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Horst Seidl Einführung in die antike Philosophie VERLAG KARL ALBER A

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Horst Seidl

Einführung in die antike Philosophie

VERLAG KARL ALBER A

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Über dieses Buch:

Die vorliegende Untersuchung geht von der erstaunlichen Tatsache aus,dass in der antiken Philosophie sich Probleme und Lösungen über weiteräumliche und zeitliche Abstände wie auch über nationale Grenzen hin-weg entwickelt haben, gleichsam mit innerer Konsequenz, und erklärtdiese Entwicklung aus dem realistischen Bezug der Philosophen zu denDingen selbst, an die sie die Probleme stellen und aus denen sie dieLösungen gewinnen.

Die Untersuchung widmet sich einschlägigen Texten bei Vorsokrati-kern, Sophisten, Platon, Aristoteles, Epikur, Stoikern, Sextus Empiricus,Plotin und Proklos und legt dar, wie sie schrittweise immer mehr dieursächlichen Verhältnisse in den Dingen erschließen, von den materiel-len Ursachen zu den immateriellen, seelischen, bis zur menschlichen Ver-nunft und einer ersten transzendenten Ursache (Gott). Diese Ursachen-forschung war der Ursprung der Wissenschaften im Abendland.

Die Probleme und ihre Lösungen betreffen – naturphilosophisch undmetaphysisch – das Wesen der Natur, den Gegensatz von Werden undSein, sowie ihrer Ursachen, der immanenten und einer transzendenten,ersten Ursache, ferner das Wesen der Seele, sodann – epistemologisch –den Gegensatz zwischen Einzelnem und Allgemeinem, zwischen Subjektund Objekt, zwischen Sinnlichkeit und Vernunft. Ethisch gesehen geht esum das sittliche Gute und das Naturrecht, im Gegensatz zum nützlichAngenehmen und positiven Recht.

Immer vermochte die forschende Vernunft sich selber als entschei-dende Ursache in die gesamte Realität einzubeziehen und sich in Analogiezur ersten Ursache, der göttlichen Vernunft, zu begreifen, was von großemEinfluss auf die Philosophie des Mittelalters und der Neuzeit wurde.

Über den Autor:

Horst Seidl, geb. 1938, Studium der Alten Geschichte, der KlassischenPhilologie und der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-UniversitätMünchen, dort a. o. Professor 1970-1979, Ordinarius für Antike Philo-sophie an der Katholischen Universität in Nimwegen 1979-1988, fürEthik an der Lateran-Universität in Rom 1988-2002, für Antike Philo-sophie bis zur Emeritierung 2008. Seitdem dort Visiting Professor.Regelmäßige Gastvorlesungen (traditionelle Metaphysik, Naturphilo-sophie und Ethik) in Deutschland und China. Herausgeber der Reihe»Epimeleia« beim Georg-Olms-Verlag.

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Horst Seidl

Einführung in dieantike PhilosophieHauptprobleme und Lösungen,dargelegt anhand der Quellentexte

Verlag Karl Alber Freiburg/München

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Originalausgabe

© VERLAG KARL ALBERin der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2010Alle Rechte vorbehaltenwww.verlag-alber.de

Umschlagmotiv: Luca della Robbia, »La dialettica«,Marmortafel (1437). Museo dell’Opera di Santa Maria del Fiore, Florenz.

Satz: SatzWeise FöhrenDruck und Bindung: fgb · freiburger graphische betriebewww.fgb.de

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei)Printed on acid-free paperPrinted in Germany

ISBN 978-3-495-48407-4

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Einige Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

Hauptteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

1) Vorsokratiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21Heraklit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24Parmenides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

2) Sophisten und Sokrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33Protagoras . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33Gorgias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36Sokrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

3) Platon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49Platons Leben: Siebter Brief . . . . . . . . . . . . . . . 49

a) Frühdialoge: Erkenntnistheorie und Ethik . . . . . . . . 54Laches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54Protagoras . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56Euthydemos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59Menon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64Charmides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67Euthyphron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70Großer Hippias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72Gorgias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77Lysis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

b) Mittlere Dialoge: Ethik, Anthropologie und Metaphysik . 85Phaidros . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85Symposion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88Phaidon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

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c) Spätdialoge: Vertiefung der Metaphysik usw. . . . . . . 128Parmenides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128Sophistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134Theaitetos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141Timaios . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150Philebos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155Gesetze, Buch X, Proömium . . . . . . . . . . . . . . 159

4) Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163a) Organon: Logische und epistemologische Schriften . . . 166

Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166Vom Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173Erste Analytiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177Zweite Analytiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

b) Pragmatien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195Über Entstehen und Vergehen . . . . . . . . . . . . . 217Über die Entstehung der Lebewesen . . . . . . . . . . 221Über die Seele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237Nikomachische Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

5) Epikur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307a) Erkenntnislehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307b) Naturlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309c) Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310

6) Stoiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313a) Erkenntnislehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313b) Stellungnahme zu a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317c) Korrektur zur stoischen Erkenntnislehre . . . . . . . . 318d) Physik (Naturphilosophie, Metaphysik, Theologie) . . . 319e) Stellungnahme zu d) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321f) Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

1. Das sittliche Gute als Tugend . . . . . . . . . . . . 3242. Zum Verhältnis von Logos und Natur . . . . . . . . 3263. Das natürliche Sittengesetz . . . . . . . . . . . . . 3264. Widerlegung des epikureischen Hedonismus . . . . 3275. Der Weise und die »Fortschreitenden« . . . . . . . . 329

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7) Sextus Empiricus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331Pyrrhonische Grundzüge . . . . . . . . . . . . . . . . 3311. Sextus über seine skeptische Philosophie . . . . . . 3322. Ainesidems zehn Tropen . . . . . . . . . . . . . . . 3333. Sextus’ fünf Tropen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3344. Abschließende Bemerkungen zu Sextus . . . . . . . 335

8) Plotin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339a) Metaphysik und Naturphilosophie . . . . . . . . . . . 341

Enn. V 1: Die drei ursprünglichen Hypostasen . . . . . 342Enn. VI 1: Die Gattungen des Seienden . . . . . . . . . 347Enn. VI 9: Über das Gute oder Eine . . . . . . . . . . . 349Enn. II 9: Gegen die Gnostiker . . . . . . . . . . . . . 351Enn. III 7: Über Ewigkeit und Zeit . . . . . . . . . . . 352

b) Anmerkungen zu Plotins Metaphysik usw. . . . . . . . 353c) Anthropologie und Psychologie . . . . . . . . . . . . . 355

Enn. I 1: Was das Lebewesen sei und was der Mensch . . 355Enn. IV 8: Der Abstieg der Seele in den Leib . . . . . . 356

d) Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357Enn. I 2: Über die Tugenden . . . . . . . . . . . . . . 357Enn. I 5: Ob Glücklichsein in der Zeit zunimmt . . . . . 358Enn. I 6: Über das Schöne . . . . . . . . . . . . . . . . 359

e) Abschließende Bemerkungen zu Plotins Philosophie . . 361

9) Proklos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369Theologische Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . 369Prop. 1–6: Das Viele und das Eine . . . . . . . . . . . . 369Prop. 7–13: Über Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . 370Prop. 14–24: Über die Stufen der Realität . . . . . . . . 370Prop. 25–39: Hervorgang und Rückgang des Seienden

aus dem und zum Einen . . . . . . . . . . . . . . . 373Prop. 40–51: Über das an sich Bestehende . . . . . . . . 375

Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

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Vorwort

An Philosophen der Vergangenheit können wir in einer philosophie-historischen oder in einer theoretischen Einstellung herangehen. Dieerste Einstellung widmet sich der sorgfältigen Aufnahme und Wieder-gabe der überlieferten Lehren, Schulen und Richtungen, wobei derHistoriker keine bevorzugt, um jeder gerecht zu werden. Es geht ihmnur um die Frage, was jeder Philosoph gelehrt hat. Die zweite Einstel-lung prüft jede Lehre auf ihre Wahrheit und Falschheit hin im Ver-gleich mit den anderen. Die Frage ist hier, ob ihre Argumente, ihreProblemstellungen und Lösungen zu wahrer Erkenntnis führen odernicht. Beide Einstellungen sind einander nicht entgegengesetzt, son-dern ergänzen sich. Die theoretische Beurteilung jeder Lehre setzt vo-raus, dass wir sie philosophiehistorisch studiert und korrekt aufgenom-men haben, gleichsam auf einer ersten Zugangsebene, um dann, aufeiner zweiten Ebene, ihren Wahrheitsgehalt zu befragen und mit ihrins Gespräch zu kommen, was über die historische Ebene hinausgeht.

Wenn der Philosophiehistoriker auch ein theoretisches Interessehat, kann er besser mit jeder der überlieferten Lehren mitphilo-sophieren. Andernfalls neigt er eher einer bestimmten historisch ein-flussreichen Philosophierichtung zu. So gab es z. B. im Zeitalter derAufklärung Eklektiker, von denen die einen aus den vergangenen Phi-losophien nur jene auswählten, die mit dem Christentum überein-stimmten, andere hingegen die nur rein weltlichen. Auch im 19. und20. Jahrhundert haben Gelehrte die Philosophiegeschichte aus einembestimmten Standpunkt betrachtet, z. B. dem neukantianischen, demhegelianischen oder dem neuthomistischen, der von manchen als»philosophia perennis« vertreten wurde,1 mit Berufung auf dieabendländische Tradition, die mit dem christlichen Erbe in Thomasvon Aquin einen bleibenden Höhepunkt erreichte.

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1 Siehe hierzu Wilhelm Schmidt-Biggemann, Philosophia perennis, Frankfurt am Main1998.

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Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit der antiken Phi-losophie in theoretischer Einstellung und stützt sich dabei auf die For-schungsergebnisse, wie sie in den bekannten philosophiegeschicht-lichen Darstellungen zugänglich sind.2 Sie widmet sich den Hauptpro-blemen und Lösungen, welche die antiken Philosophen erörtert haben,wobei sie zu gewissen wahren Einsichten in die Ursachen des Realen,d. h. der Natur, der Welt und des Menschen, gelangt sind.

1.

Unter diesem Gesichtspunkt bietet die Beschäftigung mit der antikenPhilosophie den Vorteil, die Entstehung der Philosophie aus ihren An-fängen zu verfolgen und zu verstehen, was sie ursprünglich ihrem We-sen nach ist, nämlich die Betrachtung und Erschließung der gesamtenRealität auf ihre ersten Ursachen hin. Es bilden sich dann verschiedeneDisziplinen aus: Naturphilosophie, Metaphysik, Natürliche Theologie,Erkenntnistheorie, Lehren über den Menschen und die Seele, Ethikund Politik, Kunsttheorie u. a. In jedem Gebiet entwickeln sich hin-sichtlich erster Ursachen gewisse Probleme und Lösungen, die zu wei-teren Problemen und Lösungen führen, wie auch diese wieder zu wei-teren usf. Dabei erfolgt diese Entwicklung mit einer erstaunlicheninneren Konsequenz über weite räumliche und zeitliche Abstände wieauch über nationale Grenzen hinweg, was sich nur aus dem realisti-schen Bezug der antiken Philosophen zu den Dingen selbst erklärenlässt, an die sie die Probleme stellen, und aus denen sie schrittweisedie Lösungen gewinnen.

Probleme und Lösungen werden bereits in der Antike in Traditio-nen durch den Lauf der Zeiten, ja der Jahrhunderte hindurch bewahrt,wie ein kostbarer Schatz, welcher von den jeweils älteren Generationenan die jüngeren durchgegeben wird. Dieses Durchgeben (par€dosi@,latein. traditio) hat nicht den Zweck, Überkommenes zu konservieren,sondern erfolgt jeweils in lebendiger Aneignung, um des Fortschritteswillen; denn die Späteren, so bemerkt Aristoteles, können durch dieKenntnis der Früheren vermeiden, deren Fehler zu wiederholen, undmüssen das von ihnen als wahr Erkannte nicht wieder von neuem su-chen und finden, sondern das Gefundene nützen, um es zu ergänzenund weiterzuführen.

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Vorwort

2 Siehe S. 16–19 die Literaturhinweise, in Auswahl.

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Die Tradition entspricht einer genialen Ökonomie der mensch-lichen Vernunft, die nicht an einem Tage in einem einzigen Denker alleProbleme und Lösungen auf einmal erfassen kann, sondern dies nur mitden vereinten Kräften von Denkern über viele Generationen hin zu er-reichen vermag. Dieses Vorgehen stiftet zudem eine Gemeinschaft derMenschen über die räumlich-zeitlichen und nationalen Grenzen hinwegund bringt sie ins Gespräch. Dies ist etwas Großartiges.

Dass die Erkenntnis des Realen nur aus einer Entwicklung vielerProbleme und Lösungen erfolgt, liegt letztlich auch im Realen selbst,welches vielschichtig und tiefgründig ist, so dass es sich erst allmählicherschließt. Dem entspricht die Lehre von der Seinsanalogie in derabendländischen Philosophie.

2.

Die Tatsache, dass der Menschengeist fähig ist, beim Studium der Phi-losophiegeschichte ihre verschiedenen Epochen zu überblicken, erweistihn als geschichtsüberlegen. Nur aus einem Standort über der Ge-schichte kann der Geist sie überschauen und verstehen lernen.

Wenn nach verbreiteter Auffassung das Verständnis von Geschich-te sich erstmals in der Heilsgeschichte der Bibel und ihrer Auslegungbei Kirchenvätern ausgebildet hat, so beweist dies eine Überlegenheitdes Geistes, der bereits die Gesamtgeschichte von ihrem Anfang mitder Schöpfung bis zu ihrem Ende, den »letzten Dingen«, überblickt.

Ferner zeigt das Studium des Begriffes »Geschichte«, dass sie alsein komplexes Phänomen sich nur sehr schwer unter eine einheitlicheDefinition bringen lässt, und dass sie gewisse über die Menschheits-geschichte hinausgehende Voraussetzungen hat: erstens die Natur,mit der Abfolge der Generationen, zweitens den Menschengeist alsden Autor der Geschichte, und drittens Gott als den Schöpfer der Naturund des Menschen und als den Herrn der Geschichte.3

Zur These, dass alles Reale in seinem Sein geschichtlich sei, unddaher auch alles Erkennen des Menschen, ja selbst seine Wesenheit,lässt sich sagen, dass sie auf einer historisch-hermeneutischen Positionberuht, die innerhalb der Ideengeschichte ihren Platz hat, aber nicht alsVoraussetzung für deren Untersuchung gelten kann.

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Vorwort

3 Dieser Gesichtspunkt ist näher ausgeführt in meiner Abhandlung Philosophie-geschichte und bleibende Wahrheit, Weilheim-Bierbronnen 1995.

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Der geschichtsüberlegene Geist ist fähig, sich dem Realen zu stel-len, welches neben den veränderlichen Inhalten auch eine formale,zeitlos unveränderliche Seite hat. Tatsächlich wird bei unserer Lektüredes antiken Autors dieser gleichgegenwärtig mit uns, da wir der formalselben Realität gegenüberstehen wie er. Dass wir geschichtlich die Spä-teren sind, muss nicht bedeuten, dass wir die philosophisch bessereEinsicht in das Reale haben als die Früheren, es sei denn man setzt dasReale mit dem Geschichtlichen gleich.

Übrigens besäßen wir überhaupt nicht den Begriff der »Realität«ohne die traditionelle Metaphysik, da er aus einer zeitlosen Reflexionihrer Transzendentalienlehre hervorgegangen ist. Freilich ging er dannin den Alltagsgebrauch vieler Sprachen ein und nahm neue, ihm un-angemessene Bedeutungen an. Doch rechtfertigt dies nicht, seine ur-sprüngliche, ontologische Bedeutung aufzugeben.

Es macht für das Studium der veränderlichen Inhalte der Dingeviel aus, ob sie auf das Unveränderliche, Wesentliche in ihnen bezogenwerden oder nicht. Unsere Untersuchung möchte zeigen, dass die anti-ke Philosophie auch zeitlos gültige Einsichten bietet, so dass wir bisheute noch mit ihnen im Gespräch bleiben können, nach über zwei-tausend Jahren. Im Übrigen wäre bei der Beschäftigung mit dem anti-ken Autor zu vermeiden, moderne Interpretationsprobleme in ihn hi-neinzutragen, um auf die Probleme einzugehen, die sich dem antikenAutor selbst stellen.

Zu dem gebrochenen Verhältnis, das in der Neuzeit zunächst dieDenker wie Descartes und Kant zur Tradition aus Antike und Mittel-alter hatten, ist zu bedenken, dass sie ihnen mehr aus Handbüchernbekannt war, weniger aus ihren Schriften, da diese ihnen nicht so ver-fügbar waren wie uns heute. Erst die historische und philologische For-schung des 19. Jh. hat den Grundstein gelegt für Textausgaben, die unsnun ein genaueres Studium der Klassiker ermöglichen. Dieses Studiumist schon deshalb notwendig, weil die modernen Denker noch großen-teils die aus Antike und Mittelalter tradierten Begriffe verwenden,ihnen aber ganz neue Bedeutungen geben, worauf J. Pieper, Ch. Tayloru. a. aufmerksam gemacht haben.

3.

Von den verschiedenen Disziplinen, welche die abendländische Traditi-on ausgebildet hat, ist die Metaphysik die grundlegende, die von der

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Vorwort

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Erkenntnistheorie begleitet wird, und der sich Naturphilosophie, Psy-chologie, Anthropologie, Ethik u.a. anschließen. Die in der antikenPhilosophie sich ausbildenden Hauptprobleme mit ihren Lösungen, de-nen sich die vorliegende Untersuchung widmet – wobei sie sich aufeinige von paradigmatischer Bedeutung beschränken muss, besondersin den Disziplinen der Metaphysik, Erkenntnislehre und Ethik –, be-treffen den Gegensatz zwischen Einzelnem und Allgemeinem, zwi-schen Subjekt und Objekt, zwischen Sinnlichkeit und Vernunft, Akzi-dens und Wesenheit, Schein und Sein u.a. Hinzu kommen Problemeder Ethik über das sittliche Gute und das Naturrecht, im Gegensatzzum nützlich Angenehmen und zum positiven Recht. Die Lösungenhaben zu wertvollen Einsichten geführt, wie die in die sog. Seinsanalo-gie und die Transzendentalien des Einen, Wahren, Realen und Guten,sowie in das Sittengesetz.

In der Moderne und Gegenwart treten teilweise dieselben Proble-me wieder auf – über den Gegensatz zwischen Einzelnem und All-gemeinem, zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Sein und Werden,zwischen Realem und Idealem –, die aber nun unauflösbare werden:vor allem als Gegensätze zwischen Realismus und Transzendentalis-mus bzw. Idealismus, zwischen Wesenheit und Existenz, mit der Aus-prägung in Essentialismus und Existentialismus, zwischen Natur undGeschichte, zwischen dem Positiven und dem Erlebbaren: Gegensätze,welche sich in Positivismus und Phänomenologie bzw. transzendentalePsychologie und die Sozialwissenschaften ausprägen; ferner als Gegen-sätze zwischen Denken und Sprache, sowie schließlich, im rechtlichenund ethischen Bereich, zwischen positivem und natürlichem Rechtbzw. Sittengesetz. Es stellen sich Probleme, die nun weitgehend keineLösung mehr finden, ja mitunter sich in unaufhebbaren Gegensätzendarbieten.

Eine Krisensituation ergibt sich aus dem Problem des Ausgangs-punktes der Philosophie selbst: Zwar muss jede Philosophie unver-meidlich von etwas Vorgegebenem ausgehen; denn sie kann ja nichtaus dem Nichts Probleme aufwerfen. Aber in der Neuzeit beginnt siesogleich mit der kritischen Reflexion am Realen, ob und wie etwas alsReales bestimmt werden oder gesetzt werden könne. Anders gehen dieaus Antike und Mittelalter kommenden Traditionen vor. Sie beginnenbei etwas vorgegebenem Realen und erkennen es an, um es dann ineiner erkenntnistheoretischen Reflexion zu rechtfertigen, die eine ers-te, evidente Voraussetzung aufdeckt, nämlich das Sein der Dinge, schon

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Vorwort

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als ihr schlichtes Dasein und Etwassein. Dadurch erhalten die Proble-me, die sich in der Antike erstmals stellen und teilweise schon die mo-dernen vorwegnehmen – besonders die über Einzelnes und Allgemei-nes, Subjekt und Objekt, Sinnlichkeit und Vernunft, Sein undWerden –, einen realistischen Ansatz, der den Problemen in der Neu-zeit verloren gegangen ist, da sie ihn selbst zum Problem machen.

Freilich erfordert der Blick auf die gesamte Realität eine theoreti-sche Einstellung zu ihr. Sie würde z. B. durch skeptische oder utilitaris-tisch-praktische Einstellungen verstellt, die nur von Bedürfnissenmenschlicher Lebensgestaltung geleitet wären, seien sie von indivi-dueller oder sozialer oder politischer, von moralischer oder ästhetischeroder anderer Art.

4.

Bei der von uns gewählten theoretischen Einstellung, in der wir derfortschreitenden Entwicklung der Probleme und Lösungen in der anti-ken Philosophie nachgehen wollen, erhebt sich die Frage nach Beurtei-lungskriterien hinsichtlich des Fortschrittes der Probleme und Lösun-gen. In dieser Hinsicht scheint mir immer noch Aristoteles’ Vorgehen inseiner »Philosophiegeschichte« – d. h. in seinem Rückblick (Metaphysi-k I) auf die Vorsokratiker, Sokrates, die Sophisten und Platon – lehrreichzu sein. Aus ihr lassen sich zwei Kriterien entnehmen: ein objektives desErkenntnisfortschrittes in der Erklärung der Dinge und des Menschenaus ihren Wesensursachen, und ein subjektives, das in einer zunehmendintensiveren Tätigkeit der Vernunft liegt, sofern sie sich zur höchsten,metaphysischen Ursache (Gott) zunächst blind verhält, wie die Augender Nachtvögel zum Sonnenlicht. Hiernach liegt schon beim Übergangvon den materiellen zu den nicht mehr materiellen Ursachen ein gewis-ser Fortschritt, ein Erwachen der Vernunft zu intensiverer, hellerer Er-kenntnis, die schließlich auch objektiv zur hohen Selbsterkenntnis derVernunft als einer immateriellen Ursache führt.4

Nach dem objektiven, ursächlichen Kriterium betrachtet, kamendie frühen Vorsokratiker auf der Suche nach dem ersten Prinzip, trotzihrer metaphysischen Intention, tatsächlich nicht weiter als zu mate-riellen Ursachen, wie Aristoteles richtig feststellt. Die späteren erreich-ten darüber hinaus auch Bewegungs- und Zweckursachen, was schon

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Vorwort

4 Zu den zwei Kriterien siehe die auf S. 11, Anm. 3 genannte Abhandlung.

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ein Fortschritt war, »von der Natur der Dinge« gezwungen, wie es inden Texten vortrefflich heißt. Schließlich ging Platon mit der Einfüh-rung der Formursachen, der sog. Ideen, die zugleich auch Zweckursa-chen waren, wieder weit über die Vorgänger hinaus und näherte sicherstmals einer Erfassung der Wesenheiten der Dinge und der transzen-denten ersten (mit Gott gleichgesetzten) Ursache. Bei Aristoteles, unddann weiter bei den Stoikern und Neuplatonikern, vertieft sich dieSicht auf die immanenten Wesensursachen der Dinge, sowie besondersauf die Seele des Menschen und die erste transzendente Seinsursache.In der Patristik und mittelalterlichen Scholastik entfalten sich die phi-losophischen Disziplinen der Metaphysik, Naturphilosophie, Anthro-pologie und Ethik, nun einbezogen in den weiteren Rahmen der christ-lichen Theologie vom Gott der biblischen Offenbarung.

Die neuzeitlichen Philosophien, mit der Wende kritischer Refle-xion auf das menschliche Subjekt, scheinen zwar einen Bruch mit denvorhergegangenen zu bedeuten, bleiben aber trotzdem in vielfacherHinsicht mit ihnen verbunden (schon durch die aus ihnen übernom-menen Begriffe, wenn auch in veränderten Bedeutungen) und zeigeneinen Fortschritt in der ursächlichen Erkenntnis. Im Rationalismus,Transzendentalismus und Idealismus unterscheiden sie ja weiter zwi-schen Verursachtem und Ursachen, Bedingtem und Bedingungen, biszum Unbedingten, Absoluten. Im eigenen schöpferischen, konstrukti-ven Denken, das zur Ausbildung der Natur- und der Geisteswissen-schaften führt, entdeckt der Mensch in seinem Geist eine eigene Ur-sächlichkeit gegenüber Natur und Geschichte, die dann entweder aufGott bezogen oder aber verabsolutiert wird. Es kommt auch zum Rück-schritt in Materialismus oder Positivismus, der das Reale auf das bloßMaterielle oder sinnlich-empirisch Gegebene verkürzt.

Die vorliegende Darstellung antiker Philosophen, welche sich aufdas Paradigmatische ihrer Problemstellungen und Lösungen konzen-triert, kann den Leser dazu anregen, sie auf moderne Denker zu bezie-hen und in Vergleich mit deren Problemen zu bringen. An dieser Stellemöchte ich dem Leiter des Alber-Verlages, Herrn Lukas Trabert, herz-lich für die Aufnahme dieser Abhandlung in sein Philosophiepro-gramm danken.

Rom, Januar 2010 Horst Seidl

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Vorwort

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Einige Literaturhinweise

Handbücher

Friedrich Ueberwegs Grundriss der Geschichte der Philosophie. Erster Teil: DiePhilosophie des Altertums, hrsg. von Karl Praechter, Berlin 121926.

Grundriss der Geschichte der Philosophie, begründet von Friedrich Ueberweg,völlig neu bearbeitete Ausgabe, hrsg. von Helmut Holzhey. Die Philosophieder Antike, Bd. 2.1, Sophistik, Sokrates, Sokratik, Mathematik, Medizin, hrsg.von Hellmut Flashar, Basel 2007.

Grundriss der Geschichte der Philosophie, begründet von Friedrich Ueberweg.Völlig neu bearbeitete Ausgabe, hrsg. von Helmut Holzhey. Die Philosophieder Antike, Bd. 2.2, Platon. Hrsg. von Michael Erler. Basel 2007. Hier findensich die vollständigen Angaben der Textausgaben und der antiken wie moder-nen Kommentare.

Grundriss der Geschichte der Philosophie, begründet von Friedrich Ueberweg,völlig neu bearbeitete Ausgabe, hrsg. von Helmut Holzhey. Die Philosophieder Antike, Bd. 3, Ältere Akademie, Aristoteles, Peripatos, hrsg. von H. Flashar,Basel 1983. Hier finden sich die vollständigen Angaben der Textausgaben undKommentare, der antiken (Alexander von Aphrodisias u.a.) wie der modernen(H. Bonitz, D. Ross, G. Reale u.a.).

E. Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung,6 Bde., Leipzig 1919–1923, Reprint: Hildesheim 1990.

W. Kranz, Die griechische Philosophie, Bremen 31957.W. Kranz, Geschichte der griechischen Literatur, Leipzig 1941.

Textausgaben

Die Fragmente der Vorsokratiker, Griechisch-Deutsch, bearbeitet von HermannDiels, hrsg. von Walther Kranz, 2 Bde., Dublin/Zürich 1969.

Die Vorsokratiker. Die Fragmente und Quellenberichte, übersetzt und eingeleitetvon Wilhelm Capelle, Stuttgart 71968.

Platonis Opera, Bibliotheca Oxoniensis, ed. Ioannes Burnet, 5 vol., Oxford 1958.Platon, Werke in 8 Bänden, Griechisch-Deutsch, übersetzt von Friedrich Schleier-

macher und Dietrich Kurz, Darmstadt 22001.

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Plato, Greek-English, Loeb Classical Library, 12 vol., Cambridge, Mass./London1975.

Aristotle, Bibliotheca Oxoniensis, ed. by Ingram Bywater, David Ross et al., 9 vol.,Oxford 1956.

Aristotle’s Metaphysics I-II, Greek-English, ed. by David Ross, Oxford 1924, 1970.(Vom selben Autor liegen nützliche Kommentar-Ausgaben auch zu anderenWerken des Aristoteles vor.)

Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung, begründet von Ernst Grumach, hrsg.von Hellmut Flashar, 19 Bde., Berlin/Darmstadt 1962ff.

Aristotle, Greek-English, Loeb Classical Library, 23 vol., Cambridge, Mass./Lon-don 1955ff.

Aristoteles’ Zweite Analytiken, Griechisch-Deutsch, mit Einleitung, Übersetzungund Kommentar hrsg. von Horst Seidl, Würzburg/Amsterdam 21984.

Aristoteles’ Metaphysik, Griechisch-Deutsch, bearbeitete Übersetzung von Her-mann Bonitz, mit Einleitung und Kommentar hrsg. von Horst Seidl, 2 Bde.,Hamburg 31989, 31991.

Aristoteles’ Über die Seele, Griechisch-Deutsch, bearbeitete Übersetzung von Wil-ly Theiler, mit Einleitung und Kommentar hrsg. von Horst Seidl, Hamburg1995.

Epicuro, Opere, frammenti, testimonianze sulla sua vita, a cura di E. Bignone, Bari1920.

Diogenes Laertius, Buch X, Epikur, Griechisch-Deutsch, hrsg. von Klaus Reich undGünter Zeckl, Hamburg 1968.

Stoicorum veterum fragmenta, coll. Ioannes ab Arnim, 3 Bde., Stuttgart 1968.Cicero, Loeb Classical Library, 29 vol., Cambridge, Mass./London 1971.Cicero, Vom rechten Leben. De officiis liberi III, Latein.-Deutsch, eingeleitet und

neu übersetzt von Karl Büchner, Zürich 1953, 1964.Seneca, Philosophische Schriften, Latein.-Deutsch, hrsg. von Manfred Rosenbach,

5 Bde., Darmstadt 1995.Seneca, Philosophische Schriften, übersetzt und mit Einleitungen und Anmerkun-

gen versehen von Otto Apelt, 4 Bde., Hamburg 1993.Seneca, Tutti gli scritti, a cura di Giovanni Reale, prefazioni, traduzione e note di

Aldo Marastoni e Monica Natali, Milano 1994.Sextus Empiricus, Grundriss der Pyrrhonischen Skepsis, eingeleitet und übersetzt

von Malte Hossenfelder, Frankfurt am Main 1968.Plotins Schriften, übersetzt von Richard Harder, neubearbeitet mit griechischem

Lesetext und Anmerkungen von Rudolf Beutler und Willy Theiler, 5 Bde.,Hamburg 1956ff.

Plotino, Enneadi, a cura di Giuseppe Faggin, Giovanni Reale e Roberto Radice,Milano 31992.

Proclus, Théologie platonicienne, texte établi et traduit par H. D. Saffrey et L. G.Westerink, 4 tomes, Paris 1968.

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Einige Literaturhinweise

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Spezielle Literatur

zu den Vorsokratikern:K. v. Fritz, Philosophie und sprachlicher Ausdruck bei Demokrit, Plato und Aris-

toteles, New York/Leipzig 1938.Edw. Hussey, The Presocratics, London 1972.R. E. Allen and D. J. Furley (Eds.), Studies in Presocratic Philosophy, London 1975.W. Kranz, Vorsokratische Denker, Berlin 1939.H. Cherniss, Aristotle’s Criticism of Presocratic Philosophy, Baltimore 1935.K. Freemann, The Presocratic Philosophers. A Companion to Diels, Oxford 1946.

zu Platon:A. Olerud, L’idée de macrocosmos et de microcosmos dans le Timée de Platon.

Étude de mytholgie comparée, Uppsala 1951.G. Matthews, Plato’s epistemology and related logical problems, London 1972.E. A. Wyller, Der späte Platon, Hamburg 1970.A. E. Taylor, Plato. The Man and His Work, London 1978.E. Jain und S. Grätzel (Hrsg.), Sein und Werden im Lichte Platons. Festschrift für

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zu Aristoteles:D. J. Allan, The philosophy of Aristotle, Oxford 1952.K. von Fritz, Die ¥pagwgffi bei Aristoteles, München 1964.W. Jaeger, Aristoteles. Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung, Berlin

1923, 1955.H. Seidl, Beiträge zu Aristoteles’ Erkenntnislehre und Metaphysik, Würzburg/

Amsterdam 1984.H. Seidl, Beiträge zu Aristoteles’ Naturphilosophie, Amsterdam/Atlanta, 1995.H. Seidl, Sein und Bewusstsein. Erörterungen zur Erkenntnislehre und Metaphy-

sik in einer Gegenüberstellung von Aristoteles und Kant, Hildesheim, 2001.

zu Epikur:W. Schmid (Hrsg.), Studien zur epikureischen Philosophie, Hildesheim 1967.

zur Stoa:M. van den Bruwaene, La théologie de Cicéron, Louvain 1937.M. L. Coolish, The Stoic Tradition from Antiquity to the Early Middle Ages,

2 Bde., Leiden 1985.Il. Hadot, Seneca und die griechisch-römische Tradition der Seelenleitung, Berlin

1969.A. A. Long, Hellenistic Philosophy. Stoics, Epicureans, Sceptics, London 1974.M. Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, 2 Bde., Göttingen

1948.J. M. Rist, Stoic Philosophy, Cambridge 1969.J. B. Gould, The philosophy of Chrysippus, Leiden 1970.

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zum Skeptizismus:M. Dal Pra, Lo scetticismo greco, Milano 1950.L. Robin, Les Sceptiques grecs, Paris 1950.

zu Plotin:Fr. Heinemann, Plotin. Forschungen über die plotinische Frage, Plotins Entwick-

lung und sein System, Leipzig 1921.E. Bréhier, La philosophie de Plotin, Paris 1928.H. Fischer, Die Aktualität Plotins, München 1956.M. de Gandillac, La sagesse de Plotin, Paris 21966.C. Carbonara, La filosofia di Plotino, 2 vol., Neapel 1964.Ll. P. Gerson (Ed.), Plotinus, Cambridge 1996.P. Henry (Ed.), Les sources de Plotin, Paris 1960.V. Cilento, Saggi su Plotino, Mailand 1973.

zu Proklos:G. Martano, L’uomo e Dio in Proclo, Neapel 1952.L. H. Grondijs, L’âme, le nous et les hénades dans la théologie de Proclus, Ams-

terdam 1960.W. Baierwaltes, Proklos. Grundzüge seiner Metaphysik, Frankfurt a. M. 1965.

Allgemein zur griechischen Philosophie:A.-E. Chaignet, La psychologie de l’École d’Alexandrie, Paris 1893, Reprint: Bru-

xelles 1966.J. Pépin, Idées grecques sur l’homme et sur Dieu, Paris 1971.

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Einige Literaturhinweise

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Hauptteil

1) Vorsokratiker

Der Beginn der abendländischen Philosophie bei den Griechen, denJonischen Naturphilosophen im kleinasiatischen Koloniegebiet, alsden sog. Vorsokratikern, ist treffend als Übergang »vom Mythos zumLogos« bezeichnet worden,1 der sich vom religiösen Denken zu einervom Verstand (lógos, ratio) geleisteten Naturerklärung vollzog. Aris-toteles lässt sie, in seinem historischen Rückblick (Metaphysik, Buch I)auf die früheren Denker, mit Thales von Milet beginnen, gefolgt vomSchüler Anaximander und dessen Schüler Anaximenes. Er nennt sie»Theologen«, wohl deshalb, weil ihre Naturforschung noch stark mitreligiösen Anschauungen verbunden war. Die Loslösung von diesenerfolgte also erst allmählich.

Die Blütezeit des Thales ist aufgrund seiner Vorhersage der Son-nenfinsternis von 585 v.Chr. bestimmbar. Mit ihr lässt sich zugleich dererwähnte Übergang schön veranschaulichen; denn Thales hatte Kennt-nis von statistischen Tabellen der Sonnen- und Mondfinsternisse derBabylonier, aus denen hervorging, dass sich diese Himmelsereignissenach einem Zyklus von 16 Jahren (dem sog. Saros) wiederholen, wasden Babyloniern nur zu religiösen kultischen Zwecken diente. Es wardem Genius des griechischen Geistes vorbehalten, nach den Ursachender regelmäßigen Himmelserscheinungen zu forschen. Dies war derBeginn von Philosophie und bald aufkommenden Wissenschaften. Sobildete sich auch eine Astronomie aus, welche die Ursache der Sonnen-und Mondfinsternisse entdeckte (s.u. S. 186 ff., Aristoteles, Wissen-schaftslehre).

Der Übergang von griechischer Mythologie zur Philosophie, derauch als »Entdeckung des griechischen Geistes«, nämlich des wissen-

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1 Die Bezeichnung ist der Titel des bekannten Buches von Wilhelm Nestle, Vom My-thos zum Logos, Stuttgart 1942.

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schaftlich forschenden, bezeichnet worden ist,2 lässt sich gut an demBedeutungswandel des wichtigen Begriffs arché / principium ersehen:Während Hesiods Theogonie den »Anfang« mit dem Chaos bezeichnet,von dem an er die Entstehung der Götter aus Uranos und Gaia erzählt,geben ihm die ersten Naturphilosophen eine neue Bedeutung als»Prinzip«, einer Ursache, aus der die Naturdinge entstehen und woreinsie vergehen. Es handelt sich also nicht mehr um den Anfang einerreligiösen Geschichte, mit dem auch die Bibel beginnt (»Im Anfangwar …«), sondern um ein Prinzip (»Erstannahme«), mit dem sich Na-turvorgänge erklären lassen. Darin liegt auch ein erster Anfang wis-senschaftlicher Einstellung.3

Das angezielte Prinzip für die Erklärung der Natur führte zu demProblem, wie es zu bestimmen sei. Die ersten Antworten bei Thales,Anaximander, Anaximenes und Heraklit, es als Wasser, Grenzenloses,Luft oder Feuer zu bestimmen, waren freilich unbefriedigend, wennauch der Versuch als solcher, durch Verstandesgründe jenes gesuchtePrinzip zu erfassen, sehr beachtlich ist. Thales begründet das Prinzipals Wasser mit zwei Beobachtungen, erstens dass alles Lebendige ausfeuchtem Samen hervorgeht, und zweitens dass das Festland von Was-ser umgeben ist. Anaximanders Begründung für das Prinzip als Gren-zenloses (ápeiron), Unbestimmtes, ist diese: Da alle Dinge mit ihrengegensätzlichen Eigenschaften aus dem einen Prinzip hervorgehen,kann dieses keine der Eigenschaften der Dinge besitzen, sondern musssich zu ihnen unbestimmt verhalten. Anaximenes’ Begründung desPrinzips als Luft ist von medizinischer Art und beruht auf der Beob-achtung, dass alles Lebendige vom Atem beseelt ist. Zu gleicher Zeitwirkt Pythagoras aus Samos, Gründer einer religiösen Gemeinschaftund einer philosophischen Schule, welche die Naturerklärung auf Zah-lenverhältnisse gründet.

Das Problem stellt sich dadurch, dass das gesuchte Prinzip nichtmehr von den Sinnen wahrgenommen, sondern nur durch Überlegungerschlossen werden kann. Es findet dann seine Lösung in der höchstbedeutsamen Unterscheidung, die erstmals Heraklit zwischen zwei Er-kenntnisweisen bzw. -vermögen vollzieht, zwischen dem Sinnesver-

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Vorsokratiker

2 Siehe Bruno Snell, Die Entdeckung des griechischen Geistes. Studien zur Entstehungdes europäischen Denkens bei den Griechen, Hamburg 1948.3 Siehe Walther Kranz, Die griechische Philosophie, Leipzig 1941, sowie Kurt von Fritz,Die Anfänge der Wissenschaft bei den Griechen, in: Ders., Grundprobleme der Ge-schichte der antiken Wissenschaft, Berlin 1971.

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mögen und einem nicht-sinnlichen Vermögen, dem Verstand (lógos,ratio), fähig das Prinzip zu erfassen. Auch Parmenides aus Elea in Un-teritalien, der die Natur als das nicht-sinnliche Eine Seiende auslegt,führt zu dessen Erfassung ein von den Sinnen verschiedenes Erkennt-nisvermögen ein, die Vernunft (noûs, intellectus).

Im Gegensatz zu den Älteren Vorsokratikern nehmen die Jünge-ren, Empedokles und Anaxagoras, viele Prinzipien an, in bestimmtenmateriellen Elementen, aus deren Zusammensetzungen und Trennun-gen sich die Naturdinge ergeben, und fragen erstmals auch nach derUrsache ihrer Bewegungen sowie ihrer Zweckmäßigkeit. Hierzu wer-den sie – nach Aristoteles’ vortrefflicher Bemerkung (Metaphysik I) –»durch die Natur der Dinge«, »durch die Wahrheit selbst gezwungen«.Für Empedokles sind die natürlichen Elemente mit Bewegungskräftenbegabt, Anaxagoras hingegen führt eine göttliche Vernunft (noûs) ein,die von den materiellen Elementen wesentlich verschieden ist und sieaus einem anfänglichen chaotischen Gemenge in die Ordnung der Na-turdinge, des Kosmos, überführt hat. Demokrit hingegen fällt auf einematerialistische Naturbetrachtung zurück, welche die Dinge und ihreVeränderungen aus den unteilbaren Elementen, den Atomen, und demMechanismus ihrer Bewegungen erklärt, ohne eigene Bewegungs- undZweckursachen.

Aristoteles hat in seinem Rückblick (Metaphysik I) auf die Vor-sokratiker diese mit seiner Lehre von den vier Ursachen beurteilt undan den ersten Vertretern Kritik geübt, dass ihre Erforschung eines ers-ten Prinzips der Naturdinge nur zu materiellen Ursachen gelangte.Nach dem Urteil moderner Interpretation tat Aristoteles ihnen Un-recht, da sie doch bei ihrer Forschung auf ein umfassendes göttlichesPrinzip abzielten. Indes, Aristoteles war sich m.E. dessen wohl be-wusst; denn er nennt sie ja »Theologen«. Ferner trägt er die Einteilungder vier Ursachen: der Materie-, Form-, Bewegungs- und Zweckursa-che, nicht wie eine fremde Lehre an die der Vorsokratiker heran, son-dern hat sie teilweise aus ihnen gewonnen. Doch ist einfach nicht zuleugnen, dass die ersten Vorsokratiker tatsächlich nicht über die Anga-be materieller Ursachen hinausgekommen sind. Zwar ist die Erklärungder Natur durch diese nicht falsch, wohl aber unzureichend, besondersin Bezug auf die Lebewesen. Dies veranlasste dann die Jüngeren Natur-philosophen und nach ihnen Platon, gleichsam »von der Wahrheit derDinge selbst gezwungen«, weitere Ursachen einzuführen, nämlich dieBewegungs-, die Zweck- und schließlich die Formursache.

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Vorsokratiker

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Heraklit

Im Folgenden gehe ich näher auf Heraklit und Parmenides ein, sofernsie sich um die Lösung zweier Probleme bemühen: das des Gegensatzesvon Werden und Sein, sowie das der Erkennbarkeit des Naturprinzips.

Heraklit (Blütezeit ca. 500 v. Chr.) führt zum ersten Mal den Be-griff der »Philosophen« ein, die mit der Erforschung vieler Dinge be-schäftigt sind.4 Er forscht, wie die Jonischen Naturphilosophen vorihm, nach dem Prinzip der Natur, aus dem sich die regelmäßigen Ver-änderungen in ihr erklären lassen. Dabei wird er, wie gesagt, auf dasProblem von Werden und Sein aufmerksam und auf das einer nichtmehr sinnlichen Erkenntnis des Naturprinzips.

1. Das Naturprinzip als Feuer

Ähnlich wie Thales und Anaximenes, die das Naturprinzip als Wasserund als Luft bestimmten, sieht es auch Heraklit in einem der Natur-elemente, im Feuer. Ferner, wie Thales und Anaximenes ihre Begrün-dung, das Prinzip in dieser Weise zu bestimmen, aus der Beobachtungder Naturphänomene entnahmen, um sie durch das so gewählte Prin-zip erklären zu können, so auch Heraklit, welcher von der Beobachtunggeleitet ist, dass alles in der Natur in Bewegung ist, so dass das Natur-prinzip das beweglichste, feinste Element sein muss, nämlich das Feuer.Dieses galt in der Antike als ein Element (im Unterschied zu modernerErkenntnis, dass es ein Oxydationsprozess ist).

2. Werden statt Sein

Es ist für Heraklits Lehre eigentümlich, dass sie die Natur gänzlich inVeränderung sowie in Entstehen und Vergehen sieht, so dass davonauch seine Bestimmung des Prinzips geleitet ist. Die Ausrichtung auf

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Vorsokratiker

4 Die Fragmente der Vorsokratiker, Griechisch-Deutsch, bearbeitet von Hermann Diels,hrsg. von Walther Kranz, 2 Bde., Dublin/Zürich 1967, Bd. 1, Heraklit, Fragm. 35: »Garvieler Dinge kundig müssen philosophische (= weisheitsliebende) Männer (yilo-s�you@ ˝ndra@) sein.«

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die ständig in Veränderungen sowie in Entstehen und Vergehen begrif-fenen Naturdinge führt zu dem Problem des Werdens in Bezug auf dieexistierenden Dinge, das so lautet: Wie kann etwas werden? Aus Nicht-seiendem kann nichts werden, und was da ist, braucht nicht mehr zuwerden, sondern ist schon da. Heraklits Antwort ist die, dass er dasWerden bzw. die Bewegung selbst zum Prinzip macht. Das Feuer-Prin-zip ist in ständiger Bewegung, das Beweglichste, ja selbst gleichsamgänzlich Bewegung, so dass auch das Sein der in Bewegung befindli-chen Naturdinge selbst Bewegung ist. Wenn deshalb unseren Sinnendie Dinge als bleibendes Seiendes (t� �n) erscheinen: Pflanzen, Tiere,Menschen, so sind dies nur täuschende Erscheinungen. In Wahrheit istalles im Werden oder Entstehen und Vergehen sowie in Veränderung.Es gibt nichts Seiendes.

Es ist klar, dass diese Antwort auf das Problem des Werdens keineLösung bietet; denn da das Werden der Übergang vom Nichtseiendenzum Seienden ist, muss es von diesem her erklärt werden:

WerdenNichtseiendes Seiendes

Bei Heraklit wird das erklärungsbedürftige Werden selbst zum Prinziperhoben, und das Sein der Dinge geleugnet, was nicht angeht.

3. Das Naturprinzip als Logos. Sein Bezug zum Erkennenden

Kehren wir nochmals zu Heraklits Lehre vom Prinzip als Feuer zurück,die es ähnlich wie die vorhergehenden Physiker mit einem Naturele-ment identifiziert, so stellen wir fest, dass einige Fragmente es auch alsLogos bezeichnen, womit er weit über die früheren Denker hinausgeht.Das Wort Logos (l�go@, latein. ratio), das zu seiner Zeit eine Denkkraftbezeichnet, wie unser Wort »Verstand«, die Vieles zur Einheit zusam-menführt, bedeutet nun bezüglich der Natur das in den vielen Ver-änderungen einheitsstiftende Gesetz.5 Heraklit beschreibt dieses als

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Heraklit

5 Die lateinische Übersetzung lex, »Gesetz«, kann sich vorteilhaft auf die Etymologiemit dem Wort legere stützen, das mit dem griechischen légein verwandt ist und »lesen«bedeutet (das noch an das Zusammenlesen, Vereinigen denken lässt).

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»gegenstrebige Harmonie«, mit dem Blick darauf, dass die Verände-rungen sich zwischen Gegensätzen vollziehen.

Heraklits Lösung des Problems führt zu einer unsinnlichen Er-kenntnis des Prinzips; denn wenn es durch ein Naturelement bestimmtwird, hängt seine Erkenntnis noch von sinnlichen Vorstellungen ab,während es doch unsinnlich zu erschließen und zu begründen ist. Dieneue, sehr bedeutsame Bestimmung des Naturprinzips als Logos zeigtnun den Bezug zu einem nicht-sinnlichen Erkenntnisvermögen an,zum Logos / Verstand in der Seele. Wenn Heraklit das Feuer-Prinzipals verstandesbegabt bezeichnet, also mit dem Logos gleichsetzt,6 sozeigt dies seinen Versuch an, die Erkenntnis des Prinzips von der Sin-nesanschauung zu befreien, was freilich noch nicht gelingt. Immerhinwird das Naturprinzip nicht von den Sinnen erfasst, sondern hinter densinnlich wahrnehmbaren Phänomenen vom Logos / Verstand erschlos-sen. Bekannt ist Heraklits Feststellung:

»Die Natur liebt es sich zu verbergen …« (Heraklit Fragm. 123).

die hier von der Natur als dem gesuchten Prinzip spricht. Insofern wardie Bestimmung des Prinzips als Feuers sowie als Logos eine erschlos-sene.

Heidegger verkehrt den Inhalt des Fragments, wenn er die Naturals die Dinge, »das Seiende«, versteht, das sich uns in deren Erscheinenals »das Sein« entbergen und erlebt werden will.7

Die Anwendung des Logos-Begriffs, der bislang eine Erkenntnis-kraft im Menschen bezeichnete, auf das Naturprinzip, im Sinne einesumfassenden Gesetzes aller Naturvorgänge, stiftet eine religiöse Be-ziehung mit dem Göttervater Zeus. Philosophisch gesehen, zeigt sieeine Verwandtschaft zwischen dem Naturprinzip und unserem Ver-stand an, so dass dieser etwas Verwandtes in der Natur und in all ihremGeschehen entdeckt und herauszulesen sucht. Wir denken fast unwill-kürlich an das Bild bei Galilei, wonach der Physiker im Buch der Natur

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Vorsokratiker

6 Wir haben keinen direkten Ausspruch Heraklits, der das Feuer mit dem Logos gleich-setzen würde, sondern nur eine späte Überlieferung beim Bischof Hippolytos, die vomvernünftigen Feuer (yr�nimon p‰r) spricht, siehe Die Fragmente der Vorsokratiker,Bd. 1, 12 Heraklit, B Fragm. 64.7 Siehe Martin Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit (GA 34), Frankfurt am Main 1988.Vgl. meine Stellungnahme: Heideggers Fehlinterpretation antiker Texte, Bonn 2005,19–21.

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zu lesen verstehe. Dieses Bild kann auch etymologisch an den lateini-schen Begriff von legere und lex anknüpfen (s. o. S. 25, Anm. 5).

Zusammenfassend können wir feststellen, dass Heraklits natur-philosophische Lehre vom Naturprinzip als Logos von einer wichtigenReflexion auf den Erkennenden begleitet ist; denn er unterscheidetzwischen den Sinneswahrnehmungen, die auf die sinnlichen Phänome-ne bezogen sind, und dem Verstand / Logos, der auf das Prinzip gerich-tet ist und dieses hinter den Phänomenen erschließt.

Verstand Prinzip

Sinnlichkeit Phänomene

Zur Einsicht, dass der Logos das allen Dingen gemeinsame Gesetz ihrerVeränderungen ist, das selbst unverändert besteht und so alles be-herrscht, kommt die weitere Einsicht, dass der Logos als Erkenntnisver-mögen allen Menschen gemeinsam ist:

»Der Logos ist allen gemeinsam …« (Heraklit Fragm. 2).

Diese Einsicht bereitet die Antwort auf das Problem vor, wie wir Men-schen zu gemeinsamen Erkenntnissen über die Naturprinzipien kom-men. Bezeichnenderweise beklagt sich Heraklit über seine Mitbürger(Heraklit Fragm. 1), dass jeder nur seiner eigenen Ansicht nachgeht,und dass sie seine Lehre über die Natur der Dinge nicht verstehen,obwohl sie eine allen gemeinsame Erkenntnis darbietet.

In Fragm. 1 vergleicht Heraklit die unbelehrbaren Mitbürger mitSchlafenden, die sich vom Logos und seiner Erkenntnis nicht belebenlassen. Der über die Stoa in den Johannes-Prolog eingegangene Begriffdes Logos hat die Bedeutung des Leben spendenden Prinzips, nun aufChristus bezogen.

In psychologische Richtung weisen Heraklits sehr beachtlicheÄußerungen:

»Der Seele Grenzen kannst du nicht ausfindig machen, auch wenn du jeglicheStraße abschrittest; einen so tiefen Grund (lógos) hat sie«. – »Ich suchte michselbst« (Heraklit Fragm. 101).

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Heraklit

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Parmenides

1. Die Natur als das Eine Seiende

Die Lehre des Parmenides aus Elea (in Unteritalien), eines etwas jün-geren Zeitgenossen Heraklits, ist großenteils durch die Gegenstellungzu ihm gekennzeichnet; denn dieser lehrte, dass die Dinge in ihremunveränderlichen, identischen Sein, als Seiendes, nur den Sinnen soerscheinen, während der Verstand die Dinge als in unaufhörlicher Be-wegung und Veränderung beurteilt. Dem widerspricht nun Parmenidesund deckt erstmals auf, dass das Sein der Sinnesdinge nicht mehr vonden Sinnen erfasst wird, sondern von einem anderen Vermögen, näm-lich der Vernunft (no‰@, noûs, latein. intellectus), die ebenso wie derLogos bei Heraklit den Sinnesvermögen gegenübersteht.

Anders als der diskursive Logos ist die Vernunft eine intuitive Er-kenntniskraft. Parmenides hat den Begriff zu seiner philosophischenBedeutung erhoben, mit der er dann in die abendländische Traditioneingegangen ist. Während er zuvor noch eine sinnliche Wahrnehmungbedeutete, steht er bei Parmenides für eine geistige Wahrnehmung, dienun das Sein der Dinge – schon als schlichtes Dasein – rezeptiv erfasst.Ihm entspricht der Begriff des Intellekts (latein. intellectus, »Ein-sehen«) und der deutsche der Vernunft (vom Verbum vernehmen).

Die Kernaussage in Parmenides’ Lehre über alle Dinge der Naturals Seiendes ist die: Das Seiende ist, das Nichtseiende ist nicht. Damitentdeckt die Vernunft erstmals ihr eigenes Objekt, das Seiende, dasnicht mehr sinnlich wahrnehmbar, sondern intelligibel ist.

Dieser Entdeckung verleiht Parmenides einen geradezu festlichen,freudevollen Ausdruck in Hexametern. Dies geht freilich auf Kostender philosophischen Klarheit, was spätere Kommentatoren wie Simpli-kios beklagen; denn an sich bietet ja Parmenides’ Text keine Dichtung,sondern Philosophie, wiewohl in dichterischer Form.

Doch verfällt Parmenides der Einseitigkeit, unter dem Aspekt desSeienden, der allen Dingen gemeinsam ist, sie alle in dem Einen Seien-den zusammenfallen zu lassen, also ihre Vielheit, sowie ihre Bewegungund Veränderung zu leugnen, wobei er auch von seinem Lehrer Xeno-phanes beeinflusst ist, der das All als das göttliche Eine begreift.

Mit der Lehre vom Seienden eröffnet Parmenides den Weg in diespäter sog. Ontologie, die dann von Platon und weiter von Aristotelesausgebildet wird, entfernt sich aber von der Naturphilosophie, wie

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Aristoteles kritisch bemerken wird; denn ihre Aufgabe es ist, die Na-turdinge gerade von ihrer Bewegung her und auf ihre Bewegungs- undZweckursachen hin zu erforschen.

Ferner, wenn für jede Wissenschaft das Vorgehen vom verursach-ten Gegebenen zur Ursache / dem Prinzip eigentümlich ist, dann ist esangesichts der Natur als des Einen Seienden nicht mehr möglich zusagen, ob sie das verursachte Gegebene oder die Ursache / Prinzip(arché) ist. Von welcher Ursache sollte sie Gegebenes sein, oder vonwelchem Gegebenen Ursache? Tatsächlich nennt an keiner Stelle Par-menides das Eine Seiende Prinzip. Aristoteles, der von Parmenides dieBetrachtung der Dinge als Seiendes übernimmt, wird dieses als dengegebenen Ausgangsgegenstand seiner Metaphysik nehmen. Platonwiederum versteht das parmenideische Seiende als Prinzip und beziehtes auf die Wesenheiten der Dinge, die von ihm so genannten Ideen.

2. Sein statt Werden

Indem Parmenides der heraklitischen Ansicht von der Natur als demWerdenden und Vergehenden, Veränderlichen, seine eigene von derNatur als dem unveränderlichen Seienden entgegensetzt, nimmt erauf seine Weise Stellung zu dem Problem des Werdens, das er aus-drücklich erwähnt, dass nämlich aus Nichtseiendem nichts werdenkann, und das Seiende nicht mehr zu werden braucht (Die Fragmenteder Vorsokratiker, Bd. 1, 18 Parmenides, Fragm. 8, 5–11). Da das Wer-den zwischen dem Nichtseienden und dem Seienden steht, kann es fürdas Problem, so scheint es, nur zwei Möglichkeiten seiner Auflösunggeben: Entweder das Seiende wird geleugnet, wie bei Heraklit, der dasWerden gleichsam zum Prinzip macht, oder das Werden wird geleug-net, wie bei Parmenides, der nur das Seiende zulässt.

3. Der Bezug der Vernunft zum Seienden

Mit Parmenides’ Lehre von den Naturdingen als dem Einen Seiendenverbindet sich eine sehr beachtliche Reflexion auf das erkennende Sub-jekt. Wir finden bei ihm, wie bei Heraklit, die Unterscheidung zwi-schen den Sinnesvermögen, welche, auf die veränderlichen Phänomenegerichtet, den Menschen täuschen können, und einem wesentlich an-

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deren Vermögen, der Vernunft, gerichtet auf das intelligible Sein derDinge. Im Proömium seiner Schrift gebraucht Parmenides das dichte-rische Bild von zwei Wegen: dem der trügerischen Sinne, der hinab zuden sinnlichen Erscheinungen führt, fern von der Wahrheit, und demuntrüglichen der Vernunft, der himmelwärts der Sonne entgegenführt, d. h. zur Wahrheit, geleitet von der Göttin des Rechts, Dike.

Wichtig sind die Texte, welche vom erfassenden Akt der Vernunft(noe…n, dem Verbum von no‰@, latein. intellegere, scholast. intelligere)sprechen, mit dem sie auf das Sein (e�nai, latein. esse) der Dinge, alsSeienden, gerichtet ist. Die Feststellung lautet:

»Denn es ist dasselbe: das vernünftige Erfassen und das Sein«: t� gÞr a't�noe…n ¥stffln te ka½ e�nai (Parmenides Fragm. 5).

Dabei ist zu beachten, dass wegen der dichterischen Form in Hexa-metern bei Aussagen Wörter ausfallen, die aus dem Sinn des Kontexteszu ergänzen sind, meistens »das Seiende«, das der alleinige Gegenstanddurch das ganze Lehrgedicht hindurch ist. Unsere Stelle setzt eine Aus-sage über das Seiende voraus und schließt an sie mit einem begründen-den »denn« an, was moderne Interpreten nicht beachtet haben. Sie istso zu ergänzen:

»Denn es ist dasselbe: das vernünftige Erfassen hdes Seiendeni und das Seinhdes Seiendeni.«

Das heißt: beides, vernünftiges Erfassen und Sein, haben etwas Identi-sches durch ihren gemeinsamen Bezug zum Seienden. Es ist immer dasSein des Seienden, worauf das vernünftige Erfassen bezogen ist. Diesetraditionelle Interpretation, wie sie Thomas von Aquin und Philoso-phiehistoriker des 20. Jhs., Praechter, Capelle u. a., bieten, wird vonPhilosophen unserer Zeit verlassen, die in jenen bekannten Vers einenmodernen idealistischen Gedanken hineintragen, als ob er Denken undSein identisch setzte. Von diesem Anachronismus abgesehen, lässt derVers eine solche Deutung nicht zu; denn er sagt nicht einfach, dassDenken und Sein identisch sind, sondern spricht vom Identischen vor-weg am Satzanfang: »Es ist dasselbe …«, spricht also von einem iden-tischen Sachverhalt zwischen Denken und Sein, dass sie nämlich beideauf das (zu ergänzende) Seiende bezogen sind. Auch im anschließen-den Satz ist das Seiende zu ergänzen:

»Es ist nötig zu sagen und vernunftmäßig zu erfassen, dass das Seiende ist;denn es verhält sich so, dass hdas Seiendei ist, und das Nichts nicht ist.«

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Dass es bei dem vorgenannten Vers um eine Erkenntnisbeziehung zwi-schen vernunftmäßigem Erfassen und Sein geht (d. h. um eine inten-tionale, nicht um eine ontologische Identität), nämlich dank des ge-meinsamen Bezuges zum Seienden, erhellt auch aus dem Paralleltext:

»Dasselbe ist vernunftmäßiges Erfassen und das, wofür das vernunftmäßigErfasste steht.« (Parmenides Fragm. 8, 34–36)

Wiederum ist die Aussage eindeutig so zu ergänzen:

»Dasselbe ist vernunftmäßiges Erfassen hdes Seiendeni und das, wofür dasvernunftmäßig Erfasste steht hnämlich für das Seiendei.«

Besonders beachtlich ist hier, dass Parmenides’ Reflexion den Erkennt-nisgehalt in der Vernunft erreicht, das »vernunftmäßig Erfasste« (nóe-ma, n�hma), das für die Dinge, das Seiende, steht und sie in der Ver-nunft repräsentiert.

Im abschließenden Teil seiner Schrift bietet Parmenides eine merk-würdige Sicht auf die Natur als wohlgerundete Kugel, was sich wohldaraus erklärt, dass er einerseits »Über die Natur« handeln will (wieder Titel der Schrift lautet), also von der sichtbaren Welt, andererseitsaber sich auf den intelligiblen Seinsaspekt konzentriert, so dass nun dieWelt, gleichsam symbolhaft, als geometrische Kugel vorgestellt wird.

Parmenides’ Schüler Zenon von Elea versucht die Lehre seinesMeisters von dem Einen Seienden und der Leugnung der Bewegungmit Argumenten dadurch zu rechtfertigen, dass er die Annahme desGegenteils, dass es Bewegung gibt, ins Absurde führt. Durch diese in-direkte Beweismethode, die reductio ad absurdum, ist er der Begründerder sog. Dialektik. Bekannt sind seine Argumente mit Achilleus undder Schildkröte und dem stehenden Pfeil: In beiden Beispielen argu-mentiert Zenon mit dem Begriff der unendlichen Teilbarkeit von Stre-cken, die daher nicht durchlaufen bzw. nicht durchflogen werden kön-nen, so dass die Bewegung aufgehoben wird.

Nach Aristoteles ist die Bewegung eine unleugbare Gegebenheit.Zenon überträgt irrtümlich das Unendliche, als mathematische Größe,auf die Natur. In ihr gibt es keine aktuelle Unendlichkeit. Zwar sind anjedem materiellen Kontinuum beliebig viele Teilungen möglich, nichtaber unendlich viele aktuell vollzogene.

Anaxagoras (Blütezeit ca. 450 v.Chr.) hat in seiner Naturphilosophiesicherlich von Parmenides den Vernunftbegriff (noûs) übernommen,

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wenn er neben den materiellen Elementen (Homöomerien) die sie ord-nende Zweckursache als göttliche Vernunft einführt (Die Fragmenteder Vorsokratiker, Bd. 1, 46 Anaxagoras, B Fragm. 12). Dass sie als allesMaterielle beherrschende, alles erkennende und ordnende, göttlicheVernunft bestimmt wird, ergibt sich aus der Analogie mit der mensch-lichen Vernunft.

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