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I love you, Viktoria Andersson

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Mit Vignetten von Eva Schöffmann-Davidov

Aus dem Schwedischen von Maike Dörries

Gabriel

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Für Jessi und meine Familie

E. S.

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Ein Mitbürger

Ich war draußen unterwegs, um Zettel aufzuhängen. Hier

wohnen nicht so viele Kinder. Die meisten sind älter als ich.

Es gibt zwar ein paar Babys, aber mit denen kann man irgend-

wie nichts anfangen. Wenn ich was mit einem anderen Kind

zusammen mache, dann mit Siri. Ich wohne in der Zwölf und

sie in einem der Einfamilienhäuser. Manchmal klingelt sie bei

uns und fragt, ob ich zum Spielen rauskomme. Dann weiß

ich, dass Emma nicht zu Hause oder krank ist. Emma hat

dauernd neue Klamotten. In der Schule behandeln sie mich

wie Luft. Aber mir macht es so oder so keinen Spaß, mit mei-

nen Mitschülern zusammen zu sein. Sie sind ziemlich kin-

disch, finde ich.

Die Sommerferien waren zu Ende, die Schule hatte wieder

angefangen, der Herbst stand vor der Tür. Ich brauchte nie-

manden, war gerne alleine. Das war überhaupt kein Problem.

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Jedenfalls lief ich an diesem Nachmittag herum und häng-

te Zettel auf. Nagel war seit ein paar Tagen verschwunden.

Auf den Zetteln stand: STECKBRIEF! Nagel ist weg.

Und dann stand da noch unsere Telefonnummer. Ich hatte

ein Foto von Nagel kopiert, wo er auf meinem Bett liegt. Das

habe ich selbst geknipst. Er war der süßeste Kater auf der

ganzen Welt und es war schrecklich leer in der Wohnung nur

mit Mama und mir. Hoffentlich war ihm nichts zugestoßen.

Mama meinte, das könnte am Umzug liegen, dass Nagel et-

was verwirrt war. Aber wir wohnten doch jetzt schon fast ein

Jahr hier.

»Was machst du da?«

Ich drehte mich um und da stand Runa und funkelte mich

griesgrämig an. Rex zog an der Leine, aber sie hielt ihn fest.

»Ich hänge einen Steckbrief auf«, sagte ich. »Meine Katze

ist verschwunden.«

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»Die verbreiten nur Gestank und machen überall ihre Ge-

schäfte«, brummelte Runa.

Am liebsten hätte ich sie angeschrien, dass das gar nicht

stimmte, Katzen waren reinliche Tiere, aber ich sagte nichts.

Wenn man Runa widerspricht, wird es nur noch schlimmer.

»Davon gehen die Wände kaputt«, sagte sie. »Denk dran,

dass ich ein Auge auf dich habe.«

Ich sagte wieder nichts. Konnte sie nicht endlich weiterge-

hen. Rex keuchte und zerrte an der Leine. Er wollte an etwas

auf dem Boden schnüffeln, kam aber nicht ran, weil Runa

ihn so knapp an der Leine hielt. Vor ein paar Wochen habe

ich PISSE KACKE an die Fahrstuhlwand geschrieben, gleich

neben den Knöpfen. Aber nur mit Bleistift. Ich war so was

von wütend. Manchmal mache ich solche idiotischen Sachen,

wenn ich wütend bin. Ich kann nichts dafür. Aber ich habe

eine schöne Schrift, obwohl ich erst neun bin.

Ich machte einen kleinen Schritt nach vorn, keine Ahnung,

warum, und da hörte Rex auf, rumzuschnüffeln und stürzte

sich stattdessen auf mich. Runa ruckte so fest an der Leine,

dass er fast erstickte und nach hinten geschleudert wurde.

Er ist ein ziemlich großer Hund, ein Schäferhund. Eigentlich

sollte man meinen, dass zu alten Tanten besser kleine Hun-

de passen, weil sie nicht so viel Kraft haben. Aber Runa hat

Kraft.

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»Pass auf!«, sagte Runa zu mir. »Rex ist ein kluger Hund. Er

mag keine Rotzgören.«

Ich machte einen Schritt rückwärts, wollte gehen. Wollte,

dass Runa geht.

Da hörte ich weit entfernt ein Geräusch. Es wurde plötzlich

ganz still in der Straße. Selbst Rex hörte auf zu kläffen. Eine

Windbö fegte über den Boden und wirbelte eine leere Plastik-

tüte in die Luft. Unsere Straße ist sehr gerade und es fahren

selten Autos hier vorbei. Jetzt war das Geräusch wieder zu

hören. Ein Dröhnen. Eine kleine Sandwolke sauste vorbei und

stach mir in den Augen. Ich kniff sie zu, und als die Luft wie-

der einigermaßen klar war, sah ich ganz am Ende der Straße

etwas aufblitzen, groß und blau. Es kam näher und ich konn-

te erkennen, dass es ein Bus war. Wir haben keine Bushalte-

stelle in unserer Straße. Aber der Bus kam genau auf uns zu,

die Scheinwerfer blinkten auf und wir gingen zur Seite. Es

staubte und wehte, als er vorbeifuhr, auf den Schotterplatz

hinter unserem Wohnhaus einbog und vor der Waschküche

stehenblieb, direkt unter meinem Fenster. Runa und ich gin-

gen dorthin. Die Fahrertür ging auf und ein langes Jeansbein

schob sich heraus. Dem Bein folgte der Rest der Frau. Sie hielt

mitten im Schritt inne und sah uns an. Dann stand sie mit

beiden Füßen auf der Erde.

»Howdy«, sagte sie.

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Rex fing an zu kläffen. Ich machte einen Schritt rückwärts.

Die Frau sah den Hund und Runa an. Dann mich.

Rex kläffte weiter.

»Hallo, wie heißt du?«, fragte ich.

»Still«, sagte die Frau.

Im ersten Augenblick dachte ich, sie meinte mich, aber

dann kapierte ich, dass sie mit Rex sprach. Und er wurde

wirklich still, der letzte Kläffer ging in ein Winseln über, dann

schleckte er sich die Schnauze und sagte nichts mehr. Die

Töle zum Schweigen zu bringen, hat bis jetzt noch niemand

geschafft.

»Ich heiße Viktoria Andersson«, sagte sie dann. »Und das

hier ist mein Bücherbus.«

Da sah ich, dass der Bus an der Seite keine Fenster hatte

und dass dort BÜCHERBUS stand. Viktoria hatte braune Cow-

boystiefel mit Absatz an und ein breites schwarzes Band im

Haar. Sie war groß. Viel größer als irgendwer sonst, den ich

kannte.

»Ich heiße Linn«, sagte ich.

»Aha«, sagte Viktoria.

»Hier können Sie aber nicht parken«, sagte Runa.

»Und wer sagt das?«, fragte Viktoria und sah Runa an.

»Ich sage das«, sagte Runa und streckte sich.

»Ist das Ihr Grundstück?«, fragte Viktoria.

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»Meine Kleine, das werden ja wohl selbst Sie einsehen, dass

Sie hier nicht parken können«, sagte Runa darauf. »Hier woh-

nen schließlich Leute.«

»Ich sehe kein Halteverbotsschild«, sagte Viktoria und sah

sich um. »Außerdem ist es lange her, dass ich klein war.«

»Ich kenne den Grundstücksbesitzer«, sagte Runa.

»Aha«, sagte Viktoria.

»Ich werde mit ihm reden. Dann werden wir ja sehen, ob

Sie weiter so unverschämt sind. Man kann nicht einfach neu

irgendwo hinkommen und sich aufführen, wie man will«,

sagte Runa.

»Ich werde meinen Bus jedenfalls hier stehen lassen«, sag-

te Viktoria.

»Ich werde schon dafür sorgen, dass Sie nicht lange in die-

sem Viertel bleiben«, sagte Runa.

»Das werden wir ja sehen«, sagte Viktoria.

Am Ende war Runa genauso stumm wie Rex. Sie murmel-

te irgendetwas Unverständliches und zog Rex hinter sich her

zum Hauseingang. Man widersprach Runa nicht. Alle, die hier

wohnten, wussten, dass es besser war, ihrer Meinung zu sein,

wenn man seine Ruhe haben wollte. Ich glaube, die hatten

alle ein bisschen Angst vor ihr.

Viktoria ging zurück zu ihrem Bus, nahm eine Tasche he-

raus, hängte sie über ihre Schulter und schloss ab. Sie nickte

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mir zu. Ich schaute hinter ihr her. Sie ging mit langen Schrit-

ten die Straße hoch, ihr langes braunes Haar flatterte im

Wind.

Sie hätte Runa lieber nicht widersprechen sollen, jetzt

würde Runa sie hassen. Bestimmt würde Runa wieder einen

Leserbrief an die Zeitung schreiben, das machte sie öfter. In

dem letzten ging es um Autos, die in der Stadt viel zu schnell

fahren. Sie unterzeichnete ihre Briefe immer mit »eine Mit-

bürgerin«, nie mit ihrem richtigen Namen. Aber es wussten

trotzdem alle, dass sie die Schreiberin war.

»Aha!«, sagte ich zu mir selbst. Jetzt verstand ich. Viktoria war

in das Zuckerstückchen gezogen!

Das Zuckerstückchen ist ein kleines viereckiges Häuschen

zwischen allen Wohnblocks, das schon ewig leer steht. Ich

hatte gar nicht mitbekommen, dass es wieder vermietet wur-

de. Aber ich hatte gesehen, dass Viktoria durch das Gartentor

gegangen war. Das Haus steht in einem kleinen Garten mit

hohem Gras und zwei Apfelbäumen, die aussehen, als könn-

ten sie jeden Moment umfallen. »An dem Garten müsste drin-

gend jemand was machen«, sagt Mama immer. Ich glaube, sie

vermisst unseren alten Garten mehr als Papa, weil sie immer

so traurig den Kopf über den kleinen Garten schüttelte. Aber

jetzt kümmerte sich Viktoria Andersson ja vielleicht darum.

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Ich hätte in der Aufregung fast meine Steckbriefe verges-

sen. Einen hatte ich noch. Ich ging zur Waschküche. Ein Flug-

zeug flog über mich hinweg. Ganz in der Nähe war ein Flug-

platz, deswegen flogen öfter Flugzeuge über unser Haus. Ich

bin noch nie geflogen, aber ich wollte vielleicht Pilotin wer-

den, wenn ich groß war.

Mama war noch nicht zu Hause, würde aber bald kommen,

und ich hatte einen Schlüssel. In der Schule lernte man alle

möglichen Sachen, unter anderem, besser alleine zurechtzu-

kommen. Ich guckte zu Runas Tür, die gegenüber von unserer

Tür ist, und streckte dem Spion die Zunge raus. »Stultorum

infinitus est numerus«, murmelte ich. Das ist Latein und heißt,

dass es unendlich viele Bekloppte auf der Welt gibt. Ich lerne

nämlich Latein. Bei meinem letzten Besuch bei Papa hat er

seine alten Comics rausgesucht, Asterix und Tintin und so

was. Ich bin ab und zu bei Papa, aber nicht so oft, weil er so

weit weg wohnt. In Asterix wird ab und zu Latein gesprochen,

darum habe ich angefangen, mich dafür zu interessieren und

die Sprache zu lernen. Im Internet gibt es eine Seite mit la-

teinischen Sprichwörtern, manche sind ziemlich altmodisch.

Mein augenblicklicher Favorit ist per aspera ad astra. Das heißt

durch Mühsal zu den Sternen. Das kann man bei jeder Gelegen-

heit sagen. Das bedeutet, dass es einem, wenn man schwie-

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rige Dinge tut, vor denen man eigentlich Angst hat, zum Bei-

spiel alleine Zug fahren, mit jedem Mal leichter fällt und sich

anfühlt, als würde man den schönsten Sternen am Himmel

näher kommen. Manchmal muss man anstrengende Dinge

tun, um vorwärtszukommen. Bald darf ich alleine Zug fahren.

Normalerweise höre ich, wenn ich nach Hause komme, den

leisen Bums, den es macht, wenn Nagel vom Sofa springt, in

den Flur kommt und sich von mir tätscheln lässt und schnur-

rend um meine Beine streicht. Aber Nagel war nicht mehr da.

Kein Bums und kein kleiner großer Kater.

Man kann das Zuckerstück von meinem Fenster aus se-

hen. Ich schaute hinaus. Die Haustür stand offen und auf der

Treppe standen ein paar Kartons. Viktoria ging rein und raus

und trug einen Karton nach dem anderen hinein. Sie hob sie

hoch, als wären sie mit Luft gefüllt. Bestimmt ist sie ganz

schön stark, dachte ich, und hat vor nichts Angst. Wir wür-

den gut zusammenpassen, ich habe nämlich auch vor fast

nichts Angst und habe sehr starke Arme. Das sagt Papa und

der muss es ja wissen. Er wohnt in Stockholm. Das ist Schwe-

dens Hauptstadt.

Als Mama nach Hause kam, räumte sie erst mal den Einkauf

ein. Sie knallte mit den Schranktüren. Ich deckte den Tisch.

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Es gab Kartoffelbrei mit gebratener Fleischwurst. Mama hat

bestimmt hundert Kochbücher, aber meistens essen wir Nu-

deln oder Kartoffelbrei. Außer am Wochenende oder wenn

wir Gäste haben. Ich finde das völlig okay. Mir schmeckt das

gut. Aber Mama ist nicht glücklich damit.

Ich erzählte ihr von Viktoria und dass sie Rex zum Schwei-

gen gebracht hat. Mama lachte und schielte zu einer neu-

en, glänzenden Zeitschrift, die sie mitgebracht hatte, und ich

sah, dass sie mir nicht zuhörte. Sie schien nicht zu begreifen,

wie toll es ist, dass mal jemand Runa widersprochen hat.

»Glaubst du, sie kann dafür sorgen, dass Viktoria wieder

wegziehen muss?«, fragte ich.

»Was? Nein, das glaube ich nicht«, sagte Mama und zog die

Augenbrauen hoch.

»Sie hat gesagt, dass sie den Grundstücksbesitzer kennt«,

sagte ich. »Ist das der, dem das Haus gehört?«

»Ja«, sagte Mama. »Er heißt Fransson. Reich wie ein Troll,

rund wie ein Ball.«

»Was?«, sagte ich.

»Vergiss es, das habe ich nicht gesagt«, sagte Mama. »So

was sagt man nicht.«

Sie legte die Hand vor den Mund.

Ich muss Viktoria warnen, dachte ich.

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Ich fand es spannend, wenn was Ungewohntes passierte. Ein-

mal ist ein Lastwagen durch unsere Straße gefahren und auf

dem Schotterplatz hinter unserem Haus umgekippt. Da sind

Tausende, unendlich viele Apfelsinen über den Platz gerollt.

Es hat mehrere Tage gedauert, die alle wieder wegzuräumen.

In der ganzen Straße roch es nach frisch gepresstem Oran-

gensaft. Und einmal hat es seitwärts geregnet, nicht von

oben nach unten, sondern von rechts nach links. Wir haben

uns das Ganze von Siris Fenster aus angesehen. Siris Mutter

meinte, das läge daran, dass es so verflixt windig war, aber

das haben wir nicht geglaubt. Wahrscheinlich lag es eher da-

ran, dass die Erde sich dreht.

Manchmal passieren auch traurige Dinge. Zum Beispiel,

dass Nagel verschwunden ist. Oder dass meine Mutter eine

Mädchenparty für mich organisieren will, auf die ich über-

haupt keine Lust habe. Mama macht sich Sorgen, weil ich so

wenige Freunde habe. Nicht eine einzige beste Prinzessin-

nenfreundin. Einmal hat sie Emma und Siri eingeladen und

sie haben zusammen Goldkronen gebastelt und Bilder aus

Mamas Zeitschriften ausgeschnitten und rumgekichert. Ich

habe in meinem Zimmer am Computer gesessen und mir alle

möglichen Städte bei Google Earth angeguckt. Barcelona sah

am schönsten aus. Als sie schließlich nach Hause gegangen

sind, war Mama enttäuscht.

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Mama schob die Zeitschrift zu mir rüber.

»Wie findest du die Tischdekoration? Die Spitzen sind aus

Tortenuntersetzern gemacht, clever, was? Und dann könnten

wir Äpfel und Herbstblätter sammeln.«

»Hm«, sagte ich. »Das muss doch gar nicht so aufwendig

sein.«

»Natürlich soll es aufwendig sein für deine Party, richtig

schön!«, sagte sie und legte ihre Hand auf meine, ehe sie wei-

terblätterte.

»Ich glaube, ich mache mir einen French Twist«, sagte sie

mit einem Blick in die Zeitschrift.

»Ist das was zu essen?«

»Quatschkopf«, sagte sie.

Das Beste, was in dieser Straße passiert ist, seit wir hier woh-

nen, ist die Tatsache, dass Viktoria Andersson hierher gezo-

gen ist. Ich spürte mit jeder Faser, dass von jetzt an alles bes-

ser werden würde.

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