Hymnen an Šād-Ohrmezd . Ein Beitrag zur frühen Geschichte der Dīnāwarīya in Transoxanien

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Altorientalische Forschungen 19 1992 2 322-341

IRIS COLDITZ

Hymnen an Säd-Ohrmezd. Ein Beitrag zur frühen Geschichte der DTnäwarlya in Transoxanien

D i e mitte l i ranischen manichäischen T u r f a n f r a g m e n t e enthal ten eine g r ö ß e r e A n z a h l

v o n H y m n e n , we lche an K i r c h e n f ü h r e r und andere W ü r d e n t r ä g e r der manichäischen

K i r c h e gerichtet s ind. 1 Es sind H y m n e n zum Preise dieser Persönl ichkei ten oder

solche aus A n l a ß ihrer A m t s e i n f ü h r u n g bzw. zum G e d e n k e n an ihren Tod . Leider

nennen die F ragmente im al lgemeinen selten den N a m e n der entsprechenden Persön-

l ichkeit . Ist dies doch der Fall , so sind sie o f t Mani als dem St i f ter und ersten A p o s t e l

der manichäischen K i r c h e gewidmet .

Z u den w e n i g e n ebenfal ls als Adressa t v o n H y m n e n nament l ich genannten K i r c h e n -

f ü h r e r n 2 gehör t , neben A m m ö , Z a k u und D ö s i s t - A r y ä m ä n , auch ein gewisser

Säd-Ohrmezd . D e r N a m e ist sonst nicht belegt, hat aber Ähn l i chke i t zu anderen durch

N o m i n a l k o m p o s i t a bzw. D e t e r m i n a t i v k o m p o s i t a aus A d j e k t i v + Eigenname gebi l-

deten N a m e n w i e Nëw-Xusrau „der gute X . " bzw. „der Held X . " 3 oder Tahm-Säbuhr

„der starke S ." 4 A m ehesten verg le ichbar ist Säd-Säbuhr „der f reudige S." 5 Süd (aus

ap. sijäta- „glückl ich, f röh l ich") ist als Namensbestandtei l schon in den elamischen

V e r w a l t u n g s t ä f e l c h e n aus Persepol is be legt . 6 Ohrma^d gibt es als Bestandteil zwei- (28

mal) u n d dreig l iedr iger (2 mal) sasanidischer Personennamen, meist als letzten Teil

des Namens , in v i e r Fäl len auch an erster Stel le. 7 Schre ibweise und Aussprache des

1 Vgl. M. Boyce, A Catalogue of the Iranian Manuscripts in Manichean Script in the German Turfan Collection. Veröffentlichung des Instituts für Orientforschung der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin Nr. 45, Berlin 1960, 148: Nr. 48 To Mani; 149: Nr. 72 Funeral and memorial hymns, Nr. 73 In honour of the hierarchy and community, Nr. 74 In honour of named individuals, Nr. 75 Installation hymns, and hymns in honour of church-leaders and patrons. Insgesamt nennt M. Boyce unter diesen Kategorien 104 Fragmente, nicht eingerechnet die ca. 50 Fragmente, die Montags- und BSma-Hymnen enthalten.

2 Neben den hier genannten Personen wird noch ein weiterer Lehrer der xwaräsan päygös in den Texten erwähnt, ihm gewidmete Hymnen sind jedoch nicht erhalten: Näzug-yazad (n ' sy f f^d in M 801, vgl. W. B. Henning, Ein manichäisches Bet- und Beichtbuch, in: APAW 1936, Nr. 10, Z. 214).

3 Vgl. F. Justi, Iranisches Namenbuch, Marburg 1895, 229. 4 Vgl. Ph. Gignoux, Noms propres sassanides en moyen-perse épigraphique. Iranisches Personennamenbuch,

hrsg. v. M. Mayrhofer und R. Schmitt, Bd. II Fase. 2, Wien 1986, 166 Nr. 890 „der tapfere S."; ebenda Nr. 891 Tabm-Ya^degerd; Justi Namenbuch 319 Tahm-Horma^d „der starke H.".

5 Vgl. Justi Namenbuch 271. 6 Vg. M. Mayrhofer, Onomastika Persepolitana. Das altiranische Namengut der Persepolis-Täfelchen, Wien

1973 (Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse, Sb. 286, Bd. = Veröffentlichungen der Iranischen Kommission Bd. 1), 234 Nr. 8.1563: Si-ja-ti-is als Kurzform zu einem mit *(-)siyäti-gebildeten Kompositum, wie z. B. Si-ya-ti-par-na (ebenda Nr. 8.1562) und Ba-ru-si-ya-ti-is (ebenda 141 Nr. 8.266), oder auch als ein primär unkomponierter Name „Wonne, Glückseligkeit"?

7 Vgl. Gignoux, Noms propres 209; sowie St. Zimmer, Zur sprachlichen Deutung sasanidischer Personenna-men, in: AoF 18 [1991] 1, 118f., 148.

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Hymnen an Säd-Ohrmezd 323

Namens scheinen in mitteliranischer Zeit sehr vielfaltig gewesen zu sein.8 Säd-Ohrme^d bedeutet etwa „froh (durch) Ohrmezd" und könnte somit ein theophorer Name sein (auf die manichäische Gottheit Ohrmezd, den „Urmenschen" bezogen). Aber auch die Erklärung als Wunschnamen „froher Ohrmezd" (hier als Eigenname einer Person gemeint) ist möglich.9 Es bleibt somit unklar, ob es sich um den tatsächlichen Eigennamen des Säd-Ohrmezd handelt oder um einen kirchlichen Namen, der ihm erst bei seinem Eintritt in die manichäische Kirche gegeben wurde.

Die hier untersuchten Hymnen geben den Namen des Säd-Ohrmezd in folgenden Varianten an: P a r t h . ?d 'wrmy^d, ΐ d 'whrmy^d ( z w e i m a l ) , ΐ dwrmy^d; M p . ΐ d 'ivhrm^d, s d 'wbrmy^d

(im gleichen Satz steht auch parth. xwd'wn statt mp. xwd'y). Diese Beispiele scheinen eine parthische Aussprache *Ohrmezd zu bestätigen. Die Manichäer haben sich wohl an dieser Form orientiert, um sich bewußt vom Ohrmazd der Zoroastrier zu distanzieren. Da es sich bei Säd-Ohrmezd eventuell um einen kirchlichen Namen handelt, läßt sich über die ethnische Herkunft seines Trägers keine definitive Aussage machen.

Sein Name erscheint in den vier mittelpersisch-parthischen Hymnenfragmenten M 198 a, M 315, M 448 und M 1607 und ist wahrscheinlich in dem Bruchstück hagiographischen Inhalts M 624 a rekonstruierbar. Wer war dieser Säd-Ohrmezd, und welche Bedeutung hatte er für die manichäische Kirche? Im Kolophon des mittelpersisch-türkischen Hymnenbuches10 M 1, der seinen Namen ebenfalls nennt, wird das Todesjahr des Säd-Ohrmezd zum Ausgangspunkt für die Datierung der Entstehung des Buches, neben der sonst üblichen Datierung nach Manis Geburt. Müller errechnete so als Todesjahr des Säd-Ohrmezd das Jahr 600 u. Z. 1 1 , man wird aber dafür den Zeitraum von März 600 bis März 601 u. Z. in Betracht ziehen müssen.12

8 Parth. I 'hwrm^d, Phl. 'whrm\dy (einmal hwlm\dy), dagegen Mp. Τ und Parth. Τ 'ivhrmy^d und 'wrmy^d mit Aufhel lung der letzten Silbe. Das deutet auf eine Aussprache *Ohrmezd in den Turfantexten hin (vgl . auch D. N. MacKenzie, Notes on the Transcription of Pahlavi , in: BSOAS X X X , Part 1 ,1967,25 zur Schreibung des Lautes ê mit dem Buchstaben y). Arab, und Np. kommen vielfältige Formen vor: Aurma\d, Ormi^d, Hurma^d, Hormi^d, Hurmu\, HormiHormu\ (zu den Namensformen vgl . Justi Namenbuch 7; sowie H. S. Nyberg, A Manual of Pahlavi II, Wiesbaden 1974, 113 f.). * Ohrmazd scheint somit die echte mp., *Ohrme%d die speziell parth. Form zu sein, während in späterer Zeit beide Formen verwendet wurden. Weitere Beispiele für eine Schreibung des ê mit y im Parth. sind: ' sqyd für ' skd „Dornen" (vgl. I. Colditz, Bruchstücke manichäisch-parthischer Parabelsammlungen, in: AoF 14 [1987] 2, 308), 'ynf m für hynj'«rbzw. 'nfmysn „Ende, Vol lendung" oder Ableitung von hnj'm- Präs. St. „beenden" (vgl . ebenda 309), ivys¿d für w ^ d „versehrt, vermindert" (W. B. Henning, Mitteliranische Manichaica III, in: SPAW 1934, 909) und f i y f w - für frs'w- Präs. St. „senden" (M 448/ l.S./l/, ediert im vorliegenden Artikel 334f.).

9 Man vgl . auch den Namen „Friy-Ohrmas^d", den Ph. Gignoux (Noms progres 87 Nr. 383) mit „aimé (par) Ohrmazd" übersetzt. Dagegen erklärt ihn St. Zimmer (Sasanid. Personennamen 148) als eine Zusammen-rückung und übersetzt „lieb dem Ohrmazd". Vgl . auch ebenda Anm. 161 den Hinweis von W. Sundermann auf parth. fryhrmn „Freund der Lichter", wörtl . „lieb dem Licht".

10 F. W. K. Müller, Ein Doppelblatt aus einem manichäischen Hymnenbuch (Mahrnâmag), in: APAW 1912, Berlin 1913, 15f. (Übersetzung Müller) : „Im Jahre 546 nach der Geburt des Lichtgesandten, [d. i.] jetzt im Jahre [freigelassen], nachdem er emporgehoben wurde in Machtfülle, und im Jahre 162 nach der Emporhebung des Mär Säd-Ohrmizd, des Weisen, war es, daß begonnen wurde dieses Hymnenbuch . . . "

11 Ebenda 37. Die Emporhebung, mp. ahrämisn, ist der terminus technicus der Manichäer für die Auffahrt der Seele ins Lichtparadies nach dem Tod.

12 Al-BTrûnï (Ät i ru 1-biqiya 'ani 1-qurüni 1-hâlîya, ed. E. Sachau, Chronologie orientalischer Völker von Albêrûnî, Leipzig 1923) gibt als Geburtsjahr Manis das Jahr 527 der babylonischen Astronomen an, dieses würde den Zeitraum 216—217 u. Z. umfassen. Das chinesische Compendium (G. Haloun — W. B. Henning, The Compendium of the Doctrines and Styles on the Teaching of Mani, the Buddha of Light, in: Asia

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Wie H. H. Schaeder13 richtig feststellte, hat eine solche doppelte Datierung nur dann Sinn, wenn Säd-Ohrmezd für den östlichen Manichäismus eine bedeutende, ja geradezu prägende Rolle spielte. So führte Schaeder auf dessen Wirken die Entstehung der DInäwarlya14 zurück, jener durch ein Schisma zur Selbständigkeit gelangten manichäi-schen Kirche Mittel- und Zentralasiens. An-Nadlm15 berichtet in seinem Fihrist darüber, daß die manichäische Kirche nach Manis Tod eine Zeitlang vereinigt blieb und ihr geistliches Zentrum in Babylonien, in Seleukia-Ktesiphon, hatte. Dann jedoch spaltete sich die DInâwarïya im Osten, „hinter dem Flusse von Balch" (dem Oxus, heute Amudarja) unter einem eigenen „Führer" ab. Die Ursache für das Schisma lag wohl in der Frage nach der orthodoxen Einhaltung der religiösen Vorschriften16 und in der daraus resultierenden Weigerung der östlichen Manichäer, die babylonische Kirchen-leitung weiter als geistliche Autorität anzuerkennen. Sie erklärten mit der Einsetzung eines eigenen Kirchenoberhauptes faktisch ihre Unabhängigkeit von der Mutterkirche und bewahrten ihre Autonomie, bis auch sie sich wieder der Vorrangstellung des manichäischen Oberhauptes Mihr in Seleukia-Ktesiphon unterordneten, welcher ca. 7 10 -740 u. Z. im Amt war. 1 7 Dies geschah noch zur Zeit des Kalifen Walïd ben 'Abdulmalik (705-715 u. Z.),18 also zwischen 710 und 715 u. Z. Wenn auch

Major, N. S., Vol. III, Part II, London 1952, 200f.) nennt als Datum den 14. 4. 216 (vgl . W. Sundermann, Studien zur kirchengeschichtlichen Literatur der iranischen Manichäer III, in: AoF 14 [1987] 1, 75).

13 H. H. Schaeder, Iranica, in: Abh. Ges. der Wiss. zu Göttingen (Phil.-hist. Kl.), 3. Folge Nr. 10, Berlin 1934, 79 f.

14 Dem arab. Wort dtnäwariya liegt ein in mehreren iranischen Sprachen bezeugtes Substantiv zugrunde: mp. dênaivar, parth. dênâwar, soghd. öenäßar bzw. fem. öenäßaränc, PI. denäßaräsi, und gibt wahrscheinlich eine frühneupersische Form dtnäivar wieder. Im Chinesischen lautet die Umschreibung aus dem 7. Jh . tinaba und eine spätere Form diannawu. Die Begriffe mp. dënawar bzw. parth. dênâaar sowie das Abstraktum dfnäwarJft hatten die Bedeutung „Religion habend, fromm, rechtschaffen" und dienten vor allem im engeren Sinne als Bezeichnung der manichäischen Erwählten, darüber hinaus auch als Selbstbezeichnung der Manichäer Mittel- und Zentralasiens. Die Bezeichnung Dmâmarîyâ ist wahrscheinlich älter als das Schisma der manichäischen Ostkirche und existierte lange darüber hinaus bis mindestens ins 11. Jh. Es handelt sich also nicht primär um eine Sektenbezeichnung, eine solche Bedeutung könne auch sekundär, vielleicht erst in arabischer Zeit, entstanden sein. (Vgl . zu den Namensformen sowie zu weiterer Literatur W. Sundermann, DInäwarlya, in: Encyclopaedia Iranica [im Druck])

Die Langlebigkeit dieser Selbstbezeichnung der östlichen Manichäer ist sicher auch dadurch zu erklären, daß sie nicht zur Abgrenzung von den westlichen Glaubensbrüdern diente, sondern eher zur Unterschei-dung von anderen Religionsgemeinschaften, wie Buddhisten und nestorianischen Christen sowie später von Moslems.

15 G. Flügel, Mani, seine Lehre und seine Schriften. Aus dem Fihrist des Abu 1-faradsch Muhammad ben Ishak al Warrâk, genannt Ibn Abî J a ' k û b an-Nadîm. Leipzig 1862, 66f. (arab. Text) und 97f. (Übersetzung).

16 Auch nach Überwindung des Schismas galt die manichäische Gemeinde in Transoxanien als Vertreter der reineren Lehre. So wandte sich Zäd-Hormuz, ein ehemals reicher und zum Manichäismus konvertierter Mann, der in der babylonischen Hauptgemeinde keine Befriedigung seiner strengen religiösen Ansprüche gefunden hatte, zur Dïnâwarlya „hinter dem Balch-Fluß". Er blieb dann aber doch in Seleukia-Ktesiphon (arab. Madäin), wo er die Unterstützung des damaligen Sekretärs des Statthalters Hadsäds ben Jüsuf (gest. Mai oder Juni 714) bekam. Da seine Bitte um einen Kirchenvorsteher aus Mittelasien abschlägig beantwortet wurde (die ehemals „Abtrünnigen" beriefen sich nun auf die Autorität des archegos Mihr), übernahm er die Leitung zunächst selbst und bemühte sich um die strikte Einhaltung aller Gebote in seiner Gemeinde. (Vgl . Fihrist 98, 323 Anm. 61, 326 Anm. 266, 327 Anm. 267) Diese Haltung führte, spätestens unter seinem Nachfolger Mikläs, zu einer erneuten Kirchenspaltung in die gemäßigte Partei der Mihrïya und die orthodoxe Partei der Mikläslya, die bis etwa 880 u. Z. andauerte. Die Auswirkungen dieses Streits waren bis in die ostturkestanischen Gemeinden zu spüren. (Vgl. W. Sundermann, Probleme der Interpretation manichäisch-soghdischer Briefe, in: AAntHun 28 [1980] Fase. 1 -4 , 289-316, bes. 292-304)

17 Vgl . W. B. Henning, Neue Materialien zur Geschichte des Manichäismus, in: ZDMG 1936, 17). 18 Vgl . Fihrist 98.

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H y m n e n an S ä d - O h r m e z d 325

Säd-Ohrmezd im Fihrist selbst nicht genannt wird, so ist doch anzunehmen, daß er der erste Lehrer, d. h. also Kirchenführer der DTnäwarlya und damit ihr eigentlicher Begründer war, und daß nach seinem Tode eine neue zusätzliche Datierung eingeführt wurde, um die Bedeutung dieser Zäsur in der eigenen Kirchengeschichte hervorzu-heben. Unklar ist die Rolle des Säd-Ohrmezd bei der Abspaltung von der Hauptkirche, ob er als der eigentliche Schismatiker oder eher als Reformer zu werten ist, und welche Stellung er vor dem Schisma in der Hierarchie einnahm.

Zur Person des Säd-Ohrmezd ist wenig überliefert. Jahr und Ort seiner Geburt, seiner Amtseinführung oder weitere Lebensdaten sind unbekannt; er starb im Jahr 600-601 u. Z. Die ihm gewidmeten Hymnen preisen ihn als „machtvoll" (kirdagär), als „Herr (und) Gott" (xwadäj bag), als „geliebtesten Sohn des Herrn Mani" (pus J dôsistâ mariï xwadâw an), als „Herrscher der Kirche" (sahriyär îdën), als „Lehrer von Choräsän" (xwaräsämyä hammö^ßg),

als „Lehrer der Wahrheit" (hammö^äg trästth) und als „Führer" (sârâr). Er wird also im Rang eines manichäischen Lehrers gestanden haben und wurde von den Gemeinden seiner Kirchenprovinz als „Führer" verehrt. Dabei muß man feststellen, daß „sich derartige Erwähnungen von bedeutenden Kirchenfürsten in unseren Texten gewöhnlich auf überschwengliche Lobpreisungen (beschränken), die auf Leben und Wirken der genannten Persönlichkeiten keine Schlüsse ermöglichen ... selbst starke Epitheta wie „Erlöser" (bö^ägar), „Beieber und Totenerwecker" (%ëndakkâr, anjìwag, murdäxe^J . . . , gerade die zunächst auffallenden Attribute Manis, gehen weiterhin auf die übrigen Großen der Hierarchie über."19 Säd-Ohrmezd muß also zu jenen Großen gehört haben.

Säd-Ohrmezd wurde also noch lange nach seinem Tod große Verehrung zuteil. Davon zeugt eben auch, wie im Mahrnämag, das erst um 762 u. Z. begonnen und zwischen 825 und 832 u. Z. (unter dem Uighurenherrscher Ay t(ä)ngridä qut bulmïs20 alp bilgä uyyur x(a)nyan21, dem die Widmung am Anfang des Werkes zugeeignet ist) vollendet wurde, das Andenken an den großen Kirchenführer bewahrt wird. Ebenso behielt man bis in diese Zeit (und vielleicht noch länger) die eigentümliche Datierung nach dem Todesjahr des Säd-Ohrmezd bei, auch wenn das Schisma, das er personifizierte, seit über einhundert Jahren überwunden war. Offenbar galt Säd-Ohrmezd den Manichäern der Ostkirche auch darüber hinaus als hervorragende Persönlichkeit ihrer Kirche.

Neben dieser These einer kontinuierlichen Tradition muß aber auch eine zweite Erklärung in Betracht gezogen werden. Gerade das Transoxanien der Mitte des 8. Jh. war geprägt durch die militärischen Eroberungszüge der Omayyaden (und später der Abbasiden) und mit ihnen durch das Vordringen des Islam in diese Gebiete. Das könnte ein erneutes Besinnen auf die eigene Herkunft der mittelasiatischen manichäischen Gemeinden hervorgerufen haben, wollte man doch dem Islam etwas Ebenbürtiges, Altehrwürdiges entgegenstellen und sicher auch das eigene Selbstbewußtsein stärken. Dazu wurden sogar völlig unhistorische Anleihen herbemüht, wie am Beispiel des mp. Fragments M 2 I deutlich wird. Der Text22 ist ein spätes kompilatorisches Erzeugnis des

1 9 V g l . E. W a l d s c h m i d t - W . Len tz , D i e S te l lung J e s u im M a n i c h ä i s m u s , in: A P A W , J g . 1 9 2 6 (Phil .-hist . K l . ) ,

N r . 4, Ber l in 1 9 2 6 , 8 f . 2 0 Nach A u s s a g e v o n P. Z i e m e ist bulmïs als eine dia lekta le F o r m zu u igur . bulmïs anzusehen . 21 D i e S c h r e i b u n g χαηγαη mit » ist u n g e w ö h n l i c h , m a n e r w a r t e t xayatt. M ö g l i c h e r w e i s e w a r die V o r l a g e f ü r

den T e x t soghdisch geschr ieben , w o die Ze ichen f ü r a und » g raph isch nahezu g le ich s ind (Hinweis P.

Zieme). 2 2 Z u A n a l y s e u n d ζ. T . v e r s c h i e d e n e r In te rpre ta t ion des F r a g m e n t s M 2 v g l . u. a.: Schaeder Iranica 7 7 f . , 8 2 f . ;

S u n d e r m a n n , K i r c h e n g e s c h . L i t e ra tu r II, in : A o F 1 3 [ 1 9 8 6 ] 2 , 2 7 1 - 2 7 3 .

22 Altoriental. Forsch. 19 (1992) 2

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326 Iris Colditz

turkestanischen Manichäismus, indem er ein Stück alter missionsgeschichtlicher Überlieferung - ein Bericht über die Reise des Apostels Mar Ammö in den Nordosten des sasanidischen Reiches - mit einer ätiologischen Legende kombiniert, welche auf volksetymologische Weise die Erklärung für den Namen der DTnâwarïya liefert und damit die Entstehung der östlichen Gemeinschaft in die Zeit Manis und Ammös (3. Jh.) zurückverlegt. Ein solches Wortspiel dênâwar „religionsbesitzend, fromm" (aus dem Parthischen abgeleitete alte Form) und dënàtvar „Religionsbringer" (aus np. dên-âwar)

erhält allerdings erst in neupersischem Sprachumfeld Sinn. Uber das Wirken des Säd-Ohrmezd als Oberhaupt der ostmanichäischen Kirche gibt

es nur Vermutungen. So scheint nach dem Schisma eine Neubearbeitung des überlieferten Schrifttums eingesetzt zu haben,23 die man wohl als Grundstein für die weitere ostmanichäische Literaturentwicklung ansehen kann.24 Auch hat Anfang des 7. Jh. Soghdisch das Parthische als Sprache der manichäischen Kirche zu verdrängen begonnen, wobei es sicher übertrieben wäre zu behaupten, "it was replaced by Sogdian in Transoxania probably under Mär Säd-Ormizd".25

Eine ebenso ungeklärte Frage ist die nach dem Amtssitz des geistlichen Führers der Dïnâwarïya zwischen ca. 600 und 715 u. Z. Der Begriff der Kirchenprovinz „Osten", der xwaräsänpäygös, machte über die Jahrhunderte große inhaltliche Veränderungen durch. Allgemein kann man feststellen, daß das Territorium, welches man darunter verstand, keine genau umrissenen Grenzen hatte. Mitte des 3. Jh. bereiste Mar Ammö, der eigentliche Begründer der manichäischen Ostkirche, für die er mit seiner Mission den Grundstein legte, den Nordosten des sasanidischen Reiches und gelangte nach Abarschahr mit der gleichnamigen Hauptstadt, nach Merw und nach Zamb am Oxus, vielleicht auch nach Balch26. Abarschahr und Merw wurden zu Hauptzentren des östlichen Manichäismus in sasanidischer Zeit.27 Die hier erfolgreich genutzte Mis-sionssprache war das Parthische, von dem Mar Amm5 solide Kenntnisse hatte. Da diese Zentren zum Ausgangspunkt der weiteren Zentral- und Ostasienmission wurden, war es nur verständlich, daß neu missionierte Gebiete den Begriff der Kirchenprovinz Osten erhielten. Die in Ostturkestan gefundenen Fragmente verstehen darunter im allgemei-nen das Land nordöstlich des Iran bis nach China, speziell jedoch die östlich des Pamir gelegenen Regionen, deren Zentrum Qoco war. Unter Chosrou I (6. Jh.) wurde Choräsän als eines der vier Reichsviertel Bereich eines militärischen Oberkommandos und umfaßte die Gebiete nordöstlich der Wüste Kavïr bis an die Ränder der Turanischen Tiefebene. Erst in islamischer Zeit erscheint Choräsän als Name einer bestimmten iranischen Provinz.

Die mehrfachen Verfolgungen der Manichäer in sasanidischer Zeit28 führten dazu, daß sich der Schwerpunkt der Gemeinde einerseits nach Westen in den Irak, andererseits

23 Vgl . W. B. Henning, Ein manichäisches Henochbuch, in: Sb. P A W , 1934, 33. 24 Vgl. F. C. Andreas-W. B. Henning, Mitteliranische Manichaica aus Chinesisch-Turkestan II, in: S P A W

1933, 305 Anm. 1. W. B. Henning kommt zu der Ansicht: „Die in Turkestan gefundenen manichäischen Schriften sind gewiß sämtlich dieser Sekte zuzuschreiben." Der Begriff der Sekte ist hier allerdings unzutreffend, da sich das Schisma nicht auf Grund dogmatischer Streitigkeiten vollzog.

25 W . B. Henning, Two Manichaean Magical Texts, with an Excursus on the Parthian ending -êtidêh, in: B S O A S 1947, 49.

26 Ebenda. 27 Vgl . Henning, Neue Materialien, 8 f. 28 Die großen Manichäerverfolgungen fanden unter Vahram I (273-276), Vahr im II (276-293) und Hormizd

II (302-309) statt.

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Hymnen an Sid-Ohrmezd 327

weiter östlich nach Baktrien29 und Transoxanien verlagerte. Nach dem Fihrist30

überschritten die Manichäer auf ihrer Flucht bereits bald nach Manis Tod den Oxus. Es ist nicht sicher, ob sich der Manichäismus auch schon zu Lebzeiten Manis in Transoxanien fest etabliert hatte.31 Bis Ende des 7. Jh. bildeten jedoch die gewaltigen Gebirgszüge des Pamir und des Tienschan, die Innerasien nach Westen hin abschließen, die äußerste Ostgrenze des Gebietes der manichäischen Kirche. Der eigentliche Weg nach China „war den Manichäern jedoch zunächst durch die Tibeter versperrt, die Ostturkestan von 670 bis 684 u. Z. besetzt hielten: kaum hatten aber die chinesischen Heere dies Gebiet wiedererobert, kaum war die große Karawanenstraße, die über Kaschgar, Kutscha und Karaschahr nach Osten führte, wieder frei geworden, da erschien, im Jahre 694, der erste manichäische Apostel am chinesischen Kaiserhof; er wird genannt ,ein Mann aus dem Perserreich, namens Fu-to-tan'."32

Als eigentliche Träger der manichäischen Ostmission kann man die Soghder bezeichnen. Dieses ostiranische Volk hatte traditionell die Handelsverbindungen entlang der Karawanenwege zwischen Transoxanien und China inne und vermittelte vor allem den chinesischen Seidenexport nach Westen, wofür China (vielleicht schon seit dem 1. Jh.) aus Ferghana und Tocharistan Pferde für das Heer bezog.33 So entstand ein Netz von Handelsposten über den Pamir hinweg. Obwohl die Sogdiana zwischenzeitlich von den Xiongnu (Chioniten, 4. Jh.) und von den sogenannten „Weißen Hunnen" (Hephthaliten, 5./6. Jh.) politisch beherrscht wurde, ist der Ost-West-Handel auch in diesen Zeiten nie ganz zum Stillstand gekommen.34 Nach der Niederwerfung der Hephthaliten zwischen 563 und 567 u. Z. wurden der Oxus und das „Eiserne Tor" (der Engpaß von Buzghala zwischen Samarkand und Balch) zur Grenze zwischen Türken und Persern.35 Den soghdischen Händlern war so eine große Bewegungsfreiheit im türkischen Reich garantiert, deren Herrscher die wirtschaftlichen Möglichkeiten erkannten und ihrerseits ein Interesse am direkten Handel mit Byzanz, unter Umgehung der Perser und als Alternative zum byzantinischen Seehandel, entwickelten. Die wirtschaftliche und politische Neuorientierung der transoxanischen Soghder nach Osten könnte eine Ursache für die Entscheidung der dort ansässigen Manichäer gewesen sein, sich nun auch religiös auf sich selbst zu besinnen und als selbständige Gemeinschaft ihren Glauben entlang der Karawanenstraßen bis nach China zu tragen.36 Sie nannten sich dabei einfach „Fromme, Rechtgläubige" (parth. dinäwar > soghd. öenäßar). Allerdings erklärt das noch nicht ausreichend, warum sich die mittelasiatischen Manichäer eine Zeit lang als von der Hauptkirche autonom betrachteten. Auch Christen und Buddhisten

29 Vgl. das manichäisch-baktrische Fragment bei I. Gershevitch, The Bactrian Fragment in Manichean Script, in: A A n t H 28 [1980], 281 -288 .

30 Fihrist 76 f. (arabischer Text) bzw. 105f . (Übersetzung). 31 So bei S. N. Lieu, Manichaeism in the Later Roman Empire and Medievial China. A Historical Survey.

Manchester 1985, 178. 32 Henning, Neue Materialien lOf. Fu-to-tan umschreibt soghd. aftäbän „Siebziger", d. i. „Bischhof" (ebenda

13f.). 33 Vgl. W. B. Henning, Mitteliranisch, in: HdO, 1. Abt., 4. Bd., 1. Abschn., Le iden-Kö ln 1958, 54. 34 Das zeigen die zahlreichen sasanidischen Münzen, die in China gefunden wurden, vgl . Lieu Manichaeism

180. 35 Schaeder Iranica 41 . 36 Im Jahre 732 u. Z. wurde in China ein kaiserliches Edikt erlassen, das Fremden gestattete, dort ihre eigene

Religion auszuüben. Damit war auch der Manichäismus offiziell in China zugelassen. Dreißig Jahre später, 762 u. Z., nahm der uighurische Herrscher Bögü Xan den Manichäismus an und machte ihn zur Staatsreligion seines Steppenreiches.

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Page 7: Hymnen an Šād-Ohrmezd . Ein Beitrag zur frühen Geschichte der Dīnāwarīya in Transoxanien

328 Iris Colditz

nutzten die Karawanenstraßen für ihre Mission, was jedoch nicht zur Spaltung in den jeweiligen Kirchen führte.

Es ist also wenig wahrscheinlich, daß sich der Sitz des Oberhauptes der Dlnäwariya um 600 u. Z. bereits in Ostturkestan, etwa in Qoco37, befunden hat. Der Fihrist spricht von der Empörung der Manichäer „jenseits des Balch-Flusses", womit Transoxanien, die eigentliche Sogdiana und Choresm, gemeint ist. Als geistliches Zentrum der Manichäer kommen hier mehrere Städte in Betracht, die wirtschaftliche und kulturelle Zentren Soghdiens waren: zuerst natürlich Afrasiab (das heutige Samarkand), welches Anfang des 10. Jh. nachweislich Sitz eines manichäischen Bischofs war,38 Pendschikent und Buchara; aber auch die Zentren des Ferghana-Tales, Chodschent und Kokand, erscheinen dafür möglich, sind sie doch östlichster Punkt für den Weg über den Pamir nach Kaschgar.

Eine Aussage über das tatsächliche Maß der Ausbreitung des Manichäismus in Transoxanien ist auch deshalb problematisch, weil es bis heute keine materiellen Zeugnisse dieser Religion in diesem Gebiet gibt. Die erhaltenen soghdischen Malereien und andere archäologische Funde enthalten keine Spuren manichäischer Aktivität. Während Baktrien und sicher auch Teile Parthiens mehr buddhistisch geprägt waren,39

zeugen die Funde und Nachrichten aus und über Transoxanien von einem starken zoroastrischen Kult in dieser Region. "The almost complete absence of later Manichaean activities in Marw from written sources may indicate the effectiveness of Sassanian persecutions, both Zoroastrian and Christian, which had driven the sect further to the south-east."40 Schließlich hat der seit Mitte des 8. Jh. in diese Gebiete vorrückende Islam Druck auf die manichäischen Gemeinden in Mittelasien ausgeübt und das Seinige dazu getan, noch sichtbare Spuren der „Ungläubigen", der ^endtqs, zu tilgen. So bleibt nur, auf neue Funde und unerschlossene Quellen aus Transoxanien zu hoffen, um weiteres Licht in die Geschichte der manichäischen Dlnäwariya zu bringen.

Zur Edition der Hymnenfragmente

Es werden vier Fragmente aus vier unterschiedlichen Handschriften vorgelegt, in denen der Name Säd-Ohrmezd genannt wird: M 198 a, M 315, M 448 und M 1607. Sie enthalten mittelpersische und parthische sogenannte Kurzhymnen, welche die Form von Doppelversen haben41; z. T. enthalten sie Paralleltext und entsprechen oder ergänzen sich inhaltlich (Verweise dazu sind in der Edition gegeben). Dabei gibt es auch

37 Nachweislich Sitz des Oberhaupts der ostmanichäischen Kirche ist Qoco im uighurischen Königreich von Qoco, Mitte des 9. Jh. 'Amt b. Bahr al Gählz (gest. 868/869 u. Z.) unterscheidet in seinem Kitäb at-tarbP wa t-tawdlr drei manichäische Hauptgemeinden: 1. αί-musaddiqïya (oder al-musaddaqJja), die Manichäer seiner arabisch sprechenden Heimat, 2. ad-dinawarija, die Manichäer Mittelasiens, 3. at-tugu^¿u^Jya, die Manichäer im Königreich von Qoco (S. H. Taqizadeh-A. A. Sïrâzï, Man! wa dïn-e ü, Teheran 1335 = 1956-57, 98; zitiert nach Sundermann, Kirchengesch. Literatur II, 271).

38 Vgl. Fihrist 106 sowie 398f. Anm. 402 u. 403. Bis Mitte des 10. Jh. ging die Zahl der Manichäer dort lt. an-Nadlm, stark zurück. Die Verlegung des Sitzes des Kirchenführers nach Samarkand im 10. Jh. knüpft vielleicht auch an alte Traditionen an.

39 In Merw wurde sogar ein buddhistischer Stupa gefunden, vgl. Lieu Manichaeism 183. 40 R. N. Frye, The Golden Age of Persia, London 1975, 43. 41 Die hier festgestellten Merkmale der sogenannten Kurzhymnen finden sich auch in den Montags- und

Bima-Hymnen wieder, welche von Frau Christiane Reck für eine Edition bearbeitet worden sind (noch nicht erschienen).

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Hymnen an Säd-Ohrmezd 329

inhaltliche oder graphische Varianten. Die gleichen Kurzhymnen können in den ver-schiedenen Fragmenten in unterschiedlicher Reihenfolge auftreten. Zur Demonstration sei hier ein Schema dargestellt, bei dem die Hymnen, mit A beginnend, fortlaufend benannt werden. Einander entsprechende Kurzhymnen sind mit dem gleichen Buch-staben bezeichnet:

M 315 M 198 a M 448 M 1607

A (parth.) [...] [...] [...] Β (parth.) C (parth.) R (parth.) F (mp.) C (parth.) O (mp.) O (mp.) U( ? ) D (mp.) [...] [...] [...] E (mp.) Ρ (mp.) S ( ? ) V (mp.) F (mp.) Q ( m p . ) A (parth.) O (mp.) G (mp.) T ( ? ) H (mp.) [...] I (mp.) J (mp.) Κ (mp.) L (mp.) M (mp.) Ν (parth.)

Leider ist auf keinem der Fragmente eine Überschrift erhalten. Es scheint sich aber um Sammlungen von Kurzhymnen (parth. mahr, mp. basati) zu handeln, deren Anordnung untereinander variabel war. Offensichtlich konnten aus einem reichen Fundus an Hymnen immer neue Sammlungen erstellt werden, die sicherlich von Zeit zu Zeit durch neue Dichtungen ergänzt wurden. Die hier vorliegenden Hymnen sind nicht alpha-betisch geordnet, obwohl eine gewisse Vorliebe für einen Wechsel zwischen dem Anfangsbuchstaben ' und einem Konsonanten zu bemerken ist, die allerdings auch nicht konsequent eingehalten wurde.

Die Hymnen sind, soweit klassifizierbar, Säd-Ohrmezd gewidmet, sie nennen seinen Namen (A, B, C, D, E, O, U) oder sein Amt („Lehrer", „Führer": Η, I, J, K, L), dazwischen werden Segensformeln eingeschoben (F, G, M). Vielleicht ist dies das Grundmuster der Hymnensammlung in M 315, die anderen Fragmente jedoch lassen keine gesicherte Aussage darüber zu. Die Hymnen P, Q, R, S, Τ und V nennen weder Namen noch Amt, es ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß es sich ebenfalls um Hymnen an Säd-Ohrmezd handelt. Hymne Ν ist an den „glänzenden Vollmond" gerichtet. Der Mond ist das Lichtschiff von Jesus dem Glanz, welcher auch mit dem Licht-Nus identifiziert wird.42

42 „Die Jesus bzw. Christus auch sonst in der Gnosis neben einer kosmologischen zugeschriebene besondere Bedeutung als Lehrer läßt den Nus schon im Lichtschiff eine ihm zugeteilte Begleitgröße sein ..." (A. Böhlig, Die Gnosis, 3. Bd. Der Manichäismus, Zürich-München 1980. Die Bibliothek der Alten Welt Bd. MCMLXXX, 36.) Sollte hier das Epitheton „Vollmond" = Jesus als Lehrer auf Säd-Ohrmezd übertragen worden sein?

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330 Iris Colditz

Fragment M 315: (Boyce Catalogue 22) Doppelblatt, mp., parth., Anfangsverse von Hymnen, einschließlich Hymnen an Säd-Ohrmezd

Das Fragment M 315 ist das einzige der hier vorgestellten, welches bereits in teilweiser Transliteration und Übersetzung vorliegt: M 315 I/R/9—21/ Transliteration und Übersetzung vgl. Waldschmidt-Lentz, Stellung Jesu 60, wo der Text als eigenständige Lobpreishymne vorgestellt wird; dazu Be-merkung von W. B. Henning "these lines contain verses of 3 separate hymns" (vgl. Boyce Catalogue 22). R/9—12/ Transkription vgl. W. Β. Henning, Das Verbum des Mittelpersischen der Turfanfragmente, in: ZU 1933, 236. V/2,4,6-7,8-9/ Worter-klärungen vgl. MirMan. II, 324 Anm. 7. II/R/8—9/ Transliteration vgl. ebenda 323 Textanmerkung 4. R/10-11,19/ Wörter zitiert vgl. ebenda 324 Anm. 1.

Es handelt sich um ein bis auf wenige Löcher gut erhaltenes Doppelblatt, mit allen Rändern und der Innenfaltung versehen. Die Seiten sind einspaltig mit kleiner, leicht kursiver Schrift beschrieben. Oberhalb der jeweils ersten Zeile ist die Überschrift abgerissen. Der Text von R zu V ist fortlaufend. Somit kann der vollständige Schriftspiegel pro Seite mit 5,1 bis 5,2 cm Breite χ 11,9 bis 12,3 cm Höhe angegeben werden.

I R I

1-31 = M 448/2.S./4—5/ ewig. (Parth.) Gott Säd-Ohr-3/ y 'wyd 'no o bg s 'dwrmzd' ewig. (Parth.) Gott Säd-Ohr-

4/ ny(w 'wd) qyrdg'r tw ' r j 'n 'yy4 3 mezd, guter (und) mächtiger, Du 5/ c m h st ysn bist wert unseres Lobpreises 6/ 'wd ' frywn o rgm'n j 'm ' '(c) und Segens; schnell führe uns 7/ z 'wr 'wd ws 'brng' s'dft aus der Gewalt, und viel Eifer, 8/ 'wd prywj 'n ' 'w hmg dyn Freude und Sieg zur ganzen rei-

9/ (q)l 'n o o ' fryn 'm 'w nen45 Kirche <gib>. Wir preisen 10/ (t)w xwd 'y ' bg s'd 'wrmyzd( ' ) Dich, oh Herr, Gott Säd-Ohrmezd, 111 bwj 'gr o tw bwd 'yy 'w 'm 'h ' 4 6 den Erlöser, Du warst uns der 12/ nw 'g (mwr)d'hyz'4 7 'njywg o oo neue Totenerwecker-Beleber. 13/ nmbrym 'w s'd 'whrmzd (Mp. ) Wir verehren Säd-Ohrmezd, 14/ zyndkr ' ym'n gy 'n pscg den Beieber unserer Seele, 15/ 'w tw dwsyst "st'ysn Dir Geliebtester geziemt Lobpreis 16/ 'wd nwg 'fryn oo oo ( 'w) und neuer Segen. Dich 17/ tw ' s t ' y 'm ' by s'd lobpreisen wir, Gott Säd-18/ 'whrmyzd pws ' y dwsyst'48 Ohrmezd, geliebtester Sohn des

43 Parth. j y „du bist" ist hier geschrieben wie mp. h y j „du bist", man vgl. aber eine ebensolche Schreibweise des h in shry'r (I R/19/). Oder ist hier neben 'st'jsn ein weiteres mp. Wort im parth. Text enthalten?

44 Mp. Wort. 45 Parth. qín kann sowohl „groß" als auch „rein" bedeuten, wohl zu soghd. kr η (vgl. N. Sims-Williams,

A New Fragment from the Parthian Hymn-Cycle Huyadagmân, in: Etudes Irano-Aryennes offertes à Gilbert Lazard, hrsg. ν. Ph. Gignoux, Paris 1989 (Cahier de Studia Iranica 7), 329.

46 M 198 a: 'm'h. 47 M 198 a: mwrd'xj^. 48 Text vom Anfang der Strophe bis hierher fehlt in M 1607.

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Hymnen an Sad-Ohrmezd 331

19/ m'ny xwd'wn49 o shry'y dyn' 20/ tw50 'rz'n hy' 'st'ysn u 21/ 'fryn ws51 oo oo 22/ frydwn dybyr kys nybyst zywyd52

I V /

1/ 'fryn 'wd "st'ysn 2/ °y sn'n xwdy'h'n 3/ s'dyh 'wd wzrg pyrwzyy54

4/ 'yg zwr'n 'rd(y)k(r)'n 5/ 'wrw'rysn 'wd nwg

- c a . 11 Zeilen f r e i —

6/ pdxsr 'c rwsn'n 7/ wzrg'n o whybg'ryh 8/ 'wd nwg 'bzwn 'c zwr 9/ 'yg zwrymnd prwxyh55

II R /

1/ 'w(d) ['c] (w'x)s'n (')yrwd' 'br 2/ t(w) ['wd] 'b[r] (t)w (prm)'n57 'yt

Herr Mani, Herrscher der Kirche, Du bist wert des Lobpreises und vielen Segens. Farldün der Schreiber, der es schrieb. Lebet!53

(Mp.) Segen und Lobpreis der drei Gottheiten, Freude und großer Sieg der streitbaren Kräfte, Verehrung und neue

Ehre von den großen Licht-wesen, Hilfe und neue Vermehrung von der mächtigen Kraft, der Glorie <der Religion ?>56

und [von] (den Geistern) unter und über Dir58, [und] über den Befehl59 Deines

49 Parth. Wort. M 1607 hat möglicherweise xw(d)['y o] wegen Platzmangel. 50 M 1607: tw. 51 M 1607: tw 'r%'n hy '(m)['h 'st'y](s)n '(wd ' f r y y ) n ws. 52 Unterschrift des Schreibers (rote Schrift). 53 Der Name Farldün ist persisch. Trotzdem könnte er soghdischer Nationalität gewesen sein; denn die

manichäischen Electi erhielten bei ihrer Aufnahme in die Kirche kirchliche Namen, die meist in der manichäischen Kirchensprache, eben in Persisch, waren. Vgl. W. B. Henning, Ein manichäisches Bet- und Beichtbuch, in: APAW 1936 Nr. 10, 11). dybyr gehört zu mp. dbyr „Schreiber" (MirMan II 341) und zu dyb „Brief (MirMan III 899), von ap. dipt „Inschrift" (Ch. Bartholomae, Altiranisches Wörterbuch, Straßburg 1904, 747). dipt- ist ein bereits früh entlehntes Wort aus dem Elamischen oder Sumerischen.

54 /V/1—3/ rote Schrift. 55 /V/8—9/ rote Schrift. 56 Zu sn'n xwdy'h'n, %wr'n 'rdykr'n, rwsn'n wzrg'n vgl. MirMan II 324 Anm. 7. Die „drei Gottheiten" sind die

Trias Vater-Mutter-Sohn bzw. Vater-Sohn-Heiliger Geist und bilden als erstes Glied zusammen mit dem zweiten Glied „Licht" rwsn'n wzrg'n, d. h. den beiden großen Lichtern Sonne und Mond, und dem dritten Glied „Kraft" %wr 'yg çwrymnd, den „streitbaren Kräften" die Tetras Gott-Licht-Kraft-Weisheit. Das vierte Glied „Weisheit" ist nicht direkt rekonstruierbar, jedoch könnte prwxyh verkürzt für prwxyh ' y dyn „Glorie der Religion" stehen, welche die Weisheit symbolisiert (Hinweis W. Sundermann).

57 prm'n ist nur unsicher ergänzbar; sicher lesbar sind nur am Anfang ρ und vor m ein Punkt über der Zeile, sonst stark abgeschabt.

58 'yrw£ ist bisher nicht belegt. Der erste Buchstabe ist stark versehrt, statt groß geschriebenem ° wäre auch m als Ergänzung möglich. Sundermann denkt an eine Bildung aus 'yr „unten, unter" mit angefügtem „Anrufungs"-' und einem enklitischen Pronominalsuffix der 2. Sg. mit der Bedeutung „unter Dir", allerdings wäre die Schreibung des Suffixes -wd statt -wt doch ungewöhnlich. Eine andere Möglichkeit der Erklärung ist eine Bedeutungseinheit 'yrwd 'br aus *'yr 'wd 'br „unter und über", d. h. „von allen Seiten, von überall", vgl. Pähl, er ud abar "upside down" (MacKenzie, Pahl.Dict. 30). In diesem Fall wäre die Schreibung -wd statt 'wd für „und" nicht exakt.

59 „Befehl" kann hier auch im Sinne von „Geruhen zu" verstanden werden (Hinweis W. Sundermann).

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332 Iris Colditz

3/ 'mdy(s)[ny](h) o o yzd 4/ [rwsn](') zwr 'wd whyh tw 5/ hm[y](w) 'bz(')y'nd' nwg nwg 6/ (r')mysn 'st'ysn u 'fryn 7/ p[d](x)sr °y wzrq 'w tw 8/ (xwrV)ny' hmwc'g ey nyw 9/ [4—5](.)61 oo oo 'md hy pd

10/ [nwg] mwrw'h tw hmwc'g 11/ (cy) r'styh 'wr' pd 12/ (s'd)yh 'b'g frh'n 'wd 13/ (w'xs)'n nsyd 'br g'h 14/ [3-4 ']fryn 'c yzd'n frystgn(t) 15/ ['wb](')yn'nd zyw wnyr 'w j'yd'n 16/ oo o ('f)ryn 'y zrw'n' 17/ 'bz('r) nyrwg dsn 'y r 'mysn'

18/ pd jdg cy (nyw znyr')d 'br tw

19/ (h)m(w)c'g 'y r'styh 20/ my(s)gyt r(')myn'd' whmn 21/ shry('r) oo oo 'w tw 22/ ' fwr'd' yzd rwsn 'w twy

Kommens. Gott, [Licht], Kraft und Weisheit mö-gen Dir (stets) immer aufs neue vermehren Frieden, Lobpreis und Segen; große Ehre Dir, guter [...] Lehrer von Xwaräsän60. Gekommen bist Du mit [neuem] Vorzeichen, Du Lehrer (der) Wahrheit, herbei in Freu-de, mit den Glorien und (den Geistern)62, setz Dich auf den Thron [...S]egen von den Göttern; die Engel mögen Dich63

[schützen]; lebe, bleibe64 für immer. Der Segen des Zurwän, die starke Kraft, die Rechte des Friedens mit dem (guten) Ruhm65

(* versehen?)66 <sei> über Dich, Lehrer der Wahrheit, immer möge Dir Vahman der Herr-scher Frieden geben. Du seiest gepriesen, Gott <und> Licht, Du seiest

60 Die manichäische Kirchenprovinz „Osten" (mp. xwr's'np'ygws) bezeichnet die östlich vom Pamir liegenden Gebiete mit dem kirchlichen Verwaltungszentrum Qoco, das auch Sitz des „Lehrers", des geistlichen Oberhauptes der Kirchenprovinz war (vgl. Henning, Neue Materialien 15f. u. Anm. 2). Die hier im Text vorliegende Form xwr s'ny könnte einen Vocativ eines soghdischen *xmr's'ny darstellen.

61 Inhaltlich könnte man „Name" ri m oder „Vorzeichen" mwrm'h ergänzen. Die erhaltenen Zeichenreste sind aber so gering, daß keine Ergänzung sicher ist.

62 Die „Glorien und Geister" sind wahrscheinlich Schutzgeister oder Schutzengel, welche die einzelnen Kirchenprovinzen behüten (vgl. Bet- und Beichtbuch 11). Nach E. Waldschmidt — W. Lentz (Manichäische Dogmatik aus chinesischen und iranischen Texten, in: SPAW 1933, XIII (Phil.-hist. Kl.), Berlin 1933, 493) soll es sich um verstorbene Gemeindemitglieder handeln. Zur Übernahme von lokalen Schutzgottheiten (z. B. Flußgöttern) und ihrer Umdeutung durch die Manichäer zu Schutzgeistern bestimmter Kirchen-provinzen vgl. auch W. Sundermann, Die mittelpersischen und parthischen Turfantexte als Quellen zur Geschichte des vorislamischen Zentralasien, in: Prolegomena to the Sources on the History of Pre-Islamic Central Asia, hrsg. v. J . Harmatta, Budapest 1979, 149-151.

63 „Dich" wird durch Anfügen der enklitischen Endung der 2. Sg. an frystgn ausgedrückt. 64 wnyr V j ' y d ' n spiegelt wohl eine umgangssprachliche Wunschformel für persönliches Wohlergehen oder

für Erfolg in Dienst oder Amt wider. Die beiden Imperativformen von %yw- „leben" und wnyr- „(dauerhaft) bleiben, existieren" (zu dieser Erklärung des Wortes vgl. D. Weber, Die sogenannten Inchoativa im Mitteliranischen. Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Georg-August-Universität zu Göttingen. Göttingen 1970, 73-78) sind hier zu einer semantischen Einheit verknüpft (weitere Beispiele dazu ebenda 75 Anm. 32). Dagegen geben D. N. MacKenzie (A Concise Pahlavi Dictionary, London 1972, 91) und M. Boyce (A Word-List of Manichaean Middle Persian and Parthian, in: Acta Iranica, Trois, sér., Vol. II, Suppl., Leiden - Téhéran - Liège 1977, 92) eine Bedeutung "be arranged, established; stay" an.

65 Zu jdg „Ruhm" vgl. Bet- und Beichtbuch 111, dagegen MacKenzie, Pähl. Diet. 46 jadag „omen". 66 ç n y r d evtl. zu np. yantr "wise, learned, intelligent" (F. Steingass, A Comprehensive Persian-English

Dictionary, New Delhi 1973, 627). Das Wort ist sonst nirgends belegt, die Lesung aber eindeutig. Man kann vielleicht von der Verbform her mit wnyr vergleichen (s. Anm. 64), so daß eine 3. Sg. Konj. eines intransitiven Verbes *\in(n)tr- vorliegen würde.

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Hymnen an Säd-Ohrmezd 333

II V/

'st 'y 'd ' zwr ('w)[d] (wh)yh 'wt dyy'd67 m'ny xwd'y nwg nwg s'dyh 'w tw nyw mwrw'h' hmwc'g cyg 'stwd n'm oo oo nmbrym 'w b'n 'γ b'ryst 'wd 'wrw'rym 'w s'r 'r cyg 'stwd n'm r'm 'c pys 'wd drwd 'c psyy' zyw wnyr pd s'dyh

j 'yd'n o o 'fryn' drwd 'wd nwg nwg r'mysn' wnyr'd 'br tw xwd'y (m'ny') rwdwr b'n 'wd frystg'n 'w tw 'fwr'nd' (fr)h'n w'xs'n mysgyt r'myn'nd oo oo frwx jm'n 'wd rwc s'r nyw hw'b'd kd (...) 'spyxt 'yy 'br 'm'h nwg pwrm'h cy br'z'g 'hr'm pd drwd 'wt 'w 'm'h

gelobt, Kraft (und Weisheit); und Dir möge der Herr Mani im-mer neue Freude geben zu Deinem guten Vorzeichen, Lehrer geprie-senen Namens. Wir verehren die höchsten Götter und beten den Führer geliebten Namens an; Frieden und Heil von Anfang bis Ende68; lebe, bleibe in Freude ewiglich. Segen, Heil und immer neuer Frieden ist gediehen über Dich, mitleids-voller Herr (Mani); die Götter und Engel mögen Dich segnen, die Glorien und Geister Dir immer Frieden schenken. (Parth.) Glücklich die Stunde und der Tag, das neue wohlbereitete Jahr, als (...) Du erstrahlt bist über uns, neuer glänzender Vollmond, erhebe Dich mit Heil, bringe uns [.. .]

Fragment M 198a: (Boyce Catalogue 14) Mp., parth., Hymnen, u. a. zum Preise von Säd-Ohrmezd

Es handelt sich um ein kleines, offenbar aus einem Blatt herausgerissenes Fragment, nur der Rest des äußeren Randes ist erhalten. Die Schrift ist mittelgroß, breitgezogen und etwas ungelenk. Der erhaltene Schriftspiegel beträgt 6,2 cm Breite χ 3,8 bis 3,9 cm Höhe.

R/l-4/=M 315 I /R/9-12/ /4—7/=M 448/1. S./3-6/=M 1607/2. S./2-Aj

67 d j y ' d ist offensichtlich eine vom Präs.st. dyy- „geben" abgeleitete Form. W. Sundermann vermutet eine Bildung dajy-ad (mit Pleneschreibung des -a- zur Unterscheidung von d y j d „gesehen") durch Anfügen des enklitischen Pronomens der 2. Sg. „gebe Dir". Daneben könnte man aber auch ein sekundäres Part. Pt. neben däd vermuten, vielleicht als passivische Form „gegeben worden". Eine solche Form ist allerdings sonst nicht belegt.

68 Es handelt sich anscheinend wieder um eine umgangssprachliche Redewendung, wörtl. „Frieden von vorn (oder: vom Vorhergehenden) und Heil vom hinten (oder: vom Vergangenen)".

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334 Iris Colditz

V/

1/ [1/2 Zeile](d)69 'yrks b[4-5] 2/ (k)[5—6]η70 nyys pd c(.)[3-4]

3/ nyw'n 'w 'm' xwys'n frzynd'[n] 4/ pdyrm'n wyndysn pd dyl ey pw[r] 5/ pryh oo 'wd'y ' pd dws'rm (')[c] 6/ wn' 'wd 'st'r 'wm'n gy'n'[n] 7/ z'myn 'w h'n shry°r[yh'n rwsn'n]

(Mp.)

[...] mit respektvoll gekreuzten Armen71 [...] schau mit guten [...] zu uns, den eigenen Kindern; nimm unser Gebet mit liebevollem Herzen; rette uns mit Liebe (aus) Schuld und Sünde, und führe unsere Seelen voran zu jenen [Licht]herrscher[tümern]

Fragment M 448: (Boyce Catalogue 29) Parth., Hymnen an Säd-Ohrmezd

Das Fragment ist an seinen Umrissen stark zerstört, der breite Außenrand ist erhalten, der innere und der obere Rand dagegen sind abgerissen. Die jeweils erste Zeile ist zugleich die oberste. Für die Schrift sind graue Grund- und Begrenzungslinien gezogen, die Schrift selbst ist mittelgroß und etwas steif und eng. Nur zwei Zeilen sind vollständig erhalten, der daraus rekonstruierbare Schriftspiegel beträgt 8,4cm Breite χ 5,2 bis 5,3 cm Höhe.

1. S./

1/ [1/4 Zeile]('w) 'm'h frys'wm'n 2/ [1/3 Zeile] leer oo 3/ [nm'c] (V) s'd 'whrmyzd72

kyrdg'r73

4/ 'wd74 nyw [n'm] (z)yndkr75 dyy76

frwxyh77 'w

(Parth.)

[...] sende uns unseren [...] (Mp.) [Verehrung] (dem) mäch-tigen Säd-Ohrmezd, dem Erlöser guten [Namens]; gib Glück uns (und)

65 Statt d auch r ergänzbar, da oben abgerissen. 70 Statt k auch χ ergänzbar. 71 Zu 'jrksvgl. MacKenzie, Pähl. Diet. 31 : Phi. êr-kas ['dlks] "(hands under the armpits in respectful) salution,

greeting". Zu dieser Form der Ehrerbietung gegenüber Höherstehenden vgl. auch W . Sundermann, Zur Proskynesis im sisänidischen Iran, in: MIO X [1964] 213, 283f . Die Hände wurden vor der Brust gekreuzt und in die Achselhöhlen gesteckt, die Arme bedeckten dabei die Brust. Diese Haltung wurde auch während des Fußfalls beibehalten. Üblich und vorgeschrieben war sie, wenn jemand vor den König trat. Neben êr-kas gibt es weitere Bezeichnungen dieser Form der Ehrerbietung : dast harde ba kas, dast abar has, dastbâ %êr-îkas, ba kas karde dast, dastkas estât (zu den Begriffen vgl. ebenda). Auch für die Kinder galt die Vorschrift : „so tretet vor Vater und Mutter, die Hände respektvoll auf der Brust „pestpidumäd dastpa kasframân-burdârîhâ êstêd (vgl. H. F. J. Junker, Ein mittelpersisches Schulgespräch, in: Sb. Heidelberger A d W , Phil.-hist. Kl . , Jg. 1912, 15. Abh., 20, Z. 27).

72 M 1607: V hg sd 'whrmyzd. 73 M 198 a: qyrdgr. 74 M 198 a: 'wt; M 1607: » (?). 75 M 198 a: ^yndkr fehlt. 76 M 1607: dy. 77 M 198 a: prwxyh.

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Hymnen an Sîd-Ohrmezd 335

5/ 'm('h 'wm')n rw'n tw bwj'wm'n78

6/ ['pryn] (nw)g s'fdyh 'wd] [pyr](w)zyh

2. S./

1/ ws oo 's 'h (drwd 'b)[r tw] 2/ 's 'h sfdyft t.)[l/3 Zeile] 3/ 'c 'm'h (pydr 'ngw)[n xwd'y s'd] 4/ 'whrmyzd79 °w r(m rw)[sn cy]

tw w(xd)80

5/ wjyd81 'bywzynd p( 'y ' yhm) y 'wyd'n

6/ o kd (b)[6-7](h) nw'g (.)[4-5]

unserer Seele, Du erlöse uns; [Segen], neue Fr[eude und] (Sieg) [. . .]

[ . . . ] viel [. . .] (Parth.) (Heil) komme (über) [Dich], (Freude) kom-me[...]^von unserem (Vater Ruhe) [Herr Säd-]Ohrmezd, die (Licht-gemeinde), [welche] Du (selbst) erwählt hast, (bewahre) un-versehrt für immer. Als [...] neue [...]

Fragment M 1607 = Τ I D 51: (Boyce Catalogue 75) Mp., Hymnen, u. a. an Säd-Ohrmezd

Erhalten ist von dem Fragment nur ein breiter Außenrand. Die Schrift ist klein und gleichmäßig, der erhaltene Schriftspiegel beträgt 5,0 bis 5,1 cm Breite χ 4,3 cm Höhe.

1. S. /l-3/=M 315 I/R/19—21/ - 1 Zeile leer —

4/ [2-3](2-3) s'd 'whr(m)[yzd 6-8] [. . .] Säd-Ohrm[ezd ...]

2. S./

1/ [6—8](.)n *y (m)[l/2 Zeile] (Mp.) [. . .] des [. . .] — 1 Zeile leer —

/2—4/ =M 198 a/R/4—7/ = M 448/1. S./3-6/

Fragment M 624 a: (Boyce Catalogue 43) Mp.

W. Sundermann bestimmte das Fragment als Teil einer mp. Kirchengeschichte. Zu derselben Handschrift gehören weiterhin M 422, M 903 und M 3401 ( = T I D 51). Die Fragmente liegen zusammen in edierter Form vor.82 Im Text wird auch zweimal der Name des ersten Archegos und Nachfolgers Manis, Sisinnios, mp. stsin, erwähnt: M 903/VP/5/ mrysjsn und M 3401/1. S./2-3/ bmwcÇg) [...] mrj sj(sn). Möglicherweise wird auch Innaios, ein Jünger Manis und Nachfolger des Sisinnios genannt: M 3401/1.

s./i/ HO j ( n ) [ - J - a

78 M 198 a: 'wm'n rw'n tw bwj'wm'n fehlt. 75 Text von 's'h bis 'whrmyzd (Zeile /I—4/) in M 315 nicht enthalten. 80 M 315: xwd. 81 M 315: wjyd'. 82 W. Sundermann, Mitteliranische manichäische Texte kirchengeschichtlichen Inhalts. Berliner Turfantexte

XI, Berlin 1981, 141-143, Texte 28.1 bis 28.5. 83 Vgl. ebenda 143 Anm. 1.

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336 Iris Colditz

2. S./

1/ [ ] 'y w'xs ywjdhr J^des Heiligen Geistes 2/ [ 'whr]myzd whyg'r oo oo Säd-Ohr]mezd, der wohltätige 31 [ ] 'wd pd (k)'m shr ] und mit Willen Land 41 [ ](.d) *s(m)['h] (w)yspn ] (ihr) alle

Abschließend sollen einige Bemerkungen zum sprachlichen Zustand der Hymnen folgen.

Der Text zeigt bereits einen gewissen Grad der Sprachvermischung zwischen dem Mittelpersischen und dem Parthischen. So gibt es mittelpersische Wörter ( ' s t ' j s n , 2 χ x w c t j ) und auch einmal die mittelpersische Ezafë-Verbindung (pwrtnb ' y b r \ ' g ) in parthischen Hymnen, aber auch ein parthisches Wort (xwd'wn) in mittelpersischem Kontext. Das bedeutet, daß zwischen beiden Sprachen nicht mehr exakt unterschieden wurde. Trotzdem ist der Text in seiner Gesamtheit sprachlich intakt und zeigt noch keine stärkeren Dekadenzerscheinungen. Damit läßt sich eine Entstehungszeit zwischen dem 6. und 8. Jh. vermuten, d. h. in einer Zeit, als Parthisch nicht mehr, aber Mittelpersisch noch gesprochen wurde. Zwar weist die Form xwr's'ny' (mit Vokativ-endung) möglicherweise auch auf soghdischen Spracheinfluß hin, aber dies ist die einzige diesbezügliche Belegstelle.

Die Hymnen enthalten einige umgangssprachliche Wendungen, die sämtlich im mittelpersischen Kontext stehen: 'yrwet 'br „unter und über", wnyr „lebe (und) bleibe", r m 'c p y s 'wd drwd 'c p s y y „Friede von vorn und Heil von hinten".

Ein weiteres Charakteristikum der Hymnentexte ist die relativ häufige Verwendung von enklitischen Pronomina84, vor allem in den mittelpersischen Hymnen (für die parthischen sind nur zwei Belegstellen enklitischer Pronomina vorhanden). Es handelt sich um Pronomina der 2. Sg. und der 1. Pl., die vorzugsweise an Substantive85, die Ezafë-Verbindung86, Imperativformen des Verbs87, den Konjunktionspartikel „und"88

oder an Adverbien89 angefügt worden sind. Somit kann zusammenfassend festgestellt werden, daß die Sprache der mittelpersi-

schen Hymnen als lebendig und offensichtlich an der Umgangssprache orientiert einzuschätzen ist. Die parthischen Hymnen sind mit nur wenigen Fehlern durch den Schreiber möglicherweise aus älteren Vorlagen kopiert worden; oder sie sind zeitgleich mit den mittelpersischen entstanden. In letzterem Fall verfügte der Autor noch über sehr gute Kenntnisse der alten Kirchensprache.

84 Zu den enklitischen Pronomina und ihrer syntaktischen Verwendung vgl. Henning Verbum 242 und 244; C. Brunner, A Syntax of Western Middle Iranian. Persian Studies Series Nr. 3, Delmar-New York 1977, 97-115.

85 Mp. frystgnt 'wb'yn'nd „die Engel mögen Dich schützen". 86 Mp. ^yndkr 'ym'n gy'n „Beieber unserer Seele"; mp. prm'n(?) 'yt 'mdysnyh „Befehl(?) Deines Kommens". 87 Mp. ta> bwj'wm'n „Du erlöse uns"; mp. piyrrnn nyndysn „nimm unser Gebet"; parth. 'm'h fryTwm'n „sende

uns unseren [...]". 88 Mp. V/ dyy'd m'ny xwd'y mug mug Tdyh „und Dir möge der Herr Mani immer neue Freude geben"; mp. 'n>

'm'h 'wm'ti rwn „uns und unserer Seele"; mp. 'wm'ngy'tt'n \tnyn „und führe unsere Seelen voran". 85 Parth. rgrnn j'm' „führe uns schnell"; mp. mysgyt r myn d' whmn shry'r „immer möge Dir Vahman der

Herrscher Frieden geben"; m p . f r h ' n w'xfn mysgyt r myn'nd „die Glorien (und) Geister mögen Dir immer Frieden schenken".

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Abb. 1. M 315 /I/R/ und /II/V/. Foto: M. Hamann.

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Tafel II Iris Colditz

Abb. 2. M 315 /I/V/ und /II/R/. Foto: M. Hamann.

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Iris Colditz Tafel III

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Abb. 3. M 198 a/R/. Foto: M. Hamann.

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Abb. 4. M 198 a/V/. Foto: M. Hamann.

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Tafel IV Iris Colditz

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Abb. 6. M 448/2. S./. Foto: M. Hamann.

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Iris Colditz Tafel V

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Abb. 7. M 1607/1. S./. Foto: M. Hamann.

Abb. 8. M 1607/2. S./. Foto: M. Hamann.

23 Altoriental. Forsch. 19 (1992) 2

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