Hungersnöte im Mittealter

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Ein Beitrag zur Deutschen Wirtschaffengeschichte des 8. bis 13. Jahrhunderts.

Transcript of Hungersnöte im Mittealter

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  • LEIPZIGER STUDIENAUS DEM GEBIET DEK GESCHICHTE.

    HERAUSGEGEBEN

    VON

    G. BUCHHOLZ, K. LAMPRECHT, E. MARCKS, G. SEELIGER.

    VL BAND, 1. HEFT:

    Fkitz Curschmann: Hungersnte im Mittelalter.EIN BKITEAG ZUR DEUTSCHEN WIBTSCHAPTSGESCHICHTE DES 8. BIS 13. JAHRHNDEBT8.

    LEIPZIG,DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER.

    1900.

  • HUNGERSNTE IM MITTELALTER.

    Em BEITRAG ZUR DEUTSCHENWIRTSCHAFTSGESCHICHTEDES 8. BIS 13. JAHRHUNDERTS.

    VON

    FRITZ CTJRSCHMANN.

    LEIPZIG,DRCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER.

    1900.

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    638G81

    Aus dem Historischen Seminar an der Universitt Leipzig.Prof. Dr. Lamprecht.

    ALIiE RECHTE,EJNSOHIilESSIilCH DES BEBSETZK6SBECHTS , YOBBEHALTEX.

  • Vorrede.

    Wenn ich die vorliegende Schrift jetzt der ffentlichkeitbergebe, so mchte ich ihr einige Worte vorausschicken.

    ber den ersten, den darstellenden Teil, habe ich wenigzu bemerken. Es war ein sprder Stoff, den ich zu bewltigenhatte. Ich hoffe, nicht zu weitschweifig geworden zu sein inder Angabe von Einzelheiten, die in ihren oft abenteuerlichenbertreibungen historisches Interesse nur in beschrnktemMafse beanspruchen knnen, andererseits hoffe ich auch, nichtzu knapp geschrieben zu haben, so dafs die Bilder der Ver-gangenheit an Anschaulichkeit verlieren. Ich weifs nicht, obman die Darstellung des Verlaufes einer Hungersnot in einemgleichsam typischen Bilde, wie man es aus den zahlreichenEinzelschilderungen htte entnehmen knnen, vermissen wird.Ich habe darauf verzichtet. Das Bild wre doch farblos ge-worden gegen die mit naiver Kraft entworfenen Bilder in denalten Quellen.

    Bei der Gestaltung des zweiten Teiles, der Chronik derelementaren Ereignisse, habe ich manche Bedenken gehabt.Dass eine solche Chronik von allgemeinem wirtschaftsgeschicht-.liehen Interesse ist, und vielleicht auch fr das Detail derpolitischen Geschichte manchen Aufschlufs liefern kann, glaubeich annehmen zu drfen. Es sind ja auch schon mehrfachsolche Zusammenstellungen gegeben worden von Alwin Schulzin seinem hfischen Leben zur Zeit der Minnesnger, Band I,S. 102 ff., von Lamprecht im deutschen Wirtschaftsleben, Band I,S. 15371557; ebenso bieten manche Regestenwerke, wie z. B.die mittelrheinischen Regesten von Goerz, bei den einzelnenJahren Angaben ber die Witterungsverhltnisse des behan-delten Gebietes.

    Der Umfang, den meine Chronik der elementaren Ereig-nisse allmhlich angenommen hat, hat mir Bedenken erregt.Es mag unnatrlich erscheinen, wenn dieser Teil den dar-stellenden Teil an Umfang bedeutend bertrifft. Aber frmeine Arbeit war es ntig, jede noch so unbedeutende Notiz,

  • VI Vorrede.

    die sich auf Witterungsverhltnisse, die Ernte und hnlichesbezog, zu sammeln. Ich habe bei der Zusammenstellung oftzu krzen versucht, mich schliefslich aber doch entschlossen,das Material vollstndig, wie ich es gesammelt habe, wieder-zugeben und ich hoffe damit nichts Unntzes gethan zu habenund ber mein engeres Gebiet hinaus anderen Forschemmanches ntzliche wirtschaftsgeschichtliche Material zu liefern.Krzungen, die ich doch vorgenommen habe, beziehen sichentweder auf wirklich gleichgltige Einzelheiten, oder es sindan diesen Stellen Dinge, die schon vorher gesagt sind, mitbertriebener Breite weiter ausgefhrt. Jedenfalls habe ichalle solche Krzungen durch Gedankenstriche kenntlich ge-macht ( ).

    Ich hatte ursprnglich die Absicht, auch noch Preis-tabellen hinzuzufgen, ich habe dann aber darauf verzichtet,weil die Zusamenstellung der zerstreuten Einzelpreise wenigunmittelbaren Nutzen gehabt htte. Um aber diese Preis-angaben doch leicht auffindbar zu machen, habe ich wenig-stens alle Getreidepreise, weil sie die wirtschaftlich wichtig-sten sind, durch gesperrten Druck hervorgehoben. SonstigeHervorhebungen durch Sperrdruck sollen lediglich dazu dienen,die bersicht zu erleichtern oder besonders interessante undwichtiare Stellen hervorzuheben.

  • Inhalt.

    I. Teil.Seite

    Einleitung 1Frhere Bearbeitungen 1Quellen 25Rumliche Begrenzung des behandelten Gebietes 67Zeitliche Begrenzung 8Hungersnte und Seuchen 9Farnes und caristia 1011

    Auffassung der Zeitgenossen ber die Entstehungder Hungersnte 12 17

    Verschiedene Ursachen fr die Entstehung derHungersnte 1824

    Dauer und rumliche Ausdehnung der Hungersnte. 2530Verschiedene Arten der Hungersnte 3134Versuch einer Statistik 3546Wirkungen der Hungersnot 47

    Notstandspreise 47Wucher 61Verhalten der grofsen Massen in der Notzeit 5254Allgemeine Verarmung

    .

    5457Nahrung in der Notzeit 5759Menschenfresserei 5960Krankheiten 6162Wanderungen der Notleidenden 6268

    Notstandspolitik 69Geistliche und Laien 69Notstandspolitik Karls des Grofsen 7073Notstandspolitik von Frsten und Stdten 7476Kirchliche Notstandspolitik 7781

    Tabellen ber Dauer und Ausdehnung der einzelnenHungersnte 8285

    II. Teil.

    Chronik der elementaren Ereignisse 87217

  • rI.

    DASTELLENDE TEIL.

  • Einleitung.

    Frhere Bearbeitiingen.

    Eine eingehende Behandlung der mittelalterlichen Hungers-nte, wie sie die vorliegende Arbeit geben will, kann viel-leicht als ein etwas sonderbares Thema erscheinen. EineHungersnot ist ein Unglck, das mehr oder weniger zuflligentsteht, durch schlechte Ernte, Hagel, berschwemmung,Krieg oder durch eine Vereinigung solcher unglcklichen Um-stnde. Eine rein descriptive Aufzhlung von Unglcksfllenaber, auch wenn sie ein ganzes Land betroffen haben, magwohl an sich verdienstlich sein, wrde aber fr eine weiterehistorische Erkenntnis doch nur wenig bedeuten.

    Indefs eine Geschichte der Hungersnte kann mehr be-sagen. Den Anstofs zur Entstehung der Hungersnte gebenallerdings elementare Ereignisse, die wir nicht anders, wie alsetwas Zuflliges auffassen knnen. Allein fr den Charakterdieser Nte kommt denn doch als ein zweiter, sehr bedeuten-der Faktor, der Widerstand in Betracht, den die Wirtschaftdes bedrohten Landes leistet. Von diesem Standpunkte auskann eine Geschichte der Hungersnte dann wohl als eineinigermafsen wertvoller Beitrag zur Erkenntnis der wirt-schaftlichen Entwicklung einer bestimmten Zeit erscheinen.

    Fr eine Arbeit in diesem Sinne fehlen aber bis jetzt fastalle Vorarbeiten. Das Buch von L. Torfs, Fastes des cala-mites publiques survenues dans les Pays-Bas et particu-lierement en Belgique, depuis les temps les plus recules jus-qu nos jours, Paris et Tournai, H. Casterman 1859, scheintseinem Titel nach allerdings wenigstens fr ein gewisses be-schrnktes Gebiet das Thema zu erledigen. Es zerfllt indrei selbstndige Abschnitte, die von Hungersnten, ber-schwemmungen und Epidemien handeln. Leider ist aber dasBuch fr eine wissenschaftliche Benutzung gnzlich imbrauch-bar. Nur aus einigen Andeutungen lXst sich erkennen, dafsder Verfasser als Quellen fr seine Darstellung einzig undallein einige grofse Kompilationen des 17. und 18. Jahrhundertsbenutzt hat. Woher seine einzelnen Nachrichten stammen,lfst sich hufig nicht feststellen, da er Citate berhaupt nicht

    Leipziger Studien VL 1: Carschmunn, Hungersnte. 1

  • 2 Einleitung.

    kennt. Bei der Benutzung eines solchen Materials und dieserArbeitsweise kann man natrlich keine gesicherten Resultateerwarten, wenn auch die bei Torfs angegebenen Notjahre zumTeil mit denen bereinstimmen, die ich mit Hilfe des origi-nalen Quellenmaterials gefunden habe. Dazu kommt, dafsTorfs als echter Ultramontaner die Tendenz verfolgt, nach-zuweisen, dafs fast alles Gute in der Welt von den Mnchenkommt. Als klassisches Beispiel dafr mag es dienen, dafs eres einmal fr ntig hlt hervorzuheben, besonders wie auchein protestantischer Schriftsteller die segensreiche Wirksam-keit der Mnche bei der Hungersnot von 1272 in Frieslandanerkennt.^)

    Etwas brauchbarer ist schon ein Aufsatz von L. Wasser-mann im Katholik"^) unter dem Titel Die Hungerjahre unddie Klster in alter Zeit". Auch dieser Verfasser schreibt mitder Tendenz die Zeitgenossen daran zu erinnern, mit welchheroischer Selbstverleugnung die viel verleumdeten Mncheimseren Voreltern in den Zeiten grfster Not Hilfe gebrachthaben." Dem entsprechend findet sich in dem Aufsatze eineAneinanderreihung einer grofsen Anzahl von Einzelheiten ausallen Zeiten und Lndern ber die Wohlfahrtspflege der Klsterin Notjahren. So weit die Angabe nach Zeit und Gegend,aus der sie stammten, fr mich in Betracht kamen, waren siemir meist schon bekannt, neu wurde ich nur auf die mira-cula Volcuini und eine Stelle in der Hist. Frisingensis vonMeichelbeck hingewiesen.

    Im brigen ist die Geschichte der Hungersnte nur nochfr das Moselland schon einmal bearbeitet worden, allerdingsnicht selbstndig, sondern im Zusammenhange eines grfserenWerkes von Lamprecht in seinem Deutschen Wirtschafts-leben. ^) Diesen Ausfhrungen verdanke ich die Hauptanregungfr die vorliegende Arbeit. Die Resultate, die hier fr einkleineres Gebiet festgestellt worden sind, habe ich meist auchfr das brige Deutschland besttigt gefunden.

    Quellen.

    Als Quellen dienten der vorliegenden Arbeit fast aus-schliefslich die erzhlenden Geschichtsdenkmler des Mittel-

    1) Torfs, S. 173 Bien d'autres" dit Van Rhyn, seraint galementmorts de besoin, sans les secours charitables des religieux." Cet aveud'un homme qui ne professait pas une grande admiration pour les in-stitutions monastiques, est prcieux recueillir; il confirme les faitsrapports par Heylen." Die Nachricht selbst stammt natrlich von Menko.

    2) Der Katholik", 72. Jahrgang, Dritte Folge, V. Band, 1892.3) 8. I, 589 flF. und 1537 ff. Chronik der elementaren Ereignisse.

  • Einleitung. 3

    alters. Dabei war die Ausbeute, die die einzelnen Autorenlieferten, sehr verschieden. Gerade eine Anzahl der gefeier-testen Namen der mittelalterlichen Geschichtsschreibung werdenin den folgenden Ausfhrungen ganz oder doch fast ganzfehlen, so um nur einige zu nennen, Widukind, Wipo, Thietmar,Adam von Bremen, Otto von Freising. Man sieht, es sindAutoren, deren ganzes Interesse auf die Ereignisse des Staats-lebens gerichtet ist. In ihre wohlgeordneten Geschichtswerkepafste eine bunte Aufzhlung von allem, was wunderbar oderauffllig ist, von Hagel, Krankheit, Hungersnot und Mifs-geburten, nicht hinein; und eine Betrachtung der wirtschaft-lichen Mchte in ihrer Bedeutung fr den gesamten Verlaufder Geschichte lag ihnen natrlich noch fern.

    Naive, unbekannte Mnche, die aufschrieben, was ihnenin ihrem engen Lebenskreise bemerkenswert erschien, liefertendagegen oft die wertvollsten Nachrichten. Im allgemeinen er-geben die einfachsten Annalen bei weitem das beste Ma-terial, aus ihnen liefs sich ein gewisser. Grundstock von Nach-richten entnehmen; sie dienten in erster Linie zur zeitlichenund rtlichen Fixierung der einzelnen Hungersnte. Am wert-vollsten waren hier oft wieder die allerkrzesten und sonstsehr unbedeutenden Annalen, Werke, die oft noch wirklichauf Ostertafeln eingetragen waren, die nichts von allen grofsenEreignissen der Welt wissen und die neben ihrer Abtreihehufig nicht viel mehr enthalten, als eben Nachrichten berNaturereignisse, ber Krankheiten von Menschen und Viehund was dem Verfasser sonst wunderbar und bemerkenswerterschien. Solche Nachrichten haben den Vorteil, dafs sieauthentisch sind, meist sind sie im Jahre des Ereignissesselbst niedergeschrieben oder sttzen sich doch auf unmittel-bare gleichzeitige Nachrichten, in der Regel enthalten sie nebender Angabe fames valida, hiemps prolixa oder hnlichemkeine nheren Bestimmungen, besonders keine Ortsangaben,sie beziehen sich eben nur auf den Ort der Niederschrift undseine nhere Umgebung. Eine Schwierigkeit bot die Bearbei-tung dieser kurzen Annalen insofern, als gerade sie hufigvon einem Kloster in das andere bertragen worden sind, umdort den Anfang eigener Klosterannalen zu bilden, oder aber,was die Benutzung noch schwieriger macht, mit schon vor-handenen Annalen vermischt zu werden. Um ein charakteri-stisches Beispiel dieser letzteren Art anzufhren, erwhne ichdie Fortsetzung der Annalen von Lobbes.^) Diese Fortsetzungist mit den Weifsehburger Annalen derartig verbunden worden,

    1) Ann. Laub. cont. S. S. IV, 20 u. Ann. Weifsenburg. ed. Holder-Egger, Lamperti monach. Hersfeld, opera, p. 53, 56; vgl. bes. a. 1068, 1069.

    1*

  • 4 Einleitung.

    dass wir jetzt Witterungsangaben, die fr das Elsafs gelten,scheinbar auf Belgien bezogen wiederfinden. hnlicli ist esmit den Achener Annalen gegangen, die in Erfurt^) wieder auf-tauchen, wo sie sich allerdings leicht durch ihre Angaben inAchener Mafs verraten.

    Bei der hchst mhsamen Arbeit der Zurckfhrung dereinzelnen Stellen auf ihren Ursprungsort, boten mir oft schondie Ausgaben der M. G. S. S. bedeutende Hilfe. Die wert-vollste Fhrung durch dieses Labyrinth aber waren mir dochWattenbachs Geschichtsquellen, ohne die die vorliegende Arbeitberhaupt kaum mglich gewesen wre. So weit es ntigschien, habe ich aufserdem auch noch auf die Spezialunter-suchungen zurckgegriffen und mchte in dieser Hinsicht be-sonders Redlichs Aufsatz ber die sterreichische Annalistikim zweiten Bande der Mitteilungen des Instituts fr ster-reichische Geschichtsforschung erwhnen; dazu kamen zahl-reiche kleinere Untersuchungen, wie sie sich besonders imneuen Archiv fr ltere deutsche Geschichtskunde zerstreutfinden. So schwierig die Aufgabe der richtigen Fixierung dereinzelnen Nachrichten oft war, so glaube ich doch hier fastberall zu einem abschliefsenden Ergebnisse gekommen zu sein.

    Einfacher schon war die Verbesserung der chronologischenFehler in den Annalen. Es handelte sich hier fast immer umden Nachweis einer Verschiebung der Zahlen um ein oderzwei Jahre, wie sie wohl meist erst beim Abschreiben derOrigiualquellen entstanden ist. Hier liefs sich das Richtigegewhnlich schon durch eine Nachprfung der zu demselbenJahre berichteten politischen Ereignisse finden.

    Die Nachrichten, die in den ausfhrlicheren Chronikengeboten werden, haben schon einen anderen Charakter. DieNachrichten der Annalen dienten zur Festlegung der einfachenThatsachen, die eingehenderen Berichte der Chroniken bietendie wnschenswerte Illustrierung der Vorgnge im Einzelnen.Dafr ist aber bei ihnen oft die zeitliche Bestimmung un-sicher und lfst sich nur mit Hilfe der aus den Annalen ge-wonnenen festen Grundlage erreichen. So datieren z. B. Si-fried von Ballhausen und der Mnch von Frstenfeld beideeine Hungersnot in Bhmen nur durch die Angabe nach demTode Ottokars". Man wrde also hiernach versucht sein, siein das Jahr 1278 zu setzen, whrend sie thatschlich erstzwei Jahre spter begann. Auf die Erwhnung dieser Hungers-not folgt dann bei dem Monach. Frstenfeld, bald eine andere:etwas vor oder nach dem Regierungsantritt Rudolfs", ist sie

    1) Ann. S. Petri Erphesfurd. S. S. XVI, 20 und Ann. Aquensea S.S. XXIV, 37, 38; vgl. die Jahre 1146, 1150 u. 1162.

  • Einleitung. 5

    datiert; es handelt sich, wie sich durch Hinzuziehung anderer,besonders annalistiseher Quellen, ergiebt, um das Jahr 1271.Sehr hufig fehlt aber eine nhere Bestimmung in den Chro-niken ganz, so dafs sich nur aus den begleitenden Umstndeneine Datierung finden lfst.

    Die Gesta der Bischfe und bte sind den Chronikennahe verwandt, sie sind aber oft sehr spt niedergeschriebenund enthalten fr den vorliegenden Zweck verhltnismfsigwenig. So finden sich z. B. in der ganzen langen Reihe derGesta Treverorum nur zwei Nachrichten.

    Auch in den Heiligenleben fand ich auffallend wenigbrauchbares Material; wirklich genaue Angaben mit festerDatierung wird man ja hier kaum suchen, aber auch fr dieAnschauung der Zeit bieten sie nicht viel. In der Lebens-beschreibung selbst berwiegt der erbauliche Inhalt sehr, undauch in ihren Wundern zeigen die Heiligen fr unseren Zweckzu wenig Abwechslung, sie heilen immer nur Blinde undLahme und haben nie ein Wunder gegen die Hungersnot voll-bracht. Aus diesen Grnden habe ich darauf verzichtet, diesesungeheure Material vollstndig durchzusehen, ich habe michauf die Heiligenleben, die in den M. G. S. S. abgedruckt sind,beschrnkt mit Ausnahme von wenigen, die allzu spt ver-fafst waren; und ich glaube mit dieser Begrenzung nichtswichtiges bergangen zu haben. Einen Ertrag gaben abernur verhltnismfsig wenige, meist sehr bald nach dem Todeihres Heiligen verfafste Biographieen, die sich auch sonst vorder brigen Litteratur dieser Art auszeichnen. Ich nenne hierin erster Linie die sehr wertvolle Passio Karoli comitis Flan-driae, ferner die Leben Heriberts von Kln und Ottos vonBamberg.

    Grundstzlich habe ich auf die Durchsicht von Ur-kunden und Briefen verzichtet, ich glaube mit gutem Rechte,denn bei der ganzen Natur dieser Quellen ist auf einen Er-trag kaum zu rechnen. Ist dies schon von vornherein leichtglaublich, so sprechen dafr auch noch mehr Ergebnisse vonWerken, die dieses Material verarbeitet haben. LamprechtsWirtschaftsleben, das zum ganz berwiegenden Teile auf Ur-kundenstoff beruht, enthlt in der Chronik der elementarenEreignisse nur eine einzige Stelle aus einer Urkunde, die sichauf eine Hungersnot bezieht. Die Jahrbcher des deutschenReichs erwhnen die meisten bedeutenden Hungersnte undgeben das Qu eilenmaterial fast vollstndig an, und doch findetsich hier nur einmal eine Stelle aus einem Briefe.

    Noch eine Quellengruppe ist zu erwhnen, die Kapitu-larien der frnkischen Zeit. Sie ergaben ein aufserordentlichwertvolles Material, besonders fr die Notstandspolitik Karls

  • 6 Einleitung.

    des Grofsen; einmal liefs sich auch eine Hungersnot, wo dieAnnalen schweigen, allein aus den Kapitularien bestimmen.Die spteren Kaiser haben nur noch wenige Gesetze gegebenund sich darin nie mit Wohlfahrtspolitik befafst. Ich habediese Gesetze nicht einzeln durchgeprft, ich kann mich hierwohl wieder mit Recht auf das Schweigen der Jahrbcherberufen, die Material, was hier vorhanden gewesen wre, nichtunbercksichtigt gelassen htten.

    Ein vollstndiges Verzeichnis aller zu der vorliegendenArbeit benutzten Quellenschriften wrde zu weit fhren, eswre eine Aufzhlung von mehreren Hundert Namen, imwesentlichen eine Wiedergabe der Titel aus den Inhaltsangabender Monumenta Germaniae. Ein sehr grofser Bruchteil vonSchriften wrde auch darunter sein, deren Durchsicht keinResultat ergab, die also in Wirklichkeit fr diese Arbeit nichtin Betracht kamen. Irgend eine innerliche Scheidungsliniezwischen den Schriftstellern, die Material enthalten, und denen,die nichts beibringen, giebt es nicht. Im ganzen liefern dieAnnalen vielleicht y^, oder mehr allen Stoffes, und hchstselten fand sich einmal eine Nachricht ber eine Hungersnotin einem Knigs- oder Bischofskatalog, aber auf der anderenSeite giebt es auch Annalen, die keine Nachricht bringen,und einige vereinzelte Nachrichten finden sich auch in denKatalogen.

    Rumliche Begrenzung des behandelten Gebietes.

    Was die rumliche Abgrenzung des von mir behandeltenGebietes angeht, so bin ich mir wohl bewuTst, dafs dieses Ge-biet weder geographisch, noch wirtschaftlich, noch politischein vollkommen abgeschlossenes Ganzes bildet. Wenn auchdie Behandlung von ganz Europa oder auch nur Mitteleuropanach der berlieferung der Quellen so gut wie unmglichwar, so htte es doch nahe gelegen, wenigstens Deutschlandund Frankreich zusammen zu behandeln. Wenn ich michdennoch entschlofs, mich auf Deutschland zu beschrnken, sobestimmten mich dazu Erwgungen von rein praktischerNatur. Eine Arbeit, die sich ber sechs Jahrhunderte er-streckt und die die ganze historische Quellenlitteratur dieserZeit heranziehen will, lfst sich exakt nur mit einem einheit-lichen publizierten und durchgearbeiteten Material ausfhren,wie es fr Deutschland eben in den M. G. S. S. vorliegt. FrFrankreich giebt es zwar auch in dem Recueil des historiensdes Gaules et de la France eine grofse Sammlung, aber siekann in ihrer Brauchbarkeit doch nicht mit den Monumentenverglichen werden. Die Kritik der einzelnen Quellenstellen

  • Einleitung. 7

    wre unendlicli viel schwieriger und in ihren Ergebnissen sehrviel unsicherer gewesen. Schon die Hilfe, die die M. G.S. S. in Bezug auf originale und abgeleitete berlieferungdurch den verschiedenen Druck gewhren, fehlt, und dieQuellenkritik ist hier berhaupt noch nicht so weit durch-gefhrt, wie fr Deutschland, wo sie fr meine Zwecke in ge-ngender * Abgeschlossenheit vorliegt. Ich habe im Verlaufeder Arbeit gewifs noch oft auch fr Deutschland die Richtig-keit der geltenden Ansichten in dieser Richtung nachprfenmssen, aber eine quellenkritische Prfung selbstndig vor-zunehmen, wie das bei Heranziehung der aufserdeutschenQuellen oft ntig gewesen wre, ist bei einer Arbeit, die zu-sammenfassen will, unmglich.

    Geographisch beschrnkt sich die Untersuchung also aufDeutschland. Doch habe ich unter dieser grundstzlichen Be-schrnkung, um auch fr die Grenzgebiete mglichst richtigeResultate zu erreichen, das Gebiet immerhin sehr ausgedehnt.Im Westen ist Belgien vollkommen einbezogen worden, sodafs die ufsersten Quellen der Gegend von Calais und Cambraiaugehren. Bei einem im Mittelalter so viel benutzten Schrift-steller wie Vincenz von Beauvais, bin ich auch noch betrcht-lich ber die angedeutete Linie hinausgegangen. Weiter sd-lich sind vollstndig benutzt die Quellen aus den BistmernVerdun, Toul und Dijon, aufserdem noch Rodulfus Glaber, undeinige kleinere Quellen aus Lausanne. Alle diese Quellen bisauf Rodulfus Glaber, finden sich noch in den M. G. S. S. ab-gedruckt. Um fr diese Grenzgebiete noch eine Kontrolle zuhaben, habe ich aber fr die wichtigsten Notjahre auch denIndex chronologicus des Recueil des historiens des Gaules etde la France, bis zum elften Bande, zu Rate gezogen; von daan mufste ich mich freilich mit dem Sachverzeichnisse be-gngen. Es ergaben sich dabei fr das Gebiet stlich derLinie Calais-Dijon berhaupt keine neuen Nachrichten, undauch fr das brige Frankreich fand sich auffallend wenigNeues, so dafs ich schliefslich glaube, thatschlich auch frden grfsten Teil von Frankreich, eine fast vollstndige Reihevon Hungersnten gegeben zu haben.

    Die Sdgrenze meines Gebietes ergiebt sich von selbstdurch den Zug der Alpen. Einzelne Angaben ber Italien,die fr die ltere Zeit zu erwhnen von Interesse war, ver-danke ich den Angaben in den Jahrbchern der deutschenGeschichte.

    Im Osten llst sich gegen die weiten Ebenen von Ungarnund Polen eine geographisch berechtigte Grenze berhauptnicht ziehen, aber hier besteht eine Kulturgrenze. stlichder Linie Wien-Krakau etwa giebt es fr die von mir be-

  • 8 Einleitung.

    handelte Zeit keine brauchbaren Quellen mehr. Fr den nord-stlichen Teil der norddeutschen Tiefebene aber fehlen Nach-richten fast ganz, so dafs sich berhaupt ein sicheres Bildber die Lage in diesen Lndern nicht entwerfen lfst.f

    Die Nordgrenze des behandelten Gebietes endlich ergiebtsich meist von selbst durch das Meer, nur in Dnemarkknnte die Abgrenzung Schwierigkeiten machen. Ich habeDnemark ganz von der Betrachtung ausgeschlossen, denn esfindet sich in den dnischen Quellen, die erst sehr spt ein-setzen, abgesehen von der grofsen Hungersnot von 131517,nur eine Hungersnot von 1283, die aber mit keiner Hungers-not in Deutschland zusammentrifft. Aufserdem scheinen sichhier die Verhltnisse, und dies tritt noch mehr hervor, dadie wichtigste Quelle auf Seeland geschrieben ist, schon sehrdem sdlichen Schweden zu nhern.

    Mit der soeben mitgeteilten Begrenzung glaube ich immer-hin ein ziemlich gleichartiges Gebiet umschrieben zu haben;es ist das Land, auf dem sich whrend des Mittelalters imwesentlichen die deutsche Geschichte vollzieht, es ist ein Ge-biet, das von Deutschen bewohnt wird oder unter unmittel-barem deutschen Einflsse steht, mithin wohl eine Gewhrfr gengende kulturelle Gleichheit als Voraussetzung fr diefolgenden Untersuchungen bietet.

    Zeitliche Begrenzung.

    Der Anfangstermin fr die vorliegende Untersuchung,ca. 700, ergiebt sich von selbst, da um diese Zeit die ltestenAnnalen beginnen.

    Als Endtermin habe ich das Jahr 1317 angenommen.Das erscheint willkrlich und bedarf einer Erklrung. DieVernderungen in der Wirtschaft vollziehen sich allmhlich,jede Periodeneinteilung hat hier etwas mehr oder weniger Ge-waltsames. Aufgehrt haben die Hungersnte auch nicht im14. Jahrhundert noch spter, wir haben noch im Jahre 1848bis 1849 in einem Teile Deutschlands eine Hungersnot er-lebt, die in sehr vielen ihrer Symptome vollkommen denHungersnten frherer Jahrhunderte glich. ^) Bei meiner Be-grenzung haben mich folgende Grnde geleitet: Um 1250 istein Einschnitt in der mittelalterlichen Geschichte allgemeinblich; wirtschaftlich ist die Zeit nachher besonders durch dieimmer wachsende Bedeutung der Stdte bezeichnet. Wie weit

    1) Virchow, Gesammelte Abhandlungen aus dem Gebiete der ffent-liclien Medizin, I, 234 ff. Mitteilung ber die in Oberschlesien herr-schende Typhusepidemie.

  • Einleitung. 9

    diese nderung der wirtscliaftlichen Verhltnisse einen Ein-flufs auf die Entstehung und den Verlauf der Hungersnteausgebt hat, kann ich nicht sagen, aber es ist nicht un-wahrscheinlich, dafs sich ein solcher Einflufs fr die sptereZeit wrde nachweisen lassen. Eine Arbeit, die sich mitimmer wiederkehrenden elementaren Ereignissen beschftigt,mufs sich bei der Vergleichung und Gruppierung grofser, be-stimmter Zeitabschnitte bedienen, wie sie in den Jahrhundertenvon selbst gegeben sind, es lag darum nahe die Untersuchungenbis 1300 auszudehnen. ber diesen Zeitpunkt bin ich nochetwas hinausgegangen, weil es sich zeigte, dafs gleich in demAnfang des 14. Jahrhunderts eine ganz bedeutende, allgemeine,ja vielleicht die am weitesten ausgedehnte Hungersnot des be-handelten Zeitabschnittes berhaupt fllt. Dieser Umstandlieferte nicht nur sehr wertvolles neues Material, sondern ver-htete auch verhngnisvolle falsche Schlufsfolgerungen, diesonst aus dem langen Aussetzen allgemeiner Hungersnte leichthtten gezogen werden knnen. Die Zeit nach 1317 verluftdann bis zum schwarzen Tode ziemlich ruhig, ohne besondereelementare Ereignisse.

    HTingersnte und Seuchen.Im brigen bedarf mein so zeitlich und rtlich abge-

    grenztes Arbeitsgebiet noch einer sachlichen Begrenzung. Diestndigen Begleiter der Hungersnte sind grofse Volkskrank-heiten. Fames und mortalitas sind fr den mittelalterlichenAnnalisten fast untrennbare Begriffe. Es htte darum sehrnahe gelegen, gleichmfsig mit der Geschichte der Hungers-nte auch eine Geschichte der Seuchen zu geben, da beide Er-scheinungen meistens neben einander hergehen, freilich auchnur meistens; es giebt auch selbstndige Epidemieen, ich er-whne hier nur die grofse Ausdehnung des ignis sacer imJahre 1094. Das vorliegende Material gengt nun aber nicht,um das Wesen dieser Seuchen recht zu erfassen; die Be-schreibungen der Krankheiten sind zu selten, und es wre freine Seuchengeschichte sicher notwendig, noch weiteres Ma-terial beizubringen und besonders auch die italienischen undfranzsischen Quellen in ihrem ganzen Umfange heranzuziehen.Das wrde aber zu sehr von dem eigentlichen hier behan-delten Gebiete abgefhrt haben.

    Ein weiterer Grund, warum ich von einer eingehenderenBehandlung der Seuchen abgesehen habe, ist der folgende.Sind schon Beschreibungen der Krankheitserscheinungen ber-haupt selten, so verliert vollends beim Eintritt des grfserenbels der Hungersnot der mittelalterliche Schriftsteller jedes

  • 10 Einleitung.

    Interesse fr das Krankheitsbild, er begngt sich mit derThatsache, dafs viele Menschen sterben, die Ursachen, ob sieverhungern oder an einer oder etwa verschiedenen Krank-heiten sterben, sind ihm gleichgltig. Diese Lage des Quellen-materials mufs dazu veranlassen, hnlich zu verfahren. Ichwerde daher spter an geeigneter Stelle die Seuchen, die dieHungersnte begleiten, im wesentlichen nur in ihrer grofsenFolgeerscheinung, der grofsen Sterblichkeit, betrachten, ohneden einstweilen aussichtslosen Versuch zu machen, nher aufdas Wesen der einzelnen Krankheiten einzugehen.

    Farnes und oaristia.Noch eine Vorfrage ist zu erledigen, bevor ich das Thema

    selbst angreife, die Frage, wie findet in den mittelalterlichenQuellen die Thatsache der Hungersnot ihren Ausdruck, ins-besondere mit welchem Worte drcken die Quellen den Be-griff der Hungersnot aus?

    Da kann nun bis zum Beginne des 13. Jahrhundertskein Zweifel bestehen; uns mag es schwierig erscheinen, denBegriff der Hungersnot zu definieren, fr das Mittelalter wares ein feststehender Begriff, imd fames ist das Wort, das da-fr gleichmfsig immer wiederkehrt. Von dieser Zeit an abertritt das Wort caristia auf und wird allmhlich immer hu-figer. Ist nun caristia etwas anderes als fames? Ohne Zweifelist caristia ursprnglich das mildere Wort, es heifst eben nichtHungersnot, sondern Teuerung^), es setzt also schon ent-wickeltere Verhltnisse voraus, wie das ja auch sein Auftretenerst in den spteren Jahrhunderten beweist. Bedeutete nuncaristia wirklich immer nur Teuerung, so knnte es leicht einfalsches Bild geben, wollte man die Nachrichten ber caristiaim 13. Jahrhundert gleichmfsig mit den Nachrichten vonfames in der frheren Zeit zusammenstellen. Teuerungen kannes auch in den frheren Jahrhunderten gegeben haben, aberes ist uns kaum etwas davon berliefert, nur das ganz Auf-fallende, Schreckliche war des Aufschreibens wert. Nun findensich aber im 13. Jahrhundert eine ganze Anzahl von Stellen,bei denen nicht nur alle Begleiterscheinungen der caristia freine Hungersnot sprechen, sondern es giebt auch Stellen, wodie alten Schriftsteller deutlich beide Worte in gleichem Sinnegebrauchen. Vom Jahre 1277 heifst es in einer sterreichi-schen Quelle^): Eodem anno maxima caristia in Karinthiafacta est, ita ut homines se invicem comederent." Dafs hier

    1) Du Gange ed. L. Favre 1883, tom. 11, 171.2) a. 1277 Cont. praedicat. Vindob. S. S. IX, 730, 38.

  • Einleitung. 11

    eine wirkliche Hungersnot gemeint ist, kann wohl nichtzweifelhaft sein. Im Jahre 1320 gebrauchen die Ann. Col-bazienses^) das Wort caristia ganz allgemein zur Bezeichnungder schweren Notepoche der vorhergegangenen Jahre: Hiecessavit caristia magna et strages qua precedentibus tribusannis sive 4 raulti invalescente fame et pestilencia

    mortui sunt. hnliche Beispiele lassen sich noch mehr an-fhren, aus denen hervorgeht, dafs caristia unter Umstndenwirklich Hungersnot bedeuten kann.^)

    Noch hufiger aber ist es, dafs man mit caristia die That-sache grofsen Mangels und hoher Preise bezeichnet, es folgtdann fames und das Sterben vieler Menschen als die unmittel-bare Folge. ^) Darnach lfst sich wohl feststellen, dafs, wenndas Wort caristia auftritt, daraus noch nicht etwa gefolgertwerden darf, dafs hier nur von einer Preissteigerung die Redeist, es kann damit auch eine wirkliche Hungersnot bezeichnetsein. Was gemeint ist, mufs die Betrachtung jeder einzelnenStelle ergeben.

    1) a. 1320 Ann. Colbaz. S. S. XIX, 717, 19.2) 1281 Cont. Claustroneobg. IX, S. S. 746, 22; 1310 Ann. aus

    Dietkirclien M. G. Deutsch. Chr. IV, 1, p. 118; 1316 Ann. Vetrocell. S.S. XVI, 445, 11, Sigismund Rosicz S. S rer. Silesic Xu, 38.

    3) a. 1263 u. 1280 Cosm. cont. Ann. Prag. I S. S. IX, 179, 1 u.W6, 46; a. 1316 Aegid. li Muisis, De Smet Corp. ehr. Fland. n, 207.

  • Auffassung der Zeitgenossen ber die Entstehung derHungersnte.

    Es wird zuerst darauf ankommen, die allgemeine Auf-fassung der Zeit vom Wesen der Hungernte kennen zu lernen.Da sah man nun wohl die elementaren Ereignisse, Frost undHitze, Hagel, Gewitter und berschwemmungen, die denHungersnten vorhergingen; aber die Not nur als ein Produktsolcher Ereignisse aufzufassen, gengte der Zeitanschauungnicht. Die Schriftsteller berichten dergleichen wohl, aberschliefslich liegt fr sie der wahre, letzte Grund fr solchesgrofse, weite Landstriche verheerende Unglck doch tiefer.Man sieht in der Not ein direktes Eingreifen Gottes, eineStrafe fr die Snden der Menschheit. Mehrfach finden wirdiesen Gedanken ausgesprochen, hufig klingt er in den aus-fhrlicheren Schilderungen an. Sed adhuc iratus erat Altis-simus, et residuum maris fame flagellavit et pestilentia'' heifstes in Emos Chronik.^) Ahnlich sprechen sich 400 Jahrefrher Ludwig und Lothar in einem Rundschreiben^) vomJahre 828 aus, in dem es heifst: Quis enim non sentiatDeum nostris pravissimis actibus esse offensum et ad iracun-diam provocatum, cum videat tot annis multifariis flagellisiram illius desaevire, videlicet in fame continua, in mortalitateanimalium, in pestilentia hominum, in sterilitate pene omniumfrugum, et, ut ita dixerim, diversissimis morborum cladibusatque ingentibus penuriis populum istius regni miserabilitervexatum et affiictum atque omni abundantia rerum quodammodo exinanitum."

    Dasselbe Bild der Geifsel Gottes gebrauchen Menko^) unddie Passio Karoli.*)

    1) a. 1219 Emo S. S. XXITI, 490, 32.2) Boret. II, 4, 25. Boretius hlt die Recentio B fr unecht, weil

    man Ludwig im Jahre 828 eine so demtige Sprache nicht zutrauenknne. Deswegen bleibt die Auseinandersetzung doch fr die Anschau-ungen der Zeit charakteristisch, Mhlbacher nimmt Regesten Nr. 828,p. 304 keinen Anstofs.

    3) a. 1249 Menko S. S. XXIII, 543.4) Passio Karoli comit. Fland. c. 2 S. S. XII, 562, 39. Immisit ergo

    Dominus flagella famis et postmodum mortalitatis.

  • Auffassung d. Zeitgenossen b. d. Entstehung d. Hungersnte. 13

    Das Schwert Gottes wird die Hungersnot in den Gestaabbatum Gemblaceusium^) genannt, und als ob dies noch nichtgenge, geht der Verfasser sofort in ein anderes Bild berund vergleicht die Not mit der Belagerungsmaschine, demWidder. Wie der Widder drhnend gegen die Mauern derbelagerten Stadt stfst, so trifft die Hungersnot die Palsteder Reichen und die Htten der Armen. Einen gerechtenRichter nennt Menko^) Gott, weil er die Dnen, die in derNot den Friesen die Hilfe verweigert hatten, im folgendenJahre durch eine Hungersnot straft.

    Auch bse Mchte knnen eine Hungersnot hervorbringen,um den Menschen zu schaden. Einhard^) erzhlt von einemTeufel, der in Hchst durch den Mund eines sechzehnjhrigenMdchens gestanden habe, dass er mit noch elf Genossen nunschon seit Jahren das Frankenreich heimgesucht htte, siehtten alle Saaten verdorben und Krankheit ber Menschenund Vieh gebracht.

    829 erklrte eine Pariser Synode*): Sunt sane diversorummalorum patratores, quos et lex divina improbat et condem-nat pro quorum etiam diversis sceleribus et flagitiis populusfame et pestilentia flagellatur." Es folgt dann eine Aufzh-lung der verschiedenen Missethter. Ebenso wie hier dieVter der Kirche, so sucht in einem anderen Falle das Volkvon Trier in den vorgeblichen Snden eines Einzelnen die Ur-sache fr das allgemeine Unglck.^) Es rottet sich zusammenund will die Zelle des Eremiten Symeon strmen, der als einvielleicht unheimlicher, aber harmloser Gast in der Portanigra hauste. Fr seine Snden soll, wie sie behaupten,berschwemmung und Hungersnot ber das Moselland ge-kommen sein.

    Der bernatrliche Ursprung der Hungersnot zeigt sichauch in dem, was ihr vorhergeht. Die Menschen werden ge-warnt, ehe das Unglck ber sie hereinbricht, damit sie nochvorher Bufse thun knnen^), und Elend und Tod sie nichtunvorbereitet berraschen. Fast jede Hungersnot wird durch

    1) a. 1095 Gest. abb. Gembl. cont. auct. Godeschalco S. S. VIII,547, 10 u. a. 1196 Cont. Aquicinct. S. S. VI, 433, 43; a. 1144 Cont. Gembl.S. S. VI, 388, 34.

    2) a. 1272 Menko S. S. XXIH, 560, 18.3) Einhardi transl. et miracula S. S. Marcellini et Petri S. S. XV,

    253, 34. Ego", ait, sum satelles atque discipulus Satanae perannos aliquot sum sociis meis undecim regnum Francorum vastavi; fru-mentum et vinum et omnes alias fruges, quae ad usum hominum deterra nascuntur, iuxta quod iussi eramus, enecando delevimus, pecoramorbis interfecimus, luem et pestilentiam in ipsos homines inmisimus."

    4) Mansi XIV, col. 595. 5) a. 1035 Miracula S. Symeonis S. S.VIII, 210, 40. 6) a. 1125 Passio Karoli c. 2. S. S. XII, 562, 39.

  • 14 Aufassung der Zeitgenossen ber die Entstehung

    schreckliche Himmelserscheinungen eingeleitet, Sonnen- undMondfinsternisse, Kometen, Nordlicht haben ihre schlimmeVorbedeutung.

    Sonnenfinsternisse treffen noch verhltnismfsig seltenmit Hungersnten zusammen, meist knnen die Quellen ausihnen nur das Entstehen von Krankheiten, berschwem-mungen u. s. w. herleiten, aber einige Flle sind noch ber-liefert.

    Am 11. August 1124^) fand eine Sonnenfinsternis statt.Sie ist in der Passio Karoli genau beschrieben und der Ver-fasser giebt an, dafs man sie als ein Vorzeichen der kommen-den Hungersnot betrachtete. Von derselben Finsternis sprichtauch Cosmas^), es folgt darauf eine Seuche unter den Rindernund Schweinen, die Bienen sterben und die Ernte verdirbt.Ebenso bringen die Ann. Hildesh.^) und die Summa Honorii*)diese Finsternis mit der Hungersnot in Verbindung. Aufser-dem sind mir noch folgende Flle bekannt geworden, wo dieQuellen unzweifelhaft diese Verbindung annehmen: 19. Juli 939totale Sonnenfinsternis, es folgt eine Hungersnot in Italien.^)23. September 1093 ringfrmige Sonnenfinsternis, es folgtHungersnot in Sachsen.^) 2. August 1133 totale Sonnen-finsternis, es folgt viel Regen whrend der Ernte in Pader-born.^) 26. Oktober 1147 ringfrmige Sonnenfinsternis, diegrofse Hungersnot des Jahres bestand aber schon seit 1145.*)81. Jan. 1310 ringfrmige Sonnenfinsternis, caristia bladi etvini in Belgien ist die Folge. ^)

    Eine Mondfinsternis geht der Hungersnot zweimalvoran im Jahre 1259 1) und 1263.")

    Viel schlimmere Verkndiger der Hungersnte sind aberdie Kometen, wenn sie erscheinen steht immer ein schweresUnglck bevor. Die Chronisten berufen sich bei ihrer Er-whnung gern auf berhmte Gelehrte, die ber den unheil-vollen Einflufs dieser Gestirne geschrieben haben. So citiert

    1) Dieses und alle folgenden Daten fr Finsternisse aus OppolzerKanon der Finsternisse Bd. LIT der Schriften der math.-naturwiss. Klasseder kaiserl. Akademie der Wissenschaften, Wien 1887.

    2) a. 1124 Cosmas S. S. IX, 129, 9.3) a. 1124 Ann. Hildesh. M. G. S. S. kl. Ausg., p. 66.4) a. 1124 Summa Honorii S. S. X, 131, 23.5) a. 939 Ann. Sangall. maior. S. S. 1, 78. Liudprand lib. V, c. 2

    M. G. S. S. kl. Ausg. 101.6) a. 1093 Ann. August S. S. IH, 134, 17.7) a. 1133 Chr. reg. Col. M. G. S. S. kl. Ausg. 70.8) a. 1147 Chr. reg. Col. M, G. S. S. kl. Ausg. 82; Ann. FlorefiF. S.

    S. XVI, 624, 42; Ann. Brunwil. S. S. XVI, 727, 26.9) a. 1309 Aegid. Li Muisis ehr. de Smet. corp. ehr. Fland. II, 176.

    10) 8. Mai 1259 Ann. Wessof. ed. Leuter Hist. Wessof II, 33.11) 20. Febr. 1263 Cont. Sancr. , S. S. IX, 645, 28.

  • der Hungersnte. 15

    die Cout. Zwetliensis IIP) Beda und andere Gelehrte, nachderen Zeugnis auf einen Kometen immer Hungersnot, Seuchen,Thronwechsel und anderes Unglck folgen soll. Als eineandere Autoritt wird einmal Isidor angefhrt. Er sagte in denOrigines^): Cometes stella est dicta eo quod comas luminisex se fundat. Quod genus sideris quando apparuerit, autpestilentiam, aut famem, aut bella significat." So glauben esalle Chronisten; als ob es eine logische Konsequenz wre, sofolgt bei ihnen auf den Kometen die Hungersnot. Stellacometis. Farnes acerrima'' heilst es in einer sddeutschenQuellengruppe. Stella cometes apparuit, et fames subsecutaest" sagen die Ann. Laub.^) und hnlich andere Quellen. Ineinigen Fllen erscheint der Komet schon im Jahre vor demEintritte des Unglcks, so berichten Alpertus*) und die Ann.atisponenses^). Die merkwrdige Gestalt des Kometen machtebedeutenden Eindruck auf die Beobachter, und besonders derLichtschein des Schweifes erregte ihre Aufmerksamkeit. Die Ann.S. Columbae Senon. vergleichen ihn einmal mit einer Lanze.

    Im Ganzen finden sich 10 Flle ^), wo Hungersnte durchdas Erscheinen von Kometen angekndigt werden: 868, 909,940 oder 941, 1005, 1031, 1145, 1197, 1217, 1264 und 1316.

    1) Confc. Zwetl. III, &. S. IX, 656, 9. Stella que cometa dicitur visaest, per continuos 80 dies; que secundum Bedam et alios doctores osten-tat vel famem, aut pestilenciam, vel mortalitatem, vel mutacionem regni,vel aeris intemperiem, aut ventorum inmanitatem.

    2) Origihes lib. HI c. LXX, 16; Corp. grammatic. lat. vet. HI, 166.3) a. 941 Ann. Laub. S. S. IV, 16, 33.4) a. 1005 Alpert. de diversit. temp. lib. I c. 6. S. S. IV, 704, 9.5) a. 1145 Ann. Ratisp. S. S. XVH. 586, 11.6) a. 868 Ann. SangaU. maior. u. s. w. S. S. I, 76; Ann. S. Co-

    lumbae Sen. S. S. I, 103; Ann. Xant. S. S. 11, 233, 9 u. Ann. Fuld. M,G. S. S. kl. Ausg. 67.

    909 Ann. S. Col Sen. S. S. I. 104.940 u. 941 Ann. Laub. u. s. w. S. S. IV, 16, 33; Herrn. Aug. S. S.

    V, 114, 1; Widukind lib. Hc. 32 M. . S. S. kl. Ausg. 52; Liudprandlib. Vc. 2. M. G. S. S. kl. Ausg. 101.

    1005 Alpert. lib. Ic. 6. S. S. IV, 704, 9; Ann. Laub. S.S. IV, 18, 17-1031 Hist. Franciae fragm. Hist. de Fr. X, 212.1145 Ann. S. Col. Sen. S. S. I, 107; Ann. Brunwil. S. S XVI,

    727, 18; Chr. reg. Col. M. G. S. S. kl. Ausg. 81; Ann. Ratispon. S. S.XVn, 586, 11.

    1197 Ann. Marbac, S. S. XVH, 168, 29.1217 Ann. S. Stept. Frising. S. S. XEI, 56, 1.1264 Cont. Zwetl. m S. S. IX, 656, 9; Ann. S. Rudb. SaUsbg. S

    S. IX, 797, 3 Hist. ann. 12641279 S. S. IX, 649, 20; Ann. Wratislantiqui S. S. XIX, 528, 28; Ann. Pol. m S. S. XIX, 637, 10; Ann. capitCracovic. S. S. XIX, 601, 37; Ann. Wessof. Leuter Hist. Wessof. H, 34

    1316 Ann. Prchens. S. S. XVI 608, 35; Job. de Beka ed. Buche-lius Ultraiceti 1643, p. 108; Jan de Klerk, Buch V, cap. X, v. 845,Collect, des Chroniquea Beiges I, 443; Knigsaal G. Q. lib. I, c 128;Font. rer. Austr. S. S. VIE, 379.

  • 16 Auffassung der Zeitgenossen ber die Entstehung

    Auch noch andere Himmelserscheinungen knnen aufkommendes Unheil deuten. Nach den Ann. Quedlinburg.^) sahman am 4. Februar 1025 mittags die Sonne in dreifacher Ge-stalt am Himmel, quod mirabile prodigium rei eventu posteaconstat probatum." Eine Hungersnot folgte noch in demselbenJahre. Die Ann. Xant.^) zum Jahre 867 berichten von einemNordlicht, es folgt die grofse Hungersnot von 868. Balduinvon Ninove^) erzhlt im Jahre 1192 von einer Lichterschei-nung in der Nacht, so dafs man berall geglaubt, es brennein der Nhe. Es ist das Zeichen fr den Beginn einer grofsenNotperiode.

    Auch einer der Planeten, der Saturn, kann, wie Magnusvon Reichersberg zum Jahre 1145^) mit grofser Gelehrsam-keit auseinandersetzt, die Hungersnot hervorbringen. DerSaturn hat eine sehr kalte Natur; wenn er der Sonne in denSommerzeichen des Tierkreises begegnet, so entsteht regneri-sches und kaltes Wetter, trifft er die Sonne in den Winter-zeichen, so verdoppelt sich die Klte. Damals stand derSaturn im Widder, dem Frhjahrszeichen, er hatte schon 7oder 8 unfruchtbare Jahre gebracht, und jetzt entsteht darauseine Hungersnot. Ganz hnlich berichteten wenige Jahrespter die Magdeburger Annalen.^)

    Ein ganz eigentmliches Vorzeichen einer Hungersnot er-whnen die Ann. Rodenses.^) Zum Jahre 1144 heifst es:Ventus fuit vehementissimus, quem semper ut ferunt famessequitur et carum tempus." Es folgt dann sofort* der Berichtber die Hungersnot desselben Jahres. Derselbe Satz wirdwrtlich 1145 wiederholt und im folgenden Jahre ist wiederdie Hungersnot erwhnt. Verwandte Anschauungen zeigt eineFortsetzung Gottfrieds von Viterbo'^), in der die Hungersnotvon 122425 mit einem Sturme in Verbindung gebrachtwird. Der Sturm soll so heftig gewesen sein, dafs er dieKrner aus den hren herausschttelte, und durch die Mifsernte,die sich hieraus ergab, wurde eine Hungersnot hervorgerufen.Der Autor will hier schon einen urschlichen Zusammenhangherstellen, aber die ganze Vorstellung hat etwas wunderbares.Offenbar derselbe Sturm wurde in Erfurt^) beobachtet imd

    1) a. 1025 Ann. Quedlinburg. S. S. III, 90, 17.2) a. 867 Ann. Xant. S. S. 11, 232, 42.3) a. 1192 Bald. Ninov. S. S. XXV, 537, 40; vgl. Cont. Aquicinct.

    S. S. VI, 428, 13.4) a. 1145 Magnus Reichersberg S. S. XVII, 460, 10.;5) a. 1150 Ann. Magdeburg. S. S. XVI, 190, 44.6) a. 1144 Ann. Rod. S. S. XVI, 717, 5 u. 718, 4.7) a. 1224 Cont. Funiacensis S. S. XXII, 343, 1.8) a. 1225 Cron. S. Petri Erford. mod. S. S. XXX, 390, 8. u. 13.

  • der Hungersnte. 17

    auch hier soll er das Korn aus den hren herausgeschttelthaben.

    Weiter sind noch an einigen Stellen^) die Nachrichtenvon einem Sturm und einer Hungersnot einander so unmittel-bar gegenber gestellt, dafs es fast scheint, als wollten auchhier die Verfasser einen Zusammenhang annehmen. Isidorweifs von der schdlichen Wirkung der Winde nur, dafs derOstwind Krankheiten erregt. Jedenfalls handelte es sich beimWind als Vorzeichen einer Hungersnot um keinen weit ver-breiteten Volksglauben.

    1) a. 1145 Cont. Meli. S. S. IX, 503, 31; 1217 Ann. S. Benig. Div.S. S. V, 48, 46; a. 1263 Ann. Wessof. ed. Leuter Hist. Wessof. 11, 34.

    1/eipziger StucHen, VI. 1: Curschmann, Hungeisn&te.

  • Verschiedene Ursachen fr die Entstehung der Hungersnte.

    Gehen wir nun zu den thatsclilichen Grnden fr dasEntstehen einer Hungersnot ber, so lfst sieh sofort er-kennen, dafs Mifsernten in der ganz berwiegenden Mehrzahlder Flle die Ursache der Hungersnte sind. Das ist fastselbstverstndlich, denn was soll sonst den dringenden Mangelan Getreide, und darin liegt doch das Wesen der Hungersnot,hervorbringen, als eine ungengende Ernte. Dennoch wird essich lohnen, auch diese Entstehungsart nher zu betrachten,weil sie uns manchen Einblick in die mittelalterliche Volks-wirtschaft gewhrt.

    Die Wirtschaft jener Zeit war gegen alle Strungen ele-mentarer oder anderer Natur im hchsten Grade empfindlich.In der Regel lebte der Mensch von dem, was er auf demeigenen Felde baute. Der Bauer bezahlte seinen Zins undmufste im brigen sorgen, dafs er genug zum Leben hatte.An der Erzielung von berschssen hatte er wenig Interesse,er htte sie kaum zu Geld machen knnen. Fr Zeiten derNot besafs er daher weder Materialberschsse noch Geld,durch das er sich Lebensmittel htte erwerben knnen. Be-deutend besser und sicherer waren natrlich schon die grofsenGrundherrschaften gestellt, besonders die Klster, von denenwir ja eigentlich allein etwas genaueres ber diese Verhlt-nisse wissen. Aber auch ihr Bestand ruhte doch durchausauf agrarischer Grundlage. Wurden sie auch nicht so un-mittelbar und schwer von ungnstiger Witterung und derdaraus entstehenden Mifsernte betroffen, wie der einzelnekleine Bauer, so beruhte doch auch die Sicherheit ihrer wirt-schaftlichen Existenz im wesentlichen darauf, was ihr eigenesFeld trug.i)

    Es berhrt uns wunderbar, wenn wir in den Annalen un-

    1) Siehe Herimanni liber de restauratione S. Martini TornaC.c. 7072 S. S. XIV, 307 fF.. das Schicksal eines Klosters, das nicht bergengenden Grundbesitz verfgte.

  • Verschiedene Ursachen fr die Entstehung der Hungersnte. 19

    vermittelt zwischen den wichtigsten Staatsereignissen, zwischenden Nachrichten vom Tode von Knigen und Ppsten, vonSchlachten und Reichstagen, die scheinbar gleichgltige Nach-richt von irgend einem Gewitter, von Hagel oder Sturm finden.Es war doch nicht nur das Gefallen am Merkwrdigen undWunderbaren, das die Annalisten veranlafste dergleichenaufzuschreiben. Sie sahen die Ereignisse mit den Augen desLandwirtes in Hinblick auf die Aussichten fr das Gedeihender Saat.

    Es ist auffallend, wie hufig ein langer und schnee-reicber Winter der Hungersnot vorangeht. Es giebt Nach-richten, bei denen die Hungersnot fast als die unmittelbareFolge des harten Winters erscheint. Hoc anno hyems con-tigit asperrima, quam fames subsequitur praevalida" sagen dieAnn. Laub, zu 1125.^) hnlich Widukind^): Necem ducumasperrima hiemps hiememque secuta est fames validissima."Es scheint fast als wollten die beiden Quellen in dem hartenWinter die alleinige Ursache fr die Hungersnot sehen. Einesolche Auslegung ginge natrlich zu weit, aber ein schnee-reicher Winter, der bis in den Mrz oder April hinein dauerte,schdige allerdings die Wirtschaft in sehr hohem Grade.Konnte zur normalen Zeit im Mrz oder April das Saat-pflgen nicht stattfinden^), so wurde dadurch wieder die Aus-saat verschoben, die ganze Wirtschaft befand sich schon zuAnfang des Jahres im Rckstnde; war nun auch etwa derSommer noch ungnstig, oder traten irgend welche unvorher-gesehenen Unflle ein, so konnten die Folgen leicht verhng-nisvoll werden.

    Uns sind mehrfach Flle berliefert, wo sich die Ent-wickelung in der angedeuteten Weise vollzog. 994 dauerte,nach der Angabe der Ann. Quedlinburg, der Winter bis zum5. Mai, der Sommer war auch kalt und ungnstig, und imHerbst stellte sich als Folge die Hungersnot ein.*) Ebensoging der Not des Jahres 1125 ein sehr harter Winter vorher.Eine Reihe von Stellen berichten uns darber. Aus Belgienhaben wir Nachrichten aus Lobbes^), Fosse), Gent.') InGembloux^) bezeichnet der Chronist Anselm den Winterausdrcklich als valde noxia. Weiter erfahren wir aus

    1) a. 1125 Ann. Laub. cont. S. S. IV, 22, 17.2) a. 940 Widukind lib. 11. c. 26, M. G. S. S. kl. Ausg. 50.3) Lamprecht, Deutsch. Wirtschaftsleben I, 557.4) a. 994 Ann. Quedlinburg. S. S. HI, 72, 21 u. 34.5) a. 1125 Ann. Laub. cont. S S. IV, 22, 17.6) a. 1125 Ann. Fossenses S. S. IV. 30, 20.7) a. 1125 Ann. Bland. S. S. V, 28, 23.8) a. 1125 Anselm. cont. Sigebert. S. S. VI, 379, 47.

    2*

  • 20 Verschiedene Ursachen fr die Entstehung

    Thringen^), Franken^) und Bhmen^) bereinstimmend vondem pltzlichen Eintritte grofser Klte am 20. Mai verbundenmit Hagelschlag und sogar Schneefall. Ebenso liefsen sichfr andere Jahre noch hnliehe Beispiele erbringen.

    Auch dem Vieh, das im Winter meist im Freien blieb,mufste starker Frost und viel Schnee grofsen Schaden zufgen.

    Die Hauptgrnde fr die Mifsernte und darauf folgendeHungersnot liegen aber natrlich in der Witterung desFrhlings und Sommers. Das finden wir schon angedeutet,wenn die Ann. Laub.*) zum Jahre 973 schreiben: Aestas plu-vialis et frigida, et fames subsecuta." Grofse Trockenheit,viel Regen, Hagel entscheiden ber den Ausfall der Ernte.Es wre unntz hier bei dergleichen Ursachen viel klassi-fizieren zu wollen, es wird ntzlicher sein einmal die wirk-liche Entstehung einer Hungersnot zu verfolgen an der Handder besten Quelle, die wir fr diesen Gegenstand besitzen,Reiners von Lttich. ^)

    Das Jahr 1194 schliefst gnstig ab. Ernte und Weinlesesind gut. Dennoch sind im Mai des folgenden Jahres 1195aus uns unbekannten Grnden die Getreidepreise schon sehrhoch, der Modius Roggen kostet 18 s., Spelz 9 s. und Gerste8 s. Von Johanni an regnet es ununterbrochen bis Weih-nachten. Am Jakobstage, am 25. Juli, verwstet ein Sturmdie Saat, Ernte und Weinlese sind schlecht. Das Jahr 1196ist wieder regnerisch, die Armen beginnen schon sehr zuleiden. Am 24. Juli erhebt man den heiligen Lambert undveranstaltet eine Bittprozession. Das Korn gert sehr schlecht,die Ernte beginnt erst spt, am 24. August. Die Getreide-preise haben sich auf der Hhe des vorigen Jahres gehalten,der Modius Roggen kostet 18 s. und Spelz ^y^ s. Es folgtein langer Winter bis zum Mrz 1197. Nun beginnt daseigentliche Notjahr, viele Arme sterben vor Hunger, in derNot wird das Fleisch von gefallenem Vieh gegessen. Bis zum11. Juni hlt sich der Roggenpreis auf 18 s., der Spelz istauf 10 s. gestiegen. Am 12. Juni kostet der Roggen schon32 und der Spelz 17 s. Die Not nimmt noch immer zu, umden 25. Juli kostet der Roggen 40 s. und der Spelz 20 s. ZuEpiphanias 1198 gehen auch dem Jakobskloster, in dem Reinerschreibt, die Vorrte aus. Gegen Ende des Jahres 1198 sinkendann die Preise langsam, aber der Roggen kostet doch zuWeihnachten immer noch 12 s.

    Reiner ist ein ruhiger und zurckhaltender Schriftsteller,

    1) a. 1125 Cr. S. Petri Erford. mod. S. S. XXX, 361, 36.2) Ekkeh. S. S. VI, 264, 26. 3) Cosmas S. S. IX, 131, 35.4) a. 973 Ann. Laub. S. S. IV, 17, 33.5) Reineri annales S. S. XVI, 651 ff.

  • der Hungersnte. 21

    der jede bertreibung vermeidet, aber seine Zahlen sprecheneine ebenso deutliche Sprache, als die abenteuerlichen BerichteRodulfus Glabers oder der Prager Domherren. Wir habenhier eine Hungersnot entstehen sehen nur durch anhaltendeschlechte Witterung, die die Ernte zweier Jahre hintereinanderverdirbt. Es ist ein typischer Fall; hnlich ist die Enstehungs-geschichfe der meisten Hungersnte gewesen, wenn sich auchnirgends wieder die einzelnen Stufen der Entwicklung so genauverfolgen lassen.

    eberschwemmungen sind auch eine Ursache derHungersnot, die mehrfach erwhnt wird, doch haben sie derNatur der Sache nach mehr lokale Bedeutung. Die GestaTreverorum berichten 1035 von einer Hungersnot, deren_ Ent-stehung auf die Verwstung des MoseUandes durch ber-schwemmungen im Winter und Frhjahr zurckgefhrt wird. ^)Auch 1183 sind grofse berschwemmungen im Mndungs-gebiete des Rheins die Ursache einer Hungersnot.^) Das Jahr1234 brachte dem Donauthale ungeheure Frhjahrsberschwem-mungen. ^) Nach der Schneeschmelze trat der Flufs aus,berflutete weithin seine Ufer, zerstrte die Drfer, viele Men-schen ertranken, eine unzhlige Menge Vieh wurde fortgerissenund alle Saaten verdarben. Eine Hungersnot folgte. Auchsonst wirken im Gebiet der grofsen Flsse oft berschwem-mungen bei der Entstehung von Hungersnten mit.

    berschwemmungen an der Meereskste sind da-gegen als Ursache von Hungersnten kaum nachzuweisen.Niemals hren wir nach den grofsen berschwemmungen inHolland von einer Hungersnot. Sehr genau sind wir berdie Verhltnisse an der friesischen Kste durch die ChronikenEmos und Menkos unterrichtet, fast in jedem Jahre wird hiervon grfseren oder kleinereu berschwemmungen berichtet.Aber nur einmal, 1219*), scheint ein Zusammenhang mit einerHungersnot vorhanden zu sein. Es mag das daran liegen,dafs damals, wie auch heute noch, der Getreidebau in Hollandund Friesland nur eine untergeordnete Rolle spielte, und dasVieh natrlich leichter vor der Hochflut zu retten war.

    Viehseuchen knnen natrlich allein keine Hungersnothervorbringen, aber mehrfach wirken sie bei der Entstehungder Hungersnte mit. 994 wurde Sachsen von einer schwerenSeuche von Mensch und Vieh heimgesucht, die mit der all-

    1) a. 1035 Gest. Trev. cont. I. S. S. Vm, 180, 11.2) a. 1183 Ann. Egmund. S. S. XVI, 469, 37.3) a. 1234 Cont. Lambac. S. S. IX, 558, 44; dazu auch Ann. S.

    Rudberti Salisburg. S. S. IX, 786, 4 u. Cont. Sancruc. H, S. S. EX, 638, 4.4) a. 1219 Emo S. S. XXHI, 490, 82.

  • 22 Verschiedene Ursachen fr die Entstehung

    gemeinen Ungunst des Wetters eine Hungersnot hervorbrachte.^)Ebenso werden die beiden Notjahre 1225 und 1226 von einerViehseuche^) begleitet, die 1224 begonnen hatte. 1272 fhrtMenko^) als vierten Punkt unter den Grnden der Hungers-not auch eine verheerende Krankheit unter den Schafen an,so dafs den Menschen nun auch die Milch fehlte.

    Im Jahre 873*) erschienen nach dem Berichte der Ann.Fuld. zur Erntezeit ungeheure Heuschreckenschwrme.Wo sie sich niederliefsen, zerstrten sie die Saat auf denFeldern. Bei Mainz sollen sie in einer Stunde 100 Joch Ge-treide vernichtet haben. Eine Hungersnot war die Folge.Dasselbe berichten, wenn auch weniger ausfhrlich, die Hers-felder Annalen.^) Es ist aber auch der einzige Fall, wo sicheine Hungersnot mit Sicherheit auf Verwstungen durch Heu-schreckenschwrme zurckfhren lfst. Ein Epigramm aufBischof Rumold von Mnster erwhnt als Grund fr dieHungersnot von 941 Heuschrecken, die die Ernte vernichteten.^)Aber dieser Nachricht kann wenig Bedeutung beigelegt werden,da keine der zahlreichen Quellen, die sonst ber dies Jahrberichten, etwas davon weifs. Ebenso steht es mit einerfranzsischen Quelle^), die 1031 bei der Entstehung einerHungersnot das Auftreten von Heuschrecken erwhnt; derSchaden kann nur gering oder ganz lokal gewesen sein, daalle anderen Berichte nichts von dieser Thatsache wissen undbesonders auch Rodulfus Glaber schweigt. Auch 1242 beider grofsen Hungersnot in Ungarn treten Heuschrecken auf,und sie mgen ja auch zur Erhhung der Not beigetragenhaben, der wirkliche Grund dieser Hungersnot lag aber in derVerwstung des Landes durch den Tartareueinfall. ^)

    Kriege wirken berhaupt nicht selten bei der Ent-stehung von Hungersnten mit. Bei der Art der mittelalter-lichen Kriegsfhrung, die ganz besonders auf die Verwstungdes platten Landes ausging, ist das leicht begreiflich. Eins

    1) a. 994 Ann. Quedlinburg. S. S. I, 72, 26.2) a. 1224 Chr. Albrici S. S. XXm, 914, 38; Gotfr. Viterb. cont.

    Funiac. S. S. XXII, 343, 1 ; Ann. S. Rudberti Salisburg. S. S. IX, 783, 8

    ;

    Ann. Gotw. S. S. IX, 603, 25; Cont. Garst. S, S. IX, 696, 5; a. 1225Sachs. Weltchr. M. G. Deutsch. Chr. 11, 245, 13; Chounradi Schirens,ann. S. S. XVII, 632, 48; Ann. Mellic. S. S. IX, 507, 27; a. 1226 Cono-nis Lausann, notae S. S. XXIV, 783, 45; Ann. Zwifalt. S. S. X, 59, 24;Ann. Neresh. S. S. X, 23, 23.

    3) a. 1272 Menko S. S. XXm, 560, 31.4) a. 873 Ann. Fuld. M. G. kl. Ausg., p. 79.5) a. 873 Ann. Hildesh. M. G. S. S. kl. Aus^

    ,p. 18.

    6) a. 941 G. Q. des Bistums Mnster III, 187.7) Eist. Franciae fragm. Hist. de France X, 212 D.8) a. 1242 Ann. S. Rudberti Salisburg. S. S. IX, 788, 15 Cont. Sau-

    cruc. II, S. S. IX, 641, 11.

  • der Hungersnte. 23

    der charakteristischsten Beispiele ist der Slaveneinfall in Hol-stein im Jahre 1147. Am 2G. Juni, also kurz vor der Ernte,berfallen die Slaven Lbeck und durchziehen dann ver-wstend das ganze Land, darauf kommt es zu wechselndenKmpfen zwischen Deutschen, Dnen und Slaven und allesfhrt schliefslich gegen Ende des Jahres zu einer Hungers-not.^) Ebenso sind die jahrelangen Raubzge der Normannender Grund zu der Hungersnot, von der 889 Nordfrankreichheimgesucht wurde. 3 Jahre lang Avurde, wie Richer be-richtet, das Feld nicht bestellt.^) 1082 verursachen dieKmpfe zwischen Leopold von Osterreich und dem Herzogevon Bhmen eine Hungersnot in sterreich.^) Fr die Hungers-not in Schwaben vom Jahre 1077 giebt Berthold als Grundneben der Mifsernte auch den Parteigngerkrieg an, der da-mals das Land verwstete. Schliefslich ist auch die grofseHungersnot, die von 128082 Bhmen heimsuchte, in ersterLinie auf die inneren Kmpfe unter der Statthalterschaft Ottosvon Brandenburg zurckzufhren.*) Es kam so weit, dafs imHerbste 1280 im Aveiten Umkreise um Prag die cker nichtmehr bestellt wurden.

    Noch eine Gruppe von Ursachen, die bei der Entstehungvon Hungersnten mitwirken, ist zu erwhnen, die sich unterden Begriff der handelspolitischen Feindseligkeiten zu-sammenfassen lassen. Ausfuhrverbote, die mehrfach erwhntwerden, wirkten nach beiden Seiten verschieden; whrend siedas eine Land vielleicht schtzten, konnten sie das andere,das auf die Zufuhr angewiesen war, sehr stark schdigen.Menko behandelt einen solchen Fall recht ausfhrlich/) Seit4 Jahren war in Friesland schon die Getreideernte schlechtgewesen, aber jetzt kam noch ein neues Unglck hinzu. DerBischof von Mnster verbot aus Feindseligkeit gegen dieFriesen das Abhalten der Mrkte au der Ems. Die Friesenkonnten daher die Produkte ihrer Viehzucht nicht absetzen.Ebenso konnten sie auch in Dnemark und den Ostseelndernnichts fr ihr Vieh eintauschen, denn berall wollte man nurgegen Geld verkaufen. Das Geld war aber auch wieder inFriesland selten geworden; vor drei Jahren erst war einegrofse Schar von Kreuzfahrern fortgezogen, und ihnen hatte

    1) Helmoldi ehr. Slav. lib. I, c. 66. M. G. S. S. kl. Ausg. 127; vgl.auch daselbst lib. TL, c. 5, p. 202 die Verwstung Mecklenburgs durchdie Feldzge gegen die Obotriten und die daraus entstehende Hungersnot.

    . 2) a. 889 Richeri bist. lib. I, c. 5 M. G. S. S. kl. Ausg., p. 5.

    3) a. 1082 V. Altmanni c. 25, S. S. XII, 237, 1.4) a. 1280 Cont. Cosm. Ann. Prag. IE S. S. IX, 196; vgl. dazu Pa-

    lacky, Gesch. v. Bhmen 11, 1, p. 298306.5) a. 1272 Menko. ehr. S. S. XXTH, 560, 2.

  • 24 Verschiedene Ursachen fr die Entstehung der Hungersnte.

    man das meiste Bargeld mitgegeben. Schliefslich kam nochhinzu, dafs in einigen Orten Dnemarks ein Ausfuhrverbot frGetreide erlassen wurde. So geriet Friesland in die grfsteBedrngnis, und als jetzt noch eine Viehseuche ausbrach, wardie Hungersnot da.

    Die Frage nach der Beendigimg der Hungersnte lfstsich ziemlich einfach beantworten. Wenn auch die Not schonmehrere Jahre gedauert hatte, so mufste sie doch schliefslichdurch eine gute oder doch wenigstens befriedigende Ernte ihrnatrliches Ende finden. Mit bewegten Worten schildert Ro-dulfus Glaber^) eine solche Wendung zum Besseren, die nachder schrecklichen Not der vorhergehenden Jahre das Jahr1033 brachte: der Himmel hellte sich wieder auf, die Erdeberzog sich mit freundlichem Grn und brachte in ppigerFlle die ersehnten Frchte hervor.

    Vielleicht kann man aber auch annehmen, dafs, wenn dieNot schon mehrere Jahre gedauert hatte, der Menschenverlustschliefslich so stark war, dafs sich die Lebensbedingungen frdie berlebenden wesentlich besserten. Eine derartige hoheBedeutung legt eine belgische Quelle^) einmal der Entvlke-rung des Landes, die allerdings hier durch Fortwanderungwhrend der Hungersnot entstanden sein soll, bei, indem sieschreibt, der Verlust wre so grofs gewesen, dafs man nun dieZurckgebliebenen ganz gut durch Almosen htte erhaltenknnen.

    1) a. 1033 Eaoul Glaber lib. IV, c. 5 ed. M. Prou, p. 103; vgl.auch a. 1271 Monach. Frstenfeld. Bhmer Fontes I, 12.

    2) a. 1196 Cont. Aquicinct. S. S. VI, 433, 42.

  • Dauer und rumliche Ausdehnung der Hungersnte.

    Sehr hufig finden sich in den Quellen Angaben ber dieDauer der Hungersnot. Aber bei dem begrndeten Mifs-trauen gegen alle Zahlenangaben mittelalterlicher Schriftstellerwird hier eine sehr genaue Nachprfung notwendig sein.Wenn die Chronisten auch gern grofse Zahlen nennen, umdas Schreckliche der Lage recht anschaulich zu machen, sofinden sich doch unverhltnismfsig selten in derselben Quellemehrere Jahre hinter einander auch wirklich Nachrichten bereine Hungersnot.

    Das Maximum der Angaben ber die Dauer einer Hungers-not erreichen das Auctuarium Affligemense ^) und die ChronicaAndrensis^) mit 12 und 13 Jahren. Dafs eine wirklicheHungersnot so lange angedauert hat, ist undenkbar, es kannsich nur um eine Teuerungsperiode handeln. So ist es inAndres auch gemeint, denn die 13 Jahre umfassen gerade dieRegierungszeit des Abts Iterius 11951207, whrend der,wie der Chronist angiebt, der Weizenpreis fr den Polkinusnie unter 10 s. sank. In den Anfang dieser Zeit fllt auchthatschlich die schwere Hungersnot von 1196 1197, viel-leicht hat sich die Gegend von Andres besonders langsam vondiesem Schlage erholt. Die 12 Jahre des Auctuarium sindweniger leicht zu erklren, es scheint sich hier um einen Irr-tum oder um eine starke bertreibung zu handeln; hinzukommt noch, dafs die Zahl 12 schon an sich als Rundzahlverdchtig ist. 1139 soll die Hungersnot begonnen haben,sie dauerte also bis 1151. Diesen Anfangstermin kennt vonallen anderen belgischen Quellen nur das hchst unzuverlssigeChronicon Sancti Bavonis. Allerdings wird in den vierzigerJahren hufig von Hungersnten in Belgien berichtet, undauch 1151 ist nach einer Pause von mehreren Jahren wenig-stens in der Gegend von Lttich wieder eine Hungersnot be-zeugt, aber Afflighem in der Nhe von Aalst ist zu weit von

    1) a. 1139 Auct. Afflig. S. S. VI, "400, 32.2) ca. a. 1197 Guielmi ehr. Andren. S. S. XXIV, 714, 47. 732, 14.

  • 26 Dauer und rumliche Ausdehnung der Hungersnte.

    Lttich entfernt, als dafs wir Grund htten, eine Ausdehnungder Hungersnot bis dorthin ohne weiteres anzunehmen. Esist dieser Angabe also kein irgendwie selbstndiger Wert bei-zulegen.

    Auch die Erwhnung von sieben Huugerjahren in denAnn. Laubienses ^), im Chr. S. Bavonis^) und bei Balduin vonNinove^) erinnert noch zu sehr an die sieben mageren Jahrein gypten; eine andere Quelle*) kennt auch einmal siebengute Jahre. In Lobbes handelt es sich aber immerhin, wennsich auch die Dauer von sieben Jahren nicht halten lfst, umeine Hungersnot von besonders langer Dauer, schon im Jahrevorher 1142 hatte sie begonnen, und auch in den folgendenJahren hren wir mehrfach von Hungersnten in Belgien.Dieselbe Not meint auch das Chr. S. Bavonis, nur setzt sievielleicht, durch einen lokalen Notstand des Jahres 1139 be-stimmt, den Anfangstermin unberechtigt frh an. Balduin be-trachtet das Nordlicht, das 1192 erscheint, als ein Vorzeichen,er kennt weiter die schwere Hungersnot in den letzten Jahrendes Jahrhunderts, und so kombiniert er sich eine Hungers-not von sieben Jahren. Thatschlich herrschte Hungersnot inBelgien nur whrend der Jahre 1196 und 1197.

    1042 oder 1043 soll in Lttich eine Hungersnot^) vonsechsjhriger Dauer begonnen haben, andere belgische Quellenkennen aber nur 1043 und 1044 als Notjahre. Auch eineHungersnot von fnf Jahren, wie sie von Rodulfus Glaber^),der Histria monasterii Viconiensis') und von Abt Isingrimvon Ottenbeuern^) erwhnt wird, ist thatschlich wohl kaumzu beweisen, doch nhern wir uns hier schon dem Mglichen.

    Alle bedeutenden Hungersnte erstrecken sich ber mehrere,in der Regel zwei oder drei Jahre. Erwhnt nun irgend einAnnalenwerk zu zwei aufeinander folgenden Jahren eineHungersnot, so ist daraus allerdings noch nicht mit Sicher-heit zu folgern, dafs sich diese Hungersnot auch wirklich berdie Dauer von zwei ganzen Jahren, also auch ber zweiErnten erstreckt hat, hufig ist damit nichts anderes gesagt,als dafs die Hungersnot nach der Mifsernte des ersten Jahresbegann und nun natrlich auch im nchsten Jahre, das meistdas eigentliche Notjahr war, fortdauerte. Und meistens be-

    1) a. 1143 Ann. Laub. S. S. IV, 22, 50.2) a. 1139 Chr. S. Bavonis De Smet, Corp. ehr. Fland. I, 5843) a. 1192 Bald. Ninov. S. S. XXV, 537, 40.4) a. 1247 Chr. Ridesel. Kuchenbecker, Analecta Hass. III, 7.5) Anselmi gest. eps. Leod. c. 53 S. S. VII, 221, 6.6) a. 1005 Raoul Glaber lib. 11, c. 9 ed. M. Trou. 44.7) a. 1197 Hist. monast. Vi'con. S. S. XXIV, 302, 30.8) a. 1197 Ann. Ottenb. Isingr. min. S. S. XVII, 317, 1.

  • Dauer und rumliche AusdeLuung der Hungersnte. 27

    gaun die Hungersnot schon zu Ende des Jahres, das denMifswachs brachte, wenn die geringe Ernte aufgezehrt war,manchmal verzgerte sich der Ausbruch auch noch bis zumAnfange des nchsten Jahres und selten bis zum Ende desWinters oder Beginn des Frhjahrs.^)

    Dauerte auch eine Hungersnot schon mehrere Jahre, sodarf es uns doch nicht wundern, dafs unsere Quellen nur ver-hltnismfsig selten mehrere Jahre hintereinander eine Hungers-not erwhnen, das thuen nur besonders sorgfltige Werke, wiez. B. Menkos Chronik oder die Fortsetzung des Cosmas, meistbegngen sie sich damit, beim ersten oder letzten Jahre an-zugeben, die Hungersnot habe zwei oder drei Jahre gedauert.Man mufs daher hufig Aussagen mehrerer Quellen zusammen-stellen, um mit Sicherheit zu erfahren, wie lange die Hungers-not an einem bestimmten Orte gedauert hat, imd es kanndabei leicht vorkommen, dafs auch in guten Quellen einmalin einem der Jahre eine Nachricht fehlt. Um ein Beispielanzufhren: in der Gegend von Kln herrschte drei Jahrehintereinander von 11451147 eine Hungersnot. Es habenNachrichten darber: 1145 die Ann. Brunwilarenses, 1146wieder die Ann. Brunwil., die Ann. Remenses et Colonienses,die Chr. resria berichtet von einem Kometen als Vorzeichender kommenden Not, 1147 erwhnt dann auch die Chr. regiaeine Hungersnot. Lnger als drei Jahre aber wird an deui-selben Orte wohl kaum eine Hungersnot geherrscht haben.

    Hufiger und bei grfseren Hungersnten fast die Regelist eine Dauer von zwei Jahren und zwar so, dafs auch wirk-lich zwei Mifsernten auf einander folgen. So berichten zuden Jahren 1196 und 1197 Reiner von Lttich und aus einemanderen Teile von Belgien die Cont. Aquicinctina, Der Grundzu der Verschleppung des Notstandes ins zweite und dritteJahr kann in einem Anhalten der ungnstigen Witterungliegen, aber das wre ein Zufall. Viel wichtiger ist die all-gemeine Depression, von der sich die Wirtschaft nicht soschnell erholt. Der Ackerbau lag ganz darnieder, oft wurde inder Not das Saatgetreide ganz oder zum Teile verzehrt, amschlimmsten aber mufste es wirken, dafs regelmfsig, vonfurchtbarer Panik ergriffen, die Landbevlkerung den Ackerberhaupt im Stiche liefs, und so die ganze Getreideproduk-tion ins Stocken geriet. Immer wieder berichten die Quellen,dafs whrend der Hungersnot zahllose Hfe leer standen. Aberdas. Lai^d wurde dadurch nicht entlastet, das Feld blieb zwarunbestellt, aber die Flchtlinge verliefsen die Gegend nicht,sondern zogen nur in die nchste grfsere Stadt, um dort bei

    1) a. 1252 Cosmae cont. S. S. IX, 174, 10.

  • 28 Dauer und rumliche Ausdehnung der Hungersnte.

    der Mildthtigkeit des Klerus Hlfe zu finden. Dafs mandiesen Mifsstand erkannte, zeigt eine Stelle der Vita Ottosvon Bamberg^), die berichtet, dafs der Bischof bei Beginn derErnte dafr sorgte, dafs die Scharen, die sich in Bamberg an-gesammelt hatten, nun in ihre Heimat zurckkehrten. Ergab jedem der Flchtlinge eine Sichel mit und einen Denarals Zehrgeld. Ebenso schicken die Mnche von Riddags-hausen^) ihre Schutzbefohlenen zur Ernte wieder in die Heimatzurck.

    Von der grlsten Bedeutung fr die Geschichte derHungersnte ist die Frage nach der Ausdehnung des Not-standsgebiets in jedem einzelnen Falle. Unmittelbar gebendie Quellen hierber sehr selten Auskunft, und finden sicheinmal Angaben, per totam Galliam et Germaniam, per Saxo-uiam, per Baioariam, multis locis und hnliches, so sind siedoch nur mit der grfsten Vorsicht aufzunehmen. Im Ganzenist anzunehmen, dafs der schreibende Mnch sichere Auskunftnur ber seine nhere Umgebung geben konnte. Nur bei be-sonders gut unterrichteten Autoren, die auch sonst ihre Zu-verlssigkeit und einen weiteren Blick bewiesen haben, werdenwir Wert auf Angaben ber die Ausdehnung der Notstands-gebiete legen drfen. Menko berichtet von einer Hungersnotin Dnemark und Greifswald, und er ist zweifellos vollkommenorientiert, denn er spricht in demselben Zusammenhange vondem lebhaften Handelsverkehr der Friesen nach den O^tsee-lndern. Dafs aber auch sonst rumlich weit entfernte Quellenrichtig ber eine Hungersnot berichten knnen, zeigt die ber-einstimmung zweier sddeutscher Quellen, Bernolds^) und derAugsburger Annalen^), die von einer Hungersnot in Sachsen1092 und 1093 berichten.

    Ein Beispiel, wie sehr eine Quelle irren kann, wenn dieNachricht auch noch so bestimmt auftritt, giebt eine Stellebei Magnus von Reichersberg. ^) Es heifst da zum Jahre1166: Eodem anno fuit illa magna fames per universas terras."Das Wort illa deutet schon darauf hin, dafs die Nachrichtspter, vielleicht aus dem Gedchtnisse nachgetragen ist. DieseVermutung wird bei nherer Betrachtung besttigt. DieChronik ist bis 1167 nichts anderes als ein Auszug aus denlteren in ihrem letzten Teile den Ereignissen gleichzeitigenAnn. Reichersberg. Hier findet sich aber nichts von einer

    1) Heribordi dialog. de. v. Ottonis epsc. Babenberg. lib. I, c. 33S. S. XX, 716, 1.

    2) a. 1316 Magdebg. Schppenchr. St. Chr. VII, 186, 1.3) a. 1092 Bernoldi chr.''S. S. V, 454, 10.4) a. 1093 Ann. August. S. S. III, 134, 17.5) a. 1166 Chr. Magni presbyt. S. S. XVH, 488, 40.

  • Dauer und rumliche Ausdehnung der Hungersnte. 29

    Hungersnot, die Nachricht ist also ein Zusatz, den Magnusgegen Ende des Jahrhunderts machte, als er seine Chronikverfafste. Nun knnte ja diese Nachricht auf eine andereebenfalls zeitgenssische Quelle zurckgehen; das wird aberwenig wahrscheinlich, wenn wir betrachten, was sonst berdie Witterungsverhltnisse des Jahres 1166 berliefert ist. InStederburg^) finden wir allerdings eine Hungersnot, ebensoMifsernte in Magdeburg^), in einer Thringer Quelle^) aberheilst es: abundancia magna frumenti et vini." Aus derNhe von Reichersberg berichten die Cont. Cremifanensis*)und die Ann. Admuntenses^) bereinstimmend von Hagelschlagam 24. Juni, aber von einer Hungersnot wissen sie nichts.Nachrichten aus Baiern fehlen. Unter diesen Umstnden kannvon einer wirklich bedeutenden Hungersnot in der Gegendvon Reichersberg keine Rede sein, hchstens wre es mglich,aber auch nur mglich, an einen eng begrenzten Notstand zudenken. Ebenso gut kann die Nachricht aber auch einfachfalsch sein. Wie der Irrtum dann entstanden ist, ob etwa,was allerdings bei der Lage von Reichersberg wenig wahr-scheinlich ist, eine norddeutsche Quelle der Nachricht zuGrunde liegt, dann wre ja das Jahr richtig berliefert, oder ob die Jahreszahl durch irgend einen Zufall verwechseltist, lfst sich nicht entscheiden.

    Eine bedeutende berschtzung der Verbreitung des Not-standes zeigen die zwei Nachrichten der Ann. Fuld.): 873heilst es: fames per universam Italiam et Germaniam" und874^): fames per universam Galliam et Germaniam." Unter-sttzt wird diese Aussage noch durch eine Nachricht derHersfelder Ann.^), die auch ganz allgemein angeben: fames inGermania. Und doch lfst sich sicher zeigen, dafs das Gebietdieser Hungersnot nur ungefhr den Strich zwischen den Ur-sprungsorten dieser beiden Notizen, zwischen Mainz imd Hers-feld umfalste. Der Grund zu dieser Not waren gewaltigeHeuschreckenschwrme, die 873 Deutschland, Frankreich undItalien durchzogen und bis nach Spanien kamen. ZahlreicheAutoren berichten von dieser Erscheinung, die die Zeitgenossenim hchsten Grade erregte. Aber von einer Hungersnot weifsaufser den beiden angefhrten keine Quelle etwas. Der Grund

    1) a. 1166 Ann. Stederburg. S. S. XVI, 209, 45.2) a. 1166 Ann. Magdebg. S. S. XVI, 192, 38.3) a. 1166 Cr. S. Pertri. Erford. S. S. XXX, 370, 8.4) a. 1166 Cont. Cremif. S. S. IX, 545, 39.5) a. 1166 Ann. Admunt. S. S. IX, 583, 43.6) a. 873 Ann. Fuld. M. G. kl. Ausg. 79.7) a. 874 Ann. Fuld. M. G. kl. Ausg. 83.8) a. 873 Ann. Alth. M. G. kl. Ausg. 6.

  • 30 Dauer und rumliche Ausdehnung der Hungersnte.

    ist klar, die Heuschrecken erschienen in Mainz zur Zeit derErnte, tempore novarum frugum, wie die Ann. Fuld. an-geben. Als sie spter nach Frankreich kamen, wird die Ernteschon zum grofsen Teile beendigt gewesen sein^), so dafs siehier nicht mehr viel schaden konnten.

    Es zeigt sich, dafs die Angaben der Quellen ber dieAusdehnung der Hungersnte sehr unzuverlssig sind. Irgendwelche allgemein gltigen Regeln fr die Behandlung der.Schriftstellernachrichten in dieser Hinsicht lassen sich nichtfinden; man wird also jede Quellenstelle nach ihrer Indivi-dualitt behandeln mssen und wird im ganzen nur durch diegeographische Lage der Quellenorte zu einander Auskunftber die rumliche Ausdehnung der Notstandsgebiete erhalten.

    1) Am 16. August erschienen die Heuschreckenschwrme in Rheims,Ann. S. Dionysii Rem. S. S. XIII, 82, 26.

  • Verschiedene Arten der Hungersnte.

    Zwei Gruppen lassen sich unter der Menge der ber-lieferten Hungersnte deutlieh unterscheiden, solche, die lokalauf einen Teil des Landes beschrnkt sind und solche, die dasganze oder doch den grfsten Teil des in der vorliegendenArbeit behandelten Gebietes umfassen. Aus dem Bereich derBetrachtung fallen selbstverstndlich heraus die Hungersnte,die in belagerten Stdten entstehen.

    Die lokalen Hungersnte umfassen Gebiete, die schonvon Alters her eine Einheit waren, und die wir auch heutenoch als Einheiten anzusehen gewhnt sind, Gebiete, die ihrerphysikalisch -geographischen Natur nach unter denselbenWitterungsverhltnissen stehen, die meist von demselbenStamme bewohnt werden, die oft auch politisch eine Einheitbilden, oder die doch die politischen Schicksale mit einanderteilen; denn auch das hat ja eine, wenn auch nur sekundreBedeutung. Kurz, Gebiete, die kulturell nnd wirtschaftlichauf derselben Stufe stehen, und die darum unter den elemen-taren Schlgen, die die Wirtschaft trefien, gleich oder hnlichleiden. Solche Gebiete sind, um einige Beispiele anzufhren:Bhmen, von drei Seiten von Gebirgen umgeben und politischeine Einheit, Baiern und Schwaben, die beiden Teile, in dieseit alters Sddeutschland sich scheidet. Im Nordwestenbildet das Land von den Abhngen der Ardennen bis zumMeere ein abgeschlossenes Gebiet, das bald einen entscheiden-den Vorsprung vor allen anderen Gegenden gewinnt. AusLttich, Cambrai, Doornik, Achin und Gent stammen diebesten Nachrichten fr unser Thema. Die niederschsischeTiefebene ist entschieden von den sd- und westdeutschenGebirgslndern getrennt, kulturell steht das Land etwaszurck, es hat auch meist seine besonderen Hungersnte.

    Natrlich sind die lokalen Hungersnte nicht so eng be-schrnkt. Eine bhmische Hungersnot greift wohl auch aufSchlesien und Westgalizien ber. Baiem und Schwabenwerden von derselben Not getroffen. Eine Hungersnot inBelgien erstreckt ihre Auslufer an den Mittelrhein und bisnach Westfalen, und hnliche Flle mehr.

  • 32 Verschiedene Arten der Hungersnte.

    Die Umgrenzung eines Notstandsgebietes ergiebt siebzuerst positiv aus der Zusammenstellung mebrerer Naeh-riebten ber die Hungersnot aus benachbarten oder doch nichtzu weit von einander entfernten Orten, negativ aus Nach-richten ber gute Ernte und Witterungsangaben aus Gegenden,die in der Nhe der Peripherie des wahrscheinlichen Not-gebietes liegen; denn wo ein Schriftsteller dergleichen auf-zeichnet, wird er Hungersnte sicher nicht unbeachtet lassen;oder schliefslich aus Nachrichten, die auf eine wesentlicheAbschwchung der Not deuten. Im Gegensatze zu fames,sterilitas, siccitas u. s. w. Das Schweigen der Quellen alsArgument zu verwerten, wird nur mit einiger Vorsicht mg-lich sein. Im Ganzen glaube ich, werden sich so die Gebietein der wnschenswerten Weise umschreiben lassen.

    Es wird gut sein, einige Beispiele anzufhren. 1095wird von einer Hungersnot in Belgien berichtet, es liegenNachrichten vor aus: Lttich, Gembloux, Doomik, Gent, dasganze Land war also von der Not betroffen. Aus den be-nachbarten Gebieten erfahren wir nichts, nur an einigenStellen, in Utrecht^) und in Hessen^) ist die Seuche, die imvorhergehenden Jahre ganz Mitteleuropa betroffen hatte, nochnicht erloschen. Wie weit Frankreich von der Not ergriffenwar, lfst sich endgltig nicht erkennen, Nachrichten darberfehlen in den ostfranzsischen Annalen, und wenn Ekkehard^)von einer Hungersnot in Frankreich spricht, so wird mandiese Nachricht dem Zusammenhange nach sehr wohl beson-ders auf die belgischen Gebiete beziehen knnen. 1259 istBaiern von einer Hungersnot heimgesucht. Es berichten dar-ber Nachrichten aus Freising*), Scheftlarn^), Ranshofen)und Salzburg''), wenn auch hier der Autor das immerhin mil-dere Wort caristia gebraucht. Nrdlich der Donau machtsich der Notstand noch in Thalmssing^) durch hohe Preisebemerkbar. Das Viertel Weizen oder Roggen kostet 4 s.Hiermit ist das Notgebiet ungefhr umschrieben; stlich da-von, in Lambach^), wird noch von einem heifsen und trockenenSommer berichtet, aber nicht mehr von einem besonderenNotstande. In Bhmen verzeichnet man schon ein besonders

    1) a. J095 Ann. S. Mariae Ultraiect. S. S. XV, II, 1301, 36.2) a. 1096 Ann. Ottenbur. S. S. V, 8, 40.3) a. 1095 Ekkeh. ehr. univer. S. S. VI, 213, 48.4) a. 1259 Ann. S. Steph. Frising. S. S. Xm, 57, 10.5) Ann. Scheftlar. min. S. S. XVH, 344, 24.6) Ann. Wessof. ed. Leuter. Eist. Wessof. 11, 33; vgl. Lorenz,

    Deutschlands Geschichtsquellen I, 176.7) Ann. S. Rudb. Salisburg. S. S. IX, 795, 7.8) EUenhardi annal. S. S. XVH, 102, 40, Thalmssing nrdl. von

    Eichstdt. 9) Cont. Lambac. S. S. IX, 560, 12.

  • Verschiedene Arten der Hungersnte. 33

    gutes Weinjahr.^) Nachrichten aus Schwaben fehlen, aberam Rhein sind Weinlese und Ernte gut.^) In hnlicherWeise liefse sich die Begrenzung auch noch in anderen Fllendurchfhren.

    Die allgemeinen Hungersnte unterscheiden sich quali-tativ, in der Art ihrer Erscheinungen, nicht sehr von denlokalen. Das Bild der Not ist im Ganzen dasselbe, der Unter-schied liegt im wesentlichen nur in der grfseren Ausdehnungdes Notstandsgebietes. Es gehren zu ihrem Entstehen sobesonders ungnstige Witterungsverhltnisse, dafs klimatischund wirtschaftlich ganz verschiedene Gebiete gleichzeitig ge-troffen werden, oder um es fr den konkreten Fall dieserUntersuchung festzustellen, dafs Ober- imd Niederdeutschlandvon derselben Hungersnot heimgesucht ^werden. Dann wirdes sich zeigen, dafs immer im stlichen, oft aber auch inganz Frankreich und zum Teil auch in Italien oder EnglandHungersnot herrscht. Es ist damit ein grofses Gebiet um-schrieben, innerhalb dessen aber Schwankungen in dem Aus-dehnungsgebiete jeder einzelnen allgemeinen Hungersnot vor-handen sein knnen. Nur die Hungersnot von 13151317fllt das ganze von dieser Arbeit behandelte Gebiet aus, nurhier sind die Spuren der Not wirklich von Breslau bis Door-nik und von der Ostsee bis an die Alpen zu verfolgen. Inallen anderen Fllen ist das Notstandsgebiet mehr oder wenigerbeschrnkt, und besonders die peripherisch gelegenen Gebietesind hufig von Hungersnot nicht betroffen oder die Notlfst sich hier wenigstens nicht nachweisen. Ein Blick aufdie beiliegenden Tabellen wird das besttigen, die Rubrikender norddeutschen Kstengebiete, Bhmens und sterreichsbleiben hufig bei allgemeinen Hungersnten leer. Es handeltsich im Ganzen, wie wir sehen, um die Koloniallnder. ZumTeil werden wir diese Erscheinung ja darauf zurckfhrenknnen, dafs hier die an sich schon gegen das Mutterlandsprlichen Nachrichten ber Hungersnte verloren gegangensind, dann aber war auch die ganze wirtschaftliche Lage desLandes noch zu sehr von dem brigen Deutschland und Mittel-frankreich verschieden, als dafs man annehmen knnte, dafsdiese Gebiete immer an den Schwankungen und Strungendes wirtschaftlichen Lebens des Westens teilgenommen htten.Immerhin ist anzunehmen, dafs hufig die Hungersnte weiternach Osten ausgedehnt waren, als sich nachweisen lfst. Inder lteren Zeit wird die angedeutete Kulturgrenze nochweiter zurckzuschieben sein, so dafs im neunten Jahrhundert

    1) a. 1259 Cont. Cosm. S. S. IX, 177, 41.2) a. 1259 Ann. Wormat. Boos. Mon. Wonnat. 156, 18.

    Leipziger Studien, VI. 1: Curschmann, Hangerante. 3

  • 34 Verschiedene Arten der Hungersnte.

    schon eine allgemeine Hungersnot vorliegt, wenn nur dasmittelrheinische Gebiet, Oberdeutschland und, hier ist es natr-lich besonders wichtig, Frankreich betroffen wird.

    Aber auch im Westen finden wir, dafs in einigen Fllenscheinbar oder wirklich gewisse Gebiete an den allgemeinenHungersnten nicht teilnehmen. Undenkbar ist es doch an-zunehmen, dafs, whrend Belgien, Sachsen und Sddeutschlandbis nach Bhmen hin in den Jahren 11241126 von einerHungersnot heimgesucht wurden, das mittelrheinische Gebietverschont geblieben sein soll. Der Grund zu dieser auffallen-den Erscheinung liegt offenbar darin, dafs uns eine gute zeit-genssische Quelle aus dieser Gegend fehlt; was die Chr. reg.Col. berichtet, stammt aus Paderborn. Ebenso ist es nichtrecht erklrlich, dafs uns im Jahre 1145 alle Nachrichtenber eine Hungersnot in Belgien fehlen, whrend sie zu denJahren vorher und nachher bezeugt ist, und gleichzeitig inganz Deutschland und Frankreich Hungersnot herrschte.

  • Versnch einer Statistik.

    In dem Vorhergehenden habe ich versucht, die Grund-stze fr die Beurteilung der einzelnen Hungersnte zu gebenund habe dabei die beiden grofsen Hauptgruppen der allge-meinen und lokal begrenzten Hungersnte aufgestellt. Eswird sich jetzt darum handeln, die berlieferten Hungersntein ihrer Gesamtheit zu berblicken und zu sehen, was sichaus einer allgemeinen Statistik ergiebt.

    Die Schwierigkeit einer solchen Statistik liegt auf derHand. Von absoluter Vollstndigkeit des Materials kannnatrlich keine Kede sein; was an Material auf uns gekommenist, hat sich durch die tausend Zuflle der berlieferung er-halten und ist ohne Einheitlichkeit. Gleichwohl fordert diegrofse Zahl der Nachrichten zum Versuch einer Statistik auf.

    Die erste Frage ist nun, wie weit zur Aufstellung einersolchen Statistik Vollstndigkeit des Materials berhaupt ntigist. Es wird da entschieden fr einen allgemeinen berblickgengen, wenn wir fr jede verbreiterte Hungersnot auseinigen oder auch nur einer guten Nachricht die ungefhreAusdehnung des Notstandsgebietes bestimmen knnen. DasFehlen von Nachrichten aus irgend einem wichtigen Orteinnerhalb dieses Gebietes oder in der Nhe darf dabei nieverwundern, und kann auf vollstndig zuflligen Grndenberuhen.

    Viel wichtiger aber ist die Frage, in welchem Verhlt-nisse die Zahl der uns berlieferten zu der Zahl der ber-haupt einst vorhanden gewesenen Hungersnte steht, ins-besondere ob wir auf eine gewisse Vollstndigkeit der ber-lieferung in dieser Hinsicht rechnen drfen.

    Ein negatives Resultat ergiebt ein Blick auf die bei-liegenden Tabellen sofort. Fr das 8. und 10. Jahrhundert istdas vorliegende Material vollkommen ungengend, im Ver-gleich zu den anderen Jahrhunderten sind viel zu wenigHungersnte berliefert. Beim 8. Jahrhundert hat das seinenGrund darin, dafs berhaupt noch wenig aufgezeichnet wurde.

    3*

  • 36 Versuch einer Statistik.

    Fr das 10. Jahrhundert werden wir wohl mit Recht an-nehmen drfen, dafs durch die Raubzge der Ungarn undNormannen von der Litteratur dieser Zeit unendlich viel zer-strt worden ist.

    Es wird also nur noch zu fragen sein, ob denn fr diebrigen vier Jahrhunderte das Material so reichlich und gleich-mfsig ist, dafs man hoffen kann, brauchbare Resultate zu er-langen. Lamprecht hat, um diese Frage fr das Moselgebietzu beantworten, die Zahl der Hungersnte mit der der ber-schwemmungen, Erdbeben^^ und grofsen Sterben verglichenund gefunden, dafs die berlieferung aller dieser elemen-taren Ereignisse im Ganzen gleichmfsig ist.-^) Daraus wirddann gefolgert, dafs wir bei der berlieferung der Hungers-nte wohl mit Recht dieselbe Gleichmfsigkeit werden an-nehmen drfen. Diese Art der Untersuchung nun fr ganzDeutschland zu wiederholen wird sich, glaube ich, nicht em-pfehlen. Eine Vergleichung mit den berschwemmungen lfstsich naturgemfs nur fr ein Flufsthal ausfhren. Die Zahlder Erdbeben ist auch fr das Moselland sehr klein, und dochsind wir hier in der Nhe der Eifel, fast dem einzigen Ge-biete Deutschlands, das noch heute vulkanische Thtigkeitzeigt; in anderen Gegenden wrden die Zahlen noch geringersein. Auch von einer Vergleichung der grofsen Epidemieenkann ich mir kein rechtes Resultat versprechen. Dennochglaube ich in der Aufzhlung der Hungersnte im Verhltnissezu der Zahl der wirklich einmal vorhanden gewesenen einesehr grofse Vollstndigkeit erreicht zu haben, ja fr die all-gemeinen Hungersnte nehme ich sogar an, dafs diese Voll-stndigkeit absolut ist, dafs es aufser den von mir bestimmtenberhaupt keine allgemeinen Hungersnte gegeben hat.

    Zur Rechtfertigung dieser Behauptung lfst sich folgen-des anfhren: Die Erfahrung zeigt, dafs alle allgemeinenHungersnte, die wir kennen, durch eine betrchtliche An-zahl von Quellenstellen belegt sind. Um nur einige Bei-spiele anzufhren, so erwhne ich, dafs fr die Notperioden10051006 9 Nachrichten erhalten sind, fr 1043104516 Nachrichten, fr 10991101 21 Nachrichten, fr 1195 bis1198 sind es 39 und fr die Jahre 12251226 20 Nachrichten.Angesichts dieser Thatsachen wird man es nicht fr wahr-scheinlich halten, dafs alle Nachrichten ber eine allgemeineHungersnot verloren gegangen sind. Nun wre ja aber auchdie Mglichkeit vorhanden, dafs, wenn nicht alle, so doch soviele Nachrichten verloren gegangen wren, dafs die ber-

    1) Lamprechts Deutsches Wirtschaftsleben I, 590.

  • Versuch einer Statistik. 37

    lieferte Hungersnot nur noch als eine lokale erschiene. Ichglaube aber kaum, dafs diese Eventualitt dem berliefertenQuellenstoffe gegenber in Betracht kommt. Fr fast jedesder Notjahre finden sich aufser den Nachrichten, die ein ge-wisses Notstandsgebiet umschreiben, auch andere, die durchihren Inhalt erkennen lassen, dafs in den Gegenden ihrer Ent-stehung keine Hungersnot herrschte. Es sind das zuerstNachrichten, die von einer guten Ernte berichten, dann ganzallgemein Witterungsangaben; denn wir knnen mit Recht an-nehmen, dafs, wo eine Quelle es schon fr bemerkenswerthielt, ein Gewitter, Hagelschlag oder etwas Ahnliches zuzu verzeichnen, sie eine Hungersnot, die doch eine viel ein-drucksvollere Erscheinung war, nicht unbeachtet gelassenhtte.

    Erscheint also nach Lage des vorhandenen Materials eineVerwechslung der lokalen und allgemeinen Hungersnte nichtwahrscheinlich, so wird es sich jetzt fragen, wie weit wirdenn auf eine Vollstndigkeit in der berlieferung der lokalenHungersnte werden rechnen knnen? Hierbei unterliegt esnun keinem Zweifel, dafs von einer grofsen Anzahl kleinerereng begrenzter Hungersnte sich Nachrichten nicht erhaltenhaben; aber das glaube ich nach dem allgemeinen Eindrucke,den die Quellen hinterlassen, annehmen zu knnen, dafs diegrfseren provinziellen Hungersnte, wenigstens in den letztenJahrhunderten, ihrer Zahl nach vollstndig berliefert sind.

    Wenn wir aber immerhin hier nicht auf absolute Voll-stndigkeit der Nachrichten werden rechnen knnen, so wrdedoch die Frage auftreten, ob denn das Material wenigstensso gleichmfsig erhalten ist, dafs, auch eine gewisse Lcken-haftigkeit angenommen, wenigstens das Verhltnis der Zahlenzu einander in den einzelnen Zeitabschnitten richtig ist. DieseVerhltniszahlen sind aber das Wichtigste, da sie Zunahmeoder Abnahme der Hungersnte, und darauf kommt es jain erster Linie an, in derselben Weise erkennen lassen, wieein vollstndiges Material.

    Um die Gleichmfsigkeit der berlieferung zu prfen,ist es ntig, alles gesammelte Material im weitesten Sinne zubetrachten. Ich habe gewissermafsen als Hlfsgrfsen, aufserden Nachrichten ber die Hungersnte selbst, auch alles, wasuns sonst an Nachrichten ber die Witterung, berschwem-mungen und Epidemieen erhalten ist, gesammelt. Da ergiebtsich nun, wenn wir die Gesamtheit dieses Materials betrachten,dafs ohne jede solc