Bartlett, 1996). Beide diskutierten Effekte – der Face Inversion Effect und
der Context Congruency Effect – belegen die Existenz der holistischen Verarbeitung bei
Gesichtern. Allerdings drängt sich die Frage auf, ob sich die holistische Verarbeitung
ausschließlich auf Gesichter beschränkt und Gesichter somit einen besonderen Stimulus für das
menschliche Gehirn darstellen. Yovel und Kanwisher (2004) verwendeten in ihrem Experiment
Häuser als Referenzstimuli für Gesichter und fanden dort weder einen Inversionseffekt noch
eine starke Reaktionsveränderung in der FFA – unabhängig davon, ob Häuser als ganze Stimuli
(Gestalt) oder einzelne Teile der Häuser präsentiert wurden (siehe auch Tanaka & Farah, 1993,
für ein weiteres Experiment).
Als weiteres Maß der holistischen Wahrnehmung können die Ortsfrequenzen oder
Spatial Frequencies (SF) eines Bildes fungieren. Bei der Ortsfrequenz (angegeben in Cycles
per Degree nach Ruiz-Soler & Beltran, 2006) handelt es sich um die Anzahl der Kanten pro
Grad Sehwinkel mit verschiedenen Frequenzen und Orientierungen, aus denen jedes Bild
(sowohl Gesichter als auch sämtliche andere visuelle Objekte) zusammengesetzt ist. Zur
Untersuchung des Zusammenhangs der Ortsfrequenz mit der Gesichtswahrnehmung wird
üblicherweise eine Unterteilung der Spatial Frequency in Low Spatial Frequency (LSF) und
High Spatial Frequency (HSF) vorgenommen. Bei Bildern dieser beiden Ortsfrequenzen
9
handelt es sich um (mittels Filtertechnik) manipulierte Versionen des Ausgangsbildes. Ein Bild
mit LSF wirkt im Vergleich zum Original verschwommener. Die HSF-Version des
Originalbildes erscheint hingegen grobkörniger. Wenn von der sogenannten Full Spatial
Frequency (FSF) die Rede ist, handelt es sich um das Originalbild in voller Auflösung. Im
Folgenden wird nun diskutiert, welche Ortsfrequenzen notwendig sind, um ein Gesicht als
solches wahrzunehmen. Außerdem stellt sich die Frage, welche Spatial Frequency (LSF bzw.
HSF) überwiegend die holistische und welche die merkmalsbasierte Verarbeitung fördert.
Sowohl Bachmann (1991) als auch Costen, Parker und Craw (1994) demonstrierten eine
drastische Verschlechterung der Wahrnehmung im Bereich der LSF. Dass sowohl HSF als auch
LSF von Bedeutung für die Gesichtswahrnehmung sind, stellten Goffaux, Hault, Michel,
Vuong und Rossion (2005) fest. Sie fanden heraus, dass LSF die Extraktion von holistischer
Information unterstützt, wohingegen HSF zu einer besseren Differenzierung von
Gesichtsmerkmalen führt. Cheung, Richler, Palmeri und Gauthier (2008) konnten zwar auch
zeigen, dass eine holistische Beurteilung mit LSF möglich ist, jene allerdings nur auf einem
moderaten Leistungsniveau abläuft.
In der vorliegenden Arbeit wird die holistische Verarbeitung über die Lebensspanne
mithilfe von zwei bekannten Paradigmen untersucht: dem Context Congruency Effect
(Meinhardt-Injac, Persike, & Meinhardt, 2010, 2011) und dem Face Inversion Effect (Hole,
1994; Yin, 1969). Zusätzlich wird mittels Filtertechnik die Ortsfrequenz der Stimuli
manipuliert, wodurch ebenfalls Rückschlüsse auf die holistische Wahrnehmung möglich sind.
1.2 Holistische Wahrnehmung und Altern
Über den Erhalt holistischer Verarbeitung im Alter existieren anhaltend kontroverse
Ansichten. Schwarzer, Kretzer, Wimmer und Jovanovic (2010) postulieren eine Zunahme der
holistischen Verarbeitung vom Kindes- bis hin zum Erwachsenenalter und einen Abfall der
holistischen Verarbeitung im höheren Alter. Im Gegensatz dazu stellten Konar et al. (2013) in
ihrer Studie einen vergleichbaren Composite Effect zwischen einer älteren (60 – 82 Jahre) und
einer jüngeren Probandengruppe (17 – 25 Jahre) fest. Ebenso fanden Boutet und Faubert (2006)
keine Unterschiede im Part-to-Whole Effect zwischen jüngeren und älteren Erwachsenen.
Konar et al. (2013) sowie Boutet und Faubert (2006) positionieren sich somit konträr zur
Ansicht von Schwarzer et al. (2010) und geben eindeutige Hinweise für den Erhalt der
holistischen Wahrnehmung im Alter.
Diese Befunde konnten auch durch Meinhardt-Injac et al. (2014) gestützt werden. Sie
zeigten, dass es einen vergleichbaren FIE zwischen jüngeren und älteren Erwachsenen gibt.
10
Demnach besitzen ältere Personen sehr wohl die Fähigkeit zur holistischen Verarbeitung.
Daniel und Bentin (2012) konnten die Befunde zur holistischen Wahrnehmung weiter
untermauern. Sie fanden heraus, dass ältere Erwachsene häufiger First-Order Information und
die globale Gesichtsstruktur nutzen als jüngere Erwachsene. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung
zeigten darüber hinaus eine erfolgreiche Verarbeitung der externen Gesichtsmerkmale bei
älteren Personen, während bei selbigen die Verarbeitung der internen Gesichtsmerkmale
wesentlich weniger effizient erfolgt.
Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass bei älteren Personen von einem
größeren Context Congruency Effect ausgegangen werden kann, da sie ein Defizit in der
Verarbeitung der internen Gesichtsmerkmale aufweisen (Daniel & Bentin, 2012; Meinhardt-
Injac, 2014; Roudaia, Bennett, & Sekuler, 2008). Chaby, Jemel, George, Renault und Fiori
(2001) führten eine umfassende ERP-Studie durch, die zeigte, dass Personen mittleren Alters
größere Schwierigkeiten bei der Gesichtsverarbeitung in inkongruentem Kontext besitzen. Der
Einfluss der Ortsfrequenz auf die Gesichtswahrnehmung über die Lebensspanne wurde bisher
weniger umfangreich erforscht. Norton et al. (2009) konnten allerdings herausfinden, dass
bereits Personen mittleren Alters weniger sensibel für LSF und HSF sind.
Vergleicht man die allgemeine Wahrnehmungsleistung von Gesichtern und Objekten
(z.B. Häusern) bei älteren Personen, so zeigt sich, dass Objekte nach wie vor gut erkannt werden
und hier keine Leistungsunterschiede zu jüngeren Menschen vorliegen (Boutet & Faubert,
2006).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die holistische Wahrnehmung – vor allem
gemessen über den Face Inversion Effect und den Context Congruency Effect – im mittleren
Alter erhalten bleibt. Die bestehenden Unterschiede zwischen den Altersgruppen in der
Gesichtserkennung können dementsprechend nicht durch die vorherrschende holistische
Verarbeitung sowie eine defizitäre merkmalsbasierte Verarbeitung erklärt werden. Aus diesem
Grund wird im Folgenden eine weitere Verarbeitungsform – die konfigurale Wahrnehmung –
näher betrachtet.
1.3 Konfigurale Wahrnehmung und Altern
Neben altersbedingten Veränderungen der holistischen und merkmalsbezogenen
Verarbeitung erforscht die aktuelle Untersuchung eine weitere Verarbeitungsform für
Gesichter: die konfigurale Verarbeitung. Laut Piepers und Robbins (2012) besitzen Gesichter
zwei verschiedene Formen konfiguraler Information: die First-Order Relations, die eine
übergeordnete Organisation der Merkmale im Gesicht ausdrücken (etwa die Tatsache, dass sich
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die Augen über der Nase befinden und selbige ihren Platz über dem Mund hat) und die Second-
Order Relations, welche die Abstände auf horizontaler bzw. vertikaler Achse zwischen den
Gesichtsteilen beschreiben, wie z.B. die interokulare Distanz oder den Abstand zwischen
Augen und Mund. Ruiz-Soler und Beltran (2006) messen den Second-Order Relations eine
tragende Rolle bei der konfiguralen Wahrnehmung bei. Da die First-Order Relations
interpersonell identisch sind – die grobe Organisation von Augen, Nase und Mund erstreckt
sich über sämtliche Individuen – kann diese Information nicht zur eindeutigen Identifikation
von Gesichtern ausreichen. Wesentlich relevanter erscheinen die individuell spezifische
Anordnung der Gesichtsteile und deren Abstände zueinander. Goffaux (2009) bezeichnet die
Wahrnehmung der vertikalen Achse der Augen als deutlich anfälliger für Veränderungen als
die horizontale Achse. Eine mögliche Erklärung für den beobachteten Effekt könnte lauten,
dass horizontale Konturen für den Beobachter weniger leicht zugänglich sind. Gesichter werden
im Alltag nicht ausschließlich frontal präsentiert, sondern erscheinen oftmals im Profil. Laut
Chaby, Narme und George (2011) erschwert dies die Identifikation von Personen erheblich und
es ist umso wichtiger, sich auf die vertikalen Informationen verlassen zu können. Ebenso
argumentieren Spence, Storrs und Arnold (2014) über die sogenannte Facial Barcode-
Hypothese, dass die vertikale Bildstruktur besonders wichtig für die Gesichtsverarbeitung ist.
Sich auf diese Struktur verlassen zu können hilft Menschen, Gesichter aus verschiedenen
Winkeln und Distanzen zu erkennen (Dakin & Watt, 2009). Durch das starke Angewiesensein
auf vertikale Informationen erklärt sich die hohe Sensibilität für Störungen auf dieser Achse.
Nach einer neueren Studie von Goffaux und Dakin (2010) besitzen besonders die
horizontalen Gesichtskonturen bei der Identifizierung von Gesichtern eine tragende Rolle.
Pachai, Sekuler und Bennett (2013) stellen zudem fest, dass mehr Informationen der
Gesichtsidentität über horizontale Konturen als über vertikale Konturen vermittelt werden. Die
Einbußen in der Gesichtswahrnehmung mit zunehmendem Alter könnten darauf
zurückzuführen sein, dass ältere Personen weniger sensibel für Informationen sind, die über
horizontale Gesichtskonturen übermittelt werden (Obermeyer et al., 2012). Beispielsweise
reagieren ältere Menschen weniger sensibel auf die Abstände zwischen Gesichtsmerkmalen
(Murray, Halberstadt, & Ruffman, 2010) und sogar deutlich unsensibel auf Veränderungen des
Augenabstandes auf der horizontalen Achse (Chaby et al., 2011). Chaby et al. (2011)
postulieren den Erhalt der Verarbeitung vertikaler Informationen im Alter.
Über den Face Inversion Effect lassen sich Aussagen über die konfigurale
Wahrnehmung treffen, die ebenfalls – wie auch die holistische Verarbeitung – durch invertierte
Darbietung der Gesichtsstimuli beeinträchtigt wird. Goffaux (2009) zeigt, dass der FIE
12
insbesondere bei Stimuli mit Verschiebungen der Augenregion auf der vertikalen Achse
auftritt. Chaby et al. (2011) erfassen niedrigere FIE für ältere Versuchspersonen im Vergleich
zu jüngeren, was auf eine mangelhafte konfigurale Verarbeitung zurückzuführen sein könnte.
Zusammenfassend lässt feststellen, dass sowohl die holistische als auch die konfigurale
Verarbeitung eine zentrale Rolle bei der Gesichtserkennung spielen. Die
Leistungsverschlechterung der Gesichtserkennung im Alter kann zudem nicht allein über die
Zunahme der holistischen Verarbeitung und eine defizitäre merkmalsbezogene Verarbeitung
erklärt werden. Ein wichtiger Faktor, der die gefundenen Altersunterschiede der
Gesichtswahrnehmung bedingt, könnte die konfigurale Wahrnehmung sein.
Auf Grundlage der vorangehenden Überlegungen soll mithilfe zweier Experimente
untersucht werden, welche Rolle die holistische und die konfigurale Wahrnehmung im
mittleren Alter spielen. Versuch 1 untersucht die holistische Verarbeitung unter Verwendung
des Face Inversion Effect sowie des Context Congruency Effect und einer zusätzlichen
Manipulation der Stimuli mithilfe unterschiedlicher Spatial Frequencies. Versuch 2 widmet
sich der konfiguralen und der merkmalsbezogenen Verarbeitung, gemessen über die
Manipulation des interokularen Augenabstands und einem Austauschen der Augen sowie dem
Face Inversion Effect.
2. Versuch 1: Holistische Wahrnehmung und Altern
2.1 Methode
2.1.1 Experimentaldesign
Es wurden 4 Experimente mit 2 verschiedenen Stimulusklassen (Gesichter und Uhren)
durchgeführt. Die Gesichter wurden in 3 verschiedenen Ortsfrequenzen dargeboten: Low
Spatial Frequency (LSF), Full Spatial Frequency (FSF) und High Spatial Frequency (HSF).
Die Aufgabenstellung an die Versuchspersonen lautete: „Vergleichen Sie die internen
Merkmale.“ Bei Gesichtern umfasste dies Augen, Augenbrauen, Nase und Mund. Bei den
Uhren stellten die Merkmale das Ziffernblatt, die Zahlen und die Zeiger dar. Externe Merkmale
sollten während der gesamten Dauer des Experiments nicht berücksichtigt werden (Anweisung:
„Achten Sie bitte nur auf die internen Merkmale.“). Die beiden Antwortmöglichkeiten lauteten
„Gleich“ und „Unterschiedlich“. Die Versuchsteilnehmer mussten in allen vier Experimenten
zwei nacheinander dargebotene Stimuli miteinander dahingehend vergleichen, ob die internen
Merkmale identisch oder verschieden waren.
13
Zwei Stimuli sollten dann als gleich bewertet werden, wenn sämtliche internen
Merkmale des ersten mit denen des zweiten Gesichts übereinstimmten. Sie sollten als
unterschiedlich eingestuft werden, wenn ein oder mehrere interne Merkmale des ersten Gesichts
nicht mit denen des zweiten Gesichts übereinstimmten. Alle Versuchspersonen absolvierten
jedes der vier Experimente.
In allen vier Experimenten wurde die Context Congruency für innere Merkmale
manipuliert. In der kongruenten Bedingung (Congruent Condition, CC) waren die Stimuli eines
Durchlaufs entweder komplett identisch (Same Trial), oder komplett verschieden (Different
Trial). In der inkongruenten Bedingung (Incongruenct Condition, IC) hatten die Stimuli die
gleichen internen Merkmale, wobei sich die äußeren Merkmale veränderten (Same Trial), oder
umgekehrt, sich die internen Merkmale bei gleichbleibenden externen Merkmale veränderten
(Different Trial). Es wurde erwartet, dass CC und IC die Leistung im Vergleichen der Stimuli
beeinflussen würden, wenn die internen und externen Merkmale nicht unabhängig voneinander
verarbeitet werden konnten.
Beide Stimuli eines Durchgangs waren entweder aufrecht (upright), d.h. in ihrer
natürlichen Ausrichtung, oder invertiert (inverted), d.h. um 180° rotiert. Die
Stimuluspräsentation wurde nicht variiert, sondern betrug in jedem Durchgang 633 ms. Die
Versuche wurden mit Erwachsenen mittleren Alters durchgeführt. Bereits bestehende Daten
aus der Untersuchung von Donsbach (2014) wurden in das vorliegende Design
mitaufgenommen. Das Experimentaldesign setzte sich wie folgt zusammen: 4 Stimulustypen
(Gesichter mit: LSF vs FSF vs HSF vs Uhren) x 2 Orientierungen (upright vs inverted) x 2
Kontexte (kongruent vs inkongruent) x 16 Stimulusversionen x 2 Antwortkategorien (gleich vs
verschieden). Die Altersgruppe diente als Gruppenfaktor, während Stimulustyp, Orientierung
und Kontexte die Innersubjektfaktoren darstellten.
2.1.2 Versuchspersonen
Bei den Versuchspersonen handelte es sich um 21 Erwachsene zwischen 50 und 60
Jahren (M = 55,3). Insgesamt nahmen 15 Frauen und 6 Männer am Experiment teil, wobei jede
Versuchsperson alle einzelnen Teilexperimente absolvieren sollte. Eine Versuchsperson musste
das Experiment aufgrund einer vorherigen Augenoperation vorzeitig abbrechen. Durch
Ausschluss dieses Falls für die Datenanalyse ergab sich ein endgültiger Datensatz mit N = 20
Personen. 17 der 20 Versuchsteilnehmer waren im Alltag auf eine Sehhilfe angewiesen und
verwendeten diese auch während des Experiments.
14
Der Versuch fand bei den einzelnen Teilnehmern zuhause statt, was durch einen
mobilen Versuchsapparat (siehe unten) gewährleistet wurde.
Als Vergleichsgruppe wurde eine bereits bestehende Stichprobe von 20 jungen Erwachsenen
im Alter von 30 bis 35 Jahren (M = 31.7) verwendet. Diese Daten wurden Donsbach (2014)
entnommen.
Abbildung 1. Ein Beispiel für kongruente und inkongruente Durchgänge mit Gesichtern und Uhren als Stimuli, beide in FSF dargestellt. In kongruenten Durchgängen waren sowohl interne als auch externe Merkmale entweder gleich oder verschieden. In inkongruenten Durchgängen stimmten entweder interne oder externe Merkmale eines Stimuluspaares miteinander überein.
2.1.3 Stimuli
Gesichter. Für das vorliegende Experiment wurden 4 unterschiedliche Fotografien von
Männergesichtern in Graustufen verwendet. Die Gesichtsstimuli entstanden unter kontrollierten
Lichtverhältnissen und konstant gehaltenem Hintergrund in einem professionellen Fotostudio.
Die Modelle wurden im ¾-Winkel im linken Profil aufgenommen und die entstandenen Bilder
wurden anschließend gespiegelt. Das entstandene Bildmaterial wurde mit Adobe Photoshop
bearbeitet. Die internen Merkmale wurden aus den jeweiligen Gesichtern herausgeschnitten
und mit den externen Merkmalen eines jeweils anderen Gesichts zu einem neuen Gesicht
zusammengefügt. Dies war nötig, um sämtliche Kombinationen für das Context Congruency
Paradigm zu erhalten (siehe Abbildung 1). Zusammen mit den 4 Originalbildern und den 12
zusammengesetzten Gesichtsstimuli konnte somit ein Repertoire an 16 Stimuli gebildet werden.
Unter Verwendung der Fotografien in voller Auflösung konnten mittels Filtertechnik 2 neue
Stimulusklassen unterschiedlicher Ortsfrequenz erzeugt werden. Um Bilder für die LSF zu
gewinnen, wurden Ortsfrequenzen über 9,5 Cycles per Degree herausgefiltert, wohingegen für
die HSF Ortsfrequenzen unter 44,5 Cycles per Degree entfernt wurden (siehe Abbildung 2).
15
Abbildung 2. Ein Beispiel für kongruente und inkongruente Durchgänge bei Gesichtern, im linken Teil bei LSF und im rechten bei HSF dargestellt.
Uhren. 4 Uhrenstimuli wurden aus dem Internet ausgewählt. Wie auch bei den Gesichtsstimuli
wurde bei der Auswahl darauf geachtet, dass sie sich stark ähnelten. Die Uhren zeigten die
gleiche Uhrzeit an und wiesen keine markanten individuellen Merkmale auf. Die Bilder wurden
in Graustufen überführt und bezüglich Licht und Kontrast angeglichen. Das Ziffernblatt (mit
Zahlen und Uhrzeigern) wurde hierbei als interner Merkmalsbereich definiert, wohingegen das
Uhrengehäuse als externer Merkmalsbereich galt. Auch hier wurde eine Kombination der
internen und externen Merkmale der ursprünglich 4 verschiedenen Stimuli durchgeführt, sodass
damit ebenfalls 16 Uhrenstimuli für das Experiment entstanden (siehe Abbildung 1).
2.1.4 Versuchsapparat
Das Stimulusmaterial wurde auf einem NEC Spectra View 2090-Bildschirm bei einer
Auflösung von 1280 x 1024 Pixeln mit einer Bildwiederholungsfrequenz von 60Hz über das
Computerprogramm Inquisit 3.0 präsentiert. Die gezeigten Stimuli besaßen eine Auflösung von
300 x 400 Pixeln (Breite x Höhe). Dies entspricht einer Bildgröße von 12 x 15 cm. Die
verwendeten Maskierungsreize besaßen identische Abmessungen.
Die Antwort gaben die Versuchspersonen durch Klicken mit einer Computermaus ein,
die linke Maustaste entsprach der Antwort „Gleich“, die rechte Maustaste der Antwort
„Unterschiedlich“.
16
2.1.5 Versuchsablauf
Die Versuchspersonen wurden instruiert, die ihnen dargebotenen Stimuli in jedem
Durchgang in Bezug auf ihre internen Merkmale miteinander zu vergleichen. Die zeitliche
Abfolge eines Durchgangs setzte sich wie folgt zusammen: Fixationskreuz (300 ms) – blank
(100 ms) – 1. Stimulus (633 ms) – Maskierungsreiz (350 ms) – blank (200 ms) – 2. Stimulus
(633 ms). Abbildung 3 stellt einen Durchgang in seiner zeitlichen Reihenfolge dar. Einer der
beiden Stimuli eines Stimuluspaares wurde rechtsseitig ausgerichtet präsentiert, der andere
linksseitig. Die Reihenfolge in der Darbietung der Ausrichtungen wurde nach dem
Zufallsprinzip variiert.
Nach jedem durchgeführten Durchgang wurde ein akustisches Feedback bezüglich der
Korrektheit der Eingabe des Probanden gegeben. Die 4 Experimente wurden in Blöcke
entsprechend der Zuordnung ihrer Stimuli unterteilt (LSF, FSF, HSF und Uhren). Die insgesamt
512 Durchgänge (resultierend aus den 4 Stimulustypen x 2 Orientierungen x 2 Kontexte x 16
Stimulusversionen x 2 Antwortkategorien), aufgeteilt auf diese 4 Blöcke (128 Durchgänge pro
Block), wurden den Versuchspersonen in zufälliger Reihenfolge dargeboten. Jeder Block
dauerte ca. 10 Minuten. Die Reihenfolge der Blöcke wurde zufällig bestimmt. Ebenfalls
unsystematisch wurde die Bedingung kongruent und inkongruent zugeordnet sowie die
Aufteilung in upright und inverted vorgenommen.
Alle Versuchspersonen erhielten eine Einführung durch die Versuchsleiterin bzw. den
Versuchsleiter und konnten sich mit der Aufgabe vertraut machen. Den Versuchspersonen
wurden im Vorfeld ausgedruckte Beispielstimuli der verwendeten Gesichter gezeigt und der
Unterschied zwischen relevanten und irrrelevanten Merkmalen veranschaulicht. Vor jedem
Experiment gab es einen Probedurchlauf mit 10 Testdurchgängen, der die jeweilige Bedingung
des entsprechenden Experiments erläuterte (beispielsweise gab es bei dem Experiment mit LSF
10 Probedurchgänge mit LSF-Stimuluspaaren). Außerdem wurde den Versuchspersonen
erklärt, welches akustische Feedbacksignal für eine korrekte und welches für eine inkorrekte
Zuordnung der Stimuluspaare steht. Nach dieser Einführungsphase absolvierten die
Versuchspersonen die 4 aufeinander folgenden Blöcke, wobei sie nach jedem Block eine kurze
Pause erhielten.
17
Abbildung 3. Durchgangsabfolge für Gesichter und Uhren. Als Beispiel dient hier ein Durchgang mit identischen externen Merkmalen und unterschiedlichen internen Merkmalen. Stimulus 1 und Stimulus 2 sollten dahingehend miteinander verglichen werden, ob die Gesichter bzw. Uhren gleich oder unterschiedlich waren. Die Präsentationzeit (D) war für beide Stimuli gleich (633ms).
2.1.6 Leistungskennwerte
Proportion Correct (Trefferquote) wurde aus korrekten „Gleich“- und korrekten
„Unterschiedlich“-Antworten dividiert durch die Gesamtanzahl der gegebenen Antworten
berechnet. Jede Art von Durchgang wurde in 16 Wiederholungen dargestellt. Es ergaben sich
somit n = 32 Durchgänge.
2.2 Ergebnisse
In der vorliegenden Studie wurde mithilfe einer repeated-measures ANOVA untersucht,
inwieweit sich die Gesichtswahrnehmung zwischen jüngeren Erwachsenen und Erwachsenen
mittleren Alters unterscheidet. Der Schwerpunkt der Untersuchung lag bei den Veränderungen
in der holistischen Verarbeitung – gemessen über den Face Inversion Effect, den Context
Congruency Effect sowie die Manipulation der Ortsfrequenzen. Außerdem soll repliziert
werden, dass es sich bei Gesichtern um eine besondere Stimulusklasse handelt, die im
Gegensatz zu Objekten holistisch verarbeitet wird.
2.2.1 Proportion Correct
Abbildung 4 zeigt die Mittelwerte und die 95%-Konfidenzintervalle der Bedingungen
des Designs, getrennt für die beiden Altersgruppen. In das Design wurde das Alter (jung vs
mittleres Alter) als Gruppenvariable integriert. Stimuli (FSF vs HSF vs LSF vs Uhren) sowie
Orientierung (upright vs inverted) und Kontext (kongruent vs inkongruent) bildeten die
Innersubjektfaktoren.
18
Abbildung 4. Mittelwerte und 95%-Konfidenzintervalle für Proportion Correct der richtig zugeordneten Stimuli (FSF, HSF, LSF und Uhren) in Bezug auf das Same/Different-Paradigma. Die Ausrichtung der Stimuli wird für die Altersgruppen getrennt dargeboten, links bei kongruentem und rechts bei inkongruentem Kontext.
Der Haupteffekt Alter, F(1, 38) = 13,43 sowie die übrigen drei Haupteffekte wurden auf
einem α-Niveau von p < .001 signifikant (siehe Tabelle 1). Es wurde ein signifikanter
Interaktionseffekt zwischen Stimuli und Orientierung gefunden, F(3, 114) = 13,28; p < .001.
Mittels Fisher-LSD Post-hoc-Test konnte gezeigt werden, dass lediglich Uhren frei von einem
Inversionseffekt sind, p = .43. Die restlichen 3 Stimuli weisen signifikante Inversionseffekte
auf, p < .01. Personen beider Altersgruppen schnitten demnach in der upright-Bedingung bei
Gesichtern – jeglicher Ortsfrequenz – besser ab als bei invertierten Gesichtern.
Tabelle 1. Ergebnisse der rmANOVA: Haupteffekte und Interaktionseffekte (N = 40).
Effekte Freiheitsgrade F p Alter 1 (38) 13,43 < .001 Stimuli (FSF, HSF, LSF, Uhren) 3 (114) 186,35 < .001 Orientierung (upright, inverted) 1 (38) 85,78 < .001 Kontext (kongruent, inkongruent) 1 (38) 99,2 < .001 Stimuli * Alter 3 (114) 4,09 < .01 Orientierung * Alter 1 (38) 5,69 < .05 Kontext * Alter 1 (38) 1,7 .20 Stimuli * Orientierung 3 (114) 13,28 < .001 Stimuli * Kontext 3 (114) 21,17 < .001 Orientierung * Kontext 1 (38) 21,48 < .001 Stimuli * Orientierung * Alter 3 (114) 1,51 .22 Stimuli * Kontext * Alter 3 (114) 2,57 .06 Orientierung * Kontext * Alter 1 (38) 0,28 .60 Stimuli * Orientierung * Alter 3 (114) 2,00 .12 Stimuli * Orientierung * Kontext * Alter 3 (114) 0,07 .98
19
2.2.2 Maße der holistischen Verarbeitung
Über die rmANOVA wurde eine Interaktion zwischen Alter und Stimuli erfasst, F(3,
114) = 4,09; p < .01. Leistungsunterschiede zwischen den Altersgruppen konnten sowohl
bezüglich der FSF-Gesichtsstimuli als auch zwischen den in HSF und LSF präsentierten Stimuli
festgestellt werden. Via Fisher-LSD-Test konnte gezeigt werden, dass es keinen
Altersunterschied in der Wahrnehmung der Uhren gibt, p = .48.
Um die holistischen Effekte besser zu erfassen, wurden Differenzdaten gebildet, mit
denen sowohl der Inversionseffekt als auch der Context Congruency Effect ausgedrückt werden
konnte. Die Differenzdaten des Inversionseffektes wurden berechnet, indem die Leistung jeder
Person der inverted-Bedingung von der Leistung in der entsprechenden upright-Bedingung
abgezogen wurde (upright – inverted, unabhängig vom Kontext). Gleiches Vorgehen erfolgte
zur Berechnung der Differenzdaten des Context Congruency Effect (kongruent – inkongruent,
unabhängig von der Orientierung).
Wie erwartet stellte sich ein signifikanter Interaktionseffekt zwischen Alter und
Orientierung heraus, F(1, 38) = 5,69; p < .05. Bei Betrachtung der Mittelwerte der Differenzen
(upright – inverted) zeigte sich, dass Personen mittleren Alters einen höheren Inversionseffekt
aufweisen (M = .08; SD = .02) als jüngere Versuchspersonen (M = .05; SD = .02). Die
Mittelwerte des Inversionseffektes sind in Abbildung 5 getrennt nach Altersgruppen dargestellt.
Abbildung 5. Unterschiede der Mittelwerte des Inversionseffekts getrennt für die Altersgruppen. Die Abbildung illustriert die Daten über die Box-Whisker, wobei neben dem Mittelwert der Differenzen (schwarzes Quadrat) auch der Standardfehler (Box) und das 95%-Konfidenzintervall (Whisker) angegeben sind.
20
Um zu ermitteln, ob sich ältere Personen im Context Congruency Effect von jüngeren
Personen unterscheiden, wurden die Differenzdaten der beiden Kontextbedingungen
(kongruent – inkongruent) unter Verwendung einer rmANOVA verglichen. Es ergab sich keine
signifikante Interaktion, F(1, 38) = 1,7; p = .20. Sowohl jüngere Erwachsene als auch Personen
mittleren Alters schneiden in der inkongruenten Bedingung der Gesichtserkennung schlechter
ab als in der kongruenten.
Kein signifikanter Interaktionseffekt wurde für die Faktoren Alter, Orientierung und
Kontext vorgefunden, F(1, 38) = 0,28; p = .60. Tatsächlich findet sich für die kongruenten
Stimuli in der upright-Bedingung kein signifikanter Alterseffekt, F(1, 38) = 2,59; p = .12 (siehe
auch Abbildung 4). Erwachsene im Alter von 50 bis 60 Jahren erreichen eine mittlere
Trefferquote von 89% (SD = .04), was mit der Leistung von jüngeren Erwachsenen vergleichbar
ist (M = 90%; SD = .04)
3. Versuch 2: Konfigurale Wahrnehmung und Altern
3.1 Methode
3.1.1 Experimentaldesign
Im zweiten Experiment erfolgten konfigurale Gesichtsmanipulationen der internen
Merkmale. Hierbei wurde die Augenregion des abgebildeten Gesichts durch die eines anderen
Gesichts ausgetauscht (F), oder aber es wurde eine Verschiebung der Augen auf der
horizontalen Achse (H) oder der vertikalen Achse (V) vorgenommen. Abbildung 6 stellt
beispielhaft einige der verwendeten Stimuli dar. Wie bereits in Versuch 1 beinhaltete das
Design eine Erfassung des FIE. Der Versuchsaufbau von Goffaux und Rossion (2007) diente
als Grundlage für das verwendete Studiendesign.
Das vorliegende Experiment wurde ausschließlich mit Gesichtern als Stimulusklasse
durchgeführt. Die Versuchsteilnehmer hatten den Auftrag, im Experiment zwei nacheinander
präsentierte Stimuli dahingehend miteinander zu vergleichen, ob der Augenbereich des ersten
Gesichts mit dem des zweiten Gesichts identisch oder verschieden ist. Die Aufgabenstellung
lautete: „Vergleichen Sie die Augenregion der aufeinanderfolgenden Gesichter – es können
Verschiebungen nach oben/unten oder links/rechts auftreten, oder die Augenregion wurde
ausgetauscht.“ Externe Merkmale sollten während des Versuchs nicht beachtet werden. Sie
wurden nicht manipuliert. Die beiden Antwortmöglichkeiten waren auch hier als „Gleich“ und
„Unterschiedlich“ definiert. Wenn der Augenbereich des ersten mit dem des zweiten Gesichts
21
übereinstimmte, sollten die beiden Stimuli als gleich bewertet werden. Wenn sich die beiden
Gesichter in der Augenregion unterschieden, waren sie als unterschiedlich einzustufen. Alle
Versuchspersonen mittleren Alters, die bereits an Versuch 1 teilgenommen hatten, nahmen
auch an Versuch 2 teil.
Jedes Stimuluspaar eines Durchgangs wurde auch in diesem Versuch entweder upright
oder inverted orientiert präsentiert. Die Stimuluspräsentation betrug 467 ms. Das
Experimentaldesign umfasste in diesem Fall 3 Stimulustypen (Gesichter mit: featural vs
horizontal vs vertical) x 2 Orientierungen (upright vs inverted) x 2 Antwortkategorien (same
vs different). Die Altersgruppe diente abermals als Gruppenfaktor, Stimulustyp und
Orientierung bildeten die Innersubjektfaktoren.
3.1.2 Versuchspersonen
Es handelte sich um die gleichen Versuchspersonen und das gleiche Setting wie im
ersten Versuch. Als Vergleichsgruppe diente eine Stichprobe von Personen im Alter von 21 bis
25 Jahren (M = 23,1), die einer früheren Studie entnommen wurde (Keese, 2014). Zusammen
mit den N = 34 Versuchspersonen aus der eben genannten Studie bestand die Gesamtstichprobe
aus N = 54.
Abbildung 6. Beispiele für Stimuluspaare in featural (F), horizontal (H) und vertikal (V) Durchgängen in aufrechter und invertierter Bedingung.
22
3.1.3 Stimuli
Für das Experiment wurden 16 unterschiedliche Fotografien von Männergesichtern zur
Stimuluskonstruktion verwendet. Die Gesichtsstimuli entstanden unter kontrollierten
Lichtverhältnissen in einem professionellen Fotostudio. Alle Modelle wurden frontal
aufgenommen. Die entstandenen Fotos wurden in Graustufen konvertiert und der Kontrast
angepasst. Das entstandene Bildmaterial wurde mithilfe von Adobe Photoshop bearbeitet. Für
die merkmalsbezogene Manipulation (F) wurde die Augen/Augenbrauen-Region eines
Gesichts durch die eines anderen Gesichts ersetzt. Die Manipulation auf der horizontalen Achse
(H) erfolgte über die Verschiebung der Augen und Augenbrauen um 20 Pixel in Richtung des
Gesichtsrandes. Bei der Verschiebung auf der vertikalen Achse (V) wurde die Augenregion um
14 Pixel nach oben bewegt.
3.1.4 Versuchsapparat
Der Versuchsapparat war identisch mit jenem aus Versuch 1.
3.1.5 Versuchsablauf
Die Versuchspersonen sollten in jedem Durchgang darüber entscheiden, ob die ihnen
gezeigten Stimuli in Bezug auf die Augenregion unterschiedlich oder identisch sind. Die
zeitliche Abfolge eines Durchgangs setzte sich wie folgt zusammen: Fixationskreuz (300 ms)
– blank (100 ms) – 1. Stimulus (467 ms) – Maskierungsreiz (350 ms) – blank (200 ms) – 2.
Stimulus (467 ms) – Maskierungsreiz (350 ms). Nach jedem Durchgang erfolgte ein akustisches
Feedbacksignal über die Korrektheit der gegebenen Antwort. Die verwendeten 192 Durchgänge
(resultierend aus den 3 Stimulustypen x 2 Orientierungen x 2 Antwortkategorien x 16
Wiederholungen pro Bedingung) wurden den Versuchspersonen in zufälliger Reihenfolge
dargeboten. Das Experiment dauerte ungefähr eine Viertelstunde. Der Versuch wurde
zusammen mit den Experimenten des ersten Versuchs durchgeführt und unsystematisch in die
Abfolge der vier Teilexperimente eingebettet. Wie schon in Versuch 1 war die Reihenfolge der
Stimuli sowie die Abfolge der verschiedenen Orientierungen zufällig. Alle Versuchspersonen
erhielten abermals eine Einführung durch die Versuchsleiterin bzw. den Versuchsleiter und
machten sich mithilfe der zu Beginn dargebotenen 21 Testdurchgänge mit der ihnen gestellten
Aufgabe vertraut. Die Einführung zum akustischen Feedback war identisch mit der des ersten
Versuchs.
23
3.1.6 Leistungskennwerte
Die verwendeten Verfahren zur Berechnungen der Trefferquoten waren mit denen des
ersten Versuchs identisch.
3.2 Ergebnisse
Neben der holistischen Wahrnehmung wird ein weiteres Maß der
Gesichtswahrnehmung durch die sogenannten Second-Order Relations dargestellt. Im
Folgenden wird anhand zweier Altersgruppen untersucht, inwiefern sich die
Wahrnehmungsfähigkeit von Abständen interner Merkmale im mittleren Alter von jüngeren
Personen unterscheidet. Es wird von einer niedrigeren Leistung von Personen mittleren Alters
in Bezug auf die Wahrnehmung der interokularen Distanz ausgegangen. Zudem soll überprüft
werden, ob Unterschiede in der merkmalsbezogenen Verarbeitung bei Gesichtern vorliegen.
Bei Erwachsenen mittleren Alters wird ein niedrigerer FIE erwartet als bei jüngeren.
3.2.1 Proportion Correct
In Abbildung 7 werden die Mittelwerte und die 95%-Konfidenzintervalle der
Bedingungen des Designs getrennt für die Altersgruppen dargestellt.
Abbildung 7. Mittelwerte und 95%-Konfidenzintervalle für Proportion Correct der richtig zugeordneten Stimuli (F, H, V) in Bezug auf das Same/Different-Paradigma. Die einzelnen Stimuli sowie die Orientierung sind getrennt für die Altersgruppen aufgeführt.
24
Für dieses Experiment wurde eine rmANOVA berechnet, in der Alter als Gruppenvariable
fungierte. Die Innersubjektfaktoren bildeten Stimuli (featural vs horizontal vs vertical) und
Orientierung (upright vs inverted).
Der Haupteffekt Alter, F(1, 52) = 12,63; p < .001, sowie die übrigen Haupteffekte
wurden signifikant (siehe Tabelle 2).
Tabelle 2. Ergebnisse der rmANOVA: Haupteffekte und Interaktionseffekte (N = 54).
Effekt Freiheitsgrade F p Alter 1 (52) 12,63 < .001 Stimuli 2 (104) 24,86 < .001 Orientierung 1 (52) 72,78 < .001 Stimuli * Alter 2 (104) 0,21 .81 Orientierung * Alter 1 (52) 4,52 < .05 Stimuli * Orientierung 2 (104) 19,75 < .001 Stimuli * Orientierung * Alter 2 (104) 0,04 .96
3.2.2 Maße der konfiguralen und merkmalsbezogenen Verarbeitung
Wie bereits in Versuch 1 wurden erneut Differenzdaten als Maß für den Inversionseffekt
gebildet. Es stellte sich eine signifikante Interaktion zwischen Stimuli und Orientierung heraus,
F(2, 104) = 19,75; p < .001. Gemittelt über beide Altersgruppen zeigte sich, dass es bei vertikal
versetzten Merkmalen einen stärkeren Inversionseffekt gibt als bei horizontal versetzten
Merkmalen. Kein Unterschied lässt sich im Inversionseffekt zwischen horizontal versetzten und
vollständig ausgetauschten Merkmalen feststellen, p = .52.
Wie anfangs vermutet ergibt sich ein Unterschied bezüglich des FIE zwischen
Erwachsenen mittleren Alters und jüngeren Personen, F(1, 52) = 4,52; p < .05. Erwachsene
mittleren Alters weisen einen niedrigeren FIE auf (siehe Abbildung 8). Zudem wurde der FIE
über den Fisher-LSD Post-hoc-Test für beide Altersgruppen separat betrachtet. Hierbei stellte
sich heraus, dass jüngere Personen für jede Stimulusbedingung (F, H, V) einen FIE aufweisen,
p < .05, wohingegen die Personen im Alter von 50 bis 60 Jahren lediglich bei den vertikal
manipulierten Stimuli einen FIE zeigen, p < .05 (siehe auch Abbildung 8).
Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass es keinen Interaktionseffekt zwischen Alter
und Stimuli gibt, F(2, 104) = 0,21; p = .81. Unabhängig davon, ob die inneren Merkmale
vollständig ausgetauscht werden, vertikal verschoben oder horizontal verschoben sind,
erreichen Erwachsene mittleren Alters niedrigere Trefferraten als jüngere Teilnehmer (siehe
Abbildung 8). Eine Interaktion zwischen Alter, Stimuli und Orientierung bleibt ebenfalls aus,
25
F(2, 104) = 0,04; p = .96. Wie in Abbildung 8 festgehalten weisen ältere Personen ein ähnliches
Leistungsprofil in Bezug auf die unterschiedlichen Stimuli auf wie jüngere Personen, das sich
jedoch auf einem niedrigeren Leistungsniveau ansiedelt.
Abbildung 8. Unterschiede der Mittelwerte des Inversionseffekts getrennt für die Altersgruppen (N = 54). Die Stimulustypen werden farblich unterschieden: Hellgrau für H-, mittelgrau für F- und dunkelgrau für V-Stimuli. Die Abbildung illustriert die Daten über die Box-Whisker, wobei neben dem Mittelwert der Differenzen (Quadrate) auch der Standardfehler (Box) und das 95%-Konfidenzintervall (Whisker) angegeben sind.
4. Diskussion
4.1 Holistische Verarbeitung
Die vorliegende Studie befasst sich mit der Frage, inwiefern sich die
Gesichtswahrnehmung über die Altersspanne verändert und insbesondere ob und in welchem
Ausmaß sich diese Veränderungen bereits im mittleren Erwachsenenalter manifestieren. Das
Hauptaugenmerk soll dabei auf die holistische Wahrnehmung von Gesichtern im mittleren
Erwachsenenalter gerichtet werden.
Hierfür wurde in Versuch 1 ein Experiment konzipiert, in dem die Versuchspersonen
jeweils zwei aufeinander folgende Gesichter abgleichen und entscheiden sollten, ob sich die
internen Merkmale veränderten oder gleich blieben. Der Versuch gliederte sich in vier
Teilexperimente, die entweder Gesichter in voller Bildauflösung (Full Spatial Frequency), mit
hoher Ortsfrequenz (High Spatial Frequency) oder niedriger Ortsfrequenz (Low Spatial
Frequency) beinhalteten. Als Vergleichsstimuli dienten Uhren. Alle vier Stimulustypen wurden
jeweils durch zwei weitere Bedingungen – die Orientierung (upright vs inverted) und den
Kontext (kongruent vs inkongruent) – manipuliert. Die 20 Versuchsteilnehmerinnen und -
teilnehmer im Alter von 50 bis 60 Jahren wurden im Anschluss mit einer bereits bestehenden 26
Vergleichsgruppe von Donsbach (2014) verglichen. Als Maßstäbe für die holistische
Wahrnehmung wurden der Face Inversion Effect, der Context Congruency Effect sowie die
Spatial Frequency herangezogen.
Generell konnte eine schlechtere Gesamtleistung bei Erwachsenen mittleren Alters im
Vergleich zu jüngeren Erwachsenen festgestellt werden. Dieses Ergebnis stimmt mit
zahlreichen Studien zum Leistungsrückgang der Gesichtswahrnehmung im Alter überein (siehe
beispielsweise Hildebrandt et al., 2013). Dennoch zeigten im vorliegenden Design Erwachsene
mittleren Alters vergleichbare Leistungen bei der Gesichtserkennung von FSF-Gesichtsstimuli,
sobald diese in der kongruenten Bedingung und upright präsentiert wurden. In den übrigen
Bedingungen hingegen schnitten selbige schlechter ab. Dies deutet darauf hin, dass nicht alle
Prozesse der Gesichtsverarbeitung gleichermaßen von altersbedingten Veränderungen
betroffen sind. Es ist daher von Bedeutung, die tatsächlichen Ursachen für die beobachteten
Leistungseinbußen im Alter zu identifizieren. Gemäß den Befunden von Schwarzer et al. (2010)
wurde über lange Zeit ein Rückgang der holistischen Wahrnehmung vermutet. Dieser Befund
wird diskutiert, da Boutet und Faubert (2006) in ihrem Experiment feststellten, dass die
holistische Verarbeitung im Alter aufrecht erhalten bleibt. Um die Ursachen der
Leistungseinbußen zu untersuchen, wird in der vorliegenden Studie wie auch schon bei
Meinhardt-Injac et al. (2014) der FIE als Maß der holistischen Wahrnehmung betrachtet. Ein
höherer FIE bei Personen im mittleren Erwachsenenalter im Vergleich zu jüngeren
Erwachsenen konnte demonstriert werden. Dies lässt nicht nur die Vermutung zu, dass die
holistische Wahrnehmung im Alter erhalten bleibt, sondern lässt darauf schließen, dass ältere
Personen ihre Gesichtswahrnehmung vermehrt – wenn nicht sogar vollständig – auf die
holistische Wahrnehmung stützen. Diese Beobachtung legt nahe, dass die reduzierte Leistung
im mittleren Erwachsenenalter durch ein Defizit der Verarbeitung interner Gesichtsmerkmale
zustande kommt (Daniel & Bentin, 2012; Meinhardt-Injac et al., 2014; Roudaia et al., 2008).
Um diese Annahme weiter zu überprüfen, wurde zusätzlich der Context Congruency
Effect im Vergleich der beiden Altersgruppen betrachtet. Wie schon bei Chaby et al. (2001)
wurde erwartet, dass Personen mittleren Alters größere Schwierigkeiten beim Unterscheiden
von Gesichtern in der inkongruenten Bedingung aufweisen. Demnach sollten sie auch einen
höheren Context Congruency Effect zeigen. Im vorliegenden Experiment konnte jedoch kein
Unterschied im Context Congruency Effect zwischen den untersuchten Altersgruppen
festgestellt werden. Dies ist erstaunlich, da nach Daniel und Bentin (2012) im Alter lediglich
die holistische Verarbeitung greift und Gesichter somit unvermeidlich als Gestalt
wahrgenommen werden. Beide Ergebnisse sprechen also dafür, dass die holistische
27
Wahrnehmung im Alter erhalten bleibt. Die Frage jedoch, ob bei Erwachsenen mittleren Alters
die Verarbeitung ausschließlich holistisch erfolgt und die merkmalsbezogene Verarbeitung
nicht mehr greift, konnte noch nicht ausreichend beantwortet werden. Weiteren Aufschluss über
die holistische Verarbeitung liefert die Variation der Stimuli durch Verwendung verschiedener
Ortsfrequenzen. Laut Goffaux et al. (2005) dient die HSF eher der merkmalsbasierten
Verarbeitung, wohingegen die LSF und FSF die holistische Wahrnehmung begünstigen. Auch
hierzu bestehen noch Unstimmigkeiten in der aktuellen Forschung: Cheung et al. (2008) gehen
beispielsweise davon aus, dass unter LSF zwar holistische Wahrnehmung möglich ist, diese
jedoch auf einem niedrigeren Leistungsniveau abläuft. Im vorliegenden Experiment sollte daher
überprüft werden, inwiefern bestimmte Ortsfrequenzen einzelne Verarbeitungsmechanismen
(holistisch und merkmalsbezogen) auslösen. Unter der Annahme, dass Personen mittleren
Alters lediglich holistisch verarbeiten, sollten sie einen größeren FIE bei LSF-Stimuli
aufweisen. Dies konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. Probanden mittleren Alters besaßen
einen niedrigeren Inversionseffekt für Uhren als für die Gesichtsstimuli der drei verschiedenen
Ortsfrequenzen. Diese Ortsfrequenzen hatten jedoch keine Auswirkung auf den FIE und
rückschließend auch nicht auf das Ausmaß der holistischen Verarbeitung. Hierbei ist es von
Bedeutung, dass der FIE bei HSF und LSF der vorliegenden Studie unter Berücksichtigung der
Leistung in der upright-Bedingung zu sehen ist. Personen mittleren Alters schneiden sowohl in
der HSF als auch in der LSF schlechter ab als in der FSF. Laut Norton et al. (2009) sind
Personen mittleren Alters weniger sensibel für die HSF und LSF als jüngere. Dieser Befund
lässt sich womöglich über die Tatsache erklären, dass ältere Erwachsene bei der Verarbeitung
von Stimuli mit manipulierter Ortsfrequenz eine andere Hirnaktivität aufzeigen als jüngere
Erwachsene (Grady, McIntosh, Horwitz, & Rapoport, 2000).
Zusammenfassend lässt sich aus der Untersuchung der drei Indizes schließen, dass die
holistische Wahrnehmung im Alter erhalten bleibt. Nicht eindeutig zu klären ist, ob Personen
im mittleren Erwachsenenalter ausschließlich holistisch verarbeiten und ob ihre
merkmalsbezogene Gesichtswahrnehmung nicht mehr intakt ist. Da kein Unterschied im
Context Congruency Effect nachgewiesen werden konnte, scheinen jüngere Personen und
Personen mittleren Alters die gleichen Mechanismen zur Gesichtswahrnehmung zu nutzen.
Gleichbleibende Mechanismen der Wahrnehmungsverarbeitung über die Lebensspanne
lassen sich beispielsweise für Objektstimuli bemerken. Betrachtet man die Leistung der beiden
Altersgruppen bei Uhren als Stimuli, ist sie über alle Bedingungen hinweg zwischen den
Altersgruppen nicht verschieden. Gesichter und Uhren müssen demnach zwei verschiedene
Stimuluskategorien darstellen und werden nicht über die gleichen Mechanismen verarbeitet,
28
wie bereits Tanaka und Farah (1993) zeigten. Dass Uhren nicht holistisch verarbeitet werden,
lässt sich am Ausbleiben des Inversionseffekts sowie des Context Congruency Effect zeigen
(Meinhardt-Injac et al. 2014). Genau wie bei anderen Objekt- bzw. Tierstimuli, zum Beispiel
Häusern (Kanwisher & Yovel, 2006; Tanaka & Farah, 1993; Yovel & Kanwisher, 2004),
Hunden (Robbins & McKone, 2007) und Autos (Macchi-Cassia, Picozzi, Kuefner, Bricolo, &
Turati, 2009), läuft die Verarbeitung von Uhren eher merkmalsbezogen ab. Die externen und
internen Merkmale können demnach – anders als bei Gesichtern – gut voneinander
unterschieden werden. Somit konnte auch der Vergleich mit der Wahrnehmung von Objekten
nicht klären, woher die gefunden Leistungsunterschiede in der Gesamtleistung herrühren, wenn
nicht einzig von der holistischen Wahrnehmung. Zur Beantwortung dieser Frage konnte auch
die Manipulation der Ortsfrequenz keinen Aufschluss geben. Auch hier liegt die Vermutung
nahe, dass es sich bei den beiden Altersgruppen um die gleichen Mechanismen zur
Gesichtswahrnehmung handelt. Ginge man von einem Ausbleiben der merkmalsbezogenen
Wahrnehmung (Meinhardt-Injac, 2013; Roudaia et al., 2008) und somit der holistischen
Wahrnehmung als einzigem Verarbeitungsmechanismus bei Personen mittleren Alters aus, wie
auch von Daniel & Bentin (2012) vorgeschlagen, dürften ältere Personen sich zwar in der
Wahrnehmung der HSF-Stimuli, nicht jedoch in der Wahrnehmung der LSF-Stimuli von
jüngeren Erwachsenen unterscheiden. Wie bereits erläutert, war dies nicht der Fall. Allein über
die Untersuchung der holistischen Wahrnehmung können deswegen keine klaren Aussagen
über unterschiedliche Verarbeitungsstrategien zwischen jüngeren Erwachsenen und
Erwachsenen mittleren Alters getroffen werden. Im Anschluss wird ein weiterer
Verarbeitungsmechanismus diskutiert, der kritisch für die Verschlechterung der
Gesichtserkennung über die Lebensspanne sein könnte.
4.2 Konfigurale Wahrnehmung und Altern
In Versuch 2 wird nun die aus Versuch 1 offen gebliebene Frage nach einem
Verarbeitungsprozess aufgegriffen, der die Defizite in der Gesichtserkennung im Alter bedingt.
Es sollte untersucht werden, inwiefern sich junge Personen (hier im Alter zwischen 21 und 25
Jahren) von Personen mittleren Alters (50 bis 60 Jahre) in der konfiguralen Wahrnehmung –
genauer der Second-Order Relations – sowie der merkmalsbezogenen Wahrnehmung der
Augenregion von Gesichtern unterscheiden.
Ähnlich wie im ersten Experiment sollten die Versuchspersonen jeweils zwei aufeinander
folgende Gesichtsstimuli miteinander vergleichen und entscheiden, ob sich ihre internen
Merkmale – genauer die Augenregion – verändern oder gleich bleiben. Der Versuch beinhaltete
29
drei verschiedene Stimuli: Stimuli, bei denen die Augen auf der horizontalen Achse verschoben
waren (H), Stimuli, bei denen die Augen auf der vertikalen Achse verschoben waren (V), sowie
featural-Stimuli (F), bei denen die Augenregion komplett ausgetauscht wurde. Die drei Stimuli
wurden jeweils durch die Orientierung (upright vs inverted) manipuliert. Der Versuch war in
die Teilexperimente von Versuch 1 integriert. Auch hier wurden die Ergebnisse der 20
Versuchsteilnehmer einem Vergleich mit einer bereits bestehenden Vergleichsgruppe (Keese,
2014) unterzogen.
Allgemein zeigte sich wie auch in Versuch 1 eine schlechtere Gesamtleistung für
Personen im mittleren Alter. Goffaux (2009) und Spence et al. (2014) messen der vertikalen
Gesichtsachse eine kritische Bedeutung zur Wahrnehmung und Erkennung von Gesichtern bei.
Demnach sollte die Fähigkeit, Veränderungen entlang der vertikalen Achse wahrzunehmen, im
Alter bestehen bleiben. Goffaux und Dakin (2010) belegten hingegen niedrigere Leistungen
älterer Personen bei der Erkennung von horizontal manipulierten Gesichtsstimuli im Vergleich
zu jüngeren. Beide Thesen konnten jedoch nicht bestätigt werden. Für jeden der drei Stimuli
liegt die Leistung der Erwachsenen mittleren Alters unter jener der jüngeren Probanden.
Auffällig erscheint hier jedoch, dass Personen mittleren Alters auch in der upright- Bedingung
geringere Leistungen als die jüngeren Probanden erreichen. Sie scheinen selbst bei upright
präsentierten Stimuli Schwierigkeiten zu haben, die relevanten Informationen zur
Gesichtsverarbeitung zu entnehmen, was Beeinträchtigungen der konfiguralen Wahrnehmung
ausdrückt. Auch in der featural-Bedingung, in der die Augenregion ausgetauscht wurde und so
als Maß der merkmalsbezogenen Verarbeitung diente, schnitten jüngere Personen signifikant
besser ab. Die gewonnene Erkenntnis könnte ein Indiz für eine defizitäre merkmalsbezogene
Verarbeitung von Gesichtern im Alter sein.
Besonders hervorzuheben ist der ermittelte niedrigere FIE bei Erwachsenen mittleren
Alters im Vergleich zu jüngeren Erwachsenen. Dies lässt darauf schließen, dass Personen
mittleren Alters auch in der upright-Bedingung nicht die Fähigkeit zur konfiguralen
Verarbeitung besitzen.
Bei näherer Betrachtung des FIE für die einzelnen Stimuli (Abbildung 8) wird deutlich,
dass die Leistungsverhältnisse zwischen den Stimuli bei beiden Altersgruppen gleich sind.
Besonders relevant erscheint dabei die Tatsache, dass jüngere Personen zwar einen stärkeren
Face Inversion Effect für vertikal manipulierte Stimuli aufweisen, es jedoch außerdem einen
FIE für die beiden übrigen Bedingungen gibt (F, H). Bei Personen im Alter von 50 bis 60 Jahren
hingegen tritt der FIE lediglich für vertikal manipulierte Stimuli auf. Sekunova und Barton
(2008) argumentieren, der FIE sei bei der konfiguralen Wahrnehmung richtungsabhängig. So
30
seien vertikale Abstände schwieriger zu verarbeiten, da bei der Verarbeitung lokale
Bezugspunkte im Gesicht fehlten, die die horizontale Achse hingegen aufweise. Der durch
Verschiebung manipulierte Bereich (z.B. die Augen) umfasst auf der vertikalen Achse eine
sogenannte Long-Range (Sekunova & Barton, 2008). Wird diese als Spanne der Abstände
zwischen den internen Merkmalen erweitert (z.B. im Falle der Augen durch die Augenbrauen),
so wird die Verarbeitung erschwert und der FIE ist größer. Dies impliziert, dass die konfigurale
Verarbeitung besonders vorherrschend bei Longe-Range-Distanzen ist. Somit könnte am
ehesten die konfigurale Verarbeitung der vertikalen Gesichtsachse bei Personen mittleren
Alters erhalten sein. Die Verschiebung von Merkmalen auf der horizontalen Achse zeigt sich
robuster gegenüber Veränderungen. Dies erscheint schlüssig, da Gesichter im Alltag nicht
immer frontal wahrgenommen werden und Menschen sich zur eindeutigen Identifizierung
überwiegend auf die vertikalen Informationen verlassen müssen (Chaby et al., 2011). Ob nun
die vertikale oder die horizontale Achse generell bedeutsamer für die Gesichtsidentifizierung
ist, scheint zu diesem Zeitpunkt noch nicht gänzlich evaluiert. Allerdings zeigt sich, dass
Second-Order Relations insgesamt wichtig zur Erkennung von Gesichtern sind und dass die
hierfür notwendigen Prozesse bereits im mittleren Alter nachgelassen haben.
4.3 Fazit
Auf der Basis der diskutierten Experimente gelangen die Autoren zu dem Schluss, dass
die holistische Verarbeitung von Gesichtern im mittleren Alter erhalten bleibt. Wie in Versuch
2 demonstriert werden konnte, liegt die Schwierigkeit für Personen mittleren Alters besonders
in der Verarbeitung konfiguraler Information sowie der merkmalsbezogenen Verarbeitung. Am
ehesten könnte für Personen mittleren Alters die Fähigkeit zur konfiguralen Verarbeitung für
die vertikale Achse von Gesichtern erhalten bleiben. Dies sollte in weiteren Studien genauer
untersucht werden.
Unabhängig von den geschilderten Effekten könnten methodische Probleme die
niedrigeren Leistungen bei Personen mittleren Alters mitbedingen. So könnten etwa
behaviorale Gründe für eine Verschlechterung der Gesichtswahrnehmung im Alter existieren.
Hierzu wurde bereits der sogenannte Own-Age Face Recognition Bias (Anastasi &
Rhodes, 2005; Wiese, Schweinberger, & Hansen, 2008) über die Lebensspanne gefunden,
welcher besagt, dass Individuen eine Expertise für Gesichter ihrer Altersklasse erlangen (Hills,
Holland, & Lewis, 2010). Da im vorliegenden Experiment Fotos von jüngeren Männern als
Stimulusmaterial verwendet wurden, könnten die jüngeren Probanden somit einen Vorteil bei
der Gesichtswahrnehmung besessen haben. Besonders relevant für Versuch 2 könnte die
31
Tatsache sein, dass im Alter Veränderungen in dem Visual Scanning Behaviour auftreten
(Firestone, Turk-Browne, & Ryan, 2007). Ältere Personen lenken den Fokus vermehrt auf die
untere Gesichtshälfte (z.B. den Mund) (Sullivan, Ruffman, & Hutton, 2007; Wong, Cronin-
Golomb, & Neargarder, 2005). Dieser Effekt könnte die schlechtere Leistung im Erkennen der
Augenregion zusätzlich beeinflussen. Zudem könnte es zu Confusion Errors kommen:
Personen mittleren Alters verfügen aufgrund ihrer höheren Lebensspanne über eine größere
Anzahl an eingeprägten Gesichtern (Chaby, 2001). Außerdem sind Personen mittleren Alters
unter Umständen nicht im gleichen Maße technisch versiert wie jüngere Personen und könnten
die Versuchsdurchführung dadurch als schwieriger empfinden.
Nichtsdestotrotz liefert die vorliegende Arbeit interessante Erkenntnisse. Sie konnte
replizieren, dass die holistische Wahrnehmung im Alter bestehen bleibt und es folglich weitere
Prozesse wie die konfigurale Verarbeitung geben muss, die für die Verschlechterung der
Gesichtswahrnehmung im Alter verantwortlich sind. Abschließend ist anzumerken, dass sich
die untersuchte Stichprobe im mittleren Alter (50 bis 60 Jahre) befand und dass einige erwartete
Effekte womöglich erst mit späterem Alter in Erscheinung treten. Es wäre daher
wünschenswert, in zukünftigen Studien den direkten Vergleich zwischen Personen mittleren
Alters und Personen im höheren Lebensalter bezüglich der holistischen Wahrnehmung und der
Wahrnehmung von Second-Order Relations zu untersuchen.
32
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